Passavant, Theophil - Naeman, oder Altes und Neues - 14. Das ist eine harte Rede.
Wer also spricht, muß sich freilich auf manche Einwendung gefaßt machen, auch auf bitteren Widerspruch; denn je älter und allgemeiner das Uebel ist, um so mehr haben sich alle Menschen-Geschlechter an dasselbe gewöhnet; ein Volk, mit trüben Augen geboren, siehet Alles trüb an, und glaubet alles rein und lauter zu schauen; der Aussätzige weigert sich auch lange zu glauben, daß er unrein sei, bis es in ihm sticht und wurmt und brennet, und Andere voller Scheu sich von ihm entfernen.
Das will auch dir, mein Freund, nicht so ganz einleuchten; ich sehe's dir an; du sprichst in deinem Herzen: Ich bin nicht schlecht, noch unrein; ich bin kein Hurer, kein Ehebrecher, kein Lästerer, kein Lügner, noch Dieb, noch Sabbath-Schänder; ich weiß die Gebote wohl, und habe es Alles gehalten von Jugend auf (Matth. 19.). - Wirklich? Zürne nicht, mein Lieber, ich sage nicht, daß du gerade Dieses seiest, oder Jenes; ich kenne nicht dein Herz, noch dein Leben; und sähe ich auch bei dir auf den Grund, so bin ich doch nicht dein Richter; du hast es mit einem ganz Anderen zu thun. Man lernet doch Manches, wenn man alt wird; siehe, je länger ich lebe, um so weniger will ich da auf Andere sehen, um so mehr aber auf mich; pflegte doch ein theurer Gottes-Knecht zu sagen: „Wenn ich bei einem Anderen einen Fehler bemerke, suche ich dann zwei in mir selbst, und brauche nicht erst sie lange zu suchen.“
Doch, zur Sache! Nimm mir's nicht übel, aber dies muß ich dir doch sagen: Nur Einer war rein; weißt gewiß. Wen ich meine. Als einst jene zehn aussätzigen Männer in Israel diesem Einigen begegneten, da standen sie von ferne, und erhoben ihre Stimme, und sprachen: Jesu, Meister! erbarme Dich Unser. Und da Er sie sah, sprach Er zu ihnen: Gehet hin, und zeiget euch den Priestern. Und es geschah, da sie hingingen, wurden sie rein. Einer aber unter ihnen, da er sah, daß er gesund worden war, kehrete um, und pries Gott mit lauter Stimme, und fiel auf sein Angesicht zu Seinen Füßen, und dankte Ihm; und das war ein Samariter. Jesus aber antwortete und sprach: Sind ihrer nicht zehn rein worden? Wo sind aber die Neune? Hat sich sonst Keiner gefunden, der umkehrete, und gäbe Gott die Ehre, denn dieser Fremdling? Das stehet im Ev. Luc., im C. 17.
Sage, waren jene Neune wirklich rein geworden? Und du, dankest du auch dem HErrn für jene heiligen Gebote, die Er dir gegeben, dafür, daß Er dein Gott ist, und du Sein Freund werden darfst? Dankest du Gott für jene Gottesfurcht, die Er dir in's Herz gegeben, für Sein theures, werthes Wort, darin Er so viel Köstliches zu deiner Seele spricht, damit Er dich suchet auf deinen Wegen, Sich so ernstlich und freundlich zu dir nahet, und dann so groß und so barmherzig und treu Sich dir offenbart? Dankest du Ihm für die treuen Eltern, die Er dir gegeben, für dieses Lebens-Licht, das Er dich sehen läßt, für jene Himmel, die Er dir bereitet, für die reine Himmels-Luft, die du athmest hienieden; für diese Glieder, die Er dir gesund erhält, für jede Kraft, jede Freude, jedes Glück, das Er dir, der Treue, gewähret, für jeden Tropfen frisches Wasser, womit Er deinen Durst stillet, für das tägliche Brod, das Er dir wachsen läßt, für jeden guten Freund zu deiner Seiten, für jeden guten Trost, jede gute Hülfe, jede Bewahrung, wo Andere verderben, jede Erquickung, wo Andere schmachten? Siehe, vor diesem freundlichen aber auch ernsten Gott, darf ein Freund den Anderen auch ernstlich fragen: Bist du auch dankbar? Wie dankest du Ihm? Was hat dein Gott von dir? Ach! ich wenigstens, ich vergesse es immer wieder, Ihm nach Gebühr zu danken; und keine Tugend, keine Gerechtigkeit, kein noch so schönes Werk machen es dann wieder gut; dann wird mir mein ganzes Leben zu einer großen, abscheulichen Sünde, durch und durch unrein: Undankbarkeit ist eben ein schlimmer Aussatz.
Das ist unbeschreiblich,
Wie uns Jesus liebt;
Und es ist unglaublich,
Wie man Ihn doch übt;
Thun's doch gute Kinder,
Die Sein Herze sehn,
Und nicht mehr wie Sünder
Unter'm Fluche steh'n.
HErr und Gott der Deinen,
Fang' auf's Neue an,
Höre unser Weinen
Weil man sonst nichts kann.
Gib uns neue Gnade,
O Du Gnaden-Quell!
Daß uns nichts mehr schade,
Salbe uns're Seel'!
Alle uns're Stunden
Heilige Du Dir,
Mach uns Deinen Wunden,
Kamm, zur Ehr' und Zier.
Laß Dein Volk erfahren,
Wen die Sammelstadt
Der erlösten Schaaren
Bei ihr drinnen hat.