Monod, Theodor - Die Gabe Gottes. - 6. Ihre Anwendung. „2. Bleiben in Christo.“
“Bleibt in Mir, und Ich in euch.“
(Joh. 15,4.)
Habt ihr von der Überraschung reden hören, welche die Freunde Herrn Moodys diesem vor einigen Jahren bereiteten? Ein reicher Mann hatte eine ganze Reihe Häuser in Chicago bauen Lassen und beschloss, ohne Herrn Moody etwas davon zu sagen, diesem eins davon zu geben. Er teilte seinen Beschluss mehreren Freunden mit und fügte hinzu: „Sagt ihm nichts davon; ich gebe das Haus, und ihr werdet es einrichten.“ Und so geschah es.
Als der Neujahrstag herankam, nahmen einige Freunde einen Wagen und holten Herrn Moody und seine Frau darin ab, ohne ihnen aber ein Wort von dem, was ihrer wartete, zu sagen. Der Wagen hielt vor einem hübschen Haus, und als sie den Fuß auf die Erde gesetzt hatten, fragten sie sich, zu welchem unbekannten Freund man sie wohl geführt habe. Ihr Erstaunen wurde noch größer, als sie eintraten; denn sie wurden von Niemand empfangen, der wie der Herr des Hauses ausgesehen hätte, und eine gute Anzahl ihrer besten Freunde waren da wie sie. Der Eigentümer trat hierauf vor, ein Papier in der Hand haltend und sagte: „Hier ist eine Urkunde, welche Sie in Besitz dieses Hauses setzt; Sie sind daheim, lieber Freund.“
Herr Moody war zuerst wie erstarrt. Dann fing er an, das Haus von oben bis unten zu durchwandern, jedes Zimmer gehörte ihm; Alles war zu seinem Empfang fertig, selbst die Schränke hatte man nicht leer gelassen.
Als ihre Freunde sich zurückgezogen hatten, und Herr Moody mit seiner Frau allein war, wird vermutlich ihr erster Gedanke gewesen sein, sich zu fragen: „Wie werden wir uns jetzt in unserem neuen Haus einrichten?“ Es verstand sich von selbst, dass die Mahlzeiten in der Küche bereitet und dann im Speisezimmer serviert würden; und so hatte jedes Zimmer seine Bestimmung. Aber glaubt ihr wohl, dass ihnen auch nur der Gedanke gekommen ist, dass sie wieder zurückkehren und in dem alten Haus, der kleinen, unbequemen Wohnung, die sie verlassen hatten, wohnen müssten, um dann dort täglich darüber zu verhandeln, welches wohl die beste Art sei, in dem neuen Haus zu leben?
Das aber tun Viele unter uns. Wir fahren fort, im alten Haus zu leben, und dort halten wir Versammlungen und unterhalten uns, wie wir es eigentlich im neuen Haus tun sollten. Das Erste, was wir zu tun haben, ist, darin zu bleiben. Und wenn wir wirklich auf den Grund der Dinge gehen, ist das nicht die Hauptfrage, welche wir einander vorlegen sollten? Ja ich weiß wohl, dass Gott mir Jesum gegeben hat; ich nehme Jesum an, ich besitze Ihn, wie kann ich aber in Ihm bleiben?
Wir haben in Ihm Alles. Sucht in dem neuen Testament, wie oft sich darin das Wort findet „in Ihm“ oder „in Christo“; das Aufsuchen all' dieser Stellen würde euch mehr als einen Tag kosten. Wir haben Alles in Ihm; die Hauptsache ist darum, Ihn nicht zu verlassen. Was müssen wir hierzu tun? Lasst uns die Antwort auf diese Frage in dem Wort Gottes suchen.
1 Joh. 2,24. finde ich die Worte: “Was ihr nun gehört habt von Anfang, das bleibe in euch. So in euch bleibt, was ihr von Anfang gehört habt, so werdet ihr auch in dem Sohn und Vater bleiben.“ Das ist ganz klar und stimmt vollkommen mit Jesu eigenen Worten überein Joh. 15,7.: “So ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben…“ Die Wahrheit muss in uns und wir müssen in der Wahrheit bleiben. Wir müssen Alles, was wir gehört haben, bewahren. Hier handelt es sich nicht um Rührungen, Aufregungen, oder besondere Erfahrungen. Glaubt das, was ihr aus dem Wort Gottes gehört habt; vergesst es nicht, und lasst es euch nicht entschlüpfen. Beharrt darin, das Wort selbst zu lesen, damit ihr die Wahrheit nicht aus dem Auge verliert, sondern vielmehr immer tiefer darin gegründet werdet, und immer besser einsehen lernt, wie reich es ist.
