Quandt, Emil - Der feste Grund Gottes.

Quandt, Emil - Der feste Grund Gottes.

Beichtrede über 2. Tim. 2,19 von D. E. Quandt, Superintendent und erster Direktor des Predigerseminars zu Wittenberg

Text: 2. Tim. 2,19:
Aber der feste Grund Gottes besteht und hat dieses Siegel: Der Herr kennt die Seinen; und: Es trete ab von der Ungerechtigkeit, wer den Namen Christi nennt. Amen.

Dass man festen Grund und Boden unter den Füßen haben muss, wenn man nicht jeden Augenblick wanken und schwanken, ausgleiten und hinfallen und schließlich liegen bleiben soll, das gibt in Beziehung auf das äußere Leben jeder Verständige ohne weiteres zu. Für das innere Leben, für das Leben der Seele ist ein fester Grund nicht minder nötig. Auf den Flugsand menschlicher Meinungen und menschlicher Satzungen, auf die hin und herwogenden Wellen menschlicher Zweifel lässt sich kein Seelenglück gründen, keine in die Ewigkeit reichende Hoffnung. Sollen wir mit unsrer Seele nicht in ewiger Unruhe schweben, so gilt es, dass wir mit unserm Leben und Lieben, mit unserm Denken und Hoffen uns auf ein göttliches Fundament stellen.

Gott sei gelobt, dass wir Christen ein solches göttliches Fundament haben! Gott sei Dank, dass wir mit dem Apostel Paulus bekennen können: Der feste Grund Gottes besteht.

Er besteht, denn Gott hat ihn vorlängst gelegt für alle suchenden, sinnenden, mühseligen und beladenen Seelen. Gott hat ihn gelegt und einen andern Grund kann niemand legen, außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. Jesus Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene, Jesus Christus, in dem alle Gottesverheißungen von der Erlösung der sündigen Menschheit Ja und Amen geworden sind, Jesus Christus, der unsere Strafe getragen, unsere Schuld gesühnt, unsere Versöhnung bewirkt hat, Jesus Christus ist der feste Grund für die ewige Erbauung unsrer Seele, wie wir sagen und singen:

„Der Grund, da ich mich gründe,
ist Christus und sein Blut;
das machet, dass ich finde,
das ew'ge, wahre Gut;
an mir und meinem Leben
ist nichts auf dieser Erd',
was Christus mir gegeben,
das ist der Liebe wert.“ 1)

Aber Jesus Christus ist, nachdem er auf Erden die ewige Erlösung für uns erfunden, aufgefahren über aller Himmel Himmel. So könnte es scheinen, als ob wir den festen Grund für unser geistliches Leben hoch über Wolken und Sternen, in Regionen, die uns nur im Gebet zugänglich sind, suchen müssten, und als ob wir denselben auf Erden nimmer finden könnten. Indessen das ist nur Schein. Die Himmelfahrt hat uns unsern Heiland in Wirklichkeit nicht entrückt, sondern nur unsichtbar gemacht. Unsichtbar ist er zwar geworden, dennoch aber bei uns geblieben in seinen Gnadenmitteln, in seinem Wort und Sakrament. In seinem Wort spricht seine Liebe zu uns, in seinem Sakrament umfängt uns seine Liebe. Wer Gottes Wort fleißig hört und liest und heilig hält und wer, nachdem er getauft ist in Christi Tod, das heilige Abendmahl fleißig und andächtig nimmt, der hat für seine arme Seele den festen Grund Gottes in Jesu Christo unter seinen Füßen, dass er, ob auch Berge weichen und Hügel hinfallen, doch feststeht in dem Bunde des Friedens und der Gnade des Allmächtigen.

Der feste Grund Gottes besteht im Wort und im Sakrament. Wir haben uns vorher auf das Fundament des göttlichen Wortes gestellt, und wir schicken uns an, jetzt den festen Boden des Sakramentes zu betreten.

