Melanchthon, Philipp - Ob sie glauben, daß der Mensch einen freien Willen habe?

Melanchthon, Philipp - Ob sie glauben, daß der Mensch einen freien Willen habe?

Antworte ich, daß auch in dem Menschen, so nicht ist wiedergeboren, noch übrig sei eine Freiheit des Willens, was die äußerlichen Werke angehet. Als Achilles kann seinen Händen gebieten, daß sie den Agamemnon schlagen, und kann sie zwingen, daß sie ihn nicht schlagen. Alexander kann seine äußerlichen Geberden regieren, daß sie des Darius Eheweib oder Töchter nicht anrühren. - Daß nun solche Freiheit etlichermaßen noch übrig sei in dieser verderbten NAur, ist kund und am Tage. Denn die Reg-Adern1) auch jetzo nach dem Fall Adams und Evas noch die Natur an sich haben, daß, wie sie durch die Gedanken gezogen werden, also können sie den Gedanken gehorsam sein. - Gott will und fordert, daß solche Frieheit in allen Menschen übrig sei, auf daß sie etlichermaßen den Unterschied zwischen dem freiwilligen und nicht freiwilligen Wesen, verstehen mögen, und daß die äußerliche Disciplin oder Zucht könne regieret werden.

Ach, wie oft und viel geschieht es, daß sich die Menschen von den bösen Lüsten überwältigen lassen, ihnen weichen und folgen, die nachmals das Erkenntniß des Gesetzes zurückstoßen, auch andere Gedanken erregen und anzünden, welche, wenn sie durch ungestümes Antrieben des Herzens angereizt und fort getrieben werden, bewegen und treiben sie die äußerlichen Gliedmaßen zu schändlichen Sünden und LAstern. - Darum sollen wir solche Verhinderung, dadurch die Freiheit des Willens wird aufgehalten und verhindert, fleißig betrachten, und daneben das wissen, daß allein in Gottes Kirche die rechte Arznei für solche Seuche gewiesen werde, wie solches im folgenden Spruch, 1 Joh. 3,8., gelehret wird: „Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, daß er die Werke des Teufels zerstöret“, wie wir hernach wieder werden sagen müssen, wenn wir von der Freiheit, die in denen ist, so wiedergeboren sind, handeln werde.

Nun komme ich auf den andern Theil der Frage, und verwerfe mit klaren ausdrücklichen Worten der Pelagianer Irrthum, welche fälschlich erdichtet und vorgegeben haben, daß gar keine Erbsünde sei, und den freien Willen so groß gemacht haben und so hoch erhoben, daß sie auch gesagt haben, daß der Mensch durch seine eigenen natürlichen Kräfte, ohne den heiligen Geist, Gottes Gesetz durch einen innerlichen und äußerlichen Gehorsam, könne erfüllen und genugthun. - Solche grausame und erschreckliche Gotteslästerung verwerfe ich klar und ausdrücklich, welche den Sohn Gottes und den heiligen Geist höhnen und schmähen, und die rechte Lehre ovm Gesetz, von der Sünde und von der Gnade Gottes; item, von den großen unaussprechlichen Wohlthaten Gottes, die uns durch den Sohn Gottes, unsern Herrn Jesum Christum, und durch den heiligen Geist erzeigt werden, ganz und gar verdunkeln, ja unterdrücken und ausrotten. - Ich nehme an und halte festiglich den Spruch Christi. Joh. 8, 36.: „So euch der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei“. Item S. Pauli Sprüche: „Welche der Geist Gottes treibet, die sind Gottes Kinder“. Item: „Wer Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein“. Röm. 8, 9.14. Und danke Gott von Herzen für solche hohe unaussprechliche Güter, daß er uns seinen Sohn, Christum JEsum, und den heiligen Geist aus Gnaden geschenkt und gegeben hat. - Es kann der frei Wille des Menschen weder Sünde noch Tod hinweg nehmen; item, kann oder mag auch nicht den innerlichen Gehorsam, ohne den Sohn Gottes, ohne Evangelium und ohne den heiligen Geist anfangen. Eine solche Freiheit hat des Menschen Wille nicht.

Quelle: Klaiber, Karl Friedrich - Evangelische Volksbibliothek, Band 1

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