Murray, Andrew - Demut, Kleinod der Heiligen
Vorwort
Drei starke Beweggründe drängen uns zur Demut, die uns als Geschöpfen, als Sündern und als Heiligen geziemt. Der erste ist an den himmlischen Heerscharen, an Adam vor dem Fall und an Jesus, dem menschgewordenen Gottessohn, ersichtlich. Der zweite richtete sich in unserem gefallenen Zustande an uns und weist auf den Weg, auf dem wir in die Stellung, die uns als Geschöpfen zukommt, zurückkehren können. In dem dritten haben wir das Geheimnis der Gnade, das uns lehrt, dass die Demut für uns die Vollendung der immerwährenden Seligkeit und Anbetung wird, je mehr wir uns in der überwältigenden Größe der erlösenden Liebe verlieren.
In der üblichen religiösen Unterweisung wird der zweite Beweggrund zu sehr in den Vordergrund gestellt, so dass manche irrigerweise behaupten, man müsse sündigen, wenn man wirklich demütig bleiben wolle. Andere wieder halten die Stärke der Selbstverwerfung für das Geheimnis der Demut.
Das christliche Leben nahm Schaden, weil die Gläubigen vielfach nicht zu der klaren Erkenntnis angeleitet wurden, dass für uns als Geschöpfe nichts natürlicher, schöner und gesegneter ist, als nichts zu sein, damit Gott alles sein kann; weil oft übersehen wurde, dass nicht die Sünde es ist, die am meisten demütigt, sondern die Gnade, und dass die Seele, wenn sie sich mit der wunderbaren Herrlichkeit Gottes befasst, die Ihm als Schöpfer und Erlöser eigen ist, die niedrigste und demütigste Stellung vor Ihm einnehmen wird.
In diesen Betrachtungen lenkte ich in mehr als einer Hinsicht die Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Demut, die uns als Geschöpfen zusteht. Dies tat ich nicht allein deshalb, weil der Zusammenhang von Demut und Sünde in all unseren religiösen Unterweisungen so eingehend dargestellt wird, sondern auch, weil ich es für die Entfaltung des christlichen Lebens für unerlässlich halte, auch andere Gesichtspunkte hervorzukehren.
Ist Jesus in seiner Erniedrigung unser Vorbild, so müssen wir die Grundsätze verstehen, auf denen sie beruht und in denen wir den gemeinsamen Boden finden, auf dem wir mit Ihm stehen sollen und in dem unsere Ähnlichkeit mit Ihm erreicht wird. Wenn wir uns wahrhaft vor Gott und Menschen demütigen, wenn Demut unsere Freude ist, so werden wir sehen, dass sie nicht nur das Zeichen der Scham über unsere Sünde, sondern vielmehr die wahre Schönheit Jesu und die Seligkeit des Himmels ist. Wir werden erkennen, dass Jesus, der seinem Ruhm in der Annahme der Knechtsgestalt fand und der da spricht: „Wer groß sein will unter euch, der sei euer Diener“ (Mark. 10,43b), uns die gesegnete Wahrheit lehrt, dass nichts so göttlich und himmlisch ist, als Diener und Helfer zu sein. Der treue Diener, der seine Stellung richtig erfasst, findet eine wahre Freude in der Sorge für die Bedürfnisse seines Herrn. Werden wir sehen, dass Demut etwas unendlich Tieferes als Zerknirschung, ja vielmehr das Teilhaben an Jesu Leben selbst ist, so erkennen wir in ihr unseren wahren Adel. Wenn wir uns als Diener bewähren, verwirklichen wir unsere Bestimmung aufs Beste, die uns als nach Gottes Bild geschaffenen Menschen zukommt.
Blicke ich zurück auf meine eigene religiöse Erfahrung oder sehe ich umher auf die Kirche Christi in der Welt, so staune ich darüber, dass so wenig nach der Demut als dem unterscheidenden Merkmal der Jüngerschaft Christi getrachtet wird. Im Lehren und im Leben, im täglichen Verkehr mit Menschen und im öffentlichem Leben, in der engsten Gemeinschaft mit Christen, in der Leitung und Ausübung des Werkes Christi - wie viele Beweise gibt es in all dem dafür, dass die Demut nicht für die Haupttugend, nicht für die Wurzel, daraus die Gnaden erwachsen können und nicht für die unerlässliche Bedingung der wahren Nachfolge Jesu gehalten wird!
Dass dies von solchen zu sagen möglich ist, die nach höherer Heiligkeit streben wollen, dass das bloße Bekennen der Heiligkeit nicht immer von wachsender Demut begleitet wird, ist ein lauter Ruf an alle ernsten Christen, in aller Treue und Sorgfalt zu beweisen, dass Sanftmut und Demut des Herzens, die Hauptmerkmale sind, an denen die Nachfolger des sanftmütigen und demütigen Gotteslammes erkannt werden.
Demut, der Ruhm des Geschöpfes
„Die Ältesten fielen nieder vor dem, der auf dem Throne saß und beteten den an, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit und legten ihre Kronen nieder vor dem Thron und sprachen: „Herr unser Gott, Du bist würdig, zu nehmen Preis und Ehre und Kraft; denn Du hast alle Dinge geschaffen und durch deinen Willen haben sie das Wesen und sind geschaffen.“
Offb. 4, 10-11.
Als Gott das Weltall erschaffen hatte, sollte die Kreatur an seiner Vollkommenheit und Seligkeit teilnehmen und dadurch die Herrlichkeit seiner Liebe, Weisheit und Macht kundgeben. Gott wollte sich in den Geschöpfen und durch sie dadurch offenbaren, dass er ihnen so viel von seiner eigenen Güte und Herrlichkeit, als sie empfangen fähig waren, mitteilte. Aber diese Mitteilung bestand nicht darin, dem Geschöpf etwas zu geben, das es in sich selbst besitzen könnte, ihm ein gewisses Leben oder eine gewisse Kraft zu verleihen, über die es die Aufsicht und Verfügung hätte. Keineswegs! Sondern wie Gott, der Eine, ewig Lebendige, ewig Gegenwärtige, ewig Tätige ist, der alle Dinge durch das Wort seiner Macht erhält, und durch den alle Dinge das Wesen haben, so konnte die Beziehung der Kreatur zu Gott nur in einer beständigen, unbeschränkten und allumfassenden Abhängigkeit bestehen. So war, wie Gott durch seine Macht einst alles erschaffen hat, ebenso wahr ist, dass Gott diese seine Macht einst alles jeden Augenblick erhalten muss. Das Geschöpf braucht nur auf den Ursprung und den Anfang seines Daseins zurückzublicken, um zu erkennen, dass es Gott alles verdankt. Seine Hauptsorge, seine größte Tugend, sein einziges Glück jetzt und in alle Ewigkeit besteht darin, sich als leeres Gefäß darzustellen, in dem Gott seine Macht und Güte wohnen lassen und erweisen kann. Das Leben, das Gott verleiht, wird nicht ein für alle Mal, sondern jeden Augenblick beständig durch die unaufhörliche Wirkung Seiner mächtigen Stärke mitgeteilt. Demut, die völlige abhängige Stellung Gott gegenüber, ist die erste Pflicht, die größte Tugend der Kreatur, ja die Wurzel jeder Tugend.
Hochmut dagegen oder der Verlust der Demut ist die Wurzel jeder Sünde und alles Übels. Durch den Hochmut verleitet, blickten die gefallenen Engel mit Selbstgefälligkeit auf sich, so dass er sie zum Ungehorsam gegen Gott gebracht und aus dem Lichte des Himmels zur äußersten Finsternis verstoßen wurden. Das Gift des Hochmuts, den Wunsch, zu sein wie Gott, flößte die alte Schlange in die Herzen unserer ersten Eltern ein, so dass sie von ihrem hohen Stand in all das Elend gefallen sind, indem der Mensch sich jetzt befindet. Im Himmel und auf Erden ist Hochmut, die Selbsterhöhung, Ursprung, Weg und Tor der Hölle.
Hieraus folgt, dass unsere Erlösung nur die Wiederherstellung der verlorenen Demut, der ursprünglichen und allein richtigen Beziehung der Kreatur zu ihrem Gott sein kann.
So kam Jesus, um der Erde die Demut wiederzubringen, uns ihrer teilhaftig zu machen und uns dadurch zu erretten. Im Himmel erniedrigte er sich selbst, um Mensch zu werden. Die Demut, die wir an Ihm sehen, erfüllt Ihn im Himmel; sie brachte Ihn und er brachte sie von dorther. Hier auf Erden „…erniedrigte er sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode“ Phil. 2,7); Seine Demut, gibt seinem Tode den unendlichen Wert und wurde dadurch unsere Erlösung. Das Heil, dass er jetzt verleiht, ist nichts anderes, als die Mitteilung Seines eigenen Lebens, Seines Todes, Seiner Gesinnung und Seines Geistes, Seiner eigenen Demut als des Grundes und der Wurzel Seines Erlösungswerkes und Seiner Beziehung zu Gott. Jesus nahm die Stellung des Menschen ein uns erfüllte die Bestimmung des Menschen als eines Geschöpfes durch sein Leben der vollkommenen Demut.
Deshalb muss das Leben aller Erlösten, aller Heiligen notwendig das Gepräge der Befreiung von der Sünde und der völligen Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes an sich tragen; all ihre Beziehungen zu Gott und Menschen müssen sich durch eine alles durchdringende Demut kennzeichnen. Ohne Demut, kein wahres Weilen in Gottes Gegenwart, keine Erfahrung Seiner Gunst und der Macht, Seines Geistes, kein ausharrender Glaube, keine Liebe, keine Freude und keine Stärke! Demut ist allein der Nährboden der Gnaden. Der Mangel an Demut ist die ausreichende Erklärung jeder Schwäche und jedes Fehlers. Demut ist nicht allein eine Gnade oder eine Tugend neben anderen, sondern vielmehr die Wurzel aller Gnaden und Tugenden, weil sie allein die richtige Stellung vor Gott einnimmt und ihm alles zu tun erlaubt.
Gott hat uns als vernünftige Wesen so eingerichtet, dass die richtige Einsicht in das wahre Wesen oder in die unbedingte Notwendigkeit eines Gebotes den bereitwilligen und völligen Gehorsam zur Folge hat. Der Ruf zur Demut ist in der Kirche zu wenig beachtet worden, weil das wahre Wesen und die Bedeutung der Demut zu wenig erfasst wurde. Sie ist nicht etwas, was wir Gott bringen; sie ist einfach die Empfindung unserer gänzlichen Nichtigkeit, in der wir Gott den Weg dazu bereiten, in uns alles zu sein und die entsteht, wenn wir sehen, wie Gott wahrhaftig alles ist. Wenn die Kreatur diesen wahren Adel gewinnt und mit ihrem Willen, mit ihrer Gesinnung und Neigung zustimmt und gleichsam zum Gefäß wird, darin Gottes Leben und Herrlichkeit wirkt und sich offenbart, wird sie inne, dass die Demut darin besteht, die uns als Kreatur zukommende Stellung richtig zu erkennen und Gott Seinen Platz zu gewähren.
In dem Leben ernster Christen, d.h. derer, die der Heiligung nachjagen, sollte die Demut das vorzüglichste Zeichen ihrer Aufrichtigkeit sein. Dass das häufig nicht der Fall ist, wurde oft gesagt. Ist dies nicht eine Folge davon, dass die Demut im Leben und in der Lehre der Kirche nie die hervorragende Stellung und die hohe Bedeutung hatte, die ihr gebührt? Und dies wiederum, stammt es nicht aus der Vernachlässigung der Wahrheit, dass es so, wie die Sünde ein starker Beweggrund zur Demut ist, einen noch weit mächtigeren Einfluss gibt, der die Engel und die Heiligsten im Himmel demütig macht; dass das erste und vorzüglichste Zeichen der Beziehung des Geschöpfes zu Gott, das Geheimnis ihrer Seligkeit, die Demut und Nichtigkeit ist, die Gott in allem freie Hand lässt?
Manche Christen werden, dessen bin ich sicher, in ihrer Erfahrung mit der meinigen damit übereinstimmen, dass wir den Herrn lange kannten, ohne Sanftmut und Demut des Herzens zu beweisen, die doch die charakteristischen Merkmale eines wahren Jüngers Christi, unseres Meisters sind. Demut ist aber nicht etwas, was von selber kommt; sie muss vielmehr zum Gegenstand des besonderen Verlangens, des Gebets, des Glaubens und der praktischen Übung gemacht werden. Aus dem Worte Gottes ersehen wir, welche sehr deutliche und oft wiederholte Belehrung in diesem Stück Jesus seinen Jüngern gibt und wie langsam sie sie erfassen. Gleich beim Beginn unserer Betrachtungen lasst uns zu gestehen, dass es nichts gibt, was für den Menschen so natürlich, so hinterlistig und seinem Blick so verborgen, so beschwerlich und gefährlich ist wie der Hochmut! Beachten wir es, dass nur ein sehr entschlossenes und beharrliches Achten auf Gottes und Christi willen uns enthüllt, wie uns die Gnade der Demut mangelt!
Lasst uns fleißig des Herrn Bild betrachten, damit unsere Seelen von der Bewunderung Seiner Erniedrigung und von der Liebe zu Seiner Demut erfüllt werden! Lasst uns glauben, dass Jesus Christus selbst uns seine Gnade mitteilen, uns einen Teil Seines wunderbaren Lebens verleihen will, wenn wir gebeugten Herzens unseres Hochmuts innewerden und unser Unvermögen, ihn zu vertreiben fühlen.
Demut, das Geheimnis der Erlösung
„Ein jeder sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war: welcher sich selbst entäußerte und nahm Knechtsgestalt an und erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode. Darum hat Ihn auch Gott erhöht.“
Phil. 2,5-9.
Ein Baum kann nicht wachsen, er bleibe denn an der Wurzel, aus dem er hervorkam. Solange er steht, kann er nur das Leben entfalten, das in dem Samen beschlossen war, aus dem er entsprossen ist. Nur das völlige Erfassen dieser Wahrheit in ihrer Anwendung auf den ersten und den zweiten Adam kann uns zum tiefen Verständnis der Notwendigkeit und des Wesens der Erlösung durch Jesus Christus verhelfen.
Als die alte Schlange, die um ihres Hochmuts willen aus dem Himmel verstoßen wurde und deren ganze Natur, weil der Hochmut satanisch ist, ihre Worte der Versuchung in Evas Ohren sprach, flößte sie zugleich mit diesen Worten wirkliches Gift der Hölle ein. Da Eva darauf einging und ihr Verlangen und ihren Willen auf die Aussicht, zu sein wie Gott und zu wissen, was gut und böse ist, richtete, trat das Gift in ihre Seele, in ihr Blut und Leben ein und zerstörte für immer die gesegnete Demut und Abhängigkeit von Gott, in der unsere immer währende Glückseligkeit bestanden hätte. Statt dessen wurde ihr eigenes Leben sowie das Leben des ganzen Geschlechts, das von ihr seinen Ursprung nahm, in seiner Wurzel durch diese schrecklichste aller Sünden, durch das Gift von Satans eigenem Hochmut, verdorben. All das Elend, von dem diese Welt der Schauplatz war, all die Kriege und das Blutvergießen unter den Völkern, all die Selbstsucht und die Leiden, aller Ehrgeiz und Argwohn, alle gebrochenen Herzen und verbitterten Lebensführungen samt allen täglichem Unglück. Das alles hat seinen Ursprung in diesem verfluchten, höllischen Hochmut, sei es nun in unserem eigenen oder in dem der anderen. Der Hochmut ist es, der die Erlösung notwendig machte; von unserem Hochmut müssen wir vor allem erlöst werden. Unsere Einsicht in die Notwendigkeit der Erlösung hängt völlig ab von unserer Erkenntnis der schrecklichen Natur jener Macht, die in unser Dasein eintrat.
