Mayfart, Johann Matthäus - Himmlisches Jerusalem - XXII. Von der seligen Anschauung Gottes von Angesicht zu Angesicht.
Lasst uns Gott erkennen, so viel wir vermögen. Er ist gut über allen Vergleich. Er ist groß ohne alle beschwerliche Last. Er ist Schöpfer ohne alle Bedürfnisse. Er ist ewig ohne alle Vergänglichkeit. Er ist an allen Orten gegenwärtig und braucht nicht zu ruhen. Er ist allwissend und braucht nicht zu lernen. Er erhält alles und braucht sich nicht zu mühen.
(Augustinus.)
Wie groß die Liebe einer Braut zu ihrem Bräutigam sei, erfahren wir auf unsern Hochzeiten, und sehen, wie mit gar freundlichen Augen die Braut dem Bräutigam zublicke. Und sind doch in der Nichtigkeit dieses Lebens. Wie wird nun in der Ewigkeit die auserwählte Seele mit heißer Liebe ihrem Bräutigam Christus Jesus an der Himmelstafel zublicken! Mit welch heiliger Andacht wird sie Gott anschauen! Denn dass sie Gott von Angesicht zu Angesicht schauen werde, sagt der heilige Paulus (1 Kor. 13, 12.).
Und Christus selbst hat die herrliche Zusage getan: „Wer mich liebt, der wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren“ (Joh. 14, 21.). Willst Du, Herr Jesu, der auserwählten Seele Dich offenbaren, so wird sie Dich sehen nicht in Bildern und Gleichnissen, nicht wie die Kinder Israel des Tages in einer Wolkensäule und des Nachts in einer Feuersäule, nicht in Wort und Sakrament, nicht in den Werken und Geschöpfen, nicht wie Moses im Nachschauen (2 Mos. 33.), nicht durch innerliche Eingebung, sondern von Angesicht zu Angesicht ohne alle Verhüllung und Beschränkung (1 Joh. 3, 2.).
Dann wird sie schauen die hochgebenedeite Dreieinigkeit mit aufgedecktem Angesicht, den Vater in dem Sohne, den Sohn im Vater, den heiligen Geist im Vater und Sohne. Sie wird schauen drei Personen in einer Gottheit, zwei Naturen in einem Christus, viele Gaben und. Werke in dem einen heiligen Geiste (1 Kor. 12.).
In der Menschheit Jesu sieht sie das Angesicht, welches alle Engel und Heilige ergötzt und zu staunender Verwunderung entzückt. Sie sieht, wie auch der Menschheit Christi gegeben ist alle Gewalt im Himmel und auf Erden (Matth. 28, 18.); wie in ihr verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis (Kol. 2, 3.); dermaßen, dass auch der Mensch Jesus Christus nicht bedurfte, dass jemand Zeugnis gebe von einem Menschen; wie er wohl wusste, was in dem Menschen war (Joh. 2, 25.). Sie sieht, wie Gott denselben Jesum erhöht hat und einen Namen ihm gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesus sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf der Erden und unter der Erden sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Christus Jesus der Herr sei zur Ehre Gottes des Vaters (Phil. 2.). In Summa, sie sieht, wie in der zarten Menschheit wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig (Kol. 2, 9.). Wie hoch aber die auserwählte Seele in der Anschauung Gottes ergötzt wird, beschreibt einigermaßen Augustinus, wenn er fragt, wie es doch geschehe, dass die Engelein das Angesicht Gottes schauen mit Begierde und doch mit Sättigung, mit Sättigung und doch mit Begierde, so dass die Begierde keine Unlust, und die Sättigung keinen Überdruss bringe. Es sei nichts Lieblicheres, spricht er, und nichts Schöneres, denn in steter Betrachtung Gott anschauen, und auf eine wunderbare Weise sichtbar schauen den Unsichtbaren und in dem ewigen Licht sich ergötzen. Wir werden sehen, spricht er, in Deinem Lichte ein Licht. Was aber für ein Licht? Ein unendliches Licht, ein unleibliches Licht, ein unaufhörliches Licht, ein unbegreifliches Licht, ein unauslöschliches Licht; ein Licht, dem nichts gebricht; ein Licht, zu welchem niemand kommen kann; ein unerschaffenes Licht, ein wahrhaftiges Licht; ein göttliches Licht, welches erleuchtet die Augen der Engel, erfreut die Jugend der Heiligen, ein Licht alles Lichts, ein Brunn des Lebens, welcher Du, mein Gott und Herr, selber bist.
