Quandt, Emil - Jonas, der Sohn Amithai. VI. Jonä völlige Bekehrung.

Quandt, Emil - Jonas, der Sohn Amithai. VI. Jonä völlige Bekehrung.

Kap. 4,5-11.

Zu Jesu Namen! Amen.

Das ist nun der Schluss unsers prophetischen Buches. Kein Schluss, wie wir ihn nach unsern Gedanken etwa erwartet haben, sondern ein ganz wunderbarer Schluss nach Form und Inhalt, aber eben das durch doch ein passender Schluss für ein Buch, das von Anfang an als ein Wunderbuch sich uns zeigte. Die Form dieses Schlusses ist wunderbar -; denn es hat den Anschein, als bräche die Geschichte ab, ohne dass wir vom Ende etwas erführen; denn das kann doch nicht das Ende sein, dass Jonas so bleibt, wie er sich in den letzten Worten, die wir von ihm lesen, zeigt, trotzig und sich den Tod wünschend. Aber das ist auch nicht das Ende; die nähere Betrachtung wird uns vielmehr zeigen, dass die Geschichte darum abbricht mit Jonä Zorn, weil auch Jonä Zorn ein Ende hatte und er sich nun völlig bekehren ließ. Der Inhalt aber ist deswegen so wunderbar, weil Gott der Herr sich eines neuen Wunders bedient, um das trotzige Herz des Propheten endlich ganz zu zerbrechen und unter seine Hand zu beugen. Der Herr schenke uns die rechte Andacht, dass wir uns am Ende unsers Buches erbauen, gleichwie wir aus allen früheren Kapiteln und Versen reiche Erbauung geschöpft haben.

Vers 5. Und Jona ging zur Stadt hinaus und setzte sich gegen morgenwärts der Stadt und machte sich daselbst eine Hütte, da setzte er sich unter, in den Schatten, bis er sähe, was der Stadt widerfahren würde. In welcher Seelenverfassung Jonas war, da er zur Stadt hinausging, wissen wir; er war zornig über Gottes Erbarmen gegen Ninive, durch welches seine eigne Ehre geschmälert erschien. Gott hatte dem zürnenden Propheten in mildester Weise die Frage vorgelegt: Meinst du, dass du billig1) zürnst? Dieses Gotteswort hatte offenbar zur Absicht, den Propheten von der Unbilligkeit seines Zornes zu überführen aber er wirkte das gerade Gegenteil. Jonas legte sich das Wort nicht zu seinen Ungunsten, sondern zu seinen Gunsten aus, als wenn ihm Gott hätte sagen wollen: „Lieber Jonas, du kannst am Ende Recht haben mit deinem Zorn über mein Erbarmen gegen Ninive; aber warte nur ein wenig, deine Predigt soll doch nicht zu Schanden werden, du sollst bald Ninives Untergang mit deinen eignen Augen schauen!“ Und nachdem er sich so immer fester eingewickelt in seine eignen törichten Gedanken, ging er hinaus zur Stadt. Und während die Niniviten sangen; Aus tiefer Not schrei' ich zu Dir, baute er sich außen vor der Stadt eine Hütte - so gleichgültig war er gegen die Regungen der Gottseligkeit bei den Heiden. Dann setzte er sich unter die Hütte in den Schatten, von ferne zuzusehen - so neugierig war er in Betreff des Ergehens der Heiden. Ja er wollte zusehen, was der Stadt widerfahren würde; sein trotziges Herz meinte, Ninive werde am Ende doch trotz der Buße untergehen so schadenfroh war er.

