Plieninger, Gustav Albert Christlieb - Wodurch der Ehestand ein Segensstand wird
Predigt am dritten Sonntag nach dem Fest der Erscheinung
Von Dekan Dr. Plieninger in Stuttgart.
Ev. Joh. 2, 1-11. (I. Jahrgang.)
Und am dritten Tage ward eine Hochzeit zu Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da. Jesus aber und seine Jünger wurden auch auf die Hochzeit geladen. Und da es an Wein gebrach, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben nicht Wein. Jesus spricht zu ihr: Weib, was habe ich mit dir zu schaffen? Meine Stunde ist noch nicht kommen. Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut. Es waren aber allda sechs steinerne Wasserkrüge gesetzt nach der Weise der jüdischen Reinigung, und gingen je in einen zwei oder drei Maß. Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser. Und sie füllt sie bis oben an. Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt es dem Speisemeister. Und sie brachten es. Als aber der Speisemeister kostete den Wein, der Wasser gewesen war, und wusste nicht, von wannen er kam, die Diener aber wussten es, die das Wasser geschöpft hatten, ruft der Speisemeister dem Bräutigam und spricht zu ihm: Jedermann gibt zum ersten guten Wein, und wenn sie trunken worden sind, alsdann den geringeren; du hast den guten Wein bisher behalten. Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen zu Kana in Galiläa, und offenbarte seine Herrlichkeit; und seine Jünger glaubten an ihn.
Von unübersehbarer Mannigfaltigkeit sind die Verhältnisse, wodurch uns Gott mit unseren Mitmenschen in Verbindung gesetzt hat; aber auf diesem weiten und bewegten Felde des Menschenlebens hat Er in seiner Weisheit und Liebe wieder um ein Jedes von uns einen engeren Kreis gezogen, den der Familie. Hier, im häuslichen Kreise, erblühen uns die reinsten Freuden, hier ist die Pflanzstätte aller christlichen Tugenden, hier sammeln wir die Kraft, mit der wir hinaustreten ins Leben, um in weiteren Kreisen zu wirken; hier finden wir Trost, wenn die Welt durch ihr kaltes, liebeleeres Wesen uns abstößt und betrübt. Die Grundlage alles Familienlebens aber ist die von Gott geordnete Ehe, der Bund, den wir in unserem Texte ein Brautpaar schließen sehen. Nun sagt zwar ein altes Sprichwort: „Der Ehestand ist ein Wehestand“, und leider hat dieses Wort bei Bielen, die in diesem heiligen Stande leben, sich erfüllt. „Ach, hätt' ich lieber nicht geheiratet! wie wohl wär's mir, wenn ich noch ledig wäre!“ hört man Ehegatten oft seufzend ausrufen. Allein nicht Alle sprechen so, im Gegenteil erklären andere den Ehestand für einen Segensstand und danken Gott für das viele Gute und Erfreuliche, das ihnen in diesem Stande zu Teil wird. Wo aber der Ehestand ein Wehestand ist, da ist in keinem Falle Gott, der diesen Bund gestiftet hat, daran schuld, sondern die Menschen, die ihn nicht so schließen und nicht so halten, wie sie nach Gottes Willen sollten.
Lasst uns in dieser stillen Andachtsstunde hierüber näher nachdenken, indem wir nach Anleitung unseres Textes unter dem Beistand des göttlichen Geistes betrachten:
Wodurch der Ehestand ein Segensstand wird.
Herr und Gott, regiere
Du unser Herz und Haus,
Dass man es deutlich spüre,
Du geh'st drin ein und aus,
Und man zu allen Stunden
Uns seh ergeben dir,
Zu Lieb' und Treu' verbunden,
Bis du uns rufst von hier! Amen.
In dem drei Stunden von Nazareth entfernten Kana fand eine Hochzeit statt. Da waren also zwei Menschen, die sich gegenseitig gelobt hatten, Hand in Hand durchs Leben zu gehen, Freud und Leid miteinander zu teilen und in unverbrüchlicher Liebe und Treue zusammenzuhalten, bis der Tod sie scheide. Was für Leute waren nun wohl diese Verlobten? Wenn bei uns eine Verlobung bekannt wird, so fragt die Welt vor allem: Haben sie Vermögen? Ist die Braut reich? Hat der Bräutigam ein gutes Einkommen? Wie stand es nun in dieser Hinsicht bei dem Brautpaar von Kana? Da nach jüdischer Sitte die Hochzeit gewöhnlich sieben Tage dauerte, wobei man freilich nicht an fortwährende Schmausereien denken darf, und während dieser Zeit immer neue, zum Teil auch unerwartete Gäste anlangen konnten, so ist das Ausgehen des Weins noch kein Beweis für die Mittellosigkeit jenes Brautpaars. Vielmehr scheint die Anwesenheit eines besonderen Speise oder Tafelmeisters und mehrerer Diener auf einen gewissen Wohlstand hinzudeuten. Dem sei aber, wie ihm wolle, ist Wohlstand genug, um den Ehestand zu einem Segensstand zu machen? Schon Mancher, der eine reiche Erbin heimführte, ist doch ein unglücklicher Ehemann, und Manche, die einen Mann von angesehener Stellung und gutem Einkommen heiratete, ist doch eine unglückliche Ehefrau geworden. Oder ist Schönheit eine Bürgschaft für echtes Glück? Ach, so Mancher, der eine auf allen Bällen und an allen Vergnügungsörtern bewunderte Schönheit zu seiner Frau machte, hat später den Tag verwünscht, an dem er die eitle Puppe in sein Haus führte. Zwar kann die Welt oft nicht genug das Glück von Brautleuten preisen und beneiden wegen ihrer Jugend und anmutigen Erscheinung, wegen der lebhaften Neigung, die Eines für das Andere empfinde, und des reichen Besitzes, dessen sie sich erfreuen. Fragt man aber einige Zeit später wieder nach diesen Beneideten, welch' traurige Veränderungen sind da bei ihnen eingetreten! Von übertriebenen gegenseitigen Ansprüchen erfüllt, konnten sie sich nicht miteinander vertragen; die Liebe ist verflogen, sie sind kalt und fremd gegen einander geworden, und, statt ihre Freude in ihrem gegenseitigen Umgang zu suchen, sucht sie ein Jedes an einem anderen Ort. Oder ist es Verstand, was den Ehestand zu einem Segensstande macht? In Wahrheit ist es für eine Frau von großem Wert, wenn sie sieht, dass ihr Mann alles mit Verstand angreift und Andere um seines Verstandes willen ihn achten, und ebenso für den Mann, wenn seine Frau klug und umsichtig ihr Hauswesen leitet.
Aber das alles, Wohlstand, Schönheit, Verstand das alles reicht bei weitem nicht hin, um den Ehestand zu einem Segensstand zu machen, sondern dazu gehört etwas ganz Anderes und viel Höheres, dass nämlich in Beider Herzen der heilige Glaube an Gott und die heilige Liebe zu Ihm lebt, die sie zu allem Guten treibt. Danach fragt man oft gar nicht, ehe man sich verlobt; hintendrein aber hört man nicht selten klagen: „Mein Mann hat gar keine Religion. Er will vom Beten und Kirchgehen nichts wissen, und wenn ich mit meinen Kindern den Morgen- und Abendsegen lese, verspottet er mich noch.“ Das ist sehr traurig, und darin sah es wohl bei dem Brautpaar von Kana ganz anders aus. Dieses war ohne Zweifel ein gottesfürchtiges Paar. Denn wie wäre es sonst gekommen, dass die fromme Maria nicht bloß zur Hochzeit geladen, sondern augenscheinlich in dem Hause so heimisch war, dass sie mütterlich für das Eine und Andere sorgte? Wie wäre es gekommen, dass Jesus selbst geladen war? O wie gut wäre es, wenn jedes christliche Brautpaar ihn zur Hochzeit lüde! „Alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken,“ schreibt der Apostel, „das tut alles im Namen des Herrn Jesu!“ Mit ihm sollte man zu Rate gehen, ehe man zu einer ehelichen Verbindung sich entschließt; ihn sollte man bitten, am Hochzeitstage, wenn auch unsichtbar, seine segnenden Hände auf die des Brautpaares zu legen; ihn vor Augen und im Herzen sollten Eheleute ihren Lebensweg gehen.
Wo dies geschieht, da wird der Ehestand ein Segensstand. Mit Eifer muss der neue Ehemann seinem irdischen Beruf nachgehen und die junge Ehefrau ihrem Hauswesen obliegen; wenn sie aber den Herrn im Herzen tragen, so gibt er nicht zu, dass alle ihre Gedanken vom Irdischen und Zeitlichen verschlungen werden, dass sie nur auf den äußeren Aufbau ihres Hauses achten, sondern er erhält ihr Auge offen für das Eine, was not ist, lehrt sie gemeinsam nach christlicher Vervollkommnung streben und zu allem Gottgefälligen einander ermuntern, lehrt sie die Liebe, die nicht erkaltet, auch wenn die Rosen der Wangen verblühen, die Treue, welche fest bleibt unter allen Versuchungen, die Friedfertigkeit und Nachsicht, womit Jedes, seiner eigenen Fehler sich bewusst, die Schwächen des Andern geduldig trägt und nur mit Sanftmut es davon abzubringen sucht; er lehrt sie die edle Selbstverleugnung und hingebende Aufopferung, und indem so Beide in allem Guten wachsen, bleiben sie einander nicht bloß, was sie im Brautstand einander waren, sondern werden sich gegenseitig immer mehr, und ihr heiliger Bund verklärt sich zu einem solchen, der nicht bloß für diese Zeit geschlossen ist, sondern für die Ewigkeit. Ein solcher Ehestand aber sollte kein Segensstand sein?
Freilich an Nöten, Verlegenheiten, Prüfungen fehlt es auch im gesegnetsten Ehestand nicht. Das Brautpaar in unserem Texte kam schon im Laufe der Hochzeitsfeierlichkeiten dadurch in eine kleine Not, dass der Weinvorrat auf der Neige war. Aus dieser Verlegenheit möchte die liebreiche und aufmerksame Maria ihnen heraushelfen, sie spricht darüber mit ihrem Sohne, da sie gewohnt ist, wo sie sich nicht selbst zu raten weiß, sich an ihn zu wenden, und Jesus, der zur Stillung seines eigenen Hungers aus Steinen nicht Brot machen wollte, machte jetzt zur Erfreuung Anderer aus Wasser Wein. Mangel kann auch sonst in einem Hausstand eintreten, und zwar gebricht es zuweilen nicht bloß an Wein, was nicht so viel zu bedeuten hätte, sondern auch an Brot und Geld, so dass die Klage laut wird: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Womit sollen wir uns kleiden?“ Wo nun der Ehestand nicht im Aufblick zu dem Herrn geschlossen worden ist und nicht im Aufblick zu ihm geführt wird, da bricht bei eintretendem Mangel gewöhnlich Streit und Hader zwischen den Ehegatten aus. Jedes will die Schuld des Notstandes auf das Andere schieben, und wäre der Mann sich auch bewusst, dass er durch Nachlässigkeit in seinem Berufe, durch sein Wirtshausleben oder sonstige Verschwendung, vielleicht auch durch törichte Spekulationen den Mangel im Hause herbeigeführt hat, so lässt er doch seine üble Laune an seiner Gattin aus; diese erwidert Vorwurf mit Vorwurf, Scheltwort mit Scheltwort, und so wird in vielen Häusern ein täglicher Krieg zwischen Mann und Frau geführt, nicht bloß zum Schaden für ihre eigenen Seelen, sondern auch zum Ärgernis und Verderben für die Kinder, die das alles mitansehen und mitanhören müssen.
Wie ganz anders ist es da bei einem Ehepaar, das sich den Herrn zum Führer und Geleitsmann erwählt hat! Statt bei eintretendem Mangel und Notstand sich gegenseitig mit Vorwürfen zu quälen, ermuntern sie einander, halten nur um so fester zusammen, beten und arbeiten um so eifriger, halten auch die Brosamen zu Rate und hoffen auf den Herrn, welcher verheißen hat, dass es denen, welche am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit trachten, auch im Irdischen am Nötigen nicht fehlen werde. Auch in andern Prüfungen und Heimsuchungen finden Eheleute, die Gott fürchten und den Heiland lieb haben, Trost in ihrem gegenseitigen Werte und ihrer gegenseitigen Liebe, erleichtern sich ihre Last dadurch, dass sie, was sie drückt, mit gemeinsamen Schultern tragen, sehen ihre Zuversicht auf den Herrn, von dem sie wissen, dass er sie nicht verlassen noch versäumen wird, und gehen bewährt im Glauben, in der Ergebung und Geduld aus der Zeit der Trübsal hervor. Ein solcher Ehestand aber sollte nicht ein Segensstand sein?
Sogleich erfüllte Jesus den Wunsch Marias im Texte nicht, „denn“, sprach er, „meine Stunde, die rechte Zeit dazu, ist noch nicht kommen.“ Ebenso werden auch wir zuweilen im Warten geübt, und das ist nötig, denn Wartenkönnen ist eine köstliche Tugend, die man nur durch Wartenmüssen lernt. Ist aber die rechte, für uns beste und heilsamste Zeit und Stunde erschienen, dann verwandelt der Herr gern das Wasser der Trübsal in den Wein der Freude und des Dankes. Die Welt macht es anders: Sie gibt ihren Kindern und Dienern zuerst das Beste, was sie hat, einen berauschenden Vorschmack, hintendrein aber einen schalen, oft widerlichen und bitteren Nachgeschmack. Weil dieselben aber von dem ersteren berauscht sind, zeigen sie sich auch mit dem geringeren, den Träbern der Weltlust zufrieden. Anders der Herr: er reicht den Seinigen oft zuerst einen bitteren Kelch, zuletzt aber guten Wein, und den allerbesten wird er ihnen reichen, wenn sie das himmlische Hochzeitmahl mit ihm feiern in seines Vaters Reich.
Ein Segensstand ist endlich der Ehestand Solcher, die dem Herrn anhangen, weil er ihre Freuden weiht und erhöht. Obgleich die sechs steinernen Wasserkrüge sich mit Wein füllten, ging es doch gewiss bei der Hochzeit zu Kana sehr ehrbar und anständig zu. Sicherlich hörte man keine unziemlichen Reden, keinen Schrei wilder Lust, sicherlich sah man keine umhertaumelnden Betrunkenen, denn Jesus war ja mitten unter den Gästen und erhöhte nicht bloß durch seine Anwesenheit die festliche Freude, sondern weihte und veredelte sie auch, und wie ehrfurchtgebietend und tadellos bei all seiner Leutseligkeit auch damals sein Benehmen war, was für ein Ton durch die Hochzeitsgesellschaft ging, können wir aus den letzten Worten unseres Textes schließen: „Jesus offenbarte seine Herrlichkeit und seine Jünger glaubten an ihn.“
Wenn Brautleute im Ausblick zu Jesu ihren Ehebund schließen und ihn vor Augen und im Herzen ihren Lebensweg mit einander gehen, so weiht und erhöht er ihre Freude. Er lehrt sie alles Gute und Erfreuliche, das ihnen zu Teil wird, als eine Gabe aus Gottes Vaterhand erkennen, wodurch es einen doppelten und dreifachen Wert für sie bekommt; er begleitet sie in die Stunden der Freude, dass sie keinen Stachel der Reue in ihnen zurücklassen, sondern wahre Erfrischungen werden für Seele und Leib. Er lehrt sie höhere Freuden, als die der Welt kennen, die höchsten Freuden des Umgangs mit Gott, des Gebets, des Nachdenkens über himmlische Dinge, die Freude über die Gnade und Barmherzigkeit Gottes in Jesu Christo und die Hoffnung des ewigen Lebens, die Freuden einer der seinigen ähnlichen wohltätigen Wirksamkeit im Geben, Trösten und Helfen. O Herr, wir alle möchten dich in unserem Herzen und Hause haben. Komm, uns täglich den Weg zu unserem wahren Glücke zu zeigen, komm und bleibe bei uns, bis du uns hineinführst zum himmlischen Hochzeitmahle! Amen.