Philipps, Dirk - Ein Abschnitt aus: "Die rechte Erkenntniß Jesu Christi".
Es ist allen Christen nöthig, darüber nachzudenken und die Ursachen zu erwögen, weshalb die Weisheit Gottes, das Wort Gottes, der Sohn des Allerhöchsten, sich also erniedrigt hat und ein Mensch geworden ist. Da nennen wir als die erste die: unsere Sünden hinwegzunehmen (1. Joh. 3, S.) Denn nachdem Adam Gottes Wort außer Acht gelassen und gegen Gottes Befehl von dem Baum der Erkenntniß des Guten und Bösen gegessen hatte, ist er des Todes gestorben (gemäß Gottes ausgesprochener Drohung, 1. Mose 3, 6) und mit ihm Alle, die von ihm abstammen bis an das Ende der Welt, denn sie kommen Alle von einem todten Adam, darum sind sie auch Alle dem Tode unterworfen.
Sollte nun diese Sünde bezahlt, dieser Tod weggenommen, der Gerechtigkeit Gottes Genüge gethan und dem todten Menschen das Leben wiedergebracht werden, so mußte der Sohn des Allerhöchsten ein sichtbarer Mensch werden, unsere Sünden auf sich nehmen, für uns sterben und durch seinen Tod und Blut über Teufel, Sünde, Tod und Hölle triumphiren, ja durch das ewige Opfer seines Leibes mit Gott seinem Vater uns ewiglich versöhnen. Darum sagt Johannes, der Sohn Gottes sei erschienen, unsere Sünden wegzunehmen und die Sünde sei nicht in ihm; (l. Joh. 3, 6) und Paulus sagt, indem Christus uns von dem Fluch des Gesetzes erlöst habe, sei er für uns ein Fluch geworden; (Gal. 3, 13) und wieder: „Was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Gesetz geschwächt war, das that Gott und sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches und verdammte die Sünde im Fleisch durch die Sünde“, das heißt, wie der Apostel selbst mit andern Worten erklärt: „Gott hat den, der von keiner Sünde wußte, (dies ist Christus Jesus, der eingeborne Sohn Gottes), für uns zur Sünde, (nämlich zu einem Opfer für die Sünden) gemacht, ans daß wir in ihm würden die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt“. (Rom. 8, 3. 2. Cor. 6, 2l.)
Um dieser Gerechtigkeit willen, d. h., auf daß wir möchten gerechtfertigt werden, hat Christus sich selbst in den Tod dahingegeben und ist der Allerverachtetste unter allen Menschen geworden, wie der Prophet Jesaias Cap. 53, 5 ff. sagt: „Er hatte keine Gestalt noch Schönheit, wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte; er war der Allerverachtetste und Unwertheste, voller Schmerzen und Krankheit, er war so verachtet, daß man das Angesicht vor ihm verbarg, darum haben wir ihn nichts geachtet. Obwohl er doch in der That unsere Krankheit trug und unsere Schmerzen auf sich lud, hielten wir ihn für den, der von Gott gestraft, geplagt und gemartert werde, so er doch um unserer Missethat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen ist, denn die Büßung unserer Strafe liegt auf ihm, und, durch seine Wunden sind wir geheilet“ rc.
Darum konnte Christus in der Zeit seiner Leiden wohl sagen, wie David von ihm geweissagt hatte: (Ps. 22, 8.) „Ich bin ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute und Verachtung des Volks; Alle, die mich sehen, spotten meiner, sperren den Mund auf und schütteln das Haupt;“ und wiederum: (V. 17): „Hunde haben mich umringt und der Bösen Rotte hat sich über mich hergemacht; sie haben meine Hände und Füße durchgraben; ich möchte alle meine Gebeine zählen, sie aber schauen mich an und haben ihre Lust an mir; sie theilen meine Kleider unter sich und werfen das Loos um mein Gewand“.
Darin offenbart sich nun die Gerechtigkeit Gottes, daß er seinen Eingebornen Sohn so geschlagen und erniedrigt hat, um der Sünde seines Volkes willen, denn wie sehr Gott die Sünde haßt, erhellt daraus, daß er sich wegen des Ungehorsams und der Übertretung eines Menschen, (durch welche dann wir alle Sünder geworden sind), nicht hat lassen versöhnen, (denn seine Gerechtigkeit währet ewig), bevor er nicht seinen lieben Eingebornen Sohn so jämmerlich von den Gottlosen und Heiden hat lassen behandeln, seinen keuschen und heiligen Leib so hat lassen verwunden, sein Haupt mit einer Dornenkrone so hat lassen durchstechen und zuletzt den bittern und schmachvollsten Tod am Kreuz für uns ihn hat lassen erleiden.
