Monod, Adolphe - Tanz und Märtyrertod.

Monod, Adolphe - Tanz und Märtyrertod.

Zweite Rede über den Tod Johannis des Täufers.

Und es kam vor den König Herodes und er sprach: Johannes der Täufer ist von den Toten auferstanden, darum wirkt er solche Taten. Etliche aber sprachen: Er ist Elias; Etliche aber: Er ist ein Prophet, wie der anderen Propheten einer. Da es aber Herodes hörte, sprach er: Es ist Johannes, den ich enthauptet habe; der ist von den Toten auferstanden. Denn er, Herodes, hatte ausgesandt und Johannem gegriffen und ins Gefängnis gelegt um Herodias willen, seines Bruders Philippi Weib; denn er hatte gefreit. Johannes aber sprach zu Herodes: Es ist nicht recht, dass du deines Bruders Weib hast. Herodias aber stellte ihm nach und wollte ihn töten und konnte nicht. Denn Herodes fürchtete Johannem, weil er wusste, dass er ein frommer und heiliger Mann war, und verwahrte ihn und gehorchte ihm in vielen Sachen und hörte ihn gern Und es kam ein gelegener Tag, da Herodes auf seinem Geburtstag ein Abendmahl gab seinen Großen und den Hauptleuten und Vornehmsten in Galiläa. Da trat hinein die Tochter der Herodias und tanzte und gefiel wohl dem Herodes und denen die am Tische saßen. Da sprach der König zum Mägdlein: Bitte von mir, was du willst, ich will dirs geben. Und er schwur ihr: Was du wirst von mir bitten, will ich dir geben, bis an die Hälfte meines Königreichs. Sie ging hinaus und sprach zu ihrer Mutter: Was soll ich bitten? Die sprach: Das Haupt Johannis des Täufers. Und sie ging alsbald hinein mit Eile zum König, bat und sprach: Ich will, dass du mir gibst jetzt sogleich auf einer Schüssel das Haupt Johannis des Täufers. Und der König ward sehr betrübt; doch um des Eides willen und derer, die am Tische saßen, wollte er sie nicht lassen eine Fehlbitte tun. Und alsbald schickte hin der König einen Trabanten und hieß sein Haupt herbringen. Der ging hin und enthauptete ihn im Gefängnis und trug her sein Haupt auf einer Schüssel und gabs dem Mägdlein, und das Mägdlein gabs ihrer Mutter. Und da das seine Jünger hörten, kamen sie und nahmen seinen Leichnam und legten ihn in ein Grab.
Mark. 6,14-29.

Die Geschichte der Kirche ist zwar voll von Verbrechen der Welt gegen die Knechte Gottes; die eben verlesene Erzählung jedoch zeigt uns eine Missetat ganz besonderer Art. Wenn ein eifersüchtiger Bruder sich wider Abel erhebt und ihn tot schlägt; wenn ein zorniger König sein Volk anreizt, den treuen Zacharias zu steinigen; wenn ein Tyrann die Gunst der Juden dadurch zu gewinnen sucht, dass er den Apostel Jakobus dem Schwert überliefert; wenn ein ungerechter Landpfleger Jesum von Nazareth opfert, um sich in seinem Amt zu behaupten, so ist das ohne Zweifel schrecklich, kann indes in der Eifersucht, im Stolz, in der Politik, im Ehrgeiz, in der Furcht, seine Erklärung finden. Fällt aber das Haupt eines Propheten durch einen Fürsten, den nicht der Zorn hinreißt, sondern ein lebhaftes Bedauern dabei ergreift, der den Gemordeten achtet, für gerecht und heilig hält, ihn gern hört und bis dahin gegen den Hass derjenigen schützte, welchen er ihn heute ausliefert; wird dann dieses Haupt während eines Festmahls auf einer Schüssel herbeigetragen und einer Tänzerin zur Belohnung überreicht, deren kindlicher Gehorsam es eiligst ihrer Mutter darbietet, so liegt darin ein Widerspruch, der uns schaudern macht, den Leser mit Schrecken wie mit Erstaunen erfüllt.

Ist dies Erstaunen aber auch hinlänglich gerechtfertigt? Ist dieser Widerspruch auch wirklich vorhanden? Sollte zwischen diesem abgehauenen Haupt und diesem Tanz kein geheimer Zusammenhang bestehen? Gewiss, denn das, was euch in Erstaunen versetzt, wurde vorausgesehen und überlegt, jener Tanz als ein letztes Mittel, dies Haupt zu erlangen, auserwählt. Habt ihr nicht in der Erzählung unseres Evangelisten eines jener Wörtlein bemerkt, an denen man die Feder des Heiligen Geistes erkennt: „Und es kam ein gelegener Tag?“ Herodias verlangte nach dem Haupt des Täufers und hat oft darum gebeten, ohne bis jetzt den Widerstand des Herodes überwinden noch seine Wachsamkeit täuschen zu können. Aber nun kommt ein gelegener Tag zur Ausführung ihrer Absichten und dieser Tag ist der Geburtstag des Herodes. Ein gelegener Tag, um dem Täufer Johannes das Haupt abschlagen zu lassen? Pflegte man doch an einem solchen Tag den größten Verbrechern Gnade zu erweisen! Doch lasset sie gewähren; sie versteht das besser als ihr. Für sie ists ein gelegener Tag, weil er ihr Gelegenheit verschafft, ihre Tochter vor Herodes tanzen zu lassen; der Tanz der Salome1) wird das Übrige tun. Wir dürfen jedoch der Herodias nicht die Ehre, diesen Plan ausgedacht zu haben, zuschreiben; sie gebührt vor allem dem Teufel, der sie antreibt und dessen Einfluss in dieser Geschichte so sichtbar ist. Diesen Sieg, den der Teufel so gern über das Herz des Herodes erlangen möchte, damit er seine Zustimmung zur Enthauptung des Täufers gebe, hat er bis jetzt weder durch den Zorn des Herodes, noch durch die Bitten der Herodias gewinnen können; er erlangt ihn endlich durch den Tanz der Salome. Wie dies zugegangen, lasst uns jetzt untersuchen.

Ich predige jedoch nicht für Herodes, für Salome und Herodias, ach, sie sind hingegangen, um ihrem Richter Rechenschaft abzulegen; sondern für euch, die ihr noch in der Zeit der Prüfung lebt, will ich meinen Text anwenden. Glaubt nicht, Herodes, Salome und Herodias seien eingebildete Persönlichkeiten, mit denen ihr nichts gemein hättet; behandelt die Erzählungen der Bibel nicht wie die Abenteuer eines Romans oder Theaterszenen. „Es gibt nichts Neues unter der Sonne.“

Wenn nach dem Apostel Jakobus (Jak. 5,17) die größten Heiligen Menschen sind wie wir, deren Tugenden wir nachahmen können, so sind auch die größten Verbrecher Menschen, deren Geschichte uns als heilsame Warnung dienen kann, weil die Lüste, die bei ihnen zu ihrer vollkommenen Entwicklung gelangt sind, im Keim auch in unseren Herzen sich vorfinden. „Dies ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir uns nicht des Bösen gelüsten lassen, wie jener etliche gelüstet hat.“ Wir wollen es daher nicht bei der Untersuchung bewenden lassen, wie der Tanz der Salome den Herodes hat zum Verbrechen verleiten können; sondern wir wollen aus diesem Beispiel ersehen, welches die bösen Neigungen sind, die durch den Weltsinn und besonders durch die Zerstreuungssucht erzeugt oder weiter entwickelt werden.