Ein Baum kann nicht wachsen, er bleibe den an der Wurzel, aus der er hervorkam. Die Macht, die der Satan aus der Hölle brachte und in des Menschen Leben hineinwarf, wirkt täglich, stündlich durch die Welt hin mit mächtiger Kraft. Die Menschen leiden darunter; sie fürchten, bekämpfen und fliehen sie und doch wissen sie nicht, woher sie kommt, woher sie ihre furchtbare Gewalt hat. Kein Wunder, dass sie nicht wissen, wo oder wie sie die Macht des Hochmuts zu überwältigen mögen. Der Hochmut hat seine Wurzel und Stärke in einer furchtbaren geistlichen Macht, sowohl außerhalb von uns. als auch in uns. So sehr wir ihn als unser wirkliches Eigentum bekennen und beklagen müssen, dürfen wir seinen satanischen Ursprung nicht übersehen. Führt uns dies dazu, an der wirksamen Bekämpfung, an der Ausrottung des Hochmuts zu verzweifeln, so werden wir dadurch umso eher zu der übernatürlichen Kraft gebracht, in der allein unsere Befreiung zu finden ist, nämlich in der Erlösung durch das Lamm Gottes. Der hoffnungslose Kampf gegen die Werke des Ichs und des Hochmuts in uns, muss uns in der Tat noch hoffnungsloser erscheinen, wenn wir an die Macht der Finsternis denken, die hinter allem steht. Diese Verzweiflung wird uns dazu dienlich sein, eine Kraft und ein außer uns zu empfangen und zu gewinnen, nämlich die Demut des Himmels, die das Lamm Gottes hernieder und uns nahe gebracht hat, um den Satan und seinen Hochmut zu vertreiben.
Ein Baum kann nicht wachsen, er bleibe denn an seiner Wurzel, aus der er hervor kam. Wie wir auf den ersten Adam und seinen Fall zu blicken haben, um die Macht der Sünde in uns zu erkennen, so müssen wir den zweiten Adam erkennen und seine Kraft, in uns ein Leben der Demut zu erwecken, die so wesentlich, so bleibend und übermächtig ist wie der Hochmut. Wir haben unser Leben von und in Christus so wahrhaftig als von und in Adam. Wir sollen wandeln in Ihm gewurzelt und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist. Das Leben Gottes, das in unsere menschliche Natur bei der Menschwerdung des Sohnes Gottes eintrat, ist die Wurzel, in der wir stehen und aus der wir wachsen sollen. Wir müssen nur betrachten, erkennen und glauben an das Leben, als unser Leben, das in Christus offenbar geworden ist und darauf wartet, uns in Besitz zu nehmen und Einfluss auf unser ganzes Wesen zu gewinnen.
Es ist deshalb von größter Wichtigkeit, das rechte Verständnis dafür zu erlangen, was Christus ist und was Ihn als Christus offenbart, was vor allem als sein Hauptkennzeichen, als die Wurzel und das Wesen Seiner Person als unseres Erlösers anzusehen ist. Darauf kann es nur die eine Antwort geben: Seine Demut.
Was ist seine Menschwerdung, das entäußern Seiner Selbst, das annehmen der Knechtsgestalt anderes als Seine himmlische Demut. „Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode.“ Was ist seine Auferstehung, Himmelfahrt und Herrlichkeit anderes als die zum Thron erhöhte und mit Glorie gekrönte Demut? Er erniedrigte sich selbst, darum hat Ihn Gott erhöht.“ Im Himmel, wo er bei seinem Vater war, bei der Menschwerdung, in Seinem Erdenleben, in Seinem Leiden und Sterben, in Seinem Sitzen zur Rechten des Vaters: in all dem sehen wir nichts als Demut; Christus ist die in menschliche Natur erschienene Demut Gottes; die ewige Liebe erniedrigte sich selbst und bekleidete sich mit dem Gewande der Sanftmut und Leutseligkeit, um uns zu gewinnen, uns zu dienen und uns zu erretten. Wie Gottes Liebe und Herablassung sich zum Wohltäter, Helfer und Diener aller macht, so ist Jesus die menschgewordene Demut. Auch auf dem Throne ist er das sanftmütige und demütige Lamm Gottes.
Ist es zu verwundern, dass das christliche Leben oft so schwach und fruchtleer bleibt, wo doch seine wahre Wurzel unbekannt und vernachlässigt wird? Kann es uns wundern, dass die Erlösungsfreude so wenig erfahren wird, wenn das, worin Christus sie fand und uns brachte, so wenig gesucht wird? Auf eine Demut, die in nichts Geringerem als im Tode des eigenen Ichs beruht, die wie Jesus tat, auf alle Ehre von Menschen verzichtet, um allein die Ehre zu suchen, die von Gott kommt; auf eine Demut, die sich gänzlich für nichts achtet, damit Gott alles sei und der Herr allein geehrt werde, auf eine solche Demut, die wir vor allem als unsere größte Freude in Christo suchen und um jeden Preis begehren, ist bei einer weltförmigen Religion sehr wenig Hoffnung vorhanden.
Hätte der Leser seine Aufmerksamkeit möglicherweise noch nie besonders auf den Mangel an Demut in ihm und um ihn her gerichtet, so könnte er nicht ernstlich genug in ihn dringen, zu bedenken und ihn fragen, ob er viel von dem Geiste des demütigen und sanftmütigen Gotteslammes bei denen gewahrt, die nach dessen Name genannt sind. Er betrachte wie aller Mangel an Liebe, alle Gleichgültigkeit gegen die Nöte, Gebrechen und Gefühle anderer, alle scharfen und vorschnellen Äußerungen und Urteile, all die Ausbrüche des Temperaments, der Empfindlichkeit und Gereiztheit, alle Gefühle der Bitterkeit und Entfremdung ihre Wurzel haben in dem immer sich selbst suchenden Hochmut - und der Leser wird deutlich erkennen, wie ein finsterer, ich möchte sagen, teuflischer Hochmut fast allenthalben, auch in den Versammlungen von Gläubigen schleicht. Fange zu fragen an, was für eine Wirkung es hätte, wenn bei dir und um dich her, sowohl bei der Welt als bei Gläubigen, das Leben beständig von Jesu Demut geleitet werden würde! sage dir, ob der Schrei unseres Herzens nicht Tag und Nacht sein sollte: „Oh dass doch Jesu Demut in mir und um mich herum Raum gewinnen möchte!“ Richte ehrlich dein Herz auf deinen eigenen Mangel an Demut, der dir durch die Betrachtung des Bildes Christi und der ganzen Art Seines Wirkens als Erlöser offenbar wird; du wirst dann bald merken, dass du noch nie recht gewusst hast, was Jesus und sein Heil ist.
Gläubige betrachtet fleißig Jesu Demut! Sie ist das Geheimnis, die verborgene Wurzel deiner Erlösung. Versenke dich von Tag zu Tag immer tiefer hinein! Glaube mit deinem ganzen Herzen, dass Jesus den Gott der Vater dir gab und dessen göttliche Demut das Werk der Erlösung für dich zu Stande brachte, in dir einkehren will, um in dir zu wohnen und zu wirken und aus dir das zu machen, wozu der Vater dich haben möchte!
Die Demut in Jesu Leben
„Ich bin unter euch wie ein Diener.“
Luk. 22,27
Im Johannes-Evangelium wird uns das innere Leben unseres Herrn vor Augen geführt. Jesus spricht häufig von Seiner Beziehung zum Vater, von den Beweggründen, durch die er geleitet wird, von Seiner Macht und Gesinnung, in der Er wirkt.
Wir wollen nun aus der Heiligen Schrift deutlich ersehen, worin Seine Demut besteht. Wir sagten bereits, dass die Gnade der Demut in Wahrheit in nichts anderem besteht, als in der einfachen Zustimmung des Geschöpfes, Gott alles sein zu lassen in der Tugend sich ganz an ihn hinzugeben, damit Er allein wirke. Als der menschgewordene Gottessohn nahm Jesus die Stellung gänzlicher Unterordnung ein und gab dem Vater, die Ehre, die Ihm gebührte. An sich selbst bewährte Er, was Er so oft lehrte: „Wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht.“ Matth. 23,12b).
„Er erniedrigte sich selbst, darum hat Ihn Gott erhöht“ (Phil. 2,8a + 9a).
Lausche auf die Worte, in denen unser Herr von Seiner Beziehung zum Vater redet und siehe wie Er beständig die Worte „nicht“, „nichts“ von sich selber gebraucht! Das „nicht ich“ womit Paulus (Gal. 2,20) seine Beziehung zu Christus bezeichnet, ist der rechte Ausdruck für den Sinn dessen, was Jesus von Seiner Beziehung zum Vater sagt.
„Der Sohn kann nichts von sich selber tun“ (Joh. 5,19).
„Ich nehme nicht Ehre von Menschen“ (Joh. 5,41).
„Ich bin gekommen, nicht, damit ich meinen Willen tue“ (Joh. 6,38).
„Meine Lehre ist nicht mein“ (Joh. 7,16).
„Von mir selbst bin ich nicht gekommen (Joh. 7,28).
„Ich tue nichts von mir selber“ (Joh. 8,28).
„Ich bin nicht von mir selber gekommen, sondern der Vater hat mich gesandt“ (Joh. 8,42).
„Ich suche nicht meine Ehre“ (Joh. 8,50).
„Die Worte, die ich rede, die rede ich nicht von mir selbst“ (Joh. 14,10).
„Das Wort, dass ihr höret ist nicht mein“ (Joh. 14,24).
Diese Worte zeigen uns die tiefsten Wurzeln des Lebens und Wirkens Jesu Christi; sie lassen erkennen, wie Gott der Vater das Werk Seiner mächtigen Erlösung durch Jesus wirken konnte. Sie eröffnen uns den Herzenszustand, der Jesus als dem Sohn des Vaters eigen war. Sie lehren uns das wahre Leben und Wesen der Erlösung, die Jesus vollbrachte und uns nun mitteilt.
Er war nichts, damit Gott alles sein kann. Auf seinen Willen und auf Seine Kräfte verzichtete er gänzlich, damit der Vater in Ihm wirkte. Von Seiner eigenen Macht, von Seinem eigenen Willen und Seiner Ehre, von all Seinem Wirken und Lehren, von all dem sagt Er: „ich bin es nicht; ich bin nichts, der Vater ist alles; ich habe mich selbst dem Vater übergeben, damit Er in mir wirke.“
Dieses Leben gänzlicher Selbstverleugnung, völliger Untertänigkeit und Abhängigkeit von des Vaters Willen erwies sich für Jesus als ein Leben voller Freude und vollkommenen Friedens. Er verlor nichts dadurch, dass Er Gott alles übergab. Gott ehrte sein Vertrauen und erhöhte Ihn zu Seiner Rechten in der Herrlichkeit. Weil Jesus sich vor Gott erniedrigte und immer vor Gott stand, war Er auch im Stande, sich vor Menschen zu demütigen und aller Diener zu sein. Seine Demut war einfach die völlige Hingabe an Gott, damit Er nach Seinem Wohlgefallen an Ihm tue, was auch immer Menschen um Ihn her von Ihm sagen oder Ihm antun mochten.
In dieser Gesinnung hat die Erlösung Christi ihren Wert und ihre Wirkung. Sie bringt uns dazu, dass wir Christi teilhaftig werden. Diese Gesinnung ist die wahre Selbstverleugnung, zu der uns unser Erlöser auffordert, die Erkenntnis, dass das Ich nichts Gutes in sich hat und dass Ihm keinen Augenblick der Anspruch, etwas zu sein, oder zu tun, gestattet werden kann, sondern dass es nur ein leeres Gefäß ist, dass Gott füllen muss. Darin besteht vor allem die Gleichförmigkeit mit Jesus, dass wir nichts von uns selber sind oder tun, so dass Gott alles ein kann.
Hier haben wir die Wurzel und die Beschaffenheit wahrer Demut. Gerade weil diese nicht verstanden und erstrebt wird, ist unsere Demut vielfach so oberflächlich und schwach. Wir müssen von Jesus lernen, wie er sanftmütig und demütig von Herzen ist. Er lehrt uns, worin wahre Demut ihren Ursprung hat und ihre Stärke findet, in der Erkenntnis nämlich, dass Gott es ist, der alles in allen wirkt, dass also unsere Stellung in rückhaltloser Hingabe an Ihn und in völliger Abhängigkeit, sowie in vollkommener Verzichtleistung auf alles bestehen muss, so dass wir völlig einwilligen, nichts von uns selbst zu sein oder zu tun. Dies ist das Leben Christi, dass uns das Leben für Gott offenbaren uns mitteilen sollte, das dadurch erlangt wird, dass wir der Sünde und dem Ich sterben. Merken wir, dass dieses Leben zu hoch für uns ist und unsere Fähigkeiten übersteigt, so kann uns das nur umso mehr drängen, es in Jesus zu suchen. Der innewohnende Jesus will in uns dies sanftmütige und demütige Leben leben.
Verlangen wir danach, so lasst uns vor allem nach dem heiligen Geheimnis der Erkenntnis des Wesens Gottes trachten, wie Er jeden Augenblick alles in allen wirkt und von dem die ganze Natur und jedes Geschöpf und vor allem jedes Gotteskind bezeugen, dass sie nichts anderes als Gefäße und Kanäle sind, in denen und durch die der lebendige Gott den Reichtum Seiner Weisheit, Allmacht und Güte offenbaren kann.
Die Wurzel alles Tugend und Gnade, allen Glaubens und aller Würde ist dies: zu erkennen, dass wir nichts haben, als was wir empfangen und sich in tiefster Demut vor Gott zu beugen, um es von Ihm zu erwarten.
Weil Jesu Demut nicht ein zeitweiliges Gefühl war, das erweckt und in Übung gebracht worden wäre, sooft er an Gott dachte, sondern vielmehr die Grundgesinnung Seines ganzen Lebens bildete, deshalb ist er im Umgang mit den Menschen ebenso demütigt gewesen wie im Verkehr mit Seinem Vater. Er betrachtete sich als Diener Gottes für die Menschen, die Gott erschaffen hatte und liebte und wie in natürlicher Folge, sah er sich als Diener des Menschen an, damit das Werk seiner Liebe durch Ihn tun konnte. Nie gedachte Er daran, auch nur einen Augenblick Seine Ehre zu suchen oder Seine Macht in Anspruch zu nehmen, um sich zu rächen. Seine ganze Gesinnung war die eines Lebens, das sich völlig Gott hingibt, damit Er darin wirkte. Christen müssen Jesu Demut als das wahre Wesen Seiner Erlösung betrachten, als die wahre Seligkeit im Leben des Gottessohnes, als die allein richtige Beziehung zum Vater und als etwas, was uns Jesus geben muss, wenn wir Seiner teilhaftig werden wollen, damit der entsetzliche Mangel an tätiger, himmlischer und offenbarer Demut. als eine Last und als ein Druck empfunden wird und wir des ersten und hauptsächlichsten Merkmals des Christus in uns gesehen in uns gewiss werden.
