Nicolai, Philipp - Aus dem Vorwort zum Freudenspiegel

Nicolai, Philipp - Aus dem Vorwort zum Freudenspiegel

„In solchem Jammer und Elend1), als es hie zu Unna in allen Gassen rumorte, und oftmals etliche Tage nach einander bis in die dreissig Todte nicht weit von meiner Wohnung auf dem Kirchhofe unter die Erde verscharrt worden, habe ich mit Todesgedanken mich immer schlagen müsen, und war mir nicht ein Mal zu Muthe wie dem Könige Hiskia, da er sprach: Nun muss ich nicht mehr sehen den Herrn, ja den Herrn im Lande der Lebendigen. Meine Zeit ist dahin und von mir aufgeräumt wie eines Hirten Hütte, und reisse mein Leben ab wie ein Weber (Jesaia 38). Es überfiel die Pest mit ihrem Sturm und Wüthen die Stadt wie ein unvorhergesehener Platzregen und Ungewitter, liess kein Haus unbeschädigt, brach endlich auch zu meiner Wohnung herein, und gingen die Leute meistentheils mit verzagtem Gemüth und erschrockenem Herzen wie erstarret und halb todt daher, dass einer hätte mögen hierherziehen, was Moses schreibt mit nachfolgenden Worten: Der Herr wird dir ein bebend Herz geben und verschmachtete Augen und eine verdorrete Seele, dass dein Leben wird vor dir schweben. Nacht und Tag wirst du dich fürchten und deines Lebens nicht sicher sein. Des Morgens wirst du sagen: Ach, dass ich den Abend erleben möchte! Des Abends wirst du sagen: Ach, dass ich den Morgen erleben möchte! vor Furcht deines Herzens, die dich schrecken wird und vor Dem, was du mit deinen Augen sehen wirst. Zu Lübeck, Hamburg, Lüneburg, Hildesheim, Göttingen, desgleichen in Niederhessen und in der Grafschaft Waldeck, meinem lieben Vaterlande, zu Corbach, Wildungen und Mengeringshausen fehlte es auch nicht. Und was Einer an solchen Orten hin und wieder an bekannten Freunden hatte, davon hörte er fast Nichts, denn von ihren Krankheiten und tödtlichem Abschiede von diesem Leben, inmaassen denn auch mir eitel traurige Zeitung zu Ohren kam von etlichen meiner Schwestern, Blutsfreunden und Schwägern, die durch die Pest erwürget und hingerissen wurden, welches mir mein Bekümmerniss vermehrt und so viel weitläuftigen Anlass gab, all' mein Datum, Herz und Gedanken von der Welt abzuwenden. Da war mir nichts Süsseres, nichts Lieberes und nichts Angenehmeres, als die Betrachtung des hohen, edeln Artikels vom ewigen Leben durch Christi Blut erworben. Ich liess denselben Tags und Nachts in meinem Herzen walten und erforschte die Schrift, was sie hiervon zeugte, las auch des alten Lehrers St. Augustini liebliche Tractätlein, darin er dies hohe Geheimniss als ein Nüsslein aufbricht und den wundersüssen Kern herauslanget, brachte darauf meine Meditationes von Tage zu Tage in die Feder, befand mich, Gottlob, dabei sehr wohl, von Herzen getrost, fröhlich im Geist und wohl zu frieden, gab meinem Scripto den Namen Freudenspiegel und nahm für, denselben verfassten Freudenspiegel, da mich Gott von dieser Welt entfernen würde, als ein Zeugniss meines friedlichen, fröhlichen und christseligen Abschieds zu hinterlassen, oder aber, da er mich gesund sparte, an den nothleidenden Christen, welchen er die Pest auch zu Hause senden würde, aus christlicher, schuldiger Liebe damit zu dienen und gleich als mit gegenwärtigem Trost beizuwohnen. Nun hat mich der gnädige, fromme Gott mitten unter den Sterbenden vor der grausamen Pest allergnädigst bewahrt und mein Leben über alle meine Gedanken und Hoffnung wunderbar gefristet, dass ich mit dem Propheten David zu ihm sagen kann: „Wie gross ist deine Güte, die du verborgen hast Denen, die dich fürchten!“


Quelle: Beste, Wilhelm - Die bedeutendsten Kanzelredner der lutherschen Kirche des Reformationszeitalters

1)
während des Pestjahrs 1597, Anm. Andreas
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