Ach, was hat der Eingeborne Sohn Gottes, Jesus Christus, unser Herr und treuer Erlöser für uns Alles gelitten! Der die ewige Weisheit und Wahrheit Gottes ist, die nicht lügen noch täuschen kann, den haben sie einen Lügner und Betrüger des Volks gescholten! (Joh. 7, 12.) Der die ewige Gerechtigkeit und Heiligkeit aller Gläubigen (1. Cor. l, 29) und das unschuldige Lamm Gottes ist, (Joh. 1, 29) das von keinen Sünden weiß, ja die Sünden der Welt wegnimmt, den haben sie unter die Missethäter gerechnet! (Matth. 27, 37.) Der der Friede ist aller Christen und die Versöhnung (2. Cor. 5, 19, Eph. 1, 12 und 13) für Alles, was im Himmel und auf Erden ist, den haben sie beschuldigt und angeklagt, ein aufrührerischer Sektenmacher zu sein! Vor dem, welcher der Abglanz des ewigen Lichts und ein unbefleckter Spiegel der göttlichen Klarheit und das Ebenbild des unsichtbaren Gottes ist, (Weish. 7, 26, Luc. 1, 15, Hebr. 1, 3) an dessen Anschauen sich die Engel im Himmel freuen, (1. Petri 1, 12) und in dessen Klarheit sich alle Gläubigen auf Erden spiegeln, (2. Cor. 3, 18) vor dem haben sie ihr Angesicht verborgen und vor Pilatus gerufen - hinweg! hinweg! kreuzige ihn! (Matth. 27, 22.) Ja den, der da ist der Herr der ganzen Welt, den haben sie verleugnet und ihn als ihren König nicht annehmen wollen! Der alle wahren und gläubigen und getauften Christen bekleidet mit dem Kleide der Gerechtigkeit und mit dem Mantel der Seligkeit, den haben sie entblößt und ihn nackt ans Kreuz geschlagen und haben seine Kleider unter sich getheilt und über sein Gewand das Loos geworfen! (Ps. 22, 19.) Der allen dürstenden Seelen das Wasser des Lebens umsonst giebt, (Joh. 4, 10) dem haben sie in seinem Durst Essig zu trinken gegeben! Und den, der der Herzog des Lebens ist, den haben sie getödtet! Und alles Dieses hat der himmlische Vater, der allmächtige Gott, seinem Eingebornen Sohne, Jesu Christi, auferlegt um unserer Sünden willen, und wird doch Solches, leider! von der ganzen Welt so wenig bedacht. Es rühmen sich heutigen Tages wohl viele Menschen des Verdienstes Jesu Christi, seines Todes und Blutes, aber Wenige werden gefunden, die mit rechtem Fleiß das Leiden des Herrn also bedenken und zu Herzen nehmen, daß sie dadurch gebessert werden, der Sünde sterben und der Gerechtigkeit leben.
Zum Andern hat Gott seinen Eingeborenen Sohn in die Welt gesandt, daß wir durch ihn leben sollen, wodurch uns Gott seine natürliche Gunst und Liebe in so überreichem Maße erzeigt hat, und zwar nicht um irgend eines Menschen guter Werke willen, denn wir hatten Alle gesündigt, sondern um deswillen, weil Gott, der da wahrhaftig ist in seinen Worten, seine Verheißungen, die er Adam, Abraham, Isaak, Jakob, David und den andern Vätern gegeben hatte, getreulich halten, den ganzen Reichthum seiner Gnade über uns ausgießen und nach seiner Barmherzigkeit uns selig machen wollte, wie geschrieben steht: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingebornen Sohn gab“, und wie Paulus an die Römer schreibt: „Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? Welcher auch Seines eigenen Sohnes nicht hat verschonet, sondern hat ihn für uns Alle dahingegeben, wie sollte Er uns mit ihm nicht Alles schenken!“ (Röm. 8, 3l.)
Daran ist nun, wie Johannes sagt, die Liebe Gottes fühlbar geworden, daß Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, daß wir durch ihn leben sollen. „Darin stehet die Liebe, nicht, daß wir Gott geliebt, sondern daß Er uns geliebt und gesandt Seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden“. Und dies hat Gott für uns gethan, da wir noch seine Feinde waren, wie Paulus bezeugt, daß Christus, da wir noch schwach waren, nach der Zeit, für uns Gottlose gestorben ist und weiter, daß Gott seine Liebe gegen uns dadurch preiset, daß Christus für uns gestorben ist, da wir noch Sünder waren.
Darum mögen wir mit dem Propheten wohl sprechen: Gott hat nicht mit uns gehandelt nach unsern Sünden und hat uns nicht vergolten nach unsern Missethaten. Denn das müssen wir Alle mit Paulo wohl bekennen, daß wir vormals unsern Wandel hatten unter den Kindern des Unglaubens, in den Lüsten unseres Fleisches, und thaten den Willen des Fleisches und der Vernunft und waren auch Kinder des Zorns von Natur, gleichwie auch die Andern. „Aber Gott,“ sagt der Apostel, „der da reich ist an Barmherzigkeit, nach Seiner großen Liebe, damit er uns geliebet hat, als wir noch todt waren in Sünden, hat er uns mit Christo lebendig gemacht (denn ans Gnaden seid ihr selig geworden) und hat uns mit ihm auferweckt und mit ihm in das himmlische Wesen versetzt in Christo Jesu, auf daß er erzeigete in den zukünftigen Zeiten den überschwenglichen Reichthum Seiner Gnade durch Seine Güte über uns in Christo Jesu. Denn ans Gnaden seid ihr selig geworden durch den Glauben und dasselbige nicht aus euch, Gottes Gabe ist es, nicht aus den Werken, auf daß sich nicht Jemand rühme“. (Ephes. 2, 4.)
Wenn wir nun diese unergründliche Gnade und Barmherzigkeit Gottes, des Vaters, welche uns in Christo Jesu erschienen ist, recht bedenken, so wird dadurch in unsern Herzen die Liebe zu Gott entzündet, denn wie sollten wir einen solchen gnädigen und barmherzigen Vater, der uns so herzlich geliebt hat, nicht wieder lieb haben? Darum sagt Johannes: „Wir lieben Gott, weil Er uns zuerst geliebt und daran erkennen wir, daß wir ihn lieb haben, daß wir seine Gebote halten“, gleichwie auch Christus selber zu seinen Jüngern sprach: „Liebet ihr mich, so haltet meine Gebote; wer meine Gebote hat und hält sie, der ist es, der mich liebet“. Ferner: „Wer mich liebet, der wird mein Wort halten, wer mich aber nicht liebet, der hält meine Worte nicht“ (Joh. 14, 15.) Ferner wissen wir, daß, so wir Gott lieben, wir in dieser Liebe auch seine Kinder, das ist, alle wahren Christen lieben. Denn Niemand kann Gott lieben, oder er muß auch die lieb haben, die aus Gott geboren sind, wie Johannes bezeugt, (l. Joh. 4, 21.)
Aus allem Vorbemerkten erhellt nun, welches die rechte Erkenntniß Jesu Christi, unseres Herrn und Seligmachers, sowohl nach seiner Gottheit als nach seiner Menschheit ist, und daß wir beide, die Gerechtigkeit und die Liebe Gottes, wie sie uns in Christo offenbart ist, bedenken müssen: Gottes Gerechtigkeit über die Sünde, welche an einer so hoch herrlichen Person, nämlich an dem Eingebornen Sohne des lebendigen Gottes so hart gebüßt und gestraft ist, Gottes Liebe aber gegen uns, daß der himmlische Vater seinen eigenen Sohn für uns dahingegeben hat, auf daß, wer an ihn glaubt, nicht verloren werde, sondern das ewige Leben habe.
