Melanchthon, Philipp - Loci Communes

Melanchthon, Philipp - Loci Communes

Auszüge

0,6: Die Geheimnisse der Gottheit sollten wir lieber anbeten als sie zu erforschen. (…)

0,8: Daher besteht kein Grund, warum wir viel Mühe auf jene höchsten Hauptthemen: Gott, die Einheit, die Dreieinigkeit Gottes, das Geheimnis der Schöpfung, die Art und Weise der Menschwerdung verwenden. (…)

0,12: Wer die anderen Hauptthemen aber nicht kennt: die Macht der Sünde, das Gesetz, die Gnade, von dem sehe ich nicht ein, wie ich ihn einen Christen nennen könnte. 0,13: Denn aus ihnen wird eigentlich Christus erkannt. Denn das heißt Christus erkennen: seine Wohltaten erkennen, nicht, was diese lehren: seine Naturen, die Art und Weisen der Menschwerdung betrachten.

0,14: Wenn man nicht weiß, zu welchem Nutzen Christus das Fleisch annahm und ans Kreuz geschlagen wurde, was nützt es, seine Historie zu kennen?

1. Die Kräfte des Menschen

1,66: Wenn du den menschlichen Willen unter dem Blickwinkel der Vorherbestimmung (praedestinatio) begutachtest, gibt es weder in äußeren noch inneren Werken irgend eine Freiheit, sondern alles geschieht aufgrund göttlicher Bestimmung.

1,67: Wenn du den Willen unter dem Gesichtspunkt der äußeren Werke beurteilst, scheint es nach dem Urteil der Natur eine gewisse Freiheit zu geben.

1,68: Wenn du den Willen unter dem Gesichtspunkt der Affekte beurteilst, gibt es schlechterdings keine Freiheit, auch nicht nach dem Urteil der Natur.

1,69: Schon wo der Affekt (auch nur) anfängt zu rasen und aufzulodern, kann man ihn nicht hindern, auszubrechen.

2. Die Sünde

2,3: Erbsünde (peccatum originale) ist eine angeborene Neigung, ein anerzeugter Drang und Kraft (nativa propensio et quidam genialis impetus et energia), durch die wir zum Sündigen weggezogen werden und die von Adam auf die gesamte Nachkommenschaft fortgepflanzt wurde. (…)

2,6: (…) Sünde ist ein verkehrter (krummer) Affekt und eine verkehrte (krumme) Bewegung des Herzens (,die sich) gegen Gottes Gesetz (richtet). (…)

2,9: Denn es ist unmöglich, daß die Kreatur sich nicht selbst über alles liebt, sofern die Liebe Gottes sie nicht verschlungen hat. Es ist unmöglich, daß das Fleisch geistliche Dinge liebt. (…)

2,12: Daher ist die Eigenliebe der erste und höchste Affekt der Natur des Menschen, von dem er verleitet (weggerissen) wird, nur das zu wollen und zu wünschen, was seiner Natur gut, angenehm, süß und ruhmvoll erscheint, (sowie) das zu hassen und zu fürchten, was seiner Natur scheinbar widerstrebt, sich dem zu widersetzen, der ihn abhält von dem, was er begehrt, oder der ihm rät, dem zu folgen und nach dem zu fragen, was ihm mißfällt. (…)

2,26: (…) Die Erbsünde ist eine lebendige Wirklichkeit, die in allen unseren Teilen und zu allen Zeiten Frucht trägt: die Sünden. (…)

2,36: Um nun die ganze Sache in eine Kurzformel zu zwingen: Alle Menschen sind mit (ihren) natürlichen Kräften wirklich und immer Sünder und sie sündigen. (…)

2,73: (…) Alles Vermögen unseres Fleisches ist Feindschaft gegen Gott und kann sich dem Gesetz Gottes nicht unterwerfen. (…) Außerdem betont (Paulus, Röm 8,7) daß (das Vermögen des Fleisches) sich nicht nur nicht dem Gesetz Gottes unterwirft, sondern daß es sich nicht einmal dem Gesetz unterwerfen kann. Hieraus folgt daher: Alle Werke der Menschen sind, mögen sie dem äußeren Anschein nach noch so lobenswert sein, gänzlich lasterhaft und todeswürdige Sünden. (…)

2,89: Hier hältst du, (lieber) Leser, fürs erste fest: geliebt wird nur das, was uns Vorteile bringt. Aber Gott will nicht um irgendeines Vorteils willen geliebt werden, sondern umsonst. Denn wer den Vorteil liebt, liebt nicht Gott, sondern sich selbst, und gegen diese verkehrte (verkrümmte) Liebe macht die Schrift überall sehr viele Bedenken geltend.

3. Das Gesetz

3,4: Das GESETZ ist nun ein Satz, durch den Gutes geboten und Böses verboten wird. Das RECHT ist die Vollmacht, nach dem Gesetz zu handeln. (…)

3,5: Unter den Gesetzen unterscheidet man - die natürlichen, - die göttlichen - und die menschlichen Gesetze.

3,9: Das NATURGESETZ ist deshalb ein allen gemeinsames Wissen, dem wir in gleicher Weise aller Menschen zustimmen - und zwar in dem Maße, wie Gott es in das Herz eines jeden eingemeißelt hat mit dem Ziel, die Moral (Sitten) auszuformen. (…)

3,12: (…) das Urteil des menschlichen Fassungsvermögens ist (…) trügerisch wegen (seiner) angeborenen Blindheit, so daß, wenn auch gewisse Moralvorstellungen in unsere Herzen eingemeißelt sind, diese dennoch nur mit Mühe wahrgenommen werden können.

3,46: GÖTTLICHE GESETZE sind solche, die durch die kanonischen Schriften von Gott als heilige und unverbrüchliche Ordnung erlassen wurden. Man unterschied (schuf) drei Klassen unter ihnen: die einen sind nämlich die Moralgesetze, die anderen die Judizialgesetze, (wieder) andere die Zeremonialgesetze.