Bruder, Schwester, bist Du mit der Demut bekleidet? Frage Dein tägliches Leben, frage Jesus, frage Deine Freunde, frage die Welt! Beginne Gott dafür zu preisen, dass uns in Jesu eine himmlische Demut zugänglich gemacht worden ist, von der du fast nichts wusstest und durch die eine, himmlische Seligkeit in dich kommen kann, wie du sie vielleicht noch nie geschmeckt hast!
Die Demut in Jesu Lehre
„Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig.“
Matth. 11,29
„Wer der erste sein will unter euch, der sei euer Knecht.“
Matth. 20,27
Wir sahen die Demut in Jesu Leben, indem Er uns Einblicke in Sein Herz vergönnte. Lasst uns nun auf Seine Belehrung hören! Beachten wir sorgfältig jene Stellen, die ich nur anzuführen brauche, um den vollen Eindruck davon zu erwecken, wie oft und wie ernst Er die Demut lehrte! Möge dies uns dazu dienen, das zu verwirklichen, was er von uns fordert!
1. Blicke in den Anfang Seiner Wirksamkeit! In den Seligpreisungen, mit denen Er die Bergpredigt beginnt, spricht Er: „Selig sind die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihrer. Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.“ (Matth. 5, 3+5)
Die ersten Worte Seiner Verkündigung des himmlischen Reiches offenbaren die geöffnete Pforte, durch die allein wir eintreten können. Zu den Armen, die in sich nichts haben, kommt das Reich Gottes. Die Sanftmütigen, die in sich nichts suchen, werden das Erdreich besitzen.
Die Segnungen des Himmels und der Erde sind für die Demütigen. Für das himmlische und irdische Leben ist Demut das Geheimnis des Segens.
2. „Lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.“ Jesus bietet sich zum Lehrer an. Er sagt uns, was wir bei Ihm, unserem Lehrer finden und was wir von Ihm lernen und empfangen können. Sanftmut und Demut ist das eine, das Er uns anbietet; darin finden wir vollkommene Seelenruhe. Demut ist unser Heil, unsere Seligkeit.
3. Den Jüngern kam der Gedanke, welcher unter ihnen der Größte im Himmelreich wäre (Matth. 18,3). Jesus stellte ein Kind mitten unter sie und sprach: „Wer sich selbst erniedrigt, wie dieses Kind, der ist der Größte im Himmelreich.“
Diese Frage ist in der Tat von höchster Bedeutung. Was wird in dem himmlischen Reiche den Vorzug gewähren? Jesus gibt darauf nur eine Antwort. Der größte Ruhm des Himmels, die vorzüglichste der Gnaden, die wahre himmlische Gesinnung ist die Demut. „Wer der Kleinste ist unter euch allen, der ist groß.“ (Luk. 9,48b).
4. Salome, die Gattin des Zebedäus, kam mit ihren Söhnen Jakobus und Johannes zu Jesus, fiel vor ihm nieder und bat Ihn: Lass diese, meine zwei Söhne sitzen in Deinem Reich einem zu Deiner Rechten und einer zu Deiner Linken!“ (Matth. 20,21b). Jesus antwortete: „Das Sitzen zu meiner Rechten und Linken zu verleihen, steht nicht mir zu, sondern wird denen zu Teil, denen es bereitet ist von meinem Vater.“
Sie müssen nicht darauf sehen oder danach fragen. Ihre Gedanken müssen auf den Kelch und die Taufe der Erniedrigung gerichtet sein. „Wer groß sein will unter euch, fügt Jesus hinzu, der sei euer Diener und wer der erste sein will unter euch, der sei euer Knecht; gleichwie es Menschensohn nicht gekommen ist, dass er sich dienen lasse, sondern, dass Er diene.“
Wie die Demut das Kennzeichen des Menschensohnes ist, so wird sie im Himmel der Maßstab des Ruhmes sein: Der Niedrigste ist Gott am nächsten. Der Vorrang in der Gemeinde ist den Demütigsten verheißen.
5. Als Jesus von der Menge und den anderen Jüngern redet, dass die Pharisäer den ersten Platz bei den Gastmählern und die ersten Sitze in den Synagogen lieben, sagt er wieder: „Der Größte unter euch soll euer Diener sein“ (Matth. 23,11). Erniedrigung ist allein die Leiter, auf der man zur Ehre in Gottes Reich emporsteigt.
6. Bei einer anderen Gelegenheit, als Jesus in dem Hause eines Pharisäers merkte, wie die Geladenen die ersten Plätze wählten, sprach er das Gleichnis von jenem Gast, der sich auf dem letzten Platz niederließ und zu dem der ihn geladen hat, kommt und sagt: „Freund rücke hinauf!“ (Luk. 14,7-11). Denn wer sich selbst erhöht, wird“, fügt Jesus hinzu, „der soll erniedrigt werden und wer sich selbst erniedrigt, soll erhöht werden.“ Diese Forderung ist unerbittlich; es gibt keine anderen Weg. Selbsterniedrigung, findet allein Erhöhung.
7. Am Schluss des Gleichnisses vom Pharisäer und Zöllner spricht Jesus wieder (Luk. 18,14):
„Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ In Gottes Tempel und Gegenwart und in Gottes Wertschätzung ist alles wertlos, was nicht von tiefer, wahrer Demut vor Gott und Menschen durchdrungen ist.
8. Nach der Fußwaschung sagt Jesus (Joh. 13,14): „So nun ich, euer Meister, euch die Füße gewaschen haben, so sollt ihr auch untereinander die Füße waschen.“ Die Gehorsam erzwingende Macht dieses Gebotes und Beispiels, jener Sinn für Gehorsam und Nachfolge macht die Demut zum ersten und wesentlichen Bestandteil der Jüngerschar Jesu.
Der Weg, auf dem Jesus wandelte und den er uns zeigt, die Kraft und die Gesinnung, in der Er die Erlösung vollbrachte und zu der Er uns bringt, ist immer die Demut, die mich zum Diener aller macht.
Wie wenig wird dies gepredigt und wie wenig wird es ausgeübt! Wie wenig wird der Mangel an Demut gefühlt oder bekannt! Abgesehen davon, dass nur wenige ein nennenswertes Maß von Ähnlichkeit mit Jesus mit Seiner Demut erreichen, wie viele sind es denn, die immer daran denken, die Demut zum besonderen Gegenstand des beharrlichen Strebens und des anhaltenden Gebets zu machen? Wie wenig hat die Welt noch die Demut gesehen! Wie wenig wurde sie selbst in den engeren Kreisen der Gemeinde gesehen!
„Der vornehmste unter euch soll sein wie euer Diener.“ Oh, wäre es uns doch zu glauben verliehen, dass Jesus dies meint! Wir alle wissen, was das Wesen eines treuen Dieners in sich schließt. Hingabe an die Interessen seines Herrn, reger Eifer und Sorge, ihm zu gefallen, innige Freude an seinem Gedeihen, an seiner Ehre und seinem Glück. Es gab auf Erden Diener, an denen diese Gesinnung und Fähigkeiten zu finden waren und denen der Name „Diener“ nie etwas anderes als Ruhm gewesen ist. Ist nicht manchen von uns immer wieder eine Freude im christlichen Leben die Erkenntnis gewesen, dass wir uns selbst Gott als Diener und Knechte hingeben dürfen und gereicht es uns nicht immer wieder zur Freude zu erfahren, dass Gottes Dienst unsere höchste Freiheit von Sünde und Ich ist? Wir müssen es neu lernen, dass Jesus uns Diener nennt, sowie auch, dass dieser Dienst, wenn wir ihn aufrichtig annehmen, ein sehr gesegneter, eine neue und völligere Freiheit von Sünde und Ich sein wird.
Anfangs zwar kann er hart erscheinen, aber nur deshalb, weil der Hochmut sich selbst noch für etwas hält. Haben wir einmal gelernt, dass das Nichts-sein vor Gott der Ruhm des Geschöpfes, die Gesinnung Jesu, die Freude des Himmels ist, so werden wir mit ganzem Herzen die Demütigen willkommen heißen, die uns in unserem Dienst von denen, die uns versuchen oder plagen, begegnen können. Wer unverdiente Missachtung, Tadel, Zurücksetzung, Hohn und Spott, Verfolgungen und dergleichen mit ruhigen, freudigem Gemüt erträgt, kann für demütig gehalten werden. Treibt uns unser eigenes Herz zu an, wahrer Heiligung nachzujagen, dann beachten wir jedes Wort Jesu über die Selbsterniedrigung stets mit neuem Interesse. Keine Stellung wird uns dann zu niedrig, keine Herablassung zu tief und kein Dienst zu gering und zu lang andauernd zu sein, wenn wir nur an der Jüngerschaft dessen teilhaben dürfen, der sprach: „Ich bin unter euch, wie ein Diener.“
Brüder, hier ist der Pfad zu höherem Leben! Hinab, tiefer hinab! Dies war es, was Jesus seinen Jüngern, immer wieder sagte. Trachtet nicht und fragt nicht nach der Erhöhung, dies ist Gottes Werk. Blickt vielmehr darauf, dass ihr euch erniedrigt und demütig und keine Stellung vor Gott und Menschen einnehmt als die eines Dieners, dies ist das Werk, das der Gegenstand eures Sterbens und eures Gebets sein soll. Gott ist getreu. Wie die Wasser stets die tiefsten Stellen suchen und füllen, so findet Gott, die sich erniedrigenden und leere Geschöpfe, um sie durch den Einfluss Seiner Herrlichkeit und Macht zu erhöhen und zu segnen. Wer sich selbst erniedrigt - dass muss unsere Hauptsorge sein -, soll erhöht werden - das ist Gottes Sorge; Er wird es durch Seine allmächtige Kraft und in Seiner großen Liebe tun.
Menschen reden manchmal so, als ob Demut uns Sanftmut uns alles dessen beraube, was edel, kühn und männlich ist. Oh, wären doch alle davon überzeugt, dass Demut der Adel des Himmelreiches, die königliche Gesinnung ist, die der König des Himmels zur Darstellung brachte, dass es etwas Göttliches ist, sich selbst zu erniedrigen und aller Diener zu werden! Die Demut ist der Weg zur Freude und zur Ehre der Einwohnung Christi in uns; in ihr ruht Seine Kraft in uns.
Jesus, der einzigartige Sanftmütige und Demütige, ruft uns, von Ihm den Weg zu Gott zu lernen. Lasst uns die Worte, die wir uns aus der Heiligen Schrift vorführten, fleißig beachten, bis unser Herz von dem Gedanken erfüllt ist: das eine, das ich brauche ist Demut. Seine wir davon überzeugt, dass Jesus gibt, was Er zeigt und mitteilt was Er ist! Als der einzige Sanftmütige und Demütige wird er in das verlangende Herz kommen und darin wirken.
Die Demut in den Jüngern Jesu
„Der Größte unter euch soll sein wie der Jüngste und der Vornehmste wie ein Diener.“
Luk. 22, 26
Wir haben die Demut in der Lehre und in der Lehre Jesu betrachtet. Blicken wir auf die Demut im Kreise Seiner erwählten Jünger! Tritt bei ihnen in dem Mangel an Demut der Gegensatz zwischen Jesus und den Menschen stark hervor, so dient uns dies dazu, die mächtige Veränderung, die Pfingsten bei ihnen bewirkte, recht zu würdigen und dadurch zu erkennen, wie wirksam unsere Teilnahme an dem vollkommenen Sieg von Christi Demut über den Stolz sein kann, den der Satan den Menschen einflößte.
Aus dem im vorigen Abschnitt angeführten Stellen ersahen wir bereits, bei welchen Gelegenheiten die Jünger gänzlich Mangel an Demut bewiesen. Es kam ihnen einmal auf dem Wege der Gedanke, wer wohl der Größte von ihnen wäre (Luk. 9,46). Doch stand es nicht so, als hätte es keine Augenblicke gegeben, in denen sie sich wirklich vor ihrem Herrn demütigen. So rief z.B. Petrus aus: „Herr gehe weg von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch (Luk. 5,8). So auch als die Jünger sich nach der Stillung des Sturmes verwunderten und sich sehr fürchteten (Mark. 4,41). Allein solche gelegentlichen Äußerungen der Demut lassen ihre gewöhnliche Gemütsverfassung nur umso stärker hervortreten, da sich zu anderen Zeiten in ihrem Wesen die Macht des Ich's geltend machte. Beachten wir den Sinn von all dem, so gewinnen wir daraus wichtige Belehrungen.
1. Viele können ernsten und tätigen Glauben haben, während ihnen die Demut leider noch fehlt. So sehen wir es an den Jüngern. Es war in ihnen innigliche Anhänglichkeit an Jesus; um Seinetwillen haben sie alles verlassen. Der Vater hatte es ihnen offenbart, dass Jesus Gottes Sohn ist. Sie glaubten an ihn, sie liebten ihn, sie gehorchten Seinen Geboten. Als andere sich von Ihm zurückzogen (Joh. 6,66) blieben sie Ihm treu. Sie waren bereit mit Ihm zu sterben.
Aber tiefer unter all dem gab es eine finstere Macht, von derer Existenz und Grässlichkeit sie kaum wussten und die, ehe sie Zeugen der errettenden Macht Jesu sein konnten, erkannt und ausgerottet werden musste. Ganz so noch jetzt. Wir können Professoren und Geistliche, Evangelisten und Missionare finden, die viele und offenbare Gaben des Geistes besitzen und Kanäle des Segens für viele sind, bei denen es aber, wenn die Zeit der Prüfung kommt, nur zu schmerzlich offenbar wird, dass die Gnade der Demut als bleibende Charaktereigenschaft kaum zu sehen ist.
Das alles vermag die Lehre zu bestätigen, dass Demut als eine von den vorzüglichsten und höchsten Gnaden schwierig zu erlangen ist, dass auf sie aber unsere ersten und eifrigsten Bemühungen zu richten sind und dass sie nur dann zur Auswirkung kommt, wenn des Geistes Fülle uns des innewohnenden Christus teilhaftig macht, so dass er in uns lebt.
