Monod, Adolphe - Herodes und Johannes der Täufer
Erste Predigt über den Tod Johannis des Täufers.
Matth. 14,1-12.
Zu der Zeit kam das Gerücht von Jesu vor den Vierfürsten Herodes. Und er sprach zu seinen Knechten: Dieser ist Johannes der Täufer; Er ist von den Toten auferstanden, darum tut er solche Taten. Denn Herodes hatte Johannem gegriffen, gebunden und in das Gefängnis gelegt, von wegen der Herodias, seines Bruders Philippi Weib. Denn Johannes hatte zu ihm gesagt: Es ist nicht recht, dass du sie hast. Und er hätte ihn gerne getötet, fürchtete sich aber vor dem Volk: denn sie hielten ihn für einen Propheten. Da aber Herodes seinen Jahrestag beging, da tanzte die Tochter der Herodias vor ihnen. Das gefiel Herodi wohl. Darum verhieß er ihr mit einem Eid, er wolle ihr geben, was sie fordern würde. Und als sie zuvor von ihrer Mutter zugerichtet war, sprach sie: Gib mir her auf einer Schüssel das Haupt Johannis des Täufers. Und der König ward traurig; doch um des Eides willen, und derer, die mit ihm zu Tische saßen, befahl er, es ihr zu geben. Und schickte hin, und enthauptete Johannem im Gefängnis. Und sein Haupt ward hergetragen in einer Schüssel, und dem Mägdlein gegeben; und sie brachte es ihrer Mutter. Da kamen seine Jünger und nahmen seinen Leib, und begruben ihn, und kamen und verkündigten das Jesu.
Zweierlei fällt mir in der eben verlesenen Erzählung auf: Der Märtyrertod Johannis des Täufers, der von Herodes enthauptet wurde, und der Tanz der Tochter der Herodias, welcher den Herodes zu diesem Verbrechen bestimmt. Wir wollen heute über die Geschichte dieses Märtyrertodes nachdenken, und aus derselben die Stellung eines Knechtes Gottes Angesichts einer im Argen liegenden Welt erkennen; und ein ander Mal wollen wir, wenn es Gott gefällt, über die Folgen dieses Tanzes nachdenken, um aus denselben den geheimen Charakter der weltlichen Zerstreuungen zu erkennen.
Habt ihr den Vers bemerkt, in welchem der Tod Johannis des Täufers erzählt wird: „Und er schickte hin, und enthauptete Johannem im Gefängnis.“ Welche Einfachheit! Welche Kürze! Erkennt hier die Sprache der Bibel, jene Sprache, die, da sie vom Himmel kommt, über die Bewegungen und Leidenschaften der Erde erhaben ist. Setzt an die Stelle des Evangelisten einen gewöhnlichen Geschichtsschreiber, und besonders einen solchen, dem das Andenken Johannis des Täufers eben so teuer ist, als dem Matthäus, und dem die Sache, in welcher willen er den Tod erlitt, eben so sehr am Herzen liegt, als jenem: wie viele Betrachtungen würden da über die Treue des Propheten, über die Bosheit seiner Mörder, über den Schmerz seiner Jünger, über den Unwillen des Volkes angestellt werden! Hier ist Nichts von alldem wahrzunehmen. Die grausamsten Handlungen der Feinde Gottes und die erhabensten Taten Seiner Knechte werden hier mit eben derselben Einfachheit erzählt, weil der heilige Geist Berichterstatter ist, den weder die Bosheit der einen, noch die Treue der andern in Verwunderung setzt, und der, für Unruhe wie für Begeisterung gleich unzugänglich, die Tatsachen schlicht und einfach vorträgt.
