Quandt, Carl Wilhelm Emil - Die Berge der Bibel - 4. Der Karmel.

Quandt, Carl Wilhelm Emil - Die Berge der Bibel - 4. Der Karmel.

Dem Karmel gilt die Forsetzung unserer gemeinsamen Bergwanderung. Majestätisch tritt er von dem Gebirge Ephraim in das mittelländische Meer hinaus, nördlich von Cäsarea, wo der erste Heide Christ wurde, sündlich von Akko, wo einst St. Paulus einen Tag der Ruhe feierte. Etwa zwölfhundert Fuß fällt er steil zum Meere ab, vielgipfelig, von Hunderten größerer und kleinerer Schluchten durchzogen. Nirgends ist er nackt, überall mit wohlriechenden Gewächsen und mit schattigem Gebüsch überkleidet; Eichen und Fichten kränzen seinen Gipfel, Lorbeer und Olive schmücken seinen Fuß; Hyacinthen und Anemonen blühen an seinen Abhängen; seine Hochebenen sind grasreiche Weidetriften und üppige Getreidefluren. So ist er in der That, was er heißt, ein Karmel d.i. Fruchtgefilde, und nicht mit Unrecht haben ihn neuere Reisende einen Gewürzgarten der Natur genannt.

Die heilige Schrift thut des Berges Karmel zum öfteren Erwähnung; sie preist seine Herrlichkeit und Schöne und schildert Gottes Strafgerichte nicht selten unter dem Bilde der Verwüstung des Karmel. Salomo im Hohenliede vergleicht das Haupt der heiligen Braut mit der erhabenen und lieblichen Gestalt des Karmelgipfels. Der Prophet Jesaias sagt von der Herrlichkeit der messianischen Zeit, daß in ihr der Wüste der Schmuck Karmels gegeben werden soll. Jeremias sagt von einem unvergleichlich mächtigen Könige, daß er daher ziehen werde so hoch, wie der Karmel am Meer. Dagegen wenn schwere Strafgerichte gedroht werden, dann heißt es: Der Karmel ist öde; die Auen der Hirten stehen jämmerlich und der Karmel oben verdorret.

Bekannter aber als durch diese einzelnen gelegentlichen Erwähnungen der heiligen Schrift ist der Karmel durch die biblische Geschichte von den Glaubensthaten des Hauptes der Propheten, dem wir während unserer Wanderung schon auf einem andern Berge begegnet sind, des Thisbiters Elias. Elias, in der stillen Verborgenheit von Gilead durch den Geist Gottes vorbereitet, trat in härenem Gewande und mit ledernem Gürtel als ein gottgesandter Prediger der Buße an den sündenvollen götzendienerischen Hof Ahabs, des Königs von Israel, und sprach und schwur dabei: „So wahr der Herr, der Gott Israels lebet, vor dem ich stehe, es soll diese Jahre weder Thau noch Regen kommen, ich sage es denn.“ Wie er gesagt, so geschah es; denn Gott hatte durch den Mund seines Propheten gesprochen und wenn Gott spricht, so geschieht es; wenn Er gebeut, so stehet es da. Drittehalb Jahre lang fiel kein Thau, noch Regen; schreckliche Dürre und Theurung war die Folge davon; aber Ahab bekehrte sich nicht vom Dienste Baals, zu dienen dem lebendigen Gotte, weder er, noch sein Weib Isabel, noch sein Volk.