2. Aller äußere Unterricht und alle persönliche Bemühung sind nicht im Stande, den Hochmut zu überwinden und ein sanftmütiges und demütiges Herz zu verleihen. Drei Jahre lang waren die Jünger in Jesu Schule und Unterweisung. Worin die Hauptaufgabe bestehe und was Er sie lehren wolle, hatte Er ihnen gesagt: „Lernet von mir; (nehmet mich zu eurem Vorbild) denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig.“ Eine Weile danach sprach Er zu ihnen, zu den Pharisäern und zu der Menge von der Demut als dem einzigem Wege zur Herrlichkeit Gottes. Er lebte unter ihnen in Seiner göttlichen Demut als Lamm Gottes und gab wiederholt Einblicke in das innerste Geheimnis Seines Lebens: „Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, dass Er sich dienen lasse, sondern dass er diene.“ (Matth. 20,28). „Ich bin unter euch wie ein Diener.“ (Luk. 22,27). Er wusch ihnen die Füße und sagte ihnen, sie sollen seinem Beispiel folgen. Und doch nützte dies alles nur wenig. Noch bei dem Heiligen Abendmahl stritten sie darüber, wer von ihnen der Größte wäre. Zweifellos hatten sie oft versucht, ihre Lektionen zu lernen und waren fest entschlossen Jesus nicht wieder zu betrüben. Doch vergebens! Dies gibt ihnen und uns die sehr notwendige Lehre, dass keine äußere Unterweisung, kein noch so überzeugende Beweisgrund, kein Gefühl von der Schönheit der Demut, wie tief es auch sein mag, kein Willensentschluss und keine Anstrengung, wie aufrichtig und ernst sie auch wären, den Teufel des Hochmuts austreiben können. Wenn der Satan den Satan austreibt kommt er mit stärkerer, wenn auch in mehr verborgener Gewalt wieder. nur dies allein kann helfen: dass die neue Natur in ihrer göttlichen Demut mächtig offenbar wird, um die Stelle der alten einzunehmen und unsere wahre Natur zu werden.
3. Nur durch den innewohnenden Christus können wir in Seiner göttlichen Demut wahrhaftig demütig werden. Wir haben unseren Hochmut von einem anderen, von Adam; wir müssen auch unsere Demut von einem anderen haben. Der Hochmut ist unser und herrscht in uns mit so furchtbarer Gewalt, weil er unser Selbst, unsere Natur ist. Ebenso muss die Demut unser werden und unser wahre Natur sein. Es muss und wird ebenso natürlich und leicht werden, demütig zu sein, als es natürlich und leicht war, stolz zu sein.
Die Verheißung lautet: „Wo die Sünde ist mächtig geworden, da ist die Gnade noch mächtiger geworden.“ (Röm. 5,20). Alle Unterweisung, die Jesus seinen Jüngern gab und alle ihre vergeblichen Bemühungen waren die notwendige Vorbereitung der Einwohnung Jesu in ihrem Herzen, durch die ihnen vermöge Seiner göttlichen Kraft das gegeben wurde, was sei seiner Belehrung gemäß begehren sollten. In Seinem Tode zerstörte Er des Teufels Macht, beseitigte Er die Sünde und bewirkte die immerwährende Erlösung. In Seiner Auferstehung empfing Er vom Vater ein ganz neues Leben, das den Menschen dadurch mitgeteilt werden kann, dass Jesus in ihnen einkehrt, sie erneuert und ihr Leben mit Seiner göttlichen Macht erfüllt. Nach Seiner Himmelfahrt vereinigte Er sich durch den Heiligen Geist mit denen, die Er liebte, so dass Er wirklich in ihnen lebte und sie in einer Demut, die der Seinigen ähnlich war, vor dem Vater wandelten, weil Jesus selbst in ihnen lebte und wirkte. An Pfingsten kam Er und nahm von ihren Seelen Besitz. Das Werk der Vorbereitung und Überführung, die Anregung zur Sehnsucht und Hoffnung, die Seiner Unterweisung zu Stande brachte, wurde durch die mächtige Veränderung zu Pfingsten vollendet. Das Leben und die Briefe der Apostel Jakobus, Johannes und Petrus bezeugen jene Veränderung und beweisen, dass der Geist des sanftmütigen und leidenden Jesus wirklich Besitz von ihnen genommen hat.
Was werden wir hierzu sagen? Unter meinen Lesern gibt es sicher mehr als eine Klasse. Einige haben wohl nie ihre Gedanken besonders auf dieses Thema gerichtet und können deshalb seine große Bedeutung für die Gemeinde und ihre Glieder nicht würdigen. Andere, die sich um ihrer Mängel willen verurteilen und sehr ernste Anstrengungen gemacht haben, wurden entmutigt und kamen zu Fall. Wieder andere vermögen ein freudiges Zeugnis von geistlicher Kraft und Segnung zu geben und doch findet sich selbst bei ihnen nicht die nötige Überzeugung, dass auch ihnen die Demut fehle, die sie um sich her vermissen. Und noch andere können zu dem Zeugnis befähigt zu sein, dass der Herr auch in Bezug auf diese Gnade der Demut Befreiung und Sieg gegeben hat, indem er sie lehrte, wie viel ihnen noch nötig ist und wie viel sie von Jesu Fülle erwarten dürfen.
Zu welcher Klasse wir auch gehören mögen, ich kann nur betonen, dass es dringend nötig ist, nach einer noch festeren Überzeugung von der einzigartigen Stellung der Demut im Christentum zu trachten. Denn es ist für die Gemeinde und für die Gläubigen nicht möglich das zu werden, was sie nach dem Willen des Herrn sein sollen, solange sie nicht die Demut als Jesu größten Ruhm, als sein erstes Gebot und als unsere höchste Seligkeit anerkennen.
Lasst es uns eifrig bedenken, wie wenig gefördert die Jünger waren, als sie diese Gnade noch sehr ermangelten! Bitten wir Gott, dass andere Gaben uns nicht befriedigen mögen; seinen wir stets dessen ein Gedenk, dass der Mangel an dieser Gnade die geheime Ursache dafür ist, dass Gottes Kraft ihr mächtiges Werk nicht tun kann! Dies wird viel mehr nur dann geschehen, wenn wir, wie der Sohn, wahrhaft erkennen und ausleben, dass wir von uns selbst nichts tun können, damit Gott alles tue.
Nur wenn der Glaube an den innewohnenden Christus die Stellung einnimmt, die er in der Erfahrung der Gläubigen beansprucht.
Die Demut in täglichen Leben
„Wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?“
1. Joh. 4,20
Welch ernster Gedanke ist es, dass unsere Liebe zu Gott, nach der Liebe gemessen wird, die wir im täglichen Verkehr mit Menschen erzeigen und dass unsere Liebe zu Gott als Lüge erachtet wird, wenn sich ihre Echtheit in Bezug auf unsere Mitmenschen nicht in der Probe des täglichen Lebens erweist! Ebenso steht es mit unserer Demut. Es ist leicht zu denken, wir seinen demütig vor Gott; die Demut zu den Menschen wird der einzig hinreichende Beweis, dass unsere Demut vor Gott eine wirkliche und echte ist, dass die Demut Wohnung in uns genommen hat und unsere wahre Natur geworden ist, dass wir jenes eigentümliche Siegel der Kindschaft empfangen haben, dass wir von uns selbst (von unseren Tugenden) nichts wissen. Ist in der Gegenwart Gottes die Demut des Herzens nicht nur eine zeitweilige Richtung zu Gott hin beim Denken an Ihn und beim Beten zu Ihm, sondern viel mehr die wahre Gesinnung unseres ganzen Lebens geworden, so wird sie sich in unserem Verkehr mit den Menschen offenbaren.
Von großer Wichtigkeit ist die Lehre: diejenige Demut allein ist unser Eigentum, die wir in unserem alltäglichen Leben mit uns führen und ausüben. Die Geringfügigkeiten des täglichen Lebens sind wichtige Gegenstände und Proben der Ewigkeit, weil sie beweisen welche Gesinnung uns wirklich beseelt. Gerade in unseren am wenigsten beachteten Augenblicken zeigen und sehen wir tatsächlich, was wir sind. Um einen demütigen Menschen kennen zu lernen, um zu wissen wie sich der Demütige verhält, musst du ihm in dem gewöhnlichen Lauf des täglichen Lebens folgen.
Stimmt dies nicht mit der Lehre Jesu überein? Als die Jünger darüber stritten, wer von ihnen der Größte wäre; als er sah, wie die Pharisäer den ersten Platz bei den Gastmählern und die ersten Sitze in den Synagogen liebten; als er ein Beispiel der Fußwaschung gab: da erteilte er seine Lehren über die Demut. Demut vor Gott ist nichts, wenn sie sich nicht in der Demut vor den Menschen erprobt.
Dieselbe Lehre finden wir bei dem Apostel Paulus. An die Römer schreibt er: „Einer komme dem anderen mit Ehrerbietung zu vor! (12,10). „Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den Geringen; haltet euch nicht selbst für klug!“ (12, 16+17). An die Korinther: Es gibt keine Liebe ohne Demut, die ja die Wurzel der Liebe ist - „sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern.“ (1. Kor. 13,4-5).
An die Galater: „Durch die Liebe diene einer dem anderen, lasst uns einander nicht reizen, einander nicht neiden (5,13b + 26). An die Epheser: „Wandelt in aller Demut und Sanftmut, in Geduld; und vertragt einer den anderen in der Liebe.“ (4,2). „sagt Dank allezeit für alles und seid einander untertan in der Furcht Christi!“ (5,20-21). An die Philipper: „Tut nichts aus Zank oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achtet einer den anderen höher als sich selbst!“ (2,3).
„Ein Jeder sei gesinnt, wie Jesus auch war, welcher sich selbst entäußerte und Knechtsgestalt annahm und sich selbst erniedrigte“ (2,5-8).
Und an die Kolosser: „Zieht an, als die Auserwählten Gottes, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld und vertrage einer den anderen und vergebt euch untereinander, gleichwie der Herr euch vergeben hat“ (3,11). Gerade in unseren Beziehungen zu einander, in unserer gegenseitigen Behandlung ist die Sanftmut und Demut des Herzens zu sehen. Unsere Demut vor Gott hat so viel Wert, wie sie uns dazu bereitet und befähigt, Jesu Demut unseren Mitmenschen zu offenbaren. Betrachten wir im Licht der erwähnten Worte die Demut im täglichen Leben!
Der Demütige bestrebt sich, jederzeit nach Vorschrift zu handeln: „einer komme dem anderen mit Ehrerbietung zu vor!“ (Röm. 12,10); „Dienet einander!“ (Phil. 2,3): „Seid einander untertan!“ (Eph. 5,21). Die Frage ist oft aufgeworfen worden, wie wir einer den anderen höher achten können als uns selbst, wenn wir sehen, dass andere in Weisheit und Heiligung, in natürlichen Anlagen oder in empfangenen Gnadengaben weit unter uns stehen. Wer so fragt, beweist, wie wenig er das Wesen rechter Herzensdemut versteht. Wahre Demut ist da vorhanden, wo man in dem Lichte Gottes die eigenen Nichtigkeit erkennt und dem völlig zustimmt, dass das eigene Ich aufzugeben und zu beseitigen sei, damit Gott alles sein kann. Die Seele, die dies getan hat und zu sagen vermag: „Ich habe mich selbst verloren, indem ich dich oh Herr fand, vergleicht sich mit den andern nicht mehr. Sie hat, als in Gottes Gegenwart wandelnd, jeden Gedanken an sich für immer preis gegeben; sie begegnet ihren Mitmenschen als eine, die nichts ist und für sich nichts sucht; sie ist eine Dienerin Gottes und um Seinetwillen eine Dienerin aller. Es kann sein, dass ein treuer Diener weiser ist als sein Herr; aber dennoch bewahrt er die richtige Gesinnung und Stellung, die einem Diener geziemt. Der Demütige erblickt in jedem, auch in den Schwächsten und Unwürdigsten, ein Kind Gottes und erweist ihm als dem Sohne eines Königs, Ehre. Der Geist dessen, der den Jüngern die Füße wusch, macht es uns zur Freude, in der Tat, der Kleinste zu sein und einander zu dienen.
Der Demütige empfindet keinen Argwohn oder Neid. Er kann Gott preisen, wenn andere ihm vorgezogen werden und größeren Segen als er empfangen. Wenn er hört, dass andere gelobt werden, während er selbst übersehen oder zurückgesetzt wird, so kann er dies ertragen, weil er in Gottes Gegenwart lebend mit dem Apostel Paulus sagen gelernt hat: „Ich bin nichts“ (2. Kor. 12,11). Er hat die Gesinnung seines Lebens den Sinn Jesu empfangen, der nicht selbstgefällig war und nicht Seine eigene Ehre suchte.
In der Versuchung zu Ungeduld und Empfindlichkeit, zu lieblosen Gedanken und scharfen Worten, die infolge von Fehltritten und Sünden entstehen, hält sich der Demütige nach der Vorschrift: „Vertragt einer den anderen und vergebet einer dem anderen, gleichwie Gott euch vergeben hat in Christus!“ (Eph. 4,2+32). Er weiß, dass die Worte: „Zieht an den Herrn Jesus Christus!“ Röm. 13,14) so viel heißen wie: „Zieht an herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld!“ (Kol. 3,12). Jesus nimmt bei ihm die Stelle des Ichs ein und deshalb ist es ihm möglich, so zu vergeben, wie Jesus vergab. Seine Demut besteht nicht bloß in Gedanken oder Worten der Selbsterniedrigung, sondern in einem Herzen der Demut, in deren Gefolge sich Erbarmen, Freundliches, Sanftmut und Geduld finden. An der freundlichen und demütigen Leutseligkeit wird das Merkmal des Lammes Gottes erkannt. Die Demut macht den Umgang mit den Mitmenschen erträglich und angenehm. Wahrhaft demütige Menschen haben eine geheimnisvolle Anziehungskraft und erwerben sich unbewusst Liebe, Achtung und Vertrauen aller, die mit ihnen in Berührung kommen.
Beim Streben nach tieferen Erfahrungen im christlichen Leben sind die Gläubigen oft in Gefahr, nach den mehr menschlichen Tugenden z.B. nach Mut, Freudigkeit, Weltverachtung, Eifer, Aufopferung zu trachten und darin sich zu erfreuen, während die tieferen und edleren, die göttlichen und himmlischen Gnaden, die Jesus vom Himmel brachte und zuerst auf Erden lehrte und die mit seinem Kreuz und mit dem Tode des eigenen Ichs besonders verknüpft sind z.B. die geistliche Armut, Sanftmut, Demut, Erniedrigung, kaum beachtet und geschätzt werden. Ziehen wir doch an herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld und beweisen wir unsere Ähnlichkeit mit Christus nicht nur in unserem Eifer, die Verlorenen zu retten, sondern vor allem in unserem Verhalten zu den Brüdern, indem wir einander ertragen und vergeben, wie der Herr uns vergab!
Mitchristen, lasst uns genau das Bild eines Demütigen beachten, dass die Heilige Schrift und vorhält! Fragen wir unsere Brüder und die Welt, ob sie an uns die Ähnlichkeit mit dem Vorbild erkennen! Fassen wir jedes von den erwähnten Worten der Heiligen Schrift als Verheißung dessen, was Gott in uns wirken will, als Enthüllung dessen, was der Geist Jesu uns bei der Wiedergeburt gibt! Jeder Fehler und jedes Versehen soll uns drängen, zu dem sanftmütigen und demütigen Gotteslamm zurück zu kehren, dass Seine Demut und Leutseligkeit da, wo Er im Herzen thront, Ströme lebendigen Wassers sein werden, die sich von Ihm in uns ergießen.
