Mühe, Ernst - Die Leidensgeschichte Jesu Christi

Mühe, Ernst - Die Leidensgeschichte Jesu Christi

Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünden der Welt, erbarme dich unser!
Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünden der Welt, erbarme dich unser!
Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünden der Welt, gib uns deinen Frieden, o Jesu! - Amen.

So schreiben die heil. 4 Evangelisten in der Leidensgeschichte; I. Hauptstück, 1. Hälfte:

Und da sie den Lobgesang gesprochen hatten, ging Jesus hinaus, nach seiner Gewohnheit, über den Bach Kidron an den Ölberg. Es folgten ihm aber seine Jünger nach. Da sprach er zu ihnen: In dieser Nacht werdet ihr euch alle ärgern an mir; denn es steht geschrieben: Ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe werden sich zerstreuen; wenn ich aber auferstehe, will ich vor euch hingehen in Galiläam. Petrus aber antwortete und sprach zu ihm: Wenn sie sich auch alle an dir ärgerten, so will ich mich doch nimmermehr an dir ärgern. Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir, heute in dieser Nacht, ehe denn der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Petrus sprach zu ihm: Und wenn ich mit dir sterben müsste, so will ich dich nicht verleugnen. Desgleichen sagten auch alle Jünger. Da kam Jesus mit ihnen zu einem Hofe, der hieß Gethsemane, da war ein Garten, darein ging Jesus und seine Jünger. Judas aber, der ihn verriet, wusste den Ort auch; denn Jesus versammelte sich oft daselbst mit seinen Jüngern. Da sprach Jesus zu ihnen: Setzt euch hier, bis ich dort hingehe und bete. Und er nahm zu sich Petrum und Jakobum und Johannem, die zwei Söhne Zebedäi, und fing an zu trauern und zu zittern und zu zagen und sprach zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis in den Tod; bleibt hier und wacht mit mir. Und er riss sich von ihnen, bei einem Steinwurf, und kniete nieder, fiel auf sein Angesicht auf die Erde, und betete, dass, so es möglich wäre, die Stunde vorüberginge und sprach: Abba, mein Vater, es ist dir alles möglich, überhebe mich dieses Kelchs: doch nicht, was ich will, sondern was du willst. Und er kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend und sprach zu Petro: Simon, schläfst du? Vermagst du nicht eine Stunde mit mir zu wachen? Wacht und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt, der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Zum andern Mal ging er aber hin, betete und sprach: Mein Vater, ists nicht möglich, dass dieser Kelch von mir gehe, ich trinke ihn denn, so geschehe dein Wille. Und er kam und fand sie abermals schlafend, und ihre Augen waren voll Schlafs und wussten nicht, was sie ihm antworteten. Und er ließ sie, ging abermals hin und betete zum dritten Mal dieselbigen Worte und sprach: Vater, willst du, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe. Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn. Und es kam, dass er mit dem Tode rang und betete heftiger. Es war aber sein Schweiß wie Blutstropfen, die fielen auf die Erde. Und er stand auf von dem Gebet und kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend vor Traurigkeit und sprach zu ihnen: Ach, wollt ihr nun schlafen und ruhen? Was schlaft ihr? Es ist genug. Seht, die Stunde ist gekommen, dass des Menschen Sohn in der Sünder Hände überantwortet wird. Steht auf und lasst uns gehen. Siehe, er ist da, der mich verrät.

Wir sind in die heilige Fasten- oder Passionszeit eingetreten. Wir fasten und leiden mit Jesu. Ja, wir wollen unsern Heiland auf seiner Marterstraße begleiten. Diesen schrecklichen Schmerzensweg hätten wir Menschen ohnedies ewig gehen müssen, weil wir alle Sünder sind. Das Lamm Gottes ist ihn für uns an unserer Statt gegangen. Dazu wollen wir der Leidensgeschichte folgen, wie sie aus den 4 Evangelien zusammengesetzt ist.

Heute hören wir die erste Hälfte des ersten Hauptstückes. Sie enthält:

Das Leiden Jesu in dem göttlichen Gericht

und zwar 1. den Ort; 2. die Art; 3. die Ursache; 4. die Tiefe; 5. das Ende desselben.