Da beschloß der Herr, dem abgefallenen Israel, dem Herrscher und dem Volke, einen Beweis von seiner Göttlichkeit und der Götzen Nichtigkeit zu geben in so großartiger und majestätischer Weise, daß seiner Kraft nur die Verstockung noch widerstehen konnte. Er sagte den Propheten Elias noch einmal zu Ahab. „Bist du es, der Israel verwirret?“ fuhr der gottlose Fürst den Diener Gottes an, gleichwie noch heute die Welt treue und entschiedene Prediger des göttlichen Wortes als Volksverführer und Verderber zu achten und ächten beliebt. Aber mit kühnem Freimuthe entgegnete ihm der Mann Gottes: „Ich verwirre Israel nicht, sondern du und deines Vaters Haus, damit, daß ihr des Herrn Gebote verlassen habt und wandelt Baalim nach. Wohlan, so sende nun hin und versammle zu mir das ganze Israel auf den Berg Karmel und die ganze Schaar der Baalspriester.“ Bald waren denn auch König, Volk und Baalspriester auf der Höhe des Karmel versammelt. Da trat Elias vor das Volk und sprach: “Wie lange hinket ihr auf beiden Seiten? Ist der Herr Gott, so wandelt ihm nach; ist es aber Baal, so wandelt ihm nach.“ Das Volk schwieg. Da erhob Elias abermal seine Stimme und sprach: „Ich bin allein übergeblieben ein Prophet des Herrn, der Propheten Baals aber sind vierhundert fünfzig Mann. So gebt uns nun zween Farren und lasset sie erwählen einen Farren und ihn zerstücken und auf’s Holz legen und kein Feuer daran legen; so will ich den andern Farren nehmen und auf’s Holz legen und auch kein Feuer daran legen. So rufet ihr an den Namen eures Gottes, und ich will den Namen des Herrn anrufen. Welcher Gott nun mit Feuer antworten wird, der sei Gott!“ Und das ganze Volk sprach: Das ist recht. Da quälten sich denn die Baalspriester den ganzen Tag mit vergeblichen Versuchen, mit oft wiederholtem, lautem Geschrei zu Baal ab, Feuer vom Himmel zu erhalten. Aber bei Baal war keine Stimme, noch Antwort. In heiliger Ironie rief Elias ihnen zu: „Rufet laut, denn er ist ein Gott, er dichtet oder hat zu schaffen oder ist über Feld oder schläft vielleicht, daß er aufwache.“ Und sie riefen immer lauter, sie hinkten um den Altar, sie ritzten sich mit Pfriemen; es war Alles umsonst, Baal sah und hörte nichts. Endlich um die Zeit des gesetzlichen Abendopfers rief Elias alles Volk zu einem Altar des Herrn, den einst Diener des lebendigen Gottes auf dem Karmel errichtet und Diener Baals zerstört haben mochten. Mit zwölf Steinen, nach der Zahl der zwölf Stämme Israels, richtete er diesen Altar wieder auf, machte um denselben einen breiten Graben, richtete das Holz zu, zerstückte den Farren und legte ihn auf’s Hold und ließ dreimal überfließendes Wasser auf das Opfer und das Holz gießen, daß dasselbe um den Alter her lief und auch den Graben füllte. Dann trat er hinzu und betete: “Herr, Gott Abrahams, Isaaks und Israels, laß heute kund werde, daß du Gott in Israel bist und ich dein Knecht und daß ich solches Alles nach deinem Wort gethan habe. Erhöre mich, Herr, erhöre mich, daß dies Volk wisse, daß du, Herr, Gott bist, daß du ihr Herz darnach bekehrest!“ Und siehe, aus heiterm, wolkenlosen Himmel fällt das Feuer Gottes und verzehrt Holz, Altar und Wasser; und die Menge, übermannt von dem Allmachtszeichen des wunderbaren Gottes, stürzt auf die Knie und bekennt: Der Herr ist Gott! Der Herr ist Gott! Elias aber, ohne Haß und ohne Furcht, als außerordentlicher Stellvertreter Gottes befahl, die Baalspriester, die als Götzenpriester unter Israel sich des Hochverraths gegen die Majestät Gottes schuldig gemacht hatten, dem Tode zu übergeben, und das Urtheil wurde alsbald an ihnen vollzogen. Das Aergerniß war nun hinweggeräumt, so konnte auch der Fluch der Dürre weggenommen werden. Der Prophet betete in tiefster Demuth und hörte es alsobald rauschen, als wollte es regnen; sein Knabe aber sah eine kleine Wolke aus dem Meere aufsteigen, wie eines Mannes Hand. Bald war der ganze Himmel schwarz von Wolken und Wind, und es kam ein großer Regen. Das ist die große bedeutungsvolle Geschichte, die sich an den Berg Karmel knüpft und die sein Anblick uns in’s Gedächtniß ruft; was lehrt uns diese Geschichte?

