Monod, Theodor - Die Gabe Gottes. - 3. Ihre Annahme.
Wie Viele Ihn aber aufnahmen, denen gab ER Macht, Gottes Kinder zu werden, die an Seinen Namen glauben.“
(Joh. 1,12.)
Der Gegenstand unserer heutigen Betrachtung ist die Annahme der Gabe Gottes. Wir haben gesehen, dass die einzige Quelle dieser Gabe Gott selbst, Seine ewige, unendliche Liebe ist. Wir haben gesehen, dass diese Gabe keine andere ist, als der HErr Jesus Christus selbst, ER, der das Leben ist. Später wollen wir von den Wirkungen dieses Lebens in uns, und von den Mitteln, die Kraft dieses Lebens zu bewahren und zu vermehren, reden; und endlich auch fragen, zu welchem Zweck Gott uns diese Gabe gegeben hat. Zwischen diesen Gegenständen und denen, welche wir noch nicht behandelt haben, liegt ein anderer, welcher in dieser Kette ein Ring von der größten Wichtigkeit ist, nämlich, die Annahme der Gabe Gottes.
Wir können wirklich wissen, dass diese Gabe uns umsonst geschenkt wird, dass sie vollkommen ist; wir können wissen, dass sie Heiligkeit, Glück, Gnade und Herrlichkeit mit sich bringt; aber was nützt uns dies Alles, wenn wir sie nicht besitzen? Vielleicht ist unter diesen Zuhörern noch eine oder die andere arme Seele, welche die Gabe Gottes noch nicht angenommen hat, und welche sich ängstlich fragt: „Was soll ich tun? Muss ich nicht erst diese oder jene Gnade haben, muss ich nicht zuerst in dieser oder jener Stimmung sein, um der Gabe Gottes teilhaftig werden zu können? Ist die Gabe Gottes nicht nur für die Gläubigen und muss ich nicht, ehe ich sie für mich in Anspruch nehme, irgend ein Zeichen haben, dass ich ein Gläubiger bin?“ Solche Fragen wirft man oft auf; aber diese Art zu fragen bringt die Seelen in große Verwirrung und ist nicht auf die Schrift gegründet.
Gott sagt, dass ER „also“ nicht die Gläubigen, sondern, „die Welt“ geliebt habe, dass ER Seinen eingeborenen Sohn gab, damit ER „der Heiland der Welt“ sei, auf dass ALLE, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Es versteht sich von selbst, dass ihr, ohne zu glauben, dieses ewige Leben nicht haben könnt, was nichts anders heißt, als dass ihr diese Gabe annehmen müsst, um in ihren Besitz zu gelangen. Aber Gott hat sie euch gegeben; ihr könnt sie so frei und ungezwungen gebrauchen, als ihr das Wasser aus dem Fluss nehmt, oder die Luft des Himmels einatmet. „Wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ (Offenb. Joh. 22,17.) Aber was heißt denn nehmen? was heißt annehmen? Es scheint mir wirklich, als ob es uns gelänge, gerade die einfachsten Fragen mit dem dichtesten Nebel und den größten Wolken von Schwierigkeiten zu umgeben.
