Murray, Andrew - Warum glaubst Du nicht? - 28. Die Zartheit des Glaubens.
2. Mose 16,21. Sie sammelten desselben alle Morgen. Wenn aber die Sonne heiß schien, zerschmolz es.
In der Stille, Kühle und Dunkelheit der Nacht gab Gott das Manna. In der frühen Morgenstunde musste das Volk hinausgehen, um zu sammeln. Es war also das erste Werk an jedem Tage, hinauszugehen und das Brot aus Gottes Hand zu empfangen. Denn, wenn die Sonne heiß schien, zerschmolz es. Dann war es nicht mehr zu finden. Nicht in der Glut der Mittagsonne, oder in dem Rennen und Treiben des Tages empfingen sie das verborgene Manna, nein, in der lieblichen Morgenkühle, bevor das Gemüt in irdische Angelegenheiten verstrickt und von denselben in Anspruch genommen ward.
Welch' ein liebliches und lehrreiches Bild der Art und Weise, wie Gott auch dem Glauben seine Nahrung zukommen lässt! Ich bin fest davon überzeugt, dass Viele, welche aufrichtig nach Glaubensstärkung verlangen, dieselbe gerade aus dem Grunde nicht erhalten, weil sie nicht in der Frühe ausgehen, sie zu suchen. Wie Viele gibt es doch, welche nur am Abend in ihrer Bibel lesen! Nachdem sie die Frische in der Morgenstunde und die Kraft des Tages auf Dinge dieses Erdenlebens verwendet, kommen sie am Abend, nach Leib und Seele müde, dem Herrn mit dem Rest ihrer Kräfte zu dienen. Kein Wunder, dass sie unter solchen Umständen nur wenig Segen finden. Ihr Herz ist matt. Das zarte Empfinden ihres Gemüts und die Empfänglichkeit ihrer Seele ist abgestumpft. Oder ist man nicht auch vielfach ganz zufrieden, wenn man nur am Morgen gemeinsame Hausandacht gehalten, ohne das Wort in der Einsamkeit zu betrachten, über dasselbe nachzudenken und sich von demselben ins Gebet treiben zu lassen? Eine solche Hausandacht allein ohne eigene Vertiefung in Gottes Wort gibt wenig Segen. Ein Kapitel nur einmal zu lesen, ist in der Regel nicht genug. Nein! Alle, welche wirklich im Glauben zunehmen möchten, müssen dafür sorgen, dass sie am Morgen Zeit finden, hinreichend Manna zu sammeln, von dem sie im Laufe des Tages zehren können. Wer am Morgen sein Haus verlässt, ohne etwas zu sich genommen zu haben, kommt am Abend matt, elend und ohne Esslust heim. Und wer nicht am Morgen zuerst Gottes Wort betrachtet und in sein Herz aufnimmt, braucht sich nicht darüber zu verwundern, wenn die Welt den ersten und vornehmsten Platz in demselben einnimmt. Er hat das einzige Mittel, sich vor der Welt und ihrem Einfluss zu schützen, nicht in Anwendung gebracht. Sein Glaube kann darum nicht zunehmen. Nein! Gleichwie wir von dem Herrn die Nacht erhalten haben, um von den Mühen des Tages auszuruhen und in der Morgenstunde mit frischem Mut und neuer Kraft an unsere Arbeit zu gehen, so müssen wir Gläubigen auch, so lange der Segen der Nachtruhe noch auf uns liegt und neuer Schmutz der Welt den lieblichen Tau noch nicht von unserer Seele gewischt, die frische unbesudelte Kraft dem Herrn weihen und in der fröhlichen Stimmung der Morgenstunde darauf bedacht sein, Manna zu sammeln. Wird die Sonne heiß, so schmilzt es. Sind die Hitze des Tages, vielerlei Versuchung und Zerstreuung erst an die Seele herangetreten, so ist die Freudigkeit und aufgeweckte Stimmung der Morgenstunde vorbei. Das Gnadenleben kann die Hitze der Sünde nicht vertragen. Es muss zuvor durch Speise gestärkt werden.
„Lass mich von Deiner Güte am Morgen schon hören! Am Morgen, Herr, will ich meine Stimme zu Dir erheben. Am Morgen will ich mich zu Dir wenden und in der Frühe will ich Deiner harren. Solche Bekenntnisse zeigen uns, welches die erste Tätigkeit des Menschen sein muss, dem es Ernst damit ist, zuerst dem Herrn und zwar von ganzem Herzen zu dienen.“
Lieber Leser! Warum glaubst du nicht? Handle doch treu dir und Gott gegenüber! Es ist keine Frömmigkeit, über deinen Unglauben zu klagen, wenn du nicht zugleich alles entfernst, was den Unglauben befördert.
Liegt darum die Ursache deines Mangels an Glauben in der ungeregelten und oberflächlichen Anwendung des Wortes Gottes, darin, dass du die ersten, besten und frischesten Stunden und Kräfte des Tages der Welt und ihrem Dienst widmest, so komm und bekehre dich in dieser Hinsicht! Gehe an jedem Morgen aus, deinen Gott zu suchen! Er wird sich vor dir nicht verbergen.