Marshall, Walter - Von der freien Gnade.

Christus und seine ganze Seligkeit wird ohne Verdienst, allein durch Gottes Gnade allen denjenigen gegeben, die an Ihn glauben; “denn aus Gottes Gnaden sind wir selig worden, durch den Glauben, und dasselbige nicht aus uns; Gotts Gabe ist es. (Ephes. 2,8.9.) Wir werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch den Glauben in seinem Blut.“ (Röm. 3,24.25.) Der heilige Geist, das Band der Vereinigung zwischen Christo und uns ist eine Gabe. (Apostelg. 2,38.) Dasjenige demnach, das eine Gnadengabe ist, muß überall nicht durch ein Werk, oder durch Werke, die man vollbringt, als eine Bedingung, ein Recht oder einen Anspruch daran zu erlangen, erworben, erkauft oder zuwege gebracht werden; und daher muß man den Glauben selbst nicht für ein so bedingliches Werk halten. Ist’s aus Gnaden, so ist’s nicht aus Verdienst der Werke, sonst würde Gnade nicht Gnade sein. (röm. 11,6.) Die Bedingung einer unverdienten Gnade ist allein diese: Nehmet hin, und empfanget. Und in diesem Verstande wollen wir es gern zugeben, daß der Glaube eine Bedingung ist, und räumen gern eine Freiheit in den Ausdrücken ein, da wir in der Sache einig sind; allein, wenn es uns auch nur ein Pfefferkorn kostet, ein Recht daran zu halten, so bleibt es keine unverdiente Gabe mehr. Wenn euch Christus ohne euer Verdienst angeboten wird, so ist dieses hinlänglich, euch ein Recht zu verschaffen, ja es zu eurer Pflicht zu machen, Christum und seine Seligkeit, als euer Eigenthum anzunehmen. Und weil wir Christum durch den Glauben, als ein unverdientes Geschenk empfangen, so können wir den Glauben als ein Werkzeug, und gleichsam als die Hand ansehen, von welcher wir ihn empfangen.

Zur Vollendung des großen Werks, wodurch wir in Christo neu erschaffen werden, wirkt der Geist Gottes zuerst auf unsere Herzen durch das Evangelium und mit demselben, die Gnade des Glaubens in uns zu wirken. Denn wenn das Evangelium allein den Worten nach und nicht in der Kraft und im heiligen Geiste zu uns käme, so könnte sich Paulus immerhin vergebens bemühen, zu pflanzen, und Apollo zu begießen, denn wir vernehmen nichts vom Geiste Gottes; ja wir halten es so lange für eine Thorheit, bis der Geist Gottes uns tüchtig macht, es zu erkennen (1 Thess. 1,5.). Wir werden niemals durch den menschlichen Unterricht zu Christo kommen, wenn wir es nicht auch vom Vater hören und lernen, und durch seinen Geist zu Christo bezogen werden (Joh. 6,44.45.) Und wenn der seligmachende Glaube in uns bewirkt ist: so macht eben dieser Glaube, daß wir Christum durch ihn fest ergreifen. Wie er den Mund des Glaubens eröffnet, Christum zu empfangen, so erfüllet er ihn auch mit Christo, sonst würde die Wirkung des Glaubens dem Träume desjenigen gleichen, welcher sich einbildet, er esse und trinke, und sich doch, wenn er erwacht, hungrig befindet. Derselbe Geist Gottes gab beides, den Glauben, wodurch die Wunderwerke verrichtet wurden und that auch die Wunderwerke durch ihn; eben so wirkt auch derselbe Geist Christi den seligmachenden Glauben in uns, und erfüllt den Zweck und die Absicht des Glaubens, indem er uns durch ihn zur Vereinigung und Gemeinschaft mit Christo verhilft, so daß die Ehre dieses Werks keineswegs dem Glauben, sondern Christus und seinem Geiste zukommt.