Als ich vor einiger Zeit einer Konferenz von Brüdern beiwohnte, hörte ich einen Freund folgende Geschichte erzählen. Der Vorsteher einer Sonntagsschule wollte seinen Schülern klar machen, was die Gabe Gottes sei, und wie sie dieselbe erlangen könnten. Er verließ seinen Platz und trat an die Kinder heran, seine Uhr in der Hand haltend. Dann hielt er die Uhr in die Höhe und sagte zu dem ersten der Kinder: „Ich gebe dir diese Uhr.“ Das Kind machte große Augen; aber es bewegte sich nicht. Der Lehrer ging zu dem folgenden und wiederholte: „Ich gebe dir diese Uhr.“ Das Kind wurde ganz rot; aber das war auch Alles. Nun ging der Lehrer langsam durch alle Reihen der Schule und bot seine Uhr jedem Kind an; die einen schienen erstaunt, die andern verlegen, wieder andere fingen an zu lachen; Keines aber nahm die Uhr. Leicht kann man sich vorstellen, was wahrscheinlich in der Seele der Ältesten, der Denker der Schule, vorging, denen die Sache doch Kopfzerbrechen machte. „Wie kann er nur sagen, dass er uns seine Uhr geben wolle! Sicher ist das nicht ernst gemeint; wo will er damit hinaus?“ Aber während der so vernünftige Schüler sich seinem tiefen Nachdenken überließ, ging die Uhr an ihm vorüber, und er nahm sie nicht. Endlich streckte ein kleiner Knabe ganz einfach seine Hand aus und nahm die Uhr. Der Lehrer ließ die Kette los, und Uhr und Kette glitten aus seiner Hand in die Hand des Kindes; dann kehrte der Lehrer an seinen Platz zurück, während der kleine Knabe leise fragte: „Bitte, sagen Sie mir, gehört die Uhr jetzt wirklich mir?“ „Natürlich gehört sie dir.“ Diesmal waren auch die Größten völlig aufgewacht. „Wollen Sie damit sagen, Herr Lehrer, dass er die Uhr behalten kann?“ „Gewiss; ich habe ja gesagt, dass ich sie dem gäbe, der sie nehmen würde.“ „O! wenn ich das gewusst hätte!“ rief einer von ihnen, „dann hätte ich sie wohl genommen.“ „Habe ich dir denn aber nicht gesagt, dass ich sie dir geben wolle?“ „O, ja, aber ich dachte nicht, dass dies so ernst gemeint sei!“ „Um so schlimmer für dich; er hat mir geglaubt, und er hat die Uhr.“
Ich weiß nicht, ob ich jedem Vorsteher einer Sonntagsschule raten würde, seine Uhr dranzugeben; aber es scheint mir, dass dieser die seinige auf hohe Zinsen ausgeliehen hat. Die Lehre war seinen Schülern und vielen andern noch von großem Nutzen; und ich hoffe, dass auch wir Nutzen daraus ziehen. Die Gabe Gottes annehmen ist ebenso einfach wie dies. Gott kommt zu uns und sagt: „Da ist das ewige Leben, wer da will, der nehme es“; wir aber fangen an nachzudenken, zu überlegen, zu besprechen und zu untersuchen, wie ER uns dasselbe könne geben wollen, und wie wir es nehmen können, anstatt einfach zu denken: „Es gehört mir!“
Aber mein Vergleich wird Einigen mangelhaft erscheinen. Man wird sagen, es handelt sich in diesem Fall um einen greifbaren Gegenstand, eine Uhr, die man mit dem Auge sehen kann, und wir besitzen eine Hand, die im Stande ist, die Uhr zu ergreifen. Das ewige Leben hingegen ist keine sichtbare Sache, und wir haben keine Hand, um es zu ergreifen. Meine Freunde, es begegnet uns alltäglich, dass wir Dinge ergreifen, ohne Hände Dinge ergreifen, die wir nicht sehen. Heute Morgen erhielt ich zum Beispiel einen Brief von einem großmütigen Freund, der mir schreibt: „Ich habe bei einem gewissen Bankier auf Ihren Namen eine gewisse Summe deponiert, die zur Evangelisation Frankreichs verwandt werden soll.“ Ich habe den Brief und weiter nichts; doch aber verkündige ich euch und notiere mir, dass ich die besagte Summe besitze. Ich habe sie nicht gesehen, ich habe nichts getan, als daran geglaubt. Und so handeln wir beständig. Ein Sohn hat seinen Vater tief beleidigt; der Vater lässt ihm sagen: „Ich liebe dich, ich verzeihe dir, komm heim.“ Das Herz des Sohnes ist voll Friede, seine Augen füllen sich mit Tränen. Was ist denn vorgefallen? Einige Worte nur sind zu ihm gelangt, aber unter diesen Worten fühlte er das Herz des Vaters schlagen; ebenso sehe ich hinter dem Brief, von welchem ich sprach, das bei dem Bankier deponierte Geld; ich sehe es so wirklich, als das Kind die Uhr in der Hand seines Lehrers sah.