Doch wie viel Sinn in diesem kleinen Vers: „Und er schickte hin, und enthauptete Johannem im Gefängnis.“ Er schildert mit Einem Zug die Geschichte aller Knechte Gottes, wie sie von denjenigen verfolgt werden, die Sein Wort nicht aufnehmen wollen. Dieses Schauspiel ist eben so alt als die Welt: Abel eröffnete die Reihe der Verfolgten, Kain die Reihe der Verfolger, und der erste Glaubenszeuge ist auch der erste Märtyrer gewesen. Übrigens ist Märtyrer nur der griechische Name eines Zeugen, in so genauer Beziehung stehen beide zusammen. Das neue Testament beginnt wie das alte: seine zwei ersten Zeugen, Johannes der Täufer und der Herr, kommen um: ersterer von Herodes enthauptet, letzterer von Pilatus überantwortet. Habt ihr je über die eigentümlichen Beziehungen dieser beiden Märtyrer zu einander nachgedacht? Johannes stammte wie der Herr von der gleichen Familie ab, und er starb um der gleichen Ursache willen einige Monate vor Ihm und im gleichen Alter, nachdem er sein Amt während der gleichen Anzahl von Jahren verwaltet hatte. Herodes und Pilatus waren Beide Statthalter, welche zur Unterdrückung der Gerechtigkeit und Wahrheit die Macht missbrauchten, welche Gott ihnen zu deren Schutz übertragen. Beide taten dies in einer Zeit der Gnade: der eine enthauptet Johannem den Täufer bei einem Familienfest, welches die Fürsten sonst durch einen Akt der Huld zu verherrlichen pflegten; der andere überliefert Jesum bei einem kirchlichen Fest, wo man sonst einen Gefangenen loszugeben pflegte. Alle Beide haben ihr Verbrechen ohne Vorbedacht, ohne Leidenschaft, ohne persönliche Feindschaft verübt; sie dienten nur dem Hass anderer Personen als Werkzeuge. Herodes ist „traurig“ und lässt Johannem den Täufer nur mit Widerwillen enthaupten; Pilatus macht einen schüchternen Versuch, um Jesum zu retten, und „wäscht sich die Hände“, nachdem er Ihn überantwortet. Den einen bewegt falsche Scham, und er opfert Johannem den Täufer der Ehre einer leichtfertig eingegangenen Verpflichtung; den andern bewegt die Furcht, und er opfert Jesum den ängstlichen Einflüsterungen des Ehrgeizes. Herodes wird von seinem Weib getrieben und von seinem Volk zurückgehalten; Pilatus wird vom Volk getrieben und von seiner Frau zurückgehalten. Des ersteren Handlung ist ein häusliches, des letzteren ein politisches Verbrechen. Doch was liegt an diesen Unterschieden? Beide geben jener „Menschenfurcht“ nach, die der Geist Gottes so treffend „einen Strick“ genannt hat; beide liefern einen neuen Beweis, dass die Schwachheit so schlimm wirken kann als die Bosheit, endlich müssen beide schon in diesem Leben und auf ähnliche Weise einen Teil ihrer Schuld büßen. Herodes wird nach Lyon und dann nach Spanien verwiesen nebst jener Herodias, deren Rache er hatte dienen müssen; Pilatus verliert die Stelle, die er mit dem Blut des Sohnes Gottes bezahlt hatte, und stirbt in Vienne in der Verbannung, bis, oh mein Gott, „die Stühle zugerichtet, die Bücher aufgetan, und die Toten nach ihren Werken gerichtet werden!“ Da werden die Verfolgten und die Verfolger vor Jesu erscheinen, der auf Seinem Stuhl sitzt, „um Trübsal denen zu vergelten, die Seinem Volk Trübsal anlegten, und denen Ruhe zu geben, die Trübsal gelitten haben.“ (2 Thess. 1,6.7.)
Herodes gehörte einem Fürstengeschlecht an, dessen Name eine traurige Berühmtheit durch seine Unternehmungen gegen den Herrn und Sein Reich erlangt hat. Es hat vier Herodes gegeben. Der erste, Herodes der Große1), ließ die Kindlein Bethlehems umbringen, um Jesum in der Wiege auszurotten. (Matth. 2) Vom zweiten, Herodes Antipas 2), spricht unser Text; er war es auch, der später Jesum „wieder zu Pilato sandte“, (Luk, 18,11.) nachdem er Ihn schmählich verhöhnt hatte. Der Dritte, Herodes Agrippa3), ließ dem Apostel Jakobus, dem Bruder Johannis des Evangelisten, das Haupt abschlagen, und seine Schuld war es nicht, wenn Petrus demselben Los entging. Der Vierte endlich, Herodes Agrippa4), der im neuen Testament schlechtweg Agrippa heißt, vergoss nicht das Blut der Knechte Gottes wie die andern; aber er benahm sich vor Paulus (Apg. 26) wie Herodes Antipas vor Johannes dem Täufer; es scheint auch wirklich, als ob die Großen dieser Welt solchen flüchtigen Anwandlungen von Frömmigkeit ganz besonders zugänglich seien5).
Herodes Antipas gehörte zu jenen Fürsten, die, ohne aus Neigung böse zu sein, „viel Übels tun“ (Luk. 3,19), weil sie von bösen Lüsten und schlechten Ratschlägen verführt werden. Sein Charakter, wie ihn die heilige Schrift gibt, zeigt uns fleischliche Leidenschaften, von denen er geknechtet, offenbart uns eine Mischung von Treulosigkeit und Feigheit, die ihm von Seiten des Herrn den Namen eines Fuchses (Luk. 13,32) zuzog, und bietet endlich die gewöhnlichen Widersprüche eines schwachen und wankelmütigen Menschen dar, der jedem Eindruck offen steht, und keinen eigenen Willen oder Überzeugung hat.