Zuvor aber lasst uns beten:

Jesu, deine Passion
Will ich jetzt bedenken;
Wollest mir vom Himmelsthron
Geist und Andacht schenken.
In dem Bild jetzund erschein',
Jesu, meinem Herzen;
Wie du, unser Heil zu sein,
Littest alle Schmerzen. Amen.

1. Der Ort.

„Da sie den Lobgesang gesprochen hatten,“ diese Worte versetzen uns in den gepflasterten, mit Teppichen und Polstern ausgelegten Saal zu Jerusalem, wo der HErr am grünen Donnerstage abends d. h. nach jüdischer Tagesrechnung am Anfange des Freitages, welcher um 6 Uhr abends begonnen hatte, mit seinen Jüngern das Passahlamm aß1). Nach genauer Forschung war dies der 7. April des Jahres 30 nach berichtigter Zeitrechnung. Es war das letzte wahre Passah des alten Bundes. Jesus hat dafür das heilige Abendmahl eingesetzt, in welchem er sich selbst als das rechte, wahre Verschonungs-Lamm zu essen darbietet. Diese Feier hatte von 6-9 Uhr gewährt.

Danach hat er noch, wie jeder israelitische Hausvater, mit den Seinen den gewöhnlichen Schluss-Lobgesang, das große Hallel, Psalm 115 bis 118, gesungen. Zuletzt aber ergoss sich seine Seele in dem erhabensten Gebete, das jemals auf diesem Erdensterne gesprochen worden. Es ist das Hohepriesterliche Gebet, in welchem er für sich und seine Jünger und auch ausdrücklich für uns gebetet hat. Joh. 17,20.- Dann gegen Mitternacht (s. 2. Mos. 12,29) wandert der HErr mit den Elfen durch die stillen Straßen aus dem (südlichen) Tore Jerusalems; - am Tempel vorbei, dessen weiße marmorne Säulen und hoch emporragende Zinnen, vom Opferfeuer beleuchtet, sich gegen den Nachthimmel abzeichnen hinab in das steile Tal Kidron über den Bach Kidron. Es ist derselbe Weg, den einst David, vor seinem Sohne fliehend, in tiefer Erniedrigung und Trauer wandelte. Wir folgen still und hören aus seinem Munde die herrlichsten Gespräche voll der innigsten Liebe eines abschiednehmenden sterbenden Vaters zu seinen Kindern. Er sagt ihnen: In dieser Nacht werdet ihr alle Anstoß an mir nehmen, denn es steht geschrieben: Ich werde den Hirten schlagen und die Schafe werden sich zerstreuen. Petrus, voll herzlicher Liebe, kann's und will's nicht glauben. „Und wenn sie sich gleich alle an dir ärgerten, so will ich mich doch nimmermehr an dir ärgern. Ja, wenn ich mit dir sterben müsste, will ich dich nicht verleugnen.“ Petrus hat nicht vermessen oder übereilt geredet. Er hat recht. Er musste so reden, denn er hatte Jesum lieb von ganzem Herzen. So sprachen auch alle Jünger. Doch sie kannten die schreckliche Macht der Finsternis noch nicht. Darum warnt der HErr: Wahrlich, in dieser Nacht, ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Doch siehe, sie kommen an den Hof Gethsemane, auf deutsch Ölkelter, jenes einsame Landhaus am Fuße des Ölberges, in welchem der HErr oft geweilt. Sie treten ein in die dichten Schatten der dunkeln Ölbäume des Gartens, die noch heute, nach fast 1900 Jahren, mit ihren düstern Zweigen den merkwürdigen Ort decken, da der Sohn Gottes im Staube gelegen und geweint und für uns mit dem ewigen Tode gerungen hat2). Acht Jünger ließ er draußen am Eingange und sprach zu ihnen: Setzt euch hier, bis ich dorthin gehe und bete. Drei aber - den Petrus, Johannes und Jakobus - nahm er mit sich hinein. Sie, die seine höchste Herrlichkeit auf dem Berge der Verklärung geschaut hatten, sollten auch seine tiefste Erniedrigung sehen- um uns dann erzählen zu können, wie sauer es ihm geworden, uns zu erlösen. Es ist keine Bevorzugung menschlicher Art. Sie allein konnten solchen Anblick fassen und ertragen. Die andern wären wohl irre geworden. O welche Liebe auch darin! Er legt niemandem mehr auf, als er tragen kann. Vor ihnen allein fängt er an zu trauern und zu zittern und zu zagen. Zu ihnen allein spricht er: Meine Seele ist betrübt bis in den Tod; bleibt hier und wacht mit mir. Er weiß es, er fühlt es: seine heißeste Stunde ist gekommen. Ein Garten war's, in welchem der erste Adam durch seine Sünde die Schale des göttlichen Zornes herabriss über alle Geschlechter und Zeiten. Ein Garten ist's auch, in welchem Christus, der zweite Adam, die Zornschale allein austrinken muss für uns. So viel über den Ort. Wir wenden nun unsere Andacht auf