Wir haben auch ein Wort empfangen, ein Wort Gottes, denket darüber nach. Gott sagt, dass ER, nicht uns Gläubigen, nicht uns Heiligen, sondern uns Sündern Seinen Sohn gegeben hat, dass ER an unserer Statt sterbe; und zwar, „während wir noch Feinde waren“ (Röm. 5,10); auf dass, weil ER nun die Welt mit Sich versöhnt hat, wer da will, versöhnt sein könne. Was haben wir denn zu tun? Ganz einfach die Sache als eine Tatsache hinzunehmen, weil Gott es uns sagt. Nicht weil wir es begreifen und fühlen, oder es in irgend einer Weise verdienen, nicht weil wir dafür zubereitet sind, sondern weil Gott es sagt. Dann wird noch etwas mehr, etwas Besseres kommen. Der Geist Gottes wird unserem Geist Zeugnis geben, dass wir wirklich Gottes Kinder sind.“ (Röm. 8,16.) Aber zuerst müssen wir die Gabe Gottes annehmen. - Wenn dem so ist, wie kann man sich da die Tatsache erklären, dass so viele Tausende, oder soll ich sagen, so viele Millionen Menschen, unter denen, welche die frohe Botschaft verkündigen hören (ich beschäftige mich hier nur mit diesen), die Gabe Gottes nicht annehmen? Das kann sehr verschiedene Gründe haben. Viele Leute nehmen die Gabe nicht an, weil sie ihr gar keinen Wert beilegen, es liegt ihnen nichts an dem Heil und der Seligkeit, während doch ihre unsinnige Gleichgültigkeit zur Genüge beweist, wie sehr sie des Heils bedürftig sind. Andere glauben gar nicht, dass Gott wirklich Seinen Sohn der Welt gab. Diese befinden sich wahrscheinlich nicht hier unter meinen Zuhörern, und es ist nicht nötig, dass ich mich an sie anders wende, als um ihnen zu sagen: „So Jemand will den Willen Gottes tun, der wird inne werden, ob diese Lehre von Gott sei.“ (Joh. 7,17.)
Aber wir wollen zu Anderen übergehen, Es gibt Leute, welche zuhören und aufmerksam sind, welche ihre Not fühlen und Gottes Wort nicht in Zweifel ziehen, und dennoch nicht die Gabe Gottes ergreifen. Nun sind aber der Glaube an das Wort Gottes und die Annahme der Gabe Gottes zwei Dinge, welche Hand in Hand gehen müssen. Wenn der Schüler, von dem ich euch erzählt habe, dem Worte seines Lehrers nicht geglaubt hätte, würde er selbstverständlich die Uhr nicht genommen haben; und wenn er auf der andern Seite seinem Lehrer geglaubt hätte, ohne zu nehmen, was dieser ihm anbot, so würde sein Vertrauen ihm gar nichts genützt haben. Es gibt demnach Seelen, welche glauben, aber nichts ergreifen. Warum? Die Einen, weil sie unter dem Einfluss einer sehr feinen Form des Unglaubens stehen, den sie Demut nennen. Sie sagen: „Ja, das mag für andere Sünder sein, aber nicht für mich; denn ich bin zu schlecht, mein Herz ist zu verstockt; ich habe Gott zu oft beleidigt“; oder auch: „ich bin zu leichtfertig, zu wankelmütig; man kann sich nicht auf mich verlassen.“ Als ob Gott erwartete, sich auf uns verlassen zu können! Wir müssen uns auf Ihn verlassen und weiter verlangt ER gar nichts von uns. Da schleppen diese armen Seelen sich nun dahin, seufzend, sich abarbeitend und zerquälend während Wochen, Monaten, Jahren, vielleicht ihr ganzes Leben hindurch; einige haben trotz alledem Glauben, aber sie wagen nicht dies einzugestehen, sie verlieren die Freude, den Frieden und viel von der Kraft des Glaubens; andere gelangen nie dahin, die Gabe Gottes anzunehmen.
