Preißwerk, Samuel - Der heilige Geist und die christliche Kirche.

Preißwerk, Samuel - Der heilige Geist und die christliche Kirche.

Die Lehre von dem heiligen Geiste ist aufs engste verwoben mit der Lehre von der christlichen Kirche, denn der Geist ist das Lebensprincip der Kirche. Aber vor allen Dingen: Giebt es einen heiligen Geist? Ein oberflächlicher Sinn kann diese Frage aufwerfen und mit einem keck leugnenden Nein beantworten, weil der Geist seinem Wesen nach nicht für die leiblichen Sinne wahrnehmbar ist. - Giebt es eine christliche Kirche? Der Augenschein lehrt uns, daß wir nur mit einem bestimmten Ja antworten können. Die christliche Kirche steht da als eine geschichtliche Thatsache, ja wir müssen sagen: als eine weltgeschichtliche That und Kraft in umfassendem Sinne. Mit ihrer Entstehung ist eine neue Epoche des Völkerlebens angebrochen, und sie bildet einen so entscheidenden Wendepunkt, daß auch die rein weltliche Geschichte ihre Jahre zählt von der Geburt an des Stifters der Kirche. Unser ganzes, nicht nur religiöses, sondern auch bürgerliches und staatliches Leben ist von ihr durchdrungen, auch da wo wir uns dessen oft nicht mehr klar bewußt sind. Sie hat dem Bestand der Familie seine Weihe gegeben und das Verhältniß der Gatten, der Eltern und Kinder auf rein sittliche Grundlagen gestellt; von ihr ist Bildung des Volkes und öffentlicher Unterricht ausgegangen; in ihrem Schooße hat die Idee der Pflicht, für Alter und Armuth, für Witwen und Waisen zu sorgen, ihren Ursprung und ihre Verwirklichung gefunden, und die allgemein anerkannten Grundsätze der Humanität sind ihre Grundsätze. Es sind dies die thatsächlichen Früchte des Glaubens, den sie bekennt, und sie hat in der Verkündigung wie in der praktischen Anwendung dieses Glaubens auf alle sittlichen Verhältnisse eine unverwüstliche Lebenskraft an den Tag gelegt, welche die Jahrhunderte überdauert.

Wo wir aber Ideen und Grundsätze vorfinden, wo wir eine weltüberwindende innere Glaubens- und Lebenskraft anerkennen müssen, welche in den wechselnden Zeiten und in den verschiedensten Völkern und Menschen den wesentlichen Grundzügen nach dieselbe bleibt und dieselben edeln Früchte trägt, da werden wir zu der Anerkennung geführt: es waltet ein Geist in der Kirche von ihren Anfängen bis auf diesen Tag, und zwar ein einiger, kräftiger und wesenhaft guter Geist. Wir machen ja täglich bei jedem einzelnen Menschen aus seinem leiblichen Leben und Handeln den Schluß auf den Geist, der in ihm wohne; wir reden von dem Geiste, der in einer Versammlung, einer Corporation, einem Volke walte; so sehen wir auch, in noch höherer Weise, einen Geist, der die christliche Kirche durchwaltet. Sowie das Weltall mit seinem Dasein und seinen Gesetzen einen schöpferischen, ewigen Geist voraussetzt, so bezeugt uns die Kirche mit ihrem Bestande und Verlaufe die Existenz des Geistes, durch welchen sie ist was sie ist. Eine Kirche ohne Geist, das wäre erst eine Unbegreiflichkeit, eine Unmöglichkeit. Und zwar können wir uns diesen Geist nicht etwa denken bloß als einen Begriff, als die abstrakte Summe und Einheit der Gedanken und Thaten, die wir in der Kirche vorfinden; er ist nicht ein wesenloses Gedankending, unter welches wir die bunte Mosaik zusammenfaßten, die von Juden, Griechen, Römern, Germanen in christlichem Leben hervorgebracht wäre. Wir müssen ihn im Gegentheil als eine bestimmte, bewußte Wesenheit erkennen, welche ihr eigenes und eigenthümliches Gepräge, ihr Wesen den mannigfaltigen Völkern, Racen, Geschlechtern mitgetheilt und in ihnen zur Entfaltung gebracht hat. Es können uns hiebei die vielfachen Spaltungen und Schäden innerhalb der Kirche nicht irre machen; vielmehr müssen wir gestehen: es ist eine staunenswerthe Erscheinung, daß alle Thorheit, Heuchelei und Bosheit der Menschen in bald zwei Jahrtausenden nicht im Stande gewesen ist, diesen Geist zu ertödten und die Kirche an der Entwicklung nach ihrem Ziele zu hindern. - Ein solcher Geist aber, der nicht mit dem Menschengeiste zusammenfällt, sondern über demselben stehend einen bestimmenden und veredelnden Einfluß auf ihn übt, ein solcher kann nur noch in Gott selber gesucht werden. Und eben das ist es, was die Kirche mit klarem Bewußtsein ausspricht in ihrem Bekenntnisse: ich glaube an den heiligen Geist.

Sie ist jedoch zu diesem Glauben nicht erst durch Reflexion und Verstandesschlüsse gekommen, sondern er ist als eine Wahrheit der Offenbarung Gottes von oben gegeben, welche dann allerdings sich als solche bewährt in ihren geschichtlichen Wirkungen und in der persönlichen Erfahrung des Einzelnen. Diese Offenbarung nun steht im engsten Zusammenhange mit dem ganzen großen Plane Gottes zur Erlösung der Menschen von der Sünde und deren Folgen, mit der Offenbarung Gottes als des Vaters und in dem Sohne.

Das alte Testament ist der Ausdruck des Grundgedankens: Gottesherrschaft. Es sollte ein Reich zur Darstellung gebracht werden, darin Gott selber König, die Menschen sein Volk seien; und zwar galt dies, entsprechend der vorbereitenden Bedeutung jener Periode, zunächst einem besondern Volke in einem besondern Lande. Das war die israelitische Theokratie. Es konnte nun den Anschein gewinnen, als habe dieser Plan in seinen ersten Anlagen fehlgeschlagen; das Reich Israel hatte nach dem babylonischen Exile religiös und politisch ein kümmerliches Dasein gefristet, und war endlich unter römische Botmäßigkeit - sein Königshaus zugleich in Armuth und Niedrigkeit verfallen. Da erschien, gemäß den Verheißungen Gottes durch die Propheten, der Messias.

Jesus nahm ausdrücklich den scheinbar mißlungenen Rath Gottes wieder auf als einen nicht nur nicht gescheiterten, sondern weislich durchgeführten und eben jetzt seiner Erfüllung entgegenreifenden. Seine erste Verkündigung war „die frohe Botschaft vom Reiche Gottes“: die Zeit ist erfüllet und das Reich Gottes nahe gekommen. Es handelte sich nun aber bei ihm nicht um ein bloßes Wiederaufrichten des Alten, sondern um eine Verklärung desselben, eine Ausführung des Vorbildes in Wirklichkeit und Vollendung. Was also auf der vorbereitenden Stufe für ein (Erstlings-) Volk in einem Lande gegolten, das sollte jetzt für die ganze Menschheit über die ganze Erde kommen. Jesu Lehre war nicht eine speciell israelitische, sondern universell für alle Menschen und alle Zeiten gültige; sein Wandel ist das reinste Vorbild nicht etwa israelitischer Tugend und Sitte, sondern allgemein menschlicher Sittlichkeit; in seinem Leiden und Sterben wie in seiner Auferstehung ist er nicht nur Israels Erlöser, sondern der Welt Heiland geworden. Er war nicht nur Davids, er war des Menschen Sohn.

Diesen universalistischen Charakter tragen denn auch die Reden, in welchen er sich näher ausgesprochen über das von ihm gebrachte Reich Gottes oder Himmelreich, und welche fast ausschließlich in Gleichnissen sich bewegen. Wir bemerken namentlich zwei Reihen von solchen Gleichnissen (die uns Matthäus im 13. u. im 24. u. 25. Capitel aufbewahrt hat). In der ersteren hebt Jesus hinsichtlich des Himmelreiches vornehmlich zwei sich ergänzende Seiten hervor: einestheils erscheint dasselbe als ein von höherer Hand gestreuter Same, als Schatz, als Perle, kurz als ein Gut, das die Menschheit nicht selber aus sich hervorbringt, sondern das sie vermöge einer Offenbarungsthat Gottes empfängt; anderntheils ist es doch nicht als etwas Fertiges dargestellt, das (nach jüdischer Vorstellung) in äußerlich herrlicher Vollendung käme, um ohne weiters auf- und angenommen zu werden wie eine reiche Erbschaft oder ein schönes Kleid, sondern es sind edle Keime da, welche nun aber ihre Entwicklung und ihr Wachsthum auf Erden finden müssen. Dies tritt zunächst in den Gleichnissen von viererlei Boden und vom Unkraut im Waizen hervor, in welch letzterem als der Acker nicht etwa das Volk Israel, sondern die Welt bezeichnet ist; den äußern Gang dieser Entwicklung, aus kleinstem Anfange zu umfassender Ausbreitung, stellt das Bild des Senfkorns dar; ihr inneres Wesen entspricht dem Sauerteige, der den ganzen übrigen Teig erobert auf dem geräuschlosen aber siegreichen Wege, daß er ihn in sein eigenes Wesen umwandelt. - Die zweite Reihe der Gleichnisse ist von Jesu am Schlusse seiner Laufbahn zunächst bloß für die Jünger gesprochen, denen ein tieferer Einblick nun geöffnet werden konnte und mußte. Es ist hier ein bedeutsamer Fortschritt des Gedankens zu bemerken. In den früheren Gleichnissen hatte Jesus sein Reich und seine Person nicht auseinander gehalten; das geschieht nun mit bestimmter Unterscheidung zwischen dem Herrn und den Knechten, dem Bräutigam und den Jungfrauen. Hiemit hängt sodann aufs engste zusammen, daß nun die eigene Wirksamkeit und Verantwortlichkeit der Menschen stärker betont wird. Und dadurch tritt endlich auch die Zwischen- und Wartezeit, welche früher leiser angedeutet worden, in ein schärferes Licht; der Abschluß derselben, die Vollendung, steht aber nicht in dem Willen und der Kraft der Knechte, sondern wird von dem Herrn selber durch eine neue Offenbarung seiner Erscheinung herbeigeführt.

