Quandt, Emil - Paulus, der Apostel Europas.

Quandt, Emil - Paulus, der Apostel Europas.

Missionsfestpredigt am Ende des Kirchenjahrs über Apostelgeschichte 16, 6-12 von D. Emil Quandt, Superintendent und Direktor des Predigerseminars in Wittenberg.

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, und der da war, und der da sein wird. Amen.

Apostelgeschichte 16, 6-12.

Da sie aber durch Phrygien und das Land Galitien zogen, ward ihnen gewehrt von dem Heiligen Geist, zu reden das Wort in Asien. Als sie aber kamen an Mysien, versuchten sie durch Bithynien zu reisen; und der Geist ließ es ihnen nicht zu. Da sie aber vor Mysien überzogen, kamen sie hinab gen Troas. Und Paulo erschien ein Gesicht bei der Nacht; das war ein Mann aus Makedonien, der stand und bat ihn, und sprach: Komm hernieder in Makedonien und hilf uns. Als er aber das Gesicht gesehen hatte, da trachteten wir alsobald zu reisen in Makedonien, gewiss, dass uns der Herr dahin berufen hätte, ihnen das Evangelium zu predigen. Da fuhren wir aus von Troas; und stracks kamen wir gen Samothracien, des andern Tages gen Neapolis, und von dannen gen Philippen, welches ist die Hauptstadt des Landes Makedonien, und eine Freistadt. Wir hatten aber in dieser Stadt unser Wesen etliche Tage. Amen.

Missionsfest feiern wir an diesem Sonntagabend, auf der Neige eines Kirchenjahres, in dessen Verlaufe wir mehr Feste gefeiert haben, als sonst; doch die Feste, die dazu kamen, waren Trauerfeste; denn es war das Jahr, in dem zwei deutsche Kaiser starben! An diesem Abend aber feiern wir ein fröhliches Fest. Denn die Feiern der heiligen Mission machen die Herzen weit und groß und froh als Feste des Glaubens an einen Herrn mit milder Majestät, dessen Kirchspiel die weite, weite Welt ist; als Feste der Liebe, die keine Grenzsteine kennt und keine Steine im Wege, sondern liebt und lieben muss alles, was ein Menschenantlitz trägt; als Feste der Hoffnung, die sich weder den Himmel noch die Erde verschließen lässt und die keinen Ruhepunkt findet, bis dass der gesamte Kreis der Erde zu Jesu Füßen liegt. Ein fröhliches Fest feiern wir an diesem Sonntagabend; von Gott kommt uns ein Freudenschein, und um den Abend ist es licht.

Wenn evangelische Christen ihre Feste feiern, so feiern sie sie auf Grund göttlichen Wortes. Worte lehren, Beispiele ziehen; ein ziehenderes Beispiel gesegneter Missionstätigkeit als das, welches das verlesene Wort schildert, dürfte es kaum geben. Denn es ist das Beispiel St. Pauli, des Missionars ohnegleichen. Fromme Amerikaner wollen, wie verlautet, St. Paulo in seiner Vaterstadt Tarsus in Cilicien1) ein Himmelreichsdenkmal errichten in der Gestalt eines Waisenhauses für asiatische Christenkinder. Fromme Europäer hätten noch viel mehr Veranlassung dazu. Denn obwohl ein Mann wie Paulus der ganzen Christenheit angehört und die Christen aller fünf Erdteile ihn als den großen Apostel der Heiden rühmen, so ist doch unter den fünf Erdteilen ganz besonders Europa dem Manne von Tarsus und Damaskus zu Pietät und Dank verpflichtet. Denn nicht nach Amerika oder Afrika oder Australien, sondern nach Europa ist Paulus aus Asien, der Wiege des Christentums, als Christi Bannerträger gekommen; dass die drei Edelblumen Glaube, Hoffnung, Liebe sich auf europäischem Boden eingebürgert haben, das verdankt unser Erdteil dem Apostel Paulus.

Paulus, der Apostel Europas: wir betrachten ihn nach unserm Text und fragen:

1. Was hat St. Paulum nach Europa gebracht?
2. Was hat St. Paulus nach Europa gebracht?
3. Was hat Europa St. Paulo gebracht?

Gott der Tage, Gott der Nächte,
unsere Seele harret dein,
lehnet sich an deine Rechte,
nie kannst du uns ferne sein.
Auch in stillen Abendstunden
hat dich manches Herz gefunden
und sich aus dem Lärm der Welt
festlich bei dir eingestellt. Amen. 2)

1.