Es gibt andere Leute, welche diese Gabe aus völlig entgegengesetzten Gründen nicht annehmen; sie sind zu stolz, sie anzunehmen, weil sie dieselbe nicht unter dem Namen „Gabe“ haben wollen. Sie müssen Gott etwas dafür geben; ihre guten Werke, oder wenigstens doch ihre guten Absichten, ihre Gebete, oder vielleicht auch ihren Schmerz über die Sünde. Hiermit will ich nicht sagen, dass diese Dinge an und für sich schlecht seien, aber sie bringen Gott dieselben wie Geld, mit welchem sie Sein Heil zu kaufen gedenken. Die Gabe Gottes verkauft sich aber nicht. Gott nimmt weder unsere Bitten und Tränen, noch unser Gold und Silber als Zahlung dafür an. Von alledem will ER nichts haben; ER will, dass wir uns Ihm nahen, arm und nackt, blind, zu Grunde gerichtet und verloren, als Leute, die nichts bieten können, als das Gebet des Zöllners: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ (Luk. 18,13.) Und wir dürfen noch hinzufügen: „Gott aber sei Dank für Seine unaussprechliche Gabe.“ (2 Kor. 9, 15.) Wie das Lied sagt:
„Ich bin nur ein Nichts, ein Elender, voll schwerer Sünd,
Doch in Allem und für Alles ich jedes Gut in Jesu find.“
Seid versichert, dass viele rechtschaffenen, ehrbaren Leute der Gnade Gottes so fern bleiben, weil der Hochmut sie hindert, sich unter demselben Namen vor Ihm in den Staub zu werfen, als die Zöllner und Sünder, als die verworfensten Frauen und die verachtetsten Menschen; unter demselben Namen als der Schächer am Kreuz, der nichts anzubieten hatte, nichts versprechen konnte, in dem nur noch ein Hauch des Lebens war, und der nur sagen konnte: „HErr, gedenke an mich!“ So lange ein Sünder sich noch widersetzt dies zu tun, kann er die Gabe Gottes nicht annehmen.
Endlich gibt es aber noch einen Grund, und vielleicht ist dies der Hauptgrund, welcher eine Menge Leute verhindert, die Gabe Gottes anzunehmen.
Dieser Grund ist: „sie haben volle Hände.“ Gott füllt nur leere Hände; wenn die unsrigen voll sind, so wird und kann Gott sie nicht füllen. Vielleicht sind sie mit Dingen gefüllt, die man gut heißt; vielleicht gar mit religiösen Werken; aber in Wahrheit, und um gleich alles in einem Wort zu sagen, sind sie voll von uns selbst; sie sind voll von dem Suchen nach uns selbst, dem Vertrauen in uns selbst, voll von eigener Weisheit, eigener Kraft, eigener Würdigkeit, eigener Ehre, usw.