Sie lehrt uns vor Allem zuerst, daß es auch für das Reich Gottes auf Erden gilt: Wenn die Noth am größten, ist Gottes Hülfe am nächsten. Die Zeit Ahabs war für das Reich Gottes auf Erden eine Nothzeit im allerhöchsten Grade. Der alte Bund schien verfallen und verloren zu sein, und die Herrlichkeit schien gänzlich zu weichen von Israel. Wohl stand noch der Tempel Jehovahs – aber auch Baal hatte seine Kapellen im Lande. Wohl war das Gesetz Mosis noch vorhanden – aber Israel lebte dahin in Sünden und Schanden. Die Liebe war erkaltet, die Ungerechtigkeit hatte Ueberhand genommen, das Heidenthum war mitten im heiligen Lande in voller Blüthe. Die Existenz des Reiches Gottes stand in allem Ernste auf dem Spiele. Die Noth war groß. Aber größer als der Helfer, ist die Noth ja nie. Der Herr rettete sein Reich auf Erden durch die glorreiche Reformation vom Karmel. Als Alles zu verfallen schien, richtete Elias, der große Reformator des alten Bundes, Alles wieder auf. Auf dem Karmel ward die Nichtigkeit des Götzendienstes vor allem Volk erwiesen, von allem Volke anerkannt; auf dem Karmel wurde der Gottesdienst vom Sinai vor allem Volk erneuert, von allem Volk beschworen. – Es hat im neuen Bunde eine Zeit gegeben, die jener Zeit Ahabs im alten Bunde Zug für Zug gleich war. Das war die Zeit zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts. Da war der lebendige Gott in den Hintergrund getreten vor der menge der Heiligen, die das Volk anbetete. Da war das allgenugsame Verdienst des einigen Mittlers Jesus Christus in Schatten gestellt durch die überschüssigen guten Werke armer, vergötterter Sünder. Da war das große Reichsgesetz des neuen Testamentes, daß es keine Seligkeit giebt ohne den Glauben an Christum, ein Spott geworden durch die römische Irrlehre vom Ablaß für Geld und gute Worte. Die Noth war groß, die Kirche Gottes schien in Trümmer zu fallen. Aber größer als der Helfer, ist die Noth ja nie. Gott machte sich die Stadt Wittenberg zum Karmel und Dr. Martin Luther zum Elias. Gleichwie Elias dem götzendienerischen Geschlechte seiner Tage Buße predigte, so rief Luther in dem ersten seiner 95 Sätze in das Geschlecht seiner Tage hinein: „Da unser Herr und Meister Jesus Christus sprach: Thut Buße u.s.w., wollte er, daß das ganze Leben seiner Gläubigen auf Erden eine stete Buße sei.“ Gleichwie Elias das Sinaigesetz erneuerte, so erneuerte Luther das Reichsgesetz des neuen Bundes, das Sola fide, und zeugte mit St. Paulo: So halten wir nun, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. Gleichwie Elias die Götzen stürzte und das alte Schibolath zur Anerkennung brachte: „Der Herr ist Gott! Der Herr ist Gott!