Quandt, Emil - Sacharjas Nachtgesichte und Morgenklänge - Das fünfte Kapitel.
Das sechste und siebte Gesicht des Propheten von der fliegenden Rolle und vor dem Weib im Maß.
Vers 1. Und ich hob meine Augen abermals auf und sah, und sieh, es war ein fliegender Brief.
Abermals wird der Prophet eines Gesichtes gewürdigt. Hatte das vorletzte Gesicht den Hohenpriester Israels und seine Entsündigung zum Mittelpunkt gehabt und das letzte Gesicht den Fürsten Israels und seine Stärkung, so tritt nun in diesem Gesichte und dem verwandten folgenden das Volk Israel und seine Reinigung in den Vordergrund. Mit einem fliegenden Briefe eröffnet sich dies Gesicht. Eine Rolle, Pergamentrolle ist gemeint mit einem darauf geschriebenen göttlichen Befehl; Luther hat Brief übersetzt, weil man zu seiner Zeit einen schriftlich aufgezeichneten Befehl Breve nannte. Wir haben uns zu denken, dass Sacharja vor seinen Augen ein aufgerolltes Pergament in der Luft schweben sieht, welches auf beiden Seiten, auswendig und inwendig, mit großen Buchstaben beschrieben ist, gerade so wie jene Rolle, die dem Propheten Hesekiel gezeigt wurde Hesek. 2, 10. 11.
Vers 2. Und er sprach zu mir: Was siehst du? Ich aber sprach: Ich sehe einen fliegenden Brief, der ist zwanzig Ellen lang und zehn Ellen breit.
Der dem Propheten beigegebene Engel macht denselben auf dieses Gesicht aufmerksam gerade so, wie er ihn auf das vorige aufmerksam gemacht hat, 4, 2. Aus der Antwort des Propheten tritt außer dem, was schon der erste Vers berichtete, als Neues uns entgegen, dass die fliegende Rolle zehn Ellen Breite und zwanzig Ellen Länge hat. Jüdische Ausleger fanden hierin das Maß der Tempelvorhalle nach 1. Könige 6, 3: „Salomo baute eine Halle vor dem Tempel zwanzig Ellen lang, nach der Breite des Hauses und zehn Ellen breit vor dem Hause her;“ und dachten sich Gott in dieser Halle als in einer Gerichtshalle (1. Könige 7, 7) thronend; wenn eine solche Anspielung auf das Maß der Tempelvorhalle als Gerichtshalle hier vorliegt, so würde das den guten Sinn ergeben, dass die Rolle ein von Gott, als dem Höchsten Richter Israels ausgehendes Edikt ist. Luthers Übersetzung des folgenden Verses freilich passt dazu nicht, denn danach wäre die fliegende Rolle nicht eine Verordnung Gottes, sondern das gerade Gegenteil davon, das teuflische Gegenbild der alten sinaitischen Verordnung Gottes, die Umkehrung der heiligen zehn Gebote. Wir werden aber sehen, dass die Luthersche Übersetzung des folgenden Verses Zweifel an ihrer Richtigkeit zulässt.
Vers 3. Und er sprach zu mir: Das ist der Fluch, welcher ausgeht über das ganze Land; denn alle Diebe werden nach diesem Briefe fromm gesprochen und alle Meineidige werden nach diesem Briefe fromm gesprochen.
Es kommt für das richtige Verständnis dieses Verses Alles darauf an, wie das zweideutige Wort des hebräischen Textes Nitrah zu übersetzen ist. Dieses Wort hat allerdings gewöhnlich die Bedeutung rein machen; dieser Bedeutung ist Luther gefolgt und hat das Wort daher übersetzt: frommsprechen. Danach würde dieser Vers besagen: Es lastet als ein Fluch auf dein Lande, dass man Dieberei und Meineid für nichts Schlechtes und Strafbares mehr ansieht, sondern für etwas, womit die Frömmigkeit im Lande sehr wohl bestehen könne. Mit Fliegenden Briefen in diesem Sinne, als in welchen Schwarz Weiß und Weiß Schwarz genannt wird, könnte man dann eine gewisse schändliche Literatur dieser Tage vergleichen. Allein das Wort Nissah hat doch auch noch eine andre Bedeutung, es kann nämlich auch übersetzt werden; austilgen. Dieser Bedeutung folgt z. B. die niederländische Bibel, die ausrotten übersetzt. Der Sinn und Zusammenhang des ganzen Gesichtes legt es entschieden näher, dieser niederländischen Übersetzung zu folgen. Eine Fluchrolle ist das fliegende Pergament, das Sacharja schaut; sie enthält nämlich den Fluch Gottes, das Strafurteil des Herrn über die Übertreter seines heiligen Gesetzes, die ernste Verkündigung: Irrt euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten! Die Diebe sind offenbar genannt als damals besonders häufiges Beispiel für die Übertreter der zweiten Gesetzestafel, die Meineidigen als Beispiel für die Übertreter der ersten Gesetzestafel. Die Sünden wider Menschen und wider Gott, die unter Israel im Schwange gehn, sollen nicht ungestraft bleiben; wenn Israel selbst dem Frevel in seiner Mitte gleichgültig oder gar wohlgefällig zusähe, der Gott Israels will ihn nicht leiden, sondern mit seinem Fluche treffen. Dass der göttliche Fluch über das ganze Land ausgeht, steht nicht etwa einer Verfluchung des ganzen Landes gleich; es haben ja vielmehr all diese Gesichte Sacharjas den tröstlichen Zweck, neuen Gottessegen in Gegenwart und Zukunft für Israel zu verkündigen; sondern der Fluch Gottes über die Übertreter seiner heiligen Gebote soll nur im ganzen Lande bekannt gemacht werden, damit keiner sei, der sich mit Unwissenheit entschuldige. Nicht für sich, sondern zum Besten des ganzen Volkes erhielt Sacharja seine Gesichte; wie er dem Hohenpriester Josua Entsündigung, dem Fürsten Serubabel Ermutigung predigen soll, so soll er dem ganzen Volke Buße predigen, sittliche und religiöse Erneuerung. Kein gesegneter Neuanfang im Volksleben, wie im Privatleben der Einzelnen, so lange der Frevel gegen Gott und Menschen gen Himmel schreit. Auch heutzutage können die Diener des Herrn es nicht kräftig genug in die Gemeinden hineinrufen: Reinigt euch von euren Lüsten, besiegt sie, die ihr seid Christen, und steht in des Herrn Kraft! Denn wie damals durch das lange Wohnen in dem heidnischen Babel Gottesfurcht und Nächstenliebe unter Israel Schaden gelitten hatten, so ist auch heutzutage in der Christenheit durch lange Vermischung mit den babylonischen Elementen einer gottentfremdeten Welt viel Übertreten der heiligen Vorschriften des Allerhöchsten verursacht, nur dass wir dermalen vielleicht als hervorragendste Sünde gegen die erste Tafel statt des Meineides die Sabbatsschändung und als hervorragendste Sünde gegen die zweite Tafel statt der Dieberei die Hurerei nennen würden. Gegen diese Sünden unserer Zeit sollte man die fliegende Rolle Sacharjas mehr hervorholen, als es geschieht. Es ist ja wahr, dass die große Hauptsache ist, dass das Evangelium gepredigt werde, aber das Evangelium kann nicht recht gepredigt werden, wenn nicht auch Gesetz gepredigt wird; man soll eben das Eine tun und das Andre nicht lassen. Gesetz ohne Evangelium, ja das führt zum Schlimmen, nämlich entweder zur Werkgerechtigkeit oder zur Verzweiflung; aber nicht minder führt das Evangelium ohne Gesetz zum Schlimmen, nämlich zur Sorglosigkeit und Sicherheit, dass das Kleid der Gerechtigkeit Christi missbraucht wird zum Deckmantel für das alte, ungebrochene Sündenwesen. Es ist mit dem Verhältnis von Gesetz und Evangelium wie mit der Ehe; Gott hat sie zusammengefügt, und was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.