2. Die Art des Leidens.

Sie ist zunächst ganz einzig. Ein solches Leiden hätte kein anderer Mensch erdulden können als dieser eine Jesus. Deshalb reißt er sich auch von diesen dreien los. Ach, gern hätte er wohl ihre betende Mithilfe - ihre wohltuende Nähe gehabt - aber er reißt sich los, wie schwer es seinem Liebesherzen auch wird, und geht etwa einen Steinwurf oder 100 Schritte weit in den Ölgarten hinein.

Oben auf dem Gipfel des Ölberges ist der Ort, von wo Jesus gen Himmel geschwebt ist. Heute steht daselbst eine lateinische Kapelle. Für die Echtheit der Stelle spricht, dass man die Entfernung der Kapelle bis zur Stadtmauer Jerusalems nachgemessen hat. Sie beträgt 3600 Fuß, was gleichbedeutend ist mit 6 Stadien oder 1 Sabbaterweg. Es heißt aber in der Apost. Gesch. 1,12: Die Jünger kehrten um gen Jerusalem vom Ölberge, welcher ist nahe bei Jerusalem und liegt einen Sabbaterweg davon.

Er sollte und musste ganz allein in der Zornkelter Gottes getreten werden. Merke wohl, liebe Seele, dein Jesus steht hier als ein bloßer Mensch. Er soll nicht mit seinen Gotteskräften, sondern bloß mit den Kräften kämpfen, die dem frommen Menschen gegeben sind, nämlich durch Gebet und Glauben. Er ist von Gott verlassen! Und siehe, dort unter jenen alten düstern Ölbäumen kniet er nieder. Totenblässe bedeckt sein edles Angesicht. Todesschauer und die entsetzlichste Seelenangst überfallen ihn. Sein Leiden ist also kein äußeres, sondern ein inneres seelisches, das aber den ganzen Menschen ergreift. Er ringt die Hände. Er zittert am ganzen Leibe. Kalter Schweiß bricht aus. Er seufzt, er schluchzt, er wimmert, er weint, - er schreit laut! Ja, er fällt auf sein Angesicht und windet sich wie ein Wurm im Staube! Hört, wie herzzerreißend er betend schreit: Abba, mein Vater, es ist dir alles möglich, überhebe mich dieses Kelches! Doch nicht was ich will, sondern was du willst! Und das dauert so eine ganze Weile. Was ist das? So haben wir Jesum noch nicht gesehen. Erst kurz vorher noch so todesmutig, und hier so verzagt? Es ist ein fremdes Leiden, das mit übermenschlicher Gewalt den trifft, der an sich keine Schuld hatte. Oder meint ihr, wie einige oberflächliche Christen: es sei dies eine verzeihliche Stunde der Schwachheit? Meint ihr, es sei bloße Furcht vor dem leiblichen Tode, den er, wie er wohl wusste, bald nachher am Kreuze erleiden musste? Freilich musste er als wahrer Mensch auch Todesfurcht haben - ja noch hundertmal mehr wie sündige Menschen, denn er war der sündenlose Mensch und dazu Gottes Sohn, und darum hatte er eigentlich mit dem Tode nichts zu tun. Er brauchte nicht zu sterben! Um so schrecklicher für ihn, durch fremde, finstre Todesmacht sich entkleiden zu lassen. Dazu schänden auch Tränen den rechten Mann nicht. Aber das ist's nicht allein! Nein, nicht gewöhnliche Todesfurcht! Sonst hätten ja die Märtyrer, die jubelnd auf den Scheiterhaufen stiegen, und selbst Heiden, die ruhig den Giftbecher tranken, ihn an Männlichkeit übertroffen. Nun, was sagt ihr zu dem Leiden Jesu hier? Ihr sagt, ja es war groß wir haben auch das innigste Mitleiden; wir möchten mit ihm weinen. O, ich bitte euch, lasst das Mitleid für seine heilige Person. Weint vielmehr über euch selbst und über eure Sünde. Forscht vielmehr weiter

