Quandt, Emil - Sacharjas Nachtgesichte und Morgenklänge - Das sechste Kapitel.

Quandt, Emil - Sacharjas Nachtgesichte und Morgenklänge - Das sechste Kapitel.

Das achte Gesicht des Propheten von den Wagen und Rossen und der Auftrag, den er erhält, den Hohepriester Josua zu krönen.

Vers 1. Und ich hob meine Augen abermals auf und sah, und siehe da waren vier Wagen, die gingen zwischen zweien Bergen hervor; dieselben Berge aber waren ehern. Das ist nun der Anfang des achten Nachtgesichtes, das dem Propheten beschieden wird und das, als das letzte von allen, in die Bilder des ersten zurückkehrt, so dass die acht Nachtgesichte zusammen eine ringartig geschlossene Kette bilden. Die Wagen und Rosse dieses Gesichtes versinnbilden dieselben Engel Gottes, die unter den Rossen des ersten Gesichtes dargestellt waren. Im ersten Verse hier ist zunächst von den Wagen die Rede; Kriegswagen sind gemeint, eine Hauptwaffengattung im Altertum, namentlich bei den Ägyptern, von David auch bei den Israeliten eingeführt; Gott der Herr wird öfters als Richter und Rächer dargestellt, wie er auf Kriegsmagen einherfährt. S. Psalm 104, 3: Du fährst auf den Wolken, wie auf einem Wagen; Jesaias 66, 15: Siehe, der Herr wird kommen mit Feuer und seine Wagen wie ein Wetter; der Knabe Elijas 2. Kön. 6, 17 sah den Berg voll feuriger Rosse und Wagen um Elisa her. Die himmlischen Kriegswagen, die unser Prophet hier schaut, gehen zwischen zwei ehernen Bergen hervor. Das Wort ehern steht offenbar nur gleichnisweise, die Berge sollen dadurch als feste, gewaltige Berge bezeichnet werden. Unter den beiden Bergen dieses Nachtgesichts bestimmte Berge der Geographie zu denken, ist man doch nur dann genötigt, wenn man den Frieden, von welchem Vers 13 handelt, als einen Frieden zwischen den hier genannten Bergen sich auslegt, eine Auslegung, die, wie wir sehen werden, weiter nichts als eine willkürliche Einlegung ist. Die jene Auslegung festhalten, bestimmen die beiden Berge hier als den Tempelberg Morija und den Palastberg Zion; Andere nennen den Berg Morija und den Ölberg. Wir nehmen an, dass der Prophet in diesem Gesichte überhaupt nur zwei beliebige Berge schaute, allerdings in der Nähe der heiligen Stadt, auf die sich ja alle diese Gesichte beziehen; zwischen den Bergen aber sieht er eine Tiefe, ähnlich wie er sie in seinem ersten Gesicht sah, von welcher die Wagen ihren Ausgang nehmen.

Vers 2. Am ersten Wagen waren rote Rose; am anderen Wagen waren schwarze Rosse. Die Rosse gehören auf das Engste zu den Wagen, und durch die verschiedene Farbe der Rosse tritt die verschiedene Bedeutung der vier Wagen ins Licht. Die roten, blutfarbigen Rosse deuten auf Blutvergießen; die schwarzen, trauerfarbenen Pferde deuten auf den schwarzen Hunger, auf die durch göttlichen Zorn verhängte Hungersnot.

Vers 3. Am dritten Wagen waren weiße Rose, am vierten Wagen waren scheckige, starke Rose. Die weißen Rosse versinnbilden die göttliche Heiligkeit, der gottlos Wesen nimmermehr gefällt, zugleich auch den Sieg Gottes über seine Feinde, denn die weiße Farbe ist auch Symbol des Sieges, daher weiße Rosse bei Triumphzügen gebraucht wurden. Die scheckigen Rosse sind wohl als schwarz und weiß gefleckte Rosse zu denken, die das in eins bedeuten, was die schwarzen und die weißen Rosse jede für sich versinnbilden, die göttliche Strafe der Hungersnot und die siegende Kraft der verzehrenden göttlichen Heiligkeit; auf diese doppelte Bedeutung weist uns auch die Bezeichnung, dass sie starke, nämlich besonders starke Rosse sind. - Dass die verschiedenen Farben der Rosse zugleich auf verschiedene Länder, aus denen sie stammen, deuten, kann wohl möglich sein und tut ihrer symbolischen Bedeutung keinen Eintrag; die roten Rosse, sagt man, sollen ägyptische Rosse sein - ägyptische Wandgemälde scheinen das zu bestätigen; die schwarzen sollen den Äthiopiern und Römern eignen, die weißen den Kleinasiaten, die scheckigen den Makedoniern und Parthern. Unwahrscheinlicher aber dürfte sein, was diejenigen behaupten, die das letzte Nachtgesicht Sacharjas zu Daniel, Kap. 2 und Kap. 7 in Beziehung setzen: die roten Rosse, so legt man dann aus, sind die chaldäischen, die schwarzen Rosse sind die medischen, die weißen Rosse sind die persischen, die scheckigen, starken Rosse sind die griechisch-römischen.

