Newton, John - Das fortschreitende Werk der Gnade im Herzen des Menschen - Dritter Brief.

Newton, John - Das fortschreitende Werk der Gnade im Herzen des Menschen - Dritter Brief.

„C“, oder der volle Weizen in den Ähren. Mark. 4, 28.

Lieber Freund!

Um den Unterschied in dem fortschreitenden Werke der Gnade anzudeuten, habe ich die Stufe, auf welcher sich „A“ befindet, mit dem Worte Sehnsucht, und die, auf welcher sich „B“ befindet, mit dem Worte Kampf bezeichnet; ich kann kein passenderes Wort finden, um die eigentümlichen Erfahrungen zu bezeichnen, welche auf der dritten Stufe, der wir den Namen „C“ geben wollen, gemacht werden, als das Wort Beschauung. Der Vorzug dieses Zustandes im Vergleich mit dem des „A“ besteht nicht in einem besonderen Gefühl einer heißen Liebe zum Herrn; denn in dieser Hinsicht haben viele erfahrene Gläubige mit einer Art Wehmut auf die Zeit ihrer ersten Vermählung mit dem Herrn zurückgeblickt, da ihre Erkenntnis zwar noch unvollkommen, und ihre Begriffe von den Wahrheiten des Evangeliums noch sehr unbestimmt und unklar waren, sie hingegen eine Inbrunst des Geistes fühlten, an welche sie sich später nicht ohne tief gedemütigt, aber auch zugleich sehr erquickt zu werden, erinnern konnten; während sie, selbst bei bedeutendem Fortschritt auf den Wegen des Herrn, unvermögend waren, dasselbe Gefühl wieder in sich zu erwecken. Auch zeichnet sich dieser Zustand vor dem des „B“ nicht durch ein stärkeres Bewusstsein der Annahme und der vollkommenen Vergebung aller Sünden aus, denn wir haben schon vorausgesetzt, dass „B“ dieses Alles in vollkommener Klarheit besaß. Da indessen jede innere Gnadenerfahrung eines stufenweise zunehmenden Wachstums fähig ist, so ist natürlich die Zuversicht, welche „C“ zu Gott hat, unerschütterlicher und einfältiger, als da er zuerst inne ward, dass nichts Verdammliches mehr an ihm war (Röm. 8, 1); denn sein Verständnis des Evangeliums und sein Glaube an die Gnade und Wahrheit des Eingebornen vom Vater (Joh. 1, 14) ist ihm durch vieljährige Erfahrung bestätiget worden. Aber er besitzt in sich selbst keine Kraft, keinen Vorrat aufgesammelter Gnade, und ist darum ebenso abhängig und unvermögend als „B“, ja sogar als „A“; er hängt einzig und allein von der freien Gnade Gottes ab, und ist ebenso untüchtig aus sich selbst geistlich gesinnt zu sein, oder einer Versuchung zu widerstehen, als er es am ersten Tage seiner Erweckung war. Und dennoch ist er in einem gewissen Sinn viel stärker, denn er hat mehr Gefühl und ein beständigeres Bewusstsein seiner eigenen Schwachheit. „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ (2. Kor. 12, 10). Diese eine große Lehre hat ihm der Herr durch mancherlei abwechselnde innere und äußere Erfahrungen beigebracht, und aus Gnade darf er sagen, dass seine vielen Leiden nicht vergebens gewesen sind. Sein Herz hat ihn so oft betrogen, dass er endlich davon abgekommen ist, diesem verzagten und trotzigen Dinge zu trauen; darum täuscht er sich auch jetzt seltener. Und da er so oft und vielfältig die Eitelkeit und Unzuverlässigkeit jeder andern Hilfe erfahren hat, so hat er endlich gelernt bei jedem Anlass geraden Weges zum Herrn zu gehen, und ihn um Gnade zur Aushilfe in der Zeit der Not anzusprechen. Darum ist er stark, aber nicht in sich selbst, sondern in der Gnade, die da ist in Christo Jesu.

