Neviandt, Heinrich - Die Gemeinde der Gläubigen im Alten und Neuen Testament, ihre Beziehungspunkte und ihre Unterschiede.

Neviandt, Heinrich - Die Gemeinde der Gläubigen im Alten und Neuen Testament, ihre Beziehungspunkte und ihre Unterschiede.

Im Herrn geliebte Brüder! Zu den Herrlichkeiten, die uns die Offenbarung Gottes in der heiligen Schrift vor Augen führt, gehört nicht zum Wenigsten der wunderbare Zusammenhang, in dem die ganze heilige Schrift alten und neuen Testaments mit einander steht. Es ist ein herrliches Ganzes, von der Meisterhand Gottes zusammengefügt. Und wenn wir nach dem Band fragen, das sie zusammenhält, so finden wir die Antwort in dem Wort des Herrn Jesu, das ja zunächst vom alten Testament gilt. Joh. 5,39. Sie (die Schrift) ist es, die von mir zeugt. Ja wohl, die ganze heilige Schrift ist ein Zeugnis von Jesu Christo, das alte Testament ein Zeugnis von Dem, der kommen soll, das neue Testament von Dem, der gekommen ist, und von Dem, der wieder kommen wird in Herrlichkeit. In dieser einfach vorliegenden Tatsache ist es auch schon ausgesprochen, was unser Thema in Bezug auf einen besonderen Punkt hervorhebt, dass es nämlich wichtige Berührungspunkte und dass es ebenso wichtige Unterschiede zwischen dem alten und neuen Testament geben muss. So drückt es auch schon das alte lateinische sinnreiche Wort aus: „Novum testamentum in vetere latet, vetus in novo patet“ (zu deutsch: Das neue Testament ist im alten Testament verborgen vorhanden und das alte Testament wird durch das neue ins rechte Licht gestellt). Oder das alte Testament ist im Großen und Ganzen Weissagung, das neue Erfüllung, das alte Testament Schatten, das neue Testament Wesen. Ähnlich muss nun auch das Verhältnis der Gemeinde der Gläubigen im alten Testament zu der im neuen Testament sich gestalten. Das können wir nun von vornherein feststellen. Und die nachfolgende Untersuchung wird das, denke ich, bestätigen. Dabei will ich von vornherein es aussprechen, dass ich nur einige Andeutungen, einige Grundlinien zu geben beabsichtige, da zu einer gründlicheren Behandlung des Gegenstandes mehr Zeit und auch wohl mehr Ausrüstung gehören, als ich besitze.

Die Gemeinde Jesu Christi, der Leib Christi, in der vollen Bedeutung des Wortes, wie sie in vielen Stellen des neuen Testaments erwähnt wird, darin werden wohl alle gläubigen Schriftforscher einverstanden sein, umfasst die Gesamtheit aller Gläubigen aller Zeiten und aller Geschlechter bis zur Vollendung hin. Wie Jesus Christus im ewigen Heute steht: „Ehe denn Abraham war, bin ich,“ so steht auch seine Gemeinde vor ihm von Ewigkeit her, sie ist in ihm erwählt vor Grundlegung der Welt und steht vor ihm schon als eine vollendete da, und in der Zeit erfüllen sich die ewigen Ratschlüsse Gottes in Christo Jesu durch den heiligen Geist. Darin liegt ein wichtiger, von Gott selbst gegebener Einigungspunkt der Gemeinden Gottes der verschiedenen Zeiten und so auch der des alten und des neuen Testamentes. Und das, was alle Glieder dieser großen Gemeinde untereinander verbindet, ist der Glaube. Das führt uns in herrlicher Weise das 11. Kapitel des Hebräerbriefes vor, in dem wir durch das ganze Alte Testament geführt werden und in dem uns alle die ehrwürdigen Gestalten, Männer und Frauen, Junge und Alte vor Augen treten, die im Glauben gehandelt, gekämpft, gelitten, gestritten und überwunden haben. Diese gläubige Gemeinde des Alten Testaments steht aber, wie der Anfang des 12. Kapitels im Hebräerbrief es uns zeigt, in naher Beziehung zu der Gemeinde des Neuen Testaments. Die Wolke von Zeugen schaut gewissermaßen von dem Standort aus, den sie durch Gottes Gnade und Macht erreicht hat, dem Lauf ihrer Brüder, die noch mitten im Streit stehen, zu und wartet der Zeit, wo auch sie den Lauf vollendet haben und in die Ruhe eingehen werden. Ja wohl, es gibt eine reale Verbindung zwischen der triumphierenden und der streitenden Gemeinde Gottes, und wenn wir auch gewiss nicht berufen sind über die Art und Weise dieser Verbindung Aufstellungen zu machen, die wir nicht durch klare Aussprüche der heiligen Schrift belegen können, so dürfen wir doch an der Tatsache selbst festhalten. Vor allem weist uns ja das Wort Gottes auf den Ausgang des Wandels der selig Vollendeten hin und fordert uns auf, ihrem Glauben nachzufolgen; vgl. Hebräer 13,7. - Aber gerade in Hebräer 11 werden wir nun auch auf einen wichtigen Unterschied zwischen der alttestamentlichen gläubigen Gemeinde und der des Neuen Testaments hingewiesen, und zwar in den beiden Schlussversen: „Diese alle haben durch den Glauben Zeugnis überkommen und nicht empfangen die Verheißung, darum dass Gott etwas Besseres für uns zuvor versehen hat, dass sie nicht ohne uns vollendet würden.

Die alttestamentliche Gemeinde hat also die Verheißung, den Inhalt der Verheißung noch nicht empfangen und daraus folgt, dass das Bessere, von dem der Apostel hier redet, eben darin bestehen wird, dass die Gemeinde des neuen Testaments wirklich die Verheißung empfangen hat. Und so ist es in der Tat, und ein Blick in die Kapitel des Hebräerbriefes, die vorangehen, zeigt uns, wie das Bessere in nichts anderem besteht, als in der „Einführung einer besseren Hoffnung, in der wir uns zu Gott nahen.“ Hebr. 7,18. Es ist der große Unterschied zwischen dem aaronitischen Priestertum und dem Priestertum nach der Ordnung Melchisedeks; der Unterschied zwischen dem Blut der Ochsen und der Böcke, das niemals die Sünde wegnehmen konnte, und dem Blut Christi, der sich selbst ohne Wandel durch den ewigen Geist Gott geopfert hat, das unsere Gewissen reinigt von den toten Werken, zu dienen dem lebendigen Gott. Der Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks ist nicht geworden „nach dem Gesetz des fleischlichen Gebotes, sondern nach der Kraft des unvergänglichen Lebens.“ Hebr. 7,16. Während das Gesetz nimmermehr die Herzunahenden vollkommen machen konnte, Hebr. 10,1, heißt es nun von Christo , Hebr. 10,14: „Denn mit Einem Opfer hat er auf ewig vollendet, die geheiligt werden.“ Zwar hat die gläubige Gemeinde des Alten Testaments Ahnung von der Herrlichkeit des neuen Bundes gehabt. Wie herrlich hat ein David unter Anderem im 32. und 103. Psalm von der Gnade Gottes gezeugt, wie sie sich besonders in der Vergebung der Sünden und der Heilung der Gebrechen erweist. Ja, man kann sagen, dass gewissermaßen der prophetische Geist die Brücke zwischen dem Gesetz und dem Evangelium bildet. Wie haben doch die Propheten im Geist in die Geheimnisse des neuen Bundes hineingeschaut? Wie hat ein Jesaja den Knecht Gottes, der seines Volkes Sünde trägt und sühnt, geschildert? und wie hat er in Gemeinschaft mit Jeremia von dem ewigen Gnadenbund gezeugt? - Aber nichtsdestoweniger konnten die Früchte der vollbrachten Erlösung noch nicht in der Weise genossen werden, als es der Fall war, nachdem der Sohn Gottes wahrhaftig erschienen war, die Reinigung unserer Sünden vollbracht und als der von den Toten auferstandene Heiland sich zur Rechten Gottes gesetzt hatte. Ganz besonders tritt dieser Unterschied in Bezug auf die Hoffnung des ewigen Lebens der zukünftigen Herrlichkeit hervor. Die entschlafenen Heiligen des alten Testaments haben in dem Augenblick, wo Jesus rief: „Es ist vollbracht!“ und in dem anderen Augenblick, wo er die Riegel des Grabes brach, etwas Bestimmtes empfangen, sie sind vollendet worden, und den Beweis finden wir in den Erscheinungen, die bei dem Tod und der Auferstehung Christi stattfanden. Wir lesen Matth. 27,52,53. „Und die Gräber taten sich auf und standen auf viele Leiber der Heiligen, die da schliefen, und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen Vielen.“ Dahin gehört auch das Wort des Herrn Jesu Matth. 11,11: „Wahrlich ich sage Euch, unter Allen, die von Weibern geboren sind, ist nicht aufgekommen, der größer sei, denn Johannes der Täufer, der aber der Kleinste ist im Himmelreich, ist größer, denn er.“

Werfen wir nun einen Blick darauf, wie sich die Gemeinde der Gläubigen im alten und im neuen Testament gestaltet hat, und es ist wohl besonders bei der Stellung des Themas an diesen Punkt gedacht worden, so finden wir da ein verwandtes Verhältnis, wie wir es bei den vorhergehenden Ausführungen beobachten konnten. Es sind auch da wichtige Berührungspunkte und ebenso wichtige Unterschiede vorhanden. Und auch hier kann man von Weissagung und Erfüllung in gewissem Sinne reden. Die göttliche Trennung, die das ewige: „Ich will Feindschaft setzen zwischen Dir und dem Weib und zwischen Deinem und ihrem Samen, und derselbe soll Dir den Kopf zertreten und Du wirst ihn in die Ferse stechen,“ zwischen dem Weibessamen und dem Schlangensamen aufrichtet, zieht sich durch den ganzen alten Bund. Die Kinder Gottes sondern sich in bestimmter Weise von den Kindern der Menschen. Das zeigt sich in der vorsintflutlichen Geschichte, in den beiden Linien, die neben einander herlaufen und nicht minder in den späteren Zeiten. Ja, bei der Berufung Abrahams hält es der Herr für notwendig, ihn auch äußerlich und örtlich von seiner Familie, seinem Vaterland und seiner Freundschaft zu trennen, um ihn und seinen Samen zu einem Segen für alle Völker zu machen. Wir wollen dabei nicht übersehen, wie in dieser Verheißung, die dem Abraham gegeben wurde, schon angedeutet ist, wie die Gemeinde Gottes sich nicht etwa auf die Angehörigen eines Volkes beschränken, sondern aus allen Völkern sich sammeln soll. Dieser Plan Gottes wird auch in späteren Zeiten, wo das Volk Israel der eigentliche Mittelpunkt und Herd der Offenbarung Gottes wird, nicht fallen gelassen. Sind es auch nur Ausnahmen, dass Heiden dem Volk der Wahl eingeordnet wurden und an den Segnungen Israels teilnahmen, wie Rahab, Ruth, die Witwe von Sarepta, Naeman, der Feldhauptmann des Königs von Syrien, so enthalten die Propheten um so deutlichere Weissagungen auf die Zeit, wo die Heiden an den Segnungen Israels teilnehmen werden, vgl. Jes. 55 und viele andere Stellen. Auch ist das ein bestimmter Berührungspunkt zwischen der alt- und der neutestamentlichen Gemeinde der Gläubigen, dass uns die Gemeinde der Gläubigen im Alten Testament als eine solche unter dem Kreuz entgegentritt. Ein Joseph, ein David selbst auf dem Königsthron, und vollends die Propheten liefern davon den bestimmtesten Beweis. Was dagegen die äußere Gestaltung der Gemeinde im Alten und im Neuen Testament anbelangt, so bieten sich uns da sehr hervorragende Unterschiede dar. Israel bildet nach dem Willen Gottes im Alten Testament einen Gottesstaat. Alle Gesetze und Ordnungen des religiösen wie des bürgerlichen Lebens sind von dem einen Grundsatz beherrscht: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.“ So werden der Sabbatschänder und der Flucher nach dem Befehl des Herrn mit dem Tod bestraft. Der Abfall des Volkes, als Moses auf dem Berg verzog, wird von den Leviten, im Auftrag des Herrn, mit dem Schwert an Denen geahndet, die an dem Herrn besonders sich versündigt haben. Es gehört dahin auch das ernste Strafgericht, das über die Rotte Korah, die sich gegen Mose und Aaron empört hatte, ergeht. Staat und Kirche sind im alten Testament nach göttlicher Verordnung verbunden. Auch dann tritt keine wesentliche Veränderung in dieser Ordnung der Dinge ein, als das Volk unter Samuel um einen König bittet, wie alle Heiden haben, und den Herrn als ihren König verwirft. So ist auch der gläubige Teil des Volkes Israel nach göttlichem Recht dem ganzen Volksleben eingeordnet. Jeder Israelit, der geboren wird, muss das Bundeszeichen der Beschneidung empfangen; jeder Israelit ist gehalten, an den Gottesdiensten, den Festen, wie den Opfern teilzunehmen, wenn auch das Alte Testament es nie versäumt, darauf hinzuweisen, wie Jehovah nicht mit dem Lippendienst und den äußeren Opfern zufriedengestellt ist, sondern wie er vor Allein das Herz seines Volkes sucht. Bezeichnend ist auch in dieser Beziehung, wie es gerade die gläubigen Israeliten sind, die nach der Rückkehr aus dem babylonischen Exil den Tempel wieder aufrichten und für die Wiederherstellung des Gottesdienstes Sorge tragen. Freilich deuten die Propheten dann schon darauf hin, wie die Verheißungen Gottes nur dem gläubigen Israel gelten, wie nur ein Rest aus dem großen Volk errettet werden wird. Namentlich sind die Stellen aus den Propheten wichtig, wo darauf hingewiesen wird, wie es im Propheten Joel und auch bei Jeremias geschieht, (vgl. Joel 3 und Jeremias 31), wie der Geist des Herrn über das ganze Volk ausgegossen werden wird, wie Keiner mehr den Andern, noch ein Bruder den andern lehren wird und sagen: „Erkennt den Herrn, sondern sie sollen mich Alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der Herr, denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nicht mehr gedenken“ (Jerem. 