Passavant, Theophil - Naeman, oder Altes und Neues - 11. Ein Pfahl in's Fleisch nicht immer vergebens.

Passavant, Theophil - Naeman, oder Altes und Neues - 11. Ein Pfahl in's Fleisch nicht immer vergebens.

„Ich habe oft,“ so hat mir ein Freund erzählet, „einen kranken Schneider in einer öffentlichen Heils-Anstalt besucht, dem eine starke Hals-Geschwulst operirt werden mußte. Er war kalt, und mehr für die Herstellung seines Leibes, als für die Genesung seiner Seele besorgt. Während er aber zur Operation vorbereitet ward, wuchs das Gewächs am Hals dermaßen, daß an keine Operation mehr zu denken war. Das Athemholen ward ihm sehr schwer, und der Umfang des Halses war größer als der des Kopfes. Er magerte ab, und konnte nicht liegen, weil ihn dann das Gewächs zu ersticken drohete. Eben so mühsam war es, Speise hinunterzubringen, und sein Athemholen glich dem Knarren eines ungeschmierten Rades. Nun fing er an, an ernsten Gesprächen mehr Antheil zu nehmen, bat um das heilige Abendmahl, um eine Bibel und ein Gesangbuch, die ich ihm beide brachte, und er las viel darin.“

„Seine Leiden mehrten sich; er litt noch viel größere Schmerzen innerlich als im Halse selbst. Wie ich ihm eines Tages, um des gröberen Druckes willen, eine dickleibige Quart-Bibel brachte, nahm er sie lachend in die Hand, und sagte: „Dich hätte mir Einer vor anderthalb Jahren geben sollen, ich hätte dich ihm an den Kopf geworfen!“ Ich fragte: „War Ihnen denn die Bibel so verhaßt?“ „Damals wohl,“ sagte er, „aber jetzt ist sie mein einziger Trost, und meine Freude. Ich bin in einer der größten Städte Sachsens geboren; meine Eltern waren fromm; auch genoß ich einen guten und gründlichen Schul-Unterricht. Wie ich aber einmal Schneider geworden war, lernete ich auf der Wanderschaft, durch Gespräche, durch lose Beispiele und Bücher, den Glauben der Christen verachten. Seit 36 Jahren bin ich mit Vielen auf der Bank der Spötter gesessen; die Bibel und ihre Bekenner lächerlich machen, war mein größtes Vergnügen, und ist mir auch durch meinen elenden Witz nicht selten gelungen. Ich hatte Glück, wie man sagt, konnte mich meinen Lüsten hingeben und führen ein lustig Leben. Mein Gewissen hatte mich lange nie beunruhiget; vor 3 Jahren aber fuhr ich von einer wilden Gesellschaft um Mitternacht nach Hause zurück; es fiel der Wagen um, ich brach das rechte Bein. In diesem Augenblick ward mir, als riefe mir eine Donnerstimme zu: Das ist für deine Sünden! Ich empfand Höllen-Angst; ja, die zwei Meilen, durch die ich in sehr kalter Nacht bis nach Hause fahren mußte, fühlte ich keinen Schmerz in dem gebrochenen Beine, vor großer Angst meiner Seele. O was habe ich zu jener Zeit und ferner für heilige Vorsätze der Besserung gefaßt, ja, heilig geschworen! - aber, genau so, wie es das Evangelium beschreibt, ist es nachher siebenmal ärger mit mir geworden, als es vorher gewesen.“ „Jetzt“, fuhr er fort, „sehe ich ein, daß ich ewig verloren gegangen wäre, hätte mir Gott nicht in Seinem Erbarmen dieses Hals-Uebel, und dazu noch andere viel größere Schmerzen geschickt. Er schenket mir die Gnade vieler Geduld, meine Leiden sogar mit Freuden tragen zu können, und es gibt Zeiten, wo ich meine Hals-Geschwulst nicht für ein Königreich hingeben möchte.“

Von dieser Stunde an nahmen seine Geduld und Freudigkeit sichtbar zu; er schlug oft freudig in die Hände, und rief: „Ich tausche mit einem Kaiser nicht!“ und dankte, und pries Gott für seine Leiden und diese Heimsuchung zur Seligkeit. In der Kranken-Anstalt hatte er, und ein anderer frommer Kranke, eine Superiorität erworben, welche den übrigen Kranken sehr wohlthätig war; sie trösteten, ermahnten, straften, und wirkten besonders durch ihr freundliches Wesen in Geduld. Nach 18 Monaten schwerer Leiden kam die ersehnte Erlösungs-Stunde; nun ruhet er von seiner Arbeit aus, und sein Andenken ist unter uns im Segen geblieben.

Je größer Kreuz, je näher Himmel,
Wer ohne Kreuz, ist ohne Gott;
Bei Sündenlust und Weltgetümmel
Vergißt man Zölle, Fluch und Tod.
O, selig ist der Mann geschätzt.
Den Gott in Kreuz und Trübsal setzt.

Je größer Kreuz, je bessrer Christe;
Gott streicht uns an den Probestein;
Wie mancher Garten lieget wüste,
Wo keine Thränen- Regen sein.
Das Gold wird auf dem Feuer-Heerd,
Ein Christ in tiefer Noth bewährt.

Je größer Kreuz, je mehr Verlangen;
Im Thale steiget man bergan;
Wer durch die Wüsten oft gegangen,
Der sehnet sich nach Canaan.
Das Täublein, find‘t es hier nicht Ruh,
So fleucht es nach der Arche zu.

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