Das ist nun die rechte Erkenntniß Jesu Christi, welche auch das ewige Leben ist, wie Christus selber sagt: „Das ist das ewige Leben (o Vater) daß sie Dich, der Du allein wahrer Gott bist, und den Du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen.“ Aber diese Erkenntniß ist nun nicht ein bloßes historisches Wissen von Christo, wie Viele meinen, sondern ein lebendiges und kräftiges Werk Gottes in den Menschen, wodurch er verändert, aus Gott neu geboren, und mit dem heiligen Geist erleuchtet und begabt wird, also daß er gesinnt ist wie Christus, dessen Bruder und Mitgenosse er durch den Glauben und die Wiedergeburt geworden. Darum kennen nicht Alle Christum, die ihn mit dem Munde bekennen. Denn „dadurch“, sagt Johannes, „wissen wir, daß wir ihn erkannt haben, daß wir seine Gebote halten. Wer da sagt: ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner und in Solchem ist nicht die Wahrheit. Aber wer sein Wort hält, in dem ist die Liebe Gottes vollkommen. Wer da sagt, daß er in ihm bleibt, der soll auch wandeln, wie er gewandelt hat.“ (l. Joh. 2, 3.) An diesen Worten läßt sich leicht ermessen, wer Christum recht erkennt und wer nicht.
So ist nun Jesus Christus, der Eingeborne Sohn des lebendigen Gottes, wahrhaftig Gott und Mensch, und diesen hat uns der himmlische Vater zu einem Herrn und Meister gegeben und hat vom Himmel herab bezeugt: „Dies ist mein lieber Sohn, an welchen ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören.“ Ja, es gefiel ihm, daß die ganze Fülle der Gottheit wesentlich in ihm wohnen und daß in ihm das ewige Leben sein sollte, aus daß wir Alle aus seiner Fülle empfingen Gnade um Gnade und daß wir durch ihn und von ihm und in ihm das ewige Leben überkämen, nach dem Worte Christi zu Martha: „Ich bin die Auferstehung und das Leben, wer an mich glaubet, der wird leben, ob er gleich stürbe; und wer da lebet und glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben.“
Da nun in dem Sohne Gottes das Leben ist und er alle Dinge erhält mit seinem kräftigen Wort und Alles in ihm besteht, darum besteht auch der Mensch in ihm und in seinem Wort, so lange als er mit einem rechten Glauben und Gehorsam darin bleibt, wie auch Christus selber bezeugt, indem er spricht: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, wer mein Wort hält und glaubet dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen“. (Joh. 5, 24.) Und wiederum spricht er: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, so Jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich“. (Joh. 8, 5l.) Denn die Worte Christi sind Geist und Leben, das Evangelium, wie Paulus sagt, ist eine Kraft Gottes, selig zu machen Alle, die daran glauben. Die Lehre Jesu Christi ist das Wort des himmlischen Vaters. Die Lehre des Sohnes und das Zeugniß des h. Geistes geht über alle Lehre der Propheten und in ihr ist enthalten Alles, was zur Gottseligkeit dient und sie fördert. Der Wille des himmlischen Vaters kann auch nirgends so deutlich gefunden und erkannt werden, als in den Worten Jesu Christi, durch welchen der Vater am letzten in diesen Zeiten zu uns geredet, seinen Willen uns verkündigt und vollkommen ausgesprochen hat, also daß Alles, was den Worten Christi entgegen ist, oder nicht mit ihnen übereinstimmt, nicht Gottes Wort und Wille ist. Denn ein anderer Grund darf nicht gelegt werden, als der da gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. Ein anderes Evangelium darf nicht gepredigt werden, als dasjenige, das uns von Christo und seinen Aposteln gepredigt und hinterlassen ist. Ja, Paulus schreibt an die Galater: „So wir oder ein Engel vom Himmel euch Evangelium predigten anders, als das wir euch gepredigt haben, der sei verflucht. Wie wir jetzt gesagt haben, so sagen wir auch abermals: So Jemand euch Evangelium prediget, anders, denn das ihr empfangen habt, der sei verflucht.