Ich sage die Zerstreuungssucht im Allgemeinen und nicht bloß die besondere Art, welche uns die Heilige Schrift bei der Salome offenbart. Vielleicht erwartet ihr, dass ich über den Tanz predigen und allerlei Fragen behandeln werde, als da sind: Ist der Tanz an sich verwerflich? 2) Gibt es nicht gewisse gesellige Zusammenkünfte, wo man an diesem Vergnügen ohne Gefahr Teil nehmen kann? Gibt es nicht gewisse Verhältnisse, die uns berechtigen, ja sogar verpflichten, uns daran zu beteiligen? Vielleicht sind auch Einige hierhergekommen, um „meine Freiheit in Christo zu verkundschaften“, um zu sehen, ob ich mich nicht einer Übertreibung schuldig mache, die ihnen Gelegenheit böte, über mein Amt zu lästern und umso dreister sich ihrer weltlichen Gesinnung hinzugeben. Von dem allen will ich hier nicht reden; ich bin ein Diener Jesu Christi, nicht um euch allerlei seltsame Dinge, sondern Nützliches und Erbauliches vorzutragen. Es ist wohl Sache eines Gewissensrates, aber nicht der Bibel, sich in Einzelheiten über irgendeinen besonderen Fall einzulassen, oder eine scharfe Grenzlinie zwischen Erlaubtem oder Unerlaubtem zu ziehen. Die Bibel leitet uns nicht durch einzelne Vorschriften, sondern durch Grundsätze; sie hat Regeln für das Herz nicht aber für Hände und Füße. Sie sagt uns: Habt nicht lieb die Welt; „habt nicht lieb, beachtet diesen Ausdruck wohl, und nicht, tut dies oder das nicht. Sie bereitet, das Herz, aus welchem das Leben geht,“ und dann überlässt sie dem Herzen die Sorge, die Handlungen zu regeln. Ihren Grundsätzen getreu, greife ich die Zerstreuungssucht in eurem Herzen an, und will euch zeigen, wie sie Sünden gebiert, von denen ihr euch vielleicht völlig frei wähntet, wie der Tanz der Salome jenes Verbrechen des Herodes erzeugt, mit dem derselbe für einen oberflächlichen Beobachter im Gegensatz zu stehen scheint.

Wir wollen dem Gang folgen, den uns unsre Geschichte selbst, sowie sie uns durch den Heiligen Geist erzählt wird, vorzeichnet. Eine sorgfältige Prüfung wird uns jede Stufe dieses so raschen und merkwürdigen Übergangs aufdecken, wird uns zeigen, wie der Tanz der Salome den Herodes von einem unübersteiglichen Widerwillen gegen einen solchen Mord zu einer feigen Nachgiebigkeit gelangen ließ.

Herodes hatte nur Männer zu Gästen; die Sitten des Altertums schlossen die Frauen von solchen Zusammenkünften aus. Aber gegen das Ende des Mahles schickt Herodias, die der Evangelist uns so darstellt, dass sie, obwohl abwesend, doch das ganze Fest leitet, ihre Tochter, um vor Herodes und seinem Hof zu tanzen. Nach einer römischen Sitte, die leicht in das Haus der Herodes, dieser gefälligen Kreaturen des Kaisers, eindringen konnte, pflegten öffentliche Tänzerinnen während der Feste ihre Kunst zu zeigen. Abgesehen davon, dass solche Tänze die Schamhaftigkeit verletzen mussten, war schon das Erscheinen dieses jungen Mädchens in einem solchen Augenblick, fern von den Augen ihrer Mutter und an einem Ort, der sich nur für eigentliche Tänzerinnen schickte, ein ziemlich großes Vergessen alles Anstandes sowohl für ihr Alter als für ihr Geschlecht. Ein Vergessen, sage ich; aber ein Vergessen, bei dem Alles darauf berechnet ist, den Herodes dahin zu bringen, dass er sich selbst vergisst und so selbst den ersten Schritt auf dem Weg tut, der ihn zum Mord führen soll. Dieser erste Schritt ist der Sinnenrausch. „Sie gefiel wohl dem Herodes, und denen, die am Tische saßen. Da sprach der König zum Mägdlein: „Bitte von mir, was du willst, ich will dirs geben.“

Hier sehen wir den Herodes, wie er, entzückt und bezaubert in einem Freudenrausch, den er nicht zu beherrschen versteht, ausruft: „Bitte von mir, was du willst, so will ich dirs geben.“ Er ist nicht mehr Herr seines Herzens; er ist ganz der Vergötterung einer Kreatur anheimgefallen; wenn aber das menschliche Herz, namentlich das Herz eines Herodes, einmal Kreaturen vergöttert, so ist dies eine allen Lüsten offen stehende Tür. Wer ist denn diese Salome, und woher kommt sie? Was hat die Tochter des Philippus im Palast des Herodes zu schaffen? Geht sie nicht in Ehebruch und Blutschande den Weg ihrer Mutter? Ihr Anblick erinnert den Herodes lebhaft an seine Freuden, oder richtiger gesagt, an seine ganze Schande - doch, ich scheue mich den Schmutz anzurühren, der sich in dieser fleischlichen und gemeinen Seele angehäuft hat. Die meisten Ausleger nehmen an, Herodes sei in diesem Augenblick von Wein berauscht gewesen; sie können sich seine unwürdige Nachgiebigkeit und den Umstand, dass Salome so dringend von ihm die Erfüllung ihres Wunsches noch während des Festes fordert, gleich als fürchtete sie, ihm einen Augenblick ruhiger Besinnung zu lassen, nicht anders erklären. Diese Annahme hat nichts Unwahrscheinliches3), sie ist jedoch nicht nötig, um uns den Sinnenrausch des Herodes zu erklären. Ist er nicht weintrunken, so hat ihm doch der Tanz der Salome seine Sinne berauscht; so haben Wohlgefallen, Bewunderung und Begierde es getan. Herodes ist seiner nicht mehr mächtig; er verspricht Alles und überlässt es der Kreatur, die ihn bezaubert hat, den Sinn und Umfang seiner Versprechungen zu bestimmen.

Meine lieben Brüder, solche Gelegenheiten, solche Ideenverbindungen, solche Befleckungen sind, Gott sei Dank, euch fern. Aber hütet euch! Unser Herz steht allem Bösen offen; die sorgfältigste Wachsamkeit genügt kaum, um uns davor zu bewahren, und diese Wachsamkeit, dieser Zügel des Fleisches, wird uns durch die Zerstreuung geraubt. Sie berauscht uns wie den Herodes, selbst dann, wenn sie uns nicht zu so entsetzlichen Verbrechen fortreißt.

Ja, die Zerstreuung berauscht uns. Es steht geschrieben: „Behüte dein Herz mit allem Fleiß;“ aber die Zerstreuung bewirkt, dass wir uns selbst verlieren. Sie betäubt unseren Geist, erhitzt unsere Sinne und entflammt unsere Einbildungskraft. Wie kann man bei einer Lustpartie wachen? Wie kann man sein Herz behüten, wenn man es aus freien Stücken tausend Gegenständen aussetzt, die sich um die Ehre, es zu besitzen, streiten? Um wachen zu können, muss der Geist frei sein und über das Fleisch siegen, muss das Unsichtbare über das Sichtbare herrschen. Die Zerstreuung aber unterwirft den Geist dem Fleisch; sie drängt das Unsichtbare in den Hintergrund, während sie das Sichtbare herbeiruft und sich so ganz damit umgibt, dass alle Blicke des Leibes und der Seele darauf gerichtet bleiben. Ach, lassen dich denn jene Gespräche. jene Schauspiele, jene Aufmerksamkeiten, an denen die weltlichen Zusammenkünfte so reich sind, unter so Vielen allein ruhig, verständig und gesammelt? Ließen sie dich wirklich in dieser Gemütsverfassung, so würdest du für die Welt nicht taugen; sie wäre in ihrem Recht, wenn sie dich als „ein unnützes Fahrzeug und einen lästigen Tadler“ wegwürfen.