3. Den Grund und die Ursache dieses Leidens Jesu.

Sie steht in 2. Kor. 5, 21 furz so: „Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht.“ Wir sind also die erste schuldige Ursache, denn hätten wir nicht gesündigt, so hätte der Heiland nicht für unsere Sünde zu büßen nötig gehabt. Gott sieht Jesum an als die ganze sündige Menschheit in einer Person. Jesus ist hier als der größte Sünder, den je die Erde getragen, denn alle Sünden der schon gestorbenen, der lebenden und der zukünftigen Menschen auch deine und meine lagen bergehoch und bergeschwer auf Ihm. Er ist unser Stellvertreter. Er steht für uns im göttlichen Gericht. Sprich, musste er da nicht zittern und zagen vor der Strafe des heiligen Gottes? Und sie blieb nicht aus. Ja, wohl war geweissagt durch Sacharja (13, 7): Schwert, mache dich auf über meinen Hirten und über den Mann, der mir der nächste ist. Schlage den Hirten, so werden die Schafe der Herde sich zerstreuen.“ Dies wunderbare Wort aus dem Munde Gottes kann sich auf niemand anders beziehen als auf Jesum Christum. Denn die Worte: „ mein Hirt“ und „der Mann, der mir der nächste“ weisen hin auf den Sohn Gottes. O, welche genaue Erfüllung der Schrift auch in diesem Stücke! In Gethsemane ist das göttliche Richtschwert über den Hirten gekommen, der sein Leben einsetzte für seine Schafe. Auch erinnere dich, lieber Christ, dass schon 700 Jahre vor Christi Geburt durch den Propheten Jesaia aufgeschrieben (53, 6 und 10) war: „Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten. Aber Gott der HErr wollte ihn also zerschlagen!“ Und siehe, Gott schlägt ihn hier unbarmherzig. Gott selbst also ist die zweite strafende Ursache seines Leidens. Hier im Ölgarten ist Jesus nicht mehr sein lieber Sohn nein, der verlorene Sohn - ein verlorener und verdammter Sünder. Der Sünder muss aber in den ewigen Tod und in die Hölle hinein. Das verlangt die ewige Gerechtigkeit. Wollte Jesus uns wirklich vom ewigen Tode erlösen, so muss er sein bestes, die Liebe und das Wohlgefallen seines Vaters dahingeben, muss sich den teuflischen Gewalten preisgeben, und so muss er sich auch für uns zum Tode verdammen lassen. Und Gott, der das Opfer Christi annahm, muss wenn auch sein Vaterherz blutet das ewige Todesurteil über seinen Sohn aussprechen. Und das hat er getan in Gethsemane. - Fragst du nun noch, Sünder, warum Jesus so geweint und geschrien? Alle deine Sünden haben ihn gequält und alle Strafen, die wir alle zusammen hätten ewig büßen müssen, die hat er gebüßt. Alle Todesangst, die wir auf unserm Sterbebette ausstehen müssten, wenn wir als gottlose Sünder stürben, hat er erduldet. Der kalte Schweiß aller Todeskämpfe ist ihm ausgepresst. Aber auch die letzte Ursache seines Leidens, oder das vermittelnde Werkzeug desselben dürfen wir nicht übersehen: den Teufel. Der hat in jenen Stunden Macht bekommen, alle Versuchungen und feurigen Pfeile des Zweifels, der Angst und Pein in die Seele des zweiten Adam zu schießen. Joh. 14, 30. Ja, alle Satansanfechtungen sind über ihn gekommen in diesen Stunden am Ölberge. Alle Sündengräuel der ganzen Welt und die Höllenstrafe derselben hat er in seinem Herzen und Gewissen brennen gefühlt, wie geschrieben steht: Er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Alle Flüche, vom Berge Ebal einst gesprochen, rollen über ihn herab; alle Flüche Sinais durchzucken seine Seele und zermalmen ihn. Kurz: in Gethsemane steht der Mensch Jesus für uns Menschen im göttlichen Zorngericht. Der heilige Gott richtet ihn furchtbar. Wäre Christus ein bloßer Mensch, wahrlich er wäre von der Millionen-Zentner-Last aller Sünden erdrückt und vom Feuer des lebendigen Gottes verzehrt worden. Aber er konnte dies entsetzliche Leiden ertragen, weil er auch wahrer Gott war. Nun, liebe Christen, können wir wenigstens einigermaßen die Tiefe jenes Gebetsrufes ahnen: Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber. Der Ausdruck Kelch bezeichnet bildlich ein von Gott zugemessenes bitteres Leiden. Hier bedeutet er die ewige Todesqual. Der HErr sagt also: Ich will ja gern den Kreuzestod sterben, aber lass mich nicht den ewigen Tod sterben. Lass meine Seele nicht in der Hölle. Lass den Todeskelch vorübergehen! Und doch welche staunenswerte, wunderbare Hingebung! Er spricht: Doch nicht wie ich will, sondern wie du willst. Er will sich selbst in den ewigen Tod geben; ewig vom Vaterherzen Gottes sich losreißen, und wie einst Moses, verdammt sein für uns, wenn es nicht anders gehen. und Gott keine andere Art der Versöhnung stiften könne.