“ (Gal. 1, 8.) Diese Worte möge doch jeder Christ wohl erwägen, daß nämlich selbst ein Engel vom Himmel verflucht ist, der anders lehren würde, als Paulus und die andern Apostel gelehrt haben. So gilt also keine Lehre, die mit der Lehre Jesu Christi und seiner Apostel nicht überein kommt, und der Mensch lebt nicht durch andere Worte, die aus menschlichem Willen hervorgebracht sind, sondern allein aus den Worten Gottes, die Christus und seine Apostel uns verkündigt haben. Hier ist das Himmelsbrod, hier ist das Wasser des Lebens. Hungert Jemand nach der Gerechtigkeit, hier findet er das Brod des Lebens, und wer davon esset, der wird stark und gesund in Christo, dessen Seele wird gesättigt, also daß ihn nicht hungern wird nach dem Sauerteige der Pharisäer und Sadducäer; dürstet Jemand nach seiner Seelen Seligkeit, hier findet er die allerlauterste Quelle, und wer aus diesem Brunnen trinken wird, in dem wird es ein Brunnen des lebendigen Wassers werden, das in das ewige Leben quillt, (Joh. 4, 14) so daß ihn nimmermehr dürsten wird nach dem unreinen Wasser der Menschenlehre. Ist Jemand begierig nach der himmlischen Weisheit, der komme zu Christo und lerne von ihm, denn er ist sanftmüthig und von Herzen demüthig, und alsdann wird er für seine Seele Ruhe finden, dann wird er von Gott gelehrt werden und die rechte Weisheit empfangen. Denn Christus ist ein solcher Meister, und sein Wort von solcher Beschaffenheit und Kraft, daß, wer es mit gläubigem Herzen annimmt und bewahrt, in der einfältigen Lehre Jesu Christi den unaussprechlichen Rath himmlischer Weisheit finden und in dem Worte vom Kreuz, welches auf den ersten Anblick thöricht und verächtlich erscheint, sehen und erkennen wird, wie weit dasselbe alle menschliche Klugheit überragt, mag dieselbe noch so hoch und herrlich sich darstellen. Darum sagt Paulus zu den Corinthern: „Ich hielte mich nicht dafür, daß ich etwas unter euch wüßte, denn allein Jesum Christum, den Gekreuzigten“. (1. Cor. 2, 3.) So muß nun auch ein jeder Christ thun und seine ganze Lust an dem Evangelium haben, Tag und Nacht sich damit beschäftigen, in seinem Innern sich darüber besprechen, dann wird er die Süßigkeit desselben schmecken, so daß er mit David sagen wird: „O Herr, wie süß ist Dein Wort meiner Kehle, mehr denn Honig meinem Munde!“
Aber diese Süßigkeit und Kraft des wahrhaftigen Himmelsbrodes kann Niemand recht erfahren, als derjenige, welcher nach der Gerechtigkeit hungert und durstet und mit David sagt: „Wie ein Hirsch schreiet nach frischem Wasser, so schreiet meine Seele, Gott, zu Dir; meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott“. (Ps. 42, l.) Und wiederum: „Gott, Du bist mein Gott, frühe wache ich zu Dir, es dürstet meine Seele nach Dir in einem trockenen und dürren Lande, da kein Wasser ist.“ (Ps. 63, 2.)
Wer nun also dürstet nach dem lebendigen Gott, hungert nach dem Brode des Himmels, und verlangt nach dem Wasser des Lebens, der wird ohne Zweifel vollständig gesättigt werden, gemäß Christi Zusage: „Selig sind, die da hungert und durstet nach der Gerechtigkeit, sie sollen satt werden“ (Matth. 6, 6.) Und weiter bezeugt er: „Ich bin das Brod des Lebens, wer zu mir kommt, den wird nicht hungern und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dursten“. (Joh. 6, 35.) Und in der Offenbarung Joh. lesen wir von denen, welche aus großer Trübsal gekommen sind und haben ihre Kleider gewaschen und helle gemacht im Blute des Lammes und sind darum vor dem Stuhl Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel: „Sie wird nicht mehr hungern und dürsten, es wird auch nicht auf sie fallen die Sonne oder irgend eine Hitze, denn das Lamm mitten im Stuhl wird sie weiden und leiten zu dem lebendigen Wasserbrunnen und Gott wird abwischen alle Thränen von ihren Augen.“ (Offenb. 7, 14.)
So werden also die, welche an Jesum Christum glauben, welche aus einem jeglichen Worte, das aus dem Munde Gottes geht, leben und mit dem Brode des Himmels gespeist werden: an der Speise des Lebens keinen Mangel haben, sie werden auch nach dieser Zeit ewiglich gesättigt werden, wenn Gott Alles in Allem sein wird. Dagegen die, welche die Süßigkeit des göttlichen Worts und die Kraft der zukünftigen Welt geschmeckt haben und des heiligen Geistes theilhaftig geworden sind, weichen aber wiederum ab und sündigen muthwillig, nachdem sie die Erkenntniß der Wahrheit empfangen haben, und verachten in ihrem Hochmuth Christum und sein Wort: die können nach des Apostels Ausspruch nicht wieder erneuert werden zur Buße, denn sie kreuzigen ihnen selbst den Sohn Gottes und treiben ihren Spott damit, ja sie treten den Sohn Gottes mit Füßen und achten das Blut des neuen Testaments unrein, durch welches sie geheiligt sind, und schmähen den Geist der Gnaden. (Hebr. 6, 5. 10, 26.) Darum giebt es auch für sie kein anderes Opfer mehr für ihre Sünden, sondern allein ein schreckliches Warten des Gerichts und des Feuereifers, der die Widerwärtigen, d. i., die sich gegen Christum und sein Wort auflehnen, verzehren wird. Denn unser Gott ist ein verzehrendes Feuer.
So ergeht nun an alle meine herzlich geliebten Brüder und Schwestern meine brüderliche Ermahnung, meine freundliche Bitte und mein wohlgemeinter Rath: Habet Acht auf das, was euch obliegt, und so viel euch Gott Einsicht geschenkt, so viel Christus sich in eurem Herzen offenbart, so viel Gott euch durch s. Geist verliehen hat, so viel ihr von dem Brode des Himmels gekostet und von dem Wasser des Lebens aus der Quelle der Seligkeit getrunken habt: o, bewahret Selbiges treulich, wachset und werdet stark an dem inwendigen Menschen, damit ihr freudig wandeln mögt auf dem Wege des Herrn zu dem Lande der Verheißung, zu dem himmlischen Jerusalem, und ihr nimmermehr lüstern werdet nach den Fleischtöpfen Aegyptens, nach dem Sauerteige der Pharisäer, noch nach dem unreinen Wasser menschlicher Weisheit, sondern daß euer Verlangen gerichtet sei nach dem wahrhaftigen Himmelsbrode und aller euer Durst nach dem Wasser des Lebens.
O welch einen köstlichen Tisch hat doch Gott uns in der trocknen und dürren Wüste dieser Welt bereitet! Dem fleischlichen Israel hat Gott wohl ein sinnbildliches Himmelsbrod zu essen und ein natürliches Wasser aus dem Fels zu trinken gegeben, - unstreitig ein großes Wunderwerk Gottes, uns aber hat Gott, der himmlische Vater, das wahrhaftige lebendige Brod, das vom Himmel gekommen ist, alle hungernden Seelen zu speisen, zu essen gegeben; uns hat er das Wasser des Lebens zu trinken gegeben, welches aus dem lebendigen Fels, Christus Jesus, entspringt, zur Kühlung und Erquickung aller durstenden Seelen. Darum sprach auch Christus zu den Juden: „Moses hat euch nicht Brod vom Himmel gegeben, sondern mein Vater giebt euch das rechte Brod vom Himmel. Denn dies ist das Brod Gottes und giebt der Welt das Leben.“ (Joh. 6, 32.) Und Paulus sagt: „Unsere Väter haben Alle einerlei geistliche Speise gegessen und haben Alle einerlei geistlichen Trank getrunken, aber an ihrer Vielen hat Gott kein Wohlgefallen, denn sie sind niedergeschlagen in der Wüste.“ Und Christus sagt, wer von ihm, als dem wahrhaftigen Brode essen werde, der werde leben in Ewigkeit und wer von dem Wasser trinke, das er ihm gebe, dem werde nimmermehr dürsten, denn dies Wasser werde in ihm ein Brunnen des lebendigen Wassers werden, das in das ewige Leben fließe. Und wieder sagt Christus: „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke. Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von des Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen“. (Joh. 7, 37.)
Dies hat der Geist Gottes durch Jesaias zuvor bezeugt und gesagt: „Wohlan Alle, die ihr durstig seid, kommet her zum Wasser, und die ihr nicht Geld habt, kommet her, kaufet und esset, kommet her, kaufet ohne Geld und umsonst, beide, Wein und Milch.“ (Jes. 55, 1.) Hier vernehmen wir, daß die Durstenden genöthigt werden zu kommen, aber zu wem sollen sie kommen als allein zu Jesu Christo? Denn dieser erquickt Alle, die mühselig und beladen sind und zu ihm kommen. Dieser giebt ihnen das Wasser des Lebens umsonst, zur Erfrischung für ihre Seelen. Dieser schenkt ihnen den lautern Wein seines göttlichen Wortes ohne Geld, zur Freude ihrer Gewissen, und speist sie mit ungefälschter Milch, daß sie innerlich gedeihen. Ja mehr noch, Er giebt ihnen sein Fleisch zu einer Speise ihrer Seele, wie er selbst bei Johannes bezeugt und spricht: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes und trinken sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der hat das ewige Leben und ich werde ihn am jüngsten Tage auferwecken. Denn mein Fleisch ist die rechte Speise und mein Blut ist der rechte Trank, Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der bleibet in mir und ich in ihm. Gleichwie mich der lebendige Vater gesandt hat und ich lebe um des Vaters willen, also auch, wer mich isset, derselbe wird leben um meinetwillen.“ (Joh. 6, 53.)