3,117: MENSCHLICHE GESETZE sind alle (Gesetze), die letztlich von Menschen festgelegt werden (= weltliche bzw. bürgerliche und päpstliche Gesetze). (…)

3,120: Denn die Obrigkeit und die weltlichen Gesetze haben keine andere Funktion außer der, die Rechtverletzungen zu bestrafen und in Grenzen zu halten. (…)

3,127: In Glaubensfragen haben die Päpste, die Konzilien und die gesamte Kirche kein Recht, etwas zu verändern oder festzulegen, sondern die Artikel des Glaubens müssen schlicht und einfach an der Vorschrift der Hl. Schrift überprüft werden. Was ohne Schrift aufgekommen ist, darf nicht als Glaubensartikel gelten. (…)

3,171: (…) Die päpstlichen Gesetze sind so zu ertragen, wie wir irgend ein Unrecht oder eine Tyrannei ertragen.

3,172: Sie sind aber nur insoweit zu ertragen, als das Gewissen durch sie nicht gefährdet wird; .

4. Das Evangelium

4,3: Wie die Sache der Sünde nur aus den Normen des GESETZES verstanden wird, so kann die Kraft der Gnade nur aus der Beschreibung des EVANGELIUMS erkannt werden. Und haben wir bis jetzt die Verurteilung und Verfluchung des Menschen behandelt, so wollen wir nun die Erneuerung oder Segnung des Menschen behandeln.

4,4: Die Schrift besteht auf Ganze gesehen aus zwei Teilen, aus dem GESETZ und dem EVANGELIUM. Das GESETZ hält die Sünde vor Augen, das EVANGELIUM die Gnade; das GESETZ weist die Krankheit auf, das Evangelium die Arzenei. Das GESETZ ist ein Diener des Todes (…), das Evangelium (dient) dem Leben und Frieden: „Das GESETZ ist die Kraft der Sünde“ (→ 1.Kor 15,54), das EVANGELIUM ist „Kraft zum Heil für jeden, der glaubt“. (→ Röm 1,16)

4,5: Die Schrift hat aber nicht GESETZ und EVANGELIUM in dem Verständnis überliefert, nur das als Evangelium anzusehen, was Matthäus, Markus, Lukas und Johannes geschrieben haben, die Bücher des Mose aber nur als Gesetz (auszugeben). Vielmehr ist die Lehre des EVANGELIUMS zerstreut (zu finden), die Verheißungen (=EVANGELIUM) sind auf alle Bücher des Alten und Neuen Testaments verstreut.

4,6: Es werden hier nicht - wie gewöhnlich angenommen wird - Zeiten des GESETZES und EVANGELIUMS unterscheiden, obschon das eine Mal das Gesetz, das andere Mal gleich darauf im Gegensatz dazu das Evangelium offenbart wurde. Im Bezug auf unsere Herzen ist jede Zeit Zeit des GESETZES und ebenso Zeit des EVANGELIUMS, wie ja zu allen Zeiten die Menschen auf die gleiche Weise gerechtfertigt wurden, (indem) die Sünde durchs GESETZ offenbar wurde, die Gnade durch die Verheißung oder das EVANGELIUM.

4,10: Wie durch das GESETZ das, was recht ist, geboten und die Sünde aufgedeckt wird, so ist das EVANGELIUM die Verheißung der Gnade oder Barmherzigkeit Gottes und somit die Vergebung der Sünde und das Zeugnis der Zuneigung Gottes zu uns. (…)

4,23: (…) Die ganze Schrift ist das eine Mal GESETZ, das andere Mal EVANGELIUM. Die Bücher des Mose überliefern das eine Mal GESETZ, das andere Mal EVANGELIUM, und das EVANGELIUM ist sogar noch unter dem GESETZ selbst verborgen. (→ Dtn 5,10; Ex 34,6f) (…)

4,38: Ebenso legt Christus das GESETZ aus, - denn man kann die Gnade nicht ohne das GESETZ predigen. (…)

4,39: Christus (…) lehrt, daß vom GESETZ Affekte des Herzens gefordert werden, nicht nur der äußere Schein der Werke, denn das GESETZ verbietet zu begehren. (…)

4,46: Dennoch ist es nicht das erste und eigentliche Amt Christi, ein GESETZ zu schaffen, sondern Gnade zu geben. Mose ist der Gesetzgeber und Richter, Christus der Retter (… → Joh 3,17)

4,47: Oft zwar predigt auch Christus das GESETZ, weil ohne das GESETZ die Sünde nicht erkannt werden kann; denn wenn wir sie nicht fühlen, können wir auch nicht die Kraft und Größe der Gnade wahrnehmen. Demnach muß GESETZ und EVANGELIUM zugleich gepredigt werden, Sünde und Gnade (zugleich) aufgewiesen werden. (…)

4,48: Und wie Christus das GESETZ mit dem EVANGELIUM verbunden hat, so haben die Propheten das EVANGELIUM mit dem GESETZ verbunden. (…) 4,102: Sicher ist, daß niemand vom Haß gegen die Sünde erfaßt werden kann, außer durch den Heiligen Geist, sicher ist ebenso, daß die auf diese Weise zerschlagenen (Herzen) des Antlitz und den Anblick Gottes fliehen, außer sie werden durch den Geist Gottes zurückgezogen, zurückgerufen und getröstet, (…, die (Erb-)Sünde bewirkt also nicht nur, die Notwendigkeit zum Sündigen, sondern verhindert auch die Erkenntnis dieser Sünde, vgl. 1,1ff; 2,1ff)

5. Die Gnade

5,11: Zusammengefaßt gesagt: Gnade ist nichts anderes als Vergebung oder Nachlassung der Sünde. Die Gabe (der Gnade) ist der Heilige Geist, der die Herzen wiedergebiert und heiligt. (So) nach dem (Wort) „Sende deinen Geist aus und sie werden geschaffen werden und du wirst das Angesicht der Erde erneuern“ (Ps 104,30).

5,12: Das Evangelium verheißt sowohl die Gnade wie die Gabe (der Gnade) (…, Jer 31,33 und Jer 31,34)

6. Die Rechtfertigung und der Glaube

6,1: Daher werden wir gerechtfertigt, wenn wir durch das Gesetz getötet sind und durch das Wort der Gnade wieder zum Leben erweckt werden, die in Christus verheißen wurde, oder durch das Evangelium, das die Sünden vergibt, und wenn wir an ihm im Glauben hängen, ohne einen Zweifel daran zu haben, daß Christi Gerechtigkeit unsere Gerechtigkeit ist, Christi Sühnetat unsere Sühnetat ist, Christi Auferstehung die unsere ist. Kurz, wenn wir keinen Zweifel daran haben, daß uns die Sünden vergeben sind und Gott uns nunmehr gewogen und zugeneigt ist.