Hört, er musste so beten ja zwei- und dreimal so beten denn er betet im Namen und an der Stelle aller ewig verdammten Menschen. Wir hätten ja ewig so schreien müssen in der Hölle: Ach, lass diesen Kelch vorübergehen! Wir leiden Pein in diesen Flammen! und hätten doch nie erhört werden können. Er aber musste erhört werden, weil, obwohl er hier der größte Sünder, doch auch der schuldlose Gottmensch war. Und er ist erhört worden!

Doch so leicht sollte es ihm nicht werden. Hört weiter und erkennt mit heiligem Schauder:

4. Die Tiefe des Leidens.

Nach langem Ringen richtet er sich auf. Zerschlagen wankt er zurück und kommt zu seinen Jüngern. Ach, er findet sie schlafend. Wohl hatten sie ihn eine Weile ringen sehen und sein Geschrei gehört, aber es war zu anspannend, zu überwältigend für ihr mattes Fleisch. Dazu hatte sich die Macht der Finsternis wie Blei auf sie gesenkt. Es sollte dem Lamme Gottes auch der Trost fehlen, wachende Freunde in seinem Sterbe- und Todeskampfe in der Nähe zu wissen.

Und doch kein Strafen und Schelten. O, welche Heilandsgeduld und Liebe! Nur ein bittender leiser Tadel: Simon, schläfst du? Vermagst du nicht eine Stunde mit mir zu wachen. Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.

Und abermals geht er hin und ruft betend: Mein Vater, ist es nicht möglich, dass dieser Kelch von mir gehe, ich trinke ihn denn, so geschehe dein Wille. Abermals rollen die Donner des Gerichts. Abermals bemüht sich Satan mit aller Macht, ihn durch Todesangst zum Abfall zu bringen. Keiner hilft! Selbst Gott nicht, denn er hat ihn verlassen.

Ach, meine Lieben, so hat unser Heiland eine lange, bange Stunde gerungen.

Da rafft er sich noch einmal auf und kommt wieder zu seinen Jüngern. Vielleicht wachen sie nun und beten mit dir? O auch Petrus, der Felsenmann, schläft. Auch Johannes mein lieber Johannes wie sind deine Augen so voll Schlafes!

Von Gott und Menschen verlassen, wankt er, zum Tode matt, noch einmal zurück an den Ort der heißen Qual. Ist denn das Leiden meines Heilandes noch nicht zu Ende? Ist denn der Kelch noch nicht leer? Noch nicht! Noch einmal muss er in der Kelter des Zornes zertreten werden. O, und es ist, als ginge die Not nun erst an. Seine Angst verdoppelt sich. Seine Schmerzen mehren sich. Die Todesfluten schlagen über ihm zusammen. Wie liegt er da; - wie arbeitet seine Seele; wie schreit er noch einmal: Mein Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe.