Er hatte die Tochter des Königs Aretas6) geheiratet; aber von ehebrecherischer Lust für Herodias, das Weib seines Bruders Philippus7) entbrannt, ließ er sich heimlich ihr antrauen, und nachdem die arabische Fürstin abgezogen war, um ihre Schmach bei ihrem Vater zu verbergen, nahm Herodias offen ihre Stelle ein. Dieses ehrgeizige Weib vertauschte so das Privatleben, in das Herodes der Große den Philippus verwiesen, gegen den Glanz eines Fürstenthrones, und befriedigte ihre eigene Eitelkeit und zugleich die Lust des Herodes. Er selbst machte sich, ohne von seiner Ungerechtigkeit gegen seinen Bruder und seine erste Gattin zu sprechen, einer Blutschande schuldig, denn das Gesetz Mosis verbot dem Bruder, seines Bruders Weib zur Ehe zu nehmen, es wäre denn, dass Letzterer kinderlos gestorben (3 Mos. 18,16; 5 Mos. 25,5). Herodes hätte dieses Gesetz durch das Heiraten der Herodias selbst für den Fall übertreten, dass sie Witwe gewesen wäre, um wie viel mehr trat er es also mit Füßen, indem er sie zu Lebzeiten ihres Mannes zu sich nahm.
Herodes hoffte vielleicht, die Stimme des Tadels würde sich nicht in seine, des Vierfürsten Nähe wagen; doch hierinnen kannte er Johannem den Täufer schlecht. Dieser treue Knecht Gottes erscheint vor dein wollüstigen Vierfürsten, wirft ihm offen seine Verbrechen vor und besonders die Entführung der Herodias (Luk. 3,19.), und sagt zu ihm: „Es ist nicht recht, dass du deines Bruders Weib hast.“
Wahrscheinlich, meine lieben Zuhörer, fehlte es dem Johannes nicht an Freunden, und sogar an wohlmeinenden Freunden, welche sein Vorhaben durch Ratschläge menschlicher Klugheit zu bekämpfen suchten. - Was hast du vor? Was kannst du dein Herodes sagen, das ihm sein Gewissen nicht schon vor dir gesagt hätte? Was wirst du über einen schwachen Fürsten vermögen, der zugleich durch die Lust und die Schande eines Widerrufs zurückgehalten wird? Und welcher Gefahr setzt du dich nicht durch diesen fruchtlosen Tadel aus? Fürchte das Schlimmste vom Stolz des Herodes und besonders vom Hass der Herodias. Erhalte dich deiner Familie, deinen Jüngern, deinem Amt; und ohne die Verfolgung herauszufordern, beschränke dich ruhig auf ein Amt, in dem du schon so viel Gutes gewirkt hast und noch wirken kannst. - „Hebe dich, Satan, von mir, du bist mir ärgerlich; denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.“ (Matth. 16,23.) Aus dieser Antwort, die der Herr dem Petrus erteilte, können wir abnehmen, wie Johannes der Täufer demjenigen geantwortet haben würde, der ihn hätte abhalten wollen, den Herodes zu strafen. Sein Amt besteht ja gerade darin, die großen wie die kleinen Sünder zu vermahnen, „dem zukünftigen Zorn zu entrinnen“, (Matth. 3, .) Finden sich nun solche, die Niemand zu tadeln wagt, so ist das ein Grund mehr, ihnen nicht die einzige Warnung vorzuenthalten, die bis zu ihnen hindurch zu dringen vermag. Und wer weiß, ob Herodes ihn nicht hören wird? Hängt denn die Bekehrung von unseren Berechnungen ab? und kann Gott nicht den Bösen „Buße geben, wieder nüchtern zu werden aus des Teufels Strick, von dem sie gefangen sind zu seinem Willen?“ (2 Tim. 2,25.26.) Wie es auch gehen mag, „sie gehorchen oder lassen es; dennoch sollen sie wissen, dass ein Prophet unter ihnen ist.“ (Hes. 2,5.)