Vers 4. Aber ich will es hervorbringen, spricht der Herr Zebaoth, dass es soll kommen über das Haus des Diebes und über das Haus derer, die bei meinem Namen fälschlich schwören, und soll bleiben in ihrem Hause und soll es verzehren samt seinem Holz und Steinen.
Das „es“ in diesem Verse ist nun eben der im vorigen Verse angedrohte Fluch. Gott droht nicht bloß und führt es hinterher nicht aus, wie etwa ein schwacher, gutmütiger Richter so handelt; o nein, er hält, was er verspricht, sei es Heil über die Frommen, sei es Unheil über die Gottlosen, er hält es, wenn er, der ewig ist, sich auch noch so lange Zeit lässt. „Ich will' es hervorbringen“ heißt übrigens wörtlich: Ich habe ihn ausgehen lassen, nämlich den Fluch. Gott war also eben damals schon am Werke der Ausfegung der Spreu von der Tenne seines geliebten Volkes Israel. In der Zeit, in welcher Sacharja lebte und seine Nachtgesichte empfing, hatte die Sichtung Israels schon begonnen, und dass sie auch Fortgang haben soll, das schaut hier der Prophet im Bilde, damit er es im Worte seinem Volke predige. Dass auch das Haus der Frevler samt seinem Holz und Steinen, also mit seinen Stockwerken und Fundamenten vertilgt wird, bedeutet, dass selbst die Stätte, wo der Frevler wohnte, nicht mehr gefunden werden soll, wie David das anschaulich beschreibt Psalm 37, 35. 36: „Ich habe gesehen einen Gottlosen, der war trotzig und breitete sich aus und grünte wie ein Lorbeerbaum. Da man vorüberging, siehe, da war er dahin; ich fragte nach ihm, da ward er nirgend gefunden.“ So verkündigt also dieses sechste Gesicht von der Fliegenden Rolle die göttlichen Strafgerichte über alle diejenigen Volksglieder, welche die göttlichen Gebote vermessen und mutwillig übertreten. Mit Zeugnis und Gericht schreitet Gott ein gegen den Frevel inmitten seiner aus Babel zurückgeführten Gemeinde, ganz ebenso wie er zu den Zeiten seiner neutestamentlichen Herde handelt, für welches göttliche Strafhandeln der Tod des Ananias und der Sapphira ein erschütterndes Beispiel ist. Das aber ist bei allen göttlichen Gerichten über das alttestamentliche, wie über das neutestamentliche Israel festzuhalten, dass Gott von seinen Bäumen die toten Zweige nur deswegen abschneidet, damit diejenigen, in denen noch einiges Leben ist, desto lebendiger werden.
Vers 5. Und der Engel, der mit mir redete, ging heraus und sprach zu mir: Hebe deine Augen auf und siehe, was geht da heraus?
Ein neues Nachtgesicht, das siebte, beginnt mit diesem Verse, allerdings ein dem vorigen engverwandtes; wie jenes die Hinwegtilgung der Sünder aus dem heiligen Volke prophezeite, so prophezeit dieses, dass auch die Sünde selbst als verführerische und verderbliche Macht aus den Grenzen Israels weggeschafft und nach dem Mittelpunkt der heidnischen Weltmacht, wo sie herstammt und wo sie hingehört, entfernt werden soll. Der mit Sacharja redende Engel geht heraus zu Anfang dieses Gesichtes, heraus nämlich aus seiner sonst mehr passiven Haltung, in welcher er nichts weiter tut, als dass er die geschauten Gesichte deutet, und geht über zu tatsächlichem Eingreifen in die im Gesicht sich darstellende Handlung selber, wie wir das schon einmal im dritten Nachtgesicht Kap. 2, 3 gehabt haben. Der Engel ist hier nicht nur der Ausleger, sondern auch eine handelnde Person des Gesichts. Zunächst aber macht er den Propheten auf etwas anderes Herausgehendes, das ist Erscheinendes, aufmerksam und fordert ihn auf, sich selber über den Eindruck klar zu werden, den die neue Erscheinung auf ihn macht.
Vers 6. Und ich sprach: Was ist es? Er aber sprach: Ein Epha geht heraus, und sprach: Das ist ihre Gestalt im ganzen Lande.