So leiten die Reden des Herrn immer deutlicher darauf hin: das Himmelreich als ein herrliches Ganzes ist zukünftig; jetzt ist es zwar begonnen, werdend, aber als vollendetes Reich Gottes ist es „weder hier noch da“. Und es ist dieß nicht etwa nur ein glückliches Auskunftsmittel, womit Jesus ein Mißlingen seiner ursprünglichen Idee verkleidet hätte; vielmehr sehen wir seinen ganzen Lebens- und Leidensgang wie alle seine Reden einen einheitlichen festen Plan verfolgen, welcher mit der Person Jesu selber seiner klaren Ausgestaltung entgegenreift. Die That der Erlösung ist der Sieg, der diese Welt und ihren Fürsten überwunden hat. Von hier aus soll nun die Scheidewand zwischen der Welt und Gott aufgehoben, die Welt mit ihrem Gott versöhnt und wieder vereinigt werden. Das kann aber nicht durch äußere Macht und Gewalt erreicht werden, so wenig als - im engern Kreise - Israel wirklich geheilt und gerettet gewesen wäre durch einen Messias nach seiner Erwartung. Es muß von innen heraus werden. Es würde dem Himmelreich in seinem innersten Wesen widersprechen, Bürger in sich zu fassen, die aus Zwang dazu gehörten; sein Begriff bringt es schon mit sich, daß es nur aus solchen Gliedern bestehen könne, welche durch innere Ueberzeugung dahin geführt sind, welche nicht müssen, sondern dürfen ihm angehören. Gott ist der Gott der Liebe und der Freiheit, und so kann auch nur freier Wille und freie Liebe die Menschheit mit ihm verbinden und ihm ähnlich machen. „Es sei denn, daß ein Mensch von neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen. “ Darum hat Jesus, wie er alle äußere Herrschaft in Israel ablehnte, so auch der gesammten Menschheit gegenüber nach seiner Auferstehung nicht einen Siegeszug des äußeren Triumphes angetreten, sondern seine sichtbare Gegenwart entzogen und seinem Reiche, als welches nicht von dieser Welt sei, zunächst eine rein geistige Laufbahn angewiesen. Was er hinterließ, war ein Häuflein von Jüngern, welche Zeit und Stunde der Vollendung nicht wußten, hingegen die Aufgabe von ihm hatten, als seine Zeugen an Israel und die übrigen Nationen auszugehen, aller Welt die gute Botschaft der Erlösung zu verkünden, und alle Völker auch zu Jüngern zu machen gleich ihnen selbst, indem sie sie tauften und sie halten lehrten alles was er ihnen befohlen.

Die Jünger waren hiemit zu einer Gemeinschaft geordnet, welche in dem Erlöser ihren zusammenhaltenden Mittelpunkt hatte, und nun (als Sauerteig) Menschen um Menschen, Volk um Volk mit ihrem Kreis umspannen sollte. Und die Gemeine, die so vom engsten Jüngerkerne aus nach außen und nach innen zu wachsen und ihrer Vollendung durch den wiederkommenden Herrn entgegen zu reifen die Bestimmung erhielt: das ist die christliche Gemeine oder Kirche.

Und war es ein Mißgriff, daß Jesus diese Aufgabe in die Hände schwacher sündiger Menschen legte? Im Gegentheile. Wenn solche schlichte Zeugen auftraten mit der Botschaft Jesu des Erlösers, so war für den Zuhörer weder Zwang noch Verblendung vorhanden, so blieb ihm die eigene Ueberzeugung und der freie Entschluß aufs zarteste geschont, und dennoch konnte ihm zugleich kein kräftigeres und einladenderes Zeugniß dargeboten werden, als aus dem Munde von Männern, welche - von Natur sündige Menschen wie er - nun den Frieden und die heilige Lebensfülle der Versöhnung in Wort, Wandel und Persönlichkeit vor ihm leuchten ließen. Also Männer des Bekenntnisses, und die für ihr Bekenntniß ihre ganze Person, auch ihr Leben einsetzten, das brauchte Christus zur Grundlegung der Kirche. In diesem Blicke hatte er denn auch zu Simon, dem in dieser Hinsicht hervorragendsten Jünger, jenes Wort gesprochen: du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeine. Fundamentstein des Himmelreiches konnte natürlich nur der Erlöser selber sein; aber die irdische Gemeine, welche sein Zeugniß durch die Welt tragen sollte, die bedurfte zu ihrer Begründung und ihrem Halte einen irdischen Felsenmann des Bekenntnisses. Und das war denn auch Petrus, zunächst für die Muttergemeine in Jerusalem und durch diese für die Kirche überhaupt. Es ist hier natürlich nicht der Ort, auf die römische Mißdeutung jener Worte Jesu einzutreten; ich mache nur beiläufig aufmerksam, wie wenig dieselben, im Sinn und Geist Christi aufgefaßt, dem Petrus über seine Mitapostel oder gar den nachmaligen Bischöfen von Rom über ihre Brüder einen Vorrang der Herrschaft zusprechen, und wie weit entfernt Petrus selber von solcher Anschauung war, wenn er schrieb: nicht als die über die Sprengel herrschen, sondern als die da Vorbilder der Heerde werden (1 Petr. 5,3.).

Indem Jesus seine Gemeine auf solchen Boden stellte, verhehlte er weder sich noch ihr, daß sie somit eine kämpfende und leidende sein müsse, und die Hölle ihre Pforten öffnend ihre Heere wider sie aussenden werde; aber er konnte ihr eben damit zugleich in göttlicher Gewißheit verheißen, daß sie stehen werde wie der Leuchtthurm in der zerschäumenden Brandung.

Er hat seiner Kirche den nämlichen Lauf vorgezeichnet, den er selbst gegangen: aus geringem Anfange durch Anfechtung, Spott und Unterliegen zu Sieg und unvergänglichem Leben. Es tritt uns hierin eine majestätische Größe seines Gedankens entgegen, welche das Gepräge innerer Wahrheit und göttlichen Geistes an der Stirne trägt. Zwar hat schon die Weissagung des alten Testamentes von einer Theilnahme auch der Heiden an dem Messias und seinem Reiche geredet; aber dieses Reich den Heiden (und sogar dem Volk Israel selber) durch eine solche Gemeine des Bekenntnisses zum Verständniß und zur innern Ueberzeugung und Annahme zu bringen, und dann vollends dieses Reich als ein vorerst rein geistiges, äußerlich geschmähtes und angefeindetes zu Sieg und Herrlichkeit zu führen, ja in eben dieser Kirche der gesammten Menschheit ihre höchste Entwicklung und die Erstrebung ihrer edelsten Ziele anzuweisen: das ist ein Gedanke von großartiger Ursprünglichkeit und Genialität - oder sagen wir besser: von göttlicher Tiefe und Weisheit. Wissen wir doch wie engherzig jüdisch jene Verheißungen auch von den Besseren in Israel aufgefaßt wurden, wie selbst die vertrauten Apostel Jesu nur allmälig das volle und ganze Verständniß fanden für den wunderbaren Plan ihres Meisters.