Ich wiederhole nochmals, was ich bereits gesagt. Schmerzlich empfinde ich es, dass wir sehr wenig das verstehen und erfassen, was die Gemeinde infolge des Mangels an dieser göttlichen Demut erleidet. Christen von demütiger und liebevoller Gesinnung sehen es zu ihrem großen Schmerz, wie der Geist der Liebe und Nachsicht leider gar zu häufig fehlt. Wie viele finden es schwer, andere zu vertragen und zu lieben und die Einigkeit des Geistes durch das Band des Friedens zu halten! Solche, die die Freude anderer fördern sollten, werden stattdessen ein Hindernis der Freude und rufen Überdruss hervor. Das alles rührt aber von dem Mangel an Demut her, die sich selbst für nichts achtet und sich freut, gering zu sein und die, wie Jesus, nur darauf bedacht ist, Dienerin, Helferin und Trösterin anderer, selbst der Niedrigsten und Unwürdigsten, zu sein.
Woher kommt es, dass die, die sich Christus freudig übergeben haben, es so schwer finden, sich ihren Brüdern hinzugeben? Ist die Gemeinde nicht mit schuld daran? Sie hat vielfach ihre Söhne und Töchter zu wenig belehrt, dass die Demut Christi die erste unter den Tugenden, die vorzüglichste von allen Gnaden und Kräften des Geistes ist.
Doch werden wir nicht mutlos! Je fühlbarer der Mangel an dieser Gnade ist, desto Größeres sollen wir von Gott erwarten und desto mehr uns dazu angetrieben fühlen. Erblicken wir in jedem Bruder, der uns versucht und plagt, ein von Gott gegebenes Mittel, der Gnade der Demut teilhaftig zu werden, gleichsam eine von Gott gesandte Gelegenheit zu unserer Reinigung und zur Übung in der Demut, die Jesus, unser Leben, uns eingeben will!
Haben wir stets einen starken Glauben, dass Gott alles und das Ich nichts ist, auf dass wir, die wir in unseren Augen nichts sind, nur in Gottes Kraft einander in Liebe zu dienen suchen!
Demut und Heiligkeit
„Bleibe daheim und rühre mich nicht an, denn ich bin heilig.“
Jes. 65,5
Die beste Probe für die Echtheit der Heiligung ist das Wachsen in der Demut. Die Demut lässt allein Gottes Heiligkeit in der Kreatur wohnen und durch sie hindurch leuchten. Bei Jesus, der uns heilig macht, ist die göttliche Demut das Geheimnis Seines Lebens, Seines Todes und Seiner Erhöhung; der einzig untrügliche Beweis unserer Heiligkeit wird die Demut vor Gott und Menschen sein. Demut ist die Blüte und Schönheit der Heiligung.
Das Hauptkennzeichen unechter Heiligkeit ist ihr Mangel an Demut. Jeder, der der Heiligung nachjagt, muss auf der Hut sein, damit nicht das, was im Geist begonnen wurde, unbewusst im Fleisch vollendet werde und damit nicht der Hochmut dahin schleiche, wo seine Anwesenheit am wenigsten erwartet wird. Es gingen zwei Menschen in den Tempel hinauf zu beten: der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Es gibt keine Stelle und keine Stellung, mögen sie noch so heilig sein, wohin der Pharisäer nicht kommen kann. Der Hochmut kann sogar sein Haupt in Gottes Tempel erheben und den heiligen Ort zum Schauplatz seiner Selbstüberhebung machen. Seitdem Christus den Hochmut des Pharisäers bloß gestellt hat, nahm der Pharisäer die Haltung des Zöllners an und es muss der Bekenner tiefer Sündhaftigkeit ebenso auf der Hut sein wie der, der sich im Stande hoher Heiligung befindet. Gerade wenn wir darauf bedacht sind, dass unser Herz Gottes Tempel werde, können wir zwei Menschen finden, die zum Gebet kommen. Der Zöllner wird gewahren, dass die Gefahr nicht von dem Pharisäer außer ihm droht, der ihn verachtet, sondern von dem in ihm, der sich rühmt und erhöht. Bewahren wir uns in Gottes Tempel, wenn wir meinen, wir gehörten zu den Heiligsten von allem, in der Gegenwart von Gottes Heiligkeit vor dem Hochmut!
„Es begab sich aber auf einen Tag, da die Kinder Gottes kamen und vor den Herrn traten, kam der Satan auch unter ihnen“ (Hiob 1,6).
„Ich danke dir Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute oder auch wie dieser Zöllner“ (Luk. 18,11). In der Ursache der Danksagung, in der Danksagung selbst, die wir Gott darbringen, ja in dem Bekenntnis, dass Gott dies alles getan habe, findet das Ich Gründe zur Selbstgefälligkeit. Ja, sogar wenn im Tempel die Sprache der Busse und des Vertrauens auf Gottes Gnade allein vernommen wird, kann der Pharisäer den Selbstruhm durchklingen und beim Danken Gott als einen erscheinen lassen, der ihn beglückwünscht. Hochmut kann sich in die Gewänder des Preisens oder der Busse kleiden. Werden auch die Worte „ich bin nicht wie die anderen Leute“ verworfen und zurück gewiesen, so kann doch häufig ihr Sinn in unseren Gefühlen und in unserer Sprache gegen unsere Mitanbeter und Mitmenschen gefunden werden. Willst du wissen, ob dem so sei, so schaue nur auf die Art und Weise, in der Christen voneinander reden! Wie wenig von Jesu Sanftmut und Leutseligkeit ist oft darin zu finden!
Gibt es nicht manche Gemeinden oder Gemeinschaften von Missionsgesellschaften, manche Missionsgesellschaften und Missionskreise, bei denen die Eintracht zerstört und durch die Gottes Werk gehindert worden ist, weil die, welche für Heilige gehalten wurden, so wenig von der Sanftmut der Heiligen verspüren ließen, vielmehr Selbstverteidigung und Selbstbehauptung, unfreundliche Worte und scharfes Urteilen, Empfindlichkeit und Reizbarkeit, Ungeduld und Übereilung bewiesen? In der Geschichte des geistlichen Lebens können manche Kinder Gottes Zeiten großer Demütigungen und Zerknirschung gehabt haben. Aber wie verschieden ist diese Demütigung und Zerknirschung von dem Bekleidetwerden mit der Demut, von dem Besitz eines demütigen Geistes und jener selbstverleugnenden Gesinnung, durch die wir uns als Diener anderer betrachten und die Gesinnung Jesu Christi zeigen!
„Bleibe daheim; denn ich bin für dich heilig“ (oder, wie es im engl. heißt: „…ich bin heiliger als du“). Welch eine Verspottung der Heiligkeit liegt hierin! Jesus, der Heilige, Eine: Der Heiligste, wird immer der Demütigste sein. Niemand ist heilig außer Gott und wir haben so viel Heiligkeit, wie wir Gott haben und das Maß von wirklicher Demut bei uns wird dem entsprechen, was von Gott sich in unseren Herzen findet. Der Besitz der Demut, ist an den Besitz Gottes geknüpft, weil ja die Demut nichts anderes ist, als die Beseitigung des Ichs, die Ausrottung der Ichhaftigkeit, damit Gott Raum erhält, alles zu sein und seine Kraft zu beweisen. Der Heiligste wird der Demütigste sein.
Ist denn eine solche Demut möglich, durch die man sich für noch weniger als für den Geringsten der Heiligen hält und durch die man zum Diener aller wird? „Die Liebe prahlt nicht…sie sucht nicht das Ihre“ (1. Kor. 13, 4-5). Wo der Geist der Liebe in das Herz ausgegossen worden ist, wo die göttliche Natur zum völligen Durchbruch kommt, wo Christus, das sanftmütige Gotteslamm, wahrhaft Gestalt gewinnt, da findet sich die Kraft völliger Liebe, die sich selbst vergisst und ihre Freude und Seligkeit darin sieht, andere zu beglücken, sie zu ertragen und sie zu ehren. Wo eine solche Liebe eintritt, da tritt Gott ein. Und wo Gott in Seiner Macht eingetreten ist und sich als alles offenbart, da wird das Geschöpf nichts. Wo aber das Geschöpf nichts wird, da kann es nur demütig gegen die Mitgeschöpfe sein. Gottes Gegenwart wechselt nicht mit den Zeiten, sie ist vielmehr wie eine Hülle, unter der die Seele beständig wohnt und die tiefe Erniedrigung der Seele vor Gott wird der heilige Ort Seiner Gegenwart, aus der alle Worte und Werke hervorgehen.
Gott lehre uns, dass unsere Gedanken, Worte und Gefühle unseren Mitmenschen gegenüber Proben unserer Demut vor ihm die einzige Kraft ist, die uns zur Demut gegen die Mitmenschen befähigen kann! Unsere Demut muss das Leben Christi, des Lammes Gottes in uns sein.
Mögen alle, die die Heiligung lehren, wie die, welche sie suchen, sich warnen lassen! Kein Hochmut ist so gefährlich, weil keiner so fein und hinterlistig, wie der Hochmut der Heiligkeit. Es kann ganz unbewusst eine versteckte Gewohnheit in der Seele aufkommen, der zu Folge man sich in seinen Vorzügen selbstgefällig spiegelt. Jeder Hochmut kann nicht immer an einer besonderen Selbstbehauptung oder an einem Selbstlob, sondern einfach an der Abwesenheit jener tiefen Selbsterniedrigung erkannt werden, die doch allein als das Merkmal einer Seele gilt, die Gottes Herrlichkeit geschaut hat (Hiob 42, 5-6 / Jes. 6,5).
Ein solcher Hochmut offenbart sich nicht nur in Worten oder Gedanken, sondern auch in einem Ton, in welcher Art und Weise von anderen zu reden, woran die, welche die Gabe geistlicher Beurteilung besitzen, nur die Macht des Ichs erkennen. Gerade die Welt bemerkt den Hochmut mit ihren scharfen Augen und findet in ihm den Beweis dafür, dass das bloße Bekennen eines himmlischen Lebens nicht schon himmlische Früchte bringt.
Brüder hüten wir uns! Lassen wir uns bei jedem Fortschritt in der Heiligung das Wachsen in der Demut nicht eifrig angelegen sein, so können wir uns zwar an schönen Gedanken und Gefühlen, an feierlichen Handlungen des Glaubens und der Weihe erfreuen, aber das einzige, sichere Kennzeichen der Gegenwart Gottes, das Verschwinden des Ichs, wird fehlen.
Kommt und lasst uns zu Jesus, unseren Alles, eilen und in Ihm uns verbergen, damit wir mit Seiner Demut bekleidet werden!
Diese allein ist unsere Heiligung.
Jesus, sanftmütig und demütig von Herzen, gestalte mein Herz nach Deinem Herzen!
Die Demut und die Sünde
„Das ist gewisslich wahr und ein teuer wertes Wort, dass Christus Jesus gekommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen, unter welchem ich der Schlimmste bin.“
1. Tim. 1,15
Die Demut ist oft der Busse und Zerknirschung gleichgesetzt worden. Die Folge davon war, dass man die Demut nur hegen und pflegen zu können meinte, wenn die Seele sich mit ihren Sünden befasst. Wir sahen aber, aus dem Bisherigen, wie ich denke, dass Demut noch etwas anderes und mehr ist. Aus der Lehre unseres Herrn Jesu und aus den apostolischen Briefen geht hervor, dass diese Tugend sehr häufig ohne irgendwelche Beziehung zur Sünde eingeschärft wird. In der Stellung des Geschöpfes zu seinem Schöpfer, in Jesu Leben, das Er auf Erden lebte und uns mitteilt, ist die Demut das wahre Wesen der Heiligkeit und Seligkeit: Sie ist die Entthronung des Ichs durch die Aufrichtung der Herrschaft Gottes in uns. Wo Gott alles ist, ist das Ich nichts.
Obwohl nun dies der Wahrheit entspricht, so erscheint es mir doch notwendig zu sein, noch kurz hervorzuheben, was den eigentlich die Demut durch die Tiefe und Größe der menschlichen Sünde sowie der göttlichen Gnade empfängt. Wir brauchen nur auf einen Mann wie den Apostel Paulus zu blicken, um zu sehen, wie bei ihm, einem erlösten und heiligen Mann das tiefe Bewusstsein ein Sünder gewesen sein, unauslöschlich lebt. Wir alle kennen jene Stellen, in denen er von sich als einen Verfolger und Lästerer redet. „Ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, darum dass ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. (1. Kor. 15,9-10).
Gottes Gnade hat ihn errettet; Gott gedenkt seiner Sünden nie mehr; aber nie, nie konnte es Paulus vergessen, wie schrecklich er gesündigt hatte. Je mehr er sich über das Heil Gottes freute, je mehr seine Erfahrung der göttlichen Gnade ihn mit unaussprechlicher Freude erfüllte, desto lebendiger war in ihm das Bewusstsein, dass er ein geretteter Sünder ist und das die Erlösung nur dadurch Bedeutung für ihn hat, weil das Gefühl, ein Sünder zu sein sie ihm so wertvoll macht und sie ihn ergreifen lässt. Nie konnte er es nur einen Augenblick vergessen, dass er ein Sünder war, den Gott auf Seine Arme genommen und mit Seiner Liebe gekrönt hatte.
Auf Grund der eben erwähnten Stellen hat man oft gesagt Paulus bekenne darin, dass er täglich sündige. Wer aber jene Wort sorgfältig in ihrem Zusammenhang liest, wird sehen, wie wenig dies der Fall ist. Jene Worte haben vielmehr einen weit tieferen Sinn; sie beziehen sich auf etwas, was die Ewigkeit hindurch dauert und was der Demut derer, die sich, von ihren Sünden mit dem Blute des Lammes gewaschen, als die Erlösten vor Gottes thron beugen, den tiefen Grundton der Bewunderung und Anbetung verleiht.
Nie, nie, auch in der Herrlichkeit können sie etwas anderes sein, als erlöste Sünder; nie kann auch nur einen Augenblick in diesem Leben ein Kind Gottes in dem völligen Licht seiner Liebe leben, ohne es zu empfinden, dass die Sünde, aus der es errettet worden ist, sein einziges Recht und sein Anspruch auf alle Verheißungen Gnaden sei. Die Demut, durch die der Christ sich als Sünder fühlte, erlangt einen neuen Sinn, wenn er lernt, wie sie ihm als Geschöpf geziemt. Und die Demut, die ihm als Geschöpf zukommt, hat wieder ihre tiefsten und vollen Töne der Anbetung in der Erinnerung daran, was es heißt, ein Denkmal von Gottes wunderbaren, erlösenden Liebe zu sein.
Die wahre Bedeutung dessen, was jene Worte des heiligen Paulus zu lehren, kommt noch völliger zum Vorschein, wenn wir die beachtenswerte Tatsache sehen, dass wir von seiner Feder in seinem ganzen Christenlauf, auch in den Briefen, in denen wir eingehende persönliche Mitteilungen erhalten, nichts von einem Sündenbekenntnis finden.