Es gibt unzählige in unserm Geschlecht, deren Herzensstellung zur heiligen Mission unter den Heiden eine ganz ähnliche ist, wie hier die Herzensstellung Jonä zu dem Walten Gottes unter den heidnischen Niniviten. Wie Viele doch, die Christi Namen tragen, lassen sich wohl sein in ihrer Hütte, die sie sich bauen auf dieser armen Erde, zwischen ihren eignen vier Pfählen, und sind gleichgültig gegen die Ausbreitung des Reiches Gottes unter den Heiden. Um Alles, was sie selber angeht und was ihr eignes Wohl betrifft, sind sie sehr bekümmert; aber ob sich unsterbliche Heidenseelen bekehren vom Unheil zum Heil, von der Finsternis zum Licht, das kümmert sie nicht. Und wieder Andere sind, die gleichen Jonä darin, dass sie höchstens neugierig sind, von ferne zu sehen und zu hören, wie es mit den Heiden geht. Das sind die Christen, deren Sinnen nur wie das der Athener darauf gerichtet ist, immer etwas Neues zu hören. Sie tun aus dem Schatten ihres behaglichen Lebens heraus wohl manchen Blick in die Blätter der heiligen Mission und auf die Gebiete derselben; sie können auch Manches erzählen von dem, was diesen und jenen Heiden widerfahren ist. Aber es bedeuten ihnen die Missionsgeschichten ungefähr so viel, als die Kalendergeschichten; sie lesen sie, sie hören sie, sie erzählen sie und weiter nichts. Von einem Jammer über das Elend, das Sündenelend der Heiden haben sie noch nie etwas gefühlt. Zu einer Träne über die verdorrten Gebeine der Wüste hat es ihr Auge noch nie gebracht. Dass es aber auch Schadenfrohe gibt, die auf Gottes Werk und Wunder unter den Heiden nur höhnend blicken und dem Untergange dieses Werkes zujauchzen, wer darf es leugnen? Verblendete Weltmenschen betrachten ja die ganze Heidenmission als eine großartige Torheit und weisen mit Fingern auf diejenigen Missionsfelder hin, wo die Erfolge wenig oder gar nicht sichtbar sind. Aber auch manche kirchlich gesinnte Leute sehen die Sache der Heidenbekehrung mit scheelen Blicken an, weil sie eine Sache der Geringen und Armen ist im Volke Gottes, und sie können sich nicht freisprechen von Regungen der Schadenfreude, wenn sie hören, dass irgendwo Missionsunternehmungen missglückt sind.

Vers 6. Gott der Herr aber verschaffte einen Kürbis, der wuchs über Jona, dass er Schatten gab über sein Haupt, und errettete ihn von seinem Übel; und Jona freute sich sehr über den Kürbis. Der Herr sah, dass sein Wort nichts gefruchtet hatte bei Jonas, im Gegenteil Anlass gegeben hatte, dass sich Jonä unheilige Gesinnungen noch verdoppelt und verdreifacht hatten. Da spricht er zu ihm durch die Tat, wie das ja noch heute seine Weise ist, sein Wort uns recht auszulegen durch allerlei Erfahrungen, die er uns im Leben machen lässt. Einen Kürbis verschaffte er dem Propheten. So hat für uns Deutsche Vater Luther den Namen des ausländischen Baumes mundrecht gemacht, der eigentlich Rizinusbaum, Kreuz- und Wunderbaum heißt, ein Baum, dessen breite, dachähnliche Blätter saftig emporquellen und im Morgenlande Schirm und Fächer darbieten gegen die Glut der Sonne, der aber, wie alle schnell wachsenden Kräuter durch Beschädigung dem Verdorren leicht ausgesetzt ist. Durch den wohltuenden Schatten dieses Gewächses ward Jonä Haupt gegen die brennenden Sonnenstrahlen geschützt; Jonä ward wohl unter seinen Blättern, der Kürbis ward seines Herzens Freude.

So hatte denn der Herr zuvörderst doch das schon erreicht, dass Jonas aus seinen sündlichen Gedanken wenigstens für eine Weile herausgerissen ward und zur Freude kam über Gottes Barmherzigkeit, wenn es allerdings auch nur noch erst eine Freude war über die Barmherzigkeit, die ihm selber von Gottes Gnade widerfuhr. Aber es war doch auch mehr. Über den Kürbis freute sich Jonas, als über ein Geschöpf Gottes, das der Herr so lieblich hatte aufblühen lassen. Er vergaß sich und seine Gedanken, und freute sich herzhaft des köstlichen Baumes. Kann er sich aber eines Baumes freuen, ei, ob er dann nicht auch noch durchdringen sollte zur Freude über seine Millionen Mitmenschen in Ninive, die da geworden waren Bäume des Herrn und Pflanzen des himmlischen Vaters? O ja, er wird auch noch zu dieser Freude kommen; er wird seinen Zorn aufgeben und die Gedanken an eigne Schmach oder Ehre, er wird noch mit allen Engeln jauchzen, dass die Niniviten geworden sind Bäume der Gerechtigkeit zur Ehre des Herrn! Nur dass es mit Jona hierin. nicht eilig geht. Dazu ist sein Herz zu trotzig. Erst muss ihm die Kürbisfreude noch zerstört werden, ehe ihm die Freude, die dauernde Freude aufgehen kann an Gottes Barmherzigkeit gegen Ninive.