Es ist, als wenn die ganze Kreatur mitseufzt, und es zitterten und schauerten Erde und Bäume. Die sonst helle Passah-Mondnacht hat sich mit schwarzen Wolken umhüllt. Da endlich siehe - es beginnt die Erhörung. Im Himmel war bei Gott und seinen Engeln die lebendigste Teilnahme. Von den Höhen herabblicken Millionen Augen mit heiliger Trauer und höchster Spannung auf den Kampf des zweiten Adam in Gethsemane. Von dem Ausgange dieses Kampfes hing nichts Geringeres ab, als die Versöhnung mit dem Himmel der ganzen, in Sünden verlorenen Welt. Endlich empfängt ein Engel Befehl, den im Staube Ringenden zu stärken. Mit welchen Empfindungen mag dieser Himmelsbote sich Dem nahen, vor dessen Herrlichkeit er sonst sein Angesicht zu verhüllen gewohnt war! Mit welch heiliger Demut mag er ehrerbietig herangetreten sein! Und wie stärkt er ihn? Den Kelch kann und darf er ihm nicht abnehmen. Er tröstet ihn schon durch seine bloße Erscheinung. Er mag ihm wohl auch aus dem Worte Gottes zugesprochen und ihn auf seinen glorreichen Hingang zum Vater und seinen herrlichen Schmerzenslohn hingewiesen haben. Er nahet sich ihm in freundlicher Lichtgestalt. Er hebt ihn auf; er stärkt den todesmatten Leib mit neuer Kraft. Der Gottessohn muss sich von seiner Kreatur, einem seiner untergeordneten Diener, stärken lassen! Doch dies widerfuhr ihm als Mensch, denn den gläubigen Menschen ist ja die Engelhilfe zugesagt. Aber wehe! Kaum gestärkt, brechen neue Qualen herein. Es kam, dass er mit dem Tode rang und betete heftiger; und sein Schweiß ward wie Blutstropfen rot und schwer die fielen auf die Erde. Ich kann's nicht beschreiben. Mein armer Geist kann's nicht fassen. Aber nun fühle ich, was das heißt im Jesaia 43: „Du hast mir Mühe gemacht in deinen Sünden und Arbeit in deinen Missetaten“. „O, saure Mühe, o, entsetzliche Arbeit, wo der Schweiß nicht mehr von der Stirn kann rinnen, weil seine Quellen schon alle erschöpft sind; wo nur Blut noch übrig ist, welches durch alle Adern und Poren sich hindurchpresst!“ Und diese entsetzliche Arbeit habe ich ihm gemacht. Meine Sünde, meine Sünde hat ihm diese Arbeit bereitet! Doch weine nicht! Siehe, es hat überwunden der Löwe aus dem Stamme Juda. Richte noch deinen Blick auf

5. Das Ende.

Und er stand auf vom Gebet. Gott sei Dank - es ist zu Ende. Er hat gesiegt, der wahre Israel! Gethsemane wird zum Pniel. Er ist erhört! Weg ist sein Zagen und Zittern. Ruhig ist er, und gefasst. So musste es geschehen, denn es stand geschrieben: Er ist aus der Angst und dem Gericht genommen. (Jes. 53). Ja, noch mehr, er ist auch in vollem Maße erhört, wie er gebetet hatte. Ich sage das hier ausdrücklich, weil so oft gesagt und gepredigt wird: Christus sei auf sein Gebet in Gethsemane nicht erhört worden, denn der Todeskelch sei nicht vorübergegangen. Und damit pflegen wir gern unsere verkehrten, und darum unerhörten, Gebete zu entschuldigen und mit falschem Troste zu bedecken. Doch, kannst du meinen, Jesus habe in der großen Seelenangst etwa zu viel oder Verkehrtes gebetet? Dann hätte er ja etwas Sündliches getan! Nein nimmermehr! Lass diese falsche, schwächliche Ansicht fahren, denn wisse, es steht ausdrücklich geschrieben Hebr. 5, 7: „Er hat in den Tagen seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen geopfert zu dem, der ihm konnte aushelfen von dem Tode und ist auch erhört worden“. Er hat wohl mit dem Tode gerungen, aber er ist nicht im Tode geblieben. Er hätte müssen für uns Sünder eigentlich ewig sterben. Das verlangte die verlegte Heiligkeit und ewige Gerechtigkeit Gottes. Nun wohl, wisse: Was Christus hier gelitten, hat er, wenn auch nur wenige Stunden in der Zeit, ewig gelitten, weil er nicht bloß Mensch, sondern ewiger Gott ist. So ist denn der Gerechtigkeit Gottes wirklich vollgültige Genugtuung geworden. Aber darum konnte und musste Jesus auch erhört werden. Er ist erhört; der Tod ist bald vorübergegangen, denn er ist ja am dritten Tage wieder auferstanden. Wäre Christus nicht erhört in Gethsemane, so läge er noch im Tode und in der Hölle und wir mit ihm. Gott sei Dank, dass der ewige Todeskelch vorübergegangen ist.

