Mayfart, Johann Matthäus - Himmlisches Jerusalem - XVI. Wie die auserwählte Seele dem Sohn Gottes mit großer Feierlichkeit vorgestellt und von Ihm so herrlich und herzlich empfangen wird.
Wer Reichtum haben will, soll ihn da suchen, wo die Güter nicht können verloren werden. Wer Herrlichkeit haben will, soll sie da suchen, wo die Ehre nicht verringert werden kann. Wer Heil haben will, soll es da suchen, wo die Seligkeit nicht verändert; und wer das Leben haben will, soll es da suchen, wo die Gesundheit nicht verloren werden kann. Augustinus.
Bisher sind wir der auserwählten Seele in ihrem triumphierenden Einzug nachgefolgt. Nun wollen wir sehen, wie feierlich sie dem himmlischen Bräutigam vorgestellt wird.
Als die züchtige Jungfrau Esther dem mächtigen König Ahasverus zugeführt werden sollte, wurde sie zuvor ein ganzes Jahr lang geputzt, sechs Monate mit Balsam und sechs Monate mit guter Spezerei gewaschen, gesäubert und aufs herrlichste geschmückt (Esth. 2,12.). Und doch wird noch unendlich herrlicher sein die Darstellung der auserwählten Seele. Sie zeucht dahin, begleitet von Engeln und Heiligen, gewaschen in dem Wasser der Taufe, gesäubert mit dem Blute Jesu Christi, entledigt aller Unreinigkeit durch den Abschied vom sterblichen Leibe, ja vom Herrn selbst überaus herrlich geschmückt, wie Er verheißen Ezech. 16.: „Ich badete dich mit Wasser und wusch dich von deinem Blute und salbte dich mit Balsam und kleidete dich mit gestickten Kleidern und zog dir semische1) Schuhe an; ich gab dir feine leinene Kleider und seidene Schleier und zierte dich mit Kleinodien und legte dir Geschmeide an deine Arme und Kettlein an deinen Hals und gab dir Haarband an deine Stirn und Ohrringe an deine Ohre und eine schöne Krone auf dein Haupt. Summa du warst geziert mit eitel Gold und Silber, und gekleidet mit eitel Leinwand, Seiden und Gesticktem.“
Sie zeucht dahin, lieblich wie Jerusalem, aufgehend wie die Morgenröte, schön wie der Mond, auserwählt wie die Sonne (Hohel. 6,9.), geführt nicht von Kämmerern, sondern von der Menge der Himmelsbürger. Voran gehen die Sänger, darnach die Spielleute unter den Mägden, die da pauken. Da herrscht der kleine Benjamin, Die Fürsten Juda mit ihrem Haufen, die Fürsten Sebulon, die Fürsten Naphthali (Psalm 68,26.28.). Sie zeucht dahin, besungen mit Psalmen und Lobsprüchen, dass die ankommende Königin ewig und aber ewig herrschen soll. Sie zeucht dahin und der Wagen Gottes ist viel tausend Mal tausend (Psalm 68, 8.).
Da singt der eine Chor: „Gott hat ihre Klage verwandelt in einen Reigen.“ Der andere folgt: „Er hat ihren Sack ausgezogen.“ Der dritte: „Und sie mit Freuden gegürtet“ (Psalm 30,12.). Der erste Chor fängt wieder an: „Gott hat die Seele aus der Hölle geführt.“ Der andere folgt: „Er hat sie lebend behalten, da jene in die Hölle führen.“ Der dritte beschließt: „Ihr Heiligen lobsinget dem Herrn, dankt und preist seine Heiligkeit.“ Alsdann stimmt die ganze Gemeinde zusammen: „Auf dass Ihm lobsinge unsere Ehre und nicht still werde; Herr, unser Gott, wir wollen Dir danken in Ewigkeit“ (Ps. 30,4.5.13.).
So führt unter dem süßen Klang der himmlischen Cymbeln, Harfen und Cythern und unter dem unaussprechlichen Jubel der himmlischen Heerscharen Adam die Patriarchen, Abel die Märtyrer, Moses die Propheten, Henoch alle andere Gerechte und geleiten die auserwählte Seele zum himmlischen Bräutigam.