31,34). Da ist offenbar eine Gemeinde ins Auge gefasst, die nicht bloß äußerlich zum Herrn sich bekennt, sondern die durch das Band einer vom heiligen Geist gewirkten, lebendigen Erkenntnis zusammengefasst wird. Auch ist es bezeichnend, dass Petrus in seiner ersten Predigt nach der Ausgießung des heiligen Geistes, an dem Geburtstag der ersten christlichen Gemeinde, gerade auf die Stelle im Propheten Joel sich beruft. Damit sind wir an einen wichtigen Unterscheidungspunkt geführt, der zwischen der Gemeinde der Gläubigen im Alten und in Neuen Testament obwaltet. Der Herr Jesus, von dem es heißt, dass er unter das Gesetz getan war, hat in seinem Auftreten, wie es der Wille seines Vaters war, vor allem innerhalb der Grenzen des Volkes Israel gewirkt. Er war nur gesandt zu den verlorenen Schafen vom Haus Israel. Auch die Jünger, die er aussandte während seiner Lehrzeit, sollten nur dem Volk Israel predigen. Die Fälle, wo er mit Heiden zusammenkam, sind nur Ausnahmen, obwohl sie zugleich Weissagungen auf die Zukunft sind. Aber andrerseits weist er in seinen Zeugnissen darauf hin, wie das Reich Gottes dem Volke Israel genommen werden und den Heiden gegeben werden wird, in Joh. 10 spricht er ausdrücklich von den Schafen, die nicht aus diesem Stall sind und die er herbeiführen wird, damit eine Herde und ein Hirte werde. - Obwohl er dem Gesetz untertan ist, obwohl er die heiligen Feste besucht, obwohl er die Tempelsteuer erlegt, um die schwachen Gemüter nicht zu ärgern, so durchbricht er doch die durch Menschensatzungen verunreinigten gesetzlichen Ordnungen, wie das übliche Sabbatgesetz, weil der Menschensohn ein Herr ist auch des Sabbats. Gibt er auch nur Andeutungen über die zukünftige Gestaltung seiner Gemeinde, wie in Matth. 18,15-18, so deuten doch viele seiner Aussprüche darauf hin, dass dieselbe die kleine Herde sein wird, die unter dem Hass und der Feindschaft der Welt nur durch den mächtigen Schutz des Vaters im Himmel erhalten werden wird. Sein Wort bei Gelegenheit der Vorzeigung des Zinsgroschens: „So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott was Gottes ist,“ in Verbindung mit dem Zeugnis vor Pilatus: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt, wäre mein Reich von dieser Welt, meine Jünger würden darob kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde, aber nun ist mein Reich nicht von dannen“, und das weitere: „Ich bin ein König, ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit zeugen soll; wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme“, - kann keinen Zweifel darüber lassen, dass der Herr Jesus zwischen seinem Reich und den Reichen dieser Welt eine Scheidewand aufrichtet, die eine Verbindung beider als eine innere Unmöglichkeit erscheinen lässt. Denn die Grundsätze und Ordnungen, die in beiden Reichen gelten und zur Anwendung kommen, sind völlig verschieden, ja schließen einander aus. Was die Stellung zu den alttestamentlichen Ordnungen anbelangt, so ist das Wort des Herrn Jesu an seine Jünger wichtig, wo sich diese auf den Elias berufen, der Feuer vom Himmel fallen ließ: „Wisst ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid, - denn des Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten.“ Luk. 9, 56. -

Nach einer andern Seite durchbricht der Missionsauftrag, den der Herr seinen Jüngern erteilt, Matth. 28 und Mark. 16: „Predigt das Evangelium aller Kreatur,“ nationalen Schranken. Fortan ist die ganze Welt der Schauplatz der Gnadenwunder Gottes, nicht mehr bloß das alte Bundesvolk. Wir erinnern uns, wie schwer es den Aposteln wurde, in die neue Ordnung der Dinge sich zu finden. Bei Petrus bedurfte es einer besonderen Offenbarung, um die innere Freiheit zu gewinnen, zu einem Mann einzugehen, der Vorhaut hatte, Apg. 10, und er hatte sich seinen Brüdern aus der Beschneidung gegenüber bestimmt über sein Verhalten zu verantworten. Auch bleibt der jüdisch-christliche Teil der Gemeinde Gottes der Apostel-Zeit bis zur Zerstörung Jerusalems mehr oder weniger noch in naher Beziehung zu dem alten Bundesvolk und seinen nationalen Einrichtungen. Es war besonders dem vom Herrn hochbegnadigten Apostel Paulus aufbehalten, das Geheimnis. welches nicht kund getan war in den vorigen Zeiten den Menschenkindern, wie es nun geoffenbart ist seinen heiligen Aposteln und Propheten durch den Geist, nämlich, dass die beiden Miterben seien und mit einverleibt und Mitgenossen seiner Verheißung in Christo durch das Evangelium, kund zu tun. Eph. 3,4-6, und in der 2. Hälfte des 2. Kapitels im Epheser-Brief haben wir eine herrliche Darstellung dieses Verhältnisses, wie es durch das Kreuz Christi, das die Scheidewand zwischen Juden und Heiden weggenommen hat, zu Stande gebracht worden ist. So gilt nun für die Gemeinde der Gläubigen im neuen Testament der Grundsatz: Da ist nicht Grieche oder Jude, Beschneidung oder Vorhaut, Ausländer, Skythe, Knecht, Freier, sondern Alles und in Allen Christus. Nun entscheidet nicht mehr die Volksangehörigkeit bei der Teilnahme an der Gemeinde Gottes, sondern nur das Eine, dass Jemand glaubt an den Namen Jesu Christi und dass er durch den einen Geist zu einem Leib getauft worden ist. Daraus ergibt sich von selbst, dass die Gemeinde Gottes keine Staats- und keine Volkskirche mehr sein kann im Neuen Testament, sondern sie ist die aus der Welt heraus erwählte und berufene Gemeinschaft Derer, die an Jesus Christus glauben und sich zu ihm bekennen. Auch wird Jemand nicht mehr, wie ehedem, durch seine natürliche Geburt ein Genosse dieser Gemeinde, sondern dadurch, dass er eine neue Kreatur in dem zweiten Adam, in Christo, geworden ist. Daraus folgt, dass auch das Bundeszeichen und das Bundesmahl, wenn wir Taufe und Abendmahl so nennen wollen, von Rechtswegen nur der Gemeinde des Herrn gehören, wie denn auch beide dem engsten Jüngerkreis vom Herrn anvertraut worden sind. Ebenso klar ist es, wie in der Gemeinde der Gläubigen im Neuen Testament an die Stelle der äußerlichen Gesetzeszucht, von der wir oben einige Beispiele anführten, die Zucht des heiligen Geistes treten muss, wie sie uns in den christlichen Gemeinden der Apostel-Zeit als in der Übung stehend geschildert wird. Bezeichnend ist es, wie die römische Kirche, durch ihre Vereinigung von jüdischen und heidnischen Elementen in ihrem Schoß, das Zerrbild der wahren Gemeinde des Herrn, wieder zu der alttestamentlichen Praxis zurückgekehrt ist, mit dem großen Unterschied freilich, dass sie das Blut der sogenannten Ketzer in Strömen vergossen hat. Auch ist es nicht zu verkennen, wie eine evangelische Staatskirche, wenn sie sich als die allein berechtigte ansieht, Gefahr läuft, eine ablehnende, ja feindselige Stellung gegen den Teil der Gemeinde des Herrn einzunehmen, der sich unter ihr Joch nicht beugen kann und will. Dass diese Konsequenz, die eigentlich im Grundsatz der Staatskirche liegt, nicht durchweg gezogen wird, ist einerseits der Tatsache zu danken, dass das Recht der Gewissensfreiheit sich in der öffentlichen Meinung unter Gottes Leitung mehr Bahn gebrochen hat, und dass andrerseits die evangelische Kirche durch ihr Stehen auf dem biblischen Heilsgrund und durch den Einfluss ihrer gläubigen Mitglieder vor diesem Abweg mehr oder weniger bewahrt wird.

Die Gemeinde der Gläubigen stellt sich uns also, um es noch einmal auszusprechen, im Neuen Testament dar als eine solche, die von der Welt getrennt ist und die doppelte Aufgabe hat, einmal sich untereinander zu bauen, und andrerseits ein Licht und Salz für die sie umgebende Welt zu sein. Dabei ist es selbstverständlich, dass niemals die jedes Mal in die Erscheinung tretende gläubige Gemeinde, die in einzelnen Gemeinden oder in Gruppen von Gemeinden besteht, sich mit der Gemeinde Gottes, wie sie nur aus wahrhaft wiedergeborenen Gliedern Christi besteht, deckt. Die in die Erscheinung tretende Gemeinde kann immer nur die Gesamtheit Derer sein, die sich freiwillig und aus eigener Überzeugung zu Christo bekennen. Dass in der apostolischen Zeit die Gemeinde diesen ihr von Gott anvertrauten Beruf ausgeführt hat, beweisen die Apostelgeschichte und die apostolischen Briefe. Daran schließt sich die gesegnete Zeit der ersten drei Jahrhunderte der christlichen Kirche, wo dieselbe vor allem den Riesenkampf mit dem Heidentum, besonders der heidnischen Staatsreligion, durchgekämpft und im Unterliegen gesiegt hat. Bekannt ist, welch eine reiche Missionstätigkeit sich in dieser Zeit entfaltet hat.

Die Verbindung der Kirche mit dem Staat im Morgenland, die im Anfang des 4. Jahrhunderts sich vollzog, und das im Abendlande allmählig sich bildende Papsttum kann man wohl vergleichen mit dem entscheidenden Schritt, wo Israel, statt des Herrn, sich einen irdischen König erwählte. Wir können diesen Schritt, ich meine die Verbindung der Kirche mit dem Staat, so sehr derselbe als durch die Umstände und Zeitverhältnisse natürlich gegeben erscheinen mag, nicht anders, als ein Verlassen der vom Herrn angewiesenen Stellung Seitens der Gemeinde Gottes ansehen. Dass die Weisheit Gottes es verstanden hat, auch unter diesen Umständen ihre Heils- und Friedensgedanken auszuführen, und dass der Herr seine Gemeinde nicht verlassen hat, ist eben noch kein Beweis dafür, dass diese Entwicklung eine von Gott gewollte war. Wir freuen uns alle der herrlichen und von Gott gesegneten Reformationszeit des 16. Jahrhunderts, wohl der größten Gnadenheimsuchung Gottes seit der Pfingstzeit, und stehen mit unserm tiefsten Herzensgrund auf dem Boden der Heilsverkündigung, die damals wieder auf den Leuchter gestellt wurde. Aber auch die Reformation des 16. Jahrhunderts hat der Gemeinde Gottes nicht die Selbstständigkeit wieder gegeben, die ihr verloren gegangen war. Es war das beziehungsweise natürlich, weil die Aufgabe dieser Zeit, abgesehen von andern Umständen, eine so ungeheure war. Doch dürfen wir dabei an die bekannte Stelle in Luthers Schriften erinnern, wo derselbe einen bestimmten Unterschied zwischen einer Gemeinde macht, der nur das Evangelium verkündigt werden solle, und Denen, die mit Ernst Christen sein wollen, wo dann auch in der rechten Weise das Abendmahl gefeiert werden könnte. Auch die Versuche der Übung der Kirchenzucht zu Calvins Zeiten in Genf gehören hierher. Auch die Brüdergemeinde hat in Bezug auf die Umgestaltung des Gemeindelebens nicht die Entwicklung genommen, die man von den ersten Anfängen her erwarten konnte, so gesegnet ihre Missionstätigkeit bis auf den heutigen Tag dasteht. Freilich, wenn wir von Deutschland hinweg unsere Blicke auf andere Länder richten, so finden wir dort neben den Staatskirchen blühende Freikirchen, wie in England, Amerika, der Schweiz, in Frankreich und Italien, und wenn wir die Frage aufwerfen, wo der Schwerpunkt des christlichen Lebens im Ganzen und Großen heute in der christlichen Welt liegt, ob in der Staatskirche oder in der Freikirche, so möchte die Antwort nicht ganz leicht zu geben sein. Jedenfalls scheint es uns festzustehen, dass es wohl kein Land gibt, in dem die Staats- oder Volkskirche so tiefe Wurzeln geschlagen hat, als gerade in unserem Vaterland. Daraus ergeben sich, wie uns scheinen will, für die Vertreter der Freikirche besondere Aufgaben; denn in Deutschland hat ja auch die Freikirche seit den letzten Jahrzehnten festen Fuß gefasst. Zunächst scheint es uns wichtig zu sein, dass die Mitglieder der freien Kirche aus lebendiger, persönlicher, auf die Schrift gegründeter Gewissensüberzeugung ihre Stellung einnehmen. Ein Handeln bloß aus Umständen wird nicht in den Stand setzen, der allgemeinen kirchlichen Strömung gegenüber Stand zu halten. Unter dieser lebendigen Überzeugung verstehen wir nicht ein schroffes Abweisen und Verurteilen einer andern Stellung, vielmehr glauben wir, dass gerade eine Gewissensüberzeugung sich dadurch legitimieren wird, dass sie die abweichende Gewissensüberzeugung achtet. Vielmehr betrachten wir es als eine Segnung, wenn, so weit es irgend möglich ist, eine lebendige Führung mit allen gläubigen Elementen anderer Gemeinden unterhalten wird im Sinne der evangelischen Allianz, und wenn so die Einigkeit des Leibes Christi, wenn auch in unvollkommener Weise, zur Darstellung kommt. Auch ist das deswegen wichtig, weil wir uns nicht verhehlen können, dass, wie die Verhältnisse dermalen liegen, der gläubige Teil der großen Staatskirchen manche Kreise erreicht, die wir nicht erreichen können, und manche Aufgabe unternehmen und lösen kann, zu denen wir nicht ebenso nach unserer Stellung befähigt sind. Dieser Gesichtspunkt scheint mir darum auch besonders beherzigenswert zu sein, weil er uns fähig macht, uns von Herzen auch der Arbeit Anderer zu freuen, die in einer andern Weise, als wir, dem Herrn dienen. Dass der Herr auch uns eine wichtige und gesegnete Arbeit angewiesen hat, das steht fest. Haben wir doch auch an unserm Teil Türen, Sie unsern Brüdern in der Staatskirche nicht in derselben Weise, wie uns, offen stehen.

Möge der Herr alle seine Kinder, wo immer sie sich bewegen, treu machen an dem Posten, den er ihnen angewiesen hat. Das wird das beste Mittel sein, die Einigkeit im Geist zu bewahren durch das Band des Friedens. Dass die schriftgemäße Gestaltung des Gemeindelebens an und für sich noch keine sichere Bürgschaft für einen gesegneten inneren Stand der Mitglieder bietet, ist eine nur zu sehr durch die Erfahrung bewiesene Tatsache. Das Abweichen mancher Baptistengemeinden, beispielsweise in England, von der gesunden Lehre, ist ein schlagender Beweis dafür. Wir sind fast unabsichtlich zu Schlussbetrachtungen geführt worden, die unserm Thema etwas ferne zu liegen scheinen könnten; indessen sind dieselben aus dem Bedürfnis hervorgegangen, zugleich einige praktische Winke zu geben, die gesegnet sein könnten.

Eines halten wir im Glauben und in der Hoffnung fest, dass der Herr zu seiner Zeit, vielleicht unter schweren Trübsalen, die Einigkeit seiner Gemeinde auch wieder neu vor der Welt darstellen wird. Bis dahin wollen wir wenigstens in unsern Herzen und in unserm Leben, wo uns der Herr die Gelegenheit dazu gibt, es an den Tag legen, dass wir mit allen seinen Kindern in ihm auf ewig verbunden sind. Das walte er in Gnaden!

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