Parry, William Edward - Der Vatersinn Gottes - Fünftes Kapitel.
Das Gesetz ist heilig, und das Gebot heilig, gerecht und gut. Röm. VII.12.
Setzen wir den Fall eines irdischen Monarchen, der einen aufrührerischen Untertan begnadigt; oder eines reichen und mächtigen Großen dieser Erde, welcher einen in Elend und Not versunkenen Menschen von zweideutigem Charakter reich beschenkt; oder um unserm Gegenstand näher zu rücken irgend einen zärtlichen, jedoch schwer beleidigten Vater, der sein früher zwar ungehorsames, jetzt aber reuevolles Kind wieder in seine Arme schließt: immer werden wir es als vollkommen gerecht und vernünftig erkennen, dass es dem Wohltäter unbedingt frei zustehe, seine Gnade oder seine Großmut oder auch seine Erbarmung auf diejenige Weise zu offenbaren, die seinen Gefühlen am besten entspricht. Es dürfte möglicherweise viel Sonderbares, ja sogar anscheinend Barsches in der Art liegen, wie die Wohltat erzeigt wird, und dennoch, da diese stets eine Gnade und nicht ein Recht wäre, so würde sich der Schuldige wohl hüten, die ihm erzeigte Gunst zu tadeln oder gar auszuschlagen, ja auch nur deren Nutzen für seine Person deshalb in Frage zu stellen, weil sie ihm nicht genau auf diejenige Weise zuflösse die mit seinen eigenen Ansichten und Wünschen im Einklang stünde.
Um wie so viel mehr sollten wir denn nicht das volle Recht unsers allmächtigen Erbarmers anerkennen, uns Seine verzeihende Vaterhuld und den „überschwänglichen Reichtum Seiner Gnade“ nach Seinem freien Willen und so wie es ihm am besten gefällt zu offenbaren! Denn erstlich steht es fest, dass wir vor Gott kein Recht, ja auch nicht den leisesten Anspruch auf irgend ein Gut besitzen, nach dem wir verlangen. Der allerentsetzlichste Missetäter, der um Begnadigung fleht, steht auf rechtlichem Boden nicht hinter uns zurück. Der Inbegriff alles dessen, was wir bedürfen, mag denn wirklich in ein einziges Wörtchen zusammengefasst werden; - es heißt Gnade; und Gnade begreift notwendig das Aufgeben eines jeglichen Rechtes in sich. Der Mensch besitzt immer ein Recht auf Gerechtigkeit; aber nie kann er ein solches auf Gnade haben. Es liegt ein Widerspruch in dem Ausdruck „Gnade verdienen“; und ehe wir das wahre Verhältnis des sündigen Menschen zu seinem beleidigten Gott und Vater auch nur einigermaßen richtig aufzufassen vermögen, müssen wir vorerst unsere Begriffe über das Wesen Gottes und Sein Walten von jener nur allzu verbreiteten Vorstellung gründlich läutern. Nur wenn wir uns willig als Solche Ihm nahen, die bloß um Erbarmen flehen, weil sie sich keines Schattens von rechtlicher Ansprüche bewusst sind, dürfen wir hoffen einst vor Ihm zu bestehen.
Und in demselben Verhältnis, als die uns von Gott erwiesene Wohltat jede nur denkbare menschliche Gunst unendlich weit übertrifft, sollten wir sie auch um so dankbarer aus Seiner Hand gerade so annehmen, wie es Seiner Weisheit einmal gefällt uns dieselbe zu erteilen. Nun sind aber die Segnungen, welche Gott noch heute und bereits seit fast zwei Jahrtausenden den auf einander folgenden Menschengeschlechtern ununterbrochen anbietet, die allergrößten, welche der menschliche Geist möglicherweise sich zu denken vermag: ja noch viel mehr als das; denn das Auge hat nicht gesehen, noch hat das Ohr gehört, noch ist in das Herz des Menschen gekommen, was Gott bereitet hat denen, die Ihn lieben1), dessen Inbegriff aber nichts weniger ist, als die Wiederherstellung Seines eigenen Bildes in uns und der Besitz - nicht eines irdischen Paradieses nur wie Adam es durch seine Schuld verlor, sondern einer uns durch Seinen geliebten Sohnes zum unvergänglichen Erbe erworbenen ewigen Herrlichkeit. Missachten wir diese unschätzbaren Gaben, so ist wahrlich die Schuld nicht in deren Mangel an innerem Wert, sondern einzig in unserer eigenen glaubenslosen Stumpfheit und gleichgültigen Kälte zu suchen.