Es gibt nicht wenige Stellen, in denen er sich auf sein heiliges, gerechtes und unsträfliches Leben vor Gott und Menschen beruft: „Ihr seid Zeugen und Gott, wie heilig und gerecht und unsträflich wir gegen euch die Glaubenden waren.“ (1. Thess. 2,10).
Damit wird nicht etwa ein Ideal oder ein Streben bezeichnet; diese Stellen enthalten vielmehr eine Berufung auf das, was sein Wandel wirklich gewesen ist. Wie wir nun auch über das Fehlen eines Bekenntnisses von Sünden denken mögen, das müssen wir alle zugeben, dass in jenen Stellen auf ein Leben in der Kraft des Heiligen Geistes Bezug genommen ist, wie es in unseren Tagen nur selten verwirklicht und erwartet wird.
Was ich hier nun besonders betonen möchte, ist dies: Die Tatsache, dass ein Bekenntnis der Sünde fehlt, verleiht jener Wahrheit nur um so stärkeren Nachdruck, der zufolge das Geheimnis tiefer Demut nicht im täglichen Sündigen, sondern in der beständigen, lebendigen und treuen Erinnerung an die reichlich erfahrene Gnade zu suchen ist. Dann nur wird unser Platz, als Platz des Segens, unsere bleibende Stellung vor Gott unter denen sein, die mit höchster Freude bekennen, durch die Gnade gerettete Sünder zu sein.
Immer war mit des Apostels lebendiger Erinnerung, in der Vergangenheit, ehe die Gnaden ihn ergriffen, so schwer gesündigt zu haben und mit dem Bewusstsein, in der Gegenwart vom Sündigen abgehalten zu sein, das beständige Gedenken an die finstere, verborgene Gewalt der Sünde verbunden, die immer einzuschleichen bereit ist und nur durch die Kraft und Gegenwart des innewohnenden Christus ausgeschlossen wird. „In mir, das ist in meinem Fleische, wohnt nicht Gutes“ (Röm. 7,18), diese Worte beschreiben das Wesen des Fleisches, während Römer 8 die herrliche Befreiung schildert. „Das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus hat mich frei gemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes“; diese Worte bezeichnen weder die Vernichtung noch die Heiligung des Fleisches, vielmehr ist damit ein fortwährender Sieg durch den Geist gemeint, der die Geschäfte des Leibes tötet. Der durch den Geist einwohnende Christus ist Gesundheit, Licht und Leben der Seele. Als Gesundheit vertreibt er die Krankheit, als Licht vertilgt er die Finsternis, als das Leben überwindet er den Tod. Die Überzeugung von der Gefahr und Hilflosigkeit verbindet den Glauben an die augenblickliche und ungebrochene Wirkung des Heiligen Geistes mit jener gebeugten Empfindung der Abhängigkeit, die den stärksten Glauben und die größte Freude zu Begleitern der Demut macht, die allein von Gottes Gnade lebt.
Die angeführten Stellen zeigen vor allem, was der Apostel empfing von der wunderbaren Gnade, deren Notwendigkeit er jeden Augenblick in tiefer Demut fühlte. Gottes Gnade war mit ihm und befähigte ihn, mehr zu arbeiten als alle. Jene Gnade nämlich, den Heiden den unausforschlichen Reichtum im Glauben und in der Liebe, die in Christo Jesu sind, erwies, jede Gnade, deren Wesen und Ruhm für Sünder darin besteht, dass sie das Bewusstsein, ehedem gesündigt zu haben und der Sünde ausgesetzt zu sein, in so hohem Grade lebendig erhält. „Wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist die Gnade noch viel mächtiger geworden“ (Röm. 5, 20). In diesen Worten wird gesagt, dass das wahre Wesen der Gnade darin sich zeigt, dass sie die Sünde wegnimmt und der Sünde begegnet und das die reichliche Erfahrung der Gnade mit dem lebendigen Bewusstsein, ein Sünder zu sein, Hand in Hand gehen muss. Nicht die Sünde, sondern Gottes Gnade ist es, die einem Menschen zeigt und ihn stets daran erinnert, was für ein Sünder er war, damit er wahrhaftig demütig bleibe. Nicht die Sünde sondern die Gnade ist es, die mich lehrt, mich wirklich als Sünder zu erkennen und stets des Sünders Stellung als die der tiefsten Selbsterniedrigung einzunehmen.
Ich fürchte, dass manche durch strenge Ausdrücke der Selbstverwerfung und Selbstanklage sich zu demütigen versuchten uns mit Betrübnis bekennen müssen, dass davon so fern wie immer nur möglich ein demütiger Geist, ein Herz der Demut ist, die von Freundlichkeit und Erbarmen, von Sanftmut und Geduld begleitet wird. Dadurch dass wir uns auch in der größten Selbstverwerfung mit dem Ich beschäftigen, können wir nie von dem Ich befreit werden. Die Offenbarung Gottes vielmehr, wie sie sich nicht nur in dem die Sünde verdammenden Gesetz, sondern vor allem in seiner von der Sünde befreienden Gnade erweist, sie will uns demütig machen. Das Gesetz kann durch die Furcht das Herz brechen; aber nur die Gnade wirkt liebliche Demut, welche die Seele als ihre zweite Natur erfreut. Die Offenbarung Gottes in Seiner Heiligkeit war es, die als er sich nahte, um in Seiner Gnade sich erkennen zu geben, die tiefe Beugung Abrahams, Jakobs, Hiobs und Jesajas bewirkte. In der Seele wird Gott der Schöpfer als das Alles in des Sünders Sündhaftigkeit zuversichtlich erwartet und verehrt. Die Seele wird mit Seiner Gegenwart sich so erfüllt sehen, das es keinem Platz mehr für das Ich geben wird. So allein kann jede Verheißung (Jes. 2.17) in Erfüllung gehen: „…dass sich bücken muss alle Höhe der Menschen und sich demütigen müssen, die hohe Männer sind und der Herr allein hoch sei zu der Zeit.“
Nur der Sünder, der in dem vollem Lichte von Gottes heiliger, erlösender Liebe wohnt und die durch Christus und den Heiligen Geist einwohnende göttliche Liebe völlig erfährt, kann demütig sein. Nicht dadurch, dass du dich mit deiner Sünde beschäftigst, sondern dadurch, dass du dich mit Gott (und seinen Zusagen) befasst wirst du Befreiung vom Ich erlangen.
Die Demut und der Glaube
„Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander nehmt? Aber die Ehre, die von dem alleinigen Gott ist, sucht ihr nicht.“
Joh. 5,44
Einen Prediger hörte ich einmal in seiner Rede sagen: die Segnungen des höheren christlichen Lebens würden oft wie Gegenstände im Schaufenster eines Ladens ausgestellt; man könne diese deutlich sehen und doch würde nicht jeder danach greifen. Wollte jemand sagen man solle nur die Hand ausstrecken und nehmen, so bekäme er von Manchen die Antwort: ich kann nicht; zwischen ihnen und mir ist eine dicke Glasscheibe. Ebenso können Christen die gesegneten Verheißungen von vollkommenen Frieden, von überströmender Liebe und Freude, von beständiger Gemeinschaft und Freundlichkeit deutlich sehen und doch fühlen sie, etwas ist zwischen diesen und uns, etwas hindert den wirklichen Besitz. Und was kann dies sein? Nichts anderes als der Hochmut. Die Verheißungen bewirken Zuversicht und Gewissheit im Glauben; die Einladungen und Ermunterungen sind so kräftig; die mächtige Hand Gottes, auf die man sich verlassen darf, ist so nahe und bereitwillig, dass nur bei uns sich etwas finden kann, was den Glauben hemmt und uns am Besitz der Segnungen hindert.
In jenen Worten (Joh. 5,44) macht uns Jesus offenbar, dass es in der Tat der Hochmut ist, der den Glauben unmöglich macht. „Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander nehmt?“ Wie Hochmut und Glaube in ihrer wahren Natur unversöhnliche Gegensätze sind, so stammen Glaube und Demut aus ein und derselben Wurzel. Wir besitzen jederzeit so viel wahren Glauben; wie uns echte Demut eigen ist. Wir können eine verstandesmäßige Überzeugung und Gewissheit der Wahrheit besitzen, während der Hochmut im Herzen sitzt und den lebendigen Glauben unmöglich macht.
Erwägen wir nur einen Augenblick, was der Glaube ist! Ist er nicht das Bekenntnis der Nichtigkeit und Hilflosigkeit, die Übergabe an Gott und das Warten auf Gottes Wirken? Ist er nicht durch und durch Demut, nehmen wir ihm nicht die Stellung völliger Abhängigkeit ein, da wir nichts anderes beanspruchen oder erhalten oder tun, als was die Gnade erlaubt?
Demut ist einfach die Fähigkeit und Zubereitung der Seele zum Glaubensleben. Selbst die geheimsten Regungen des Hochmuts in der Selbstsucht, im Selbstvertrauen oder in der Selbsterhöhung sind Kraftäußerungen des Ichs, das weder in das Himmelreich kommen noch die Güter des Reiches Gottes besitzen kann, weil es sich weigert, Gott zuzustehen, das zu sein, was Er ist und sein muss, nämlich alles in allem.
Glaube ist das Mittel oder der Sinn, wodurch man die himmlische Welt und ihre Segnungen wahrnimmt und ergreift. Der Glaube sucht die Ehre, die von Gott kommt, aber nur dahin kommt, wo Gott alles ist. Solange wir Ehre voneinander nehmen und den Ruhm dieses Lebens, die Ehre und Achtung, die von Menschen kommt, suchen, lieben und eifersüchtig bewachen, suchen wir nicht und erlangen wir in Folge dessen nicht die Ehre, die von Gott kommt. Hochmut macht den Glauben unmöglich. Die Erlösung kommt durch das Kreuz und durch den gekreuzigten Jesus. Die Erlösung besteht in der Vereinigung mit dem gekreuzigten Christus in der Gesinnung Seines Kreuzes. Das Heil ist die Gemeinschaft mit, die Wonne in, das Teilhaben an Jesu Demut. Ist es ein Wunder, dass unser Glaube so schwach ist, da der Hochmut noch so viel regiert und wir kaum gelernt haben, nach der Demut, als dem notwendigsten und gesegnetsten Teil der Erlösung zu verlangen und darum bitten?
Demut und Glaube sind in der Heiligen Schrift näher verbunden, als manche wissen. Hat nicht der Hauptmann von dessen Glauben Jesus sagt: „Solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden“, gesprochen: „Herr ich bin nicht wert, dass du in mein Haus kommst“ (Matth. 8,8)? Nahm nicht jene Mutter, zu der Jesus spricht: „Oh Frau, dein Glaube ist groß“, den Namen „Hund“ an (Matth. 15,26), indem sie erwiderte: „Ja Herr und doch essen die Hunde die Brotsamen die von ihres Herrn Tische fallen“?
Die Demut ist es, die eine Seele zum Nichts-sein vor Gott bringt, die jedes Hindernis des Glaubens entfernt und die Seele nur fürchten lässt, sie könnte etwa Gott dadurch entehren, dass sie ihm nicht völlig vertraut.
Brüder, haben wir hier nicht die Ursache, weshalb es am Trachten nach der Heiligung fehlt, weshalb unser Glaube so oberflächlich und von kurzer Dauer ist? Wir wussten nichts und hatten keinen Begriff davon, was das Ich und der sich stets geltend machende Egoismus des Hochmuts noch verborgener Weise in uns wirkte und wie Gott allein durch Seine einwohnende und mächtige Kraft jenen Hochmut vertreiben konnte. Wir verstanden nicht, wie nur die neue und göttliche Natur, indem sie den Platz unseres alten Ichs einnimmt, uns wirklich demütig zu machen vermag. Wir wussten nicht, dass unbeschränkte, unaufhörliche und völlige Demut die Grundverfassung jedes Gebetes und jedes Nahens zu Gott sowie jeder Beziehung zu den Mitmenschen sein muss. Wie wir ohne Augen nicht sehen, ohne Atem nicht leben können, ebenso wenig vermögen wir ohne alles durchdringende Demut des Herzens zu glauben und Gott zu nahen oder in Seiner Liebe zu wohnen.
Brüder befanden wir uns nicht in dem Irrtum, als wir zu glauben uns so sehr bemühten, während doch das alte Ich in seinem Hochmut nur sich selbst in dem Segen und Reichtum Gottes suchte? Kein Wunder, dass wir nicht glauben konnten! Lasst uns unseren Lauf ändern! Suchen wir uns vor allem unter Gottes gewaltige Hand zu demütigen: Er wir uns erhöhen.
Das Kreuz, der Tod und das Grab, darin sich Jesus erniedrigte, waren sein Weg zur Herrlichkeit Gottes. Und sie sind auch unser Weg. Begehren wir im ernstlichen Gebet nur das eine, mit Ihm und so wie Er, erniedrigt zu werden. Nehmen wir freudig an, was immer uns vor Gott und Menschen demütigen kann. Dies allein ist der Weg zur Ehre bei Gott.
Vielleicht liegt dir eine Frage nahe. Ich habe von solchen geredet, die zwar gesegnete Erfahrungen haben oder anderen Segen vermittelten, die aber der Demut bedürfen. Du fragst, ob diese nicht wahren und starken Glauben haben, obgleich sie deutlich zeigen, dass sie die Ehre bei Menschen noch zu sehr suchen. Die Hauptantwort ist jedoch diese: Sie haben allerdings ein Maß an Glauben und diesem entspricht der Segen, den sie durch ihre empfangenen Gaben anderen bringen. Doch durch den Mangel an Demut wird ihr Dienst an den Anderen eingeschränkt. Der Segen ist oft oberflächlich und vorübergehend, weil sie eben nicht das Nichts sind, das Gott dem Herrn den Weg, alles zu sein eröffnet.
Eine tiefere Demut würde ohne Zweifel einen tieferen und volleren Segen bringen. Wirkte der Heilige Geist in ihnen nicht nur als Geist der Kraft, sondern wohnte er in ihnen in der Fülle seiner Gnaden, besonders der Demut, so würde er durch sie sich anderen zu einem Leben der Kraft, Heiligkeit und Beharrlichkeit mitteilen, wie es jetzt nur wenig zu finden ist.
„Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander nehmt.?“ Bruder, nur das Trachten nach Ehre und dem Ruhm, die von Gott kommen, vermag dich von dem Verlangen nach der Ehre bei Menschen oder von Empfindlichkeit, Schmerz und Kummer, die durch Ablehnung und Zurücksetzung entstehen, zu heilen. Der Ruhm des allein ruhmreichen Gottes sei dir alles! Du wirst von dem Ruhm des Ichs und von der Ehre bei Menschen befreit und damit zufrieden und dessen froh werden, nichts zu sein.
Durch diese Nichtigkeit wirst du im Glauben erstarken, indem du Gott die Ehre gibst und du wirst es erfahren, dass Er umso näher ist, jedes Verlangen deines Glaubens zu stillen, je tiefer du dich in Demut vor Ihm beugst.