So muss man das Predigtamt verstehen, liebe Brüder. „Die Welt um die Sünde strafen“ (Joh. 16,8.), ist das Werk des heiligen Geistes, und dadurch verkündigt Er Seine Gegenwart. Es ist das Werk des Sohnes Gottes, der sich nicht minder unklug gegen die Pharisäer als Johannes der Täufer gegen Herodes benommen hat. Es ist das Werk der Knechte Gottes, und der Herr sagt zu Jesaias: „Rufe getrost, schone nicht, verkündige meinem Volk ihr Übertreten und dem Haus Jakob ihre Sünde.“ Es sei denn auch unser Werk, die wir Botschafter an Christi statt sind. Wir wollen allerdings klug, vor Allein aber treu sein. Und hierbei wende man uns nicht ein, dieser Ermahnung bedürfe es nicht in einer Zeit, wo wir weder Gefängnis noch Schwert zu fürchten haben. Ach, es braucht nicht so viel, um unser armes Herz zu schrecken. Droht uns auch kein Gefängnis und kein Schwert, so gibt es noch eine Furcht vor der Familie, eine Furcht vor den Freunden, eine Furcht vor der Welt, und wie oft hat uns nicht eine derartige Furcht zurückgehalten, o Gott, „der du Herzen und Nieren prüfst!“ Ach, lasst uns zeugen, lasst uns zeugen in dem Geist und der Kraft Johannis des Täufers, wie er selbst gezeugt hat im Geist und der Kraft des Elias. (Luk. 1,17.) Wenn Jemand in unserer Nähe in Sünden lebt, ohne es sich bewusst zu werden, dass uns sein gefährlicher Zustand schmerzlich bewegt, so ist dies ein Beweis, dass wir nicht treu sind, dass wir noch nie mit dem Wort vor ihn hintraten: „Es ist nicht recht von dir.“ Alles, was in und an uns ist, muss dermaßen die Wahrheit predigen, dass man sich uns nicht nähern kann, ohne sie zu hören.
Wenn es so von dem Täufer abhängt, ob er den Herodes strafen will oder nicht, so steht es dagegen nicht in seiner Macht, sein Herz zu seinem Zeugnis zu neigen. Man kann auf das Wort Gottes jene Stelle anwenden, in der es vom Sohn Gottes heißt: „Er wird gesetzt zu einem Fall und Auferstehen vieler in Israel.“ (Luk. 2,34.) Als David von Natan gestraft wurde, erwiderte er: „Ich habe gesündigt wider den Herrn (2 Sam. 12,13.);“ als Hiskia mit den Strafgerichten Gottes von Jesajas bedroht wurde, beugte er sich und sprach: „Das Wort des Herrn ist gut (2 Kön. 20,19.);“ aber Herodes ergrimmt über Johannes den Täufer, und legt ihn in das Gefängnis, sei es, um seine Kühnheit zu strafen, oder um ihn zum Schweigen zu bringen. So wurde Jeremias von Zedekias, im Gefängnis gehalten, weil er Gottes Gerichte gegen ihn und sein Volk verkündigt hatte.
Übrigens zeigt sich uns hier Herodes Antipas als ein schwacher und unentschlossener Charakter. Nach der Erzählung des Evangelisten Matthäus scheint er Johannem ins Gefängnis geworfen zu haben, um seine eigene Rache zu kühlen; nach der Erzählung des Markus scheint er ihn sorgfältig gegen die Nachstellungen der Herodias „verwahrt“ zu haben (Kap. 6,20.), die ihm nach dem Leben trachtete. Wie uns der Evangelist Matthäus berichtet, hätte Herodes den Johannes gerne getötet, sich aber vor dem Volk gefürchtet, das ihn für einen Propheten hielt; nach der Darstellung des Evangelisten Markus hielt er ihn selbst für einen Propheten, „hörte ihn gerne, und gehorchte ihm in vielen Sachen“. Seltsamer Widerspruch! Doch dieser Widerspruch findet seine volle Lösung, wenn wir in das Herz des Herodes hineinblicken. Er glaubte und glaubte nicht; er wollte und wollte nicht; er hasste und achtete; er sann darauf, den Täufer zu töten, und verhinderte doch die Anschläge der Herodias, er warf den Propheten ins Gefängnis, und tat doch Vieles nach seinem Rat. Vieles, aber nicht Alles; da sitzt das Übel; dadurch unterscheidet sich der „Redliche“, der nur Eine Richtschnur, den Willen Gottes kennt, von dem „Doppelherzigen“, der sich vergeblich abmüht, Gottes Willen zu tun, ohne dem eigenen zu entsagen8). „Ein Zweifler ist unbeständig in allen seinen Wegen.“ Das gleiche Schwanken, das die Apostel uns hier in dem Gemüt des Herodes zeigen, lässt uns Jeremias in der Seele des Zedekias lesen, der bald den Propheten gefangen legt, und bald ihn im Geheimen befragt, der ihn bald rücksichtslos der Grausamkeit seiner Höflinge überlässt, und bald Maßregeln ergreift, um ihn vor ihrer Wut zu schützen. (Jer. 37,3.-38,16.) Wenn zwei Geschichtsschreiber die gleiche Geschichte erzählt hätten, und der eine den Zedekias als den Unterdrücker des Jeremias, der andere denselben Zedekias als den Beschützer eben dieses Jeremias dargestellt hätte, so hätten diese Geschichtsschreiber nur deswegen nicht miteinander übereingestimmt, weil Zedekias nicht mit Zedekias übereinstimmte. Mehr als ein Widerspruch, den man in der heiligen Schrift wahrzunehmen glaubt, hat seinen Ursprung im Geist des Menschen, und kommt bloß deswegen darin zum Vorschein, weil sie so trefflich das menschliche Herz zu schildern weiß.