Aber dürfen wir das auch? Der feste Grund Gottes, sagt Paulus, hat das Siegel, d. i. die Inschrift, den Denkspruch: Der Herr kennt die Seinen. Dieser Spruch will nicht schrecken, sondern locken und trösten; er will zusammengefasst sein mit jenem Ausspruch des guten Hirten: „Ich erkenne die Meinen und bin bekannt den Meinen,“ und mit jenem johanneischen Wort: „So wird unser Herz verdammt, so ist Gott größer als unser Herz und erkennt alle Dinge.“ Wir im reuigen Hinblick auf unsere Schwachheiten, Gebrechen, Fehler, Sünden und Missetaten, wir in unsrer Schuld durchbohrendem Gefühle, wir armen Leute mit unreinen Lippen, mit unreinen Händen, mit unreinem Herzen, wir sonntags oft so himmlisch gesinnt und schon montags oft wieder so irdisch gesinnt, heute gesonnen für einen ewigen Kranz das arme Leben ganz zu geben und morgen schon wieder haschend nach den Blumen der Erde. wir möchten bange fragen: „Herr, Herr, sind wir auch die Deinen? Du hast dein heiliges Abendmahl für deine Jünger, für deine Freunde, für deine Lieben eingesetzt - dürfen denn auch wir uns dazu rechnen, und sind wir nicht Aufdringlinge und ungeladene Gäste, wenn wir zu deinem Tische kommen?“ Aber getrost, meine Lieben, der Herr kennt die Seinen, kennt sie und anerkennt sie als die Seinen, wenn sie eben nur zu ihm kommen. Denn mehr verlangt er ja nicht; wenn wir nur eben zu ihm kommen, dann zählt er uns zu den Seinen, denen seine Erquickungen und sonderlich auch die Erquickungen des heiligen Abendmahls gelten. „Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen,“ sagt er selbst; und wir singen von seiner Liebe:

„Dem Lamm ist nichts zu schlecht,
wir sind ihm alle recht;
was keiner mehr mag leiden,
was alle Menschen meiden,
das darf noch zu ihm kommen,
wird von ihm angenommen.“

So kennt und anerkennt denn also der Herr wie überall, so auch bei seinem Tische alle diejenigen als die Seinen, die zu ihm kommen. Das ist ja dabei selbstverständlich, dass das Kommen nicht äußerlich, sondern innerlich zu verstehen ist. Äußerlich kam ja auch Judas Ischariot zum Herrn und war doch sein Verräter; äußerlich kamen ja auch die Häscher, die ihn gefangen nahmen, zum Herrn und waren doch seine Feinde; es ist ein innerliches Kommen, ein geistliches Kommen, ein Kommen in Buße und Glauben, was der Herr von denen beansprucht, die er die Seinen nennen soll. Aber nun eben auch alle, die so kommen, mit herzlicher Bereuung ihrer Sünden und mit herzlicher Sehnsucht nach seiner Gnade, die dürfen kommen, getrost kommen zum Abendmahl, wie matt, wie schwach, wie arm sie auch seien, denn sie dürfen sich das Wort aneignen: Der Herr kennt die Seinen.

Es hat aber nach unserm Text der feste Grund Gottes, also auch der Abendmahlstisch noch ein andres Siegel, noch eine andre Inschrift und Denkschrift, und sie lautet: „Es trete ab von der Ungerechtigkeit, wer den Namen Christi nennt.“ Es klingt ja dieser Spruch nicht so lieblich, wie jener erste: „Der Herr kennt die Seinen,“ aber schrecken, abschrecken will auch dieser Spruch nicht, sondern nur ernstlich mahnen und warnen. Von der Ungerechtigkeit, von allem, was nicht taugt in Werken, Worten und Gedanken, hat abzutreten, wer den festen Grund Gottes betreten will. Das Abtreten der Ungerechtigkeit verschafft den Christen nicht die Versöhnung mit Gott, das tut vielmehr allein das heilige Verdienst Jesu Christi, wie es uns verkündigt wird im Wort und dargeboten wird im Sakrament; aber die gläubige Aneignung des Verdienstes Jesu Christi verpflichtet nun auch den Christen zum Abtreten von der Ungerechtigkeit. Viele Christen fassen die Abendmahlsfeier viel zu einseitig auf, nämlich nur von der Seite des Trostes, dass ihnen Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit im Abendmahl zu Teil wird. Es gilt durchaus, auch die andre Seite ins Auge zu fassen, nämlich die heiligen Pflichten, zu denen das trostvolle Sakrament verbindet, abzutreten von der Ungerechtigkeit.

