Passavant, Theophil - Naeman, oder Altes und Neues - 5. Hast du einen Freund?
Hast du einen Freund? Hast du unter deinen Freunden Einen, der dir noch mehr ist, denn der Gespiele deiner Jugend, mehr denn dein Gesellschafter in den Feierabend-Stunden, mehr denn der Fröhliche, mit dem du lachest, der es muthig mit deinem Widersacher aufnimmt, auch muthig mit dir manches Glas ausleeret, mit dir auf manchen tollen Streich, wenn dir's gefällt, losgehet? Hast du unter den Vielen Einen, der treulich deine Seele liebt, deine Fehler bedauert, deine Sünde haßt, und ihrer nicht theilhaftig werden will? Einen, der um deinetwillen dich liebet, der deiner Schwachheiten nicht schonet, deiner Launen nicht achtet, deiner Eitelkeit nicht schmeichelt, und nicht fürchtet deinen Zorn, sondern fürchtet dein Verderben, weil er nicht fleischlich, sondern heilig dich liebet, weil er an dir einen Himmels-Erben siehet, für den Christus, der Sohn Gottes, gestorben; weil er nicht möchte hier allein, sondern auch dort sich deiner und deines Friedens freuen, in Gottes Ewigkeit?
Das wäre ein Freund; - und mit ihm sein treues Auge, sein treues Herz, sein treues Wort, seine treue Fürbitte; ein Freund, dessen Thräne so traulich deine Thräne begleitet, in dessen Freudenstrahl deine Freude wiederglänzt; seine Seele durch keinen Raum und keine Zeiten, durch keine Eifersucht, keinen Neid, noch Zank, durch kein Glück und kein Unglück von deiner Seele getrennet; sein letzter Liebesgruß, wie an die Seinigen, so auch an dich, oder seine Hand deinem sterbenden Haupte zur letzten Stütze hingereicht, da sein Blick deinem letzten Blicke spricht: Ich begleite dich auf dem letzten Gang, bis du Den siehest, der uns die Auferstehung ist, und das Leben! Joh. 11, 23. Sage, mein lieber Mitpilger, wäre das nicht eine reiche Gabe des HErrn; ja, Etwas, uns von Gott gegeben, ein theures Gut, das sich nicht durch vergängliches Silber oder Gold erwirkt, das sich auch nicht wie irdischer Reichthum verlieret; ein Pfand der Treue deß, der allein weiß, und uns auch allein gibt, wahrhaftig zu lieben?
David hat Gott für ein Jonathans Herz gedankt; er hat vor Gott um Jonathan geweinet: Die Zierde Israel ist auf Gilboahs Höhen erschlagen. Wie sind die Helden gefallen im Streit! Jonathan ist auf deinen Höhen erschlagen. Mir ist weh um dich, mein Bruder Jonathan; gar wonnig warst du mir; deine Liebe ist mir sonderlicher gewesen, denn Frauenliebe ist. Wie sind die Helden gefallen, und die Streitbaren umgekommen! 2. Sam. l.
Das war aber auch ein heiliger Bund der zwei männlichen Helden. Der Königs-Sohn weiß die Wahl des HErrn, und daß Samuel den jungen David zum künftigen König über Israel gesalbet. Von nun an will er keinen Thron erben, keine Krone an sich reißen, obwohl alles Volk die Krone gerne auf seinem Haupt sehen würde. Jonathan beuget sich vor dem Gesalbten Gottes, dem verlassenen, verfolgten David; er nimmt in sich auf des Zornes Pfeile, welche sein gottvergessener Vater gegen David hinschwingt, und er befiehlt sich und die Seinigen der Gnade deß, dem er das Leben retten will. Jehovah sei mit dir, wie Er mit meinem Vater gewesen ist. Du aber sollst nicht nur, dieweil ich noch lebe, die Barmherzigkeit des HErrn an mir thun, daß ich nicht sterben müsse; du sollst auch, wenn der HErr die Feinde Davids ausrotten wird, einen Jeglichen aus dem Lande, deine Barmherzigkeit nicht reißen von meinem Hause ewiglich… Gehe hin mit Frieden. Was wir Beide geschworen haben in Jehovah's Namen, und gesagt: Jehovah sei zwischen dir und mir, zwischen meinem Samen und deinem Samen; - das bleibe ewiglich, 1. Sam. 20.
Hast du keinen Freund ? O, dann müßte ich herzlich über dich trauern; doch sage nicht: Keinen! - Ich weiß Einen, der dein Freund ist und sein will, du magst Ihn wollen oder nicht; Einen, Den du nicht siehest, Er siehet aber dich; Er kennet dich, besser denn du dich selber kennest; Er liebet dich auch mehr, denn du dich selber liebest; Er begleitet dich auch auf allen Wegen; Er ist mit Rath und That, mit Macht und Treue überall, wo du bist, wo du lachest, wo du weinest, wo du einsam wanderst, oder durch's Getümmel eilest in der Welt; kein Schritt deiner Füße ist Ihm gleichgültig; kein Anliegen deines Herzens ist Ihm verborgen; kein Schmerz deines Lebens ist Ihm fremd; Er bereitet, Er bietet dir an zu jeder Stunde Bewahrung und Stärkung, Trost, Frieden, Freuden, was jede Stunde begehrt, und was sie bedarf; ohne Dank, ohne Gegenliebe, ohne Blick von dir, ohne Trost von deinem Herzen, bleibet Er dennoch dir zu Seiten immerdar; Er gehet dir voran, oder leise dir nach. Dieses Freundes Herz wird nicht leicht verdrossen und müde, wie Menschenkinder und oft die Liebenden thun. Fragest du, Wer Er ist? Fragest du: Wer Sein Leben für dich gelassen? Joh. 10,15. 15,13.
Gute Freunde sind wie Stäbe,
Da der Menschen Gang sich hält,
Daß der schwache Fuß sich hebe,
Wenn der Leib zu Boden fällt.
Wehe dem, der nicht zu Frommen
Solchen Stabes weiß zu kommen;
Ter hat einen schweren Lauf;
Wenn er fällt, wer hilft ihm auf?
Laß mich Davids Glück erleben,
Gib mir einen Jonathan,
Der sein Herz mir möchte geben,
Der auch, wenn nun Jedermann
Mir nichts Gutes mehr will gönnen,
Sich nicht lasse von mir trennen;
Sondern fest in Wohl und Weh,
Als ein Felsen bei mir steh.
Nun HErr, laß Dir's Wohlgefallen,
Bleib' mein Freund bis in mein Grab;
Du mein Freund, und unter Allen
Mein getreuster, stärkster Stab.
Wenn Du Dich mir wirst verbinden,
Wird sich schon ein Herze finden,
Das, durch Deinen Geist gerührt,
Mir was Gutes gönnen wird.