Herodes behält Johannem den Täufer als Gefangenen zurück, und stört so den Gang seines Werkes. Schrecklich ist es, einen Boten Gottes in seinem Lauf aufzuhalten. Hier ist ein Prophet, und ein Prophet, den kein anderer übertroffen hat (Matth. 11,11.), hier ist ein Mensch, den Gott sendet, um „vor dem Herrn herzugeben, dass er Seinen Weg bereite“, und um von dem Lamm Gottes zu zeugen, das die Sünden der Welt trägt; hier ist ein Mensch, zu dem sich eine unermessliche Menschenmenge herandrängt (Matth. 3,5.), unter welcher er mit vollen Händen Worte ewigen Lebens ausstreut; und du wagst es, ihn seinem heiligen Beruf zu entreißen, und ein ganzes Volk, das nach seiner Predigt dürstet, leer ausgehen zu lassen! Siehst du nicht, dass du dadurch Satan und seinen Zwecken dienst? Fürchtest du nicht, dass Gott es dir am jüngsten Tag vorwerfen wird, dass du Seine Absichten durchkreuzt, und die Menschen dich anklagen werden, dass du ihnen den Weg des Heils verschlossen hast? Doch was liegt dem Herodes daran? Was hat das Wort der Wahrheit mit diesem fleischlichen Menschen gemein? Wenn er nur seine Herodias hat, an reichbesetzter Tafel schwelgen, sein Auge an einem mit Anmut aufgeführten Tanz weiden darf, ihm keine Empörung droht, und er dabei die Ratschläge des Propheten hören, und sie nach Belieben befolgen kann oder nicht, so ist ihm das genug, ja übergenug.
Doch liegt auch der Bußprediger in Banden, das Wort ist darum nicht gebunden. Johannes der Täufer kann mit dem Apostel Paulus sagen: „Ich leide über dem Evangelium bis an die Bande, als ein Übeltäter; aber Gottes Wort ist nicht gebunden.“ (2 Tim. 2,9.) Man mag es wollen oder nicht, Johannes wird doch bis ans Ende das Amt verwalten, das ihm der Herr übertragen. Sei es in den Gefilden des Jordan oder in dem Kerker von Machärus9), die Stelle, die Gott ihm angewiesen hat, ist jedenfalls so, dass er selber sie nicht besser hätte wählen können, und er kann nur darauf bedacht sein, aus ihr Nutzen zu ziehen, um in die Absichten seines Meisters einzugehen. Er wird auch ferner dem Herodes gegenüber jene kühne Sprache führen, die ihn die Freiheit gekostet hat, und ihn bald das Leben kosten soll. Er wird das Wort an seine Hüter richten, und vielleicht unter ihnen einen Kerkermeister von Philippi finden, der nicht Gelegenheit gehabt hätte, das Evangelium zu hören, wenn der Prophet nicht seiner Hut anvertraut worden wäre. Er wird zu seinen Jüngern reden, da ihnen der Trost bleibt, ihn wenigstens im Gefängnisse besuchen zu dürfen (Matth. 11,2.); er wird ihnen größere Sorgfalt zuwenden, als ehedem, wo er ein ganzes Volk zu unterrichten hatte; und wenn sie zu Zeiten verzagen wollen, wenn seine dunkle Führung ihm vielleicht selbst zuweilen den Blick trübt, so sendet er sie zu Jesu, um ihn zu fragen: „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten?“ (Matth. 11,3.)
Was sage ich? Sein Stillschweigen selbst wird die beredtste Sprache sein. Aus seinem Gefängnis heraus wird das Wort, das Gott ihm in den Mund gelegt hat, seine Hasser schrecken und verfolgen. Versetzt euch in Gedanken mitten in das Fest hinein, das in dem Palast des Herodes gefeiert wird. Man ist, man trinkt, man berauscht sich, man tanzt, man scherzt und lacht, aber unterscheidet ihr nicht in dem Geräusch eine leise Stimme, die alle andern Stimmen übertäubt? Hörte man sie nicht, diese Stimme, woher käme die Ungeduld, mit der man sie zu ersticken sucht? Er, der gefangene Täufer erfüllt das Fest mit seiner lästigen Gegenwart, und es ist, als halte er die gebunden, die ihn in Fesseln gelegt haben. O Macht des Wortes Gottes! O heilige Freiheit seiner unterdrückten Knechte!
