6. Melanchthon an Luther.
Den Tag vor dem Frohnleichnamsfest, Abends um 8 Uhr, hat der Kaiser seinen, Gott gebe glücklichen und gesegneten, Einzug in der Stadt Augsburg gehalten. Unser Kurfürst hat, wie gewöhnlich, das Schwert vor ihm hergetragen. Als man nun sehr spät (weil es mit der Procession langsam zuging) in des Kaisers Herberg kam, war das allererste Begehren, es sollten die Predigten eingestellt werden. Hierüber disputirte man drei Tage nach einander, indem die Unsrigen das Predigen durchaus nicht unterlassen wollen, bis es endlich nach langem Streiten dahin gekommen, daß der Kaiser beiden Theilen die Predigten nieder gelegt. Er selbst ließ Einm das Evangelium und Epistel ohne Erklärung herlesen. Auf solche Art werden, nach meiner Einsicht, die Papisten ihrer Sache noch mehr schaden. Ihr aber werdet nach Eurer Klugheit daraus Vieles abnehmen können.
So verhält sich der Anfang, und wir haben auf den Kaiserlichen Hof keine große Hoffnung zu setzen, maßen Campegius nur dazu räth, man solle gegen uns Gewalt brauchen. Gleichwohl ist an dem ganzen Hof Niemand gelinder und gnädiger, als der Kaiser selbst; angesehen er, wie mir Herzog Heinrich von Braunschweig erzählet, die bittern Anschläge der Fürsten gemildert. Wir haben nur zwei Fürsten, die sich unserer Gefahr annehmen, nämlich den Erzbischof zu Mainz und den Herzog zn Braunschweig. Der Kurfürst von der Pfalz und Markgraf zu Baden sind nicht zugegen. Die Herzoge von Baiern brüsten sich sehr. Betet demnach fleißig für uns! Comelius meinet, wir hätten noch einige Hoffnung zum Frieden gehabt, wenn Mercurinus wäre beim Leben geblieben; nach dessen Abgang aber wüßte er keinen in Ansehen stehenden Mann am Hof, der zum Frieden riethe; allein er spielt nur nach seiner Art, und scheint sich sonderlich wohl vorzusehen, daß er nicht möge in Verdacht kommen, als hielte er's mit uns. Das hilft uns nichts. Ein gewisser spanischer geheimer Schreiber hat auch alles Gute versprochen, und bereits mit dem Kaiser und Campegio meiner Meinung halben eine Conferenz gehalten. Es steht aber Alles bei Gott. Gehabt Euch wohl. (Junius 1530.)