Es steht geschrieben, dass der neue Mensch „erneuert ist zu der Erkenntnis.“ (Kol. 3,10.) Die Bibel betont überall die Erkenntnis. Wir müssen wissen, was Gott gesagt hat, was Er getan hat, und was Er für uns ist. Wenn wir das tun, wenn das, was wir gehört haben, in uns bleibt, dann werden wir in dem Sohn und in dem Vater bleiben und verharren. Das ist ein erster Punkt.
Einen andern finden wir in demselben Buch. “Niemand hat Gott jemals gesehen. So wir uns unter einander lieben, so bleibt Gott in uns, und Seine Liebe ist völlig in uns.“ (1 Joh. 4,12.) Und im 16. Vers: “Wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat. Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ Wenn ihr in Gott bleiben wollt, dann bleibt in der Liebe.
Vielleicht sagt ihr, dass ich einen fehlerhaften Kreis mache, indem ich diesen Schluss ziehe. Ich frage mich, ob diese Art von Einwendungen nicht Schuld ist, dass wir den wahren Sinn von vielen Bibelstellen verlieren. Es ist Tatsache, dass Gott uns oft dieselbe Wahrheit unter zwei verschiedenen Formen offenbart, oder uns vielmehr zwei Mittel an die Hand gibt, um ein und desselben Segens teilhaftig zu werden. Ihr sagt zu einem Menschen: „Bleibe in Gott“; wenn er's tut, wenn er durch den Glauben in Gott bleibt, so wird er ganz natürlicherweise auch in der Liebe und im Gehorsam bleiben. Aber Gott hat noch eine andere Lehrart. Er sagt: Tue dies, oder tue das. Da handelt es sich nun nicht darum, Ihm zu antworten: „Ich kann es nicht tun, wenn ich nicht in Dir bleibe.“ Tut es, dann werdet ihr sicher entdecken, dass ihr es nur in dem Maße tun könnt, als ihr in Ihm bleibt. Ihr werdet dann ein genau gestecktes Ziel vor Augen haben, nämlich, einem bestimmten Befehl Gottes zu gehorchen, und wenn ihr dies tut, werdet ihr beweisen, dass euer Gehorsam die Frucht der Gnade Gottes in euch, und zugleich ein mächtiges Gnadenmittel ist. Um meine Idee besser zu verstehen, denkt euch, einer eurer Freunde sei krank gewesen, und ihr erkundigt euch nun nach seiner Gesundheit. Jemand antwortet euch: „Ich habe ihn gestern gesehen; er war bei Tisch und aß mit gutem Appetit.“ Nun gut, diese Mahlzeit war die Folge und der Beweis davon, dass es dem Kranken besser gehe; zugleich aber trug sie sicher zu seiner weiteren Genesung bei. Hätte er diese kräftige Mahlzeit nicht genommen, so wäre er wieder schwach und leidend geworden. Ebenso beweist jeder Gehorsamsakt, jede Ausführung eines Befehles Gottes nicht nur, dass geistliches Leben in uns ist, sondern nährt auch zugleich dieses Leben und macht uns stärker. Der HErr Jesus sagt: “Meine Speise ist die, dass ich tue den Willen Dessen, der mich gesandt hat.“ (Joh. 4,34.) Seid ihr z. B. versucht, irgendetwas gegen die Liebe zu tun möge es sich nun handeln um die Liebe gegen einen Gottlosen, einen Feind, um die Liebe gegen die, welche euch hassen, oder was noch schwerer ist, um die Liebe gegen die, welche euch beständig „reizen und verletzen“, denkt daran, dass ihr gehalten seid, in der Liebe zu bleiben. Ihr habt da gar keine Wahl. Es ist ein Gebot Gottes; folglich ist Gott auch bereit, euch die Kraft zum Gehorsam zu geben. Das gerade ist ja Sein Wunsch, Sein Wille. Sagt: „Mein Gott, ich will ihn lieben, ich liebe ihn…“ und der Geist Gottes wird euch die Kraft dazu geben. Das wird der beste Beweis für euch sein, dass der Geist Gottes Sein Werk in euch hat. Erlaubt euch weder Bitterkeit, noch Neid, noch Mangel an Liebe, nichts derart. Nun haben wir also zwei Mittel, in Christo zu bleiben: zuerst die Wahrheit, dann die Liebe.