Wenn aber die Gefangenschaft des Johannes ihm neue Gelegenheit gibt, Anderen das Wort nahe zu bringen, so dürft ihr nicht zweifeln, dass sie auch für ihn selbst reich an heilsamen Lehren ist. Ein so ausgedehnter Wirkungskreis, wie der seinige war, konnte ihn zerstreuen, nun er aber allein mit seinem Gott gelassen wird, darf er auf sein eigenes Herz jenes Wort anwenden, das er andern gepredigt hatte. (1. Kor. 9,27.) Die Gnadengaben, die ihm verliehen worden waren, die Erfolge, die seine Wirksamkeit krönten, konnten ihn aufblähen (unser Herz ist so verzweifelt böse, und ein Prophet, ein Apostel ist ein Mensch wie andere Menschen); jetzt wird er besonders genommen, und ihm gezeigt, wie der Herr ohne ihn das Werk tun lassen kann, das Er aus freiester Wahl ihm eine Zeit lang übertragen. O der köstlichen Verborgenheit, wo der Prophet in einen demütigen Jünger verwandelt wird, und der Herr ganz allein redet! So war es mit Jeremias in seinem Gefängnis (Jer. 37,15.16.), mit dem Apostel Paulus in Cäsarea (Apg. 23,35.), mit dem heiligen Johannes auf der Insel Patmos (Off. 1,9.), mit Luther auf der Wartburg; sie reiften alle im Schatten unter der Augenleitung des Herrn. „Er deckt mich in Seiner Hütte zur bösen Zeit, Er verbirgt mich heimlich in Seinem Gezelt, und erhöht mich auf einen Felsen.“ (Psalm 27,5.) Zuerst also, merkt es wohl, „deckt Er mich“ und dann „erhöht Er mich auf einen Felsen.“
Wir Knechte Gottes wollen hieraus eine Lehre ziehen. Was man auch gegen unsere Personen unternehmen mag, wir wollen nur das Wort Gottes frei und ungebunden erhalten. Dann wird Nichts vermögend sein, weder dem Evangelium, noch uns, den Trägern desselben, Schaden zu tun; vielmehr wird sich Alles zum Dienst des Herrn und derer herbeilassen müssen, die Ihm dienen.
Dass es so kommen würde, hatten freilich die Feinde Johannis des Täufers nicht vorausgesetzt. Was ist zu tun? Hört der lästige Warner nicht auf, seine Stimme zu erheben, so muss sie in seinem Blut erstickt werden. Sie ergreifen eine günstige Gelegenheit; Herodes, überlistet von denen, die schlimmer sind als er, hält es mit seiner Ehre unverträglich, ein leichtfertig gegebenes Versprechen nicht zu erfüllen, und während er sich selbst verdammt, „schickt er hin und enthauptet Johannem im Gefängnis.“
Ja, er enthauptet Johannem im Gefängnis. Schrecklich, entsetzlich! Wir sagten vorhin, es heiße, sich mit einer ungeheuren Verantwortlichkeit belasten, einen Boten Gottes in seinem Lauf zu hemmen; was sollen wir nun sagen, nachdem er enthauptet worden. So lange Herodes den Johannes bloß einkerkerte, ließ er sich wenigstens eine Tür zur Buße offen. Er hatte zu dem treuen Herold Gottes gesagt: „gehe hin auf diesmal“ aber er konnte hinzufügen: „ein ander Mal werde ich dich wieder rufen lassen.“ Es bedurfte keiner großen Überlegung, um Herodes zu bestimmen, die Bande Johannis des Täufers zu lösen, und ihn seinem Amt zurückzugeben. Doch jetzt ist Alles aus: „Die Toten werden den Herrn nicht loben.“ (Psalm 115,17.) Herodes traute sich ohne Zweifel selbst nicht ganz; er hat sich auf immer die Rückkehr zu besseren Gedanken verschlossen. Nun kann er den Johannes nicht mehr rufen lassen, wenn er es auch wollte. Der Täufer liegt, er ruht, er schläft, da wo die Bösen nicht mehr quälen, und die Gefangenen nicht mehr die Stimme des Treibers hören; er schläft bei einem Abel, einem Naboth, einem heiligen Jakobus, bis auch du neben einem Kain, einem Ahab, einem Herodes Agrippa liegen wirst; er schläft, „und wird nicht mehr aufstehen, und wird nicht mehr von seinem Schlaf erwachen.“ Doch ich täusche mich, Herodes; Johannes der Täufer wird auferstehen. Er wird zuerst in deiner Einbildungskraft auferstehen, um dich schon in diesem Leben zu quälen. Beim ersten Gerücht von den Wundern Jesu wirst du sagen: „Es ist Johannes, den ich enthauptet habe; er ist von den Toten auferstanden.“ (Mark. 6, 16.)10) Und dann wird er an dem großen Tag auferstehen, wo „das Meer, der Tod und die Hölle ihre Toten wieder geben“ und „die Toten, groß und klein, vor Gott stehen werden, damit das Wort des Herrn sie richte“; hörst du es, Herodes, das Wort, wie es einst dein Opfer verkündigte!
Doch wenden wir unsere Augen von dieser grauenvollen Aussicht ab und besuchen wir den Johannes zum letzten Mal in seinem Gefängnis. Man klopft an seine Tür; er muss sterben, augenblicklich sterben, allein, und nur von seinen Henkern umgeben; der Befehl des Königs ist dringend, die Gäste warten, das Schwert ist gewetzt; und deine Seele, „o Prophet des Allerhöchsten“, ist sie auch bereit? - Ach, wie sollte dich der, um dessen willen du in den Banden liegst, und den du mit dem Tod preisen darfst, wie sollte Er dich vergessen haben? Wenn die Stunde deines Urteils dich überrascht; Ihn findet sie immer wachsam, „Er schlummert nicht.“ Ja, ist nicht Er es selbst, der sie erwählt hat? Fürchte Nichts; du bist nicht allein; der Herr ist bei dir; „Er wird dich vor allem Übel behüten; er wird deine Seele bewahren.“ Der, welcher bald Seinen Engel senden muss, um dem Petrus die Türen des Gefängnisses zu öffnen, in welches ihn Herodes Agrippa verschließen wird, ist auch Der, welcher dir diesen Trabanten sendet, um dir die Türen des Gefängnisses zu öffnen, in welches dich Herodes Antipas verschlossen. Petrus wird dasselbe verlassen, um fortzufahren, „das Sterben des Herrn Jesu an seinem Leibe zu tragen“; du aber wirst es verlassen, um Alles, was sterblich an dir ist, „von dem Leben verschlungen“ (2. Kor. 4,10-5,4) zu sehen. O, es ist ein Glück, in dem Herrn zu sterben, denn es steht geschrieben: „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben, von nun an. Ja, spricht der Geist, dass sie ruhen von ihrer Arbeit; denn ihre Werke folgen ihnen nach“ (Offenb. 14,13.) Es ist aber ein zweifaches Glück, um des Herrn willen enthauptet zu sterben, denn es steht weiter geschrieben: „Ich sah auch die Seelen der Enthaupteten um des Zeugnisses Jesu und um des Wortes Gottes willen; diese lebten und regierten mit Christo tausend Jahr; dies ist die erste Auferstehung. Selig ist und heilig, der Teil hat an der ersten Auferstehung.“ (Offenb. 20,4-6.)
O liebe Brüder, „selig ist der Knecht, wenn sein Herr kommt, und findet ihn wachend!“ Herr Jesus, der Du „die Herzen nach Deinem Willen wie Wasserbäche lenkst,“ mach uns bereit! und dann komm, wann Du willst und wie du willst, müsstest Du uns auch, wie Johannem den Täufer „zur Mitternacht“ rufen, und ohne uns noch eine Stunde zur Vorbereitung zu gönnen!
Doch was wird aus dem Werk des Johannes werden? Wie sind doch die Wege der Vorsehung so unerforschlich! Gott lässt die Geburt Seines Propheten durch Engel verkündigen, Er weist auf ihn mit Worten hin, die eine lange Laufbahn vermuten lassen, und kaum sind die Menschen seiner ansichtig geworden, so entrückt er ihn dem Schauplatz dieser Welt; er muss in den Kerker, und vom Kerker zum Tod wandern. Und all das geschieht so schnell, dass der heilige Lukas uns Predigt und Einkerkerung des Täufers beinahe in Einem Atemzug erzählt, und die Geschichte des Lebens und Todes dieses großen Propheten kürzer berichtet als die bei seiner Geburt vorgefallenen Umstände. Die Hälfte seines nur dreijährigen Lehramts hat er im Kerker verbracht: wie sollte es in so kurzer Zeit die herrlichen Früchte getragen haben, die von Gabriel dem Zacharias geweissagt? Und seine Jünger, die noch unbefestigten, werden sie dem schrecklichen Schlag widerstehen können, der ihnen durch seinen Tod versetzt wird? Hört was der Geist Gottes hierauf antwortet: „Ich lasse euch aber wissen, liebe Brüder,“ sagt der Apostel Paulus bei einer ähnlichen Gelegenheit, „dass, wie es um mich steht, das ist nur mehr zur Förderung des Evangelii geraten.