Monod, Adolphe - Abschiedsworte - Gott im Leiden verherrlicht.
(Den 18. November 1855.)
Das Gebet unseres Bruders, das wir soeben gehört haben, war erfüllt von dem Gedanken, dass wir alle, jeder in seiner Art, Gott verherrlichen müssen. Lasst mich in wenigen Worten Euch und auch mir selbst recht lebhaft vergegenwärtigen, wie unermesslich das Vorrecht ist, zur Verherrlichung Gottes berufen zu sein. Bedenkt was das heißen will! Gott, der allmächtige Schöpfer, der alleinige Urheber aller Dinge, durch dessen Willen allein sie das Wesen haben und geschaffen sind; Gott, der alleinige Heiland der verlorenen sündigen Menschheit, der einzige Tröster der Leidenden; Gott, von dem alles Gute kommt, der unser nicht bedarf, lädt uns ein, seine Herrlichkeit dadurch zu vermehren, dass wir vor seinen Geschöpfen von ihm Zeugnis ablegen und so in unserem Teil zur Heiligung seines Namens beitragen: Dies soll nach seinem Willen das höchste Gesetz unseres Lebens sein. Die wahre Frömmigkeit sowohl wie die wahre Weisheit und die wahre Philosophie - selbst die bloß menschliche - fordern Einen Grundsatz, der das ganze Leben leite und auf den wir alles beziehen können; und diese Einheit, welche die Menschen immer nur suchen, bald in der Welt, bald in sich selbst, bald in einem eingebildeten Gott, wir finden sie, ja wir, in dem lebendigen und wahren Gott, dem allein Heiligen, allein Weisen, allein Ewigen, dem Einen, von dem nicht nur unsere ewige Seligkeit in ihrer ganzen Entwicklung abhängt, sondern auch das geringste Wohlsein, welches wir alltäglich in den Gefühlen unseres Herzens oder selbst in den Empfindungen unseres armen Leibes genießen können. Und wen fordert er auf, zu seiner Verherrlichung beizutragen? Die heiligen Engel, und sie frohlocken darüber; sie erkennen, wie groß dieses Vorrecht für sie ist. Aber es sind nicht nur die Engel dazu berufen, sondern auch wir sind es, wir armen Sünder, die wir den Zorn Gottes verdient haben und durch unsere Werk seinem Fluch unterworfen sind; und nicht genug, dass er uns an der Hand aus diesem Abgrund zieht, indem er uns herauszieht, ruft er uns noch zu: Nun gib mir die Ehre; als ob wir ihm etwas geben könnten, von dem wir alles empfangen haben, vor Allem die Vergebung der Sünden. wenn wir merken könnten, welche Gnade uns Gott erweist, dass er uns zu seiner Verherrlichung beitragen lässt; wir würden gewiss mit nichts anderem beschäftigt sein, wir würden darin, meine teuren Freunde, den süßesten und höchsten Trost finden, den wir nur schmecken können. Denn nicht nur begnadigte Sünder sind solcher Weise nach ihrer Rettung zur Verherrlichung Gottes berufen, sondern leidende, elende Sünder, die ihr Leben unter Seelen- und Körperleiden mühsam dahinschleppen. Diese, verzehrt wie sie sind von den Schmerzen und Mühsalen des Lebens, könnten von dem Vorrecht, Gott zu verherrlichen, ausgeschlossen scheinen. O nein! nichts weniger als dies! Sie sind gerade am allernächsten zu seiner Verherrlichung berufen, und sie finden in ihren Leiden noch ein Mittel mehr, wie zuvor in ihren versöhnten Sünden, dem die Ehre zu geben, der uns zu sagen gelehrt hat: „Wenn ich schwach bin, so bin ich stark.“1) Welcher Trost ist es für die Leidenden, sich sagen zu können: Ich kann durch meine Leiden, die ich jetzt geduldig und ruhig trage, bis sie einst meine Freude und mein Ruhm sein werden: ich kann durch diese leiden Gott die Ehre geben, wie ich sie sonst ihm nicht hätte geben können! Welche unendliche Seligkeit finden die Leidenden nicht in diesem Gedanken! Dadurch besonders wird das Leiden ein Vorrecht. Leiden ist für den Christen ein Vorrecht. Viel Leiden ist ein besonderes Vorrecht. Und Alle, welche leiden, sollen denken wie ich, und ihre Seelen Gott befehlen als dem treuen „Schöpfer in guten Werken.“2) Ach! wir können dies nicht aus eigener Kraft tun: „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach;“3). kaum sind wir durch die einfachen Worte des Evangeliums bis in den Himmel erhoben, so reißt uns dieses elende Fleisch wieder mit sich fort, fasst und gleichsam bei den Füßen, zieht uns zur Erde Herunter und hält uns durch die schweren Bande des Schmerzes daran gefesselt. Meine Freunde, das ist der Kampf unseres ganzen Lebens: der Kampf des Lebens, wie der Todeskampf.
Aber wir haben bei uns Jesum, den Anfänger und Vollender unseres Glaubens, der selbst durch das Leiden geheiligt worden ist und der mächtig ist, diejenigen aufrecht zu erhalten, welche versucht werden. Unser beständiges Gebot muss sein: Herr, stärke uns den Glauben! Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben!4) O meine Freunde. die Ihr in brüderlicher Liebe gekommen seid, um das heilige Abendmahl mit mir zu feiern, das für uns ein so lebendiges Bild unserer Gemeinschaft mit Gott und untereinander ist, - Gott wolle Jeden von Euch segnen und jedem die Gnade zu Teil werden lassen, nur zu seiner Ehre zu leben, zu seiner Ehre zu leiden, zu seiner Ehre zu reden, bis wir zu seiner Ehre sterben in Jesu Christo dem Gekreuzigten und Auferstandenen!
O mein Gott, gieße aus über Jeden von uns den ganzen Reichtum deiner Gnade in Jesu Christo, nach deiner unendlichen Gütigkeit! Verleihe uns die Gnade, in deiner Gemeinschaft zu leben und dich zu verherrlichen, damit dein Wille geschehe auf dieser armen Erde, wie er im Himmel geschieht, durch Jesum Christum, unseren Herrn. Blicke in deiner Barmherzigkeit herab auf diese Welt, für welche Jesus Christus gestorben ist und die noch in Finsternis, in Elend, in Schmutz und Gräuel der Sünde versunken liegt. Sieh barmherzig an deine Kirche, die du dir in der Welt erwählt hast, die sich von deinem heiligen Willen abgewandt hat und der Welt ähnlich geworden ist, während sie noch Kirche heißt. Sieh auf uns und alle deine Kinder; sieh in Gnaden an alle Leidenden. Wir befehlen deinem Schutz die zahlreiche und mitleidswürdige Schar der Betrübten, der Kranken, der Gefangenen, der Sklaven, der Verfolgten, besonders derer, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt sind, und der Unterdrückten jeder Art; lehre sie den Blick des Glaubens auf dich richten! Lass das Reich Christi sich schnell ausbreiten, lass ihn kommen, auf dass man erkenne, was du getan hast, da du ihn in die Welt gesandt hast! Amen.