Aber die Seligkeit, welche „C“ genießt, und der Vorzug seines Zustandes vor dem des „B“ besteht vorzüglich darin, dass er zu dem verborgenen Leben mit Christo in Gott durchgedrungen ist (Kol. 3, 3). Durch den Segen des Herrn und den gewissenhaften Gebrauch der dargereichten Mittel: als Gebet, das Lesen und Anhören des Wortes Gottes, und durch eine geheiligte praktische Benutzung dessen, was er während seiner jahrelangen Erfahrung vom Herrn und von seinem eigenen Herzen gesehen hat, hat er eine klarere, tiefere, innigere und bewusstere Einsicht in das Geheimnis der Versöhnung erlangt. Die überaus große Herrlichkeit des Herrn Jesu Christi, in seiner Person, in seinem Mittleramt, in seiner Gnade und in seiner Wahrheit steht ihm beständig vor Augen; die ganze Fülle der Vollkommenheit Gottes, die innige Übereinstimmung seiner anbetungswürdigen Eigenschaften, wie sie in Jesu leibhaftig offenbart worden, stellt sich seinem staunenden Geiste dar; die ewig unerschütterliche Wahrheit der Heiligen Schrift, ihre Fülle, Zuverlässigkeit und tröstende Kraft liegt klar und deutlich, wie ein stiller See, vor seinem forschenden Geiste ausgebreitet; und die Höhe, Tiefe, Länge und Breite der Liebe Gottes in Christo Jesu, die ihm aus diesem Meere der Barmherzigkeit entgegenstrahlt, nimmt sein Inneres so ein, dass er nichts anders kann, als in tiefster Stille und Ehrerbietung sich Gott ergeben, und Ihn im Geiste und in der Wahrheit anbeten.

Obgleich nun seine Gefühle nicht so lebendig und beweglich sind, als da er auf der Stufe von „A“ stand, so ist doch seine Erkenntnis reifer; er ist im Geiste des Gemütes stiller, und seine Gedanken beschäftigen sich viel mit den Dingen, die im Inwendigen des Vorhanges sind (Hebr. 6. 19). Sein einziges Geschäft besteht jetzt darin, die Herrlichkeit Gottes in Christo anzuschauen, und durch dieses Anschauen wird er verwandelt in dasselbige Bild, und bringet hervor mit wunderbarer Kraft Früchte der Gerechtigkeit, die da sind zur Ehre Gottes durch Jesum Christum. Seine innerliche Beschauung der Herrlichkeit Christi ist aber keine eitle, unfruchtbare Spekulation, sondern sie hat einen bleibenden, praktischen Einfluss auf sein ganzes Wesen, und gibt ihm immer neue Kraft in der Nachfolge Jesu Christi durch seinen ganzen Lebenswandel zu beweisen, wes Geistes Kind er geworden ist. Sein Gang ist ruhiger, stiller, einfacher, aber auch beständiger als man es von „A“ und „B“ zu erwarten berechtigt ist. Äußerlich ist ein soweit geförderter Christ oft sehr unscheinbar und auch wohl verachtet und verkannt, aber ganz herrlich ist diese Königstochter inwendig, von goldenen Äugelein ist das Gewand der Gerechtigkeit Jesu Christi, das sie angezogen hat, darum hat auch der König Lust an ihrer Schöne (Ps. 45, 12. 14), und erquicket ihre Seele täglich, indem er sie küsset mit dem Kuss seines Mundes (Hohel. 1, 2).

Die folgenden einzelnen Eigenschaften eines solchen Christen werden vielleicht dazu dienen, die Herrlichkeit dieses Zustandes besser herauszuheben:

1. Demut.

Ein gewisses Maß dieser Gnadengabe muss jeder wahre Christ notwendig besitzen; sie kann aber nur nach Verhältnis der Erkenntnis Christi und des eigenen Herzens vorhanden sein. Es ist ein Teil des täglichen Geschäfts unseres Freundes „C“, zurückzublicken auf den Weg, den der Herr ihn geführt hat; während er nun die vielen Ebenezer, welche er auf diesem Wege hat pflanzen dürfen, ansieht, so wird er bei jedem derselben auch zugleich an sein eigenes grundverderbtes Herz erinnert, und an die vielen Tausend Anlässe, da er dem Herrn alle seine Treue und Liebe mit Undankbarkeit gelohnt hat. Wenn er nun diese zwei Dinge an einander hält: die Gnade und Barmherzigkeit Gottes und sein eigenes tiefes Verderben, so wird er veranlasst die Ausdrücke des Apostels: „Der Geringste von allen Heiligen, und der Vornehmste unter allen Sündern“ ganz und ohne irgendeine Heuchelei auf sich anzuwenden. „A“ und „B“ wissen, dass es des Christen Pflicht ist demütig zu sein, aber, „C“ ist es in der Tat, und lebt täglich im Gefühl jener oben angeführten Worte des Ezechiel (Kap. 16, 63). Er kennt die unbeschreibliche Gnade seines Heilandes am besten, weil er sich selbst am besten kennt. Die Vorstellung von der unendlichen Majestät und der unaussprechlichen Liebe Gottes erfüllt seine Seele mit tiefer Ehrerbietung; er verbirgt sein Angesicht und betet an ihm Staube.

Aus der Demut erwachsen noch zwei andere Tugenden, welche eine große Zierde des Christen, und zwei Hauptzüge der Gesinnung sind, die sich in der Person Christi offenbarte.

Die erste heißt: vollkommene Übergabe in den Willen Gottes. Die Einsichten, welche er in seine eigene Sündhaftigkeit, seine Unwürdigkeit und Unwissenheit erlangt hat; so wie die Erkenntnis der Macht, Weisheit und Liebe Gottes, die ihm zu Teil geworden ist, lehren ihn mit Allem, das ihm im Innern oder im Äußern begegnet, zufrieden zu sein, und alle Leiden, welche Gott ihm aufzuerlegen für gut hält, mit vollkommener Hingabe an seinen Vater, der wohl weiß, was er mit seinem Kinde vorhat, zu tragen. „Er ist wie ein Stummer, der seinen Mund nicht auftut, er ist wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, und wie ein Schaf, das verstummet vor seinem Scherer, und seinen Mund nicht auftut.“

Die zweite heißt: zärtliche, brünstige Liebe zu seinen Brüdern in Christo. Er darf ihren Wandel nicht nach den Grundsätzen der Welt beurteilen; aber sein eigenes Herz und die Kenntnis von den Schlingen

II.

der Welt und der heimlichen Tücke des Satans, welche er erlangt hat, lehren ihn mit Schonung und Nachsicht urteilen, wodurch er denn auch tüchtig wird diejenigen, welche von einem Fehl übereilt worden sind, im Geiste der Sanftmut und Liebe zurückzubringen zu dem Hirten und Bischof ihrer Seelen, indem er der Seele vom Tode hilft, und bedeckt die Menge der Sünden (Jak. 5, 20).

In diesem Punkt lässt sich „A“ gewöhnlich manchen Fehler zu Schulden kommen, indem er sich leicht vom Eifer um seines Herrn Sache, der durch die gründliche Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit noch nicht gemildert wird, zum voreiligen Richter über seine Brüder hinreißen lässt, wodurch er sich und seinen Brüdern manche Leiden bereitet. Aber „ C“ hat auch mit der Weise des „A“ Geduld, denn er ist sich bewusst, dass er selbst solche Fehler begangen hat, und ist weit davon entfernt vom grünen Grase die Eigenschaften der reifen Frucht zu erwarten.

Er ist geistlich gesinnt. Es ist jedem wahren Christen eigen, sich je mehr und mehr von der Welt ab zu einer geistigeren Auffassungsweise aller Dinge hinzuneigen, und im Vergleich mit der Erkenntnis der Liebe Gottes in Christo Alles als Eitelkeit und Aufenthalt anzusehen, denn die Welt kann er nie zu seinem Teil erwählen (1. Joh. 2, 15). Aber ach! wie Viele sind nur in einigen ihrer Neigungen erneuert, und wie leicht lassen wir uns zu einer unrichtigen Anhänglichkeit an den Dingen dieser Welt verführen! Der Geist des Menschen klebt am Staube fest, trotz seiner besseren Überzeugung, und ich glaube, dass der Herr seinen Kindern selten den Sieg über diese böse Neigung gewähren kann, ohne ihnen vorher recht empfindlich zu zeigen, wie tief sie in ihren Herzen eingewurzelt ist. Wie oft sieht man nicht solche Seelen in dieser Hinsicht noch verstrickt und gebunden, von deren Aufrichtigkeit vor dem Herrn man in jeder andern Hinsicht doch überzeugt ist; besonders offenbart sich diese Anhänglichkeit an der Welt, wenn irgendeine unerwartete Veränderung im Leben eintritt, welche den Menschen in Verhältnisse bringt, an die er früher nicht gewohnt gewesen ist. Ein sehr bedeutender Teil unsrer Leiden sind von der in der Weisheit spielenden Barmherzigkeit Gottes dazu bestimmt, uns von dieser Sünde zu reinigen, welche dadurch allmählig geschwächt wird, dass uns der Herr bald die Eitelkeit alles geschaffenen Wesens, bald seine eigene Herrlichkeit und Allgenugsamkeit sehen lässt.

Selbst „C“ ist in dieser Hinsicht noch nicht ganz erlöst, denn er trägt den Leib der Demütigung und Schwachheit mit sich herum, und der ist ja aus Erdenstaub gebildet; aber er ist sich des Nachteils, des Übels einer solchen Anhänglichkeit klarer bewusst als „A“ und „B“; er demütiget sich deshalb mehr, wenn er sie noch in sich wahrnimmt, er wacht dagegen und ist darum freier davon. Noch fühlt er die Bande, aber er sehnet sich davon befreit zu sein und entgegen zu kommen zur Auferstehung der Toten (Phil. 3, 11). Darum genießt er dieser Welt, als gebrauchte er ihrer nicht (1. Kor. 7, 31), sondern achtet Alles für Schaden wegen der erhabenen Erkenntnis Christi Jesu seines Herrn, um welches willen er auch Alles eingebüßt hat, und achtet es für Unrat, auf dass er Christum gewinne (Phil. 3, 8); in seinen Augen ist nichts als der Umgang mit Gott und der Wachstum in der Heiligung eines Gedankens mehr wert. Wie auch immer die Veränderungen in seinem äußeren Leben sein mögen, so bleibt „C“ doch unveränderlich derselbe Mensch. Er hat mit dem Apostel nicht allein gelernt Mangel zu leiden, sondern auch (was noch viel mehr sagen will) Überfluss zu haben. Ohne die Gegenwart des Herrn würde ihm der schönste Palast zum

III.

Gefängnis werden, und mit derselben ist ihm das elendeste Gefängnis ein Himmelreich.

Aus dieser Gemütsstimmung entsteht ein friedliches Abhängigkeits-Gefühl von Gott: er hat Nichts, das er nicht ganz dem Herrn übergeben; Nichts, das er nicht zu jeder Stunde ganz zur Verfügung Gottes stellen könnte, ohne irgendeinen Anteil daran haben zu wollen. Darum fürchtet er auch keine böse Botschaft, und wenn Andere von den Stürmen des Lebens wie Espenblätter umgetrieben werden, bleibt er ruhig und unbeweglich, wie ein Fels im Meere; denn er vertrauet seinem Herrn, von dem er weiß, dass er den Verlust des Zeitlichen mit ewigen Gütern zu ersetzen vermag, und diese sind es ja eben, darin sein Herz allein Freude findet. Er sieht, dass er eigentlich nur von den Kräften der zukünftigen Welt leben kann, darum achtet er weder sein Leben noch irgendeine andere irdische Angelegenheit hoch, auf dass er seinen Lauf mit Freuden vollende.

Ein dritter herrlicher Zug, woran man den in „C“ gewordenen neuen Menschen erkennen kann, ist ein beständiges Suchen der Ehre und des Willens Gottes in Allem, was er denkt, spricht oder tut. Die Ehre Gottes und das Wohl seiner Kinder sind unzertrennlich mit einander vereinigt. Ohne alle Widerrede ist die Ehre Gottes aber der höchste und wichtigste Gegenstand im Himmel und auf Erden, in den sich am Ende alles andere auflösen wird (1. Kor. 15, 28). Je vollkommener wir nun werden, d. h. je näher wir mit unserm Geiste zu Gott kommen, desto mehr wird sich unser Wille mit dem seinigen vereinigen, desto mehr wird sich all unser Wollen, Denken und Begehren dem höchsten Gotteswillen unterordnen; und die Ehre seines herrlichen Namens wird den ersten Platz in unseren Herzen einnehmen. Im Anfang der Bekehrung ist es nicht so, oder wenigstens ist es sehr unvollkommen der Fall; denn unsere Hauptsorge ist immer für uns selbst, und es kann auch nicht wohl füglich anders sein. Die erweckte Seele fragt: was soll ich tun, dass ich selig werde? Der Neubekehrte sucht empfindliche Tröstungen, und wenn er seine ewige Seligkeit in der Gnade Gottes gesichert sieht, so wünscht er oft, beim Anblick der vielen Leiden, die seiner noch im Leben warten, bald aus diesem Lande der Tränen und des Kampfes zu seiner ewigen Ruhe eingeführt zu werden, wo die Hitze des Tages ihn nicht mehr drücken wird, in das Land des Friedens:

„Wo von Feinden ungekränkt,
Ruh' den müden Geist umfängt.“

Aber „C“ hat erweiterte, umfassendere Blicke in die Führungen Gottes mit seinem Volke auf Erden getan; so lange er nur sich selbst ansieht, so hat er allerdings viel mehr Lust außer dem Leibe zu wallen, und daheim zu sein bei dem Herrn; aber das Verlangen seiner Seele dürstet danach, dass der Name seines Heilandes in ihm und durch ihn verherrlichet werde, sei es im Leben oder im Sterben, darum befleißigt er sich, er sei daheim oder walle, dass er Ihm wohlgefallen möge. Er gehört sich selbst nicht mehr an, und mag sich selbst auch nicht angehören; und wenn nur die Kraft Jesu Christi an ihm offenbar werden kann, so freut er sich der Schwachheit, des Elendes, der Versuchungen aller Art; er trägt um allezeit das Sterben des Herrn Jesu an seinem Leibe (2. Kor. 4, 10) und danket und lobet den Herrn, dass er dessen gewürdigt wird. Obgleich ein solcher Mensch sich sehr sehnet nach seiner himmlischen Heimat, so ist er doch auch gerne bereit, so lange wie Methusalem auf Erden zu leben, wenn nur der Name seines Heilandes durch sein Leben und seine Leiden verherrlicht werden kann.

Seine Liebe zum Herrn ist reiner, uneigennütziger, einfältiger geworden, denn er hat den allein Liebenswürdigen so rein, so heilig, so fleckenlos erfunden, dass er nicht anders kann, als von Herzen begehren Ihm in allen Dingen und darum auch in der Liebe ähnlich zu werden; darum vergisst er sich selbst ganz und gar, und kennt kein höheres Glück, als den Willen seines Vaters im Himmel zu tun. Dass Gott in Christo verherrlicht und sein heiliger Name erkannt und angebetet werde, das allein erquickt seine Seele, sonst sind ihm alle Dinge gleichgültig, und sein Herz kennt keinen höheren Wert als den, dass der gute, wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes in ihm und allen Geschöpfen geschehen möchte; dieses sucht er in seinen Gebeten und in allen seinen Handlungen. Also ist „C“ den Engeln Gottes gleich, und soweit es nur immer die Schwachheit seiner gefallenen Natur zulässt, geschieht durch ihn der Wille Gottes auf Erden, wie er von den seligen Bewohnern des Himmels ausgeführt wird.

