Murray, Andrew - Warum glaubst Du nicht? - 19. Die Glaubensschule.
Matth. 15,28. O Weib, dein Glaube ist groß! Dir geschehe, wie du willst.
Ein großer Glaube! Alle werden zugeben, dass nichts auf Erden so begehrenswert ist. Viele werden sich danach sehnen und darum bitten. Und doch sind es nur wenige, welche dazu kommen. Woran liegt das? Ein Hauptgrund ist dieser: Sie wollen auf dem Wege, welcher dazu führt, nicht wandeln und fürchten sich vor der Schule, in welcher man diesen Glauben lernt. Auch haben sie oft ganz verkehrte Vorstellungen von der Art und Weise, wie man zu großem Glauben kommt. Sie meinen, derselbe sei eine Gabe, welche auf einen Schlag geschenkt wird. Wenn daher der Herr ihre Bitte erhören und sie zum Glauben erziehen will, dabei aber einen anderen Weg einschlägt, als sie erwartet hatten, so denken sie, Er sehe sich nach ihnen nicht um. Wohlan darum alle, die ihr noch mehr Glauben verlangt, lernt von dem Kananäischen Weibe, wie der Herr euch dazu bringen will.
Er wird euch zunächst prüfen. Das Kananäische Weib hatte eine vom Teufel besessene Tochter. Welch' eine Prüfung für ihr Mutterherz! Ebenso sendet der Herr seinen Kindern noch allerlei Prüfungen der allerverschiedensten Art. Den Einen treffen sie an seinem Leibe, den Andern an seiner Familie. Bei Andern. zeigen sie sich als innere Seelenqual, bei den Meisten als ein heimlicher Kampf mit der Sünde. Irgendeine Prüfung muss da sein, denn so lange das Fleisch in allem seinen Sinn und sein Vergnügen hat, klammert sich die Seele nicht ganz und aus aller Kraft an den Herrn. Nur durch die Not wird sie in der Regel getrieben, all' ihr Heil in dem Herrn zu suchen und sich auf Ihn zu verlassen. Gesegneter Prüfungsweg! Starkes Mittel in Gottes Hand, den Menschen Glauben zu lehren! Wie Viele beschauen dieses Mittel, statt sich durch dasselbe demütig zum Herrn führen zu lassen, als ein Zeichen, dass Gott ihnen zürne und sich von ihnen abgewendet habe!
Weiter lässt der Herr, wenn Er eine Seele zu großem Glauben erziehen will, ihre Gebete oft lange Zeit unerhört. So war es bei dem Kananäischen Weib. Er antwortete ihr zuerst nicht ein Wort. Und als Er im weiteren Verlauf antwortete, war Sein Reden noch ungünstiger als Sein Schweigen. Und so geht es oft. Wie würde die Seele den Herrn selbst kennen lernen, wenn die Antwort gleich käme? Seine Gaben würden sie in dem Fall so sehr beschäftigen, dass sie an Ihm selbst vorbei sehen würde. Sie muss auf die Probe gestellt werden, ob sie sich auch ohne Antwort auf ihren Herrn verlässt, ob Er und Sein Wort ihr genug sind, und ob sie, auch wenn Sein Wort ihr das Gegenteil zu sagen scheint, an Seiner Liebe nicht zweifelt und sich an Seine Liebe hält. Solchen großen Glauben, welcher trotz der scheinbaren Abweisung sich fest an den Herrn hält und Ihm darum über alles angenehm ist, lernt und betätigt man nur in dem Streit eines lange unerhörten, aber aushaltenden Gebetes.
Noch einmal: Eine Seele, welche zu so großem Glauben gelangen soll, muss gedemütigt werden. Was ist es doch für ein hartes Wort für die arme heidnische Frau: „Es ist nicht fein, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.“ Allein sie lässt es sich gefallen und wendet es sogar als stärkste Waffe an. Sie besiegt gewissermaßen den Herrn mit Seinen eigenen Waffen und benutzt Seinen Einwurf zur Empfehlung ihrer Sache: „Ja, Herr; aber doch essen die Hündlein von den Brosamlein, die von ihrer Herren Tische fallen.“ Mache du es ebenso! Wenn in der Nachfolge des Herrn deine Sünden dir klar werden, deine Ungerechtigkeit dir vorgehalten wird und das Wort dir zum Bewusstsein bringt, dass du ein gottloser und verfluchter Mensch bist, so antworte nur stets mit dem Kananäischen Weibe: „Ja Herr, ich bin wirklich so elend und alles, was mein Herz über meine Sünden sagt, ist wahr, aber doch auch die Hündlein essen!“ Antworte nur so und du wirst es erfahren: Bei einem Herrn, wie Er es ist, ist auch für die Elendesten Gnade im Überfluss. Je tiefer aber die Wurzel sich in die Erde gesenkt, desto stärker ist der Baum. Je tiefer die Erniedrigung gegangen und je mehr Demut sie bewirkt, desto stärker wird der Glaube, denn nun stützt er sich nicht zum Teil auf sich selbst, sondern vielmehr einzig und allein auf den Herrn.
Da hast du nun, liebe Seele, die Glaubensschule des Herrn Jesus. Lass es dich nicht verdrießen, wenn die Aufgaben bisweilen sehr schwer sind! Er hat es dir ja vorausgesagt. Halte dich nur fest an diese Regel: Wenn meine Seele auf die Probe gestellt wird, mein Gebet unbeantwortet bleibt, meine Sünden und meine Unwürdigkeit mir immer deutlicher werden und mich tief niederbeugen, - dann will ich dies alles als Mittel betrachten, durch welche mein liebevoller Heiland mich zu dem Glaubensleben, an dem Er so viel Wohlgefallen hat, führen will. Und sollte ich jemals missmutig werden, so lese ich die Geschichte von dem Kananäischen Weibe noch einmal und werde durch den Gedanken an den herrlichen Sieg und Lohn ihres Glaubenskampfes gestärkt. Je anstrengender es in der Schule hergeht, desto herrlicher ist ihr Erfolg. „Dir geschehe, wie du willst!“