“ so befreite Luther das christliche Volk von dem Regimente der Heiligen und sang vom Herrn Zebaoth: Es ist kein andrer Gott, das Geld muß er behalten. – Aber mächtiger, siegsgewisser als je zuvor, erhebt in unsern Tagen das Heidenthum sein Haupt in der Christenheit. Gottes Wort soll nicht mehr gelten, sein Evangelium soll ein Mährlein sein, seine Kirche wird verhöhnt, seine eigne Existenz vornehm ignoriert oder frech geleugnet. Ein aufgeklärtes Geschlecht glaubt des großen Gottes entrathen zu können, hält die Ewigkeit für einen Traum der Thoren, die Lehre von Sünde und Gnade für Priesterbetrug und das klingende Geld für die allein verehrungswürdige Macht. Dazu kommt, daß unter denen, die es noch mit dem Gott und mit der Kirche der Väter halten, vielfach die allertraurigste Zerrissenheit und ein Hingegebensein an die allerkleinlichsten Interessen herrscht. Die noth im Reiche Gottes ist groß; kühne Wahrsager dieser Welt weissagen, daß das Christenthum sich ausgelebt habe und daß die Bildung des neunzehnten Jahrhunderts die Todtengräberin der Religion des Kreuzes sei. Aber größer als der Helfer, ist die Noth ja nie. „Armes Zion, traure nimmer! Ueber deiner Mauern Trümmer glänzt der Hoffnung ew’ges Licht. Berge weichen, Hügel wanken, doch Jehovahs Heilsgedanken, seine Worte weichen nicht.“ Schon sehen die Augen der Treuen im Lande den neuen Karmel von ferne, auf dem der Gott des neuen Bundes die modernen Götzen zerschlagen und seine Ehre retten wird. Vielleicht ist unter den Säuglingen dieser Tage schon das Kind vorhanden, das einst in der Kraft Eliä allem Christenvolke in Beweisung des Geistes und der Kraft feierlich bezeugen wird: Der Herr ist Gott, der Herr ist Gott! und alles Volk wird Amen sagen. Als im Jahre 1858 die evangelischen Jünglingsvereine der Schweiz zu einer großen, festlichen Generalversammlung vereinigt waren und an einem dieser schönen Tage einen gemeinsamen Ausflug in das nahe Gebirge machen, entdeckten sie hoch auf der Firn, wo sich eine entzückende Aussicht in’s Land vor ihnen aufthat, stolz in eine Felswand eingegraben den Namen „Voltaire“ und daneben die Jahreszahl 1758. Flugs meißelten die Jünglinge darunter: „Das Evangelium lebt noch. 1858.“ Wir vertrauen dem Gotte des Elias und unserm Gotte, daß man abermals nach hundert Jahren als dritte Inschrift in die steile Felswand wird meißeln können: „Das Evangelium hat das Voltairesche Heidenthum besiegt. 1958.“ –

