Ökolampad, Johannes - Bibelstunden über den 1. Brief des Johannes - Neunter Vortrag.

Ökolampad, Johannes - Bibelstunden über den 1. Brief des Johannes - Neunter Vortrag.

Es ist eine schöne Sitte, zu Anfange einer Predigt um die Gnade des heiligen Geistes zu beten: aber man soll nicht nur zu Anfange beten, sondern, wenn einer davon Frucht haben will, so muss er ausharren im Gebete mit zu Gott erhobenem Gemüte und nicht aufhören; denn wer in wahrer Sehnsucht nach Wahrheit strebt, begehrt nicht des Buchstabens allein, sondern des Geistes. Und wir, die wir das Amt der Verkündiger des Wortes bekleiden, sind nur die Haushalter über die Geheimnisse Gottes. Gott selbst ist es, der Erkenntnis verleiht, und jener einzige Lehrer im Himmel. Die Kirche hat keinen anderen Lehrer als den heiligen Geist. Als daher der Evangelist zu jener sehr schwierigen Stelle gekommen, wo er von den Widerchristen redet, die von uns ausgegangen, will er, so ausgezeichnet er war, sich doch nicht zum Lehrer aufwerfen, sondern er will sie nur daran erinnern, indem er gleich hinzufügt:

Ihr aber habt die Salbung vom Heiligen und wisst Alles. Ich habe euch nicht geschrieben, weil ihr die die Wahrheit nicht wisst, sondern weil ihr sie wisst.

Gleich als wollte er sagen: Ich habe euch an Etliche erinnert, die Widerchristen und Vorläufer der Wiederkunft Christi sind: ihr aber seid meine Zeugen, wie wahr ich solches rede, und dass ich dazu weder durch Neid noch Gewinnsucht bewegt werde, denn durch euer eigenes Zeugnis bekräftige ich es, nicht als wäre das eure menschliche, sondern die euch von Gott verliehene Ansicht. Durch eure Herzen bezeuge ich es nämlich, welche durch die Erkenntnis Gottes erleuchtet sind und die zu unterscheiden vermögen zwischen Guten und Bösen: wie vorher verkündigt worden: „Sie werden Alle von Gott gelehrt sein.“ Auch Paulus schreibt (1. Kor. 2, 15.): „Der Geistliche aber beurteilt Alles, wird jedoch selbst von Niemanden beurteilt.“ Jeremias sagt ebenfalls: „Und sie sollen nicht mehr einer seinen Nächsten und einer seinen Bruder lehren, sprechend: Lerne den Herrn kennen! Denn Alle werden mich kennen, beide Klein und Groß, spricht der Herr.“ Diese innere Unterweisung, die uns nicht Fleisch und Blut, sondern der Vater im Himmel offenbart, ist am zuverlässigsten: unter ihrer Leitung werdet ihr bekennen, dass ich wahr rede. Daher erinnere ich euch nur daran, und will euch nicht lehren. Die noch nicht erleuchtet und Kinder sind, bedürfen eines Lehrers, daher sagt Paulus, er sei ein Lehrer der Heiden. Und David: Ich will die Übertreter deine Wege lehren (Ps. 51). Diejenigen aber, die wahre Mitglieder der Kirche und erleuchtet sind, können Lehrer der Anderen sein, (Hebr. 3.) und bedürfen nicht, wie die Unwissenden eines äußeren Lehrers, obgleich der Geist uns als Werkzeuge zur gegenseitigen Ermahnung benutzen will. Ich will euch zwar erinnern, spricht er; ihr aber habt die Salbung, durch welche ihr dieses recht versteht. Und was ist diese Salbung? Der heilige Geist. Niemand kann sie jedoch recht erklären, wem sie nicht selbst sich kund getan. Glücklicher erfahren wir sie, als dass wir sie lehren könnten. Sie ist ein Vorgeschmack der Lieblichkeit des Herrn, aus der die Geringschätzung dieser Welt und die Sehnsucht nach den himmlischen Dingen geboren wird; wahrlich diese Salbung ist sehr heilsam! Es ist aber dieses nicht jene äußere Salbung, durch welche die Priester von den Weihbischöfen zu ihrem Amte geweiht werden, und die nichts als Öl enthält und Niemanden besser oder heiliger macht, sondern bloß als Zeugnis der Amtsweihe dient. Auch ist dieses nicht jene Salbung des alten Gesetzes, durch welche Propheten, Priester und Könige gesalbt wurden, deren Salbung einmal für allemal über Christus, den König, sich ergoss, indem das Schattenwerk beim Aufgange des Lichtes und der Wahrheit wich, nachdem er selbst gesalbt worden durch die Fülle der Gnaden und Gaben im heiligen Geiste, von dem auch wir Christen gesalbt und dadurch teilhaftig werden der Fülle seiner Gnade. Dieses nennt Johannes hier: „Ihr habt die Salbung vom Heiligen,“ das ist von Christo, durch den wir auch weit ehrwürdigere Priester und Könige sind. Es wird aber Christus der Heilige genannt, wie Luk. 1. und öfters im Propheten Jesajas, und an anderen Stellen „der Heilige Israels,“ weil er Israel heiligt, und von Israel heilig gepriesen wird. Diese Salbung vermag uns die Erkenntnis aller Dinge zu verleihen. Ich rede hier nicht von jenem Wissen, welches aufbläht; nicht von Sprachkenntnissen, Handwerkskunde, Mechanik und freien Künsten: sondern von der Erkenntnis der Wahrheit, so weit sie uns zur Seligkeit verhilft. Wer nämlich die Quelle alles Wissens, den heiligen Geist hat, was kann dem wohl unbekannt sein, das wahrhaft Not tut? Es ist auch eine geheimere Erinnerung, dass wir auch des Geistes, dessen wir sind, würdig gesinnt seien, und nicht tun sollen, was dieses so erhabenen Geistes unwürdig wäre. Es ist aber diese Salbung der Geist der Wahrheit, von dem die Widerchristen abgefallen sind. Was uns die Salbung ferner lehre, fügt er bei:

Dass jegliche Lüge nicht aus der Wahrheit sei.

Was ist das für eine neue Lehre? Wer weiß nicht, dass die Lüge nicht aus der Wahrheit sei? Ist das jene herrliche Erkenntnis, die aus der Salbung kommt? Allerdings ist die ganze Welt so blind, dass sie das Gute bös und das Böse gut nennt, und zwar redet Johannes hier nicht allein von Worten, sondern von den Sachen selbst. So sehr ist unser Urteil verkehrt. Er lehrt aber, welcher Unterschied zwischen dem Reiche Christi und des Widerchristen sei. Christus ist die Wahrheit; das Reich des Widerchristen ist aber nicht aus der Wahrheit. Die Lügner gehören daher zum Reiche des Widerchristen, so wie auch jede Lüge. Wohl erklärt man diese Stelle richtig durch 2. Thess. 2, 9 ff. „Dessen Zukunft vermöge der Wirksamkeit des Vaters geschieht mit allerlei mächtigen Taten und Zeichen und Wundern der Lüge, und mit allerlei gottloser Täuschung unter den Verlorenen, darum, dass sie die Liebe der Wahrheit nicht angenommen zu ihrer Rettung. Und um deswillen wird Gott wirksamen Trug senden, so dass sie der Lüge glauben: damit alle gerichtet werden, welche der Wahrheit nicht geglaubt, sondern Wohlgefallen gehabt an der Ungerechtigkeit. Wir aber müssen Gott danken allezeit euretwegen, vom Herrn geliebte Brüder, dass euch Gott von Anfang an erwählte zum Heile durch Heiligung des Geistes, und den Glauben an die Wahrheit.“ Siehst du wie Paulus mit Johannes übereinstimmt? Der Sinn des Johannes ist: Ihr wisst, dass diese Menschengattung aus Lügnern und Betrügern besteht, unsere Sache ist aber im Lichte und in der Wahrheit zu wandeln. Christus sucht die Ehre des Vaters, der Widerchrist seine eigene Ehre. Christus herrscht in Gerechtigkeit und Wahrheit, der Widerchrist in Lüge und Verstellung. Das Reich Christi ist im Geiste, dasjenige des Widerchristen aber in heuchlerischen Gebärden. Christus verabscheut die übertünchten Gräber, der Widerchrist kümmert sich nicht um das Innere, wenn die Seinigen nur den Schein der Heiligkeit haben. Jenes buhlerische Babylon hat Gold, Purpur und köstliche Leinwand, und ist die Mutter der Huren. Die Heuchler rühmen sich des Zeichens des Widerchristen, und beten den Drachen an, da ihre Namen nicht geschrieben sind im Lebensbuche des Lammes, das geschlachtet ist, seit Gründung der Welt. Es ist jener Larvenkönig bei Daniel. Siehe die Bullen und Bilder, die er schafft, und die Namen der unzähligen Würden: was bezeichnen sie wohl anders als Larven? Denn sie sind nichts als Namen. Die Bischöfe sind nicht in der Tat Bischöfe, die Vorgesetzten nicht in der Tat Vorgesetzte, die Äbte nicht Äbte, die Priester nicht Priester, die Lehrer nicht Lehrer: sie erkaufen Ehrentitel, während sie Andern ein Vorbild der Demut sein sollten. Vergleiche Christum mit dem Widerchristen, die Apostel mit den Widerchristen. Christus wusch den Aposteln die Füße, dem Widerchristen müssen die Könige die Füße küssen. Christus bildet Diener, der Widerchrist Herren. Christus wird mit der Dornenkrone gekrönt, der Widerchrist mit der dreifachen goldenen Krone: Christus verlangte Glauben und Liebe, und innere Gottesfurcht: im Reiche des Widerchristen wird äußere Gerechtigkeit verlangt, in langen Gewändern, Bischofsmützen und Kardinalshüten, Glatzen, marmornen Tempeln, in Glockengeläute, in Wallfahrten, in weltlichen Festen, in unverstandenen Gebeten, in erzwungener Ehelosigkeit, in verstellter Armut, in erdichtetem Gehorsam, in Messen, die wider die Einsetzung Christi gehalten werden, in der Menge von Altären, in Vigilien und in Jahreszeiten. Und wer könnte Alles aufzählen, worin die erdichtete Religion der Widerchristen herumschleicht? Die wahren Anbeter wissen, dass solches nicht aus der Wahrheit ist. Weil übrigens der Evangelist das Reich der Lüge mit einem allgemeinen Namen bezeichnet, geht er zu einer ausführlicheren Beschreibung desselben über, indem er sagt:

Wer ist der Lügner, wenn nicht der, welcher leugnet, dass Jesus der Christus sei? Das ist der Widerchrist, der den Vater und den Sohn leugnet. Jeder, der den Sohn leugnet, hat auch den Vater nicht.

Somit ist unter denen, die den Namen Christi tragen, niemand ein Lügner, niemand ein Widerchrist. Niemand gesteht, dass er leugne, Jesus sei Christus, oder dass er nicht den Vater und den Sohn bekenne: alle Welt glaubt, dass Gott der Schöpfer des Himmels und der Erde sei. Wer ist daher ein Lügner? wer ein Widerchrist? Im Betreff der Heiden und Juden bedurfte es wohl keiner Antwort; sintemal sie offenbar sich Christo widersetzen, und daher auch nicht an Gott, den Vater, glauben, da sie nicht glauben, dass dessen Sohn Christus sei. Doch von den falschen Christen behaupten wir alle, dass so viele glauben, dass sie aus ihren Werken, und nicht aus dem Glauben an Jesum Christum gerechtfertigt werden, Christum Jesum verleugnen. Siehe, welche große Schar Widerchristen, welche die Rechtfertigung auf die Heiligkeit in ihren Werken, und nicht auf die Würde Christi beziehen. Christus ist deswegen im Fleische erschienen, damit uns seine Barmherzigkeit erlöse, weil wir durch unsere Werke nicht erlöst werden konnten. Daher erinnert auch der heilige Petrus bei dem Anlasse, als er von denen redet, welche verderbliche Sekten nebeneinführen, ausdrücklich, dass sie sogar den Herrn, der sie erkauft habe, verleugnen werden. Es verleugnen ihn aber alle, die ihre Erlösung den eigenen Werken und nicht der Barmherzigkeit Christi und seinem Blute zuschreiben. Ja sie haben sogar sich erfrecht, von der Kanzel herab die Schmach zu verkündigen, dass Christus nicht für unsere Sünden gestorben sei, sondern allein zur Erlösung der Väter, welche im Limbo sich befanden: nun aber müssen wir durch unsere eigenen Werke in den Himmel eingehen. Wo bleibt nun aber die Gnade? O der Schmach: oder heißt das nicht Christum verleugnen? Willst noch andere Scharen von Abtrünnigen kennen lernen? Es spricht der Herr (Mal. 1,6): „Bin ich euer Vater, wo ist meine Ehre? Bin ich Herr, wo ist die Achtung?“ Und ich füge bei: Wenn Jesus ist Christus, wo ist der Glaube an ihn? Was ist wohl seltener zu finden, als der wahre Glaube an ihn? Warum laufen wir lieber zu jedwedem Heiligen als zu Christo? Warum dienen wir ihm so nachlässig? Warum verfolgen wir die Brüder, die Christus erlöst hat? So oft wir unsern Leib dem Teufel zur Verunreinigung überlassen, oder die Wahrheit verraten, verleugnen wir da nicht Christum? - Die täglich bei den Wunden, bei den Schmerzen, beim Kreuze und Blute Christi eitel schwören, entsagen sich die nicht dadurch Christo? Die heut zu Tage so verächtlich vom Evangelio und dem Worte Gottes reden, und die Verkündiger des Wortes verfolgen, sind das nicht Christileugner? Was tun denn alle Unbarmherzigen, und so viele sich des Evangeliums schämen, verleugnen die nicht Christum? Du brauchst mich nicht zu fragen, wo ich Christum nackt, und ohne Herberge gesehen. Siehe, so oft du auch einen Armen verachtest, verleugnest du Christum. Nun gehe hin und staune über die große Anzahl der Christileugner, oder vielmehr über die kleine Zahl derer, die Christum bekennen. Während ferner jene solches tun, was sollen wir tun; denn es ist nicht genug, dass wir Christum nicht verleugnen? Daher fügt Johannes eine Ermahnung bei:

Was ihr nun gehört habt von Anfang an, das bleibe in euch! So in euch bleibt, was ihr von Anfang an gehört habt, so werdet ihr auch im Sohne und im Vater bleiben.

Er will, dass wir das bewahren, was uns die Apostel gelehrt, und die Neurungen und späteren Überlieferungen verwerfen. Denn wer nach den Aposteln geredet, und Neurungen eingeführt, hat solches als Mensch geredet. Die Päpste und Kanonisten, Thomas und Scotus1), haben wir nicht von Anfang an gehört. Daher wollen wir nur das tun, was der Herr befohlen hat. Den königlichen Weg sollen wir wandeln und das bewahren, was wir von Anfang an von den Aposteln vernommen. Und was ist das? Um kurz zu sagen: dass wir bleiben im Sohne, bleiben aber im Sohne, wenn wir mit festem Glauben ihm anhangen. Und weil der Sohn im Vater bleibt, so bleiben wir auch im Vater, wenn wir dem Sohne anhangen: und so erlangen wir denn jene Gemeinschaft, die er im Eingange des Briefes erwähnt. Daher spricht er:

Und das ist die Verheißung, die er uns verheißen hat: das ewige Leben.

Jene unsere große Verheißung, und jenes erwünschte Land der Verheißung, der Ort der Lebendigen, ist die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne, ja das ewige Leben selbst. Wer sollte nach einer so großen Verheißung nicht erweckt werden zum neuen Leben? Und fürwahr, damit du noch sicherer seiest, fügt er bei: Er selbst hat's verheißen! Christus ist die Wahrheit, und er hat denen, die an ihn glauben, solches verheißen, damit wir nicht zweifelhaft seien. Lasst uns daher Christum bitten, dass er uns Alle dieser so großen Freuden teilhaftig werden lasse! Amen.

1)
Thomas und Scotus, zwei geistliche Schulgelehrte und Mönche, deren Lehren von den zwei Mönchsorden des Dominikaner und Franziskaner mit aller Spitzfindigkeit und toter, unfruchtbarer Schriftgelehrsamkeit vorgetragen und verfochten wurden. Thomas Graf von Aquino (1222) war ein Dominikaner und lehrte in Köln, Paris, Rom und anderen Städten Italiens. Duns Scotus (1224) ein Franziskaner, war Lehrer zu Oxford, Paris und Köln. Die Lehren dieser zwei Schulgelehrten des Mittelalters galten zur Zeit der Reformation über Evangelium und heilige Schrift.
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