Und dies ist noch nicht Alles, die Ähnlichkeit geht noch weiter. Bei uns, wie bei Herodes nimmt dieser Sinnenrausch leicht einen fleischlichen Charakter an. „Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch.“ Darf ich mich ganz unverhohlen aussprechen? Ja, ich will es in aller Kürze tun und eurem Gewissen es überlassen, diesen zarten Gegenstand weiterzuentwickeln. Die Zerstreuung sucht schon im Geheimen das Herz zu vergiften. Sie hat bereits bei Manchem den ganzen Wandel befleckt, und wenn man auf den Ursprung vieler Ausschweifungen zurückgeht, so zeigt sich, dass sie in jenen geselligen Vereinigungen entstanden, wo die Zerstreuung herrscht, und zwar eine Zerstreuung, die man vielleicht für unschuldig und erlaubt hält. Selbst die Sprache der Welt beweist dies; denn derjenige, welchen sie einen „Lebemann“ nennt, hat fast immer aufgehört, ein rechtschaffener Mann zu sein. Jedoch, ich wende mich an euch, die ihr euch, wie ich gern glauben will, vor diesem Äußersten gehütet habt. Antwortet mir, die Hand aufs Herz, hat die Zerstreuung nichts, was die Reinheit der Gefühle trübt? Bei Herzen, wie die unserigen, die stehenden Wassern gleichen, welche, in Bewegung gesetzt, irgendeinen ansteckenden Stoff aushauchen. bei solchen Herzen sollte jene Berauschung, jene Aufregung, die uns zur Kreatur und zwar zu einer gleichfalls erregten Kreatur hinzieht, ohne alle Trübung und ohne böse Gedanken abgehen? Ist denn ein Ball- oder Theatersaal der bestgewählte Ort, um „durch den Geist. des Fleisches Geschäfte zu töten?“ Der Geist spricht: „Enthaltet euch von fleischlichen Lüsten, die wider die Seele streiten;“ die Zerstreuung aber sagt: Gebt euch ihnen hin. Seht ihr nicht, wie die Unkeuschheit mehr als ein Wort eingibt, mehr als einen Wunsch einflößt, mehr als einen Blick leitet, mehr als ein Kleid zuschneidet? Und wenn in euren weltlichen Zusammenkünften die Herzen sich plötzlich öffneten und ihre geheimsten Gedanken offenbarten, wie aus einem gespaltenen Boden widerwärtige Schlangen hervorkriechen, glaubt ihr nicht, dass dieses Schauspiel, so hässlich es auch überall ist, hier doch noch hässlicher wäre als anderswo? Ihr Jünglinge, ihr Jungfrauen, täuscht euch nicht! Die Zerstreuungen der Welt sind eine Versuchung, die, wenn sie ehrbar sind, nur umso gefährlicher ist. Der Versucher hat gröbere Lockspeisen für Seelen, die halb verloren sind und das Erröten nicht mehr kennen; aber hier wagt er sich an Seelen, die, wie die eurigen, Liebe zum Guten besitzen, hier schleicht er sich ein, um sie unvermerkt davon abzuwenden. Wollt ihr euer Herz von der Welt unbefleckt erhalten? Glaubt mir und richtet es anderswohin.

Die von der Höllenglut entflammte Zunge des Herodes wird immer unbändiger in ihrem wilden Lauf und jene glühenden Worte, die sie soeben ausgestoßen: „Bitte von mir, was du willst, ich will dirs geben,“ genügen schon dem Feuer nicht mehr, das sie verzehrt. Er muss sein unbesonnenes Versprechen mit größerer Bestimmtheit und Feierlichkeit wiederholen. Er schwört: „Was du wirst von mir bitten, will ich dir geben, bis an die Hälfte meines Königreichs.“ „Du Unglücklicher!“ Was hat denn der Name Gottes mit einem solchen Versprechen, einer solchen Person gegenüber und in einem solchen Augenblick zu schaffen? Genügte dein verwegenes Ja noch nicht, konntest du uns nicht mit dieser Entheiligung des göttlichen Namens verschonen?

Doch Herodes versteht diese Sprache nicht mehr. Gestern noch hatte er sie verstanden; gestern bewahrte er noch einige Achtung für das Heilige; gestern hörte er Johannes den Täufer gern und tat Vieles nach seinem Rat; aber heute hat der Tanz der Salome Alles geändert. Durch den Sinnenrausch, den dieses Mädchen in ihm erregt, hat er Gott dermaßen aus den Augen verloren, dass er Seinen Namen unnütz führt, und nicht einmal an Ihn denkt. Die Gottesvergessenheit ist also sein zweiter Schritt zum Mord. Und wie sollte man nicht Gottes vergessen, wenn man angefangen hat, sich selbst zu vergessen. Wäre die Frömmigkeit des Herodes selbst bis heute eine echte gewesen, wie hätte er den Geist des Gebets bewahren können, nachdem er den Geist der Wachsamkeit, der demselben zur Stütze dient, verloren hatte? Ja, wie konnte er bei einem solchen Schauspiel Gott anrufen! Wie kann er an Gott in einem Augenblick denken, wo er seine Blicke an der Anmut der Salome, die ihren schmachvollen Ruhm vor dem ganzen Hof zur Schau stellt, weidet? Ach, die erste in seinem Herzen auftauchende Regung aufrichtiger Frömmigkeit würde ihn an einen so gehässigen Gegensatz erinnern, dass er ihn nicht ertragen könnte. Alles um ihn her bemüht sich, wetteifert, eine Tänzerin zu feiern; und doch schmachtet in seiner nächsten Nähe, neben seinem Palast, wohl gar im Palast selbst, Johannes der Täufer in seinem Kerker! Der kann in seinem Gefängnis beten! aber Herodes und sein Hof vermögen es nicht; sind sie noch einer Verehrung fähig, so wird sie der Salome gewidmet!

Ihr verdammt den Herodes wie ich; bedenkt aber, dass diese Vergnügungssucht, die uns gottvergessen macht, sich nicht auf den Palast von Machärus beschränkt. Zerstreuung und Gottlosigkeit sind immer im Bunde mit einander, weil es in der Natur der Sache also begründet ist. Wenn die Frömmigkeit nicht ohne Selbstverleugnung sein kann; wenn sie die vollständige Unterordnung des eigenen Willens unter den Willen Gottes zur Grundlage hat; wenn sie endlich im Glauben und nicht im Schauen wandelt, so kann sie nicht mit Zerstreuungen verbunden sein, die Alles dem Vergnügen unterordnen, Alles auf den eigenen Willen beziehen, Alles auf das Sichtbare und die Sinne zurückführen. Nächst den verbrecherischen Verirrungen entfernt nichts mehr unser Herz von Gott als flache und leichtsinnige Vergnügungen. Sie ersticken das Gebet, und das Gebet ist das Atmen der Seele. Darum steht geschrieben: „So Jemand die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters.“

Diese Wahrheit wird durch die Geschichte aller Zeiten bestätigt. In der wilden Erregtheit eines geräuschvollen Festes entweihte Belsazar die Gefäße des Hauses Gottes; es ist ja auch bekannt, dass die starken Geister des vorigen Jahrhunderts fast alle Lebemänner waren. Die Vergnügungssucht hat stets das Vergessen Gottes in ihrem Gefolge gehabt. Ich meine, das Vergessen des wahren Gottes; denn die Verehrung der falschen Götter, die nichts als eine vergötterte Gottlosigkeit ist, verbindet sich gerade merkwürdigerweise mit der Vergnügungssucht. So bei den Israeliten, die das goldene Kalb in der Wüste anbeteten. Aaron baute einen Altar vor dem Kalb, und sie standen des Morgens frühe auf und opferten Brandopfer und brachten Dankopfer. Danach setzte sich das Volk zu essen und zu trinken, und standen aufzuspielen. (2 Mos. 32,5 u. 6.) Die Verehrung der falschen Götter in Rom und Griechenland zeigt uns dieselbe Eigentümlichkeit, nicht minder auch, und dies ist bemerkenswert, das entartete Christentum. Die abergläubische Religion ist eine Religion des Vergnügens. Ich will nicht von den religiösen Schauspielen des Mittelalters reden, ich habe aber in keinem fremden Land das Herannahen des Weihnachts- und Osterfestes durch törichte Vergnügungen und Ausschweifungen feiern sehen. Das wahre Christentum hat ein ganz anderes Ziel. Es schafft alle diese zügellosen Zerstreuungen ab, oder vielmehr, es hat nicht einmal nötig, sie abzuschaffen; überall, wo der wahre Glaube eindringt, fallen sie von selbst, und nur dadurch, dass das Herz sich von ihnen abwendet, kann es sich an Gott anschließen.

Doch ich komme wieder zu euch und euren Vergnügungen und sage, dass, wenn man nur so billig ist, unter den Vergnügungen einen Unterschied zu machen, die gleiche Bemerkung auch hier ihre Anwendung findet. Wird die Zerstreuung zur Gewohnheit, so rückt sie uns Gott aus den Augen; mit dem Geist der Frömmigkeit hat sie nichts gemein. Nehmen wir ein Beispiel aus dem ganz gewöhnlichen Leben; um richtig verstanden zu werden, muss ich für einen Augenblick von dem Allgemeinen abgehen und ins Leben eingreifen. Betrachtet ein junges Mädchen, welches auf den Ball geht. Ist es möglich, dass sie dann ihr Herz auf Gott richtet und jenem Gebot des Heiligen Geistes nachkommt: „Betet ohne Unterlass?“ Ich sehe nicht ab, wie sie weder vor dem Fest, noch während desselben und nach demselben hierzu geneigt sein sollte.

Kann sie vor dem Fest beten, während sie ganz mit der Sorge für ihren Putz und ihren Anzug beschäftigt ist? Wollte sie sich auf die Kniee niederlassen, so müsste sie fürchten, eine Falte ihres Kleides oder ihres Kopfputzes zu verderben? Wozu auch niederknien? Treu jenem Gebot: Ihr esst nun oder trinkt, oder was ihr tut, so tut es Alles zu Gottes Ehre,“ müsste sie um die Gnade bitten, Gott in dem, was sie tun will, zu verherrlichen; müsste sie den Segen des Heiligen Geistes anrufen für…. Ich vollende den Gedanken nicht; es könnte den Anschein haben, als wollten wir über heilige Dinge spotten.

Wäre es aber auch möglich, dass der Herr dich bis an die Tür begleitete, wird Er dir weiter folgen? Kannst du in Ihm bleiben und Er in dir während des Geräusches und der Lust! Ach, wolltest du einen Kranken besuchen, einen Notleidenden unterstützen, eine trauernde Familie trösten, oder eine Seele, die noch an der Welt hängt, ermahnen, Alles zu verlassen, um dem Herrn zu dienen, so würde der Herr dir sicherlich folgen; aber hier, wo dein ganzes Bestreben dahin geht, zu gefallen, dich und Andere zu betäuben und Dich mit ihnen der Weltliebe zu überlassen, ach, hier wäre die Gegenwart des Herrn lästig; wenn du die Schwelle des Tanzsaales überschreitest, musst du Ihm sagen: Bleibe; wo ich hingehe, kannst du mir nicht folgen.

Oder findest du Ihn, wenn du heimkehrst? Gewiss, du findest Ihn, du findest Ihn überall, trotz deiner Kälte und Ungerechtigkeit, wenn du Ihn von ganzem Herzen suchst. Glaubst du aber jene Inbrunst des Herzens bei der Heimkehr von einem Ball zu besitzen? Solltest du wohl, wenn du die Nacht zum Tag gemacht hast, dich der nötigen Freiheit des Geistes erfreuen, um zu Seinen Füßen zu weinen? Fürchtest du nicht, die einzelnen Szenen und Erlebnisse des Balles könnten dir wieder vor die Seele treten und dich nicht nur in deinem lauen Gebet, sondern selbst in den wirren Gedanken deines Schlummers stören? Armes Mädchen!

Salome hat das Herz des Herodes durch seinen Eid in ihrer Gewalt, und nun eilt sie als gehorsame Tochter zu ihrer Mutter, um diese zu fragen: „Was soll ich bitten?“ Und die Mutter, die von Anfang an den Untergang des Täufers beabsichtigte, die in der Leidenschaft des Herodes, in der Anmut der Salome und in ihren eigenen Reizen nur Werkzeuge ihrer Rache erblickt und jenes Wort des Herrn: „Die Kinder dieser Welt sind klüger als die Kinder des Lichts,“ bewahrheitet, und die uns in ihrem Verbrechen ein Beispiel von der Ausdauer zeigt, welche unsre Schlaffheit im Guten verklagt, diese Mutter hält schon einen Rat bereit, und antwortet ihr mit einer höllischen Geistesgegenwart: „Das Haupt Johannis des Täufers.“ Den Befehlen der Herodias gehorsam, sicherlich auch schon allmählig in ihren Geist eingeweiht, vielleicht entzückt über die Gelegenheit, sich eines so lästigen Richters ihrer liebsten Vergnügungen zu entledigen, kehrt ihre würdige Tochter eiligst in den Festsaal zurück; und während alle Gäste mit Spannung ihre Blicke auf sie richten und zu wissen verlangen, auf welche Probe sie das Versprechen des Herodes stellen wird, bringt sie ihre Bitte vor und spricht, ohne ihm Zeit zur Besinnung zu lassen: „Ich will, dass du mir gibst jetzt sogleich auf einer Schüssel das Haupt Johannis des Täufers.“

Welch ein Augenblick! Welch ein Schrei des Entsetzens müsste sich aus dem Herzen der Gäste emporringen, wenn Furchtsamkeit und Schmeichelei ihnen nicht den Mund verschlössen! Das Haupt eines Gefangenen, eines Gerechten, eines Heiligen, eines Propheten! Haben sie recht gehört? Sind die Tage Ahabs und der Isabel wiedergekehrt? Sollen sie vom Tanz zum Mord und vom Weinnebel zum Blutgeruch übergehen? Welch ein Augenblick, namentlich für Herodes! Lest auf seinem Gesicht alle Gefühle, die ihn auf einmal erregen! Überraschung, Unwille, Lust, Scham, Schrecken und das Gewissen kämpfen mit einander einen kurzen, aber entsetzlichen Kampf; der Heilige Geist stellt ihn uns als „betrübt“ dar. Bei diesem Schlag erwachte er aus dem Rausch, der sich aller seiner Sinne bemächtigt hatte. Er ist entrüstet, dass ein listiges Weib ihm eine solche Schlinge legen konnte; er zürnt mit sich selbst, dass er ein so unbesonnenes Versprechen gegeben hat. Seinem Blick stellt sich die Unschuld, die Treue, die Frömmigkeit, der heilige Beruf des Gefangenen dar. Vielleicht erinnert er sich auch in der Tiefe der Seele, dass es einen Gott gibt; vielleicht sagt er sich, dass er die Schwachheit eines Augenblicks mit den Gewissensbissen eines ganzen Lebens, wenn nicht einer Ewigkeit bezahlen muss. Alles jedoch steht der Furcht vor der öffentlichen Meinung nach. Die Furcht vor der öffentlichen Meinung ist also der dritte Schritt des Herodes zu seinem Verbrechen, und nachdem er sich einen Augenblick gegen das schreckliche Verhängnis, das ihn fortzureißen scheint, gewehrt hat, kehrt er wie ein schüchternes Lamm in die Sklaverei der Salome zurück und will sie um seines Eides willen und derer die am Tisch sitzen, keine Fehlbitte tun lassen.