Da der Prophet sich selbst zunächst unklar bleibt über das, was er sieht, so nennt ihm denn der Engel den Namen dessen, das neu erscheint: Ein Epha geht heraus, geht hervor. Ein Epha ist ein Maß für trockne Dinge, von Luther hier und da durch Scheffel übersetzt; das Wort wird abgeleitet von dem hebräischen Wort apyah d. i. backen, und dürfte daher ein Epha am besten zu bestimmen sein als ein Maß, in das so viel Mehl hineingeht, als für den Bedarf einer Familie auf einmal auf einen Tag verbacken wird, etwa ein Berliner Scheffel1). Dieses Maß nun kann hier entweder in Betracht kommen einzig und allein in seiner Eigenschaft als bekanntes, großes hohles Gefäß, in welchem die Gottlosigkeit von Kanaan nach Babel gebracht werden soll; so fassen es einige Schriftforscher und sagen geradezu: „Statt eines Scheffels würde man bei uns lieber eine Tonne genannt haben.“ Oder aber es kann in Betracht kommen als Werkzeug des Handels; so fassen es Andere. Welcher Fassung man sich hingibt, kommt ganz darauf an, wie man die folgenden Worte des Engels versteht: das ist ihre Gestalt im ganzen Lande. Was Luther ihre Gestalt nennt, heißt buchstäblich „ihr Auge.“ Das fassen nun Einige mit Luther so: „Das ist ihr Aussehen im ganzen Lande;“ um das aber zu erklären, bedürfen sie einer weitläufigen Auseinandersetzung. Sie setzen nämlich dieses Gesicht mit dem vorigen in so enge Verbindung, dass sie die Worte dieses Verses auf die „Diebe“ und „Meineidigen“ von Vers 3 und Vers 4 zurückbeziehen; sie greifen andrerseits in den Fortgang dieses Gesichtes vor und ergänzen aus dem Folgenden zu den Maß das Weib von Vers 7, in welchem sich die Gottlosigkeit des Landes personifiziert Vers 8, und sagen dann: „das Maß, indem es das Weib, die Gottlosigkeit, in sich fasst, hat das Aussehen aller der Sünden, die ausgerottet werden sollen.“ Einen Sinn gibt ja das, aber doch einen mit vieler Mühe und Weitläufigkeit erpressten und dann noch immer ziemlich dunklen Sinn. Es ist hundertmal einfacher, „das Auge“ als den Gegenstand zu deuten, auf welchen die Lust der Augen geht. Das Maß, das Werkzeug des Handels, ist das Auge Israels, sein eigentliches Element geworden; „das Epha als Auge“ veranschaulicht in ergreifendster Weise den irdischen Sinn, in welchen Israel sich versenkt hat. Ist nicht noch heute hineingeraten, der Tempel ist zerstört, das Maß ist mitgewandert. Und ist nicht ebenso und namentlich in unsern Tagen das Maß auch das Auge der großen Menge in der Christenheit? Wo das Geld die Welt regiert und nur das geschätzt wird, was etwas einbringt, da ist es gerade, wie weiland in Kanaan, das Maß ist zum Lebenselement geworden.
Vers 7. Und siehe es schwebte ein Zentner Blei, und da war ein Weib, das saß im Epha.
Des Bleis bediente man sich von Alters her um seiner Schwere willen zu Gewichten. Der Zentner war das höchste Gewicht bei den Israeliten, unserem Zentner beinahe gleichkommend; er steht hier wohl überhaupt nur für eine unbestimmte große schwere Masse, die dazu dient und dazu hinreichend ist, die weibliche Gestalt, in der der irdische Sinn Israels als Person erscheint, in das Epha niederzudrücken. Das Weib kommt in der Schrift oft als prophetisches Sinnbild vor, in gutem Sinne namentlich Israel als Braut und Ehegattin des Herrn darstellend, in bösem Sinne das vom Herrn abgefallene Volk als treulose Ehebrecherin darstellend. Was dieses Weib hier, das im Ephamaß sitzt, bedeute, sagt der folgende Vers.