Vers 4. Und ich antwortete und sprach zum Engel, der mit mir redete: Mein Herr, wer sind diese? Es ist fast rührend zu lesen, wie Sacharja immer wieder so demütig bekennt, dass sein Wissen und Verstand mit Finsternis umhüllt ist. Es ist eben ein Kennzeichen der wahren Propheten, dass sie von Herzen demütig sind, während mit allem falschen Prophetentum immer sehr handgreiflicher Hochmut Hand in Hand geht.

Vers 5. Der Engel antwortete und sprach zu mir: Es sind die vier Winde unter dem Himmel, die hervorkommen, dass sie treten vor den Herrscher aller Lande. Seine Wagen sind wie ein Sturmwind, sagt Jeremias 4, 13 von dem Herrn und seinem richtenden Walten. Und bei demselben Propheten heißt es 49, 36: „Ich will die vier Winde aus den vier Orten des Himmels über sie kommen lassen und will sie in alle dieselben Winde zerstreuen.“ So sind also in der prophetischen Sprache die Winde Bilder göttlicher Strafe. Wind und Geist aber sind im Hebräischen ein und dasselbe Wort, und hier an unserer Stelle wiegt offenbar die Bedeutung Geist vor, wie das namentlich aus der genaueren Übersetzung der letzten Hälfte unseres Verses sich ergibt: (die vier Winde des Himmels), die herausgehen, nachdem sie gestanden sind vor dem Herrscher aller Lande.

Wie bei dem Propheten Hesekiel die vier Lebewesen („Tiere“ sagt Luther) den Thron der göttlichen Herrlichkeit tragen und hingehen, „wohin der Wind geht,“ so gehen hier die Geister windartig aus von dem Tieftal zwischen den Bergen als der heimlichen, verborgenen Wohnstätte Gottes, siegreich die Erde zu durchziehen.

Vers 6. An dem die schwarzen Rosse waren, die gingen gegen Mitternacht, und die weißen gingen ihnen nach; aber die scheckigen gingen gegen Mittag. Das Mitternachtsland ist das im letzten Verse des vorigen Kapitels als Sitz aller Gottlosigkeit genannte, nördlich vom gelobten Lande gelegene Sinear oder Babylonien, siehe auch unsere Erklärung zu 2, 6. Hierhin ziehen zunächst die Schwarzen, dann aber auch noch die weißen Rosse, um Gottes Gerichte in doppeltem Maß zu vollziehen - wie sehr sie es vollzogen haben, davon zeugt noch heute die lautlose Trümmerwelt zu beiden Seiten des majestätischen Euphrats, in welche die einst von heiligen und unheiligen Dichtern so hochgefeierte babylonische Pracht versunken ist. Das Mittagsland, in welches die scheckigen Rosie sich begeben, ist das südlich von Palästina gelegene Ägypten; auch andere Propheten hatten diesem Lande als einem der gottfeindlichsten, allerlei Plagen geweissagt; die Erfüllung liegt trotz des Suezkanals in dem gegenwärtigen elenden Zustand dieser türkischen Provinz vor Aller Augen.