Das ist die volle Seligkeit und ganze Verherrlichung des Menschen, wann er schaut das Angesicht seines Gottes; wann er schaut den, der geschaffen hat Himmel und Erde, der den Menschen geschaffen, erlöst und geheiligt hat. Wenn es möglich wäre, dass die Verdammten in der Hölle das Angesicht Gottes sehen könnten, so würden sie keine Pein, noch Schmerzen, noch Traurigkeit empfinden. Ja das Gefängnis würde in einem Augenblick zum Lustgarten, die Marter zum Wohlleben, die Hölle zum Paradies werden. Den Gottlosen aber geht es wie einem Blinden; denselben brennt und sticht die Sonne; er aber sieht sie nicht. Also ist Gott allenthalben gegenwärtig; aber die Gottlosen sehen Ihn nicht. Das ist aber zum ewigen Elende genug; denn sollte Gott auch die Verdammten in der Hölle nicht besonders strafen, sondern vor ihnen nur das Gnadenantlitz verbergen; so wäre es doch viel besser, dass selbige Menschen nie geboren; denn alle Kreaturen müssten ihnen zuwider sein und möchten unter der Gesellschaft der Engel nicht gelitten werden.
Wer aber wissen will, warum die auserwählte Seele nicht aufhören kann, Gott anzuschauen, der bedenke: dass Gott ein Abgrund der Gnade ist. Das ist es, was die auserwählte Seele zu steter Anschauung lockt und reizt; und was auch in keinem Monat, in keinem Jahr, in keiner Jubelzeit, ja auch nicht in der Ewigkeit ganz ausgeschaut werden kann. Das himmlische Jerusalem ist ohne Zweifel schöner als die Sonne, die verklärten Leiber schöner als das himmlische Jerusalem, die verherrlichten Seelen schöner als die verklärten Leiber, die Engel vielleicht schöner als die verherrlichten Seelen; und doch ist der Engel Schönheit gegen Gottes Schönheit wie nichts.
Wir wollen abermals ein Gleichnis aus dieser Welt entlehnen und versuchen, ob dieses einfältigen Herzen zu einem geringen Verständnis dienen möchte.
Wenn in einem Lande wäre eine königliche Residenz, ausgezeichnet durch herrliche Lage, durch gesunde Luft, durch heilsame Wasser; weit und breit berühmt durch prächtige Gebäude und fürstliche Paläste, durch unermessliche Reichtümer und durch eine Menge unschätzbarer Kunstwerke; so würde mancher große Kosten nicht scheuen und sich aufmachen, solche Dinge zu besehen, welche kaum von menschlichen Sinnen erdacht und von menschlichen Händen gemacht zu sein scheinen. Käme er nun in die mächtige Stadt, beschaute die herrlichen Tempel, einen nach dem andern, wohnte den ordentlichen Gottesdiensten bei, hörte die engelsüße Musik, ginge von Chor zu Chor, von Tür zu Tür, von Altan1) zu Altan, von Turm zu Turm und fände alles aufs Stattlichste bereitet und mit höchster Kunst ausgeführt: welch liebliche Augenweide!
Käme er sodann auf das Rathaus und beschaute die Menge der wohleingerichteten Zimmer und weiten Säle, die großen Säulengänge und prächtigen Galerien, die merkwürdigen Denkmäler und geheimnisvollen Sinnbilder und Verzierungen: welch edle Lust! Darauf würden ihm aufgetan die Zeughäuser, die Kaufhäuser, die Kunstkammern; es würden ihm gezeigt alle merkwürdigen Orte und sehenswerten Plätze, und überall wären unzählige Gegenstände und unübertreffliche Kunstwerke zu betrachten: sollte nicht einer ein ganzes Jahr diese Dinge beschauen und ihrer doch nicht überdrüssig werden, besonders wenn ihm an allen Orten und Enden nicht allein Ehre bewiesen, sondern auch reichliche Geschenke dargereicht würden? Käme er nun in des Königs Schloss, und sähe die Prunkgemächer, den Rüstsaal, die Silberkammer, den Marstall, die Tafelstuben und Kunstschätze ohne Zahl; und ginge er endlich in den Lustgarten und beschaute die edlen Früchte, die meisterliche Ordnung der Bäume, die wohlgewählte Stellung der fremden Gewächse, der seltenen Kräuter, die Menge der ausländischen Tiere, der prächtigen Vögel, und wie die Kunstwasser spielten, und die Springbrunnen hohe Wassersäulen emportrieben und die Wasserfälle stürzten und dergleichen unzählige andere Dinge: wie würde seine Verwunderung stets aufs Neue steigen! Und die auserwählte Seele sollte das Anschauen Gottes je müde und überdrüssig werden, da ja Gott viel besser, viel herrlicher, viel lieblicher ist, als alles, was in dieser Welt die Augen der Menschen anziehen, die Gedanken in Erstaunen setzen und die Herzen mit Freude erfüllen kann?