Das Wort „Ungerechtigkeit“ umfasst alles, was sonst in der Schrift Werke des Fleisches, ungöttliches Wesen, Augenlust, Fleischeslust, hoffärtiges Wesen genannt wird. Davon hat sich ja nun wohl ein jeder gute Christ geschieden nach Richtung und Grundsatz, da er dem Rufe des Heiligen Geistes folgend sich bekehrt von der Finsternis weltlichen Wesens und Wandels zu seines Heilands wunderbarem Lichte. Denn das gehört ja zum Leben des Christentums, sich dieser Welt nicht gleich zu stellen, sondern sich zu verändern durch Erneuerung des Sinnes. Indessen auch, wo diese selige Veränderung in tiefem Ernst vollzogen ist, heftet sich doch immer wieder neue Ungerechtigkeit an unsere Fersen; denn so willig auch der Geist sein möge, das Fleisch ist schwach, und gegen den neuen Menschen, den wir angezogen haben in Christo Jesu, kämpft immer der alte Mensch in uns, der durch die Bekehrung zu Jesu Christo zwar die tödliche Wunde erhalten hat, aber doch erst ganz stirbt, wenn das Zelt dieses Leibes im Tode zusammenbricht. So kommt es, dass auch den Gläubigen viele, oft recht hässliche, oft recht widerwärtige Unarten und Ungerechtigkeiten ankleben. Sie eben sollen und dürfen solchen Staub der Sünde nicht an sich hasten lassen, sie sollen ihn täglich mit heiligem Unwillen von sich abschütteln, ganz besonders sonntäglich und am besondersten an einem Abendmahlssonntag.

Dir, mein Freund, hängt vielleicht die Verdrießlichkeit an; ach, es gibt heutzutage so viele verdrießliche Christen, die trotz ihrer vielgerühmten Gläubigkeit sich ärgern über die Fliege an der Wand, über die Sonne, die ihnen zu heiß ist, über den Regen, der ihnen zu nass ist; kommt ihnen am Morgen irgendetwas in den Weg, was sie stört, so sind sie den ganzen Tag verstimmt und gegen ihre Umgebungen unangenehm. Tritt ab von der Verdrießlichkeit, mein Freund, wenn du den Namen Christi als den Namen deines Heilandes nennst und seinem Tisch dich nahst als verlangender Gast. Du, mein Freund, hast vielleicht eine scharfe Zunge; ach, ihr kennt ja die Stelle in der Epistel Jakobi, die über die Zungensünden der Gläubigen klagt; das leidige Splitterrichten, das vorschnelle Aburteilen, das Übelnehmen und Übelreden ist ein garstiger Fleck am Kleide manches Christen, mancher Christin; kämpfe endlich mit Ernst dagegen, mein Freund; tritt ab vom bösen Leumund, mein Christ, wenn du das heilige Abendmahl dir nicht zum Gericht essen willst. Ja, ich bitte und ermahne euch im Namen unsers Gottes, es trete bei dieser Abendmahlsfeier ein jeglicher ab von seiner Ungerechtigkeit, der Geizige vom Geize, der Leichtsinnige vom Leichtsinn, der Düstersehende vom Düstersehen, der Stolze von seinem Hochmut, der Unfreundliche von seiner Unfreundlichkeit. Es trete ab von seiner Ungerechtigkeit, wer den Namen Christi nennt.

Zu solchem Abtreten aber verpflichtet das heilige Abendmahl nicht nur, sondern es stärkt und kräftigt auch dazu. Denn nicht nur Vergebungskräfte, sondern auch Heiligungskräfte liegen wie im Worte, so auch im Sakrament. Denselben gilt es zu vertrauen, mit denselben gilt es für uns heute die Seele zu füllen, so werden wir, die wir sehr schwach sind in uns selbst, in der Kraft unsers Mittlers fest stehen auf dem festen göttlichen Grunde und ein jeder in seinem Kreise und nach seinem Maße etwas sein zu Lobe seiner Herrlichkeit. Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/q/quandt/quandt_der_feste_grund_gottes.txt · Zuletzt geändert:
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain