Ökolampad, Johannes - Bibelstunden über den 1. Brief des Johannes - Zehnter Vortrag

Ökolampad, Johannes - Bibelstunden über den 1. Brief des Johannes - Zehnter Vortrag

In großen Gefahren tut nicht sowohl eine beredte, als eine verständige und zuverlässige Rede Not: und es ist nicht unpassend (was sonst missbilligt werden muss) zuweilen das Nämliche, was zur Sache gehört, zu wiederholen. So wird auch Niemand wähnen, dass man bei einem Brande oder Sturme eines Tullius Cicero oder eines Demosthenes nötig habe, sondern eines Mannes, der, wie auch immer, alle getreulich ermahnt, und wenn er auch noch so laut schreien würde: „Zu den Waffen, bringt schnell die Geschosse und Ähnliches.“ Denn alsdann tut es nicht Not, das Rathaus mit leeren Worten zu erfüllen, wie ein heidnischer Dichter sagt. Man hat nicht Zeit darüber zu streiten, ob es nützlich sei, dass man dem Nächsten zu Hilfe komme, oder ob man den Brand fortschreiten lassen solle. Wir befinden uns aber Alle, die wir diese Erde bewohnen, in den größten Gefahren, wie auch Jesajas sagt: „Schrecken, Grube und Fallstrick über dich, Bewohner des Landes. Die Stadt der Eitelkeit liegt nächstens in Trümmern.“ Was sollen daher wir Prediger des Wortes anders tun, als beständig rufen: Tut Buße! Verlasst das sündige Babel! Seid vorsichtig! Hütet euch vor den Verführern! Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist: und Ähnliches! So redet auch Johannes hier nicht in einnehmender Rede menschlicher Weisheit, aber aufs getreueste und eindringlichste ermahnt er an das, was zumeist Not tut. Daher soll sich keiner verdrießen lassen, dass hier das Nämliche wiederholt wird, sondern man soll vielmehr daraus entnehmen, wie dringend notwendig die Sache sei, und dass eine solche Rede unserer Lässigkeit gezieme. Es folgt aber:

Solches habe ich euch geschrieben von denen, die euch irre führen. Ihr aber habt die Salbung von ihm empfangen, sie bleibt in euch, und ihr habt nicht nötig, dass euch Jemand belehre; sondern wie die Salbung euch belehrt über Alles, und dieses wahr ist, und keine Lüge; und wie sie euch gelehrt hat, so werdet ihr in ihr bleiben.

Johannes gehört nicht zu jenen stummen Hunden, die, wenn sie den Wolf kommen sehen, schweigen: sondern er versieht aufs getreueste das Amt eines Wächters, der den kommenden Feind sieht, und davon Anzeige macht. Er sieht, wie die Widerchristen und Verführer sich ausbreiten, und wie sich vermehrt die Zahl derer, welche die Herzen der Menschen durch Gottlosigkeit verfinstern: und die die Ehre Gottes gering schätzen, damit sie eine menschliche Gerechtigkeit aufrichten. Und er ruft, dass jene da seien, vor denen man sich hüten müsse, jene verführerischen Wölfe, nämlich die falschen Propheten, die der Wahrheit und Christo feind sind. Von diesen droht uns Gefahr und Hinterhalt. Er ermahnt uns aber auf verschiedene Weisen, bald indem er uns an unsere Würde erinnert, bald an den Lohn, bald durch andere Beweggründe. An unsere Würde zuerst, denn groß ist die Würde der Christen, die Salbung. Er bekleidet die Stelle des vornehmsten Lehrers, und belehrt über Alles. Er ermahnt sie daher, dass sie nicht die Salbung auslöschen, noch den heiligen Geist unterdrücken, noch jene getreuen Warnungen unter einander verschmähen, wie der Psalmist sagt: „Heute, so ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht.“ Denn, wenn die Würde dieser Salbung verschwinden würde, so wären wir gleich dem Vieh, und ähnlich den Unvernünftigen. Das Chrismen1), mit welchem die Kinder gezeichnet zu werden pflegen, ist das Sinnbild dieser Salbung; welches keineswegs aufzuheben, sondern mit aller Sorgfalt zu erhalten ist. Ich rede hier nicht von der Zeremonie des Salbens, sondern ich will, dass wir Sorge tragen um die Sache, die dadurch versinnbildlicht wird; damit wir von einer steten Sehnsucht erfüllt werden, in der wir nach der ewigen Heimat seufzen, und ausrufen: Abba, lieber Vater: was nicht ohne den heiligen Geist geschieht, indem er unseren Adel erklärt, dass wir nämlich echte Kinder Gottes seien. Der Sinn aber der Worte des Johannes, indem er sagt: „sie bleibt,“ und nachher: „dass sie bleibe“ ist folgender: Ich weiß zwar, dass die Salbung in euch, als wahren Kindern Gottes jetzt bleibt: sorgt aber nur, dass sie immer bleibe! Denn diese zeigt euch die Eitelkeit der Welt, und zeichnet jedes Ding mit den rechten Farben, damit es erscheine, wie es ist und Niemand getäuscht werde. Ich zweifle zwar nicht, dass ihr nicht vom Geiste gelehrt worden seid, aber ich darf dennoch nicht meine Pflicht unterlassen. Ihr seid gepflanzt, ich muss euch begießen und ermahnen: der aber, welcher in euch ist, verleiht das Gedeihen. Sintemal ihr Christo einverleibt seid: so bleibt demnach in ihm, und hütet euch, dass ihr euch nicht durch die Lügner, und durch die Larven des Widerchristen täuschen lasst.

Und nun Kinder bleibt in ihm.

Schon haben wir gehört und wiederum gehört das Wort: „bleibt.“ Ihr seht, wie er das Nämliche so oft einschärft, ohne Zweifel, weil solches besonders Not tut. Nichts tut wohl so Not als Ausdauer. Seht zu, spricht er, Geliebte, dass ihr euch nicht durch das Beispiel der Anderen abwendig machen lasst, sondern trachtet nach dem, was vor euch ist. Was nützt es wohl aus Ägypten ausgezogen zu sein, wenn man wieder dahin zurückkehrt? Sind nicht die Kinder Israel, die wieder nach Ägypten sich zurücksehnten, in der Wüste umgekommen? Wurde nicht die Frau Lots, die rückwärts blickte, in eine Salzsäule verwandelt? Lasst euch daher nicht erschrecken durch die große Menge derer, die rückwärts schauen, sondern bleibt. Andere fallen, während ihr bleibt. Es handelt sich aber um Eure Seligkeit, darum bleibt und harrt aus. Und wie? Bleibt in ihm, nämlich in Christo, wie er auch von der Salbung gesprochen. Bleibt in ihm, wie die Rebschosse am Rebstocke, damit er selbst sodann durch euch wirke die Frucht der Liebe.

Auf dass, wenn er erschienen ist, wir Freudigkeit haben, und nicht beschämt werden vor ihm bei seiner Ankunft.

Siehe wie er auch andere Beweggründe anführt, nämlich, dass er einst zum Gerichte kommen werde, wovon wir oben geredet haben. Sowohl die Belohnung, die in der Freudigkeit zu Christo besteht, als die Strafe, dass wir nicht beschämt werden, soll uns bewegen, zu bleiben. Dieses Alles wird an jenem Tage offenbar werden. An jenem Tage wird Christus ein sanftes Lamm für die Guten, ein reißender Löwe aber für die Bösen sein: ein Vater für die Seinigen, ein Richter aber für die Fremden. So wie das flammende Schwert von dem Paradiese für die Frommen und Gläubigen in der Scheide ruhte und angenehm war, so war es auf der andern Seite furchtbar durch seine Schärfe für die Ungläubigen. Wir haben aber nicht Zuversicht zu uns selbst, sondern zu ihm, dass er, der uns schon hier so große Güter verleiht, dort nicht die höheren Güter versagen werde. Denn Paulus sagt: „Die ihr Amt wohl verwaltet haben, erwerben sich eine gute Stufe, und große Zuversicht im Glauben in Christo Jesu.“ Denn alsdann werden sie ihre Häupter aufrichten, denn die Drangsal bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, und die Bewährung Hoffnung, die Hoffnung lässt aber nicht zu Schanden werden. Die da glauben, wird er nicht beschämen. Alle diejenigen haben gute Zuversicht, welche hier Christum bekannt haben; denn Christus wird sie auch vor dem Vater bekennen. Dagegen sind jene törichten Jungfrauen aller Zuversicht beraubt, deren Lampen kein Öl haben. Zu ihnen wird er nämlich sagen: „Ich kenne euch nicht!“ `Die ihrem Nächsten nicht seine Schuld verzeihen, die das anvertraute Talent verschwenden oder vergraben, und die keine Frucht bringen, werden nicht allein ausgestoßen, sondern in das ewige Feuer geworfen.

So ihr wisst, dass Er gerecht ist, so erkennt ihr auch, dass jeder, der Gerechtigkeit tut, von ihm geboren ist.

Es fragt vielleicht Jemand: Und wer sind, die am Tage des Gerichtes nicht ausgestoßen werden? Die Söhne Christi, welche durch den Glauben aus ihm geboren sind. Diese verdammt er nicht, denn sonst würde er sich selbst in ihnen verdammen. Die aber sich dieser Welt ergeben, die Kinder des Zornes, gehen mit Recht verloren mit der Welt. Wenn ihr daher Glauben habt und jene wahre Erkenntnis, dass Christus unsere Gerechtigkeit sei, wenn euch solches die Salbung lehrt, dass Christus, der unschuldige und gerechte uns beim Vater vertrete, so sollt ihr auch wissen, wie auch ihr gerecht sein sollt, und ihr sollt euch angelegen sein lassen, dass ihr es seid. Da er nämlich selbst der Vater der Gerechtigkeit ist, so werdet ihr seine Kinder sein, indem ihr die Gerechtigkeit tut, und wenn gleich unsere Gerechtigkeit nichtig ist im Vergleich zu der Seinigen, so ist sie dennoch groß, weil Er sie selbst in uns wirkt. Der ist aus Gott geboren, der da weiß, dass Christus gerecht ist; wer solches weiß, glaubt auch an Christum, und wer da glaubt, der wirkt auch durch den Glauben die Gerechtigkeit, und seine Werke sind gerecht und heilig, da sie sonst nur die Verdammnis verdient hätten, sintemal sie ohne Glauben gewirkt waren, wenn sie auch einen guten Schein gehabt. Wer nicht aus sich gerechtfertigt werden konnte, erlangt die Rechtfertigung durch den Glauben. Also tut der die Gerechtigkeit, der aus Gott geboren ist, wie Johannes in seinem Evangelium sagt: „Er gab Macht Kinder Gottes zu werden denen, die an seinen Namen glaubten; welche weder aus Geblüt, noch aus Begierde des Fleisches, sondern aus Gott geboren sind.“ Zuerst werden wir aus Gott geboren, und alsdann tun wir die Gerechtigkeit, und alsdann können wir zuversichtlich dem Gerichte entgegengehen. Gestützt auf die große Wohltat Gottes, haben wir solche Zuversicht, dass wir uns vor nichts fürchten. Indem er uns die wahrhaft bewunderungswürdige Größe dieser Angelegenheit empfehlen will, ruft er weiter fortschreitend aus:

Seht, welch' eine Liebe uns der Vater erzeigt hat, dass wir Gottes Kinder heißen sollen.

Seht, spricht er, und bewundert, wie gütig Gott gegen uns ist, den wir nun auf Antrieb des heiligen Geistes Vater nennen; so dass er die Lieblichkeit seiner höchsten Liebe in uns ausgegossen, gleichsam als hinge sein Herz an uns allein; denn außer den unzählbaren Gütern, die wir mit den Bösen gemein haben (so ist Himmel und Erde mit Allem, was darinnen ist, für den Menschen erschaffen), hat er vor andern Völkern, die noch in der Finsternis und in den größten Sünden weilen, auch dieses uns verliehen, dass wir das Volk des Eigentums seien und Kinder Gottes genannt werden. Augustin2) las, dass wir heißen und sind; als wäre es zu wenig nur zu heißen, wenn wir nicht auch aus Gnade es wären. Er verlieh uns aber mit dem Sohne alle Güter und vorzüglich Freudigkeit im Gerichte. Wenn aber Jemand sagte: „Warum bin ich, da ich ein Kind Gottes bin, so verlassen in dieser Welt? Wie viele Taglöhner haben Brotes die Fülle im Hause des Vaters, und ich muss hungern? Dies scheinen nicht Zeichen eines liebevollen Vaters zu sein.“ Darauf antwortet der Evangelist:

Darum erkennt euch die Welt nicht, weil sie ihn nicht kennt.

Die Welt erkennt nur den, der sich des Glückes dieser Welt freut. Es ist aber kein Wunder, dass die Kinder Gottes verlassen sind von den Freuden dieser Welt, da Christus sie auch vorher nicht genossen hat. Der Diener ist nicht größer als der Herr. Die Welt hat Christum verfolgt, und so wird sie auch, mit Zulassung des Vaters, euch nicht ohne Verfolgung lassen. Und weil die Welt uns hasst, sind wir deswegen nicht Kinder Gottes? Wahrlich eben deswegen halten wir uns für Kinder Gottes; denn, wen der Herr lieb hat, den züchtigt er. Übrigens besteht jetzt die Glückseligkeit der Kinder Gottes im Glauben und nicht in der äußeren Ehre. Im Glauben wird diese Glückseligkeit erfasst, und ist nicht für die Gegenwart, sondern für die Zukunft zu erwarten. Dahin verweist uns auch der Apostel, indem er sagt:

Geliebte! jetzt sind wir Kinder Gottes, und noch ist nicht offenbar, was wir sein werden. Wir wissen aber, dass, wenn Er erscheint, wir Ihm gleich sein werden; denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist.

Du siehst, dass die Kinder Gottes nicht übermütig werden, wie Großes ihnen vorbehalten ist. Es gibt nichts Beseligenderes, nichts Herrlicheres. Siehe, die hier den Schwachheiten unterworfen und sterblich sind, werden dort unsterblich erscheinen. Mögen wir daher mit Christo gekreuzigt werden, damit wir auch mit ihm auferstehen. Hier würde Christus geschmäht, dort wird er verherrlicht. Wenn wir ihm hier ähnlich sind, werden wir auch dort ihm ähnlich sein. Auch Gott, den wir jetzt mittelst eines Spiegels im Glauben sehen, werden wir dort von Angesicht zu Angesicht schauen, und uns über alle Maßen selig fühlen. O, dass uns dieses unendliche Licht ganz ergriffe und uns umgestaltete, damit wir in demselben, indem es in uns glühte und uns mit Wonne erfüllte, es mit allen Heiligen und Engeln in alle Ewigkeit lobpreisen möchten. Amen!

1)
Chrisam, im Christlichen Osten Myron genannt, ist ein wohlriechendes Salböl. Es wird in der römisch-katholischen Kirche, in den orthodoxen Kirchen, in orientalisch-orthodoxen Kirchen, den katholischen Ostkirchen und in der altkatholischen Kirche bei der Spendung verschiedener Sakramente (z. B. Taufe) und Sakramentalien benutzt. Es wird auch in lutherischen Kirchen und bei den Anglikanern verwendet. Chrisam besteht aus Pflanzenöl, in aller Regel Olivenöl, dem wohlriechende Balsame beigemischt sind.
2)
Augustinus, geboren 354 zu Thagaste in Afrika. Nach einer stürmischen Jugend im Genuss der Lüste dieser Welt, kam die Gnade bei ihm nach heftigen Kämpfen zum Durchbruch, dass er fortan sein Leben dem Dienste Christi und der Kirche weihte. Er war der bedeutendste Lehrer der abendländischen Kirche. Seine Lehre und Schriften wurden namentlich von den schweizerischen Reformatoren wieder zu hohem Ansehen erhoben. Er starb 430.
Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/o/oekolampad/oekolampad_bibelstunden_1_johannesbrief/oekolampad-bibelstunden_1_johannesbrief_vortrag_10.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain