Murray, Andrew - Wachset in der Gnade - 8. Gnade zur Arbeit.
1. Kor. 15,10.
Aber von Gottes Gnade bin ich, das ich bin, und Seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet, denn sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist.
Wer wachsen und zunehmen will, hat nicht allein gesunde Speise und frische Luft nötig, sondern vor allem auch Bewegung und Tätigkeit. Nur durch Tätigkeit wird unsere Kraft entwickelt. Wer größere Kraft besitzen möchte, muss in der Anwendung der geringeren, die er bereits hat, treu sein. Das gilt in dem Bereich der Gnade, wie in dem der Natur. Gedankenkraft nimmt ebenso, wie Naturkraft, durch ihre Anwendung zu. Das war mit Paulus der Fall. In dem herrlichen Wort der Überschrift unseres Abschnittes verbindet er Gnade und Arbeit und gibt er uns die doppelte Lehre: Gott verleiht keine Gnade, denn nur zur Arbeit, und verlangt keine Arbeit, denn nur durch die Gnade.
Gott verleiht keine Gnade, denn nur zur Arbeit. Der Gedanke, zur Arbeit zu drängen, beseelt Ihn, so oft Er Gnade verleiht. Ganz anders mancher Christ! Gar mancher Christ denkt nicht an Arbeit, wenn er Gnade begehrt. Er betet ernstlich um Gnade und wundert sich, dass er so wenig empfängt. Gott sieht eben, dass er dieselbe nur zu seinem eigenen Nutzen und nicht zum Dienst Gottes, nur zu seinem eigenen Trost und Glück und nicht zur Arbeit für Gottes Ehre begehrt. Darum gibt Er ihm nicht mehr. Ein junger Christ dagegen, welcher die Gnade, die er bereits besitzt, in dem Dienst des Herrn anwendet, sieht, dass er mehr nötig hat, bekommt Lust, mehr zu arbeiten, und wird auch noch mehr empfangen. Es gibt kein Wort, welches dem Herrn unserem Gott mehr zur Ehre gereicht als das von Paulus: „Seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet, denn sie alle.“ Gottes ewige Gnade ist ja keine träge Rührung oder schlaffe Gemütsbewegung, sondern eine in uns wirkende Kraft. Wenn sie in das Herz des Gläubigen hinabsteigt, ändert sie ihre Art nicht, wird sie nicht selbstsüchtig oder träge. Im Gegenteil! Gleichwie sie in Christo, dem erstgeborenen Sohn, lebt, will sie in allen Kindern Gottes leben, wirken und leiden, um Seelen zu retten und Gott zu verherrlichen. Ein Gotteskind, welches dieses Gesetz nicht versteht, oder demselben nicht nachkommt, hindert die Gnade bei ihrem Wirken und leidet dadurch Schaden. Die Gnade kann in ihm nicht zunehmen. Es kann nicht in der Gnade wachsen. Das bedenke, junger Christ! Arbeite für Jesus! Seine Gnade drängt dich dazu.
Wenn du nun an deine Arbeit denkst, fürchte dich dann doch ja nicht, weil du schwach bist! Es ist Gnade genug da zu jeder Arbeit. Gott verlangt überhaupt keine Arbeit von dir, denn nur durch Gnade. Darum nimm dir die Zeit, dir diesen Gedanken anzueignen! Dieselbe wunderbare, liebevolle und allmächtige Gnade, welche dich lebendig gemacht hat und dich bewahren muss, wird sich auch stärken: „Du wirst nicht streiten, der Herr wird für dich streiten.“ Diese Tatsache wird mehr und mehr die Erfahrung deines Glaubens. Wie du dich darum der Gnade im Glauben hingegeben hast zur Seligkeit, so gib dich ihr auch voll Vertrauen hin zur Arbeit! Und dann arbeite, denn es ist Gott, welcher in dir wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen. Wenn du dich so verhältst, wirst du auf wunderbare Weise verstehen lernen, warum gerade der Christ, welcher am meisten leistet, von sich selbst die geringste Meinung hat. Er sieht ja, dass Gnade alles ist und er selbst nichts.