Wie und in welcher Weise Christus von uns genossen wird, und daß wir nicht durch ein äußerliches natürliches Brod, sondern durch das wahrhaftige, lebendige Brod, das vom Himmel gekommen ist, nicht fleischlich, sondern geistlich von seinem Fleisch essen und von seinem Blut trinken, bezeugt er selber bei Johannes. Denn nachdem er ausführlich davon gesprochen hatte, daß wir von seinem Fleische essen und von seinem Blute trinken müßten, sagt er zum Schluß: „Dies ist das Brod, das vom Himmel gekommen ist, nicht wie eure Väter haben Manna gegessen und sind gestorben. Wer dies Brod isset, der wird leben in Ewigkeit.“ Und wiederum: „Das Fleisch ist kein nütze, der Geist ist es, der lebendig macht. Die Worte, die ich spreche, die sind Geist und sind Leben“. (63) Und dem vorher stehen seine Worte: „Ich bin das lebendige Brod, vom Himmel gekommen, wer von diesem Brode essen wird, der wird leben in Ewigkeit. Und das Brod, das ich geben werde, ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt.“ (Joh. 6, 51.) Hiermit erklärt Christus seine Worte von dem Essen seines Fleisches und von dem Trinken seines Blutes, daß sie nämlich nicht fleischlich, sondern geistlich zu verstehen sind und daß sein Fleisch, welches er uns zu essen giebt, eigentlich das wahrhaftige lebendige Brod vom Himmel ist. Wer nun dies Brod von Christo empfängt und genießt, das ist, wer Christi Worte hört und annimmt und bewahrt und glaubt fest an Christum Jesum, den Gekreuzigten, daß er sein Fleisch für uns gegeben und sein Blut für uns vergossen hat zur Vergebung unsrer Sünden, der ißt geistlicher Weise von dem Fleische Jesu Christi und trinkt geistlicher Weise von seinem Blute und wird durch die geistliche Speise des Fleisches und Blutes Jesu Christi, als des wahren himmlischen Brodes, gespeist und gestärkt zum ewigen Leben.
Darum mag hier ein Jeder mit dem Propheten wohl sprechen: „Lobe den Herrn meine Seele und vergiß nicht, was er dir Gutes gethan hat! Und wiederum: „Wie soll ich dem Herrn vergelten alle seine Wohlthaten, die er an mir gethan hat!“ Wer aber diese unaussprechlichen Wohlthaten Gottes verachtet, Christum Jesum verschmähet und seine Lehre übertritt, nicht darin bleibt noch bleiben will, der wird dem Gericht Gottes nicht entlaufen, wie geschrieben steht: „So dies Wort fest geworden ist, das durch die Engel geredet ist und eine jegliche Übertretung und Ungehorsam hat empfangen ihren eigenen Lohn, wie wollen wir dann entfliehen, so wir solche Seligkeit nicht achten? Welche, nachdem sie erstlich gepredigt ist durch den Herrn, ist sie auf uns gekommen durch die, die sie gehöret haben, und Gott hat ihr Zeugniß gegeben mit Zeichen, Wundern und mancherlei Kräften und mit Austheilung des h. Geistes, nach seinem Willen.“ (Hebr. 3,2.)
Darum, liebe Brüder und Schwestern, ihr Mitgenossen des Glaubens, ich bitte euch durch die Barmherzigkeit Gottes, daß ihr fest an Christo bleibet und also erkennet und bekennet, wie euch die h. Schrift lehrt, und wie ich euch eine geringe Anweisung dazu aus Liebe gegeben habe. Und bleibet vollständig bei seiner Lehre, bewahrt seine Gebote im rechten Glauben, folgt seinen Fußstapfen, dient ihm von ganzem Herzen, liebt ihn mit ganzer Seele, auf daß ihr am Tage seiner Offenbarung die Krone der ewigen Herrlichkeit empfangen möget. Die Gnade des Herrn Jesu Christi sei mit euch Allen. Amen!