Haben wir in dem Bisherigen die Aufgabe kennen lernen, welche der Herr seiner Kirche vorgezeichnet, so müssen wir nun versuchen darzulegen, wiefern er ihr in dem heiligen Geiste die einzig und vollkommen zureichende Befähigung für die Ausführung derselben zugewiesen.

In der Aufstellung des Zieles hat Jesus der menschlichen Natur die höchste Verheißung gegeben und eben damit die höchste Aufgabe gestellt, deren sie gemäß ihrem göttlichen Ursprung fähig ist; in den Mitteln zur Erreichung des Zieles hat er die weiseste und zarteste Schonung walten lassen gegen die Beschränktheit und Verirrung, der sie durch die Sünde unterworfen ist. Da sehen wir von hüben und drüben den Bogen allmälig sich wölben, der in kühnem festem Schwunge den Abgrund überbrücken soll zwischen den beiden Gegensätzen menschlichen Denkens und Fühlens, zwischen Ideal und Wirklichkeit. Große Denker haben von Alters her schöne Systeme und edle Ideale aufgestellt, aber es hat in denselben keine zeugende Lebenskraft der Verwirklichung gewohnt.

Das schöpferische Wort Jesu war aber eben auch nicht das Product abstrakter Gedanken, sondern die Frucht des heiligen Geistes, durch welchen er zuvörderst an seiner eigenen Person das Ideal der Menschheit in vollendeter Wirklichkeit dargestellt hat. So hatte er einerseits aus eigener innerster Erfahrung die Einsicht, daß sein ganzer großartiger Gedanke ohne die Lebenskraft des Geistes Gottes ein todtgeborenes Ideal wäre, und anderseits legte er den gewaltigen Bau auf Jahrhunderte hinaus auch nur darum so sicher und ruhig an, weil er sich bewußt war, daß er es habe hinauszuführen, daß er jenen Geist zu verheißen und zu geben Macht habe.

Der persönliche Umgang mit Jesu war für die Jünger ein beständiger Quell wachsender Gotteserkenntniß und zugleich ein Halt für die Bewahrung und Festigung des sittlichen Lebens. Diese Pulsader des Lebens aus Gott durfte ihnen nicht unterbunden werden, auch wenn ihr Meister von ihnen schied; darum verhieß er ihnen: ich will euch nicht Waisen lassen, ich bleibe bei euch - aber nun in der neuen Offenbarung Gottes als des heiligen Geistes.

Schon das alte Testament kennt und nennt den heiligen Geist; aber auf jener Stufe wird er nur einzelnen besonders berufenen Männern zu Theil, wie namentlich den Propheten, und auch diesen nur zu gewissen Zeiten der innern Erleuchtung. Jetzt hingegen soll er allen Jüngern Jesu zukommen, und zwar als eine bleibende Gabe der Verklärung für den Geist, die Seele und zuletzt auch für den Leib, gemäß dem Vorbilde des Herrn selber. Eine solche rein geistige, nicht leiblich vermittelte Gemeinschaft mit Gott forderte freilich auch ein ungleich höheres Maaß der selbständigen geistigen Verarbeitung und des freien Willens von Seite der Jünger. Aber das eben wollte ja Christus. So erst wurden sie vollständig seine echten Jünger, durch nichts mit ihrem Gott und Erlöser verbunden, als durch das engste und zarteste Band wesentlicher Einigung: durch freie Liebe.

Ja, der Herr bezeichnet den Jüngern die innere Durchbildung auf diesem Wege als eine Notwendigkeit: es ist euch gut, daß ich hingehe, sonst kommt der Tröster nicht zu euch; - und nicht für sie allein, sondern überhaupt für die Menschheit. Er verheißt ihn als den Geist der Wahrheit, und zwar für die Jünger als den, welcher sie in die ganze Wahrheit führen und den Herrn in ihnen verklären, also sie zur geistigen und sittlichen Vollkommenheit, zum göttlichen Wesen durchbilden werde. Der Welt gegenüber bezeichnet Jesus den Geist als den, der sie mit dem Lichte seines Zeugnisses überführen werde von der Sünde, der Gerechtigkeit und dem Gerichte. Es wird hiemit demselben die eigenthümliche Wirksamkeit zugeschrieben, daß er, so weit die Predigt von Jesu ergeht, ein Ignorieren derselben, ein Verhalten der Indifferenz gegen Jesum zur Unmöglichkeit mache, und die Welt innerlich nöthige, sich zu Jesu in irgend ein Verhältniß zu setzen, indem sie anerkennen muß: nicht glauben an Jesum, sich gegen ihn, die menschliche Verkörperung der Wahrheit und der Liebe feindselig verhalten, das ist die Sünde im Kern und Grundsatz, - so daß sie sich bewußt werden muß: in dem Hingange Jesu zum Vater, in seinem Tode und seiner Erhöhung, da ist die Gerechtigkeit des Sünders vor dem heiligen Gott in vollgültiger Versöhnung aufgerichtet, und damit ist auch der Fürst dieser Welt und in ihm das Böse seinem Wesen nach als ein für die Ewigkeit unhaltbares gerichtet.

Das gepredigte Wort des Evangeliums ist also zunächst der Träger, das Gefäß, durch dessen Vermittlung der heilige Geist, nachdem ihn die Jünger am Pfingsttage empfangen, von diesen aus über die Menschheit sich weiter ausbreitet. Ohne ihn wäre auch das evangelische Wort ein todter und tödtender Buchstabe; da aber er es durchweht, wird es zum Worte des ewigen Lebens, und seine erste Lebenswirkung erzeigt sich in der Sinnesänderung (Buße), dieser ersten Frucht des Zusammenwirkens der gepredigten Wahrheit mit der Erkenntniß und dem Willen des Hörers. Neben das Wort hat Jesus die Taufe gestellt als die feierliche Einpflanzung des neuen Geisteslebens in den Einzelnen, daß er ein Jünger werde, ein Glied am Leibe Christi.

Mit dem Gesagten sind uns zugleich die Organe angedeutet, durch welche der menschliche Geist den göttlichen aufnimmt: durch Vernunft und Gewissen. Wie das Auge des Lichtes bedarf, so tragen diese Organe des menschlichen Geistes das göttliche Licht nicht schon in sich, sie empfangen es erst durch den heiligen Geist. Durch ihn nimmt die Vernunft die reine Gotteserkenntniß des Evangeliums in sich auf; durch ihn gelangt das Gewissen zu dem feinen und reinen sittlichen Urtheil, das wir weder im Heidenthum noch im Judenthum in solcher Schärfe, und namentlich als ein solches Gemeingut nur im Christenthum vorfinden; von da aus wird dann auch der Wille geläutert und durch die neue Lebenskraft des heiligen Geistes zur Liebe Gottes verklärt. So wird die göttliche Wahrheit zum persönlichen geistigen Eigenthum des Menschen, ja zu seinem eigenen Wesen, zur neuen Natur in ihm. Was meine Vernunft im Lichte des heiligen Geistes erkennt, ist ja doch meine eigenste Erkenntniß; was mein Gewissen so urtheilt, ist nicht ein mir fremdes, aufgedrungenes, sondern mein eigenes Urtheil; was mein Wille nun begehrt, ist mein Wille, meine Liebe. Es ist somit die sittliche Erkenntniß meiner Sünde und die bußfertige Verwerfung des Bösen als mein persönliches geistiges Werk vollzogen; und ebenso ist die gläubige Aufnahme der Versöhnung mit Gott in Christo, der Wille und die Kraft einer göttlichen Lebensanschauung und Lebensführung mein persönliches geistiges Eigenthum geworden, so daß ich nun in meinem Selbstbewußtsein mich als einen innerlich neuen, in Gottes Wesen wiedergeborenen Menschen weiß - und das alles doch nicht aus mir selber, sondern in der Lebenskraft des Geistes Gottes, welcher den meinigen durchleuchtet. Das ist das innere Zeugniß, daß wir Gottes Kinder sind, von dem Geiste, der uns lehrt rufen: Abba, lieber Vater. — Und selbst da, wo der Mensch (was seiner Freiheit ja immer offen gelassen ist) sich hartnäckig gegen die Einwirkung des heiligen Geistes verschließt, ist dennoch das Zeugniß des Evangeliums vermöge der inwohnenden Geisteskraft ein so mächtiges, weil göttlich wahres, daß in der That keine Vernunft mehr Jesum und sein Heilswerk ganz umgehen kann, vielmehr die Sünde jeweilen sich im Unglauben gegen den Sohn Gottes, den Erlöser, als Feindschaft wider ihn dokumentieren muß, ja daß kein Gewissen mehr das Böse gut nennen kann, außer in bewußter Lüge.

Wir sehen also in der Wirksamkeit des heiligen Geistes die höchste Kraft des Sieges und der Umwandlung vereinigt mit vollkommener Anerkennung der menschlichen Freiheit und Persönlichkeit. Ganze Völker sind in ihrem Glaubens- und sittlichen Leben durch das Christenthum umgestaltet, und dennoch ist durch das neue religiöse Leben das nationale Gepräge nicht zerstört worden. Jeder Einzelne wird eine neue Creatur, und behält dennoch seinen Charakter, seine Anlagen und Eigenschaften; aber alle diese Züge werden durch den Geist Gottes geläutert, veredelt, geheiligt. Jede Nation, jede Zeit zeigt ihr eigenthümliches christliches Leben; jeder Einzelne erkennt und erfaßt den ewigen Gott in seiner persönlichen Fassungsweise, hat an ihm im prägnantesten Sinne seinen Gott und Heiland; und die Tausende und Tausende der geheiligten Menschengeister spiegeln jeder in seiner Persönlichkeit den einen unendlichen Geist, der alles in allen ist. So ist Gottes Schöpfung: in der unausdenklichen Mannigfaltigkeit die Einheit in Ihm.

Diese Einheit ist aber nicht eine bloß von Gott geschaute, sondern sie wird natürlich - eben durch den Geist - jeder einzelnen Persönlichkeit bewußt, und begründet bei allen, welche Gott in Christo angehören, den engsten Verband geistiger - daß ich so sage: Blutsverwandtschaft; die Kinder des einen Vaters müssen sich unter einander als Brüder erkennen und fühlen, und das begreiflicher Weise ohne Rücksicht auf die dem Fleischesleben anheimfallenden Schranken von Volk, Geschlecht oder Stand. Der Geist, welcher für die Stellung des Menschen zu Gott ein Geist der Erneuerung und der Kindschaft ist, erweist sich in dem gegenseitigen Verhältniß der Geheiligten als Geist der Gemeinschaft. In dieser „Gemeinschaft der Heiligen“ haben wir die Verwirklichung der Wahrheit, welche ohne den heiligen Geist zum Schatten- oder Zerrbild, ja gar zur kraftlosen Phrase wird: daß die Menschen Brüder seien. - Die Gemeinschaft des Christen sowohl mit seinem Gott als mit seinen Brüdern findet nach Christi Anordnung im Abendmahle ihren Ausdruck und zugleich ihre Nahrung, ihre wachsende Förderung und Vertiefung.

Es ist klar, daß dieses Wirken des heiligen Geistes als ein absolut vollkommenes sich erweisen kann und zuletzt muß, daß es aber auch als ein relatives und stufenweises fortschreiten kann. Die Menschheit, als Ganzes und in ihren einzelnen Individuen, vermag nicht, mit Einem Sprunge die Himmelshöhe umfassender Gotteserkenntniß und reinster Heiligkeit zu erreichen; aber sie ist auf Grund der empfangenen Offenbarung und unter dem Zuströmen göttlicher Lebenskräfte der Entwicklung fähig bis zur Vollkommenheit. In Jesu, dem Herrn, erscheint das höchste Ziel aller gottmenschlichen Vollendung, und die Gemeine tritt von ihm gesandt mit keiner geringeren Aufgabe und Verheißung in die Welt, als: dieses Ziel in Jesu endlich zu erreichen. Der heilige Geist seinerseits steckt dem menschlichen Geiste die kürzeren Stationen der allmäligen Entwicklung, erfüllt ihn - wie das Wasser ein Gefäß - immer nur so weit, als er ihn eben zu fassen vermag, bietet ihm jeweilen so viel Licht und innere Kraft, als er in seine Erkenntniß und seine Heiligung zu verarbeiten und umzusetzen vermag; und so wird dem, der da hat, gegeben bis er die Fülle habe.

Es bleibt uns somit noch übrig, einen kurzen übersichtlichen Blick auf den Entwicklungsgang zu werfen, den nun die Kirche unter dieser Einwirkung von Licht und Leben des heiligen Geistes genommen hat.

Pfingsten war also der Geburtstag der christlichen Kirche. Vorher hatte die Jüngergemeine dem Kindlein im Mutterschooße geglichen, dessen Leben noch unselbständig eins ist mit dem der Mutter; am Pfingsttage trat sie ihr eigenes, selbständiges, selbstbewußtes Leben und Wachsthum an. Sie war natürlich anfangs eine einige, nach außen scharf abgegränzte, recht wie ein Tropfen Oel im Wasser; und selbst als es nach den ersten Verfolgungen zum ersten Male eine Mehrzahl gab, als mit der Zeit da und dort neue Gemeinen gestiftet wurden, wußten sich diese alle unter einander nur als Ein Ganzes, als „die“ Kirche, und zwar als die allgemeine, welche zwar noch nicht thatsächlich, aber ihrer klaren Bestimmung nach alle Völker umfaßte. Ihre Glieder hießen Heilige, in dem Sinne wie Paulus schrieb (1 Kor. 6,11): ihr seid abgewaschen, ihr seid geheiliget, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesu und durch den Geist unsres Gottes. Und zwischen diesen Heiligen bestand eine Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe, welch letztere sich thatkräftig in gegenseitiger Unterstützung, Gastfreiheit und andern Diensten kund gab.

Ganz dieser Zeit entsprechend sehen wir nun auch in der ersten apostolischen Kirche nicht wie bei Jesu die Lehre vom Reiche Gottes, sondern die Lehre von der Kirche in den Vordergrund gestellt. Das Wesen derselben und ihr Verhältniß zu Christo wird in den neutestamentlichen Briefen hauptsächlich unter drei Bildern dargestellt. Sie wird mit einem Gebäude verglichen: sie ist der Tempel des Herrn; die einzelnen Glieder sind die Steine des Baues. Hiemit ist sie als ein Ganzes bezeichnet, dessen Bestandtheile nach einem wohl geordneten Plane zu einer heiligen Bestimmung zusammengefügt werden; zugleich ist hiemit angedeutet, daß sie eine äußerlich sichtbare Form habe, deren lebendiger Inhalt Gott durch Christum ist. Dieses Ganze erscheint sodann als ein lebendiges und gegliedertes, als ein Organismus, in dem Bilde des Leibes, dessen Glieder in Einem Lebenszusammenhange stehen durch das Haupt, den Herrn. Die Kirche heißt endlich die Braut Christi. Es ist einleuchtend, wie dieses Bild den Inhalt der beiden andern zusammenfaßt und einen wichtigen weiteren Gedanken hinzufügt; es schildert die bewußte Selbständigkeit der Gemeine dem Herrn gegenüber und zugleich ihre volle Einheit mit ihm in der Liebe. Zugleich ist damit noch ein Ausstehen der letzten Vollendung angedeutet: die Braut hat feste Gewißheit, hohe Freude, und ist dabei doch in einem Stande des Wartens und der Sehnsucht.

Die Kirche in ihrer ersten Erscheinung trug in der That an sich alle Züge einer heiligen, allgemeinen, christlichen, einer Gemeinschaft der Heiligen, wie sie in dem - zwar nicht der Zeit, wohl aber dem Inhalt nach - apostolischen Bekenntnisse genannt wird. Aber sie war das noch nicht in absolutem Sinne; es waren die Erstlinge, noch nicht die volle Ernte; es war die Blütezeit der Kirche. Zwischen die duftige, verheißungskräftige Blüte und die süße Frucht tritt aber die herbe Zeit des Reifens. - Aus diesem Verhältnisse fällt uns auch ein Licht auf eine Erscheinung, die wir nicht ganz übergehen dürfen: das Auftreten der besonderen Geistesgaben, der Charismen, welche sich vom Pfingst- tage an in den ersten Jahrzehnten der Kirche finden und dann allmälig wieder zurücktreten (obwohl sie seither nie ganz erloschen sind). Es liegt in der Natur der Sache, daß wenn der Mensch zum Ebenbilde Gottes verklärt wird, sein Geist dann auch theilhaft werde des Lichtes, der seligen Freude, des durchschauenden und umfassenden (prophetischen) Blickes, der für Leib und Seele heiligenden Kraft, wie sie dem göttlichen Geiste inwohnt, daß die Fülle der Geistesgaben seinem Wesen eigen werde. Das mußte denn auch in der ersten Kirche, gemäß ihrer Eigenschaft als Erstling und Vorbild der Zustände in der Vollendung, seinen Ausdruck finden. Sie bedurfte auch dieser Gaben zur Festigung und Ausbildung des innern Lebens und zur kräftigen Legitimation in ihrem Missionsberufe. Aber bleiben konnten diese Gaben nicht als regelmäßiges Gemeingut: als solches haben sie ihre Stelle erst im Himmelreiche, nachdem die Menschheit auf dem langsamen aber gründlichen Wege der Heiligung fähig geworden zu ihrem allgemeinen Gebrauche und Genusse.

So stand nun die Kirche da als die Schaar der Zeugen Jesu Christi, in Predigt und Wandel ihr Zeugniß ablegend, und mit dem Herzblute es besiegelnd. Nach innen und nach außen ist sie in der Lebenskraft des Geistes gewachsen; aber dieses Wachsthum, dieses Verarbeiten und Durchdringen der göttlichen Offenbarung von Seiten der menschlichen Vernunft, dieses Neugestalten des innersten sittlichen Lebens, das konnte nur durch große Kämpfe erfolgen. Der menschliche Geist entwickelt sich in Ausstellung und Lösung von Gegensätzen; wie damals, als der Geist Gottes über den Wassern schwebte, so auch jetzt, als zur Wiedergeburt der Schöpfung der Geist über das Meer der Völker sich ausbreitete, und das schöpferische „werde“ des Evangeliums in das Chaos der sündigen Welt eindrang: es wird je aus Abend und Morgen, aus Nacht und Licht ein neuer Tag. Theils der leugnende Widerspruch, theils die Irrthümer falscher Auffassung nöthigten die Kirche, den überkommenen Glaubensinhalt zu bestimmten Lehrsätzen auszuprägen; jede Periode hatte hiefür ihr Maaß von Spannkraft und Erkenntniß, und jede folgende fußte auf dem Gewinn der früheren, ihn erweiternd und vertiefend, und zugleich neue Schachte und Stollen in dem großen Bergwerk eröffnend. Sobald aber eine Glaubenswahrheit zum menschlich beschränkten Dogma formuliert war, lief sie auch Gefahr, in der Form zu erstarren oder in falschen Consequenzen und Zuthaten auszuarten; ja ein ganzer Hauptarm des kirchlichen Stromes, die gesammte morgenländische Kirche, verlief in solche Stagnation und Entartung, und dasselbe drohte auch der abendländischen, so daß das Christenthum, einer vergeilten Pflanze oder der erkaltenden Lava vergleichbar, das Schicksal des heutigen Islam getheilt hätte - wenn nicht der Lebensodem des heiligen Geistes, nach mannigfachen vorbereitenden Regungen, mit siegreicher Macht in der Reformation die erstickende Rinde gesprengt und die Berechtigung sowohl als das Bedürfniß des eigenen Nachdenkens und der persönlichen geistigen Erfassung des Heiles wieder zur Geltung gebracht hätte.

Die Reformation stellte die evangelische Grundwahrheit der Rechtfertigung aus Gnaden wieder auf den Leuchter, drang damit auf den persönlichen Glauben und die geistige Wiedergeburt des Einzelnen, und legte die deutsche Bibel dem Volk in die Hand. Es fällt sofort in die Augen, welch ein mächtiger Schritt dadurch gethan war in der Aufgabe der Kirche, eine Gemeine zu werden von freien, innerlich überzeugten, mit Bewußtsein in Gott lebenden Jüngern. Ohne Gegensätze und Kampf geht es aber auch hier nicht ab, und die evangelische Kirche kann nicht unter ihrem Weinstock und Feigenbaum sitzen; sie ist mehr als je „die Kirche im Stande der Ritterschaft“, sie muß ernster als je an ihres Stifters Wort gedenken: ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Sie hat den Kampf um nichts geringeres, als um ihre geistige Berechtigung und Existenz zu kämpfen, damit der Sieg dann auch ihren ewigen Bestand feststelle. Vor allem muß sie sich im eigenen Schooße der alten Gefahr erwehren, in den neu gewonnenen Dogmen abermals zu erstarren, daß sie nicht den Namen habe, sie lebe, und doch todt sei; denn das Reich Gottes steht nicht in kirchlichen Satzungen und Formeln. Es steht aber eben so wenig in philosophischen Formeln. Die Philosophie leistet der Kirche überaus wichtige Dienste zur geistigen Durchdringung und Aneignung der Offenbarungs-Wahrheit; aber selber Offenbarung ist sie nicht, selber Religion werden kann sie nimmer. Denn die Kirche ist nicht das Product menschlicher Gedanken und Begriffe, sondern einer weltgeschichtlichen Heilsthat des übermenschlichen lebendigen Gottes; die Sünde und das Bedürfniß der Versöhnung ist kein bloßer Begriff, sondern eine bittere objective Thatsache wie der Schmerz des Vergifteten, der Hunger des Darbenden; es bedarf daher auch einer erlösenden Thatsache; und das Zeugniß von derselben in dem geschichtlichen Menschensohne, die Mittheilung derselben in der Begnadigung und sittlichen Veredlung des Menschen - das ist die Aufgabe der Kirche, wie sie schon von dem großen Heidenapostel, auch aller philosophischen Verflüchtigung gegenüber, aufgestellt ist: wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Aergerniß und den Griechen eine Thorheit, denen aber, die berufen sind, Gottes Kraft und Gottes Weisheit, auf daß euer Glaube bestehe nicht auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft. Und von diesem Centrum aus muß es sich bewähren, ob Kirchenglaube und Erfahrung sich entsprechen oder nicht.

Es kann nicht ausbleiben, daß, je entschiedener die Kirche auf freies, selbstbewußtes Glaubens- und Heiligungsleben des Einzelnen dringt, je weniger ein äußerer Zwang besteht und ein äußeres Ja-Sagen genügt, daß desto offener und entschiedener die Indifferenz und Feindschaft an den Tag trete, so daß wir die merkwürdige Erscheinung vor uns haben, wie die Kirche an Ernst und Durchbildung des innern Lebens wächst, ihr Leben auch in erneuerter Missionsthätigkeit, ihrem Berufe folgend, kund giebt, und wie zugleich in ihrem Schooße ein großer Abfall von ihrem Glauben und ihrem Leben durch Tausende sich ausbreitet, theils in grobem Materialismus, theils unter wissenschaftlicher Schminke. Es kommt was der Herr der Kirche vorausgesagt hat: es wird die Ungerechtigkeit überhand nehmen, und dadurch die Liebe in vielen erkalten; das Unkraut muß mit dem Waizen wachsen und reifen. Hiemit treten wir an die Grenze der für die irdische Kirche gesteckten Aufgabe; für diesen Zeitpunkt, wenn von innen heraus die Kirche zur Reife des geistigen Lebens erwachsen ist, hat der Herr seine richtende und verklärende Wiederkunft angekündigt, durch welche die geistig vorhandene Wirklichkeit auch ihre entsprechende Gestaltung in der Leiblichkeit finden soll. Dann erst ist auch die Gemeine Christi fähig geworden zu der vollkommenen Gemeinschaft zwischen der Menschheit und der Gottheit, deren höchster Gipfel und innerste Tiefe ausgesprochen liegt in dem Verheißungsworte: wer überwindet, dem werde ich geben zu sitzen mit mir auf meinem Throne, wie auch ich überwunden und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron (Offenb. 3,21). Wie nun aber die Kirche in die dunkeln Gänge des menschlichen Erkennens und Wollens hat eindringen müssen mit ihrer Botschaft, um dieselben zu läutern und zu verklären, so hat sie auch in das staatliche und bürgerliche Leben der Menschheit eingehen müssen, um alle Gebiete derselben zu durchleuchten und die guten Elemente daraus in ihren Lebenskreis zu ziehen und zu heiligen; sie ist zur Staatskirche geworden. Aber auch hierin ist ihre Aufgabe nicht, zu zwingen und zu herrschen, sondern nach dem Vorbild ihres Meisters durch Dienen und Unterliegen ihr Ziel und ihren Sieg zu erreichen. Und auch hier ist sie nur durch die Gegensätze menschlicher Verirrungen und zurechtweisender Leitung des heiligen Geistes vorwärts geschritten. Es war ein glänzender Gedanke, der das mittelalterliche Papstthum durchzog und unter Innocenz III. seine Erfüllung zu feiern schien: die Kirche Herrin der Welt, die Staatsgewalt ihre Lehenträgerin; aber was wahres darin lag, war zur gewaltsamen Anticipation des Reiches Gottes verfälscht, in schroffem Widerspruch zu dem Vorbilde des Herrn der Kirche, von welchem es heißt: er achtete es nicht für einen Raub, sondern entäußerte sich selbst. Aufs engste hing damit zusammen die ebenso unevangelische Scheidung zwischen einem geistlich unwissenden Laienstand und einem privilegierten Clerus. Diesem geistigen Verfall der Kirche mußte auch der äußere Zerfall nachfolgen. Die Reformation hat den geistlichen Beruf der Kirche und das allgemeine Priesterthum aller ihrer Glieder wieder zur Anerkennung gebracht; aber ein Zerbröckeln der Kirche in viele einzelne Landeskirchen war sie nicht im Stande zu verhindern, und eine reine Presbyterial-Verfassung vermochte nicht sich auszubilden, sondern die Kirchen kamen unter Schutz und Regiment der Staatsgewalt.

Wir finden also bei der Kirche vielfachen Abfall im Innern, und nach außen Abhängigkeit vom weltlichen Staate. Das ist denn auch der doppelte Vorwurf, welchen sie von vielen hören muß, die sich deßwegen in besondere Gemeinschaften von ihr abschließen: sie sei ein verweltlichtes Babel geworden. Das gehört mit zu ihrer Kreuzgestalt, und es erfüllt sich auch darin das weissagende Wort ihres Herrn. Sie weiß wohl, daß sie ebenso wenig zur päpstlichen Weltmacht als zum hegelschen Staatsbegriffe bestimmt ist, und sie freut sich dessen; aber sie weiß auch, wie manchem Schwankenden gerade sie noch eine rettende Hand, wie mancher schwachen Kraft eben sie noch einen Damm und einen stützenden Stab darbietet; sie weiß, daß sie die Kirche dessen ist, der mit den Zöllnern und Sündern gegessen hat. Und während sie sich nicht erlaubt, das Joch des Staatsdienstes zu brechen, ehe der Herr sie löst, reicht sie dennoch eine brüderliche Hand allen, die den Herrn Jesum lieb haben in andern Kirchen und Gemeinschaften; sie weiß ja auch, daß in jenen Kreisen allen, und oft mitten unter dichtem Unkraut, sich echte Waizenhalme finden, und daß am großen Tage der Offenbarung der Herr von den vier Enden der Erde Alle, die seines Geistes Stempel tragen, sammeln wird als seinen in Verklärung auferstandenen Leib. Da erscheint dann in der Vollendung was jetzt im werden ist, dann schauen wir, was wir jetzt glauben: die eine allgemeine christliche Kirche, die da ist eine Gemeinschaft der Heiligen - das Reich Gottes.

Darum, wenn sich in unsern Tagen auf geistlichem und weltlichem Gebiete eine mächtige Regung zeigt und die Wellen hoch gehen, so sehen die lebendigen Glieder der Kirche in den ernsten Zeichen der Zeit nicht Anzeichen des Schreckens, sondern sie begrüßen, ihre Häupter erhebend, die Morgenschauer des dämmernden Tages.

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