Die Demut und der Tod des Ichs
„Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode.“
Phil. 2,8
Demut ist der Weg zum Tode, weil sie im Tode den größten Beweis ihrer Vollkommenheit gibt. Die Demut ist die Blüte, deren völlige Frucht der Tod des Ichs ist. Jesus erniedrigte sich selbst bis zum Tode und eröffnete den Weg, auf dem wir auch wandeln müssen. Es gab keinen anderen Weg für Ihn, um Seine Hingabe an den Vaters aufs Beste zu beweisen und unsere menschliche Natur zu der Herrlichkeit des Vaters zu erheben, als durch den Tod hindurch.
Auch uns muss die Demut zum Tode des Ichs führen: so beweisen wir, wie wir uns ganz an sie und an Gott hingegeben haben; so allein werden wir von der gefallenen Natur befreit und finden den Weg, der uns zu dem Leben in Gott, zu der völligen Geburt der neuen Natur führt, deren Atem und Freude die Demut ist.
Wir sprechen davon, was Jesus an Seinen Jüngern, als er ihnen Sein Auferstehungsleben mitteilte und als Er, die erhöhte und verherrlichte Sanftmut, im Heiligen Geiste in ihnen zu wohnen kam. Sein Leben, Seine Person, Seine Gegenwart tragen die Todeszeichen. Auch das Leben in Seinen Jüngern trägt immer die Todeszeichen, jedoch nur, wenn die Gesinnung des Todes in der Seele wohnt und wirkt, so dass die Kraft des Lebens erkannt werden kann.
Das erste und vorzüglichste Zeichen des Sterbens des Herrn Jesus ist die Demut. Denn diese allein führt zum völligen Tode und nur der Tod vollendet die Demut. Demut und Tod sind in ihrem wahren Wesen eins. Die Demut ist die Knospe, im Tod kommt die Frucht zur vollkommenen Reife.
Demut führt zum völligen Tode. Demut bedeutet das Preisgeben des Ichs und das Einnehmen der Stellung der vollkommenen Nichtigkeit vor Gott. Jesus erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode. Im Tode gab er den stärksten Beweis dafür, dass Er Seinen Willen an des Vaters Willen hingegeben hatte. Im Tode gab Er sich auf, um den Kelch zu trinken; Er gab hin das Leben, das Er in der Vereinigung mit unserer Natur besaß und trat in das verherrlichte Gottesleben ein.
Dies gibt uns die Antwort auf die Frage, die so oft aufgeworfen und so selten klar erfasst wird: Wie kann ich dem eigenen ich absterben? Der Tod des Ichs ist nicht euer, sondern Gottes Werk. In Christo seid ihr der Sünde abgestorben. Das innere Leben muss sich in euch durch den Tod und Auferstehung entwickeln; ihr könnte dann sicher sein, dass ihr wirklich für die Sünde tot seid. Aber die völlige Beweisung und Bewährung der Kraft dieses Todes in eurer Gesinnung und in eurem Wandel hängt davon ab, in welchem Maß der Heilige Geist auch die Kraft des Todes Christi mitteilt. Und gerade hier ist die Lehre so nötig: Wollt ihr in die volle Nachfolge Jesu hinsichtlich Seines Todes eintreten und die völlige Befreiung vom Ich kennen lernen, so demütigt euch selbst! Dies ist eure einzige Pflicht. Stellt euch Gott in eurer gänzlichen Hilflosigkeit dar; stimmt der Tatsache, dass ihr nicht im Stande seid, euch selbst zu töten oder lebendig zu machen. Versenkt euch in eure eigene Nichtigkeit, in der Gesinnung sanftmütiger, geduldiger und vertrauensvoller Übergabe an Gott! Nehmt jede Demütigung an; erblickt in jedem Mitmenschen, der euch auf die Probe stellt oder plagt, ein Werkzeug der Gnade, um euch zu demütigen!
Benützt jede Gelegenheit zur Demütigung vor euren Mitmenschen als ein Hilfsmittel dazu, vor Gott in der Demut zu verharren! Gott wird solche Demütigung euer selbst als Beweis dafür annehmen, dass euer ganzes Herz die Demut begehrt und als eure Vorbereitung zu dem mächtigen Werk Seiner Gnade ansehen, wenn Er durch die Kraft Seines Heiligen Geistes Jesu Fülle in euch offenbart, so dass Er in Seiner Knechtsgestalt treulich bei euch zum Vorschein kommt und in euren Herzen wohnt. Der Weg der Demut führt zum völligen Tod, zu der vollkommenen Erfahrung, dass wir in Christo der Sünde gestorben sind.
Wiederum führt nur dieser Tod zur vollkommenen Demut. Hütet euch vor dem Irrtum jener, die sich zur Demut zwingen müssen, und die etwa zu demütig zu sein befürchten! Sie haben so manche Einschränkungen und Begrenzungen, so manche Erwägungen und Überlegungen, wie z.B. was wahre Demut sei und tue, so dass sie niemals rückhaltlos sich ihr hingeben.
Bewahrt euch davor! Demütigt euch selbst bis zum Tode! Gerade im Tode des Ichs wird die Demut vollendet. Seid dessen gewiss, dass alle Erfahrung größerer Gnade, aller Fortschritt im Heranwachsen zur Gleichförmigkeit mit Jesus in dem Absterben der Selbstsucht wurzeln muss, die sich vor Gott und Menschen in unserer Gesinnung und Lebensweise zeigt! Es ist leider möglich, vom Todesleben und vom Wandeln im Geist zu sprechen, während doch besorgte Liebe sehen kann, wie sehr sich in so manchen von denen, die so reden, der Egoismus des Hochmuts, des Besitzes und des Genusses geltend zu machen sucht. Der Tod des Ichs hat kein gewisseres Kennzeichen als die Demut, die von sich selbst nichts weiß, die sich selbst entäußert 1) und Knechtsgestalt annahm.
Es ist möglich viel und aufrichtig von der Gemeinschaft mit dem verachteten und verschmähten Jesus sowie von den Tagen Seines Kreuzes zu reden, während die sanftmütige, demütige, und freundliche Demut des Gotteslammes nicht gesehen, ja kaum begehrt wird.
Das Lamm Gottes erinnert an beides: sowohl an die Sanftmut als auch an den Tod. Lasst uns danach streben, Jesus, das Gotteslamm, sowohl in der Gestalt der Sanftmut als auch an den Todes zu empfangen! In ihm sind diese beiden Gestalten unzertrennlich; sie müssen es auch in uns sein.
Welch eine hoffnungslose Mühe wäre es, wenn wir das Werk zu tun hätten! Die Natur kann nur mit Hilfe der Gnade die Natur überwinden. Das Ich kann niemals das Ich austreiben.
Preist Gott! Das Werk ist für immer getan, beendigt und vollendet worden. Der Tod Jesu ist ein für alle Mal der Tod unseres Ichs. Die Himmelfahrt Jesu, Sein Eingang in das Allerheiligste hat uns den Heiligen Geist gegeben, um uns die Kraft des Todeslebens als unser wirkliches Eigentum mitzuteilen. Folgt die Seele in dem Streben nach der Demut und in ihrer Ausübung Jesu Fußtapfen nach, so wird ihr Bewusstsein der eigenen Mangelhaftigkeit und Unzulänglichkeit mehr und mehr erweckt, ihre Sehnsucht und Hoffnung belebt, ihr Glaube gestärkt und sie lernt zu erblicken, begehren und empfangen jene wahre Fülle des Geistes Jesu, der durch den Tod des Herrn die Macht des Ichs und der Sünde täglich sterben lässt und die Demut zu der alles durchdringenden Gesinnung des Lebens macht.
„Wisst ihr nicht, dass alle, die wir in Jesus Christus getauft sind, die sind in Seinen Tod getauft? Haltet euch dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid und lebt Gott in Christus Jesus! Ergebt euch selbst Gott, als die da aus den Toten lebendig sind!“ (Röm. 6,3;11;13).
Das ganze Selbstbewusstsein des Christen muss von der Gesinnung, die Jesu Tod beseelt durchdrungen und charakterisiert sein. Der Christ hat sich immer an Gott hinzugeben als einer, der in Christus gestorben und in Christus aus dem Tode lebendig geworden ist, indem er das Sterben des Herrn Jesus an seinem Leibe trägt. Sein Leben wird durch dieses doppelte Merkmal bezeichnet: es wurzelt in wahrer Demut tief in Jesu Grab, im Tode der Sünde und des Ichs, es richtet sich in der Auferstehungskraft zum Himmel empor, wo Jesus ist.
Gläubiger, begehre im Glauben Jesu Tod und Leben als deinen Tod und dein Leben! Tritt ein in Sein Grab, in die Ruhe vom Ich und dessen Werken, In Gottes Ruhe! Mit Christo, der Seinen Geist in des Vaters Hände befahl, erniedrige dich selbst und begib dich täglich in die völlige, hilflose Abhängigkeit von Gott! Gott wird dich erheben und erhöhen. Sinke jeden Morgen in tiefer Nichtigkeit in Jesu Tod, so wird täglich Jesu Leben in dir sich offenbaren.
Lass eine willige, liebende, ruhige glückliche Demut das Zeichen dafür sein, dass du dein Erstgeburtsrecht, die Taufe in Jesu Tod in Anspruch genommen hast!
„Mit einem Opfer har er für immer vollendet, die geheiligt werden“ (Hebr. 10, 14). Die Seelen, die in Seine Erniedrigung eintreten, finden in Ihm die Kraft, sich selbst in Hinsicht auf Sünde und Ich für gestorben zu halten und lernen, als die, welche Ihn aufgenommen haben, mit aller Demut und Sanftmut, einander in Liebe ertragend, zu wandeln.
Die Demut und die Freude
„Ich will mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich guten Muts in Schwachheit2). Denn wenn ich schwach bin, bin ich stark.“
2. Kor. 12,9-10
Damit der Apostel Paulus sich nicht wegen der Überschwänglichkeit der Offenbarung überhebe, wurde ihm ein Dorn ins Fleisch (2. Kor. 12,7) gegeben. Des Apostels inniger Wunsch war, dass dieser Dorn entfernt werden möge und er flehte dreimal zu dem Herrn um Erfüllung seines Wunsches. Aber der Herr sprach: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2. Kor. 12,9); jene Prüfung sollte dem Apostel zum Segen gereichen, weil er in der damit verbundenen Schwachheit und Demütigung die Gnade und die Kraft des Herrn umso mehr offenbar werden konnte. Und hierdurch kam Paulus in seinem Verhältnis zur Prüfung auf eine neue Stufe: statt sie einfach geduldig zu ertragen, rühmte er sich ihrer vielmehr am liebten; statt weiter um Befreiung davon zu bitten, fand er Gefallen daran.
Er lernte, dass der Platz der Demütigung, der Platz der Segnung und der Kraft und der Freude ist.
Mancher Christ, der nach Demut trachtet, flieht und fürchtet noch alles, was ihn demütigen kann und sucht Befreiung davon. Er hat noch nicht gelernt, die Demut zu begehren. Zwar nimmt er das Gebot, demütig zu sein, an und sucht es zu befolgen, aber nur um zu finden, wie häufig er es übertritt. Zeitweise bitte er sehr ernstlich um Demut; doch im Grunde seines Herzens bittet er, wenn nicht in Worten, so doch in Wünschen, mehr darum, vor all dem bewahrt zu werden, was ihn demütigen könnte. Er liebt die Demut noch nicht als die Schönheit des Lammes Gottes und die Freude des Himmels, so dass er alles verkaufen würde, um sie zu erhalten. In seinem Trachten danach und in seinen Bitten darum ist noch ein Gefühl von Last und Zwang; sich selbst zu demütigen, ist noch nicht die freiwillige Äußerung eines Lebens und einer Natur geworden, die demütig ist. An der Demütigung selbst findet er noch keine Freude. Er vermag noch nicht zu sagen: Ich rühme mich am allerliebsten meiner Schwachheit; ich finde Gefallen an allem, was mich demütigt.
Aber können wie die Stufe zu erreichen hoffen, auf der dies der Fall ist? Zweifellos! Und was wird uns dahin führen? Genau dasselbe was den Apostel dahin brachte, nämlich eine neue Offenbarung der Kraft des Herrn Jesu. Nur die Gegenwart Gottes kann das Selbst enthüllen und vertreiben. Es sollte dem Apostel Paulus eine deutliche Einsicht in die tiefe Wahrheit gegeben werden, dass Jesu Gegenwart jeden Wunsch, in uns selbst etwas zu suchen, beseitigen wird und uns froh werden lässt bei jeder Demütigung, die uns zur völligen Erweisung der Kraft Jesu vorbereitet. Unsere Demütigen führen uns in die Erfahrung von Jesu Gegenwart und Kraft, damit wir die Demut als unseren größten Segen wählen. Lasst uns die Lehre, die uns die Geschichte des Apostel Paulus bietet, beherzigen! Wir können Fortschritte gemacht haben als Gläubige, als ausgezeichnete Lehrer, aber die vollkommene Demut noch nicht völlig gelernt haben und uns der Schwachheit noch nicht am allerliebsten rühmen. Dies sehen wir an Paulus. Die Gefahr sich zu überheben, lag sehr nahe. Er wusste noch nicht vollkommen, was es heißt, nichts zu sein, zu sterben, damit Christus allein in ihm leben könne, noch nicht was es heißt, an all dem Gefallen zu finden, was ihn demütigte. Dies war, wie es scheint, die wichtigste Lehre, die er zu lernen hatte, dass völlige Ähnlichkeit mit seinem Herrn in jenem Selbstverzicht besteht, in der er sich der Schwachheit rühmte, auf dass die Kraft Christi bei ihm wohne.
Die wichtigste Lektion, die ein Gläubiger zu lernen hat, handelt von der Demut. Oh dass jeder Christ, der der Heiligung nachjagt, dies begreifen würde! Es mögen hochgradige Heiligung, glühender Eifer und tiefe Erfahrung vorhanden sein und doch kann sich, wenn der Herr es nicht durch besondere Maßnahmen verhütet, in all dem eine unbewusste Selbsterhöhung finden. Lasst uns diese Lektion lernen: Die höchste Heiligkeit ist die tiefste Demut! Seien wir uns dessen bewusst, dass die Demut nicht von selbst kommt, sondern nur, wenn sie zum Gegenstand der besonderen Fürsorge unseres treuen Herrn und zum Gegenstand des beharrliche Strebens Seines treuen Dieners gemacht wird!
Im Lichte solcher Erfahrungen lasst uns auf unser Leben blicken und sehen, ob wir uns am allerliebsten unserer Schwachheit rühmen und wie Paulus an Verhöhnungen, an Nöten, an Verfolgungen und Bedrängnissen (2. Kor. 12,10) Gefallen haben! Ja, fragen wir uns, ob wir einen verdienten Tadel, einen Vorwurf von Freund oder Feind, eine Beleidigung, Belästigung oder Schwierigkeit, die uns andere verursachen, vor allem betrachten können, als eine Gelegenheit zum Beweise dessen, dass Jesus uns alles ist, dass unsere eigene Ehre und unser eigenes Behagen nichts sind und dass wir an der Demütigung wirklich Gefallen finden.
Wahrhaft gesegnet und die größte Glückseligkeit ist es, frei vom Ich von allem Eigenen zu sein.