Nun verkündigen die Engelein, wie sie die Braut, die ihnen zu beschützen, abzurufen und zu begleiten anvertraut worden, solchem Befehl gehorsam zur Stelle gebrach ihrem Bräutigam übergeben wollten. - Sie rühmen, dass sie standhaft geblieben sei wie eine feste Stadt, wie eine eiserne Säule, wie eine eherne Mauer, gegen Könige und Fürsten, gegen Ketzer und alles ruchlose Volk im Lande; und ob jene gleich Krieg erhoben, hätten sie doch über dieselbe den Sieg nicht gewinnen können. Sie rühmen ihre Geduld, dass sie wie ein Palmbaum die Last der Widerwärtigkeit getragen, und niemals den Mut habe sinken lassen. Sie rühmen ihre Hoffnung, dass sie sich wie ein edler Phönix ob dem Tod gar nicht entsetzt, sondern auf das andere Leben den Leib vertröstet habe. Sie rühmen ihre Liebe; denn gleichwie ein gesundes Brünnlein seine Bächlein reichlich ausgieße, so habe sie dem Dürftigen die Almosen, dem Traurigen den Trost, den Verirrten den Rat und dem Unwissenden die Lehre mitgeteilt.
Und wer könnte die freudigen Lobreden genugsam beschreiben? Wer könnte die herrliche und doch heilige Pracht genugsam aussinnen? Die Engelein sind die königlichen Brautführer; die auserwählte Seele ist die königliche Braut Christi; Jesus ist der königliche Bräutigam; das Paradies ist die königliche Burg; die selige Schar ist die königliche Dienerschaft, die alle bei der heiligen Vorstellung aufwarten.
So wird die auserwählte Seele dem Herrn Christus als eine teuer erkaufte und mit dem kostbarsten Blute erworbene Braut zugeführt. Und Er selbst, der Herr Herr, geht ihr entgegen, wie Er verheißen bei seinem traurigen Abschied von seinen Jüngern (Joh. 14.): „Ich will wieder kommen und euch zu mir nehmen;“ Er geht ihr entgegen und trocknet schnell alle Tränen von ihren Augen und redet sie also an:
Bist mir willkommen, du edler Gast,
Mein Kreuz du nicht verschmähet hast,
Und kommst in den Himmel her zu mir,
Der soll nun ewig bleiben dir.
„Stehe auf, meine Freundin, meine Schöne, und komme her; denn der Winter der Trübsal ist vergangen; der Regen der Verfolgung ist dahin; die Blumen sind hervorkommen im Lande; der Lenz ist herbeigekommen und die Turteltaube lässt sich hören in unserm Lande. Stehe auf, meine Freundin, und komm, meine Schöne, komme her“ (Hohel. 2,10-12.). So wird er sie anreden und sie küssen mit dem Kuss seines Mundes und wird ihr seine Wunden weisen und ihr sagen, wie Er für sie alles willig gelitten habe.
Und die auserwählte Seele? Sie wird tun, wie der Erzvater Jakob; denn da er gegen Ägypten zu seinem Sohne kam und ihn sah; fiel er ihm um den Hals, weinte lang und sprach: „Ich will nun gern sterben, weil ich dein Angesicht gesehen habe, dass du noch lebst.“ So dürfte auch die auserwählte Seele, wenn sie den Leib bei sich hätte, dem Herrn Christus um den Hals fallen, vor Freude weinen und sagen: „Wenn es möglich wäre, wollte ich noch tausend Mal sterben und viel hunderttausend Mal den schändlichsten, schmählichsten und erschrecklichsten Tod leiden, weil ich Dein heiliges Angesicht gesehen habe, dass Du so herrlich lebst und so mächtig regierst.“
Denn gleichwie Christus Jesus dem Ignatius, als er um seiner Sünde willen betrübt war, erschien und mit den Worten tröstete: Ehe Ignatius verloren gehen sollte, wollte ich noch einmal sterben: so dürfte, wenns möglich wäre, die auserwählte Seele wünschen, dass sie noch viel tausend Mal aus Liebe zum Herrn zu Seiner Ehre sterbe und ihre Treue durch den bitteren Tod beweise.
Herr Jesu! der Du mich Dir selbst durch meine Eltern bei dem Bade der Wiedergeburt hast vorstellen lassen, vollende das Gute, das Du in mir angefangen, damit ich Dir endlich mit Lazarus durch die Engel vollkommen zugeführt werde. Herr Jesu! verleihe mir die. Gnade, dass ich von Dir rede, von Dir singe, von Dir denke, von Dir lehre, von Dir schreibe, von Dir höre, und Dich dort ewig sehe. Amen!