Die Kraft der Gnade Gottes in dem Herzen unsers Freundes „C“ äußert sich in allen möglichen Lebensverhältnissen. Er mag reich oder arm, gelehrt oder ungelehrt sein, sein Temperament mag lebhaft, feurig oder langsam und phlegmatisch sein; sein Lebensweg mag im Vergleich mit Andern rau und dornig, oder eben und freundlich sein; alle diese äußeren Umstände werden zwar dazu beitragen, dem Werk der Gnade einige Verschiedenheit in der äußeren Erscheinung zu geben; im Innern und im Wesentlichen bleibt es aber immer ein und dasselbe große Gotteswerk; und um einen richtigen Begriff von dem Leben des Glaubens zu erlangen, müssen wir notwendig, so viel es nur immer möglich ist, entweder im Allgemeinen alle diese äußeren Umstände zusammen ganz unbeachtet lassen, oder in jedem vorkommenden einzelnen Fall die äußere Erscheinung von dem inneren Wesen zu sondern wissen. Viele ganz natürliche Anlagen, als ein ruhiges Gemüt, ein ausgebildeter Verstand, Kenntnis der Welt und dergleichen, können dazu beitragen, einem Menschen, der unter der Gnadenleitung Gottes steht, das Ansehen einer ausgezeichneten Heiligkeit zu geben; und ebenso umgekehrt, kann Manches, das an und für sich nicht Sünde, aber ein unvermeidliches Gebrechen ist, das Werk der Gnade in einem Andern verdunkeln: als etwa ein schwacher sehr an das Alltägliche und Gewöhnliche hangender Geist, geringe Anlagen, ein großer Andrang von Versuchungen; dieses Alles kann einen solchen in der äußeren Erscheinung nachteilig aussehenden Einfluss haben, dass ein anderer, der dieselben Erfahrungen nicht gemacht hat, leicht daran irre werden könnte. Ein doppeltes Maß der wahren Gnade in dem Herzen eines Menschen, wenn man sich eines solchen Ausdrucks bedienen darf, welche mit einem doppelten Maß von Hindernissen zu kämpfen hat, wird von einem Andern nicht leicht entdeckt werden, wenn er nicht auch alle diese Hindernisse kennt und berücksichtiget; und ein kleineres Maß der Gnade kann sehr groß erscheinen, wenn sie frei und ohne bedeutende nachteilige Einflüsse von außen wirken kann.

Aus allen diesen Gründen wird ein Christ nie ganz richtig über den inneren Zustand eines Andern urteilen können, denn es ist unmöglich, dass er mit allen Nebenumständen vertraut sein kann. Aber unser großer und gnädiger Hohepriester kennt Alle und jeden Einzelnen; er sieht unsre elende sündige Natur an, und ist eingedenk, dass wir „nur Staub und Asche sind“, darum ist er langmütig und geduldig, bemitleidet und trägt, nimmt an und weiset zurecht einen Jeglichen, der zu seinem Gnadenthron nahet, mit untrüglicher Gewissheit, denn er ist der Herzenskündiger.

Die Strahlen der Sonne in ihrem täglichen Umlauf finden nichts Herrlicheres und Ehrwürdigeres auf der ganzen Erde, als unsern Freund „C“, der oft von den Menschen ganz ungekannt und vernachlässigt sein göttliches Leben in der stillen Verborgenheit einer armseligen Hütte führt. Er ist der auserwählte edle Same, der heilige Tempel, darin die Liebe Gottes thront; die Engel des Höchsten haben den Auftrag, diesen Lustgarten des Heiligen zu hüten und zu bewachen, denn er reift der ewigen Herrlichkeit entgegen. O seliges Leben, das verborgen ist mit Christo in Gott! Alle Arbeit, alle Leiden, alle Entbehrungen dieses armen Erdenlebens werden bald zu Ende sein; bald wird der Glaube zum vollkommenen Anschauen gelangen; und der, welcher sein Kind geliebt und mit eigenem Blut erkauft hat, wird es bald einnehmen zur ewigen Freude und Wonne seines Angesichts, mit den trostreichen Worten: „Ei du frommer und getreuer Knecht, du bist über Wenigem treu gewesen, ich will dich über viel sehen; gehe ein zu deines Herrn Freude“ (Matth. 25, 21).

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