6,2: Daher ist kein einziges unserer Werke, mögen sie noch so gut erscheinen oder sein, die Gerechtigkeit, sondern allein der Glaube an die Barmherzigkeit und Gnade Gottes ist die Gerechtigkeit. Hab 2,4; Röm 1,17; Röm 3,22; Röm 3,21f; Röm 4,5; Gen 15,6)

6,20: WAS ist demnach Glaube? Dem ganzen Wort Gottes fest zustimmen, etwas, was nur geschieht, wenn der Geist Gottes unsere Herzen erneuert und erleuchtet. (…, vgl. 4,102; 1,1ff; 2,1ff) 6,22: Der Glaube ist demnach nichts anderes als das Vertrauen (non aliud nisi fiducia) auf die göttliche Barmherzigkeit, die uns in Christus verheißen ist und sogar in diesem und jenem Zeichen (vgl. 8,1ff). Dieses Vertrauen auf die Zuneigung oder Barmherzigkeit Gottes bringt zuerst Frieden in das Herz und entzündet es nachher, gleichsam um Gott zu danken für die Barmherzigkeit, damit wir das Gesetz spontan und fröhlich tun. (…) Wenn nun Gott diesen (Glauben) so oft fordert, wenn er diesen einen (Glauben) so oft lobt, wenn er uns diesen (Glauben) mit den reichsten Verheißungen und sogar durch den Tod seines Sohnes liebgemacht hat, warum wollen wir uns nicht der so großen Barmherzigkeit ausliefern und glauben? (…, Gen 15,1.6; Ex 14,14.31; Num 14,11; Num 20,12; Dtn 1,31-33; Ps 78,7; 1. Chron 5,20; 2. Chron 16,9; 2. Chron 20,20-22; Jes 36f; Jes 7,9; Apg 15,9-11; Lk 7,48.50; Mt 16,8; Mt 10,31 u.a.)

6,95: Andererseits: Die durch das klar offenbarte Evangelium an Christus glauben, haben in ihm alle leiblichen Segnungen. (→ Röm 8,32, …)

6,96: Hierher gehört das, was ich oben sagte: der Glaube erstreckt sich auf alle Ereignisse unseres Lebens und Sterbens, nur durch den Glauben gehen wir mit jeder Kreatur richtig um, durch den Unglauben gehen wir falsch um mit allen Kreaturen, d.h. wenn wir nicht beim Umgang mit der Kreatur Gott zu gefallen glauben, beim Umgang mit der Kreatur nicht auf die Barmherzigkeit, auf die Zuneigung Gottes zu uns vertrauen. (…)

6,99: Zusammenfassend gesagt: Wer Christus hat, hat alles und kann alles. (…)

6,102: Du sollst (deinen) Geist sorgfältig in die Betrachtung der Verheißungen einüben, denn Christus kann keineswegs anders als aus den Verheißungen erkannt werden. Denn wenn du Christus nicht kennst, wirst du auch den Vater nicht erkennen. Hierher trage daher alle Gedanken deines Geistes, hierauf verlege dich, daß du aus den Verheißungen erkennst, was dir in Christus geschenkt ist. (…)

6,106: Der glaubt noch nicht dem ganzen Wort Gottes, der (nur) auf die Drohungen (=Gesetz) hört, der (nur) ein historisches Ereignis bezeugt (Scholastischer Glaube), sondern der über die Drohungen und über das historische Ereignis hinaus auch den Verheißungen glaubt. Nicht darauf kommt's wirklich an, einer historischen Begebenheit über Christus zu glauben, was auch die Gottlosen glauben, sondern zu glauben, warum er das Fleisch annahm, warum er gekreuzigt wurde, warum er nach dem Tod ins Leben einging, nämlich darum, um alle zu rechtfertigen, die an ihn glauben wollen.

6,108: Aus welchem Grund wird die Rechtfertigung dem Glauben ALLEIN zugeschrieben? Ich antworte: Weil wir allein durch die Barmherzigkeit Gottes gerechtfertigt werden und weil der Glaube ja die Erkenntnis der Barmherzigkeit ist, (…) wird die Rechtfertigung allein dem Glauben zugeschrieben. (…) Denn Glauben heißt ohne irgend eine Berücksichtigung irgendwelcher Werke (allein) auf die göttliche Barmherzigkeit vertrauen.

6,109: Wer bestreitet, daß die Heiligen durch den Glauben (allein) gerechtfertigt werden, beleidigt Gottes Barmherzigkeit. (…) 6,110: Was ist folglich mit den Werken, die der Rechtfertigung vorausgehen, mit den Werken des freien Willens? Sie sind alle die verdammten Früchte eines verdammten Baumes.

6,113: Sogar die Werke, die der Rechtfertigung folgen, sind, weil sie noch im unreinen Fleisch vollbracht werden, doch letztlich unrein, obwohl sie aus dem Geist Gottes, der die Herzen der Gerechtfertigten in Beschlag genommen hat, hervorgehen. (…)

6,114: (…) hier bleibt kein Raum für unser Verdienst. (…)

6,122: (…) Es gibt einen Lohn, er wird (aber) nicht irgend einem Verdienst von uns geschuldet, sondern weil ihn der Vater verheißen, hat er sich nun gleichsam gebunden und sich uns zum Schuldner gemacht, die wir so etwas gar nicht verdient hatten. (→ Lk 17,9f; Röm 6,23) (…)

6,170: Wenn die Rechtfertigung mehr aus unseren Werken als aus dem Glauben käme, würde das Gewissen niemals zur Ruhe kommen, es würde im Leben bald dies, bald jenes in unserem Werk erstreben, so daß es unmöglich wäre, nicht zu verzweifeln. (…)

6,194: (…) Die festeste Überzeugung soll darüber bestehen, daß wir immer vollste Gewißheit haben müssen über die Vergebung der Sünde und über die Zuneigung Gottes zu uns, die wir gerechtfertigt sind

6,195: Daher sind die Sakramente oder Zeichen der Barmherzigkeit Gottes den Verheißungen zugefügt worden,

6,197: (…) Können wir wissen, ob wir den Geist Gottes in unserem Herzen empfangen haben?

6,198: Ich antworte: Die Früchte des Heiligen Geistes bezeugen uns, was sich in unseren Herzen befindet, (…, → Gal 5,24). Ein jeder fühlt aber, ob er wirklich und von Herzen die Sünde haßt und verabscheut, denn das heißt das Fleisch kreuzigen.

6,200: Wir wollen dieses ganze Streitgespräch über das GESETZ, das EVANGELIUM und den GLAUBEN nun aber in einigen Hauptsätzen zusammenfassen:

6,201: I. Das GESETZ ist ein Grundsatz, der vorschreibt, was zu tun und zu lassen ist.

6,202: II. Das EVANGELIUM ist die Verheißung der Gnade Gottes.

6,203: III. Das GESETZ verlangt Unmögliches: die Liebe zu Gott und zum Nächsten, Römer VIII.

6,204: IV. Die, die versuchen, das GESETZ mit den Kräften der Natur oder des freien Willens (aus sich) herauszupressen, täuschen nur äußere Werke vor, sie bringen nicht Affekte hervor, die das Gesetz verlangt.

6,205: V. Sie tun daher dem GESETZ nicht Genüge, sondern sie sind Schauspieler, „außen weiß übertünchte Gräber“, wie Christus sagt (Mt 23,27). Und (im Brief) an die Galater III (lesen wir): „Die aus Gesetzeswerken sind, sind unter dem Fluch“ (Gal 3,10).

6,206: VI. Daher ist das Rechtfertigen nicht ein Werk des GESETZES.

6,207: VII. Sondern das eigentliche Werk des GESETZES ist das Aufzeigen der Sünde, ja das Beschämen des Gewissens. (Im Brief) an die Römer III (heißt es): „Durch das Gesetz kommt die Erkenntnis der Sünde“ (Röm 3,20).

6,208: VIII. Dem Gewissen, das die Sünde erkennt, und durch das GESETZ beschämt wurde, zeigt das EVANGELIUM Christus.

6,209: IX. So zeigt Johannes, wenn er die Buße predigt, zugleich auf Christus hin: „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt“ Joh. I (Joh 1,29).

6,210: X. Unsere Gerechtigkeit ist der GLAUBE, durch den dem EVANGELIUM geglaubt wird, das auf Christus zeigt, durch den Christus angenommen wird als der, der den Vater versöhnt hat, durch den die Gnade geschenkt wird. Joh. I (heißt es): „Wieviele ihn aber aufnehmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden“ (Joh 1,12).

6,211: XI. Weil ja dieser GLAUBE allein rechtfertigt, werden unsere Verdienste und Werke auf keinen Fall berücksichtigt, sondern allein die Verdienste Christi.

6,212: XII. Dieser GLAUBE schenkt Frieden und Heiterkeit, (so der Brief) an die Römer V: „Weil wir durch den Glauben gerechtfertigt sind, haben wir Frieden“ (Röm 5,1).

6,213: XIII. Und (dieser Glaube) bewirkt, daß Gott (von uns) zurückgeliebt wird für die so große Wohltat (beneficium), für die Vergebung der Sünde um Christi willen. So ist die Liebe zu Gott eine Frucht des GLAUBENS.

6,214: XIV. Derselbe GLAUBE löst Scham aus darüber, einen so gütigen, so freigiebigen Vater verletzt zu haben.

6,215: XV. So bewirkt er, daß wir unser Fleisch mit seinen Begierden verabscheuen.

6,216: XVI. Die menschliche Vernunft fürchtet weder Gott, noch glaubt sie ihm, sondern sie will gar nichts wissen von Gott und verachtet ihn gemäß dem Psalm: „Der Tor sprach in seinem Herzen: es ist kein Gott“ (Ps 14,1). Und Luk. XVI (steht): „Wenn sie nicht auf Mose und die Propheten hören, so werden sie auch nicht glauben, wenn einer von den Toten auferstünde“ (Lk 16,31). Hier deutet Christus an: das menschliche Herz glaubt nicht dem Wort Gottes. Diese Verrücktheit des menschlichen Herzens hat Salomo in dem ganzen Buch Ekklesiastes (Prediger) getadelt, wie etwa im Kap. VIII: „Weil der Urteilsspruch über die Bösen nicht auf der Stelle erfolgt, begehen die Menschenkinder Böses ohne jede Furcht“ (Pred 8,11).

6,217: XVII. Weil das menschliche Herz von Gott gar nichts wissen will, daher schweift es ab zu seinen eigenen Plänen und eigenen Begierden und es wirft sich selbst auf zum Gott.

6,218: XVIII. Weil Gott das menschliche Herz mit dem GESETZ dadurch das Fühlen der Sünde beschämt, kennt es Gott noch nicht, des es erkennt seine Güte nicht, daher haßt es ihn wie einen Henker.

6,219: XIX. Erst dann, wenn Gott das menschliche Herz mit dem EVANGELIUM durch den Hinweis auf Christus aufrichtet und tröstet, erkennt es Gott, denn es erkennt seine Macht und Güte. Das meint Jeremia, wenn er sagte: „Dessen rühme sich einer, daß er mich kennt“ (Jer 9,23).

6,220: XX. Wer dem EVANGELIUM geglaubt und somit Gottes Güte erkannt hat, dessen Herz wird sogleich aufgerichtet, daß es Gott vertraut und Gott fürchtet und daß es folglich die Pläne des menschlichen Herzens verabscheut.

6,221: XXI. Daher hat Petrus in der Apostelgeschichte sehr passend gesagt: Durch den Glauben werden die Herzen gereinigt (Apg 15,19).

6,222: XXII. Die Barmherzigkeit (Gottes) wird durch die Verheißungen vor Augen gehalten.

6,223: XXIII. Bald werden leibliche (Dinge), bald geistliche verheißen.

6,224: XXIV. Im GESETZ werden leibliche Dinge verheißen, wie das Land Kanaan, das Königreich usw.

6,225: XXV. Das EVANGELIUM ist die Verheißung der Gnade oder die Vergebung der Sünden durch Christus.

6,226: XXVI. Alle leiblichen Verheißungen rühren her von der Verheißung Christi.

6,227: XXVII. Denn die erste Verheißung war die Verheißung der Gnade oder Christi. Genesis III (heißt es): „Ihr Same wird deinen Kopf zermalmen“ (Gen 3,15), d.h. der Same Evas wird das Reich der Schlange, die nach unserer Ferse trachtet, d.h. Sünde und Tod zerstören.

6,228: XXVIII. Diese (Verheißung) ist in der Verheißung, die dem Abraham gemacht wurde, erneuert worden: „In deinem Samen sollen alle Völker gesegnet werden“ (Gen 22,18; vgl. Gen 12,3).

6,229: XXIX. Weil demnach Christus aus der Nachkommenschaft Abrahams geboren werden mußte, sind die Verheißungen über die Besitznahme des (Gelobten) Landes usw., die dem Gesetz beigefügt worden sind, versteckte Verheißungen des kommenden Christus. Denn diese leiblichen Dinge sind deshalb dem Volk verheißen worden, damit es, solange bis der verheißene Same geboren wurde, nicht unterginge, und damit Gott ihm in der Zwischenzeit durch (diese) leiblichen Dinge seine Barmherzigkeit offenbaren würde und den Glauben des Volkes einübe.

6,230: Dadurch, daß Christus geboren war, wurden die Verheißungen, die sich aufs Volk bezogen haben, erfüllt und es wurde die Vergebung der Sünde, um deretwillen Christus geboren werden mußte, bekanntgegeben.

6,231: I. Die Verheißungen des Alten Testaments sind Hinweise auf den kommenden Christus und insofern Verheißungen der Gnade, die einst unter das Volk gebracht werden sollten. Das EVANGELIUM selbst ist die nunmehr bekanntgegebene Verheißung der Gnade.

6,232: II. Wie der Gott nicht kennt, der nur weiß, daß er existiert - es sei denn, er kenne seine Macht und Barmherzigkeit - so glaubt der auch nicht, der nur glaubt, daß Gott existiert, außer er glaube an seine Macht und Barmherzigkeit.

6,233: III. Daher hat nur der einen echten GLAUBEN, der über die Drohungen hinaus auch dem EVANGELIUM glaubt, der seinen Blick auf die Barmherzigkeit Gottes oder auf Christus heftet, das Faustpfand der göttlichen Barmherzigkeit.

7. Der Unterschied zwischen dem Alten und Neuen Testament, sowie die Aufhebung des Gesetzes.

7,3: (…) Ich nenne das Alte Testament die Verheißung leiblicher Güter, verbunden mit der Forderung des Gesetzes.

7,5: Das Neue Testament ist im Gegensatz dazu nichts anderes als die Verheißung alles Guten ohne das Gesetz und ohne Rücksicht auf unsere Gerechtigkeit. Im Alten Testament wurde das Gute verheißen, aber zugleich vom Volk die Erfüllung des Gesetzes gefordert; im Neuen wird das Gute ohne Bedingung verheißen, weil nichts von uns im Gegenzug gefordert wird. (…)

7,11: O nein, die christliche Freiheit wäre sehr billig und mehr als eine Knechtschaft, wenn sie nur die Zeremonien aufheben wollte, (d.h.) den Teil des Gesetzes, der von allen am leichtesten zu ertragen ist. (…) Es ist daher notwendig, festzustellen, daß auch der Dekalog aufgehoben wurde.

7,13: Doch die Freiheit besteht darin, daß dem Gesetz jedes Recht entrissen wurde, uns anzuklagen und zu verdammen.

7,27: Du weißt, inwieweit wir vom Dekalog frei sind. Zuerst, weil er die, die in Christus sind, nicht verdammen kann, obgleich sie Sünder sind (vgl. Röm 8,1f), sodann weil die, die in Christus sind, durch den Geist gezogen werden, das Gesetz zu tun, und sie tun es kraft des Geistes (vgl. Jer 31,31-34; Hes 36,26f; Hes 11,19f) sie lieben und fürchten Gott (vgl. Dtn 6,4f), sie wenden sich den Nöten des Nächsten zu (vgl. Lev 19,18) und sie begehren sogar selbst das, was das Gesetz vorgeschrieben hat, um es zu tun, als ob kein Gesetz gefordert wäre. Nichts anderes ist ihr Wille, nämlich der Geist, als das lebendige Gesetz. (…)

7,32: (…) Insoweit wir demnach durch den Geist erneuert sind, sind wir frei; insoweit wir Fleisch und alter Mensch sind, sind wir unter dem Gesetz, obschon den Glaubenden, was übrig ist vom alten Menschen, um des Glaubens willen vergeben wird.

7,33: Zusammenfassend gesagt: sofern wir glauben, sind wir frei, sofern wir mißtrauen sind wir unter dem Gesetz. (…)

7,36: Daher ist das Gesetz aufgehoben, nicht, daß es nicht gehalten wird, sondern daß es, wenn es nicht gehalten wird, nicht verdammt und (dann auch) gehalten werden kann (durch den Heiligen Geist).

7,43: (…) die Judizial(gesetze) oder Zeremonien sind nicht in der Weise aufgehoben, daß einer sündigt, wenn er von irgend einer (Bestimmung) von ihnen Gebrauch macht. Sondern weil das Christentum eine Freiheit ist, steht es in unserer Macht, Gebrauch von ihnen zu machen oder keinen Gebrauch von ihnen zu machen, nicht anders als Essen oder Trinken in unserer Macht steht.

7,50: Die Judizialgesetze und Zeremonien sind ohne die Gerechtigkeit des Herzens äußere Übungen, die durch Dinge, Personen, Orte und Zeiten begrenzt sind. Weil der Geist diese Übungen nicht notwendig mit sich bringt, gibt es folglich keinen Grund, daß sie von uns getan werden sollen.

7,77: Zusammenfassend gesagt: Durch den Glauben sind wir vom ganzen Gesetz frei, aber dieser Glaube, der Geist Christi selbst, den wir empfangen haben, tötet die Überreste der Sünde im Fleisch, - nicht weil das Gesetz es fordert, sondern weil es die Wesenseigenschaft des Geistes selbst ist, das Fleisch töten zu müssen. (…)

7,78: Und die Gesetze werden den Glaubenden vorgeschrieben, (weil) durch sie der Geist das Fleisch töten soll. Denn die Freiheit ist in uns noch nicht vollkommen, sondern sie wird befreit, solange der Geist zunimmt und das Fleisch getötet wird. Und es ist die Aufgabe des Dekalogs, das Fleisch zu töten, nicht aber (ist es) auf gleiche Weise die (Aufgabe) der Zeremonial- oder Judizialgesetze. So kommt es, daß die Gläubigen den Dekalog brauchen, nicht so wie die übrigen Gesetze. Die Zeremonien und äußeren Übungen übernimmt der Geist je nach Belieben.