Nun kommt aber Jesus Christus mit der ganz bestimmten Absicht, unser selbstsüchtiges Ich zu erniedrigen; es heraus zu werfen, selbst seine Stelle einzunehmen, und die Leitung unseres Herzens und Lebens selbst in die Hand zu nehmen; wir alle fühlen das instinktmäßig, wenn wir zu Ihm kommen, oder wenn Er uns im Evangelium angeboten wird. Man fühlt, dass man sich einem HErrn gibt, wenn man den Heiland annimmt; dass, sich Ihm überlassen, um Seine Vergebung zu erlangen, nichts anders ist, als sich Ihm überlassen, um Seinen Willen zu tun. Aber wie oft bleibt man nun dabei stehen und fragt sich, was ist nun besser, Christi Wille, oder mein eigener? Wo werde ich die wahre Freiheit finden, in Christi Willen, oder in meinem eigenen? Wo wird das Glück sein, in der Erfüllung Seines Willens, oder in der meines eigenen? Was gewährt dem Herzen das sanfteste Leben, ein Leben voll Liebe und zarter Sorgfalt, Christi Wille oder mein eigener Wille? Manchmal bedarf es Jahre, um über diesen Punkt zu einem bestimmten Schluss zu kommen. Welches Geheimnis! Wie muss doch die Sünde und ihre Torheit Besitz von uns genommen haben, dass wir auch nur einen Augenblick schwanken können, zwischen unserm Willen und dem Willen Gottes, des allein weisen und allmächtigen Gottes, des Gottes, der die Liebe ist!
O meine Brüder, haben nicht vielleicht Manche unter uns aus diesem Grunde die Gabe Gottes nicht angenommen? Sie haben volle Hände und wollen nicht los lassen, was sie halten. Soll dies denn heißen, dass man sich in gewisse Zustände hineinarbeiten müsse, um die frohe Botschaft annehmen zu können? Nein; wenn Jemand wirklich entschlossen ist, Christum anzunehmen, so wird er in demselben Augenblick, wo er den Heiland ergreift, Alles loslassen, was ihm die Hände füllt. Wenn ein Mensch zu Christo kommt, kehrt er sich um zu Gott: das ist die Bedeutung des Wortes Buße. Was ist die Buße, welche mit dem Glauben Hand in Hand geht? Ist es eine Art Gefühl, in das wir uns hineinarbeiten müssen, ehe wir glauben? Ganz gewiss nicht. Man versteht jetzt allgemein sehr wohl, dass Buße tun, einfach bedeutet, „sich umkehren zu Gott.“ As Jesus anfing zu predigen, fasste ER Seine Lehre kurz in diese beiden Worte: „Tut Buße, und glaubt an das Evangelium.“ (Mark. 1,15.) Ebenso sagt der Apostel Paulus, als er die Ältesten von Ephesus an seine Arbeiten in ihrer Gemeinde erinnert: „Ich habe euch gelehrt öffentlich und sonderlich; die Buße zu Gott und den Glauben an unsern HErrn Jesum Christum.“ (Apostelg. 20,20.21.) Mit andern Worten: „Kehrt euch um zu Gott und nehmt, was Seine Liebe euch gibt.“ Beide Dinge müssen zusammen gehen. Nehmt an, ich lege ein Geschenk auf diesen Tisch, es ist für einen von euch, der mir den Rücken dreht, bestimmt, z. B. für diesen Stenographen, der sich dort unten an der Fensterbank Notizen macht. Wenn er mein Geschenk annehmen will, so muss er sich umkehren und es nehmen; es genügt nicht, dass er meine Stimme hinter sich hört und den Wunsch hat, den Gegenstand zu besitzen. Auf der andern Seite aber, werde ich sicher nicht, wenn er es nimmt, zu ihm gehen und sagen: „Warten Sie ein wenig; sind Sie ganz sicher, dass Sie sich umgekehrt haben?“ Es versteht sich von selbst, dass er das getan hat, der Beweis dafür ist, dass er den Gegenstand genommen hat.
Ebenso ist die Gabe Gottes in Gottes Hand, und der natürliche Mensch kehrt Gott den Rücken. Gott ruft ihm und sagt: „Hier, das gebe ich dir!“ So lange der Mensch von Gottes Gabe nichts wissen will, solange er Gott nicht hören und von Gott nicht abhängen will, beharrt er darin, fern von Gott zu fliehen. Er tut nicht Buße, er glaubt nicht. Aber von dem Augenblick an, wo er dem Worte Gottes glaubt und Christum als seinen Heiland annimmt, hat er sich zu Gott umgekehrt - und das ist die Buße. Bis er sein Gesicht - ich will sagen sein Herz, sein Leben - zu Gott umgekehrt hat, hat er gut von Glauben reden, er glaubt doch nicht. Er führt ein Leben nach seinem eignen Willen, das heißt, ein Leben voll Ungehorsam und Unglaube, selbst wenn er mit der Bibel unterm Arm dem Verderben entgegen ginge.
Das ist die praktische Frage, welche beantwortet werden muss: „Wollt ihr die Gabe Gottes nehmen? Wollt ihr euch umkehren, um sie zu nehmen? Wollt ihr, anstatt auf euer Vorhaben, auf die Pläne, die ihr euch gemacht, zu sehen, eurem Vater in die Augen schauen und zu Ihm sagen: „Siehe, ich komme, Deine Gnade anzunehmen und zu tun, Gott, Deinen Willen.“ Wenn dem so ist, so ist die Gabe Gottes euer, und ihr könnt des von heute an ganz sicher sein.
Hier stellt sich manchmal eine ernstliche Schwierigkeit dar. Viele meinen, dass, wenn sie die Gabe Gottes angenommen und gesagt haben: „Sie gehört mir!“ sie nun auch unbeschreibliche Gefühle haben müssten; sie bilden sich ein, es müsste sich etwas ganz Neues mit ihnen ereignen, und meinen, feurige Zungen müssten plötzlich auf sie vom Himmel herab kommen. Nichts dergleichen ist uns verheißen. Die Gabe Gottes ist für euch, und hier ist sie; nehmt sie im Gebet im Namen Christi, als euer Eigentum in Anspruch; glaubt, dass sie euch gehört, und macht sogleich Gebrauch davon; das ist das Mittel zu wissen, ob sie euch gehört oder nicht. Wenn der kleine Knabe, von dem wir heute so oft gesprochen haben, später jemals Zweifel hatte, über die Wirklichkeit des Geschenks, welches man ihm gegeben, so hatte er nur die Uhr aus der Tasche zu ziehen und darauf zu sehen, welche Zeit es war. Gerade so ist es, wenn ihr noch zweifelt, dass Christus euer ist, bedient euch Seiner, stellt Ihn auf die Probe.
Zum Beispiel, es fährt euch Jemand zornig an, oder macht euch eine unangenehme Bemerkung; anstatt euch dann zu sagen: „Warum habe ich nicht einen besseren Charakter, um dies Alles mit Geduld zu tragen!“ erinnert euch daran, dass ihr einen Heiland bei euch habt. Redet mit Ihm, verlasst euch auf Ihn, und ihr werdet sehen, dass anstatt einer gereizten Antwort, oder einer dieser noch viel schlimmeren Antworten, die einen Beigeschmack von Honig und Essig haben, ihr nur sanfte Worte auf den Lippen, und eine friedfertige Gesinnung im Herzen habt, und ihr werdet euch fragen: „Woher kommt das?“ Das kommt vom HErrn Jesu Christo. Dann werdet ihr anfangen, bei euch zu denken: Nun, ER ist trotz alledem wirklich mein.“