Nicht als ob wir die Hülfe und einen neuen Frühling der Kirche von Menschen hofften. Unsre Hoffnung ruht allein in Gott. Gott ist es, der Gott der Bibel und der Kirche, in dessen Namen unsre Hülfe und Hoffnung steht. Und die Hoffnung auf Ihn läßt Niemanden zu Schanden werden. Die Geschichte vom Karmel lehrt uns, daß wir einen Gott haben, der Wunder thut. Vergeblich quälten sich die Baalspriester ab, von ihren Götzen ein Wunder zu erlangen; der Götze blieb taub, stumm und todt; Götzen thun keine Wunder. Und sind in diesem Stück die modernen Götzen, die man sich aus dem Holz der Gedanken gezimmert hat, gerade so todt, wie die alten Götzen, die aus dem Holz des Waldes fabricirt wurden. Auch der blasse Gott der Stunden der Andacht, der einsame Allvater, der keinen Sohn hat und keinen heiligen Geist, der fünf gerade sein läßt und Alles selig macht, was nicht auf der Verbrecherbank gesessen hat, auch dieser Gott gutmüthiger Lichtfreunde ist taub und stumm und todt und thut keine Wunder. Auch jener Gott, den die falsch berühmten Gedankenkünstler sich construirt haben, der in den Wellen des Meeres und in den Blumen des Feldes seine Träume träumt und in dem Menschen erwacht und sich auf sich selbst besinnt; auch dieser ist ein armer, phantastischer Götze, vielleicht der ärmste und phantastischste von allen. Mag der Mensch in guten Tagen sein Herz fälschlich beruhigen in der Verehrung eines selbsterdachten Gottes, in entscheidenden Lebenslagen ist jeder verlassen und verloren, der keinen andern Gott hat, als ein Gebilde seiner eignen ungeheiligten Einbildungskraft. Nicht minder verlassen und verloren ist an den Wendepunkten des Lebens, wer aus andern Menschen oder aus sich selbst sich seinen Abgott macht, wer dem Cultus des Genius oder dem Cultus seiner eigenen Persönlichkeit huldigt. Verflucht ist der Mann, der sich auf Menschen verläßt und hält Fleisch für seinen Arm und mit seinem Herzen vom Herrn weicht; der wird sein wie die Heide in der Wüste, und wird nicht sehen den zukünftigen Trost, sondern wird bleiben in der Dürre, in der Wüste, in einem unfruchtbaren Lande, da Niemand wohnet. Gesegnet aber ist der Mann, der sich auf den Herrn verläßt und der Herr seine Zuversicht ist. Denn der Herr, der Gott der Propheten und der Apostel, der Gott der Schrift und der Kirche, der geoffenbarte Gott, Gott Vater, Sohn und heiliger Geist, das ist der Gott, der Wunder thut. Ihm war es eine Kleinigkeit, auf das Flehen seines Dieners Feuer vom Himmel fallen zu lassen, das das Opfer verzehrte, und Wasser vom Himmel regnen zu lassen, das die dürre Erde tränkte. Denn Er ist der Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat und noch erhält; vor Ihm hüpfen die Berge, wie die Lämmer und die Hügel, wie die jungen Schafe; vor Ihm zerreißen auch Naturnothwendigkeiten wie Spinnegewebe, und die Bande, mit denen ihn moderne Weisheit an einen isolirten Himmelsthron bindet, wie die Fäden einer Näherin. König Kanut der Große ging einst am Meeresufer spazieren. Seine Hofleute schmeichelten ihm nach Gewohnheit und sagten, er sei ein Gott auf Erden, denn er sei ein Herr über Land und Meer, und nichts sei ihm unmöglich. Es warf gerade ein Sturm die Meereswellen wider die Küste; der König gebot einen Stuhl herzubringen, setzte sich darauf und rief: „Das Land ist mein, darauf ich sitze, und das Meer auf, das dies Land umgiebt. So gebiete ich nun dir, Meer, daß du augenblicklich dich legst und die Füße deines Herrn unberührt läßt.“ Aber die Meereswellen schlugen nach wie von in die Höhe und bespritzten den König über und über. Da stand er auf, deutete auf sich und sprach: „Sehet, das ist ein König!“ Dann zeigte er auf das wogende Meer und an den Himmel und sprach: „Und sehet, das ist Gott!“ – Ja der Herr ist Gott und sonst keiner mehr. Er allein trägt den Namen „Wunderbar“ und Er allein thut Wunder, wie zu Eliä Zeiten, so zu unsern Zeiten und zu allen Zeiten. Er ist ein Erlöser und Nothhelfer und thut Zeichen und Wunder, beides im Himmel und auf Erden. Er breitet den Himmel aus allein und gehet auf den Wogen des Meeres; er spricht zur Sonne, so gehet sie nicht auf, er versiegelt die Sterne; er thut große Dinge, die nicht zu forschen sind und Wunder, deren keine Zahl ist. Der Herr ist groß und sehr löblich, und seine Größe ist unaussprechlich. Er thut, was die Gottesfürchtigen begehren und höret ihr Schreien und hilft ihnen.