“ (Phil. 1,12.) Der Herr hat andere Gedanken als wir, wir können ihn ruhig Seinen Feldzugsplan entwerfen, und Seinen heiligen Krieg führen lassen. Sei es, dass Er Seinen Knechten erlaubt, eine lange Laufbahn zurückzulegen, sei es, dass Er sie bald zu sich ruft oder sie ihrer Wirksamkeit entreißt, ich wiederhole es, wir wollen Ihn machen lassen: Er weiß wohl, was Er tut. Johannes durfte nur kurze Zeit sein Amt verwalten; aber er verstand sie auszukaufen, und die Folge wird lehren, dass er nicht dahin gegangen ist, ohne „dem Herrn Seinen Weg bereitet zu haben“11). Und was seine Jünger betrifft, so vollendet sein Tod in ihnen, was sein Leben angefangen hatte. So lange sie ihn noch bei sich hatten, sind sie unsicher und schwankend gewesen. Kaum haben zwei oder drei aus ihnen ihren Meister verstanden, und auf sein Wort hin seinen Dienst gegen den Dienst des Herrn vertauscht. (Joh. 1,35-37.) Die meisten gehen so wenig in seinen Sinn ein, dass sie seinetwegen eifersüchtig auf die Fortschritte Jesu werden (Joh. 3,20-30), und man sehen muss, wie sie sich an die Pharisäer anschließen, um Ihm ihre Einwürfe und ihre Zweifel vorzutragen. Später noch, als Johannes gefangen gelegt wird, sind sie bereit, sich an Jesum Christum zu ärgern und zu zweifeln, ob Er der Messias sei. Aber nachdem nun ihr Meister gestorben ist, zu wem gehen sie? Zu Jesu. (Matth. 14,12.) Ihre Vorurteile schwinden, ihre Augen werden aufgetan. Ihre Angst, ihr Verlassen-sein lehren sie, nun auch zu sprechen: „Herr, wohin sollten wir gehen, als zu Dir?“ Sie haben einen Propheten verloren, aber sie haben den Herrn gefunden. So wahr ist es, o mein Gott, dass „Alles Dir dient!“ Lass uns also durch Nichts irre gemacht werden: weder durch die Trübsale Deines Volks, noch die Anschläge der Bösen; weder durch Verfolgung, noch durch Schwert, noch durch den Tod; sondern es vielmehr fest glauben, dass Nichts geschieht, als was von Ewigkeit her fest beschlossen, und dass „der Zorn des Feindes sich in Dein Lob verkehren muss.“
In der eben betrachteten Geschichte sieht die Welt, wie Herodes Johannem den Täufer richtet; der Glaube aber sieht Johannem den Täufer, wie er vielmehr es ist, der den Herodes richtet. Denn das Wort des Propheten soll seinen Mörder nicht erst am jüngsten Tag richten; sondern schon jetzt bindet und knechtet es ihn. So groß ist die Herrlichkeit, die den Trägern des Wortes des Herrn versprochen ist. „Ihr Mund soll Gott erhöhen, und sollen scharfe Schwerter in ihren Händen haben; dass sie Rache üben unter den Heiden, Strafe unter den Völkern; ihre Könige zu binden mit Ketten, und ihre Edlen mit eisernen Fesseln; dass sie ihnen tun das Recht, davon geschrieben ist.“ (Psalm 149,6-9). Durch ein Gericht dieses Wortes wird Herodes einem Geist der Verblendung und des Schreckens übergeben. Er hat der Wahrheit Gottes nicht glauben wollen, er wird nun dem wunderlichsten Aberglauben verfallen. Durch ein Gericht eben dieses Wortes wird seine Verstockung einen solchen Grad erreichen, dass er aus einem zeitweiligen Gottlosen ein vollendeter Gottloser werden wird, und dass, nachdem ihn zuerst das Gerücht von Jesu erschreckt, er später, wenn man ihm den Herrn vorstellt, nur Spott und Hohn für Ihn haben wird. Eine solche Herrschaft übt jederzeit das Wort Gottes aus. Das natürliche Auge sieht den Apostel Paulus vor Felix, Festus und. Agrippa erscheinen; das Auge des Glaubens aber sieht Felix, Festus und Agrippa vor dem Apostel Paulus erscheinen, um jenes Wort zu vernehmen, das ihnen ihre Sünden erlassen oder behalten soll. Das natürliche Auge sieht den Wittenberger Mönch12) zu Worms vor dem Kaiser, den Fürsten und Prälaten Deutschlands erscheinen; das Auge des Glaubens aber sieht den Kaiser, die Fürsten und Prälaten vor dem Wittenberger Mönch erscheinen, um jenes Wort zu vernehmen, das sie am jüngsten Tag richten soll. Das Wort herrscht und herrscht allein; alles Übrige ist nur Trug und Schein. „O Herr, Dein Wort bleibt in Ewigkeit!“ Wer ihm vertraut, wird mit ihm fortleben, wer es verwirft, wird zu Schanden werden. Himmel und Erde werden vergehen; aber Deine Worte werden nicht vergehen! Amen.
Herodes und Johannes der Täufer
Eine Predigt von Adolph Monod,
Professor der Theologie, Prediger am Oratoire zu Paris
Aus dem Französischen
von
Ludwig Rehfueß,
Sprachlehrer in Heilbronn
Stuttgart 1852
Im Verlag des Vereins für religiös-sittliche Hebung des Volks.