7,79: Ich sagte: Die Freiheit hat noch nicht die Vollendung erreicht, weil auch die Heiligung in uns noch nicht die Vollendung erreicht hat. Denn wir haben angefangen, durch den Geist Gottes geheiligt zu werden und wir werden geheiligt, solange bis das Fleisch völlig getötet wird. So geschieht es, daß den Heiligen eine Doppelnatur eignet: Geist und Fleisch, neuer und alter Mensch, innerer und äußerer Mensch.

7,80: Wie oben erörtert wurde, bezeichnet „FLEISCH“ nicht nur den Leib, sondern eben den ganzen Menschen, den natürlichen, wie ihn Paulus nennt (vgl. 1.Kor 2,14), d.h. den Menschen, der dem natürlichen Affekten und Leidenschaften preisgegeben ist. (…)

7,81: Und Fleisch ist alles, was den menschlichen Affekten von Natur eignet. Nicht nur Hungern und Dürsten, sondern auch Reichtum, Ehre und anderes dieser Art lieben. Und Fleisch sind eben auch die philosophischen Tugenden und die wie auch immer beschaffenen Anstrengungen des freien Willens.

7,82: Umgekehrt ist der Geist der Heilige Geist selbst, sowie seine Antriebskraft in uns.

7,92: (…) Denn eine Todsünde ist jedes Werk des Menschen, der nicht in Christus ist, weil es die schlechte Frucht eines schlechten Baums, nämlich des Fleisches ist. (…)

7,95: Verzeihliche Sünden hingegen sind alle Werke der Heiligen, nämlich weil sie den Glaubenden durch die Barmherzigkeit Gottes vergeben werden.

8. Die Zeichen

8,1: Wir sagten, das Evangelium sei die Verheißung der Gnade. Die Zeichen haben nun ihren Ort nahe bei den Verheißungen. Denn in der Schrift werden den Verheißungen Siegel (sigillum) oder Zeichen (signum) hinzugefügt, die uns nicht bloß an die Verheißung erinnern, sondern sogar handfeste Zeugnisse (certa testimonia) des göttlichen Willens gegen uns sind, die uns zusichern, daß wir gewiß empfangen werden, was Gott versprochen hat.

8,3: Was demnach die Wesenseigentümlichkeit von Zeichen sei, kann man sehr leicht aus dem Brief des Paulus entnehmen, wo er sich im 4. Kapitel (Röm 4) auf folgende Art und Weise mit der Beschneidung auseinandersetzt: Abraham ist nicht aufgrund der Beschneidung, sondern vor der Beschneidung und ohne das Verdienst der Beschneidung gerechtfertigt worden, später aber hat er die Beschneidung als Siegel der Gerechtigkeit empfangen, d.h. als Siegel (sigillum)), durch das Gott bezeugte, Abraham sei gerecht, und durch das er dem Abraham wissen ließ, er sei vor Gott gerecht, damit das nach beiden Seiten schwankende Gewissen nicht verzweifeln sollte.

8,5: Es ist zu wenig, daß die Zeichen (signa) an die göttlichen Verheißungen erinnern. Wirklich entscheidend ist, daß sie ein handfestes Zeugnis (certum testimonium) des göttlichen Willens gegen dich sind. (…)

8,16: So wird unsere Schwachheit durch die Zeichen aufgerichtet, damit sie unter so vielen kecken Angriffen der Sünde nicht an Gottes Barmherzigkeit verzweifelt.

8,18: Die Zeichen sind eingesetzt worden, damit (durch sie) der Glaube an die Gnade angefacht werden.

8,13: Die Zeichen rechtfertigen nicht, wie der Apostel sagt: „Die Beschneidung ist nichts“ (1.Kor 7,19), demnach ist (auch) die Taufe nichts und die Teilnahme am Tisch des Herrn nichts, sondern sie sind Zeugen (testes) und Siegel des göttlichen Willens gegen dich, durch die dein Gewissen felsenfest überzeugt ist, wenn es an der Zueignung der Gottes gegen sich zweifelt. (…)

8,15: (…) Demnach kannst du ohne Zeichen gerechtfertigt werden, wenn du nur glaubst. (…)

8,22: Es gibt nun aber nur ZWEI Zeichen, die von Christus im Evangelium eingesetzt wurden: die TAUFE und die Teilnahme am Tisch des Herrn (=ABENDMAHL). Denn wir sind der Meinung: Sakramentale Zeichen sind die, die als Zeichen der Gnade Gottes aufgrund einer göttlichen Verfügung überliefert wurden. Denn wir Menschen können kein Zeichen des göttlichen Willens einsetzen noch solche Zeichen, die die Schrift zu einem anderen Zweck überliefert, zur Bezeichnung des göttlichen Willens übernehmen. Die Taufe

8,27: Das Zeichen ist (bei der Taufe) das unter das Wasser Getauchtwerden. Der Diener (Minister), der untertaucht, bezeichnet (damit) das Werk Gottes, vielmehr daß dieses Untertauchen ein Zeichen des göttlichen Willens ist, wenn er sagt, daß er taufe im Namen des Vaters, des Sohnes und des Hl. Geistes oder im Namen Christi, wie die Apostel in der Apostelgeschichte tauften (vgl. Apg 8,16; 10,48). Mit diesen Worten wird folgendes deutlich zu verstehen gegeben: Sieh, daß du untergetaucht wirst, das sollst du als handfestes Zeugnis der göttlichen Gunst gegen dich annehmen, als wenn Gott selbst dich tauft.

8,31: Es steht fest (…) durch die Taufe wird der Durchzug durch den Tod zum Leben aufgezeigt und sie ist das Untertauchen des alten Adams in den Tod und die Auferweckung des neuen. Deshalb nennt sie Paulus ein Bad der Wiedergeburt

8,34: Der Nutzwert des Zeichens besteht in der Tat darin, zu bezeugen: du gehst durch den Tod hindurch ins Leben, (…)

Die Buße

8,61: Darüber, daß die Buße kein Zeichen ist, besteht keinerlei Unklarheit. Denn die Buße ist die Tötung unseres alten Menschen (Greisenalters) und die Erneuerung des Geistes, ihr Sakrament oder Zeichen ist nichts anderes als die Taufe.

8,63: Das christliche Leben ist nichts anderes als die Buße, d.h. die Wiedergeburt unser (selbst). Die Tötung geschieht durch das Gesetz (…) Die Lebendigmachung durch das Evangelium oder durch die Absolution. Denn das Evangelium ist nichts anderes als die Absolution selbst.

8,76: Es gibt die eine Beichte, durch die wir vor Gott die Sünde eingestehen und uns selbst verurteilen. Diese Beichte ist nichts anderes als allein jene Tötung und wahre Reue

8,78: Es gibt die andere Beichte, durch die wir uns nicht nur zu Hause bei uns, sondern auch vor andern anklagen. (…, vgl. Mt 18,15ff) 8,80: An die Stelle dieser (Beichtform) rückte (später) die Beichte, in der der Fall unter vier Augen und abgesondert von einzelnen Priestern verhandelt wird. (…)

8,101: Daß die Beichte, die vor Gott geschieht, aus göttlichem Recht gefordert wird, geht schon hinreichend klar aus jenem Satz (aus) 1.Joh I hervor, den wir oben zitiert haben. Denn die Sünde wird nur vergeben, wenn wir sie vor Gott bekennen, d.h. wenn wir uns selbst verdammen und auf die Barmherzigkeit Gottes vertrauen, daß uns die Schuld vergeben wird.

8,102: Was bringt's, über die öffentliche Beichte öffentlich bekannter Vergehen vor der Gemeinde, wo die Sache durch Zeugen vorgebracht wird, zu diskutieren? Die Sache selbst erzwingt ein Bekenntnis, nicht nur das göttliche Recht, wenn du angeklagt wirst, ebenso erzwingt das göttliche Recht, daß du dich mit dem Bruder versöhnst.

8,103: Die übrigen Beichten sind menschliche Traditionen. (…)

8,105: Die private Absolution ist so notwendig wie die Taufe. Denn obwohl du hörst, daß das Evangelium der ganzen Gemeinde überall verkündet wird, bist du doch erst dann dessen gewiß, daß du speziell gemeint bist, wenn du unter vier Augen und persönlich die Absolution zugesprochen bekommst.

8,106: Der Mensch dürstet (noch) nicht nach der Gnade, der nicht heftig begehrt, die göttliche Stimme über sich selbst zu hören. Denn es ist die Stimme Gottes, nicht von Menschen, durch die dir die Absolution zugesprochen wird, du sollst lediglich der Absolution glauben. (…)

8,108: Außer dem Tod Christi gibt es keine Sühneleistung

8,109: Durch die Lüge von den Sühneleistungen wurde Christi Sühnetat und der Glaube an die Absolution vollkommen ausgelöscht. (…)

Die Teilnahme am Tisch des Herrn

8,112: Die Teilnahme am Tisch des Herrn, d.h. das Essen des Leibes Christi und das Trinken (seines) Blutes ist ein handfestes Zeichen der Gnade. Denn es drückt sich folgendermaßen aus: „Dies ist der Kelch des Neuen Testaments“ usw. (Lk 22,20) Genauso: „So oft ihr das tun werdet, tut es zu meinem Gedächtnis“ (1.Kor 11,25), d.h. wenn ihr es tut, sollt ihr euch an das Evangelium oder die Sündenvergebung erinnern lassen.

8,117: Der Sinn aber dieses Sakraments besteht darin, uns zu stärken, sooft die Gewissen ins Wanken geraten und sooft wir an Gottes Willen gegen uns zweifeln. Das geschieht bei andern Gelegenheiten, besonders häufig (aber), wenn es zu sterben gilt. Deshalb sind gerade die, die sterben müssen, mit ihm zu stärken.

8,113: (Das Abendmahl) ist daher kein Opfer, weil, weil es ja zu dem Zweck überliefert wurde, nur das verheißene Evangelium ganz gewiß ins Gedächtnis zurückzurufen. Nicht die Teilnahme am Tisch (des Herrn) tilgt die Sünde, sondern der Glaube tilgt sie; er wird aber durch dieses Zeichen bestärkt.

8,116: Daher irren die ruchlos, die Messen zu dem Zweck halten, daß sie irgend ein gutes Werk tun, daß sie Gott (den) Christus als Opfer darbringen für die Lebenden und die Toten in dem Glauben, je öfter es wiederholt werde, um so besser wird's gemacht. (…)

9. Die Liebe

9,3 (…) Die Liebe zu Gott ist eine Frucht des Glaubens. Denn wer durch den Glauben die Barmherzigkeit ergreift, kann nicht anders als Gott wiederlieben. Insoweit ist die Liebe eine Frucht des Glaubens.

9,4: Aus der Liebe zu Gott erwächst auch die Liebe zum Nächsten, wenn wir es begehren, Gott in allen Kreaturen zu dienen.

10. Die Obrigkeit

10,2: Die WELTLICHE Obrigkeit ist die, die das Schwert führt und den weltlichen Frieden erhält. Diese untersucht Paulus Röm XIII (Röm 13,1ff). Die Aufgaben des Schwertes sind die weltlichen Rechtssachen, die weltlichen Ordnungen und Gerichtsverfahren und die Strafen der Schuldigen.

10,4: Bezüglich der Ausübung der Schwertgewalt habe ich aber folgende Meinung: zuerst, wenn die Fürsten etwas gegen Gott befehlen würden, darf man ihnen nicht gehorchen.

10,5: Ferner, wenn sie etwas befohlen haben, was von öffentlichem Nutzen ist, muß man ihnen nach jenem Röm XIII gehorchen: Man soll nicht nur wegen der Strafe, sondern um des Gewissens willen gehorchen. Denn die Liebe verpflichtet uns zu allen staatlichen Aufgaben.