Vers 8. Er aber sprach: das ist die gottlose Lehre. Und er warf sie in den Epha und warf den Klumpen Blei oben aufs Loch.
Die gottlose Lehre, nach dem Grundtext die Gottlosigkeit, das verderbte Wesen des auch durch die Gefangenschaft noch nicht bekehrten und nun das Maß seiner Frevel erfüllenden Israels, ist durch das Weib hier bedeutet. Sie sitzt in dem Maß, um das sich alle ihre Gedanken und Lüste drehen, sie nur etwa zu zwei Drittel darin sitzend zu denken, mit dem Oberkörper ragt sie hervor. Der jetzt nun in die symbolische Handlung eingreifende Engel drückt als ein Strafengel Gottes sie gänzlich in das Maß hinein, dass sie auch dem Leibe nach ganz in das Element untertauche, in welchem sie dem Geiste nach doch gänzlich lebt, womit Jemand sündigt, damit wird er gestraft und spundet die Öffnung oben mit dem nahe befindlichen Bleiklumpen zu, damit sie so wohlverwahrt aus dem heiligen Lande weggeschafft werden könne in das Land, in das sie gehört.
Vers 9. Und ich hob meine Augen auf, und sah, und siehe zwei Weiber gingen heraus und hatten Flügel, die der Wind trieb; es waren aber Flügel, wie Storchenflügel, und sie führten den Epha zwischen Erde und Himmel.
Nicht ein neues Gesicht beginnt hier, sondern die andre Hälfte desselben Gesichts. Sacharja sieht zwei Weiber mit Reiherflügeln, Luther hat Storch übersetzt, während hier im Grundtext doch dasselbe Wort wie Psalm 104, 17 steht, wo Luther richtig übersetzt: die Reiher wohnen auf den Tannen. Die Reiher, levitisch unreine Raubvögel, mit stattlichen Kopffedern wie die Strauße, zeichnen sich durch Kühnheit und Schnelligkeit des Fluges aus; Reiherflügel deuten also auch hier bei den beiden Weibern ihre Schnelligkeit on, ebenso wie der Wind, der nach dem Urtext nicht als von außen sie anwehend, sondern ihnen inwendig beiwohnend, zu ihrer Natur gehörig zu denken ist, denn es heißt wörtlich: Und Wind ist in ihren Flügeln. Der Wind kommt in der Schrift oft vor in Bildern göttlicher Strafe; übrigens ist Wind und Geist in den beiden Ursprachen der Bibel dasselbe. Die Weiber auf bestimmte Persönlichkeiten oder Mächte zu deuten, führt zu allerlei Willkürlichkeiten der Aus- oder vielmehr Einlegung, ist auch im Text nicht geboten; sie gehören nur zur Anschaulichkeit des Bildes, durch das der Gedanke ausgedrückt wird, dass der Herr die Entartung des unbußfertigen Teiles des Volkes sich im heiligen Lande selbst nicht weiter entwickeln lassen will. Aber man sagt, um diesen Gedanken bildlich auszudrücken, wäre ein Weib im Gesichte genügend gewesen; wohl, aber die Zweizahl begegnet uns öfters in der Schrift als Verstärkung und Vermahnung der Eins, sei es im Guten, sei es im Schlimmen; außerdem mochte es wohl in Israel etwas Gewöhnliches sein, dass gerade zwei Frauen zusammen ein Ephamaß zu tragen pflegten.
Vers 10. Und ich sprach zum Engel, der mit mir redete: Wo führen die den Epha hin?
Der Prophet hat wohl gemerkt, dass es sich um eine Wegführung des gottlosen Teils von Israel handelt, um eine Wegführung aus dem heiligen Lande; aber wohin die wunderbare Reise geht, das weiß er nicht und sucht es darum von dem Engel zu erfahren.
Vers 11. Er aber sprach zu mir: Dass ihm ein Haus gebaut werde im Lande Sinear und bereitet und daselbst gesetzt werde auf seinen Boden.
