Zuletzt angesehen: 17. Dich predigen die Steine.

17. Dich predigen die Steine.

Daß die Menschen unserer Zeit wenig zu Hause und viel auf Reisen sind, darüber kann sich Einer, der das Nachdenken liegt, allerlei Gedanken machen, leichtmüthige oder schwermüthige; das bleibt doch stehn, daß auch die Kinder Gottes dem lieben Herrgott herzlich dankbar sein müssen dafür, daß sie im Zeitalter der Dampfschiffe und der Eisenbahnen leben. Ein erleuchteter, nun schon vollendeter Christ unserer Tage nannte einmal die Eisenbahnen die Sparkasse der armen Heiligen. Es ist doch auch gut, daß fromme Leute sich die Welt oder wenigstens ein Stücklein von der Welt besehn, sonst kommen sie leicht auf die Meinung, ihre aparte Weise, christlich zu fühlen, zu denken und zu handeln, sei die einzig mögliche Weise, dem Heiland zu dienen; es ist doch sehr heilsam, wenn sie mit ihren eignen zwei Augen sehn, daß hinter den Bergen auch noch Leute wohnen, die das theure Evangelium lieb haben.

Freilich reist ja Einer, dem Erbarmung widerfahren ist, anders durch die Lande, als die Menschenkinder, die dem Herrn aus der Schule gelaufen sind. Er erklimmt nicht nur die blauen Berge, er sucht auch das Kirchlein im Thal auf und faltet drinnen seine Hände; er läuft nicht nur in die Museen und in die Thiergärten, sondern er sucht auch einzutreten in die Kreise der Stillen im Lande; er liest unterwegs nicht nur die neusten Zeitungen, sondern auch die alte Bibel; er läßt es sich an der Table d’hôte nicht blos wohlschmecken, sondern er schämt sich an derselben auch des Tischgebets nicht.

Einer von denen nun, die sich nach diesen Reiseregeln richten, hatte auf seiner Reise durch ein niederdeutsches weidenreiches Land schon mancherlei Freude gehabt an der Begegnung mit allerlei Leuten, die den zum Hirten hatten, der uns auf der grünen Aue weidet. Da kam er einst auch in ein Städtlein, das zwei große alte Kirchen hatte, deren Thürme schon von Weitem seine Aufmerksamkeit an sich gezogen hatten. Er besah sich die eine Kirche, sie war stattlich und würdig, aber als er seinen Führer fragte, was in dieser Kirche gepredigt würde, erhielt er zur Antwort: daß Christus ein sehr frommer Mann gewesen sei. Er besah sich die andere Kirche, sie war auch stattlich und würdig; aber als er fragte, was in dieser gepredigt würde, erhielt er dieselbe Antwort: daß Christus ein frommer Lehrer, nichts minder und nichts mehr gewesen sei. Da wanderte er denn aus der zweiten Kirche des Weges zurück bis auf die Mitte des großen Marktes, der beide Kirchen scheidet, und wie er so traurig drein blickte, da bat ihn der Führer, nach unten zu schauen auf die Steine zu seinen Füßen. Da ward er fröhlich, denn er las mitten auf dem Markt in steinerner Schrift von alten Zeiten her das Wort: „Menschenkind wandle in den Wegen des Herrn!“ Da wanderte er weiter, gestärkt durch die Predigt, die ihm das Straßenpflaster gehalten hatte in einer Stadt, in deren Kirchen Gottes Wort verhallt war.

Als er dann wieder daheim war, war ihm unter all‘ seinen Reiseerinnerungen eine der liebsten die Erinnerung an das Städtlein, wo die Steine den Herrn predigen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/q/quandt/tropfen/17.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain