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23. Der Sonntag des Einsamen.

Er hatte Alle begraben, die ihm lieb und theuer waren auf dieser armen Erde. Vater und Mutter nicht nur, sondern auch sein Weib und seine Kinder bis auf eines waren längst den Weg alles Fleisches gegangen. Nur eine Tochter war ihm geblieben, und diese war, nachdem sie selbst ihren Gatten und ihre jungen Söhne begraben hatte, die Stütze seines Alters. Sie pflegte den Vater fromm und treu Jahr für Jahr; aber endlich klopfte die schonungslose Hand des Todes auch an ihre Thür; der alte Vater hat auch sie noch begraben.

Nun stand er ganz allein, wohl ohne Murren, aber nicht ohne Thränen und Sehnen. Er nährte sich trotz seines hohen Alters von seiner Hände Arbeit; aber er war bei der Arbeit immer still und voll ernster Gedanken.

Doch wenn der liebe Sonntag kam, dann kam ihm immer auch die Freude. Sein ganzes Wesen erheiterte sich am Tage des Herrn, vornehmlich an dem Orte, da des Herrn Ehre wohnt; da stimmte er, denn singen konnte er noch wie ein Jüngling, mit lauter Stimme in den Gesang der feiernden Gemeinde ein. Vielen in der Gemeinde fiel diese freudige Sonntagsstimmung des Greises auf, und ein alter Freund sagte ihm einmal nach dem Gottesdienst: „Ich freue mich, Dich heute in Deiner Trübsal so gekräftigt und getröstet zu finden.“

Da lächelte der wundersame Alte und sprach: „Ja, ohne den lieben Sonntag möchte mich wohl meine Trübsal überwunden haben. Meine Nachbarn sagten mir, du wirst deine gute Tochter am meisten des Sonntags vermissen – aber siehe, gerade am Sonntage ist es mir immer, als wenn ich der lieben Heimgegangenen begegnete und mit ihr vereinigt wäre. Ich glaube ihre Stimme zu vernehmen, indem sie neben mir zu sitzen scheint und ihr Gebet mit dem meinigen vereint. Ich weiß, wir sind dann beide in gleicher Weise beschäftigt, nur an verschiedenen Orten – sie lobsingt Gott schon im Himmel und ich preise Ihn noch hier auf Erden. Ich weiß wohl, dies sollte auch meinerseits alle Tage geschehen, aber am Sonntag kann ich dies doch besonders, kann vornehmlich auch über die großen Verheißungen und Liebesthaten meines theuren Heilandes nachdenken und sie mir aneignen, so daß ich dann alles Kreuz und Leid vergesse.“

Sie haben ihn denn hinterher auch bald auf den Kirchhof getragen und doch nicht ihn, sondern nur seinen Leib, der ruhet da in Hoffnung der großen Auferstehung. Seine Seele aber feiert mit den Seelen seiner Heimgegangenen ewigen Sonntag in einer Welt, wo kein Tod mehr die Bande der Liebe zerschneidet.

Welch‘ ein Tag ist das, der Sonntag! Welch‘ eine Freude wird das sein, wenn wir einst ewig Sonntag feiern dürfen!

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