Vers 7. 8. Aber der Herr verschaffte einen Wurm des Morgens, da die Morgenröte anbrach; der stach den Kürbis, dass er verdorrte. Als aber die Sonne aufgegangen war, verschaffte Gott einen dürren Ostwind, und die Sonne stach Jona auf den Kopf, dass er matt ward. Da wünschte er seiner Seele den Tod, und sprach: Ich wollte lieber tot sein, denn leben. Einen Wurm, einen kleinen Rüsselkäfer oder des etwas verschaffte der Herr, der musste dem Kürbis die Lebensader durchsägen, und als die Morgensonne unter schwülem, schweigendem Ostwinde ihre Strahlen sandte, die das Haupt des Propheten stachen, ward seine Seele matt, und er wünschte sich den Tod. So scheint denn alles Bemühen Gottes, den Propheten herumzuholen, am Ende ganz und gar gescheitert zu sein. Der Prophet scheint nach dem Wunder des schnell erblühten und schnell verdorrten Baumes ganz derselbe zu sein, der er dicht vor dem Wunder war, der alte, trotzige Jonas, der sich den Tod wünscht. Aber nein, der Prophet war doch schon ein andrer. Vor dem Wunder wünschte er sich den Tod aus Angst vor Schmach, weil Gottes Barmherzigkeit gegen Ninive seine eigne Ehre zu Schanden machte. Jetzt, nach dem Wunder, wünscht er sich (wie aus Vers 10 ganz klar und gewiss ist) den Tod aus Betrübnis über den schnellen Untergang einer Pflanze, die Gott gepflanzt. Das ist etwas Anderes, viel etwas Anderes. Wir ahnen, Gott wird ihn schon herumholen.

Es gibt der Kürbisse viel, die auch uns im Leben blühen, daran wir unsre Freude und Wonne haben mögen. So leidensvoll, so todesweh auch oft das Leben ist auf dieser Erde, ganz freudenleer ist doch keines Leben unter der Sonne. Dem Einen blüht das Glück der Familie, dem Andern des Leibes Gesundheit, dem Dritten Erfolg seiner Arbeit und Anderen Anderes. Aber wie bald, wie bald ist's mit solchen Freuden vorbei, wie bald verdorren unsere Kürbisse! Glück und Glas, wie leicht bricht das! Heute rot, morgen tot! Und wenn dann nun dein Herz weich geworden ist durch eigne Lebensnot, wenn dein Auge gelernt hat zu weinen über die frühe, ach so frühe verwelkenden Blüten an dem Wunderbaume deines Lebens, sollte dir da nicht auch endlich nahe gehen die noch viel größere Not deiner heidnischen Brüder? Die nicht bloß ferne sind von den geistlichen Freuden auf der grünen Aue des Wortes Gottes, sondern selbst von den kleinen Lebensfreuden des christlichen Volkes? Die statt im Schoße der Familie in Kammern und Unzucht leben? Die ihre Leiber und Seelen verderben durch Völlerei oder abergläubische Selbstquälerei? Die mit ihrem Leben und mit dem Leben ihrer Nächsten spielen wie mit Kinderspielzeug? - Und du weißt ja auch, was das für ein Wurm ist, der deine schönsten Hoffnungen zernagt, deine Freuden zerfrisst, deine Lebensblumen zerblättert! Ja, kennst du den Wurm, der alle Kürbisse zernagt, die Gott der Herr dir wachsen lässt? Dieser Wurm das ist die Sünde, es ist deine Sünde, es ist der Menschheit Sünde. Die Sünde ist der Leute Verderben. Weil wir arme, verlorene Sünder sind, deswegen sind wir mitten im Leben vom Tode umfangen. Und ach, wie nagt auf den Steppen des Heidentums der Wurm der Sünde so gierig noch, und Niemand wehrt ihm! Wie sinken da die Leute, geboren in erbsündlichem Verderben, Sünde häufend auf Sünde, so jäh' in den Tod! Ach und es gibt doch einen Retter, der Hilfe tut, dass wir Gnad' erlangen! Das ist Christus Jesus, Gottes und Mariens Sohn, der Fels in allen Stürmen, der Stern in allen Nächten, der Arzt für alle Wunden! Er hat die Strafe unsrer Sünden auf seine Schultern genommen; um seinetwillen entreißt der große Gott dem Untergange Alle, die an Ihn glauben. Gott hat seine Gnade in Christo Jesu in dein eignes Herz hineinleuchten lassen, und du bist fröhlich in diesem Lichte; solltest du nun nicht auch herzlich verlangen, dass Er dieselbe Gnade den armen Heiden leuchten lasse, auf dass sie nicht dahinwelken wie wurmzerfressene Kürbisse, sondern blühen in den Vorhöfen des Herrn? Ja, solltest du nicht jauchzen, wenn Gott seine Gnade und wo Er sie leuchten lässt den Heiden? Über Ninive ließ der Herr damals seine vergebende Gnade scheinen; wohl war Christus Jesus noch nicht ins Fleisch gekommen, die Sünde der Menschen zu tilgen an seinem Leibe auf dem Kreuz, aber der Herr sah auf ihn, der da kommen sollte und vergab im Voraus um seinetwillen. Nun, Jonas, du Sohn Amithai, freust du dich endlich dieser Vergebung? Hat die eigne Lebensnot, hat das Hinwelken deines Kürbis dir nun das Herz weich gemacht für fremde Not und für Freude über die Tilgung fremder Not? Nun, bei ihm ging es langsamer mit dem Aufweichen des Herzens als bei uns. Er hatte ja Jesum Christum noch nicht; er war ja ein Mann des alten Testamentes, der nur erst harren konnte auf den, der da kommen sollte. Deswegen dürfen wir uns auch nicht wundern über das, was nun geschrieben steht im folgenden Verse.

Vers 9. Da sprach Gott zu Jona: Meinst du, dass du billig zürnst um den Kürbis? Und er sprach: Billig zürne ich bis in den Tod. Gott, der ins Verborgene des Herzens sieht, hat die Veränderung im Herzen Jonä wahrgenommen, hat erkannt, dass der Prophet, der zuvor über Gottes Barmherzigkeit zürnte, nun über Gottes scheinbare Unbarmherzigkeit ergrimmt war, darum fragt er: Meinst du, dass du billig zürnst um den Kürbis? Ja, um den Untergang eines Baumes zürnte jetzt derselbe, der Tags zuvor noch darüber unmutig gewesen, dass der Untergang von Millionen Menschen durch Gottes Barmherzigkeit verhindert war! O in diesem Zorn mochte Jonas ruhig fortfahren! Denn Zorn über das Verderben einer Kreatur ist ja nichts anders als Mitleid mit dieser Kreatur, als Liebe zu ihr. Darum die Antwort, die Jonas gibt: „Billig zürne ich bis in den Tod!“ diese Antwort hat Gott eben durch seine Frage hervorlocken wollen, damit Jonas immer tiefer hineingerate in den Unmut über göttliche Unbarmherzigkeit und dadurch immer gründlicher geheilt würde von seinem früheren Zorne über göttliche Barmherzigkeit. Schwere Übel müssen durch scharfe Mittel geheilt werden; Jonä sündlicher Zorn wurde durch Jonä heiligen Zorn vertrieben. Freilich, noch zürnte Jonas erst über das Verderben eines Kürbis; die Weisheit Gottes musste also noch ein Übriges tun, um Jonä Herz auch zu entflammen zum Unmut über den Untergang einer so großen Stadt, wie Ninive, und damit dasselbe zu öffnen für Gottes Barmherzigkeit über Ninive. Dies geschieht nun in dem, was die beiden letzten Verse des Buches erzählen.

Vers 10. 11. Und der Herr sprach: dich jammert des Kürbis, daran du nicht gearbeitet hast, hast ihn auch nicht aufgezogen, welcher in einer Nacht ward und in einer Nacht verdarb; und mich sollte nicht jammern Ninives, solcher großen Stadt, in welcher sind mehr denn hundert und zwanzig tausend Menschen, die nicht wissen den Unterschied, was rechts und links ist, dazu auch viele Tiere? Ist nicht ein Mensch mehr, als ein Baum? Sind nicht Millionen Heidenseelen mehr, als eine arme Kürbispflanze? Wenn der Jammer über das Gewächs eines Tages menschlich ist, sollte nicht vielmehr der Jammer über Millionen für die Ewigkeit geschaffener Menschen göttlich sein? So fragt der Herr den jammernden Propheten als ein beredter und glänzender Verteidiger seiner eignen Barmherzigkeit.

Es sind in dieser göttlichen Verteidigungsrede der göttlichen Barmherzigkeit mehrere einzelne Züge, die uns gar tiefe und erhebende Blicke tun lassen in den Reichtum der Erbarmungen Gottes. Gott stellt der großen Heidenstadt Ninive gegenüber den flüchtigen Kürbis, an dem Jonas nicht gearbeitet und welchen er nicht aufgezogen habe. Damit erkennt Gott also die Heidenstadt an als ein Werk seiner Hände, das er gepflanzt, begossen und gezogen. Siehe, wie deutlich sich damit Gott schon im alten Testamente hinstellt als der Heiden Gott, als den Gott, der nicht bloß ein Auge hat auf die Schafe in der Hürde Israels, sondern auch auf die in der Wüste verirrten und zerstreuten Schafe. In der Stadt Ninive aber wie liegen da dem Herrn am Herzen die Hundertzwanzigtausend, die nicht wissen den Unterschied von rechts und links, die Kinder, die Kleinen! In Ninive wohnten viel, viel mehr Leute, als 120.000, es waren da wohl fünfmal so viel Einwohner, als in Berlin. Aber der liebe Herrgott gedenkt vor allen besonders der 120.000 Leutlein in der Stadt, die noch nicht wissen, was rechts und links ist. Man könnte meinen, das wäre in Gottes Munde eine sonderbare Bezeichnung für Kinder, die Bezeichnung: Menschen, die nicht wissen, was rechts und links ist. Aber diese Bezeichnung ist sehr vielsagend, wie folgende Geschichte eines Kindes mitten in der Christenheit beweist: Ein Töchterchen konnte durchaus nicht behalten, welches seine rechte Hand und welches seine linke sei. Aber es wollte es doch gar zu gern lernen und behalten. Einen Tag um den andern ist es immer wieder zur Mutter gekommen und hat gefragt: Mütterchen, sag' mir, wo ist rechts und wo ist links? Die Mutter hat auch viele Geduld gehabt und hat's dem vergesslichen Töchterlein immer wieder und wieder gesagt. Aber endlich ist es ihr zu viel geworden; und als das Töchterchen einmal wieder fragte: Mütterchen, wo ist links, wo ist rechts? hat sie dasselbe verdrießlich zur Ruhe gewiesen und gesagt: Du behältst es ja doch nicht! Da fing das Kind an bitterlich zu weinen und schluchzte: Ach, sag' mir's doch nur noch ein einziges Mal, ich will's auch gewiss nicht wieder vergessen. Da sprach die Mutter: Dann sag' du mir doch erst einmal, mein liebes Kind, warum du dir denn dein Köpfchen immer wieder und wieder zerbrichst mit dem links und mit dem rechts? Ja, siehst du, liebe Mutter, schluchzte das Kind, du hast mir doch erzählt, dass der liebe Heiland am jüngsten Tage die Lämmer zu seiner Rechten und die Böcke zu seiner Linken rufen wird, und wenn ich dann nicht weiß, wo rechts ist und wo links, ach, dann könnte ich ja unter die Böcke geraten und in die Hölle kommen. Da hat's die Mutter dem Töchterlein schnell noch einmal gesagt und immer wieder gesagt, bis dasselbe sicher gewusst hat, wo links ist und wo rechts. - Zu dieser Geschichte braucht man nichts weiter hinzuzusetzen; sie liefert, wie sie da ist, die trefflichste Auslegung für die Worte in Gottes Munde: Mich sollte nicht jammern der mehr als 120.000 Menschen, die nicht wissen Unterschied von links und rechts? dazu auch viele Tiere! spricht Gott. Auch die unvernünftige Kreatur steht unter Gottes Erbarmen; denn der Herr ist allen gütig und erbarmt sich aller seiner Werke; wie er die Vögel unter dem Himmel, die nicht säen und nicht ernten und auch nicht in die Scheunen sammeln, doch ernährt, so hört er auch das Seufzen der Kreatur, die der Eitelkeit ohne ihren Willen um der Sünde des Menschen willen unterworfen ist, und will auch sie frei machen von dem Dienst des vergänglichen Wesens; darum wird er aber auch diejenigen nicht ungestraft lassen, die in ihrer Ungerechtigkeit sich des Viehes nicht erbarmen, sondern ihren Tieren Überlast tun oder sie gar reizen und quälen.

Seht da, wie der Herr das Herz des Propheten ausweitet zu einem Mitleid mit aller Kreatur. Sowie nur erst Mitleid mit einem einzigen Baume in Jonä Herz aufgetaucht ist, so hat Gott auch einen Punkt, wo er ansehen kann, und von dem aus er nun über Jonä ganzes Herz Mitleid ergießt, Mitleid mit den Menschen, Mitleid sonderlich mit den Kindern, Mitleid auch mit den Tieren, also dass des Propheten Herz vor Mitleid zerfließt und im Staube das große Erbarmen des großen Gottes anbetet, der ein Herz voll Gnade hat, nicht nur für Israel, sondern für die weite, weite Welt.

Aber betet denn Jonas jetzt wirklich des Herrn Erbarmen an? Bereut er, was er vorhin getan, und freut er sich nun der Barmherzigkeit, die Andern widerfährt? Ist er denn nun tatsächlich kuriert von seiner Angst vor Schmach, und ist es ihm denn nun wirklich um nichts Anderes mehr zu tun, als um Gottes Ehre und aller Menschen Wohl?

Nun, in den Zeilen steht das allerdings nicht, aber unter den Zeilen. Denn wer ist es, der diese ganze Geschichte aufgeschrieben hat? Das ist ja eben Jonas selber. Und wer seine Verirrungen alle so getreulich verzeichnet, so ehrlich alle seine Sünden in die Bibel schreibt und dann zum Schlusse dem großen Gott das letzte Wort lässt, das Wort von seinem göttlichen Erbarmen, ja der berichtet doch eben dadurch seine völlige Bekehrung und Zurechtbringung, ausdrücklicher und nachdrücklicher, als wenn er noch eine breite und ausführliche Erzählung von seinen Bußtränen und Dankeskniebeugungen hinzugefügt hätte. Der alte, trotzige Jonas hatte sich ja breit genug gemacht in diesem Buch; wenn nun der ganze Jonas zum Schluss verschwindet und Gott mit seinem Wort am Ende allein und majestätisch dasteht, so ist das das sicherste Zeugnis, dass eben der alte, trotzige Mensch in Jonas ganz verschwunden und ein neuer Mensch geworden war, der sich ganz und gar versenkte ins Meer der Liebe, die ihm und Ninive widerfahren war!

So ist das Jonasbuch ein Preis der siegenden Gnade Gottes, und das Schweigen Jonä am Schluss ist der lauteste Lobgesang auf Gottes Erbarmen.

Und wir am Schlusse des Buches? O auch wir wollen unser Herz stille machen vor den Gnaden des dreimal Heiligen und schweigend anbeten den, der in beiden Testamenten derselbe Vater der Barmherzigkeit ist, beide über Israel und die Völker! Gelobt sei Er! Amen.

1)
mit Recht
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autoren/q/quandt/jona/jona-_6._stunde.txt · Zuletzt geändert: von aj
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