Die Cherubim und Seraphim haben nunmehr länger denn 6000 Jahre das göttliche Wesen betrachtet, und sind doch nimmer gesättigt worden; sondern je länger sie schauen, desto größer wird das Verlangen, desto tiefer wurzelt die heilige Begier. Ist das aber nicht ein Wunder über alle Wunder, dass eine Kreatur sechs tausend Jahr nur ein Ding ohne Aufhören sehen und desselben doch nicht überdrüssig werden kann, sondern alle Augenblicke neue Freude und Wollust empfindet? Ich sage es noch einmal: ist das nicht ein Wunder über alle Wunder? Eine Kreatur sieht sechs tausend Jahre ohne Aufhören nur ein Ding; und wird desselben doch nicht überdrüssig, sondern empfindet alle Augenblicke neue Freude und Wollust.
Dazu kommt noch die liebliche Mannigfaltigkeit der Anschauung Gottes; denn die auserwählte Seele schaut Gott nicht bloß, wie Er an sich selbst ist, sondern auch wie Er in der Menschheit Christi, wie Er in den Engeln, wie Er in den Heiligen, wie Er in ihr ist.
Wenn am hellen Mittag so viele Spiegel als Sterne am Himmel sind, auf die Erde sollten gegen die Sonne gelegt werden: würde nicht das Bild der Sonne aus allen und jedem klar hervorleuchten? Würde nicht durch die Strahlen der Sonne aus allen Spiegeln ein unglaublich helles Licht erzeugt und ein überschwänglicher Glanz in der ganzen Luft verbreitet werden? Nun sind die Engel und Auserwählten nichts anders als helle Spiegel, welche durch den ganzen Himmel verteilt sind. Sie nehmen in sich auf die Sonne des unendlichen Lichts, die Herrlichkeit des allerhöchsten Gottes. Daher muss den ganzen Freudensaal des Paradieses ein unbeschreiblich heller Schein und unaussprechlich strahlender Glanz erfüllen. Und das eben erzeugt die höchste Freude unter den Himmelskindern. Wendet sich die auserwählte Seele zu den Engeln, mit ihnen freundlich umzugehen, so sieht sie in ihnen das holdselige Angesicht Gottes. Wendet sie sich zu andern Auserwählten, mit ihnen brüderlich zu reden, so sieht sie in ihnen das allerheiligste Angesicht Gottes. Wendet sie sich zu der Menschheit Christi, sie demütig zu verehren, so sieht sie in ihr das hochgelobte Angesicht Gottes. Wendet sie sich zu der Dreieinigkeit, ihr demütig Dank zu sagen, so sieht sie in ihr das hochgebenedeite Angesicht Gottes. Endlich sieht sie in ihr selbst das gnadenreiche Angesicht Gottes; ja in ihr selbst sieht sie mit inniglichem Frieden und großer Verwunderung das schönste Angesicht Gottes.
O der Seligkeit, o der Wollust des ewigen Lebens! Da ist keine Stelle, kein Ort noch Winkel, den Gott nicht mit seiner Herrlichkeit erfüllte. Wohin die auserwählte Seele sich kehrt, schaut sie Gott von Angesicht zu Angesicht.
Herr Jesu! weise mir allhier Deine Wege, dass ich wandele in Deiner Wahrheit. Erhalte mein Herz bei dem Einen, dass ich Deinen Namen fürchte; so werde ich dermaleinst dort Dein Angesicht schauen, und mit Jakob sagen (1 Mos. 32, 30.): Ich habe Gott von Angesicht gesehen und meine Seele ist genesen. Amen.