Von nun an ist Alles, was ER hat, euer. Seine Gerechtigkeit ist euer, und ihr nehmt in Ihm vor Gott die Stellung eines gerechtfertigten Kindes ein. Seine Kraft, Seine Geduld, Sein Licht, Seine Liebe, Alles gehört euch, wenn ihr Ihn wirklich als Gottes Gabe für eure Seele annehmt. Indessen, meine Brüder, wenn wir auf den Grund der Sache gehen, müssen wir fragen, können wir das von uns selbst tun? Genügt es, dass man uns auf unsern Willen hinweist, damit wir des Heils, selbst unter dem Namen einer unverdienten Gabe seitens Gottes, sicher seien? Habt ihr versucht, es zu tun? Und wenn ihr es versucht habt, habt ihr dann nicht bemerkt, dass gerade dieser Wille am meisten nötig hat, in uns geändert zu werden? Und seid ihr dann nicht glücklich gewesen zu wissen, dass in dem Worte Gottes eine Erklärung steht wie diese: „Gott ist es, der in euch wirkt das Wollen“ (Phil. 2,13.)? Ist es euch dann nicht oft begegnet, dass ihr ausgerufen habt: „Ach, wenn ich wenigstens aufrichtig wollte! Man sagt mir, dass das Ganze sei „zu wollen“; ja, aber das Wollen ist Alles; mein Unglück, meine Sünde ist, dass ich nicht will.“ Bedenkt zwei Dinge: zuerst dürft ihr nicht erwarten, dass Gott sich an eure Stelle setzt, in dem Sinn, dass ER für euch will und ihr nichts zu tun habt. Es gibt Christen, welche, besonders in dieser letzten Zeit, gefürchtet haben, dass die Stelle, die man in der evangelischen Predigt dem Geist Gottes eingeräumt hat, die menschliche Persönlichkeit vernichtet. Darin liegt sicher ein Irrtum, der sorgfältig vermieden werden muss. Gott übernimmt es sicher nicht, für euch zu glauben, für euch zu vertrauen, für euch zu wollen und zu handeln. Zu gleicher Zeit aber ist ER stets bereit, euch fähig zu machen zu glauben, zu vertrauen, zu wollen und zu handeln. Wie denn? werdet ihr fragen. Durch den Heiligen Geist. ER gibt den Heiligen Geist allen denen, die Ihn darum bitten. Der Heilige Geist ist ganz besonders dazu gesandt, uns zum Wollen zu bewegen, Christum unsern Seelen zu zeigen, unsere Seelen zu Christo zu führen, so nämlich, dass wir gezwungen würden, uns zu Ihm umzukehren und auszurufen: „Mein HErr und mein Gott!“
„Niemand kann Jesum einen HErrn heißen, ohne durch den Heiligen Geist“ (1 Kor. 12, 3.), sagt der Apostel Paulus; natürlich ist hier gemeint, dass man es mit Aufrichtigkeit sage; denn der Apostel hat sicher nicht die Absicht zu lehren, dass man des Heiligen Geistes bedarf, um mit den Lippen nur zu sagen, dass Jesus der HErr ist. Die Frömmigkeit, welche nur in Worten besteht, ist zu allen Zeiten da gewesen. Hört, was der Apostel Johannes darüber sagt: „So wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit Ihm haben, und wandeln in Finsternis, so lügen wir.“ (1 Joh. 1,6.) Nun, meine Brüder, wollt ihr an euch selbst verzweifeln? Wollt ihr zu Gott kommen und Ihm sagen: „Das Fleisch ist selbst unfähig, den Geist anzunehmen; der Geist allein kann den Geist annehmen. Du, mein Gott, musst in mir wohnen, damit ich verlangen könne, damit ich wollen, beten und glauben, und Alles tun könne, was gut ist.“ Dann wird dieser Geist umsonst gegeben werden, er wird jetzt gegeben werden, jedem gegeben werden, der darum bittet; selbst wenn sein Herz schlecht und hart ist, selbst wenn er hundert Mal, tausend Mal versucht hat, in Gottes Wegen zu wandeln, und doch gefallen ist. Wenn wir gefallen sind, so liegt das daran, dass wir uns auf uns selbst verließen. Wenn wir auf den HErrn, auf Sein Blut, auf Sein Wort, auf Seinen Geist, auf Seine Gnade unser Vertrauen setzen, dann werden wir nicht, dann können wir nicht zu Schanden werden.