Daher die herrliche Demut des Paulus. Mit demselben Atem sagt er: „Ich habe mehr gearbeitet, denn sie alle,“ und „nicht ich, sondern die Gnade Gottes, die mit mir gewesen ist; durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.“ Gar viele Christen meinen, Gott dürfe ihnen nicht zu viel Gnade zur Arbeit in seinem Dienst verleihen, weil sie sonst nicht demütig bleiben könnten. Das mag für die mehr äußerlichen Gnadengaben zutreffen (1. Kor. 13,1-3), die inneren Gnadenwirkungen Gottes aber tragen einen solchen Beweis ihrer göttlichen Herkunft in sich, dass unsere Seele, je stärker sie auftreten, um so mehr erniedrigt wird. Auch folgt aus dem Worte „die Gnade Gottes in mir“ von selbst das andere: „nicht ich.“ Gnade alles, ich nichts.
O lieber Christ! Die seligmachende Gnade lehrt uns, dass Christus uns erlöst hat, um uns für sich selbst zu reinigen zu einem Volk des Eigentums, welches zu guten Werken fleißig wäre. Ach, dass doch alle Christen, welche irgend ein Werk im Dienst des Herrn zu verrichten haben, dass doch alle Eltern, Lehrer, Kirchenratsmitglieder, Prediger und Gemeindemitglieder, welche arbeiten oder arbeiten wollen, es erkennen möchten, dass Gottes Gnade ebenso vollkommen, wie sie die Vergebung unserer Sünden oder die Erneuerung unseres Herzens als ihre Aufgabe ansieht, es als ihre Pflicht betrachtet, die Arbeit des Christen in ihm und für ihn zu vollbringen. Phil. 2,13; Kol. 1, 29; 2. Thess. 1,11 u. 12. Joh. 15,4. Gottes Gnade will in der Tat alle Verantwortlichkeit, welche unsere Arbeit mit sich bringt, auf sich nehmen und uns bei der schwersten Arbeit geben, dass wir in ihr unsere Ruhe finden. Darum gib dich auch in diesem Punkt vertrauensvoll der Gnade hin! Sage nicht: „Ich weiß nicht, was ich zu tun habe.“ Nein, sei überzeugt: „Die Gnade wird es dich schon lehren, wenn du ihr nur kindlich vertraust.“ Sage nicht: „Ich bin nicht tüchtig genug dazu.“ Die Gnade wird dir mit der Arbeitsanweisung ganz gewiss auch die nötige Kraft schenken. Sie kennt dich und geht gar zart mit dir um. Nur Eines verlangt sie von dir, dass du als ein einfältiges, kleines, schwaches und unwissendes Kind dich ihrer göttlichen Leitung übergibst.
Willst du das nicht tun? Sieh nur, was Gnade ist: Gottes unendliche Liebe, welche sich in Christo dir mitteilt als eine göttliche Lebenskraft. Sieh den Herrn Jesum an, in welchem alle Gnade dir nahe gerückt ist! Lass alle Furcht und alles Misstrauen fahren und glaube, dass Gnade dich zu deiner Arbeit bereiten und tüchtig machen kann, auch wenn du von derselben heute noch gar nichts verstehst. Gib dich ihr nur entschieden und ohne Unterbrechung hin als ein Werkzeug, welches von ihr gebraucht werden soll! Und sage beim Blick in die Zukunft, was Paulus im Rückblick bekennt: Durch Gottes Gnade werde ich, was ich sein soll, werden; Seine Gnade in mir ist nicht vergeblich. Doch nicht ich bin es, dem die Ehre gebührt, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist.
Gott kann machen, dass allerlei Gnade unter euch reichlich sei, dass ihr in allen Dingen volle Genüge habt und reich seid zu allerlei guten Werken.