Und mit dem Gefühle des Erhörtseins geht er zu seinen Jüngern. Noch trieft er blutig von der Stirn - doch er kehrt als Sieger aus der blutigen Schlacht. Er ist freigesprochen im göttlichen Gericht. Doch der Menschen Gericht naht. Schon hört man im Tale die Judasrotte herankommen. Er weckt seine Jünger. „Siehe, er ist da, der mich verrät.“ Ruhig und majestätisch tritt er seinen Feinden entgegen. Du aber, der du ihn hast mit mir im Todeskampfe ringen sehen, bete mit mir zum Schluss:

Eines wünsch' ich mir vor allem andern,
Eine Speise früh und spät;
Selig lässt's im Tränental sich wandern,
Wenn dies Eine mit uns geht;
Unverrückt auf einen Mann zu schauen,
Der mit blut'gem Schweiß und Todesgrauen
Auf sein Antlitz niedersank
Und den Kelch des Vaters trank.

Amen.

1)
Anmerkung. Das Haus, in welchem Christus das heilige Abendmahl eingesetzt hat, lag damals nicht fern von der Stadtmauer (Luk. 22,10 rc.) jetzt aber außerhalb auf einem öden Felde, südöstlich der Stadt Jerusalem. Die Kaiserin Helena hat im 3. Jahrhundert diese Stelle genau erforscht und überbaut. Das Gebäude nennt man heute das Coenaculum oder den Abendmahlssaal, welcher 50-60 Fuß lang und 30 Fuß breit ist. In demselben Hause ist auch das Grab des Königs David. Nach 1. Kön. 2,10 ist David in der Stadt begraben, also auf Zion, der damals allein und bis hierher bebaut war. Auch heißt es in der Apost. Gesch. 2,19: „Er (David) ist gestorben und begraben und sein Grab ist bei uns (den im Abendmahls-Saale versammelten Jüngern) bis auf diesen Tag.“ Heute sind beide Heiligtümer unter dem Dache einer türkischen Moschee vereinigt. Siehe „Jerusalem, Gegenwärtiges und Vergangenes,“ von Graf Wartensleben, S. 10-11. Berlin, Verlag von Barthol und Co. 1868.
Dasselbe Haus, wo das heilige Abendmahl eingesetzt wurde, ist auch höchst wahrscheinlich die Stätte, wo die 120 Männer und Frauen am ersten Pfingstfeste versammelt waren, da die Ausgießung des heiligen Geistes geschah. - Ap. Gesch. 2,1 f. Auch ist mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, dass dieses Haus dem Nikodemus gehörte, den der Herr einst schon über sein Leiden unterrichtet hatte. (Joh. 3,14 rc.) Dieser edle Mann war sogleich bereit, nicht bloß ein kleines Stübchen sondern seinen besten Raum, den großen schönen Saal im oberen Stockwerk herzugeben, der für die Passahfeier seiner eigenen Familie bestimmt war.
2)
Anmerkung: „Jetzt ist Gethsemane ein freundlicher Blumengarten, den eine steinerne Mauer mit Kapellen und Stationen umschließt. Dies ist der Raum, wo die Jünger schliefen; die Stellen, wo Jesus betete, und die, wo er dann von Judas verraten wurde, befinden sich außerhalb der Gartenmauer, aber dicht an derselben. Diese letzteren Stellen liegen offen da an öden Felsen unter alten Oliven. Man hat wahrscheinlich dieses Terrain nicht akquirieren und deshalb nicht mit Kapellen bebauen können. Dadurch genießt der Wanderer aber den großen Vorteil, einmal einige dieser interessanten Orte in dem ursprünglichen Zustande wiederzufinden und nicht durch die Veränderungen der Gegenwart dabei gestört zu werden, wenn er sich das Bild dessen, was dieser Stelle ihre Bedeutung gab, vorführen möchte.“
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autoren/m/muehe/muehe_leidensgeschichte.txt · Zuletzt geändert: von aj
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