Geht hin in alle Welt, predigt das Evangelium aller Kreatur. Dieser Missionsbefehl des Heilands an seine Apostel galt auch dem Apostel Paulus. Aber die Welt ist so groß; die Apostel mussten sie sich teilen. Die meisten Apostel begannen und beschlossen ihre Laufbahn unter den Völkern des großen Erdteils Asien, in dem ihr Vaterland lag. Auch St. Paulus begann seine apostolische Laufbahn in Asien; er predigte zuerst im syrischen Antiochien, der denkwürdigen Stadt, in welcher die Jünger am ersten Christen genannt worden; er trug dann das Wort vom Kreuz nach der Insel Zypern, wo er, der früher Saulus hieß, zuerst Paulus genannt wurde; er breitete dann das Reich Gottes auf zwei apostolischen Missionsreisen in den Landschaften Kleinasiens aus unter den Pisidiern und Galatern, unter seinen cilicischen Landsleuten und unter den Lykaoniern. So kam er bis Troja, der Stadt mit dem altberühmten Namen, der an den ersten weltgeschichtlichen Kampf zwischen Asien und Europa erinnert.

Hier weilte er mit ein paar Genossen nach aller Wahrscheinlichkeit am Ende des Jahres 51 nach Christo, also jetzt vor 1837 Jahren. Wohin sollte er seinen Stab weiter setzen? Sollte er hier an der Grenze Asiens umkehren nach dem syrischen Antiochien und von da aus neue Missionsreisen in die östlichen und südlichen asiatischen Länder machen? Oder sollte er von Troja hinüber schiffen über das ägäische Meer, dessen Vorland Makedonien jenseits des großen Wassers vor ihm lag? Es war ein Wendepunkt im Leben des Apostels, ein Wendepunkt in der Geschichte der Kirche und der Welt. Paulus entschied sich für Europa. Wir trachteten alsobald zu reisen in Makedonien und fuhren aus von Troas, schreibt Lukas. Was hat den Apostel nach Makedonien, was hat ihn nach Europa gebracht?

Ein Gesicht! so lesen wir in unserm Text. Ein Gesicht? fragt zweifelnd und bemängelnd der Unglaube; Gesichte, so dekretiert der Unglaube, gibt es gar nicht. Und in der Tat, für den Unglauben gibt es auch keine Gesichte und auch manches andere nicht; wer keine paulinischen Augen und kein paulinisches Herz hat, kann auch keine paulinischen Gesichte sehen. Aber Paulus, als er, in tiefen Gedanken am Meeresgestade von Troja unter dem Rauschen der Wellen und Wogen das Land der Zukunft mit der Seele suchend, sich müde gewandert hatte, ging zur Abendruhe hinein in seine trojanische Herberge. In seiner Seele klangen die Lieder ohne Worte, die das Meer zwischen Asien und Europa ihm gesungen, leise nach; in seinem gedankenvollen Haupte zitterten leise noch die Fragen, die den ganzen Tag ihn bewegt hatten. Vielleicht dass seinem geliebten Silas und seinem treuen Arzte Lukas gegenüber auch sein Mund überging von dem, des sein Herz voll war. Dann ward es stille, und er breitete seine Hände aus zum Abendgebet, wohl in der Weise Davids: „Herr, zeige mir deine Wege und lehre mich deine Steige!“ Dann ward es Nacht und für diesen Heiligen Gottes heilige Nacht. „Und es erschien ihm ein Gesicht bei der Nacht, das war ein Mann aus Makedonien, der stand und bat ihn und sprach: Komm hernieder in Makedonien und hilf uns!“ Und als er dieses Gesicht gesehen und den Hilferuf Europas gehört hatte, da war er gewiss, dass der Herr ihn nach Europa rief, und er machte sich auf und reiste nach Philippi. Was hat St. Paulum nach Europa gebracht? Das Gesicht von dem Manne aus Makedonien!

So verdankt also Europa die ersten Morgenstrahlen der großen Sonne des Heils einem unmittelbaren, wunderbaren Eingreifen des allmächtigen und allbarmherzigen Gottes. Denn die Gesichte kommen von dem Herrn, der die Seele weit über ihren gewöhnlichen Zustand emporhebt und ihre verborgensten Sinne ausschließt zum Schauen und Hören großer Dinge. Der Mann aus Makedonien war kein Traumgebild; Paulus hat in Troja nicht geträumt, davon steht in unserm Text nicht nur kein Wort, sondern auch keine Andeutung; Paulus war überhaupt nichts weniger als ein Träumer, sondern ein sehr praktischer Mann. Der Mann aus Makedonien war auch kein Engel, in makedonische Gewänder gehüllt; geistliche Verkleidungen stehen tief unter der Würde himmlischer Offenbarungen. Der Mann aus Makedonien war aber auch keine sinnenfällige Gestalt von Fleisch und Blut, sondern ein geistiges Bild, nur dem Paulus erkennbar und nur von Paulo erkannt, ein Bild und Sinnbild von Makedonien, von Europa, von Europas Not und Umnachtung, von Europas Sehnsucht nach Erlösung. Geh' nach Europa, so rief der Herr durch das Gesicht seinem Knecht zu; denn Finsternis bedeckt diesen Erdteil und Dunkel seine Völker; weder Zeus und Apollo und die andern Götter Griechenlands noch Wodan und Tor und Freia und die andern Wahngestalten Deutschlands geben den armen Europäern den Frieden und die Ruhe; blinde Führer leiten blinde Völker; müssen sie nicht alle miteinander in die Grube fallen? Geh' nach Europa, so rief der Herr durch das Gesicht seinem Knecht zu; denn viele sind, die in Athen und Rom sich sehnen nach der Offenbarung des unbekannten Gottes, und in den deutschen Wäldern sinnet und singt man von einer kommenden Götterdämmerung. Geh' nach Europa, geh' hinüber und hilf, und ich will dein Helfer sein und dich segnen als den Apostel Europas.

Was brachte St. Paulum nach Europa? Das Gesicht von dem Manne aus Makedonien!

2.

Und was brachte St. Paulum nach Europa? Das ist unsere zweite Frage.

Es hat mancher Mann köstliche Dinge aus fremden Erdteilen nach Europa gebracht und in Europa einheimisch gemacht, aber keiner, auch nicht einer, etwas so überschwänglich Köstliches, als St. Paulus. Die meisten von uns kennen ja die Geschichte von den beiden persischen Mönchen, die in ihren ausgehöhlten Wanderstäben Maulbeerpflanzen und Seidenwürmer aus Asien nach Europa brachten und damit die köstliche Seide bei uns einbürgerten; aber was ist das Gespinst der Seidenraupe, mit dem der Leib sich schmückt, gegen die reine, schöne Seide der Gerechtigkeit des Heiligen, die St. Paulus hinübertrug aus Asien nach Europa! Wir haben alle von dem Admiral Franz Drake gehört, der jene Frucht der Erde, von der sich jetzt jahraus, jahrein Millionen bei uns nähren, aus Amerika nach Europa brachte; aber was ist eine Erdenfrucht, die den Leib nur nährt, gegen die Himmelsfrucht des Glaubens an Jesum Christum, an der die Seele sich nährt für das ewige Leben, die Himmelsfrucht, die St. Paulus hinübertrug aus Asien nach Europa! Was auch immer andere unserm Erdteil als Gabe und Geschenk gebracht haben, alle ihre Geschenke zusammengenommen wiegen die eine Gabe nicht auf, die St. Paulus nach Europa brachte. Denn diese Gabe ist das Evangelium. St. Paulus hat das Evangelium nach Europa gebracht.

Als Paulus das Gesicht gesehen hatte, da zog er über das Wasser „gegen unser Land zu“, wie Dr. Luther frohlockend sagt, gewiss, dass ihn der Herr dahin berufen hätte, das Evangelium zu predigen. Was mit dem Evangelium gemeint ist, erkennt man am besten aus jenem berühmten Wort St. Pauli: Ich hielt mich nicht dafür, dass ich etwas wüsste unter euch, denn allein Jesum Christum, den Gekreuzigten. Das Evangelium, das uns Paulus brachte, es ist die frohe Botschaft von Jesu Christo, dem Sohn Gottes und der Jungfrau, der um unserer Sünden willen am Kreuz gestorben und zu unserer Gerechtigkeit auferwecket ist, der alle Mühseligen und Beladenen friedereich um sein heiliges Kreuz sammelt, wie eine Henne ihre Küchlein sammelt unter ihre Flügel, der allen geistlich Armen das Himmelreich schenkt und allen Leidtragenden die ewige Tröstung. Dies Evangelium von Jesu Christo brachte St. Paulus als der erste den Europäern. Er predigte es zuerst in Philippi, jener berühmten Stadt, wo 90 Jahre früher die römische Republik sich verblutet hatte; Philippi war die Anfangsstätte der Arbeit des Apostels auf europäischem Boden und blieb ihm in ganz Europa immer die Lieblingsstätte, seine Freudenkrone, wie er sie selber nennt; die beinahe zehn Jahre später geschriebene Epistel St. Pauli an die Philipper zeigt in jeder Zeile, wie nahe Philippi seinem Herzen stand. Von Philippi zog St. Paulus mit dem Evangelio dann weiter zu andern europäischen Städten und Stätten, nach Thessalonich, Beroea, Athen, Korinth, Rom, und aller Wahrscheinlichkeit nach ist er selbst nach Spanien gekommen, und wohin er nicht persönlich kommen konnte, dahin drangen doch seine Episteln in vielen Abschriften, vor allem die Epistel an die Römer mit dem Satz: So halten wir nun, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werk allein durch den Glauben. Es soll ja auch später noch St. Petrus nach Europa gekommen sein; die Römischen schwören ja darauf und machen ihn sogar zum ersten Papst von Rom; die Bibel kennt keine Päpste. Aber wer immer auch noch mit dem Evangelium nach Europa kam, er war doch eben erst der zweite, dritte, vierte; der erste Apostel, der Europa das Evangelium überbrachte, ist und bleibt St. Paulus.

Und mit dem Evangelium wie unendlich viel anderes, wenigstens im Keim und Kern, hat Paulus hinübergetragen nach Europa! Dass die Stürme der Völkerwanderung Europa nicht in den Abgrund der Barbarei gestürzt haben, dass vielmehr Europa zum Sitz der Kulturvölker geworden ist, wem anders ist es zu verdanken als dem paulinischen Evangelium? Die Dome und Kathedralen, die unsere Väter bauten, die christliche Gesittung, die sie auf uns vererbten, woher stammen sie, wenn nicht aus dem Evangelium, das Paulus uns gebracht? St. Paulus brachte das Evangelium nach Europa und mit dem Evangelium überschwänglichen Segen an geistlichen und geistigen Gütern.

3.

Eine Liebe ist der andern wert. St. Paulus brachte das Evangelium nach Europa? Was brachte und was bringt denn ihm Europa?

Europa hat ihm die Märtyrerkrone gebracht. Vor den Toren Roms auf der Straße nach Ostia hin, wie berichtet wird, hat der römische Kaiser Nero, in welchem sich alle Grausamkeit und Gottlosigkeit des heidnischen Europas als in ihrem Brennpunkt sammelt, den Apostel Europas mit dem Schwert des Henkers hinrichten lassen, mit dem Schwerte, weil Paulus ein römischer Bürger war, an welchem eine Hinrichtung durch Kreuzigung nach römischem Gesetze nicht vollzogen werden durfte. Roms größter Bürger, Europas großer Apostel auf europäischem Boden, vor den Toren Roms wie ein Missetäter hingerichtet o schnöder Undank, o himmelschreiende Sünde! Europa, das dem Apostel Paulus das Evangelium verdankt, hat des Apostels Blut vergossen.

Aber Europa hat seinem Apostel doch auch andere Kronen gebracht, als die Märtyrerkrone. Wie er die europäische Erstlingsgemeinde in Philippi mit besonderer Liebe seine Freudenkrone nennt, so sind ihm doch auch noch viele andere Gemeinden in Europa zu Freudenkronen geworden. Wie viele auch immer sich abgestoßen fühlten von der paulinischen Predigt, dass sie sagten: „Paule, du rast!“ oder höhnten: „Was will dieser Lotterbube sagen?“, für tausend andere ward sein evangelisches Zeugnis ein Geruch des Lebens zum Leben, und eine christliche Gemeinde nach der andern blühte in Europa auf zur Freude seines Herzens und zur Ehre seines Amtes. Und nachdem er seinen Lauf vollendet und seine apostolische Arbeit mit seinem Blute besiegelt hatte, brachte die Saat, die er gesät, immer reichlichere Ernte, so dass Europa in allen seinen Ländern vom Schalle der frohen Botschaft erfüllt und der erste Erdteil wurde, in welchem die Sonne des Heils in Jesu Christo allen Völkern leuchtet.

Es ist ja freilich zwischeneingekommen die große weltgeschichtliche Verfälschung des paulinischen Evangeliums, die in Rom, wenn nicht ihren Ausgangspunkt, so doch ihren Mittelpunkt hatte. Das cäsarische Rom hat Paulum getötet, das pontifikale Rom hat ihn noch einmal getötet. Es hat der paulinischen Lehre von dem alleinigen Heil in Jesu Christo die Lehre von einem Mittlertum der Jungfrau Maria zur Seite gestellt, der Maria, die in allen Predigten, Ansprachen und Briefen St. Pauli nicht einmal mit Namen genannt wird. Es hat der paulinischen Lehre von der Rechtfertigung allein durch den Glauben die Lehre von der Verdienstlichkeit der guten Werke gegenübergestellt, der guten Werke, die dem Apostel die selbstverständlichen Früchte des wahren Christentums, nicht seine Wurzeln sind. Aber wie ist das so anders geworden durch die Reformation von 1517! St. Paulus, am Ende des Mittelalters ein vergessener Mann, so vergessen, dass selbst vielen Theologen der große Heide Aristoteles bekannter war, als der große Apostel Europas, ward für die Völker Europas und zumal für das deutsche Volk wieder aufgefunden, wieder auferweckt durch den deutschen Mann, dessen Geburtstag wir jüngst feierten, durch Dr. Martin Luther! Er hat die paulinische Lehre von dem Heil allein in Christo und von der Gerechtigkeit allein aus dem Glauben mit paulinischem Geist und Kraft gepredigt und die evangelische Kirche gegründet, in welcher bis auf diesen Tag von allen Aposteln Paulus am meisten gefeiert, am meisten studiert, am meisten nachgeahmt wird, so dass zu sagen ist: selbst in der alten Kirche ist das Verständnis des paulinischen Evangeliums nicht so tief und nicht so ernst gewesen, als es durch Gottes große Gnade seit Luthers Tagen in der evangelischen Christenheit ist. Die evangelische Kirche, so ohnmächtig sie äußerlich ist, so gespalten sie innerlich ist, ist doch, weil sie in ihrem tiefsten, unzerstörbaren Kern und Wesen durch und durch paulinisch ist, die schönste und dauerndste Freudenkrone, die Europa seinem großen Apostel gebracht hat.

Wir sind evangelische Christen; Gott sei Dank, dass wir es sind! Wohlan, ehren wir an unserm Teile das Gedächtnis unsers durch Dr. Luther uns neugeschenkten Apostels durch treues Festhalten am paulinischen und damit am ganzen Evangelium, am evangelischen Glauben, an evangelischer Sitte und Gesittung. Ehren wir es aber auch besonders dadurch, dass wir, wenn wir wie er, Gesichte sehen von Männern aus Makedonien, wir wie er hernieder gehen und helfen. Hast du noch nie ein Gesicht gesehen von den armen blinden Heiden jenseits des Oceans, die nach Erlösung seufzen? doch, du hast es gesehen, du siehst es, das Gesicht von jenem Hindu, der keinen Frieden hat, sich im Wasser des Ganges wäscht und doch nicht zum Frieden kommt, der in Nägelschuhen hundert Meilen zu Fuße wandert und doch den Frieden nicht erlangt und immer ruft, wenn er auch Goethes Wort nicht kennt: „Ach, ich bin des Treibens müde! Süßer Friede, komm, ach komm in meine Brust!“ Du hast es gesehen, du siehst es, das Gesicht von jener Hottentottenmagd, die in stillen Nächten zu dem Himmel und zu dem, der im Himmel ist, fleht, wenn sie auch das jesaianische Wort nicht kennt: „Ach, dass du den Himmel zerreißt und fährst herab!“ Du hast ein paulinisches Herz, mein Christ, und paulinische Augen und darum auch paulinische Gesichte; o so geh' auch hernieder und hilf, wie Paulus hernieder ging und half! Rühre deine Hände und tue, was du kannst für die Ausbreitung des Reiches Jesu Christi unter den Völkern der Nacht; öffne deine Hände für die heilige Mission und lass dein Brot übers Wasser fahren, so wirst du's haben auf lange Zeit; halte deine Hände und bete immer dringlicher, immer herzlicher: Komm, Herr Jesu, geh' uns voran und mach' uns Bahn, gib deine Türen aufgetan.

Hernieder gehen und helfen, das war Pauli Losung, als er nach Europa zog. Hernieder gehen und helfen, das sei auch die Losung der europäischen Christenheit im Blick auf die noch heidnische Welt. Je mehr Heiden wir zum Christentum helfen, desto mehr Freudenkronen winden wir um das Haupt St. Pauli; Paulus aber legt sie zu den Füßen Jesu Christi. Amen.

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autoren/q/quandt/quandt_paulus_-_der_apostel_europas.txt · Zuletzt geändert: von aj
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