Vers 7. Die Starken gingen und zogen um, dass sie alle Lande durchzögen. Und er sprach: Geht hin und zieht durch das Land! Und sie zogen durch, das Land. Genauer ist zu übersetzen: „Die Starken gingen hervor und baten, dass sie gehen dürften, dass sie alle Lande durchzögen. Und er sprach: Geht hin und durchzieht die Erde. Und sie durchzogen die Erde.“ Weil die scheckigen Rosse zugleich die starken, nämlich die stärksten von allen sind, so werden sie nicht nur mit der Ausführung des ihnen gegebenen göttlichen Zornbefehls eher fertig, als die anderen, sondern es genügt ihnen auch nicht, nur Ein Gerichtswerk zu vollziehen, sie bitten vielmehr um Vollmacht zu noch weitgreifenderer Wirksamkeit, zur Ausführung der göttlichen Zornbefehle auf der ganzen Erde, und diese Vollmacht wird ihnen vom Herrn auch gegeben. Das also ist bei aller Ähnlichkeit doch der große Unterschied zwischen den Engeln in diesem Gesicht und den Engeln im ersten Gesicht, dass, während jene bloß himmlische Kundschafter sind, diese himmlische Geißeln sind, dass während jene nur den Zustand der Erde er: spähen, diese die Gerichte Gottes auf Erden vollziehen. Wenn man in unsere deutschen Bibeln diesen letzten Gesicht wohl die Überschrift gegeben hat: „Vom Schutz der heiligen Engel über die Frommen,“ so ist das ganz verfehlt; denn es ist vielmehr hier die Rede von der Rache der heiligen Engel wider die Gottlosen. Babel, Ägypten, die Erde, soweit die freche Gottlosigkeit haust, sollen durch Gottes Engel abgestraft werden

Wann? Im ganzen Lauf der Weltgeschichte bis zu dem alle Gerichte häufenden und abschließenden jüngsten Tag hin; wie es fort und fort bis zum jüngsten Tag hin das Geschäft eines Teils der Engel Gottes ist, denen zu dienen, die ererben sollen die ewige Seligkeit, so ist es fort und fort bis an das Ende der Tage hin das Geschäft eines anderen Teils der Engel Gottes, der Rache wider die Übeltäter zu obliegen; im Kleinen zeigt uns das am ergreifendsten die Erzählung von Apostelgeschichte 12, da ein Engel des Herrn Petrum aus dem Gefängnis befreit und ein andrer Engel des Herrn den König Herodes schlägt, dass er seinen Geist aufgibt. Merkwürdig ist es, dass die roten Rosse weder ausgesandt werden zum Gericht noch zu solcher Sendung sich melden. Einige suchen sich dies Rätsel dadurch zu lösen, dass sie sagen: Die roten Rosse ruhen, weil sie ihre Gerichtsarbeit schon hinter sich haben, weil sie vergangene Gerichte vollzogen haben; allein dafür geben doch die Gesichte selbst auch nicht den geringsten Anhalt. Die richtige Lösung ist wohl aus der Vergleichung mit dem ersten Gesicht, mit welchem dieses letzte so viel Verwandtschaft hat, zu gewinnen. Dort sitzt der unerschaffene Bundesengel, der erscheinende Jehova, selbst auf einem roten Rose; so gehört auch wohl hier der Wagen mit den roten Rossen Ihm selber an; Ihm selber aber geziemt er, während die anderen Engel, seine Kreaturen, geschäftig sind, die göttlichen Urteile zu vollstrecken, still und in majestätischer Ruhe, nur Befehle austeilend und den Bericht über die vollzogenen Befehle entgegennehmend, auf seinem Wagen zu thronen. Übrigens sollen gar nicht alle Gegenden der Windrose, sondern alle Gegenden, in denen die Gottlosigkeit herrschendes Prinzip ist, mit dem Gericht heimgesucht werden.

Vers 8. Und er rief mich und redete mit mir und sprach: Siehe, die gegen Mitternacht ziehen, machen meinen Geist ruhen im Lande gegen Mitternacht. Der Rufende ist der dem Propheten zur Deutung seiner Gesichte beigegebene Engel, der hier nun zum letzten Mal auftritt. Im Mitternachtslande, so deutet er aus, soll der Geist des Herrn ruhen, wahrlich nimmermehr der Geist der göttlichen Gnade und Güte, wie Etliche meinen, die da auslegen: „Auch Babel soll, nachdem es von aller Gottlosigkeit gesäubert ist, ein liebes Land Gottes sein,“ sondern dem ganzen Zusammenhang dieses Gesichtes nach, in welchem nur von Gerichten die Rede, der Geist des Zornes Gottes, der mit ewigem Feuer salzt, was milde Zucht verschmäht hat. So schließen die Nachtgesichte im tiefsten Ernst: Babel, aus welchem Israel soeben gerettet ist und zu welchen doch jeder unbekehrte Israelit wieder zurückkehrt, ist den erschütternden Gerichten Gottes verfallen. Aber dieser tiefe Ernst birgt doch auch in sich süßen Trost: Israel, das nicht bloß zurückgekehrte, sondern auch bekehrte Israel, darf Gott preisen, der dasselbe aus dem untergehenden Babel noch rechtzeitig gerettet hat, wie weiland Lot aus Sodom. Dieser Ernst und Trost war aber nicht bloß für Sacharja und seine Zeit erbaulich, sondern ist es für die Gemeinde Gottes aller Zeiten, wenn sie, soviel auch dunkel bleibt an Sacharjas Nachtgesichten, sich in die zwei sonnenklaren Punkte derselben versenkt: Wer bloß äußerlich von Babel geschieden ist, bleibt verhaftet an das Schicksal Babels, das um seiner Sünden willen der Rache des Herrn verfällt; wer aber innerlich von Babel los ist, hat den Herrn Zebaoth mit allen seinen Heerscharen für sich und Anteil an der ganzen glorreichen Zukunft, die dem Israel rechter Art verbrieft und versiegelt ist.

Soweit die acht wunderbaren Nachtgesichte Sacharias und unser Nachdenken derselben. Wovon sie ausgegangen sind, dahin kehren sie zurück als ein wohlgerundetes Ganze. Das erste Gesicht von dem Engel unter den Myrthen kündigte beides an, den Zorn Gottes über die gottlosen Heiden, die Liebe Gottes über das wahre Israel; das zweite Gesicht von den vier Hörnern und vier Schmieden führte den Zorn Gottes über die gottlosen Heiden aus, das dritte Gesicht von dem Manne mit der Messschnur und dem aus Jerusalem kommenden Engel des Herrn führte die Liebe Gottes über Israel aus. Diese ersten drei sind, so zu sagen, einleitende Gesichte. Das vierte Gesicht von der Weihe des Hohenpriesters Josua malt die Liebe Gottes über Israels Priestertum aus, das fünfte Gesicht von dem goldenen Leuchter und den zwei Ölbäumen dieselbe Liebe über Israels Fürstentum; diese beiden Gesichte sind der Stern und Kern aller Gesichte. Das sechste Gesicht von der fliegenden Rolle bringt eine Schilderung des Zornes Gottes über die babylonischen Israeliten und das siebte von dem Weib in Maß schildert denselben Zorn Gottes über das babylonische Wesen in Israel; das achte von den Wagen und Rossen endlich schildert den strafenden Zorn Gottes über die Erde und sonderlich über Babel, in welches Israel selbst, soweit es gottlos ist, eingeschlossen ist. Alle diese acht Gesichte haben den Zweck, Israel Mut zu machen zum Gotte Israels und Israels Hoffnung zu beleben auf den Erlöser Israels, und diesen Zweck erfüllen sie noch heute an allen Kindern des Reichs, die sich mit gesammelten Sinnen in dieselben versenken.

Vers 9. Und des Herrn Wort geschah zu mir und sprach. Aber folgt hier nun nicht noch ein neuntes Nachtgesicht? Es sind Viele, die das meinen; sie berufen sich für ihre Meinung auf den engen Zusammenbang, in welchem die Verse 9-15 mit dem Vorhergehenden stehen, während von Kap. 7,1 an ganz etwas Anderes komme; sie berufen sich namentlich darauf, dass die Handlung, die in diesem Abschnitt dem Propheten aufgetragen wird, in der Wirklichkeit unvollziehbar gewesen sei. Allein der Zusammenhang ist gar nicht so sehr eng; die Gesichte sind mit Vers 8 zu einem großartigen und volltönenden Abschluss gekommen; und was hier folgt, wird dem Propheten nicht gezeigt, sondern gesagt und nicht in der Nacht, sondern am Tage, siehe Vers 10, gesagt. Die Gesichte beginnen immer mit Worten, die auf Sehen und Schauen deuten („der Engel zeigte mir“ „Ich hob meine Augen auf“); dieser Abschnitt aber beginnt: „Und des Herrn Wort geschah zu mir und sprach:“ Über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit für den Propheten, das, was ihm hier gesagt wird, im wirklichen Tagesleben zu tun, werden wir uns bei der Auslegung der folgenden Verse verständigen; von diesem Verse halten wir fest, dass er kein neues Gesicht, sondern einen dem Propheten am Morgen nach der wunderbaren Nacht gewordenen Auftrag von Gott einführt.

Vers 10. Nimm von den Gefangenen, nämlich von Heldai und von Tobia und von Jedaja; und komm du desselbigen Tages und gehe in Jolias, des Sohnes Zephanjas, Haus, welche von Babel gekommen sind. Die „Gefangenen“ so hießen die Israeliten alle, da sie noch an den Wassern Babels schmachteten; nach der Entlassung des israelitischen Volkes aus Babel führten die in Babel Zurückgebliebenen allein den Namen „die Gefangenen“ weiter, und diese waren es, die in jenen Tagen drei Abgesandte mit Gold und Silber zum Tempelbau nach Jerusalem geschickt hatten: Heldai, Tobias, Jedaja; Heldai, vom Propheten auch Helem (Vers 14) genannt, führt seinen Namen von der Stärke; Tobias heißt „Gott ist gut“; Hedaja heißt: „Gott kennt die Seinen.“ Diese drei Männer waren im Hause Jolias zu Jerusalem abgestiegen; denn in der letzten Zeile dieses Verses ist statt: „welche von Babel gekommen sind“ besser zu übersetzen: „wohin sie von Babel gekommen sind.“ Es ist eine nicht ungeschickte Vermutung, dass Josias, der die Abgesandten so freundlich aufnimmt und hinterher von Gott gerade so geehrt wird wie jene, durch briefliche Schilderungen oder durch eine Reise nach Babel hin überhaupt den Anstoß zu einer Tempelkollekte in Babel gegeben hat. Josias wird Vers 14 vom Propheten Hen genannt, der erste Name bedeutet: „Gott gründet“ oder auch „Gott heilt“, der zweite Name bedeutet „Gnade;“ der Prophet liebt es an Stelle ursprünglicher Namen bedeutungsvollere allegorische Namen zu setzen, man vergleiche Kap. 9, 1 und unsre Bemerkung dort zu dem Wort Hadrach. Als ein Sohn Zephanjas wird er uns bezeichnet; Zephanja heißt „ein Mensch, den Gott schützt,“ 2. Könige 25, 18 und Jeremias 52, 24 wird uns ein hochgestellter Priester Zephanja genannt, den der König von Babel bei der Wegführung Israels zu Riblath töten ließ; ein Sohn oder Sohnessohn dieses Zephanja kann der hier genannte Josias wohl gewesen sein. In das Haus des Josia soll der Prophet desselbigen Tages oder an diesem Tage noch gehen; da der Tag nicht näher bestimmt ist, so kann nur der Tag nach der Nacht, in welcher er die Gesichte empfangen, gemeint sein.

Vers 11. Nimm aber Silber und Gold und mache Kronen und setze sie auf das Haupt Josuas, des Hohenpriesters, des Sohnes Zozadaks. Von dem Silber und Gold, das jene babylonischen Juden mitgebracht und zunächst im Hause Josias deponiert hatten, sollte der Prophet nach Gottes Auftrag so viel nehmen, als nötig war, um daraus eine Doppelkrone anzufertigen. Nehmen sollte er's d. i. als Beauftragter Gottes sollte er es in Gottes Namen sich von ihnen ausbitten; zu Kronen sollte er es nehmen, die unbestimmte Mehrheit bestimmt sich durch das zwiefache Metall von selbst als Zweiheit. Der Hohepriester Israels trug für gewöhnlich ein zwiefaches Diadem, nämlich die gewöhnliche priesterliche Kopfbinde und eine darüber gewundene purpurblaue, vorn mit einem goldenen Stirnblatt; der Prophet soll nun dem Hohenpriester eine außerordentliche Doppelkrone aufsetzen; da dieselbe uns nicht näher beschrieben wird, so sind wir für unsre sinnliche Anschauung auf das Raten angewiesen. Was aber soll diese außerordentliche Krönung Josuas bedeuten? Soll sie versinnbilden, dass Gott ihn selber nicht bloß als höchsten Priester, sondern auch als höchsten irdischen Regenten der damaligen israelitischen Gemeine ansehe? Keineswegs; denn einmal konnte derselbe Gott, der im vierten Kapitel unseres prophetischen Buchs Serubabel, als den Fürsten Israels, so hoch geehrt, diesem Fürsten nicht nun seine Ehre wieder entziehen wollen; und sodann weiß überhaupt das Alte Testament von einer eigentlichen königlichen Würde des Hohenpriesters unter dem alten Israel nicht nur nichts, sondern nach 2. Chron. 26, 16 ff. galt die Vereinigung beider Würden in der vormessianischen Zeit sogar als ein gottloser Frevel. Die Vereinigung der königlichen und hohenpriesterlichen Würde ist dem alten Testamente immer eine Sache der messianischen Zukunft; der Messias ist König und Hoherpriester zugleich Psalm 110, 1. u. 4. Dass auf den Messias als auf den wahren Josua (Josua und Jesus sind zwei Formen, die hebräische und die griechische, für denselben Namen) auch die hier befohlene Doppelkrönung Sacharjas geht, beweist der folgende Vers.

Vers 12. Und sprich zu ihm: So spricht der Herr Zebaoth: Siehe, es ist ein Mann, der heißt Bemah; denn unter ihm wird es wachsen, und er wird bauen des Herrn Tempel. Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis; Josua, gekrönt mit doppelter Krone, war doch in Wirklichkeit nicht König und Priester zugleich, sondern weissagte in dieser außergewöhnlichen Gestalt nur den großen Priesterkönig der messianischen Zukunft, Christum, welcher den rechten Tempel bauen und Jerusalem in höchster Weise wieder herstellen sollte. Ein schwaches Vor- und Schattenbild war nur, was damals an Josua sich begab; erst Christus Jesus ist der Hohepriester schlechthin und zugleich der König schlechthin, erst er erbaut den ewigen Tempel Jehovas und herrscht zugleich auf dem ewigen Throne Jehovas. Zemach ist hier Eigenname des Messias, geradeso wie Kap. 3, V. 8; wir haben bei jener Stelle dem Sinne dieses Namens näher nachgedacht. Wenn Sach. 3, 8 der Zemach mehr nach seiner Erscheinung in Niedrigkeit skizziert war, so tritt in diesem Kapitel mehr die Herrlichkeit des Zemach in den Vordergrund. „Unter ihm wird es wachsen!“ Zemach heißt eben Gewächse oder Spross; so ist der Satz „unter ihm wird es wachsen oder sprossen“ eine Erläuterung des bezeichnenden Namens, den der zukünftige Priesterkönig hat; weitläufiger finden wir dasselbe gesagt bei Hesekiel 17, 22. 23: So spricht der Herr Herr: Ich will auch von dem Wipfel des hohen Zederbaumes nehmen und oben von seinen Zweigen ein zartes Reis brechen und will es auf einen hohen, gehäuften Berg pflanzen, nämlich auf den hohen Berg Israels will ich es pflanzen, dass es Zweige gewinne und Früchte bringe und ein herrlicher Zedernbaum werde; also dass allerlei Vögel unter ihm wohnen und allerlei Fliegendes unter dem Schatten seiner Zweige bleiben möge.

Vers 13. Ja, den Tempel des Herrn wird er bauen und wird den Schmuck tragen und wird sitzen und herrschen auf seinem Throne; wird auch Priester sein auf seinem Throne, und wird Friede sein zwischen den beiden. Der Tempel, den der Zemach baut, ist die Behausung Gottes im Geist, die Heilige christliche Kirche, die da erwählt war von Gott vor Grundlegung der Welt, in welcher Gott in völligerer Weise wohnt als im Tempel von Händen gemacht. Als dieses heiligen Tempels Grundstein und Schlussstein war der Zemach in den Gesichten geschildert, hier erscheint er als des Tempels Baumeister. Und das ist ja denn Christus Jesus wahrhaftig, er hat sich nun schon durch viele Jahrhunderte hindurch mannigfach verherrlicht als Baumeister seiner Kirche, er versteht sein Geschäft gründlich - war er nicht ein Zimmermann auf Erden? auch geistlich ist er's für seine Kirche immer und ewiglich. Lassen wir uns nicht irre machen durch die mancherlei Kirchen und Kirchlein auf Erden, in denen ja allerdings Manches ist, womit Christus nichts zu schaffen hat; der Plan seiner Kirche steht fest, und trotz der mannigfaltigen Bildung der einzelnen Teile wird am Ende seine Kirche sich doch ausweisen als Ein wohlgeordnetes, herrliches Ganzes. Er, der Messias, wird den Schmuck tragen; als ihm ewig zukommendes Diadem wird er tragen, was Josua nur für die paar Augenblicke einer symbolischen Handlung trug. Der Schmuck ist zwar zunächst die doppelte Krone, dann aber alle Herrlichkeit des erhöhten Gottmenschen, wie sie von den seligen Erlösten durch die Ewigkeiten gepriesen werden wird: Ihm, dem Lebendigen, der tot war und siehe er ist lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit, ihm sei Preis und Ehre und Dank von Ewigkeit zu Ewigkeit. Mit mehr als einer Krone auf dem Haupte hat der heilige Seher auf Patmos, Johannes, den großen Baumeister der Kirche gesehen und bezeugt: Offenb. 19, 12: Auf seinem Haupt sind viele Kronen! Es wird aber der also über die Maßen herrlich Gekrönte herrschen auf seinem Throne und ein Priester sein auf seinem Throne - nach der Weise Melchisedeks, wie der 110. Psalm sagt und der Hebräerbrief ausführt: ein Volk von Heiligen, bemerkt treffend ein vollendeter Schriftausleger, wäre mit einem Könige hinreichend versorgt; einem Volk von Sündern ist der Sieg nur dann gewiss, wenn dieser König zugleich Hoherpriester ist. Und es wird Friede sein zwischen den beiden, genauer: der Rat des Friedens wird zwischen den beiden sein - es geht unmöglich an, unter den „beiden“ die zwei ehernen Berge von Vers 1 zu verstehen; über diese Berge ist unser Kapitel längst hinaus, und obendrein, was gibt das doch für einen gezwungenen Gedanken, dass Friede sein soll zwischen dem Morija und dem Zion, die in unserem Kapitel weder mit Namen genannt noch als zuvor feindliche Berge geschildert worden sind? Noch unpassender aber ist es, unter den „beiden“ Josua und den Zemach zu verstehen - denn diese beiden stehen sich gar nicht als zwei ebenbürtige Hauptpersonen gegenüber, dass von Frieden oder Unfrieden zwischen ihnen die Rede sein könnte; Josua kommt in diesen Versen nur in Betracht als Vorbild des zukünftigen Zemach. Wie man aber gar unter „den beiden“ das Reich Juda und das Reich Israel verstehen kann, ist gar nicht zu fassen; die frühere Trennung des Volkes Israel in zwei feindliche Reiche ist von dem Propheten bis hierher auch noch nicht mit einer Silbe erwähnt worden; das Israel seiner Zeit war auch gar kein zertrenntes, sondern die einige aus Babylon heimgekehrte israelitische Pilgergemeinde. Wir dürfen die „beiden“ auch gar nicht in so nebelhaften Fernen suchen, sondern müssen die eine Zeile dieses Verses durch die andre auslegen. Er wird herrschen auf dem Throne und er wird Priester sein auf seinem Throne, und zwischen den beiden wird Friede sein - es kann nichts Anderes heißen sollen, als dass in Ihm, dem Zemach, dem Herrn Jesu Christo, das Königtum und das Priestertum zum Frieden, zur friedevollen, einheitlichen Darstellung kommen werden. In der vormessianischen Geschichte Israels hatte das Königtum seine besonderen Träger und das Priestertum seine besonderen Träger, und es war das recht so, nach Gottes Willen; in dem Messias wird diese Zweiheit zur Einheit verschmelzen, Er, der Friedefürst, wird ebenso sehr königlicher Priester, als priesterlicher König sein.

Vers 14. Und die Kronen sollen dem Helem, Tobia, Jedaja und Heu, dem Sohne Zephanjas, zum Gedächtnis sein im Hause des Herrn. Was die Namen anbetrifft, ist bei Vers 10 schon erörtert worden. Auf diesen Vers 14. nun pflegen diejenigen sich zu stützen, die in diesem Abschnitt ein neuntes Nachtgesicht sehen. Sie sagen, es werde hier dem Propheten Auftrag gegeben, die Doppelkrone von Josuas Haupt zu nehmen und im Tempel aufzuhängen; da nun der Tempel erst im Bau begriffen war, also noch nichts in ihm aufgehängt werden konnte, so habe dieser Auftrag nur in einem Gesicht, aber nicht in der Wirklichkeit ausgeführt werden können. Allein die so schließen, hätten doch höchstens dann Recht, wenn es in unserem Verse hieße, dass Sacharia die doppelte Krone sofort und augenblicklich in den Tempel hängen sollte; allein davon sieht hier eben nichts. Hier steht nur, dass die Krone überhaupt einmal im Tempel ihren Platz finden sollte; da der Tempel noch nicht fertig war, so verstand es sich von selbst, dass Sacharja mit der Ausführung dieses Befehls bis zur Vollendung des Tempelbaus zu warten hatte. Wo die Krone in der Zwischenzeit ihren Bergungsplatz fand, war ziemlich gleichgültig und daher der besonderen Erwähnung nicht wert; wir werden indes kaum fehlgreifen, wenn wir uns den Propheten mit der Krone in das gastliche Haus Josias zurückkehrend denken, von dem er sich zuvor das babylonische Material zu der Krone geholt hatte. Für den vollendeten Tempel aber war dann die wiederhervorgeholte Krone ein gar lieblicher und bedeutsamer Schmuck. Einmal wies derselbe das anbetende Volk rückwärts auf vergangene Zeiten, auf die in Zeiten der Not bewiesene Liebe der „gefangenen“ Brüder, denen dadurch ein dauerndes Andenken in der alttestamentlichen Gemeine gesichert war, wie der salbenden Maria in der neutestamentlichen Gemeine; sodann aber wies dieser dem zweiten Tempel eigentümliche Schmuck auch weissagend vorwärts auf die messianische Zeit:

Vers 15. Und werden kommen von ferne, die am Tempel des Herrn bauen werden. Da werdet ihr erfahren, dass mich der Herr Zebaoth zu euch gesandt hat. Und das soll geschehen, so ihr gehorchen werdet der Stimme des Herrn, eures Gottes. Helem, Tobia, Jedaja und Hen - Vorbilder waren sie auch derjenigen, die von ferne kommen sollten, um den geistlichen Tempel zu bauen, der Söhne, die dem Herrn von ferne her zugebracht werden sollten, der Töchter, die von der Welt Ende her kommen sollten, wovon Jesaias 60, 10 sagt: Fremde werden deine Mauern bauen. Wenn das eintrifft, wie es denn eingetroffen ist durch den Eintritt der Heiden in das Reich Christi, wird die Sendung Christi als des Herrn vom Herrn durch glorreiche Erfahrung bestätigt werden. Der hier zu Sacharia sprechende Herr Zebaoth ist ja eben Niemand anders als der in der Fülle der Zeit als Zemach kommen sollte und gekommen ist. Aber all' dies Herrliche, was die Weissagung in Aussicht stellt, soll geschehen „So ihr gehorchen werdet der Stimme Gottes“.

Eine starke Mahnung an Israel, fort und fort dem Bußglauben sich hinzugeben, damit es die verheißenen Heilsgüter erlange. Denn die Erfüllung aller Heilsweissagungen, die Israel von seinem Gott zu seinem Trost empfangen hat, ist bedingt durch das gehorsame Eingehen des Volkes in den göttlichen Willen. Zwar der göttliche Heilsrat wird sich vollziehen auch trotz der Untreue Israels; die Erscheinung des Messias und die Teilnahme der Heiden an seinem Reiche ist nicht an Israels Treue geknüpft; aber das Reich Gottes muss dann eben von ihm genommen werden und einem Volke gegeben werden, das Israels Früchte bringt. Wir wissen, wie glänzend sich Alles erfüllt hat und fort und fort erfüllt, was Sacharja vom Zemach und seinem Reich und seiner Herrlichkeit geschaut und geweissagt hat; wir wissen aber auch, dass Israel als Volk der Stimme des Herrn, seines Gottes, nicht gehorcht hat, dass es taub geblieben ist gegen die Bußrufe seiner Propheten, dass es den Zemach, da er gekommen ist, verschmäht hat. So dürfen wir uns nicht wundern, dass das palästinensische Jerusalem eine Türkenstadt geworden ist und in dem geistlichen Jerusalem, d. i. in der heiligen christlichen Kirche zwar der Grundstock eine Auswahl Israel ist, die überwiegende Mehrzahl der Einwohner aber von den Fremden, von den Heiden herstammt. Ob aber Israel, das verstoßene, umherwandernde Israel, nicht doch noch einmal als Volk wiederhergestellt und in eine alten Vorrechte eingesetzt werden wird? Es ist das unter den Gläubigen dieser Tage eine offene Frage, deren Lösung gänzlich abhängig ist von der Art, wie man die Worte auslegt, die Paulus schreibt Röm. 11, 25-32 In diesen Worten ist davon die Rede, dass, wenn die Fülle der Heiden eingegangen ist, das ganze Israel selig werden wird. Wir können uns mit den alten evangelischen Kirchenvätern diese Stelle nur deuten von der Seligkeit des ganzen geistlichen Israel, d. i. aller bekehrten und gläubigen Christen aus Juden und Heiden. Denn das sind die wahren Israeliten, die da glauben und getauft werden, und einen andern Weg zur Seligkeit, sei es für ein Volk, sei es für eine einzelne Seele lehrt Paulus, lehrt der Herr selbst nie und nirgends als den: Wer da glaubt und getauft wird, wird selig werden; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden.

Ach, dass wir selber nur, mögen wir Christen aus Israel oder Christen aus den Heiden sein, gehorchen möchten der Stimme des Herrn, unsers Gottes, auf dass wir teilhaftig werden alles dessen, was uns durch die teuren und großen Verheißungen unsers Gottes geschenkt ist. Die Herrlichkeit des Zemach ist vor unsern Augen, und wir können schauen, wie es unter einen Füßen sprosst; seine Stimme ruft uns zu: „Kommt her zu mir, ich will euch erquicken;“ so lasst uns denn zu Ihm gehen, so werden wir aus seiner Fülle nehmen Gnade um Gnade. Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/q/quandt/sacharia/sacharja_6.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain