Quandt, Carl Wilhelm Emil - Prediger Salomo - Zweites Kapitel
Alles ist eitel, das war das große Thema, das im vorigen Kapitel vorangestellt und mit einigen großartigen und kühnen Strichen skizzirt worden war. Der Verfasser hatte darauf seine Mittheilungen der Erfahrungen Salomos eröffnet: Salomo hatte sich der Weisheit dieser Welt ergeben, um einen festen und befriedigenden Standpunkt über der Eitelkeit dieser Erde zu gewinnen, aber siehe die Weisheit hatte ihm das Heil nicht gegeben, er mußte bald erkennen, daß auch die Weisheit selbst zur Eitelkeit der Eitelkeiten gehört. Bon der Weisheit wendet sich Salomo nun zum Genuß und Besitz der Güter dieser Welt, um das wahrhaftige Gut zu finden, womit er sein Herz stillen könnte. Wie Salomo diesen zweiten Irrweg eingeschlagen, wie weit er ihn gegangen und was er auf diesem Wege gefunden, schildert das zweite Kapitel.
V. 1. Ich sprach in meinem Herzen: Wohlan, ich will wohl leben und gute Tage haben. Aber siehe, das war auch eitel.
Wörtlich: Ich sprach in meinem Herzen: Wohlan, ich will dich versuchen durch Freude, deshalb sieh' das Gute an! Aber siehe, das war auch eitel. Salomo spricht in seinem Herzen zu seinem Herzen; er will sein Herz versuchen, ob es durch die Freude des Lebens und durch den Sinnengenuß befriedigt werden könnte. Salomo hat in diesem Stück viele Gesinnungsgenossen. Den Versuch, durch Weisheit das Genüge zu erjagen, machen im Ganzen nur Wenige ihm nach, denn Denken und Nachdenken ist nicht Jedermanns Sache; aber die Schnur derer, die in Lust und Gelag das Genüge suchen und die Loosung haben: „Pflücket die Rosen, eh' sie verblühn“ zählt nach Millionen. Es hat zu allen Zeiten und in allen Landen immer mehr genießende, als reflektirende Menschen gegeben; die Weisheit ist eine wenig umworbene Braut, das Volk schreit nach Brot und nach Spielen. Aber ebensowenig wie das Wasser aus den trüben Bachen der Erdenweisheit das unendliche Verlangen der Seele stillt, ebensowenig und noch viel weniger können die schaalen Tränke, die auf den Lustgebieten dieser Welt gereicht werden, den heißen Durst des Herzens füllen und stillen. Siehe, das war auch eitel, so muß Salomo aus schmerzlicher Erfahrung heraus und überdrüssig der übertünchten Lüge sprechen. Wahrlich, vor einer ganz andern Schwelle muß man um Trost und Licht und Wahrheit betteln, wenn man die Lösung finden will für das große Räthsel des Lebens, wenn man das Sehnen der Seele befriedigen will. Was Salomos Genußsucht nicht findet, das findet Davids Glaube! „Wer ist, so fragt David im 34. Psalme, der gut Leben begehret und gerne gute Tage hätte?“ und giebt die Antwort: „Behüte deine Zunge vor Bösem und deine Lippen, daß sie nicht falsch reden; laß vom Bösen und thue Gutes, suche Frieden und jage ihm nach!“ Das neue Testament aber lehrt, daß der Friede nur gefunden wird bei dem, der Frieden gemacht hat durch sein Blut, bei Jesu Christo.
V. 2. Ich sprach zum Lachen: Du bist toll! und zur Freude: Was machst du?
Gar bald sahen die Lustgebiete des Lebens den suchenden Salomo verödet an. Nachdem er übermüthig mitgelacht in dem lächelnden Leben, fand er Ursach genug über sein Lachen zu weinen und auszurufen: Du bist toll -, du bist unsinnig und machst die Leute toll und roh, sicher und gottlos; nachdem er seinem Herzen keine Freude gewehrt hatte, wandte er sich entrüstet ab von der gottlosen Freude und sprach: Was macht diese? (So heißt es wörtlich statt: Was machst du?) Sie macht nicht froh. Das Lachen und die Freude dieser Welt sie gleicht der ausgelassenen Heiterkeit eines armen Wahnsinnigen; er jauchzt und jubelt, während der verständige Mensch davor mit tiefer Wehmuth und Grauen sein Angesicht verhüllt. Die traurigen Erfahrungen Salomos aber sind uns zum Vorbilde geschrieben, daß wir Christenleute alle Irrwege, die zu nichts als zu Elend führen, von vorn herein meiden sollen, damit wir nicht erst durch Schaden klug werden.
Mit der Welt sich lustig machen,
hat bei Christen keine Statt;
fleischlich reden, thun und lachen,
schwächt den Geist und macht ihn matt.
V. 3. Da dachte ich in meinem Herzen, meinen Leib vom Wein zu ziehn und mein Herz zur Weisheit zu ziehn, daß ich ergriffe, was Thorheit ist, bis ich lernete, was den Menschen gut wäre, das sie thun sollten, so lange sie unter dem Himmel leben.
In wörtlicherer Uebertragung: Da dachte ich in meinem Herzen, mein Fleisch hinzuhalten mit Wein, und mein Herz leitete mit Weisheit, und zu ergreifen die Thorheit, bis ich sahe was gut sei den Kindern der Menschen zu thun unter dem Himmel die Zahl ihrer Lebenstage hindurch. Dieser Vers ist nicht ohne Schwierigkeit, die sich aber in folgender Weise am leichtesten lösen dürfte: Die beiden vorigen Verse geben einen summarischen Inhalt des ganzen Kapitels voraus: Ich gab mich dem Genusse der Herrlichkeiten unter dieser Sonne hin und fand auch im Genusse nichts weiter, als Eitelkeit. Nun von V. 3 an soll das: „Ich gab mich dem Genusse hin“ näher ausgeführt werden, darum hebt der Verfasser auf's Neue an, gerade wie V. 1; „Ich dachte in meinem Herzen.“ Das: „Ich dachte in meinem Herzen“ ist so viel als: Ich machte nun den Versuch. Der neue Versuch besteht darin, daß er sein Fleisch mit Wein hinhalten, es mit Lust und Gelagen des Rausches pflegen will, daß er die Thorheit ergreifen will, nämlich ein lustiges Leben, das bis jetzt vor seinem von der Weisheit geleiteten Herzen als thöricht gegolten hatte. Aber er stürzte sich in das fleischliche Leben der Welt, nicht als ein gemeiner Weltmensch, der da genießt, um zu genießen, sondern mit dem Hintergedanken zu lernen, was den Menschen gut wäre, um zu erfahren, ob die thörichte Lust das verleihen könnte, was die strenge Weisheit nicht gegeben. In den folgenden Versen wird dies Ergreifen des thörichten Lebens der Lust anschaulich im Einzelnen geschildert.
V. 4-6. Ich that große Dinge, ich bauete Häuser, pflanzte Weinberge; ich machte mir Gärten und Lustgärten und pflanzte allerlei fruchtbare Bäume darein; Ich machte mir Teiche, daraus zu wässern den Wald der grünenden Bäume.
Mit allen Mitteln, die Königen zu Gebote stehn, sucht Salomo sich ein Paradies auf Erden zu schaffen. Er bereitet sich zunächst seine Wohnstätten so angenehm als möglich; behagliche Häuser, umgeben von dem Grün fruchttragender Bäume, in deren Mitte prächtige Weiher waren, solches zu errichten ließ er seine erste Aufgabe sein. Die Anwendung liegt nahe auf diejenigen unsrer Zeitgenossen, die da träumen, daß das Glück in den Palästen wohne und daß je größer und stattlicher das Haus, desto vollkommener auch die Freude des Herzens sein werde. Arme Träumer! Manche Palastdame hat viel größeres Herzweh, als die ärmste Bauernfrau; und das Säuseln im Wald der grünenden Bäume singt oft viel tiefere Klagelieder, als der Sturm, der mit dem Wüstensande spielt.
V. 7-8. Ich hatte Knechte und Mägde und Gesinde (nämlich nach dem Hebräischen: hausgebornes Gesinde); ich hatte eine größere Habe an Rindern und Schafen, denn Alle, die vor mir zu Jerusalem gewesen waren. Ich sammelte mir auch Silber und Gold und von den Königen und Ländern einen Schatz; ich schaffte mir Sänger und Sängerinnen und Wollust der Menschen, allerlei Saitenspiel.
Mit der prachtvollsten äußeren Einrichtung seiner Wohnstätten verbindet Salomo nun prächtige innere Einrichtung. Er umgiebt sich mit einem großen Troß von Dienern; reiche Heerden läßt er auf seinen Triften weiden; seine Schatzkammern füllt er mit Silber und Gold. Aber nicht nur dem Begehren grober Sinnenlust läßt Salomo die Zügel schießen, sondern auch das feinere, ästhetische Begehren macht sich geltend: seine Palasträume hallen wieder vom Saitenspiel und Reigen. Aber schon der Heide Solon pries den reichen Crösus nicht glücklich um seines Goldes willen, und ist der Friede nicht im Herzen, singt ihn kein Saitenspiel hinein! - Es zeugt auch dieser Vers dafür, daß ein Andrer, als Salomo, dies Buch verfaßt hat. Vor Salomo war nur der eine David König in Jerusalem gewesen; Salomo selbst also hätte nimmermehr schreiben können: Ich hatte eine größere Habe, denn Alle, die vor mir gewesen sind. So konnte nur ein Späterer schreiben, dem es weniger auf buchstäblich richtige Schilderung vergangener Zeitverhältnisse, als vielmehr auf starkes Hervorheben der salomonischen Herrlichkeit ankam.
V. 9. Und nahm zu über Alle, die vor mir zu Jerusalem gewesen waren, auch blieb Weisheit bei mir.
Dieser Vers besagt ein Doppeltes. Einmal bekräftigt er, was vorher schon gesagt war, daß der Reichthum Salomos der höchste war, der je erreicht war. Zum Zweiten fügt er hinzu, daß auch der Geistesreichthum, den Salomo in seiner früheren Periode erworben, bei ihm blieb. Ein ähnlicher Vers steht in der israelitischen Geschichte 1 Kön. 10, 23: „Also ward der König Salomo größer mit Reichthum und Weisheit, denn alle Könige auf Erden.“ Reichthum und Weisheit, das sind die beiden Glanzpunkte, die auch noch das neue Testament an Salomo hervorhebt; von Salomos Weisheit redet der Heiland zu den Pharisäern Matth. 12: „Dir Königin von Saba kam vom Ende der Erde, Salomos Weisheit zu hören;“ von Salomos Reichthum spricht der Herr in der Bergpredigt Matth. 6 in der berühmten Stelle von „Salomo und aller seiner Herrlichkeit.“
V. 10. Und Alles, was meine Augen wünschten, das ließ ich ihnen und wehrete meinem Herzen keine Freude, daß ich fröhlich war von aller meiner Arbeit; und das hielt ich für mein Theil von aller meiner Arbeit.
Es war ein Leben, wie das des reichen Mannes im Evangelium, ein Leben herrlich und in Freuden. Und doch war es insofern anders, als der reiche Mann seine Freude einzig und allein im Lebensgenusse als solchem suchte, Salomo aber außer im Genusse, auch in dem Bewußtsein, sich selber durch alle seine Arbeit dies vergnügte Leben bereitet zu . haben. Ja gerade dies Bewußtsein, der Schöpfer seines eignen Wohllebens zu sein, erschien ihm, dem Weisen, als das Reelle bei der ganzen Sache, als der Theil, der Vortheil, den er davon hatte. Nicht sowohl daß er Alles genießen konnte, als vielmehr, daß Alles, was er genoß, er sich selbst geschaffen, in diesem Gedanken glaubte er, der ein Genußmensch und ein Weiser zugleich sein wollte, die rechte Befriedigung gefunden zu haben. Allein er täuschte sich sehr. Es giebt kein unglücklicheres Unternehmen, als seines Lebens dadurch froh werden zu wollen, daß man allein für den Leib sorgt und die Seele verschmachten läßt. Es geht dann nach dem Verse:
Man sorgt, daß nichts dem Leibe fehle;
Die Hütte schmückt man reich und schön;
Doch die Bewohnerin, die Seele,
Läßt man verschmachten und vergehn;
Und wenn es draußen tobt und lärmt,
Sitzt sie daheim, still, abgehärmt.
V. 11. Da ich aber ansahe alle meine Werke, die meine Hand gethan hatte und Mühe, die ich gehabt hatte, siehe, da war es Alles eitel und Jammer und nichts mehr unter der Sonne.
Nichts mehr, wörtlich: kein Vortheil. Es ging ihm mit dem Genuß, wie es ihm mit der Weisheit gegangen war; er kam zur Einsicht, daß nichts dabei herauskomme, daß Häuser, Bäume, Heerden und Diener und Sänger wohl den Staub der Erde für eine Weile übergolden, nicht aber aus dem Staube dauernd Gold zu machen im Stande seien. Es ist ja das eine Erfahrung, die so manche Seele namentlich der höheren Stände auch macht. Der ganze rauschende Glanz auf den Höhen des Lebens ist oft nur ein dünner Schleier, hinter dem sich blutende, aus tausend Wunden blutende Herzen verbergen. Der Mensch ist viel zu vornehmer Abkunft, als daß irgend etwas Creatürliches das geheime Sehnen seiner Seele wahrhaft stillen könnte. Seele, was ermüdst du dich in den Dingen dieser Erden, die ja doch verzehren sich und zu Staub und Asche werden? Suche Jesum und sein Licht, alles Andre hilft dir nicht.
V. 12. Da wandte ich mich zu sehen die Weisheit und Klugheit und Thorheit. Denn wer weiß, was der für ein Mensch werden wird nach dem Könige, den sie schon bereit gemacht haben.
Genauer: Denn wer wird sein der Mensch, der nach dem Könige kommen wird, im Vergleich mit dem, den sie früher gemacht haben? Den süßen Gedanken Salomos, daß er der Schöpfer aller seiner heiteren Werke sei, verwandelte der andre naheliegende Gedanke in bittern Wermuth: „Wie? Was ich mit so vieler Arbeit aufgeführt habe, muß ich es nicht Alles hier lassen; und weiß ich denn, ob ich mich nicht gequält habe für einen Erben, der ein großer Thor sein kann?“ Wenn man sich für lachende, noch dazu für thörichte Erben abmüht, fürwahr das ist eine Mühe ohne Lohn, ein Leben voller Eitelkeit. Bekanntlich war Rehabeam, der Sohn und Nachfolger Salomos, so ein thörichter Erbe seines weisen Vaters, die Erbschaft ging unter ihm durch seine Thorheit zum größten Theil verloren. Auch dieser Vers zeugt für einen andern Verfasser des Buchs, als Salomo. Ein später Lebender, der Rehabeams Geschichte schon kannte, kleidet seine Anschauungen in salomonisches Gewand.
V. 13. 14. Da sähe ich, daß die Weisheit die Thorheit übertraf, wie das Licht die Finsterniß; daß dem Weisen seine Augen im Haupt stehen, aber die Narren in Finsterniß gehn, und merkte doch, daß es Einem gehet wie dem Andern.
Der Gedanke, alle seine fröhlichen Schöpfungen wer weiß wie bald verlassen und sie möglicherweise einem Narren zum Erbe hinterlassen müssen, schlägt Salomo mitten im heiteren Lebensgenuß gänzlich darnieder. Ob auch die Weisheit, die sich irdische Herrlichkeit zu schaffen versteht, die Dummheit und Thorheit übertrifft, wie das Licht die Finsterniß übertrifft, am Ende ists ganz einerlei, weise oder thöricht gewesen zu sein, das Leben mit Verstand genossen oder es mit Thorheit verdorben zu haben; der Weise erlangt mit seiner Weisheit das wahre Glück ebenso wenig, als der Thor mit seiner Thorheit; der Kluge muß ebenso gut sterben, als der Narr.
V. 15. Da dachte ich in meinem Herzen: Weil es denn dem Narren gehet wie mir, warum habe ich denn nach Weisheit gestanden? Da dachte ich in meinem Herzen, daß solches auch eitel sei.
Ende gut, Alles gut; aber auch Ende schlecht, Alles schlecht. Salomo bedenkt das Ende; und da er findet, daß weises Leben eben ein solches schlechte Ende nimmt, als thörichtes Leben, so bedauert er, überhaupt je nach Weisheit gestanden zu haben, überhaupt je sich Mühe gegeben zu haben, dies Leben durch kluggewählte Mittel des Genusses sich zu verschönern, und er ruft auch über die zweite Periode seines Lebens, wie über die erste aus: Es ist Alles pure Eitelkeit.
V. 16. Denn man gedenket des Weisen nicht immerdar, ebenso wenig als des Narren; und die Künftigen Tage vergessen Alles; und wie der Weise stirbt, also auch der Narr.
Es ist das der schon Kap. 1, 11 ausgesprochene Gedanke, hier nur in der besonderen Anwendung auf Weise und Thoren. Es wäre nämlich gegen die salomonische Klage von der Eitelkeit auch derer, die mit Weisheit großartige Schöpfungen irdischer Lebensfreude hervorbringen, der Einwand möglich: Mag auch das Ende des Weisen und des Narren gleich sein, dies Ende ist noch nicht das Ende; man wird des Weisen, der das Leben zu genießen verstand, noch nach seinem Tode rühmend gedenken, während der Narr vergessen wird. Aber der scharfsinnige Verstand Salomos läßt diesen Einwand nichts gelten. Vergessenheit, so spricht er, deckt in Zukunft den Weisen nicht minder, als den Thoren - und das vergällt mir die Freude an allen meinen Schöpfungen.
V. 17. Darum verdroß mich zu leben; denn es gefiel mir übel, was unter der Sonne geschieht, daß es sogar eitel und Mühe ist.
Ein gründliches Mißbehagen über das Leben beschlich den Weisen, da er weder im Philosophiren über das eitle Leben, noch im Ausschmücken und Verschönern des eitlen Lebens durch allerlei Glanz der Erde Ruhe und Friede gefunden hatte. Mißbehagen am Leben ergreift schließlich immer diejenigen, die nach vergeblichen Anstrengungen und zerronnenen Idealen keinen Gott haben, in dem allein Ersatz und zwar tausendfacher Ersatz zu finden ist für die Eitelkeit der Erde. Sie sprechen dann mit dem Dichterwort:
Nichts in der ganzen Welt behagt mir mehr; Das Leben langweilt mich, wie ein zweimal Erzähltes Mährchen, in das milde Ohr Des Schläfrigen geleiert. Bittre Schmach Hat mir so sehr den Wohlgeschmack der Welt Verderbt, daß Alles schaal mir scheint und bitter.
Von diesem weltlichen Lebensüberdruß aber ist auf's Strengste zu scheiden und zu unterscheiden die fromme Lebenssattheit, die einem himmlischgesinnten Manne sehr wohl ansteht, da man satt ist dieses Pilgerlebens und sich aus diesem Lande der Thränen hinübersehnt in die Ruhe, die noch vorhanden ist dem Volke Gottes. Weltlicher Lebensüberdruß kann in seiner Consequenz bis zur schrecklichen Sünde des Selbstmordes fuhren; fromme Lebenssattheit aber gipfelt in dem Bekenntniß Pauli: Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein.
V. 18. 19. Und mich verdroß alle meine Arbeit, die ich unter der Sonne hatte, daß ich dieselbe einem Menschen lassen müßte, der nach mir sein sollte. Denn wer weiß, ob er weise oder toll sein wird? Und soll doch herrschen in aller meiner Arbeit, die ich weislich gethan habe unter der Sonne. Das ist auch eitel.
Der beängstigende Gedanke an einen schlechten Nachfolger, den er nach der Welt Lauf zu erwarten hat, wie er ihn denn auch in der That gefunden hat, ist ihm noch bitterer, als der Gedanke an die Nacht der Vergessenheit, in die unterschiedslos Weise und Thoren beim Sterben eingehn; dieser Gedanke bohrt sich immer tiefer in sein Herz, macht ihm sein Genußleben am allerunleidlichsten. Darum leiht er ihm noch einmal und wieder Wort und Ausdruck. Was er mit so saurer Mühe sich bereitet, das Leben sich süß zu machen, sieht er im Geiste schon als Beute eines lachenden Thoren, und damit verschwindet in seinen Augen aller Werth.
V. 20. 21. Darum wandte ich mich, daß mein Herz abließe von aller Arbeit, die ich that unter der Sonne. Denn es muß ein Mensch, der seine Arbeit mit Weisheit, Vernunft und Geschicklichkeit gethan hat, einem Andern zum Erbtheil lassen, der nicht daran gearbeitet hat. Das ist auch eitel und ein groß Unglück.
Noch einmal tritt der Gedanke an einen thörichten Erben als der Wurm auf, der den Aufbau irdischer Herrlichkeiten zernagt. Im Hintergrunde der salomonischen Herrlichkeit steht die Thorheit Rehabeams wie ein finstrer Schatten. Die Ahnung davon bewirkt bei Salomo eine Wendung. Die positive Seite der Wendung wird in diesen Versen noch nicht genannt, sie wird erst V. 24 angedeutet. Hier wird die Wendung nur nach ihrer negativen Seite geschildert. Salomo hört auf, das wahrhaftige Gut in großen Werken und Anlagen für irdische Behaglichkeit zu suchen, Für die Zeitgenossen des Verfassers, die in krankhafter Sehnsucht auf die alte „bessere Zeit,“ auf die an irdischen Freuden reiche salomonische Zeit zurückschauten, war das ein bedeutsamer Wink, der ihnen sagte: Ihr beneidet Salomos Freuden; o ihr sollt wissen, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit da s nicht gefunden hat, was den Menschen wahrhaft befriedigt. „Gesundheit, Weltlust, Ehr' und Pracht sind nicht das Glück der Seelen!“
V. 22. 23. Denn was kriegt der Mensch von aller seiner Arbeit und Mühe seines Herzens, die er hat unter der Sonne, denn alle sein Lebtage Schmerzen mit Grämen und Leid, daß auch sein Herz des Nachts nicht ruhet! Das ist auch eitel.
Eine ergreifende, tief aus dem Leben gegriffene Schilderung von der Unruhe, die der im Jagen und Haschen nach irdischem Glück Ruhe suchende Mensch sich selbst bereitet. Zu dem Gedanken an lachende Erben, denen man früher oder später beim Sterben Alles hinterlassen muß, tritt hier noch die bis jetzt nicht besonders hervorgehobene Erwägung der mannigfachen Unfälle des Lebens, die oft in Einem Augenblick zerstören, was man mit so vieler Mühe und Sorge geschaffen hat. Diese Erwägung treibt selbst den Schlummer von den Augen, daß man die kummervollen Nächte auf seinem Bette sorgend und weinend sitzt. Schätze, die die Motten und der Rost verzehren, Schätze, nach denen die Diebe graben, können wohl Gegenstände der Sorge und Angst, aber nicht Mittel der Ruhe sein. Der Dichter Rückert nennt darum das Gold einen Heuchler mit doppeltem Gesicht, bestechendem Lächeln und kaltem Herzen und singt von ihm:
Er ist's, um den das Herz aus Furcht dem Geiz'gen bricht, Er ist's, um den des Neides Blick den Reichen sticht. Das Schlimmste ist, wer ihn bewahrt, dem nützt er nicht; Und wer ihn nützt, der thut dadurch auf ihn Verzicht. Darum verachtet ihn ein edler Mann und spricht: Du Taugenichts, hinweg aus meinem Angesicht.
V. 24. Ist es nun nicht besser dem Menschen, essen und trinken und seine Seele guter Dinge sein in seiner Arbeit? Aber solches sehe ich auch, das von Gottes Hand kommt.
Dieser Vers ist der Schlüssel zum ganzen Kapitel; der Verstand zieht hier einen Schluß aus allem Vorigen, und der Glaube, lange genug stumm gewesen, erhebt sich und macht zu dem Verstandesschluß einen Zusatz der Gottseligkeit. Wer diesen Vers falsch versteht, versteht das ganze zweite Kapitel, ja das ganze Buch falsch. Das aber ist falsches Verständniß dieses Verses, wenn man ihn so auffaßt, als ob der Verfasser hier verzweifelnd an allem Höheren den heiteren Genuß des Augenblicks als das einzig Wahre empfehle, von dieser Auffassung kommt man dann consequent dahin, das Buch im Ganzen mit dem frivolen Dichter Heinrich Heine als das Hohelied der Skepsis zu bezeichnen. Es steht aber vielmehr also, daß nach zwei gescheiterten Versuchen mit eigener Vernunft und Kraft die Eitelkeit dieses Lebens zu überwinden die Vernunft zwar fragt: „Sollte nun nicht fröhlicher Lebensgenuß ohne alles weitere Nachdenken das Beste sein?“ der sich aufraffende Glaube aber antwortet: „Ja, doch nur in dem Falle, wenn man die Freude des Lebens aus jener Hand dankbar hinnimmt, aus der alle gute und vollkommene Gabe kommt, aus Gottes Hand!“ Wirkliche Freude, will der Verfasser damit sagen, hat Salomo nicht in seiner vielgerühmten Weisheit, nicht in seiner oft besungnen äußerlichen Herrlichkeit gefunden, sondern allein in der Hingabe an Gott, den Geber aller Güter, den frommen Menschenhüter. Das ist die positive Seite der Wendung, von der V. 20 die Rede war, daß der Mensch den Quell der Freude in Gott suche. Zu einer Abwendung von der Eitelkeit der Dinge bringt es auch der bloße Verstand, wenn er die Einsicht von dem Unbestand und der Hinfälligkeit des Lebens gewonnen, daß er spricht: „Ach, ich bin des Treibens müde, was soll all' der Schmerz und Lust?“ daß er sich das Wort der Schrift 1 Sam. 12. 21 Wohlgefallen läßt: „Weichet nicht dem Eiteln nach; denn es nützet nicht und kann nicht erretten, weil es ein eitel Ding ist!“ aber zu einer Zuwendung zu Gott bringt es allein der Glaube. „Wendet euch zu mir, so werdet ihr selig, aller Welt Ende,“ so spricht der große Gott selbst; und was nicht der Verstand der Verständigen sieht, das merket in Einfalt ein kindlich Gemüth, das ergreift ohne Grübeln und ohne Berathen mit Fleisch und Blut der sehnende Glaube und erfaßt seinen Gott und in Ihm die Quelle wahrer Freude. Creatur ängstet nur, Gott allein kann geben Freude, Fried' und Leben. Daß der Weg zu Gott für den Sünder noch der Vermittelung bedarf, nämlich der Vermittelung durch das Sühnopfer Christi, bleibt hier unberührt; aber die Schrift muß durch die Schrift ausgelegt werden, und der Vers des Predigers: „Ich sehe, daß Solches, nämlich wahre Freude, von Gott kommt“ durch den Vers des Heilandes: „Niemand kommt zum Vater, denn durch mich!“
V. 25. Denn wer hat fröhlicher gegessen und sich ergötzet denn ich?
Wäre diese Luthersche Uebersetzung - auch die niederländische Verdollmetschung hat hier denselben Sinn - die richtige, dann wäre der Gedankengang dieser: Von Gottes Hand kommt allein der fröhliche Genuß der Gaben Gottes auf Erden; ich habe lange genug und wie kein Andrer Fröhlichkeit und Ergötzung in den Dingen dieser Erde gesucht ohne Gott und sie nicht gefunden. Allein nach den besten, alten Lesarten ist vielmehr zu übersetzen: Denn wer isset oder wer genießet außer durch Ihn? Der Glaube also, der V. 24 hervorbrach, setzt hier noch direkt seine Rede fort. Gott ist es, der den fröhlichen Genuß der Gaben geben und das Herz selbst genußfähig und fröhlich machen muß. Es predigt also der Prediger wahrlich nicht eine Religion des Diesseits, vielmehr weist er sehr stark hin auf den lebendigen Gott, von dem allein das Heil kommt; er dringt allerdings auf ein Auskaufen der Freudenstunden dieses armen Lebens, aber er kennt keine andere wahrhaftige Freude, als die auf der Gottesfurcht ruht und die mit der Gottesfurcht allezeit Hand in Hand geht. Diese Tendenz seiner Betrachtungen bricht nicht nur hier, sondern an allen andern Stellen des Buches durch, wo der Glaube den Verstand zum Schweigen verurtheilend siegreich zu Worte kommt,
V. 26. Denn dem Menschen, der ihm gefällt, giebt er Weisheit, Vernunft und Freude; aber dem Sünder giebt er Unglück, daß er sammle und kaufe und doch dem gegeben werde, der Gott gefällt. Darum ist das auch eitel Jammer.
Gott ist es, der Weisheit, Vernunft und Freude, die weise, vernünftige Freude schenkt, denen nämlich, die ihm gefallen d. i. die sich ihm ergeben und seiner Gnade. Diejenigen, die sich durch eigne Vernunft und Kraft Freude des Lebens verschaffen wollen, erreichen's nicht, machen sich nur Qual. Es ist das derselbe Gedanke, den der salomonische Psalm 127 so schön ausführt, wenn er sagt: Es ist umsonst, daß ihr frühe aufstehet und hernach lange sitzet und esset euer Brot mit Sorgen, denn seinen Freunden giebt er es schlafend. Aber mit diesem Gedanken verbindet sich an unsrer Stelle noch ein anderer: Wer ohne sich Gott zu ergeben im Genusse sein Glück sucht, quält sich umsonst und arbeitet nur dem Frommen in die Hände; was der Gottlose gesammelt, giebt Gott dem Gerechten. Der Verstand in den früheren Versen des Kapitels hatte es als einen besonders starken Zug und Beweis der Eitelkeit erfaßt, daß der die Genußmittel sammelnde Weise für einen thörichten Erben sammle, ein Salomo für einen Rehabeam; hier dreht der Glaube diesen Satz um und sagt: Der Gottlose muß für den Gottseligen, der Ungerechte für den Gerechten, ein Saul für einen David sammeln. Die Moral ist einfach: Bloße Lebensklugheit erringt die wahre Freude allerdings nicht, im Gegentheil sie ist Thorheit, die sich für Andre quält; aber ruht die Lebensklugheit auf dem Grunde der Gottseligkeit, dann wird ihr das liebliche Leos des fröhlichen Sinnes zu Theil. Der Schlußsatz: „Darum ist das auch eitel und Jammer,“ will nicht dies eben vom Glauben Ausgesprochene etwa wieder aufheben, sondern geht auf die vorherige Schilderung des Unternehmens, aus eignem Willen in den Gütern dieser Welt die wahre Freude zu finden - dies Unternehmen ist eitel. Das allzeit fröhliche Herz kommt allein von Gott!
Irdische Wollüste sind eitel - so lautet in unserer deutschen Bibel die Ueberschrift des zweiten Kapitels. Sie drückt nicht das Ganze des Inhalts aus; es gilt, noch hinzuzusetzen: Erlösung von der Eitelkeit giebt nur die Wendung zu Gott. Möge diese Doppelwahrheit durch den heiligen Geist sich tief in unser Herz prägen.
O wär' unser Herz entnommen
Dem, was lockt durch eitlen Glanz
Und halt ab zu Gott zu kommen,
In dem alle Gut' ist ganz!
O war' unser Aug' der Seelen
Stetig nur auf Gott gewend't,
So hätt' auch das sorglich Quälen
Im Gewissen ganz ein End'!
O Du Abgrund aller Güte,
Zeuch durchs Kreuz in Dich hinein
Geist, Seel', Herz, Sinn und Gemüthe,
Ewig mit Dir eins zu sein! Amen.