Sinear ist der biblische Name für Babylonien, schon 1. Mose 11, 2 uns entgegentretend. Sinear oder Babel ist die Stätte alles widergöttlichen Wesens; hier wurzelte mit seinen Grundgesinnungen der unbekehrte Teil des zurückgekehrten Israel; so soll er denn auch dahin zurück gebracht werden, dass sich dort auf seinem Boden, nicht aber auf dem heiligen Boden seine Gottlosigkeit weiter entwickele, dass dieselbe dort, wo sie zu Hause ist, auch hause. Einst auf dem Zuge von Ägypten nach Kanaan sehnte sich das israelitische Pöbelvolk zurück nach den Fleischtöpfen und Fischen Ägyptens; es ward dadurch bestraft, dass es gar nicht nach Kanaan gelangte, sondern in der Wüste umkam. Selbst unter dem aus Babel nach Jerusalem zurückgekehrten Reste Israels gab es Viele, die sich nach Babels Sündenleben zurücksehnten; so sollten sie dann auch nach Babel selbst zurückgebracht werden. Die Wahrheit strahlt ja hell genug aus diesem Nachtgesicht uns entgegen, dass die äußere Zugehörigkeit zu Israel und die äußere Heimkehr aus Babel allein es nicht tue; wenn Menschen nur das ansehen, was vor Augen ist, so sieht doch Gott das Herz an; und wessen Herz an Babel hängt, der mag hundertmal in Jerusalem leben, dadurch ist er vor Gott nicht gerechtfertigt. So tut es noch heute der Kirchgang mit den Füßen allein nimmer; die Füße mögen immerhin im Heiligtum stehen, wenn doch dabei die Gedanken sich auf dem Markte der Welt umhertummeln, dann bleibt der Herr, der in der Höhe und in dem Heiligtum wohnt, dem Menschen ferne. Aber wir dürfen doch wohl nicht meinen, mit dieser allgemeinen Wahrheit Sinn und Zweck des siebten Gesichtes Sacharjas erschöpft zu haben. Alles drängt dazu anzunehmen, dass zu den Zeiten Sacharjas eine tatsächliche Rückwanderung der in der Gottlosigkeit und Unbußfertigkeit verharrenden Israeliten von Jerusalem nach Babel stattgefunden hat, wodurch die hergestellte israelitische Gemeinde heilsam gerichtet und gesichtet wurde. Wie es einst geheißen: „Hui, Zion, die du wohnst bei der Tochter Babel, entrinne!“ (Sach. 2, 7), so hat es nun geheißen: „Hui, du Teil Israels, der du zu Babel geworden bist, hebe dich von dannen aus Zion und eile nach Babel, wo du dein Daheim hast.“ Hinweisungen auf ein solches Gegenstück der Flucht aus Babel lassen sich in der vielleicht durch das Zeugnis unseres Propheten veranlassten strengen Kirchenzucht Esras finden, man vergleiche Esras Beichte und Bußgebet Esra 9 und besonders die Geschichte von der Absonderung der fremden Weiber aus Israel Esra 10. Noch tiefer aber ist der Sinn unseres Gesichtes zu fassen als Weissagung auf die letzten Zeiten des geistlichen Tempelbaus, auf die Endzeiten der heiligen christlichen Kirche, als in welchen die Spannung zwischen Zion und Babel immer größere Dimensionen annehmen wird und keine Hüllen und Decken den Gegensatz mehr verschleiern können. Geht es doch auch schon in diesen unsern Tagen nicht mehr, babylonisches Wesen und zionistischen Schein auf die Länge vereint zu halten; die Geister müssen dermalen mit offenem Visier kämpfen; wer an Babel hängt, muss weichen aus der Gemeinde der Gerechten; hie Zion, hie Babel so lautet das Feldgeschrei.
Der Herr aber, der Gott der Propheten und Apostel und unser Gott, wird auch heutzutage seinem Volke helfen mit Richten und Sichten, dass es in dem großen Geisterkampf dieser Zeit alle lästigen Bundesgenossen los werde, die mit fleischlichen Herzen und fleischlichen Waffen kämpfen, und für das Wort der Wahrheit und die Wahrheit des Wortes einstehe als die kleine Herde, deren Macht die Allmacht Gottes ist, dem sie angenehm gemacht ist in dem Geliebten Jesus Christus. Amen.