Es gibt aber noch ein drittes. 1 Joh. 3,24. steht geschrieben: „Wer Seine Gebote hält, der bleibt in Ihm und Er in ihm.“ Achtet wohl darauf, das gilt von allen Geboten. Wenn ein Mensch sein Herz dem Gehorsam aufschließt, und er lebt im einfachen Gehorsam der Gebote Gottes, so wird er in Gott bleiben. Jedes Gebot wird ihn inniger mit Gott verbinden, und er wird immer besser einsehen lernen, was die Gebote Gottes sind. Der natürliche Mensch weiß nicht, was die Gebote Gottes sind. Er hält sie für sehr schwer, obwohl Gottes Wort sagt, dass Seine Gebote nicht schwer (1 Joh. 5,3.) sind. Und der Apostel Paulus sagt: „Verändert euch durch Erneuerung eueres Sinnes, auf dass ihr prüfen mögt, welches da sei der gute, der wohlgefällige und der vollkommene Gotteswille.“ (Röm. 12,2.) Wir lernen dann, dass ein jedes Gebot Gottes, wie man mit Recht gesagt hat, eine Verheißung enthält. Wenn Gott sagt: „Stehe auf,“ so heißt das: „Ich heile dich, ich gebe dir die Kraft, aufzustehen.“ Wenn Er sagt: Tue das,“ so heißt dies so viel als: „Ich mache dich tüchtig, dieses zu tun.“ Das ist auch der Sinn eines merkwürdigen Verses des langen, herrlichen 119. Psalms, der nur ein Lobgesang zum Preis des Gesetzes Gottes ist: „Lehre mich heilsame Sitten und Erkenntnis; denn ich glaube deinen Geboten.“ (Ps. 119,66.) Nicht, - ich habe sie gehört, ich liebe sie, oder ich habe ihnen gehorcht, sondern ich glaube ihnen. Ich glaube, dass sie weise und gut sind; ich glaube, dass sie die nötige Kraft zu ihrer Erfüllung in sich tragen, denn jedes Gotteswort ist ein mächtiges Wort.
Wenn wir also Seine Gebote halten, dann werden wir auch in Ihm bleiben. Aber wenn wir sie nicht halten, sondern uns einbilden, in Sorglosigkeit dahinwandeln und in Selbstsucht dahinleben zu können, und dabei dennoch in Christo zu bleiben, in irgendeiner schwärmerischen Weise, vielleicht indem wir durch Lesen, Singen, Versammlungsbesuch, und andere Mittel dieser Art uns die Nerven überreizen, so täuschen wir uns selbst. Wollten wir nicht gehorchen, so können wir auch nicht in Christo bleiben. Außerdem laufen wir große Gefahr, weil es nicht an Leuten fehlt, die uns zu überzeugen suchen, dass wir in Sicherheit sind. Wir sind es aber ganz und gar nicht, wenn wir nicht im Gehorsam leben. In Christo haben wir jederzeit Zutritt zum Vater, und Ob Jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater. Lasst uns doch zu Ihm gehen und unser Herz vor Ihm ausschütten, und Ihm unsere Missetat bekennen. „So wir aber unsere Sünden bekennen, so ist Er treu und gerecht, dass Er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Untugend.“ (1 Joh. 1,9.)
Dann lasst uns unseren Weg fortsetzen und „nicht mehr sündigen“ (Ps. 4,5. franz. Übers.), lasst uns vor der Sünde uns fürchten und sie verabscheuen; lasst uns ohne Unterlass zu Gott gehen, weniger um uns zu trösten und zu erfreuen als im einfachen Gehorsam; dann wird Trost und Freude uns außerdem noch geschenkt werden.
Kürzlich empfing ich eine gute Lehre. Als ich nämlich durch die Straßen Londons schritt, bemerkte ich, dass an den meisten Türen sich zwei Schellen befinden, die eine ist die „Schelle für die Besucher“, die andere die „Schelle für die Diener.“ In dem Haus unseres Vaters, in welches wir im Namen Jesu immerdar eintreten dürfen, gibt es nur eine Schelle; die für die Diener. Dennoch aber hat Satan am Eingang noch eine zweite Schelle angebracht; sie ist über der andern, ist hübscher als diese und vergoldet, und trägt die Überschrift: „Schelle der Besucher.“ Mag man sie aber auch noch so sehr ziehen, die Tür bleibt verschlossen; denn kein Eisendraht steht mit dem Kupferknopf in Verbindung, es ist keine wirkliche Schelle, und kein Ton lässt sich im Haus vernehmen.