Rühmet, ihr Menschen, den hohen Namen
Deß, der so große Wunder thut;
Alles, was Odem hat, rufe Amen
Und bringe Lob mit frohem Muth.
Ihr Kinder Gottes, lobt und preist
Vater, Sohn und heil’gen Geist.
Hallelujah! Hallelujah!

Aber, wie seltsam! Während Macht und Herrlichkeit der Creaturen sich im Umsehn Anerkennung verschafft, hat sich die Majestät des geoffenbarten Gottes nur selten der ganzen vollen Ehrerbietung zu erfreuen, die ihr gebührt. Der Mensch hat seit dem Sündenfall einen unglückseligen Hang, die Creatur zu vergrößern und den Schöpfer zu verkleinern. Daher die traurige Erscheinung, daß auch diejenigen, deren der Bund ist und die Offenbarung, mit dem großen Gotte handeln und feilschen und nur halben Dienst ihm gönnen und halben Dienst den Göttern ihrer Hand zu reserviren versuchen. Solcher gab es Viele zu Eliä Zeit, und es waren noch die Besseren. Sie wollten es nicht ganz mit Gott verderben, sie mochten aber auch nicht von Baal lassen; „halb und halb“, das war ihre Loosung. Aber Elias auf dem Karmel setzte diesem „halb und halb“ sein gewaltiges: „Entweder – oder!“ gegenüber. Er sprach: „Wie lange hinket ihr auf beiden Seiten? Ist der Herr Gott, so wandelt ihm nach; ist es aber Baal, so wandelt ihm nach!“

Von solchem halbirten Wesen sind auch die Ernstergesinnten unserer Zeit vielfach angefressen. Während die Fortgeschrittensten der großen Menge dem Gotte des Heils gänzlich Valet gesagt haben und mit klingendem Spiele in das Lager der vergötterten Vernunft, des vergötterten Mammons, des vergötterten Vergnügens übergangen sind: giebt es heutzutage auch eine ansehnliche Schaar von Halben, die zwischen dem alten Bibelgott und den Götzen dieser Zeit hin und her schwanken. Sie gehn Sonntags in die Kirche des Herrn und sind Montags in den Häusern der Eitelkeit und der Lust zu sehn. Sie opfern dem Herrn eine Sonntagsstunde und dem Mammon eine ganze Woche. Oder sie wollen in der Jugend die Lust der Welt genießen und dann das invalide Leben des Alters dem Herrn schenken. Oder sie sind fromm bei den Frommen und gottlos bei den Gottlosen. Oder sie wandeln in Gottes Geboten, so lange ihr äußerliches Wohlleben nicht darunter leidet; fordert der Herr ein Opfer, dann sind sie nicht zu sprechen. Allen diesen halben Leuten ruft der Mann vom Karmel zu: “Was hinket ihr, betrogene Seelen, noch immerhin auf beider Seit? Dem großen Gott ist alles halbirte Wesen ein Gräuel; in Dingen, die der Seelen Seligkeit betreffen, gilt kein „halb und halb“ sondern nur ein „Entweder – oder!“

Und also ruft nicht nur Elias vom Karmel, so zeugen alle Menschen Gottes, die je gepredigt haben getrieben vom heiligen Geist, so zeugt der große Gott selbst durch ihren Mund. Wider die feige Halbheit, die weder Gott entsagen, noch den Fesseln der Götzen dieser Welt sich entziehen mag, spricht der Heiland Ev. Matth. 6: „Niemand kann zween Herren dienen; entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder wird einem anhangen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon!“ In demselben Sinne schreibt St. Jacobus in seiner Epistel am vierten: „Wisset ihr nicht, daß der Welt Freundschaft Gottes Feindschaft ist? Wer der Welt Freund sein will, der wird Gottes Feind sein!“ Am kräftigsten aber wird das Eliaswort vom Karmel wiederholt in der Offenbarung St. Joh. 3,15, wo dem Engel der Gemeine zu Laodicea geschrieben wird: „Ich weiß deine Werke, daß du weder kalt noch warm bist. Ach, daß du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und weder kalt noch warm, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde!“ So ist also der Zustand der Halbheit im religiösen Leben dem Herrn unserm Gott ein Ekel erregender und zieht völlige Verwerfung nach sich. Darum kein halb und halb, sondern entweder – oder; entweder dem Baal gedient zum ewigen Verlorengehn (aber wer möchte sich denn selbst in den ewigen Tod stürzen!) oder Gott gedient zur ewigen Seligkeit. Gott wolle uns die rechte Entschiedenheit selber geben.

Gieb Elias heil’ge Strenge,
Wenn den Götzen dieser Zeit
Die verführte, blinde Menge
Tempel und Altäre weiht;
Daß wir nie vor ihnen beugen
Haupt und Knie, auch nicht zum Schein,
Sondern fest als deine Zeugen
Dastehn, wenn auch ganz allein.

So gilt es zu beten, und wahrlich, wenn wir im Geist und in der Wahrheit also beten, wird Gott sein gnädig Ohr her zu uns neigen und uns erhören. Denn des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist. Auch diese Wahrheit noch sehn wir an in der Beleuchtung des Feuers auf dem Karmel.

Elias war ein Mensch gleichwie wir und er betete ein Gebet, daß es nicht regnen sollte, und es regnete nicht auf Erden drei Jahre und sechs Monate. Und er betete abermal, und der Himmel gab den Regen, und die Erde brachte ihre Frucht. So schreibt St. Jacobus 5,17.18. Wir können aus der Karmelgeschichte hinzufügen: Er betete um Wasser, und es kam; er betete um Feuer, und es kam auch. Aber der Mann Gottes vom Karmel ist nur Einer aus der großen Wolke von Betern, die wie mit einem Wunderstabe die Thüren und Fenster des Himmels öffneten und betend die Kräfte einer andern Welt auf die Erde herniederzogen. Mosis Gebet hat das rothe Meer geöffnet, Wasser aus dem Felsen geschlagen, Manna aus dem Himmel geholt. Josuas Gebet machte die Sonne stille stehn zu Gibeon und den Mond im Thale Ajalon. Luthers Gebet errette seinen Freund Philippum und seine Frau Katharina vom Tode, und er konnte von sich sagen: „Ich halte mein Gebet stärker, denn den Teufel selbst, und wo das nicht wäre, sollte es längst anders um den Luther stehn.“ Johann Knox, der schottische Reformator, stand in dem Rufe, einen solchen unfehlbaren Freibrief vor dem Gnadenthrone Gottes zu haben, daß die Königin Maria sagte: „Ich fürchte die Gebete des Johann Knox mehr, als ein Heer von 10,000 Mann.“ Auch noch heute giebt es Beter, deren Gebete Dinge vermögen, die zuvor unmöglich und erreichbar schienen. Aber ihrer sind wenige, vereinzelte. Im Ganzen vermögen die Gebete der heutigen Christen herzlich wenig; und wenn die Gebete solcher Männer wie Elias und Moses, Luther und Joh. Knox Berge versetzten, so ist es ein offenes Geheimniß, daß es den Betern dieser Tage oft kaum gelingt, ein Sandkorn von der Stelle zu bringen. Woran liegt das?

An Gott dem Herrn liegt’s wahrlich nicht. Er hat seine großen, köstlichen Verheißungen, daß er uns will erhören, für alle Zeiten, auch für das neunzehnte Jahrhundert, gegeben. Auch für unsere geringen Tage gilt das große Wort: „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgethan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da suchet, der findet; und wer da anklopfet, dem wird aufgethan“ (Matth. 7,7.8). Auch unserem Geschlechte ist die herrliche Aufmunterung gegeben: „Alles, was ihr bittet im Gebet, so ihr glaubet, so werdet ihr empfangen“ (Matth. 21,22.) und die andere: „Was ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich thun, auf daß der Vater geehret werde in dem Sohne“ (Joh. 14. 13).

So kann es nur an uns liegen, wenn wir in unserer Zeit so wenig von der Himmel und Gott bezwingenden Gewalt der Gebete spüren. „Ihr bittet und krieget nicht, spricht Jacobus 4,3, darum, weil ihr übel bittet.“ Elias war ein Mensch wie wir, aber er betete im Glauben, darum ward er erhört. Und wie er, so beteten alle großen Beter im Glauben, darum that der Allmächtige, was sie begehrten. Alles was ihr bittet, so ihr glaubet, werdet ihr empfangen, spricht der Herr. Der Glaube ist für das Gebet, was für den Pfeil die Feder ist; nur vom Glauben entsendet, trifft das Gebet sein Ziel.

Der Glaube dringt durch Stahl und Stein
Und kann die Allmacht fassen,
Der Glaube wirket All’s allein,
Wenn wir ihn wirken lassen.
Wenn Einer nichts, als glauben kann,
So kann er Alles machen;
Der Erde Kräfte sieht er an
Als ganz geringe Sachen.

Aber, hilf Gott, wie schwach, wie einseitig, wie verkümmert ist der Glaube vieler Gläubigen in diesen Tagen! Wie oft wird über allem Streite um den Glauben, der geglaubt wird, vergessen der Glaube, mit dem geglaubt wird. Der Glaube vieler Gläubigen ist nicht ein Panzerhemd, das sie auf der Brust tragen, sondern ein leichter, loser Überwurf, den sie sich über ihre andern Gewänder, die von dieser Welt sind, wie zum Schmucke übergeworfen haben. Ach, daß unsre Gläubigen vom Manne auf dem Karmel glauben lernten, so würden sie auch das erhörliche Beten von ihm lernen. Elias redete nicht blos vom Glauben, lehrte nicht blos den Glauben, sondern lebte den Glauben; all‘ sein Handeln und Wandeln zeigt ihn uns als einen Mann, dem Jehovah Alles war, Gott und Herr, Lust und Liebe, Leben und Freude. Uns aber hat sich Gott noch näher offenbart, als ihm, nämlich in Jesu Christo. Benutzen wir diese uns gegebene Gnade. Ergreifen wir Jesu des Mittlers Hand in ungefälschtem Glauben, so werden unsre Gebete Mauern um uns bauen und auch himmlische Flammen in’s Erdenleben tragen. Ach, daß unser Volk beten lernte im überwindenden Glauben Eliä.

Kann ein einiges Gebet
Einer gläub’gen Seelen,
Wenn’s zum Herzen Gottes geht,
Seines Zwecks nicht fehlen,
Was wird’s thun, wenn sie nun
Alle vor ihn treten
Und zusammen beten!

Ueber einer Grotte des Karmel, in welcher sich Elias aufgehalten haben soll, prangt dermalen das stattlichste Kloster von Palästina, die Heimath der Karmelitermönche. Diese Mönche betrachten den Propheten Elias als ihren Stammvater und sich als seine rechten Nachfolger und Schüler. Ihr Orden, sagen sie, habe bestanden von Elias an; sie nennen die 9 Jahrhunderte des vermeintlichen Bestandes von Elias bis auf Christus das Zeitalter der Propheten, die ersten 11 Jahrhunderte nach Christus das Zeitalter der Griechen und datiren dann vom 11. Jahrhundert an, wo sie nachweislich überhaupt erst auftraten, ihre neue Zeit. Sie haben sich auch weit über Europa verbreitet und sind bekannt durch ihre braune Kutte und braunes Skapulier und durch ihren weißen, mit einer Kapuze versehenen Mantel. Sie meinen dadurch Elias‘ Kinder zu sein, daß sie selten ausgehn, zurückgezogen leben, sich ärmlich nähren, rauh kleiden, bei angestrengter Arbeit wenig sprechen, lange wachen und lange Gebete halten.

Aber nicht das sind die rechten Karmeliter, die dem Manne Gottes Elias nachzueifern suchen durch Möncherei und Einsiedelei und selbsterwählte Geistlichkeit. Nein, mitten im lauten Jagen und Rennen, mitten unter einem unschlachtigen Geschlechte das Leben einsetzen für das Königreich Gottes, mit voller Seele vertrauen auf den Gott, der Wunder thut, den Götzen und Götzendienern dieser Zeit kühn entgegentreten, vor Allem aber anhalten am gläubigen Gebet für sich selbst und für das Volk dieser Tage, daß es erkenne, daß der Herr Gott ist und daß der Herr darnach ihr Herz bekehre, - das heißt, dem Manne vom Karmel nacheifern im Geist und in der Wahrheit, und die solches thun, das sind die rechten Karmeliter. Gott schenke uns in Gnaden viele solche Karmeliter, die es sind und nicht blos heißen, nicht Mönche, sondern Menschen wie Elias, Menschen des Ernstes, des Glaubens und des Gebets, dann wird unser Land blühen wie der Karmel von lieblichem Gewächs und erfüllt sein von einem Geruche des Lebens zum Leben. Amen.

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