Lasst uns darauf vertrauen, dass der Herr, der für Paulus besorgt war, es auch für uns sein wird! Paulus bedurfte der besonderen Unterweisung und Belehrung, um zu lernen, was köstlicher ist als sogar die unaussprechlichsten Dinge, die er im Himmel vernahm (2. Kor. 12, 1-4), um zu lernen, was es bedeute, sich in Schwachheit und Demütigung zu rühmen. Ach, auch wir bedürfen dessen so sehr! Der, welcher für ihn sorgte, wird auch für uns sorgen.
Die Schule, in der Jesus den Apostel lehrte, ist auch unsere Schule. Er wacht über uns in liebevoller Sorgfalt, dass wir uns nicht überheben. Sind wir es im Tun begriffen, so sucht er uns das Übel aufzudecken und uns davon zu befreien. In Prüfungen, Schwachheiten und Leiden sucht Er uns zu erniedrigen, bis wir lernen, dass Seine Gnade alles ist, bis wir an dem, was uns zur Demut bringt und erniedrigt, wirklich Gefallen haben. Seine Kraft die in unserer Schwachheit sich mächtig erweist, Seine Gegenwart, die unsere Leere füllt und uns beglückt, sind das Geheimnis einer Demut, die ohne Schranken bewahrt wird. Diese Demut kann im Blick auf das, was Gott in und durch uns wirkt, immer mit Paulus sagen: Ich stehe den vornehmsten Aposteln in nichts nach, wenn ich auch nichts bin (2. Kor. 12,11). Seine Demütigung hatte ihn zur wahren Demut geführt und zu jener wunderbaren Freudigkeit gebracht, mit der er sich alles dessen rühmte und an all dem Gefallen fand, was ihn demütigte.
„Ich will mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne; deswegen habe ich Gefallen an Schwachheit.“ Der demütige Apostel hat das Geheimnis bleibender Freude gelernt. Je schwächer er sich fühlt je niedriger er wird, desto kostbarer erscheinen ihm die Demütigungen, desto mehr ist die Kraft und die Gegenwart Christi sein Teil und desto tiefere Freude gibt ihm, der da sagt: „Ich bin nichts“, das Wort seines Herrn: „Lass dir an meiner Gnade genügen!“ (2. Kor. 12,9).
Ich glaube, ich sollte noch alles einmal zusammenfassen in beiden Sätzen: Die Gefahr des Hochmuts ist grösser und näher, als wir denken; die Gnade der Demut ist auch grösser und näher, als wir meinen.
Die Gefahr des Hochmuts ist grösser und näher, als wir denken und ganz besonders zur Zeit unserer schönsten Erfahrungen. Der Prediger geistlicher Wahrheiten, bewundernd von seinen Hörern, der begabte Sprecher, der im kleinen Kreise die Geheimnisse des inneren Lebens darlegt, der Christ, der von gesegneten Erfahrungen Zeugnis ablegt, der Evangelist, der wie im Triumph voranschreitet und ganzen Scharen zum Segen und zur Freude wird - niemand ermisst die verborgene, unbewusste Gefahr, der sie ausgesetzt sind. Paulus war in Gefahr ohne es zu wissen. Was Jesus an ihm tat, ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir unsere Gefahr wissen können und uns dagegen zu verwahren imstande sind. Wenn jemals von einem Prediger oder von einem Christen, der der Heiligung nachjagt, gesagt worden ist: Er ist von sich ganz eingenommen oder: Er tut selbst nicht, was er predigt oder: Der Segen den er erfahren, hat ihn nicht demütiger und freundlicher gemacht.
Jesus, dem wir vertrauen, kann uns demütig machen.
Ja, die Gnade der Demut ist auch grösser und näher, als wir meinen. Die Demut Jesu ist unser Heil. Jesus selbst ist unsere Demut. Unsere Demut ist Seine Sorge und Sein Werk. Seine Gnade genügt uns, um auch der Versuchung des Hochmuts zu begegnen. Seine Kraft wird in unserer Schwachheit mächtig. Erwählen wir es doch schwach, niedrig und nichts zu sein!
Die Demut sei unsere Freude! Rühmen wir uns am allerliebsten unserer Schwachheit und haben wir Gefallen an allem, was uns beugen und niedrig halten kann; die Kraft Christi wird dann auf uns ruhen. Christus erniedrigt sich selbst, deshalb hat ihn auch der Vater erhöht. Christus wird uns demütigen und uns demütig halten. Lasst uns vertrauensvoll und freudig alles hinnehmen und in alles einwilligen, was uns demütigt. Die Kraft Christi wird bei uns wohnen, auf uns ruhen. Wir werden alsdann finden, dass die tiefste Demut das Geheimnis wahrer Glückseligkeit und einer Freude ist, die durch nichts zerstört werden kann.
Die Demut und die Erhöhung
„Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“
Luk. 14,11 + 18,14.
„Demütigt euch vor dem Herrn, so wird er euch erhöhen.“
Jak. 4,10.
„So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, dass er euch erhöhe zu seiner Zeit.“
1. Petr. 5,6.
Auf die Frage: „Wie vermag ich den Hochmut zu überwinden?“ Ist die Antwort einfach. Zwei Dinge sind dazu nötig. Tue, was Gott dir sagt: demütige dich! Glaube, dass Er, wie Er verspricht, Sein Werk tut: Er wird dich erhöhen.
Das Gebot ist klar: Demütige dich! Damit ist nicht gemeint, dass es dein Werk sei, den Hochmut deiner Natur zu überwinden und auszutreiben und in dir die Demut des Heiligen Jesu darzustellen. Nein, das ist Gottes Werk. Was das Gebot sagen will, ist dies: Ergreife jede Gelegenheit, dich vor Gott und Menschen zu demütigen! Im Glauben an die Gnade, die bereits in dir wirkt, in der Zuversicht auf noch mehr Gnade zum kommenden Sieg, in dem Lichte, das jederzeit vom Gewissen über den Hochmut des Herzens und seine Werke verbreitet wird, stehe, dessen ungeachtet, dass Misslingen und Fallen sich finden kann, beharrlich unter dem unveränderlichen Gebot: Demütige dich! Nimm alles mit Dankbarkeit an, was dir Gott von innen oder von außen, von Freund oder Feind, in Natur oder Gnade bestimmt, um dir zum Gefühl des Mangels an Demut für deine alle erste Pflicht vor Gott, für den einen beständigen Schutz der Seele und richte dein Herz darauf als auf die Quelle des Segens! Die Verheißung ist göttlich und gewiss: Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden. Siehe darauf, dass Du das eine tuest, was Gott fordert: Erniedrige dich selbst! Gott wird dann schon das, was er versprochen hat, tun. Er wird mehr Gnade geben; er wird dich erhöhen zur rechten Zeit.
Alle Handlungen Gottes mit den Menschen lassen sich in zwei Klassen teilen. Die einen geschehen in der Zeit der Vorbereitung, wenn Gebot und Verheißung mit der Erfahrung von Anstrengungen und Unvermögen, von Misslingen und teilweisem Erfolg, mit der heiligen Erwartung von etwas Besserem die Menschen für eine höhere Stufe erziehen und unterrichten will. Die anderen finden sich in der Zeit der Erfüllung, wenn die Treue die Verheißung, als Versprechen erfüllt sieht und dessen sich freut, worum sie sich so oft vergebens bemühte.
Dieses Gesetz der Vorbereitung und Erfüllung bewährt sich in jedem Teil des christlichen Lebens und in dem Streben nach jeder einzelnen Tugend und zwar deshalb, weil es in der wahren Natur der Dinge begründet ist. Ist dies geschehen, dann kommt die Reihe an den Menschen. In der Bemühung um Gehorsam und Vollkommenheit muss der Mensch sein Unvermögen kennen lernen und daran verzweifeln, um sich selbst absterben zu können. Dadurch wird er in den Stand gesetzt freiwillig und einsichtsvoll von Gott die Vollendung dessen zu erlangen, was er aus Unkenntnis begonnen hatte. So wie Gott welcher der Anfang gewesen war, ehe man ihn richtig erkannte oder Seine Absicht völlig verstand, begehrt und willkommen heißt als das Ende, als das Alles in allem.
Ganz so ist es auch in dem Streben nach Demut. Zu jedem Christen kommt von Gottes Thron das Gebot: Erniedrige dich selbst! Der ernste Versuch, darauf zu hören und ihm zu gehorchen, wird belohnt mit der schmerzlichen Entdeckung zweier Dinge. Was findet sich dafür eine nie geahnte Quelle des Hochmuts, der sich dagegen aufbäumt, für nichts gehalten zu werden und Widerwillen dagegen empfindet, sich Gott völlig zu unterwerfen; dies ist das eine. Das andere ist: welch völliges Unvermögen herrscht in all unseren Bemühungen, das entsetzliche Ungeheuer zu zerstören! Gesegnet derjenige, welcher nun seine Hoffnung auf Gott setzen lernt und ungeachtet aller Macht des Hochmuts in ihm, in der Übung der Demütigung vor Gott und den Menschen standhaft verharrt! Wir kennen das Gesetz der menschlichen Natur: Handlungen erzeugen Gewohnheiten, diese erzeugen Neigungen, diese bilden den Willen und der richtig gebildete Wille ist Charakter. Nicht anders ist es im Werk der Gnade. Da Handlungen beharrlich wiederholt, Gewohnheiten und Neigungen hervorbringen und diese den Willen stärken, kommt er, der beides, das Wollen und Vollbringen wirkt, mit Seiner mächtigen Kraft und Seinem Geist. Die Demütigung des stolzen Herzens, in der sich der bußfertige Heilige so oft vor Gott niederwirft, wird mit der Gnade des demütigen Herzens belohnt, in dem Jesu Geist gesiegt und die neue Natur zur Reife gebracht hat und in dem Er, der einzig Sanftmütige und Demütige, nun für immer wohnt.
Demütige dich vor dem Herrn und Er wird dich erhöhen. Und worin besteht die Erhöhung? Der höchste Ruhm des Geschöpfes ist der, ein Gefäß zu sein, um die Herrlichkeit Gottes aufzunehmen, zu genießen und zu verkündigen. Dies kann nur dann geschehen, wenn das Geschöpf nichts in sich selbst sein will, damit Gott alles sein kann.
Wasser füllt immer die tiefsten Stellen zuerst. Je gebeugter und leerer jemand vor Gott liegt, desto schneller und völliger wird die göttliche Herrlichkeit einströmen. Die Erhöhung, die Gott verspricht, ist nicht und kann nicht sein irgendetwas außerhalb von Ihm und getrennt von Ihm: alles, was er zu geben hat oder geben kann, ist nur immer mehr von ihm selbst, damit wir Ihn immer völliger besitzen. Die Erhöhung ist nicht wie ein irdischer Preis, etwas Willkürliches, das hinsichtlich der Belohnung mit dem Verstand in keiner Beziehung stände. Nein, sie ist vielmehr in ihrer wahren Natur die Wirkung und der Erfolg unserer Demütigung und Selbsterniedrigung. Die Erhöhung ist nichts anderes als die Gabe einer solchen einwohnenden himmlischen Demut, eines solchen Besitzes der Demut des Gotteslammes und einer solchen Ähnlichkeit mit ihr, dass sie uns zur völligen Einwohnung Gottes fähig und geeignet macht.
„Wer sich selbst erniedrigt, soll erhöht werden.“ Für die Wahrheit dieser Worte ist Jesus selbst der Beweis; für die Gewissheit ihrer Erfüllung an uns ist Er der Bürge. Nehmen wir auf uns sein Joch und lernen wir von Ihm; denn Er ist sanftmütig und von Herzen demütig. Sind wir aber willens, uns vor Ihm zu beugen, wie Er sich zu uns herabließ, so wird Er sich wiederum zu einem jeden von uns herablassen. Wenn wir tiefer und inniger in die Gemeinschaft Seiner Erniedrigung eintreten und entweder uns selbst demütigen oder die Demütigungen von Menschen ertragen, so können wir dessen sicher sein, dass der Geist Seiner Erhöhung, der Geist Gottes und der Herrlichkeit auf uns ruhen wird. Die Gegenwart und die Kraft des verherrlichten Herrn wird zu denen kommen, die demütigen Geistes sind. Kann Gott wieder Seinen richtigen Platz in uns haben, so wird Er uns erheben.
Mache Seinen Ruhm zum Gegenstand deiner Sorge, indem du dich selbst erniedrigst; der Herr wird auf deinen Ruhm bedacht sein, indem Er deine Demut vollendet und die wahre Gesinnung Seines Sohnes als dein bleibendes Leben dir einhaucht. Wenn das alles durchdringende Leben Gottes dich besitzt und beherrscht, wird es nichts Natürlicheres und Süßeres geben, als nichts zu sein, so ganz ohne Gedanken an das Eigene und ohne Verlangen nach dem Ich, weil alles mit Ihm, der alles erfüllt, beschäftigt ist. „Am allerliebsten will ich mich meiner Schwachheit rühmen, auf dass die Kraft Gottes bei mir wohne.“
Haben wir hier nicht den Grund dafür, dass unsere Hingabe und unser Glaube in dem Streben nach Heiligkeit so wenig nützt? Durch das Ich und Seine Kraft streben wir unter dem Namen des Glaubens nach Heiligkeit. Für das Ich und seine Glückseligkeit wurde Gott angerufen. An dem Ich und seiner „Heiligkeit“ erfreute sich die Seele zwar unbewusst, aber doch tatsächlich. Wir wussten nicht, dass Demut und zwar vollkommene, beharrliche, Christo ähnliche Demut und Selbstvernichtung, die unser ganzes Leben vor Gott und Menschen durchdringt und bezeichnet, der wesentlichste Bestandteil des heiligen Lebens ist, danach wir verlangen.
Nur im Besitze Gottes verliere ich mich. Wie in dem Glanz des Sonnenlichtes das winzige Staubteilchen, das in den Sonnenstrahlen spielt, gesehen wird, ebenso ist die Demut das Einnehmen unseres Platzes in Gottes Gegenwart, um nichts zu sein als ein Stäublein, das in dem Sonnenlichte Seiner Liebe wohnt. Wie groß ist Gott! Wie klein bin ich! Wenn ich mich verloren habe in Deine Tiefen, in das Meer Deiner Liebe, bist nur Du Gott da, nicht ich!
Möge Gott uns die Überzeugung verleihen, dass demütig zu sein und in Seiner Gegenwart sich zu erniedrigen, die höchste Vollkommenheit und der größte Segen des christlichen Lebens ist! Er spricht: „Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum und bei denen, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind.“ (Jes. 57, 15). Sei dies doch unser Teil!
Oh, demütiges Herz Jesu, das den Hoffärtigen widersteht, den Demütigen aber Gnade verleiht, vertilge allen Hochmut aus meinem Herzen, damit ich zu den geistlich Armen, zu den wahrhaft Demütigen gehöre! Nimm Du mich in Deine Schule, mein Jesus und mein Herr und verhilf mir zu Deiner Demut! Ich erkenne meine Nichtigkeit; ich bin nichts; sei Du mein alles immerdar!