10,6: Schließlich, wenn sie etwas mit tyrannischer Gewalt aufzwingen, ist die Obrigkeit auch hierin um der Liebe willen zu ertragen, wenn ohne öffentliche Aufruhr und ohne Aufstand nichts verändert werden kann gemäß jenem Wort

Die GEISTLICHE Obrigkeit schätzen wir so ein: Erstens sind die Bischöfe Diener, nicht Machthaber oder Obrigkeiten. Ferner haben die Bischöfe kein Recht, Gesetze zu schaffen. Denn ihnen ist aufgetragen, nur das Gotteswort, nicht Menschenwort zu predigen, wie wir oben feststellten und aus Jeremia XXIII (Jer 23) genügend klar hervorgeht. I. 10,9: Darum erstens, wenn sie die Schrift lehren, so sollen sie gehört werden, wie Christus (selbst), gemäß jenem (Wort): „Wer euch hört, hört mich“ (Lk 10,16). (…)

II. 10,10: Ferner, wenn sie etwas gegen die Schrift gelehrt haben, sollen sie nicht gehört werden.

III. 10,12: Drittens, wenn sie etwas gegen die Schrift festlegen mit dem Ziel, die Gewissen zu fesseln, sind sie nicht zu hören.

IV. 10,15: Viertens, wenn du das Gewissen nicht mit dem Gesetz des Bischofs beschweren willst, sondern es als äußerliche Last ansiehst, (…) so sollst du das Gesetz des Bischofs genauso beurteilen, wie die tyrannische Gewalt der weltlichen Obrigkeit.

10,19: Regel und Aufhebung aller menschlichen Gesetze aber sind Glaube und Liebe oder vielmehr die Not. Sie befreit von allen Satzungen, wenn die Seele oder das Leben des Leibes durch die Satzung in Gefahr gebracht werden würde.

11. Das Ärgernis (scandalo)

11,1: (…) Glaube und Liebe sind die Maßstäbe aller menschlichen Handlungen, aber der Glaube ist unter diesen der wichtigere.

11,2: Ein Ärgernis ist nun aber ein Anstoß, durch den im Nächsten entweder der Glaube oder die Liebe verletzt wird. (…)

I. 11,5: In den (Dingen) die kraft göttlichen Rechts gefordert werden, muß man ohne Rücksicht auf ein Ärgernis dem göttlichen recht gehorchen und man muß tun und lehren, was vom göttlichen recht verlangt wird. Denn immer soll dem Glauben vor der Liebe der Vorrang zukommen.

II. 11,7: In den (Dingen), die menschlichen Rechts und Mitteldinge (iuris humani et media) sind - wie der Zölibat und die Einhaltung von Fleischspeisen - bindet eine menschliche Tradition im Notfall (in casu necessitatis) nicht.

11,8: Noch viel mehr soll es erlaubt sein, sie zu übertreten, wenn die Seele gefährdet ist, (…)

III. 11,9: Sie sollen den Pharisäern, die auf Einhaltung ihrer Satzungen dringen, als seien sie heilsnotwendig, ins Angesicht übertreten werden ohne Rücksicht auf ein Ärgernis (…)

IV. 11,11: Um die Freiheit einzuüben, ist es erlaubt, Menschensatzungen zu übertreten, damit Unwissende begreifen, sie sündigen nicht, auch wenn sie etwas gegen Menschensatzungen zulassen.

V. 11,12: Bei den Schwachen und denen, die das Evangelium noch nicht gehört haben, muß man den Dienst der Liebe üben und sich in Menschensatzungen fügen, nur gegen das göttliche recht dürfen wir nichts unternehmen. (Abschluß)

11,16: Du hast (in diesem Buch) die allgemeinsten Gesichtspunkte der theologischen Wahrheiten, hol' dir ihre genaue Begründung aus der Schrift; wir geben uns damit zufrieden, aufgezeigt zu haben, was du hochhalten sollst. Und ich glaube sogar, daß ich auch gut daran getan habe, (diese) so großen Dinge bescheidener, als ich schuldig war, behandelt zu haben, damit ich niemanden durch so einen unseligen Pflichteifer von der Schrift zu meinen Dingen ablenken würde.

11,17: Denn ich meine, Menschenkommentare zu heiligen Dingen sind wirklich wie die Pest zu fliehen, weil die Lehre des Geistes lauter und rein nur aus der Schrift geschöpft werden kann. Denn wer könnte den Geist Gottes angemessener zur Sprache bringen als er sich selbst?

11,18: Das Reich Gottes besteht nicht im Wort, sondern in der Kraft (1.Kor 4,20; vgl. 1.Kor 2,4). Zitate aus den „Loci communes“, 3. Auflage, 1559

Und wenn wir beim Worte Gottes beginnen, so wirken hier drei Ursachen guter Handlung zusammen: - das Wort Gottes; - der heilige Geist; - und der menschliche Wille, der dem Worte Gottes zustimmt und nicht widersteht. Denn er könnte es vertreiben, so wie Saul es freiwillig vertreibt; aber wenn der Geist (mens) es hört und an sich hält und nicht widersteht, dem Mißtrauen nicht nachgibt, sondern, indem auch der heilige Geist Beistand leistet, zustimmen sich müht, so ist der Wille in diesem Streite nicht müßig. (…) Auch geschieht die Bekehrung in David nicht, wie wenn ein Stein in eine Feige verwandelt würde, sondern es handelt ein gewisser freie Wille in David (aliquid liberum arbitrium) als er den Verweis und die Verheißung gehört hat, da gesteht er nunmehr willig und frei das Vergehen (…) So antwort(-e ?) ich denn jenen, welche ihr Untätigsein entschuldigen, weil sie glauben, der freie Wille tue nichts: Nein doch, Gottes Befehl ist ewig und unbeweglich, daß du der Stimme des Evangeliums gehorchen sollst, daß du den Sohn Gottes hörest, daß du den Mittler erkennest. (…) Du wirst sagen „Ich kann nicht.“ Nein doch, auf gewisse Weise kannst du (…)

Darum haben einige Alte also gesagt, daß der freie Wille im Menschen die Fähigkeit sei, sich an die Gnade anzupassen. D.i., er hört die Verheißung und bemüht sich zuzustimmen und wirft ab die Sünden gegen das Gewissen. (…) Da die Verheißung auf alle geht und in GOTT nicht einander widersprechende Willen sind, muß notwendig in UNS ein gewisser Grund des Unterschieds sein, warum Saul verworfen wird, David angenommen wird. (vgl. 1.Sam 15 und 2. Sam 11f)

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