Wir stehen einen Augenblicke still und werfen einen einzigen unbefangenen Blick auf unser Verhältnis zu Gott. Da sehen wir uns schon von Natur weit, weit abgewichen vom ursprünglichen Pfad der Gerechtigkeit; und nun entdecken wir noch wie unser täglicher Wandel die Last unserer wirklichen Sünden beständig vergrößert und uns von Gott je länger je weiter entfernt. Und dies ist es eben, was das tiefe Elend unsers geistigen und sittlichen Zustandes ausmacht. Denn es ist der Natur der Dinge nach vollkommen unmöglich, dass dem Menschen irgend ein wahres Glück erblühe, so lange er seinem Schöpfer entfremdet bleibt. Eben so gut dürfte man erwarten, dass die Erbe von inwohnender Wärme erglühe, oder in freudebringendem Licht erglänze, wenn auch die Sonne nicht mehr am Himmel stünde, als dass der Mensch entfernt von Gott, dem Urquell aller Wonne, Dem allein Freude entströmt, glücklich sein könnte. Deshalb ist der liebreiche Zweck jeder Führung Gottes, die abgefallenen Menschen wieder mit ihm selbst zu versöhnen und an Sich zu ziehen; sie von den Irrwegen, welche die Verblendeten so gerne einschlagen, zurück, und an Seiner starken Liebeshand in das sichere Vaterhaus zu leiten, aus welchem sie entwichen sind; mit einem Wort, sie der Knechtschaft der Sünde zu entreißen, um sie der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes teilhaftig zu machen.
Gott hat nun dies liegt klar genug am Tag - sowohl unserer eigenen gänzlichen Rechtlosigkeit als der überschwänglichen Größe des uns angebotenen Heiles wegen, ein uns bestreitbares, auf jeglichen Grundsatz der Vernunft und der Billigkeit gestütztes Recht, unsere Erlösung auf die Weise zu vollführen, die Ihm am wohlgefälligsten ist. Wollte Er uns überhaupt Begnadigung anbieten, so hätte Er dieselbe doch ohne die leiseste Ungerechtigkeit hinter die härtesten Bedingungen verschanzen oder sie uns in den Ausdrücken des höchsten Zornes beleidigter Allmacht offenbaren können; und hierzu hätte Ihm gefallen dürfen, irgend ein Mittel zu wählen, das durch seine schreckenerregende Gestalt berechnet gewesen wäre, uns zu entsetzen und zu ängstigen, ohne uns dabei die geringste Spur einer Liebe wahrnehmen zu lassen, welche die gerechte Strenge Seines Gerichtes milderte. Doch wie verhält sich die Sache in der Wirklichkeit? Welches ist die von Gott bestimmte Weise, den Menschen zu retten? Und in welcher Sprache ist dieselbe dem Sünder offenbart? - Hier mögen die Propheten und Apostel, ja der Heiland selbst uns mit den Worten des Geistes der Wahrheit die alles menschlichen Denken und Hoffen übersteigende Antwort erteilen:
- „Wer sie ängstigte, der ängstigte Ihn auch; und der Engel, der vor Ihm ist, half ihnen. Er erlöste sie darum, dass Er sie liebte und ihrer schonte. Er nahm sie auf und trug sie allezeit von Alters her.“ Jesaias LXIII. 9.
- Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, so Ihn fürchten.“ Ps. CIII.13. „Ich will euch nicht Waisen lassen.“ Joh. XIV.18.
- Der ein Vater ist der Waisen, und ein Richter der Witwen, ist Gott in Seiner heiligen Wohnung.“ Ps. LXVIII.6.
- „Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie auch seiner vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen, spricht der Herr.“ Jes. XLIX. 15.
- „Kommt her zu mir, Alle die ihr mühselig und beladen seid, und ich will eurer Seele Ruhe geben.“ Matth. XI.28.
- „Der Sohn des Menschen ist nicht gekommen um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und Sein Leben zum Lösegeld zu geben für Viele.“ Mark. X.45.
- „Der Sohn des Menschen ist gekommen zu suchen und selig zu machen das verloren ist.“ Luk. XIX.10.
- „Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lasse für seine Freunde.“ Joh. XV.13.
- „Also hat Gott die Welt geliebt, dass Er Seinen eingebornen Sohn dahin gab, auf dass Alle, die an Ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.“ Joh. III.16.
- „Wie Moses in der Wüste eine Schlange erhöht hat, also muss des Menschen Sohn erhöht werden, auf dass Alle, die an Ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.“ Joh. III.14. 15.
- Denn auch Christus, da wir noch schwach waren, nach der Zeit, ist für uns Gottlose gestorben. Nun stirbt kaum Jemand um des Rechtes willen, um etwas Gutes willen dürfte vielleicht Jemand sterben. Darum preist Gott Seine Liebe gegen uns, dass Christus für uns gestorben ist, da wir noch Sünder waren.“ Röm. V.6-8.
- Da aber die Zeit erfüllt ward, sandte Gott Seinen Sohn, geboren von einem Weib und unter das Gesetz getan, auf dass Er die, so unter dem Gesetz waren, erlöste, dass wir die Kindschaft empfingen. Weil ihr denn Kinder seid, hat Gott gesandt den Geist Seines Sohnes in eure Herzen, der schreit: Abba! lieber Vater! Also ist hier kein Knecht mehr, sondern eitel Kinder. Sind es aber Kinder, so sind es auch Gottes Erben durch Christum.“ Gal. IV.4-7.
- „Denn Gott hat uns nicht gesetzt zum Zorn, sondern die Seligkeit zu besitzen durch unseren Herrn Jesum Christum.“ 1 Thess. V.9.
- „Christus hat einmal für unsere Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, auf dass er uns Gott opferte“ (oder zuführte). 1 Pet. III.18.
- „Das Blut Jesu Christi Seines Sohnes macht rein von aller Sünde.“ 1 Joh. I.7.
- „Seht, welch' eine Liebe hat uns der Vater erzeigt, dass wir Gotteskinder sollen heißen!“ 1 Joh. III.1.
- „Meine Lieben, wir sind nun Gottes Kinder; und ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, dass wir Ihm gleich sein werden; denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist.“ 1 Joh. III.2.
- „Daran ist erschienen die Liebe Gottes gegen uns, dass Gott Seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, dass wir durch Ihn leben sollen. Darinnen steht die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass Er uns geliebt hat und gesandt Seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden.“ 1 Joh. IV.9-19.
Liegt in allem diesem irgend ein verwundender oder entmutigender Stachel verborgen? Oder atmet ein solcher Plan in solcher Sprache abgefasst etwas anderes als die zärtlichste Besorgnis? Wird der Wert der angebotenen Wohltat durch die freundlichen und väterlichen Worte, mit welchen sie dargereicht wird, noch nicht unendlich erhöht? Wahrlich, wenn wir uns von Demjenigen abwenden, Der also vom Himmel herabredet“2); wenn wir die Weise tadeln, die Gott gewählt, um uns eine ewige Seligkeit beizulegen, oder wenn wir es wagen, über die Wege zu murren, auf denen Seine Weisheit uns derselben zuführt, so ist es nur der Stolz unseres Herzens, der sich in uns regt. Diesem aber, wir geben es gerne zu, ist sowohl Gottes Gnadenplan als Seine Sprache im höchsten Grad zuwider. Allein gerade hierin liegt, genau betrachtet, eine Seiner größten Wohltaten verborgen; denn so wie Adams erste Übertretung im Stolz wurzelte, so erzeugt dieser fort und fort allerlei hochfahrende Einbildungen, und nährt „alles Hohe, welches sich gegen die Erkenntnis Gottes auflehnt“3). Deshalb wird auch Gott des Menschen Stolz nicht mehr verschonen, wenn er die Rettung seiner Seele beabsichtigt, als ein irdischer Vater sein Kind an den Rand eines Abgrundes rennen lässt, um nach einem Spielzeug zu haschen. Nein, Er wird vielmehr - wie schmerzlich auch die Operation sei Er wird den giftigen Wurm ausreißen, der gerade das Herzblut des geistlichen Lebens im Menschen aussaugt. Er wird in diesem, wie in jedem andern Fall, gleich einem eben so weisen als zärtlichen Vater ununterbrochen alles dasjenige bekämpfen, was mit dem wahren Wohl Seiner Kinder streitet.
Die Ungeduld, welche wir bisweilen unter der Last schwerer Führungen an den Tag legen, möchte fast vermuten lassen, wir hätten erwartet, Gott würde uns in Seinen Rat ziehen, um zu bestimmen, was das Beste sei. Ein einziger Augenblick ruhigen Nachdenkens dürfte uns jedoch vom Unverstand einer solchen Anmaßung, auch nur von dem Standpunkt unseres eigenen elterlichen Verfahrens beurteilt, genügend überzeugen. Gott fragt seine Kinder nicht, ob sie Dieses oder Jenes billigen, wodurch Er Seine Gnadenabsichten an ihnen vollführt. Und was tut denn ein irdischer Vater? Oder sagt es uns selbst, Ihr Eltern - fragen wir etwa nach der Ansicht unserer Kleinen über diejenigen Punkte, von denen wir dafür halten, dass ihre spätere Gesundheit, ihr Charakter und ihr Lebensglück davon abhängt und die deshalb ein Gegenstand unserer täglichen und stündlichen Sorge sind? Beraten wir sie über die Speise, die sie genießen oder vermeiden, die Arznei, die sie einnehmen, die Orte, wo sie hingehen, die Schulen, die sie besuchen und den Lehrplan den sie befolgen sollen? Sehen wir es nicht als unsere Aufgabe an, alle diese Dinge für sie auf die Weise zu bestimmen, welche wir für die beste halten ihr endliches Wohl zu erzwecken? Welches Urteil würden wir über Eltern fällen, die anders handelten? Müssten wir sie nicht entweder eines Mangels an Liebe oder an Weisheit, oder Beider zusammen beschuldigen? So oft denn als unser widerspenstiges Herz versucht ist, sich wider die Zucht zu sträuben, die es Gott gefällt über dasselbe zu verhängen, so dürften vielleicht die Aufwallungen der Unzufriedenheit niedergeschlagen und unser trotziger Wille in kindliche Ergebung umgewandelt werden, wenn wir die unumwundene Frage an uns selbst richten: „Welche von diesen beiden Beschuldigungen wagst du es, gegen Denjenigen zu erheben, Der zugleich die vollkommene Weisheit wie die vollkommene Liebe ja, Der zum Irren zu weise, zur Härte zu gütig ist?“
Zwar finden wir es bisweilen für gut, unseren Kindern die Gründe auseinander zu setzen, um deren willen wir ihnen Etwas abschlagen, das sie wünschen, oder auf demjenigen beharren, was ihnen zuwider ist. Manchmal tun wir dieses im Augenblick selbst, um ihnen den Gehorsam zu erleichtern; andere Male hingegen geschieht es erst hernach, um ihnen die guten Folgen einer freudigen Unterwerfung unter den elterlichen Willen klar vor Augen zu stellen. In jedem Fall aber, wir mögen nun unsere Gründe angeben oder nicht, verlangen wir Gehorsam um der Pflicht des Gehorsames selbst willen; und nur ein sehr schwacher Vater fordert diesen nicht, so wie nur ein sehr verzogenes Kind sich sträubt, denselben zu leisten. Und hier ist zwischen Gottes väterlicher Führung des Menschen und unserem eigenen elterlichen Verfahren abermals eine auffallende Ähnlichkeit. Es gibt Zeiten, wo es dem Herrn gefällt, uns auf nicht misszuverstehende Weise durch den gewöhnlichen Gang Seiner Vorsehung einige der weisen Gründe so wie der gesegneten Ergebnisse Seiner schmerzlichen Führungen zu entdecken. Das sind diejenigen Fälle, wo die heilsame Frucht dem Leiden so unverzüglich und so fühlbar auf dem Fuße nach folgt, dass die Ergebung wenn sie hier noch diesen Namen verdient, ihren unmittelbaren Lohn in sich trägt. Doch dieses ist selten zu erwarten - und warum? Wohl deshalb weil Gott gewöhnlich unseren Glauben üben will. Er will, dass Seine Kinder sich für den Ausgang Ihm vertrauen, mag auch der Pfad noch so steil und rau und der Himmel allerwärts mit düstern Gewitterwolken verhüllt sein. Wie es überdies viele Gelegenheiten gibt, wo unsere Kinder unfähig wären unsere Absichten zu ihren Gunsten zu verstehen, geschweige sie richtig zu schätzen, gesetzt auch, es wäre wünschbar, ihnen dieselben auseinander zu sehen, ebenso würden ohne allen Zweifel Gottes Wege jene tief in einander greifenden Bahnen, auf welchen Er uns einem Unheil ausweichenden oder einen überraschenden Segen begegnen lässt - die Fassungskraft unsers schwachen Verstandes in den meisten Fällen weit übersteigen. Noch mehr; es mag wohl auch geschehen, dass Gott, indem Er über Seine Endzwecke einen Schleier wirft, uns, wie wir es etwa auch gegen unsere Kinder zu tun pflegen, aus erbarmender Schonung den Vorausblick auf die schmerzlichen, dazwischen liegenden Schritte erspart, die notwendig sind, um Seine Liebesabsichten an uns zu erreichen. O welche Welt von Unruhe, welche Last von „Geistesplage“ würden wir uns ersparen, könnten wir uns nur unverrückt den Blick auf Gott als auf einen gnädigen Vater klar erhalten, Der beständig und „überschwänglich über alles Bitten und verstehen“4) das Wohl Seiner Kinder bewirkt, so dass wir dankbar zufrieden alle unsere Sorge auf ihn würfen,“ Der in Wahrheit „für uns sorgt“5)!
Diese Betrachtungen finden übrigens ihre Anwendung nicht nur mit Beziehung auf die moralische Zucht, welche der allmächtige Vater über Seine schwachen und irrenden Kinder verhängt, sondern auch eben so vollständig auf die gütige und ununterbrochene Vorsorge, die Er für ihre wirklichen Bedürfnisse trifft. Was soll also auch hierin unser beständiges Misstrauen, wodurch Gott eben so sehr der Ehre als wir allen Trostes beraubt werden? Wie steht wohl in diesem Punkt die Sache zwischen uns und unseren Kindern? Bezweifeln sie eben so den Willen oder die Fähigkeit ihrer Eltern für alle ihre Bedürfnisse zu sorgen? Würde uns ein solches Misstrauen von ihrer Seite erfreuen? Pflegen sie sich beständig um ihre Nahrung, ihre Kleidung, ihre Wohnung oder irgend eine andere der zahllosen Wohltaten zu bekümmern, womit Gottes Güte uns in den Stand setzt sie zu versorgen? Überlassen sie nicht das Alles uns in der ruhigen Überzeugung, dass wir um sie wenigstens so besorgt sind als sie selbst, und im festen Vertrauen, dass wir ja gewiss nichts versäumen werden, was ihr Wohlergehen, ihr Glück sichern kann. Es stünde uns wohl an, dieses ihr furchtloses, hingebendes Vertrauen nachzuahmen. Wir sollen zwar alle erlaubten Mittel zur Befriedigung unserer Bedürfnisse anwenden; aber haben wir dieses einmal getan, ist es dann recht, ist es vernünftig Gott weniger unbedingt zu vertrauen als unsere Kinder uns? „Der Vater des Christen weiß, wessen Sein Kind bedarf; ja, viel besser als dieses selbst es versteht. Ruhig überlasse es also dem Vater, was des Vaters Sache ist, und wofür Er wahrhaftig mit väterlicher Treue sorgen wird“6). „Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, Er wird's wohl machen“7). Woher kommt es doch, dass, während Gott uns unaufhörlich die rührendsten Beweise Seines gnädigen Willens gibt mit uns „als mit Kindern zu handeln“8), wir hingegen so widerspenstig sind, Ihm als unserm Vater zu begegnen?
Der Umstand, dass uns der Herr die kleinen Kinder, deren Wesen sich eben so sehr durch Vertrauen auf die elterliche Liebe als durch Demut und Empfänglichkeit auszeichnet, wiederholt als nachzuahmende Vorbilder darstellt, dieser Umstand, sagen wir, ist für die Übung der Zuversicht des Glaubens in hohem Grad aufmunternd. Und dieses Vertrauen, es wurzelt nicht in des Kindes Bewusstsein von eigener Verdienstlichkeit, viel weniger von irgend einer ihm möglichen Erwiderung der zahllosen Liebesbeweise, die es empfängt - sondern ganz einfach in seinen natürlichen Ansprüchen, als Kind, auf die ganze Zärtlichkeit der elterlichen Liebe. Denn gerade so wie auf der einen Seite des Vaters Herz kaum durch Etwas so tief verletzt werden könnte, als durch die vom eigenen Kind bezweifelte Liebe desselben, so wäre auf der andern nichts törichter, als wenn letzteres sich einbildete, der Eltern Zuneigung hänge von irgend einer Belohnung derselben von seiner Seite ab, oder ihr Grad werde durch seine Verdienste bestimmt. Und hier findet die Analogie, die wir Zug um Zug nachzuweisen suchen, ihre Anwendung mit ganz besonders auffallender Kraft und Klarheit. Die Kinder Gottes gründen auf rechtlichem Boden auch nicht die geringsten Ansprüche auf ihres himmlischen Vaters Liebe; noch viel weniger erwarten sie die Beweise dieser Liebe im Verhältnis zu dem, was sie „Ihm vergelten können für alle Seine Wohltaten.“ Ihr einziges Recht ist der einfache, aber unbestreitbare Anspruch auf die Kindschaft in der Familie Seines Sohnes. Ihre Zuversicht zu Gott ist eine kindliche, eben weil sie es wissen, dass Seine Liebe zu ihnen eine väterliche ist.