„Um seines Eides willen und derer, die am Tische sitzen „- mit welcher Wahrheit zeichnet uns dies Wort das Herz des Herodes! Nicht bloß seines Eides wegen. Dass Gott hier nicht weiter in Betracht kommt, braucht kaum erwähnt zu werden. Wäre der Gedanke an Gott nicht ganz in ihm erstorben, so würde er gefürchtet haben, Ihn durch das Halten seines Versprechens mehr zu beleidigen als durch die Erfüllung desselben. Der Gerechte wird allerdings seinen Eid halten und sollte es ihm auch zum Schaden gereichen; und wenn von dem Herodes nur die Hälfte seines Königreichs gefordert worden wäre, so durfte er nicht wortbrüchig werden. Aber er durfte seinen Eid nicht zum Schaden eines Andern, nicht um den Preis eines so reinen und teuren Blutes halten wollen. Für ihn war nur eine Antwort möglich: Ich habe mich durch meinen verwegenen Eidschwur versündigt, würde aber eine zweite, weit schlimmere Sünde begehen, wenn ich ihn hielte! begnüge dich mit einem Opfer, denn ein Verbrechen konnte ich nicht versprechen. Doch nicht der Eid des Herodes ist es, der ihm die Hände bindet, sondern sein Eid und die am Tisch sitzen, die Gäste, die Zeugen seines Eides waren. Hätten ihn nur Herodias und Salome gehört, so würde er sicherlich sein Wort zurückgenommen haben; aber die Gegenwart der Gäste, das ist die zwingende Notwendigkeit, die seine zitternde Hand zum Verbrechen verurteilt.

An jedem anderen Ort hätte er vielleicht Widerstand geleistet; aber hier kann er es nicht. Nicht die öffentliche Meinung allein nötigt ihn, sondern die öffentliche Meinung an einem solchen Ort, in einem solchen Augenblick, inmitten eines weltlichen Festes und nach dem Tanz der Salome. Der Mut, der ihm allenfalls noch bleiben konnte, wird in Voraus durch seine ganze Umgebung besiegt. Wo soll man gegen die öffentliche Meinung Kraft finden, wenn Alles aufgeboten ist, ihren Beifall zu erlangen? Blickt um euch her. Herodes hat es an nichts fehlen lassen, um das Lob seiner Gäste zu erlangen. Seine Eigenliebe wurde durch jedes Opfer gesteigert, zu dem er sich, um ihren Beifall zu gewinnen, verstand. Und das ist noch nicht Alles. Mit Verletzung alles Anstandes lässt er die Tochter der Herodias vor ihnen tanzen, um zu dem Stolz des Herrschers noch die Eitelkeit des Gatten und Vaters hinzuzufügen. Kann man sich da noch wundern, dass jene elende Ruhmsucht sich bis zum Wahnsinn steigert, und dass die öffentliche Meinung, die man „die Königin der Welt“ genannt hat, am Fest des Herodes vollständig Herrscherin ist? Und wenn nun der Augenblick für ihn gekommen ist, wo er augenblicklich zwischen dem Verbrechen und der falschen Scham wählen muss; wenn alle von ihm und seiner Tochter entzückten Gäste ihn beobachten, ob er seinem Versprechen bis ans Ende treu bleiben wird; wenn sie, die Zeugen des Verlangens der Salome, mit erhöhter Spannung abwarten, ob er sich bei dem fürchterlichen Spiel besiegen lassen wird oder nicht, und ob er den Mut hat, Alles, selbst das Haupt eines Propheten der Ehre seines Wortes zu opfern; wenn man sich anblickt, sich zuflüstert: wird er es wagen oder nicht?… Hörst du es, Herodes? man zweifelt, ob du es wagst! Mut! Es ist jetzt Zeit, ihnen zu zeigen, dass ein Mensch wie du Alles wagt und vor nichts zurückschreckt. Es ist geschehen, sei außer Sorgen, Herodias, der Sieg ist dein. Herodes hat ein Versprechen gegeben, er nimmt es nicht zurück. Der Trabant ist abgegangen, der das letzte Festgericht auftragen soll.

Aber sind denn die Gäste, die das Werk der Herodias vollenden, ebenso barbarisch wie sie? Teilen sie ihren Hass und ihren Durst nach dem Blut des Propheten? Nein, die meisten schaudert ohne Zweifel vor dem Schauspiel, das man ihnen bereitet. Ihr Feigen, warum sprecht ihr denn nicht! Was Herodes jetzt tun will, das tut er für euch. Er braucht nur zu sehen, dass ihr dies schreckliche Opfer nicht verlangt, und es wird ihm ein Gefallen damit geschehen, seine Hand zurückziehen zu können. Es bedarf nur eines Lautes, eines Wortes, vielleicht nur eines Ausrufs, um ihm das Verbrechen zu ersparen und ein so teures, so heiliges Haupt zu retten! Aber nein, sie fürchten sich, fürchten sich ohne Zweifel vor der Herodias, aber auch vor der öffentlichen Meinung. Da sie dieselbe Luft der Weltlichkeit und Eigenliebe einatmen, welche den Herodes umgibt, so empfinden sie selber die Besorgnis, die sie ihm einflößen. Er befiehlt mit Seufzen das Verbrechen, weil er sich vor ihrer Meinung fürchtet, und sie lassen es mit Bedauern geschehen, weil sie seine und ihre gegenseitige Meinung fürchten. Und so tut man, um sich wechselseitig zu gefallen, auf beiden Seiten das, was dem Einen wie dem Andern missfällt. O Torheit!

Ja, meine Freunde, denn es verlangt mich, zu euch zurückzukehren und auf euch den Satz anzuwenden, dass die Zerstreuung uns zu Knechten der öffentlichen Meinung macht. Sie nährt in dem Herzen die Furcht vor dem Tadel und das Streben nach Lobeserhebungen; sie erzeugt und unterhält unsere Eigenliebe, die kleinlichste und unwürdigste Eigenliebe.

Denn welche Ehre ist es, die man in weltlichen Gesellschaften sucht, die Ehre bei Gott, welche die Bibel uns kennen lehrt, oder die Ehre vor den Menschen? Sicherlich nicht die erste, folglich die zweite. Ja freilich, die zweite. Was sucht jener Mensch, der Alles daran setzt, um durch sein Fest den Glanz aller anderen zu verdunkeln, und der vor den Blicken seiner zahlreichen Bewunderer das Geld ebenso absichtlich vertut, wie er es seiner Familie und den Armen gegenüber an sich hält, - was sucht er anders als Ehre bei der Welt? Was sucht jene Mutter für ihre Tochter, wenn nicht gar für sich selbst, die sich abmüht, ihre Tochter in ein vorteilhaftes Licht zu stellen und sie antreibt, nach dem eitlen Beifall der Menschen so zu trachten, wie sie den Beifall Gottes zu erringen suchen sollte, was sucht sie anders als Ehre bei der Welt? Was sucht ihr, wenn ihr über den Schnitt eines Kleides oder über die Wahl einer Farbe euch sorgfältig beratet, wie ein Feldherr über seinen Schlachtplan oder ein Minister über einen Gesetzentwurf; was sucht ihr, wenn ihr mit euren Freundinnen um die Ehre kämpft, wer am meisten gefallen und die meisten Blicke auf sich ziehen wird; was sucht ihr, wenn ihr Tage lang euch mit der Freude über eure Erfolge oder mit dem Kummer über eure Vernachlässigung beschäftigt, was sucht ihr anders als Ehre bei der Welt? Die Zerstreuungssucht ist das Treibhaus für alle Eitelkeiten, für die Eitelkeit des Luxus, der Kleider, der Gestalt, des Geldes, des Geistes, für die Eitelkeit der Eitelkeiten.

Unwillkürlich muss ich an einen Gegensatz denken. Die Bibel entwirft uns von einer jungen Christin folgende Schilderung: Ihr Schmuck soll nicht auswendig sein mit Haarflechten und Goldumhängen oder Kleideranlegen, sondern der verborgene Mensch des Herzens, im unvergänglichen Wesen des sanften und stillen Geistes, welches ist köstlich vor Gott. Sie schmückt sich, wie ehemals die heiligen Weiber, die auf Gott hofften, mit einem anständigen Gewand, mit Scham und Zucht, und verlangt einzig nach dem Schmuck der guten Werke, wie es den Weibern ziemt, die die Gottseligkeit verheißen. Sie ist sittig, keusch, häuslich, gütig, liebt ihren Mann und ihre Kinder, bleibt gern zu Haus. Und das junge Mädchen endlich hat vor der verheirateten Frau noch den Vorteil voraus, dass, während diese sorget, was der Welt angehört, wie sie dem Mann gefalle, sie nur sorgt, was dem Herrn angehört, um am Leib und am Geist heilig zu sein. (1 Petr. 3,4; 1 Tim. 2,10; Tit. 2,4 u. 5; 1 Kor. 7,34.)

Ihr jungen Dienerinnen des Herrn, sagt, lasst euer Herz reden: erweckt diese Schilderung nicht einen heiligen Eifer in euch? Wie aber, könnt ihr diesen Eifer mitten in den Zerstreuungen der Welt betätigen? Kennt ihr das Geheimnis, den demütigen und unvergänglichen Ruhm einer Sarah oder einer Dorkas mit den schmählichen Ehrenbezeugungen einer armen Salome in Einklang zu bringen? Ach, die Weltlichkeit veräußerlicht Alles; sie stellt euch auf eine Schaubühne. Sie lässt euch für die unscheinbaren, aber erhabenen Pflichten des häuslichen Lebens, für die Leitung eines Hauswesens, für die zärtliche Liebe eines Gatten, für die Erziehung eurer Kinder nur eine geteilte Aufmerksamkeit und eine karg zugemessene Zeit. Die Weltlichkeit erniedrigt euch, Einfachheit, Bescheidenheit, Demut fliehen erschreckt vor dem Geräusch eurer Tänze und eurer Konzerte.

Reden wir jetzt von einem vierten Schritte; aber wie das? Herodes ist ja besiegt, der Befehl ist gegeben, Alles ist vorüber.

Wohl wahr, aber ein Punkt bedarf noch der Erklärung. Ihm entschlüpft nämlich keine unwillkürliche Regung, kein Schrei des Herzens, um ihm, nachdem er einmal entschlossen ist, in dem verhängnisvollen Augenblick, der zwischen dem Urteil und der Vollziehung desselben liegt, ein Halt zuzurufen. Es ist ja kein gewöhnliches Verbrechen. Die Art und Weise, der Ort, die Zeit sind so schrecklich, dass selbst die Gottlosesten ein Schauder ergreift, wenn nicht alles menschliche Gefühl in ihnen erstickt ist, und dies ist bei Herodes nicht der Fall. Sollte man denn wirklich das rauchende Haupt eines Propheten, den er achtet, fürchtet und beschützt, in den festlichen Saal bringen! Nein, dieser blutige Traum wird sich nicht verwirklichen! Weder der Sinnentaumel, noch das Gottvergessen, noch die Furcht vor der öffentlichen Meinung halten da Stand! Man hole den Trabanten zurück! Gebt mir nur noch einen Tag, eine Stunde Bedenkzeit! Heute das Fest, morgen die Hinrichtung! Nun, wer wird diesen letzten Funken von Menschlichkeit ersticken? Der Tanz der Salome übernimmt auch diese Aufgabe, ihm verdankt Herodes seinen vierten und letzten Schritt zum Mord Johannis des Täufers, die Verstockung des Herzens.

Bis jetzt war das menschliche Gefühl in Herodes noch nicht erstickt, aber jetzt ist's der Fall? Ja, es ist erstickt durch jene Schauspiele und Vergnügungen, die, wie es scheint, mit dem Anblick des Blutes unverträglich sind. Dies lässt sich schwerer erklären als das Übrige und hängt mit so schmählichen Geheimnissen unserer Natur zusammen, dass man sich Gewalt antun muss, um es zuzugestehen. In den tiefsten Falten des menschlichen Herzens gibt es irgendetwas Teuflisches, was mit den Qualen Anderer kein Erbarmen hat, einen Keim, der, wenn er entwickelt ist, Bosheit und Grausamkeit erzeugt; und jene Züge: „eilend, Blut zu vergießen, in Bosheit und Neid wandelnd, feindselig und einander hassend“ finden sich nicht ohne Grund selbst in den allgemeinsten Schilderungen, die der Heilige Geist von dem Menschenherzen entwirft. Diese bösen Naturtriebe werden gewöhnlich durch die Gesetze, durch das allgemeine und besondere Interesse und durch ein entgegenstehendes Gefühl des Mitleids, das gleichfalls zu den schwer zu lösenden Widersprüchen unserer Natur gehört, niedergehalten. Aber zuweilen kommen sie zum Vorschein und vielleicht am meisten, wenn wir uns durch das Vergnügen hinreißen lassen. Sei es, dass wir im Vergnügen unser besseres Selbst verlieren, oder dass es uns unserer Natur überliefert, und dies ausreicht, um uns Gefühlen der Bosheit, die bis jetzt noch den Blicken Aller, selbst unseren eigenen Augen verborgen waren, bloß zu stellen, oder dass die entzügelte Selbstsucht nie ohne eine Mischung von Hass und Bosheit sein kann, oder endlich, dass die Vergnügungssucht im tiefsten Grund unseres Herzens gleichsam eine geheime Tür hat, die sich dem Hang zur Grausamkeit öffnet; - wir können, ohne dies Geheimnis vollständig aufhellen zu wollen, aus der Geschichte und Erfahrung lernen, dass das fleischliche Gelüste in guter Eintracht mit den Trieben der Bosheit lebt, und dass es gewisse Ausschweifungen gibt, welche eine Zutat von Blut nicht verschmähen.

Die Zeiträume, welche in den Jahrbüchern der Völker durch Taten der Zügellosigkeit sich hervortun, sind fast immer zugleich durch Taten der Grausamkeit berüchtigt: das bezeugt die schmähliche und blutige Geschichte der Kaiser des alten Roms. Die wollüstigsten unter ihnen sind auch die grausamsten gewesen, und man weiß nicht, ob man in einem Tiberius oder Caligula, Nero, Domitian, Heliogabel das vollendete Musterbild der Grausamkeit oder der Sinnenlust erblicken soll. Jene Lucullus, welche die Kunst der Unmäßigkeit aufs höchste getrieben, hatten es auch in der Verhärtung des Herzens sehr weit gebracht, und die Weiher, in welchen sie ihre Lampretten4) unterhielten, dienten ihren Sklaven beim geringsten Ungehorsam zum Grab. Unter so vielen Festen, welche die Politik erfand, um die Augen des römischen Volkes zu blenden, und seine zu Boden geworfene Freiheit einzuschläfern, brachte keins eine größere Begeisterung und Trunkenheit hervor als die Kämpfe der Gladiatoren. Die öffentlichen Belustigungen wurden zu den blutigsten Verfolgungen ausersehen; die Qualen der Christen brachten Abwechslung in die Schauspiele des Amphitheaters, und jene brennenden Menschenfackeln, die Nero zu seinem Vergnügen anzündete, ergötzten zu gleicher Zeit auch das Volk und liehen den Spielen des Zirkus ein grässliches Licht. Ach, und jene geheime Verwandtschaft zwischen dem Vergnügen und dem Blutdurst ist nicht bloß bei heidnischen Völkern zum Vorschein gekommen; selbst bei Christen finden wir nur zu viele Beweise dafür in den Vergnügungen der Menge, in den Tierkämpfen, in den Zweikämpfen, im Leben vieler Fürsten, in der Geschichte jener Männer, die an den Verbrechen unserer Revolution sich beteiligten und selbst in den Verfolgungen, die das Volk Gottes in unserem Land erlitten hat.

Doch warum suchen wir in der Ferne Beispiele, wenn unser Text uns so schlagende vor Augen stellt? Wo sah man jemals Vergnügungssucht und Blutdurst enger verbunden als in dem Fest von Machärus? Kommt ihr Mörder Johannis des Täufers, Herodes, Salome und Herodias, du Herodes, der du den Mord vollbrachtest, du Salome, die du darum batest, und du Herodias, die du ihn veranlasstest, nennt uns den Teil eures Verbrechens, welcher der Weltlust angehört, und da die Weltliebe von drei Gelüsten, der „Augenlust, Fleischeslust und hoffärtigem Leben“ lebt, so tretet näher, damit ich sie unter euch zugleich mit dem Blut, das ihretwegen vergossen wurde, austeile. Dir Herodes gehört „die Fleischeslust.“ Dein erster und zugleich der entscheidende Schritt ist der Sinnestaumel, die Unreinheit. Von dem Tag an, wo du deine Hand der Herodias reichtest, hat der Teufel darauf rechnen können, dass du sie ihm auch zum Mord des Täufers leihen würdest. Sie hat dich dahin gebracht, in das Haus deines Bruders Schmach und Trauer zu bringen; sie hat dir befohlen, den treuen Bekämpfer deiner schändlichen Untreue in ein schimpfliches Gefängnis zu werfen; sie endlich begeht heute für dich, gegen deinen Willen ein selbst für dich allzu schwarzes Verbrechen. Dir, Salome, gehört, „die Augenlust“. Du teilst weder die wollüstige Willenlosigkeit des Herodes noch das tiefe Rachegefühl deiner Mutter. Bis jetzt hat kein Makel dein Leben beschmutzt, kein Blut deine Hand befleckt. Du gehst, schwebst und flatterst nur einher, und wer könnte dich in deinem Alter deshalb tadeln? - und tust, was dein Herz gelüstet und deinen Augen gefällt, mit bezaubernder Leichtigkeit, die für die Welt nur ein Reiz mehr ist. Du lebst, webst und bewegst dich in einem Freudenwirbel, und während deine Füße kaum die Erde berühren, streuen deine Hände ringsum die liebsten Blumen. Du vollendetes Musterbild eines jungen Weltkindes, du verlockst alle Blicke, gewinnst alle Herzen, dein Lob ist in aller Mund, wer sollte dich nicht lieben? Aber, du reizendes Mädchen, was trägst du denn in jener Schüssel, die du aus den Händen eines rohen Soldaten empfängst, um damit deiner Mutter eine Huldigung darzubringen? O entsetzlicher Anblick! O Tanz, o Märtyrertod! Ihr Füße, die ihr euch so eilend im Takt herumbewegt, ach, „ihr seid so eilend geworden, Blut zu vergießen!“ Dir, Herodias, gehört „das hoffärtige Leben.“ Alles dies ist durch dich und für dich geschehen. Das ist nun das Blut, nach welchem du dürstetest. Woher kommt es, dass deine Hand bald zufährt und doch zittert, bald vorwärts eilt, und bald sich zurückzieht? Ich habe ein Lächeln Satans und einen Schrecken Gottes wie einen Schatten über dein schönes Antlitz dahin ziehen sehen. Nimm dies Haupt, verwahre es in deinem Brautgemach, dessen Schande dein Opfer dir vorzuhalten wagte. Aber, was sehe ich? Du suchst es vor Aller Augen zu verbergen? Fürchtest du, es werde sich wieder mit dem Körper vereinigen, von welchem du es getrennt hast, um im Bund mit deinem Gewissen und mit Gott sich noch einmal gegen deine Ruhe zu verschwören? Ach, wer kann die Hölle in deinem Herzen erforschen! Doch sprich: Was hat dich zum Mord getrieben? Der Stolz. Dein Stolz konnte sich nicht an einer Ehe ohne Glanz und ohne Diadem genügen lassen. Dein Stolz hat der Begierde eines Vierfürsten die Hand gereicht. Dein Stolz konnte die Freimütigkeit eines heiligen Propheten nicht ertragen, noch es ihm verzeihen, dass er dich erröten machte. Aber noch einmal, was hat diesen maßlosen Stolz in dir genährt? Die Welt mit ihren Eitelkeiten. Deine Tochter ist ein so treues Bild ihrer Mutter, dass wir glauben möchten, sie werde ebenso enden wie du, weil du ebenso angefangen wie sie. Du warst früher nichts als ein Götze der Welt, die von deiner Anmut trunken war und dich mit ihrem Lob trunken machte. Die Eitelkeit führte dich zum Stolz, der Stolz zum Ehrgeiz und zur Rache, der Ehrgeiz und die Rache zum Mord eines heiligen Mannes Gottes. Herodes, Salome, Herodias, o lehrt uns in Zukunft, wie sich die Weltliebe mit der Verstockung des Herzens verbindet!

Liebe Brüder, ich wiederhole es euch noch einmal, lasst euch nicht dadurch sicher machen, dass ihr sprecht, zwischen jenen Ungeheuern und euch, zwischen ihren und euren Vergnügungen sei kein Vergleich möglich, ihr würdet schon in Angst geraten, wenn ihr einem Lamm den Kopf abschlagen solltet. Wenn man ihre und eure Handlungen betrachtet, so würde man sich allerdings einer Übertreibung schuldig machen, wollte man sie zusammenstellen; aber eine solche Zusammenstellung ist doch gerechtfertigt, wenn ihr erwägt, dass es vor allen Dingen auf die Verfassung des Herzens ankommt und dass der schon ein Mörder ist, welcher seinen Bruder hasst. Es ist nicht zu besorgen, dass die Zerstreuungen der Welt euch jemals zum Mord hinreißen, das gebe ich zu, obgleich die Geschichte der Verbrechen in unseren Tagen uns mehr als ein Beispiel der Art vorführt; aber ihr habt zu besorgen, dass euch die Zerstreuung auf eine andere Art verhärtet, und dass sie, ohne eure Hand zum Verbrechen zu leiten, euer Herz gegen die Liebe verschließt.

Nicht als ob Jemand, der ein zerstreutes Leben führt, alles Mitgefühls bar sein müsste. Es gibt eine Empfindsamkeit des Romans und des Theaters, welches der Zerstreuung keinen Abbruch tut, sie vielmehr begünstigt; aber diese Empfindsamkeit ist keine Liebe, und Mancher, der bei eingebildeten Leiden im Theater in Tränen zerschmilzt, zeigt, so wie er dasselbe verlässt, nur Gleichgültigkeit für das wirkliche Unglück. Es gibt auch ein wahrhaftes und lobenswertes, aber doch rein natürliches Mitgefühl, dem die Gnade Gottes so entbehrlich ist, dass man sehr schöne Beispiele desselben sogar unter den Heiden findet, ich meine die Familien-, Vaterlands- und allgemeine Menschenliebe. Ich gebe zu, diese Art von Mitgefühl kann neben den Zerstreuungen der Welt bestehen, obgleich wir, wenn wir gerecht sein wollen, anerkennen müssen, dass es sich, wenn übrigens die Verhältnisse gleich liegen, in einem tätigen und zurückgezogenen Leben weit besser entwickelt. Doch die wahre Liebe, die evangelische Liebe, die Liebe, von der uns Jesus Christus das Beispiel und Vorbild gegeben hat, die Liebe, welche eine Frucht des Heiligen Geistes ist, jene Liebe, ohne welche wir nichts sind, weil wir ohne sie weder Gott zu verherrlichen noch den Menschen zu dienen, noch unsre eigene Seele zu retten vermögen, diese Liebe findet in der Zerstreuung ihr Grab. Denn die Liebe besteht darin, dass wir gewissermaßen aus uns selbst herausgehen, um in Gott und in dem Nächsten zu leben; sie nährt sich von Selbstverleugnung und Opfern. „Daran haben wir erkannt die Liebe, dass Er (Jesus Christus) Sein Leben für uns gelassen hat; und wir sollen auch das Leben für unsere Brüder lassen.“ Was steht aber in größerem Gegensatz zu der Selbstverleugnung als die Zerstreuungssucht? Wie kann man sein Herz auf einem Ball oder im Theater zur Selbstverleugnung oder zu Opfern stimmen? Wie könnten diese Tempel der Selbstsucht ein Heiligtum der Liebe sein? Die Zerstreuung erhöht die Selbstsucht, und die Selbstsucht tötet die Liebe.

Betrachtet darum die Züge, mit denen der Heilige Geist die Liebe darstellt und vergleicht sie mit dem, was in einer dem Vergnügen gewidmeten Gesellschaft sich zuträgt. „Die Liebe ist langmütig, sie eifert nicht, treibt nicht Mutwillen, bläht sich nicht auf, stellt sich nicht ungebärdig, sucht nicht das Ihre, lässt sich nicht erbittern, trachtet nicht nach Schaden, verträgt Alles, glaubt Alles, duldet Alles; sie ist nicht falsch, liebt nicht mit Worten noch mit der Zunge, sondern mit der Tat und Wahrheit.“ (1 Kor. 13; Röm. 12,9; 1 Joh. 3,18.) Erkennt ihr darin einen jener Tage, oder vielmehr, eine jener Nächte weltlicher Lustbarkeit, die ihr so unschuldig findet? Ich will nicht von dem vielen Geld reden, das um eitler Lust willen vergeudet wird und das man zur Ehre Gottes und zum Wohl der Menschen besser anwenden könnte; wie viele Verleumdungen finden sich da in der Unterhaltung, wie viele geheime Regungen der Eifersucht, wie viele Bemühungen, sich gegenseitig zu überbieten, wenn nicht, sich einander zu schaden! Wie viel Hochmut bei den Einen und wie viel Ärger bei den Andern! Wie viele falsche Beteuerungen von Freundschaft! Wie viele, die sich mit einem wohlwollenden Lächeln anreden, und doch einander zurückstoßen, ein Grauen vor einander empfinden würden, wenn der Schleier fiele, der die Herzen bedeckt? Und wenn dieser Schleier gehoben würde, wer weiß, ob man nicht in mancher Familie, die als Muster gilt, einen Vater fände, der im Geziemen der Fleischeslust frönt, eine Tochter, die sich der Augenlust ergeben hat, eine Mutter, die dem hoffärtigen Leben verfallen ist, im Kleinen also ein Bild des widerwärtigen Festes auf Machärus? Ach, überlasst euch, wenn ihr wollt, den Leidenschaften des Herodes, seiner Familie und seiner Gäste, und lasst mich in den Kerker Johannis des Täufers flüchten und von ihm lernen, wie die Liebe, welche warnt, duldet, betet und stirbt, von Entsagung und Zurückgezogenheit sich nährt, sei es im Gefängnis von Machärus oder in der Wüste des Jordan!

Meine Brüder, meine lieben Brüder, höret mich! Ihr habt ernste Dinge vernommen, ich hoffe, sie haben euch bewegt, getroffen und beunruhigt. Aber ihr fragt euch, ob diese Lehre nicht übertrieben ist, und ob sich in den Zerstreuungen der Zelt wirklich so viel Sünde findet, wie ich darin sehe? Die Antwort, die auf eine solche Frage gegeben werden muss, hängt von dem Zustand eurer Seele ab. Wenn ihr nur solche Christen seid, wie es leider die ungeheure Mehrheit derjenigen ist, die diesen Namen tragen; wenn es euch genügt, einen wohl geordneten Lebenswandel zu führen und ehrenwerte moralische und religiöse Gefühle nach der Art der Welt zu besitzen, dann hat sich meine Rede in euren Augen der Übertreibung schuldig gemacht. Wohlan denn, geht auf einen Ball, gehet ins Theater, verbringt eure Nächte in leichtsinnigen und berauschenden Zerstreuungen. Es ist aller Grund zu der Hoffnung vorhanden, es werde euch dies Alles in eurer jetzigen sittlichen Beschaffenheit weder zum Verbrechen noch zum Laster führen, und darüber hinaus geht ja euer moralischer Ehrgeiz nicht. Eine etwas größere Aufregung als gewöhnlich und den Verlust einer Zeit, die ihr zu Haus wohl nicht besser anwenden würdet, abgerechnet, tut ihr auf einem Ball nicht mehr Böses als anderswo, oder ihr tut anderswo nicht mehr Gutes als auf einem Ball. Es kommt nicht auf den Ort an, an welchem ihr eure Zeit tötet, und wahrlich, es gilt mir gleich, ob ihr euer Leben in Vergnügungen zubringt, oder es in Trägheit, leeren Worten, Klatschereien, in Romanlesen, oder in beliebigen anderen nichtigen Sorgen vertändelt, die euer Inneres beinahe eben so weltlich machen, als die Welt es tun würde. Aber dann schämt euch vor euch selbst! Wisst, dass ihr ohne Zweck und ohne Gott lebt, ohne Würde, ohne wahrhafte Befriedigung in der Zeitlichkeit und ohne Hoffnung in der Ewigkeit. Kurz, erkennt, dass auf euch jene Worte ihre Anwendung finden: „Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. So ihr nicht Buße tut, werdet ihr umkommen. Flieht den zukünftigen Zorn. Glaubt an den Herrn Jesum Christum, so werdet ihr selig.“

Habt ihr aber euer Herz Jesu Christo gegeben, habt ihr von Ihm gelernt, euch selbst zu verleugnen, euer Kreuz auf euch zu nehmen und ihm zu folgen; hungert und dürstet euch nach der Gerechtigkeit, und verzehrt euch der Eifer um Gott also, dass ihr nur in einem heiligen Leben, welches den Herrn selbst zum Muster nimmt, eure Befriedigung findet, o, dann werdet ihr in meiner Lehre keine Übertreibung finden, dann brauche ich euch kaum zu sagen, dass sie im Evangelio geschrieben steht, so klar und deutlich lebt sie dann in eurem Gewissen. Die Zerstreuung tötet die Wachsamkeit, das Gebet, die Demut, die Liebe. Christliche Frauen, merkt auf meine Worte: „Welche in Üppigkeit lebt, ist lebendig tot.“ (1. Tim. 5,6.) Flieht die Welt, zieht euch zurück, haltet euch zu Haus, dient dem Herrn, lebt eurer Familie. Die zärtliche Anerkennung eines durch eure Bemühungen glücklichen Gatten sei euer höchster Ehrgeiz; mit eurer eigenen Milch genährte und durch eure eigene Hand unter den Augen des Herrn erzogene Kinder seien euer Schmuck und euer Lohn! Dann werdet ihr, statt von einer leichtsinnigen Welt Schauspiele zu erbetteln, in eurem eigenen Haus ein Schauspiel geben, das würdig ist, von Engeln angeschaut zu werden!

Aber vielleicht passt die Schilderung, die ich eben entworfen, auf euren Seelenzustand nicht. Euch sind zwar die Eindrücke der Frömmigkeit nicht fremd; aber ihr seid doch noch nicht in das christliche Leben eingegangen und „euer wankelmütiges Herz ist unbeständig wie die Meereswoge,“ wagt es nicht, sich der Welt hinzugeben und kann sich doch auch Gott nicht ergeben. Ach, wenn sich die Sache so verhält, so erinnert euch, dass der Tanz der Salome des letzte Mittel Satans war, um Herodes zu gewinnen, den kein anderes Mittel verführen konnte; fürchtet, fürchtet, es möchte die Zerstreuung sein letztes Mittel auch bei euch sein. Fürchtet es, sagte ich? Hofft es vielmehr. Vielleicht hält er eure Seele, die, wie es schien, schon so oft sich ihm entziehen wollte, nur noch durch die Zerstreuungen. Hierin liegt seine ganze Stärke, hierauf setzt er seine ganze Hoffnung. Ihr braucht nur dies einzige Band zu zerreißen und der ganze Zauber ist dahin. Brecht deshalb noch heute mit der Welt und ihr werdet mit David in der Freude eures Herzens frohlocken können: „Unsre Seele ist entronnen wie ein Vogel dem Strick des Vogelstellers, der Strick ist zerrissen und wir sind los!“ Amen.

1)
Von Josephus erfahren wir, dass dies der Name der Tochter der Herodias war.
2)
Der Tanz an sich ist nicht verwerflich. Er ist ein natürlicher Ausdruck der Freude. (1 Sam. 18,6; Luk. 15,25.) Er kann selbst zur Verschönerung heiliger Feste dienen. (Jerem. 31,13; Klagl. 5,15; und besonders 2 Sam. 6,14.
3)
Der 26. Vers beweist indessen, dass Herodes noch eine ziemliche Freiheit des Geistes besaß.
4)
Fischart
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autoren/m/monod/monod-tanz_und_maertyrertod.txt · Zuletzt geändert: von aj
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