Geradeso geht es zu, dass so viele Leute vergeblich beten. Alle Sonntage gehen sie hin und ziehen an der Schelle für die Besucher, in der Absicht, dem lieben Gott einen guten kleinen Besuch zu machen, und dann so schnell als möglich wieder heimzukehren. Vielleicht gehen sie auch jeden Tag, abends und morgens hin und ziehen an dieser Schelle, aber sie bekommen keine Antwort. Gott hört solche Gebete gar nicht einmal, es sind auch keine Gebete, sondern nur ein leerer Schall, ein bloßes Geschwätz; Gott kann darin nur Sünde und Spott sehen. Wenn aber ein armer Sünder sich nähert und an der Schwelle für die Diener schellt, dann antwortet Gott. Wenn wir nun im Namen Jesu kommen, könnte das wohl anders wie als Diener sein? Warum wäre Jesus wohl gekommen, wenn es nicht wäre, um zu dienen? Wie Er, haben auch wir zu dienen; wir haben nichts anderes zu tun, als zu dienen; Gott zu dienen, uns unter einander zu dienen. Dieser zweifache Dienst lässt sich nicht trennen! Was wir umsonst empfangen haben, müssen wir auch umsonst geben; denn das gerade ist das Wesen der Gabe Gottes, dass wir sie verlieren, wenn wir sie für uns allein behalten, und dass wir sie nur bewahren können, und sie nur zunehmen kann, wenn wir sie Andern mitteilen. Tut das, dann habt ihr nicht mehr nötig, euch darüber zu beunruhigen, wie ihr in Christo bleiben könnt.
In derselben Epistel ist noch eine andere Stelle über denselben Gegenstand. „Welcher nun bekennt, dass Jesus Gottes Sohn ist, in dem bleibt Gott, und er in Gott.“ (1 Joh. 4,15.) „So man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und so man mit dem Munde bekennt, so wird man selig.“ (Röm. 10,10.)
Wir müssen Zeugnis von Christo ablegen, und dürfen uns Seiner nicht schämen. Hiermit will ich nicht sagen, dass wir beständig von Ihm reden müssen; nein, gerade wie sich die Gelegenheit dazu bietet, und wie der Stern, welcher uns führt, es uns zeigt. Haben wir uns ganz in Jesu Hand gelegt, und sehen wir, dass es unsere Pflicht ist, zu reden, dann lasst uns reden. Es wird nicht so schwer sein, wie wir fürchten. Er wird unserm Herzen, unserm Geist und unseren Lippen innig nahe sein. Natürlich ist es sehr leicht, in einer Versammlung, wie diese hier, von Christo zu zeugen; aber es handelt sich auch darum, dies den Gleichgültigen und Ungläubigen gegenüber zu tun. Wählt eure Zeit, oder besser, die Zeit Gottes. Bittet Ihn, dass Er euch den günstigen Augenblick, das rechte Wort finden lasse, und dann schämt euch nicht eures Heilandes Jesu Christi, denn sich schämen, Seinen Namen zu bekennen, heißt, Seine Sache verleugnen und verlassen. Dies wäre also noch ein Mittel, und zwar ein sehr wirksames, um in Ihm zu bleiben.
Gestern hörte ich ein sehr einfaches, aber sehr lehrreiches Wort anführen über das Zeugnisablegen. Der Mann, welcher es gesagt hat, wird wahrscheinlich nie erfahren, dass es wiederholt wurde und Andern zum Segen geworden ist. Jemand, der den Dammarbeitern das Evangelium bringt, hat mir eine Unterredung mitgeteilt, die zwischen zwei dieser Arbeiter stattgefunden hat. Der eine war ein Christ, und hatte einiges von den letzten Besprechungen über die Heiligung gehört. Sein Freund fragte ihn: „Was will man uns nur eigentlich mit dem Allen sagen?“ „Ich verstehe nicht viel davon,“ antwortete Ersterer, „ich für mein Teil bin ganz einfach zum HErrn Jesu gekommen, und darauf habe ich Ihm nie wieder „Lebe wohl“ gesagt.“
Mit diesen Worten ist Alles gesagt. Geht ihr hin und tut dasselbe. Ihr seid zu Christo gekommen, und ihr habt Ihm vielleicht „Lebe wohl“ gesagt. In diesem Augenblick erinnert Er uns an Seine Verheißung: „Wer zu Mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.“ (Joh. 6,37.) Lasst uns aufs Neue zu Ihm gehen und nie wieder Abschied von Ihm nehmen. Denn an der Wurzel jedes geistlichen Lebens. findet sich diese unaussprechlich innige Gemeinschaft mit dem Heiland, von der Er selbst also spricht: Wer Mein Fleisch isst, und trinkt Mein Blut, der bleibt in Mir, und Ich in ihm.“ (Joh. 6,56.)