Da der ganze Plan zu unserer Erlösung, so wie ihn das Evangelium offenbart, augenscheinlich ein väterlicher ist, ein Plan, wie nur die erbarmende Liebe und Freundlichkeit eines zärtlichen Vaters ihn entwerfen und ganz besonders dazu eignen konnte, uns zu Kindern Seines Hauses zu machen, so sollte auch unsere Aneignung desselben eine kindliche sein, und nicht das bloße Ergebnis wohlberechneten Eigennutzes oder gar sklavischer Furcht. Sie sollte einem Herzen entfließen, das in schmerzlicher Reue einen so gütigen Vater beleidigt zu haben, vor Verlangen brennt, zu Ihm zurückzukehren, Seiner Liebe und die süßen Kindesvorrechte wieder zu genießen, und als ein „liebes Kind“ aufs Neue unter die Hausgenossen Gottes aufgenommen zu werden. Und so wie die elterliche Liebe der kindlichen stets vorangeht und diese gewöhnlich erzeugt, ebenso sollen wir Gott lieben, „weil er uns zuerst geliebt hat“9). Kein irdischer Vater gab aber seinen Kindern je solche Beweise von Liebe, wie Gott uns durch Christum erzeigt. Die überschwängliche Größe derselben wird uns auf wunderbare, aber geheimnisvolle Art in der verschieden sich offenbarenden Wirksamkeit des dreieinigen Gottes vor Augen gestellt; - da Gott der Vater uns erschafft und erhält, und einen solchen Plan zu unserer Erlösung entwirft, dass auch „die Engel gelüstet hineinzuschauen“10); - da Gott der Sohn von dem Throne der Herrlichkeit, den Er mit dem Vater vor Gründung der Welt einnahm, herunter steigt, in menschlicher Gestalt das Gesetz Gottes erfüllt, „damit durch Ihn Alle, die an Ihn glauben gerecht würden von allem dem, durch das sie im Gesetz Mose nicht konnten gerecht werden“11), durch Sein eigenes, kostbares Blut die Sünden der ganzen Welt versöhnt, für unsere Übertretungen verwundet und für unsere Missetaten zerschlagen wird, und nun sitzend ist zur rechten Hand Gottes, wo er Seine Gläubigen vertritt; da endlich Gott der heilige Geist in unser Herz die tröstende und heiligende Kraft gießt, durch welche allein wir den uns vorgesetzten Lauf zu vollenden vermögen, und „teilhaftig zu werden des herrlichen Erbes der Heiligen im Licht“12).
Wo anders als in dem Vaterherzen Gottes hätte ein solcher Plan zu des Menschen Erlösung seinen Ursprung gefunden? Wehe also dem, der mit empörendem Stolze sich nicht scheut, die Durchführung desselben vorwitzig zu meistern! Unser beschränktes und umnachtetes Auge vermag ja nicht den tausendsten Teil jenes gewaltigen Mechanismus zu umfassen, welchen die Allmacht zur Rettung einer sündigen Welt in Bewegung setzte! Überlassen wir also kindlich dankbar die Leitung desselben den treuen Händen Dessen, Der ihn erschuf, Der mit einem einzigen Blick all seine anscheinenden Verwicklungen durchschaut, und mit vollkommenster Genauigkeit dessen zusammengesetzte Bewegungen zum endlichen und ewigen Heile aller derer lenkt, die Ihn lieben und Ihm vertrauen.