Obgleich es uns nicht möglich ist, dieß große Werk, so wie wir sollten, zu vollbringen, wenn nicht der Geist Gottes durch seine mächtige Kraft den Glauben in unserm Herzen wirkt, so ist es doch nöthig, daß wir uns darum bemühen, und zwar ehe wir empfinden, daß der Geist Gottes den Glauben kräftig in uns wirkt oder uns Kraft zu glauben giebt. Wir können keine heilige Pflicht gottgefällig ausrichten, wenn nicht der Geist Gottes dieselbe in uns wirkt; und dennoch sind wir dadurch nicht entschuldigt, selbst zu wirken, sondern wir werden vielmehr zu desto größerem Fleiße ermuntert. Schaffet, daß ihr selig werdet mit Furcht und Zittern; denn Gott ist’s, der in euch wirkt, beide, das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen. (Phil. 2,12.13.) Der Weg, wodurch der Geist den Glauben in den Auserwählten wirkt, ist, daß er sie zur Bemühung zu glauben aufmuntert. Und dieser Weg stimmt mit den Mitteln, deren sich der Geist bedient, überein, das ist mit den Ermahnungen, den Befehlen und Vorstellungen des Evangelii, welche ganz unkräftig sein würden, wenn wir ihnen nicht eher Gehör geben wollten, bis wir finden, daß der Glaube bereits in uns gewirket sei. Und es ist auch nicht möglich, daß wir es empfinden können, daß der Geist Gottes den Glauben kräftig in uns wirkt, oder uns Stärke zu glauben giebt, bis wir denselben ausüben; und zu diesem Ende wird alle innerliche Gnade sowohl als alle andere innerliche Fähigkeiten aus den Handlungen, wodurch sie sich äußert, erkannt, wie der Same, der in der Erde liegt, an seinem Hervorwachsen. Wir können die Liebe zu Gott und den Menschen in unsern Herzen nicht wahrnehmen, bis wir sie ausüben. Kinder kennen ihr Vermögen, auf den Füßen zu stehen, nicht, bis sie es zu thun versucht haben. Eben so kennen wir unsere geistlichen Kräfte nicht, bis wir sie aus der Erfahrung, durch Gebrauch und Ausübung kennen gelernt haben. Wir können auch nicht wissen oder uns schlechterdings davon überzeugen, daß der Geist Gottes uns Kräfte zu glauben geben wolle, ehe wir den Glauben ausüben. Denn eine solche Kenntniß und Gewißheit ist, wofern sie rechtschaffen ist, ein Theil des seligmachenden Glaubens selbst, und wer sich auf Christum zuversichtlich zur Erlangung der Kraft, durch seinen Geist zu glauben verläßt, vertraut in der That auf Christum zu seiner eigenen Seligkeit, welche mit der Gnade des seligmachenden Glaubens unzertrennlich verbunden ist. Obgleich der Geist unsere Pflichten durch den Glauben in uns wirkt, so wirkt er doch den Glauben dadurch unmittelbar in uns, daß wir das Wort hören, erkennen und verstehen. Der Glaube kommt durch das Hören, das Hören aber durchs Wort Gottes. Und in dem Worte verspricht oder erklärt er nicht schlechterdings, daß er den Glauben in diesem oder jenem ungläubigen Herzen wirken, oder daß er jemanden insbesondere Kräfte zu glauben geben, oder das Werk des Glaubens an Christum anfangen wolle; denn der Glaube selbst ist die erste Gnade, wodurch wir einen besondern Antheil an den seligmachenden Verheißungen bekommen. Es ist in dem geheimen Rath und Vorsatze Gottes über uns so lange verborgen, ob er uns seinen Geist und den seligmachenden Glauben geben wolle, bis unsere Erwählung aus der Thätigkeit unseres Glaubens erhellet. Sobald uns demnach die Pflicht, daß wir glauben müssen, bekannt ist, so müssen wir uns unmittelbar bemühen, diese Pflicht kräftig auszuüben; und wenn wir dieses thun, so werden wir befinden, daß der Geist Christi uns Stärke gegeben hat, zu glauben, obgleich wie es nicht gewiß wissen, daß er es zum Voraus thun wolle. Der Geist kommt, ohne daß man es wahrnehmen kann über die Auserwählten, den Glauben in ihnen zu wirken, so wie der Wind wehet, wo er will, und niemand weiß, von wannen er kommt und wohin er fähret, sondern wir hören nur sein Sausen, und wissen daher, wenn er vorüber ist. (1 Joh. 3,8.) Wir müssen daher das Werk anfangen, ehe wir wissen, daß der Geist in uns wirke oder wirken wolle zur Seligkeit; und wir werden willig sein, das Werk anzufangen, wenn wir Christi Volk sind; denn nach deinem Sieg wird dir dein Volk willig opfern. (Ps. 110,3.) Es ist genug, daß Gott uns vor der Hand im Evangelio offenbaret, was Glaube ist, und die Gründe, die uns bewegen, an Christum zu unserer eigenen Seligkeit zu glauben, und daß Gott diese Pflicht von uns fordert, und uns zur Ausrichtung derselben behülflich sein wolle, wenn wir uns selbst von Herzen darnach bestreben. Siehe, ich habe dir geboten, daß du getrost und freudig seist, laß dir nicht grauen, und entsetze dich nicht. (Jes. 1,9.) Mache dich auf und richte es aus, der Herr wird mit dir sein. (1 Chron. 22,16.) Derjenige also, welcher diese evangelische Offenbarung als Gottes Wort in herzlicher Liebe annimmt, wird durch den Geist gelehrt, und wird gewiß durch den Glauben zu Christo kommen. (Joh. 6,45.) Wer sie aber nicht annimmt, verachtet Gott, macht ihn zum Lügner, und verdient mit Recht um seines Unglaubens willen verloren zu gehen.


Obgleich der Geist den seligmachenden Glauben allein in den Auserwählten wirkt, und andre nicht glauben, weil sie Christi Schafe nicht sind (Joh. 10,26.), und er deßwegen der Glaube der Auserwählten Gottes heißt (Tit. 1,1.): so sind doch alle, welche das Evangelium hören, zur Pflicht des Glaubens eben sowohl verbunden, als zu allen andern Pflichten des moralischen Gesetzes, und zwar ehe ihnen ihre eigene besondere Erwählung bekannt ist; und sie sind der Verdammniß eben sowohl des Unglaubens, als alle andern Sünden unterworfen. Wer nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingebornen Sohns Gottes. (Joh. 3,18.) Der Apostel Paulus zeigt, daß die auserwählten Israeliten die Seligkeit erlangt haben, die übrigen aber, welche nicht erwählt gewesen, verblendet worden. (Röm. 11,7.20.) Wir können nicht eher eine gewisse Wissenschaft von unserer Erwählung zum ewigen Leben haben, als wir glauben; dieß ist in dem unerforschlichen Rathschlusse Gottes verborgen, bis es durch unsern thätigen Beruf und Glauben an Christum offenbaret wird. Der Apostel wußte die Erwählung der Thessalonicher, da er das Zeugniß des Glaubens fand, daß das Evangelium bei ihnen gewesen sei, nicht allein im Wort, sondern beides in der Kraft und in dem heiligen Geist, und in großer Gewißheit; und daß sie das Wort aufgenommen hatten unter vielen Trübsalen mit Freuden in dem heiligen Geiste. (1 Thess. 1,4.5.6.) Wir würden unsern Beruf sehen, wenn wir ausfindig machten, daß Gott uns erwählet hat (1 Cor. 1,26.27.) Wir müssen daher an Christum glauben, ehe wir unsere Erwählung wissen, oder sie wird uns nie bekannt werden, und wir werden sie nie glauben. Und es kann uns nicht zur Kühnheit angerechnet werden, daß wir auf Christum zuversichtlich zum ewigen Leben vertrauen, ehe wir ein gegründetes Zeugniß von unserer Erwählung haben, weil Gott, der nicht lügen kann, überhaupt verheißen hat, daß, wer an Ihn glaubt, nicht zu Schanden werden soll, ohne daß er den geringsten Unterschied zwischen denen macht, die diese Pflicht ausüben. (Röm. 16,12.) Diese Verheißung wird eben so gewiß erfüllt werden, als die übrigen Rathschlüsse Gottes; und dieses ist daher ein guter und hinlänglicher Grund unserer Zuversicht. Es ist ausgemacht, daß alle, welche der Vater Christo durch den Rathschluß der ewigen Erwählung gegeben hat, zu Christo kommen werden; und es ist in der That gewiß, daß Christus keinen, der zu ihm kommt, wer er auch sei, hinausstoßen wolle. (Joh. 6,37.) Und wir dürfen nicht befürchten, daß wir Gottes Rathschluß der Auserwählung zuwider handeln werden, wenn wir zuversichtlich an Christum zu unserer Seligkeit glauben, ehe wir wissen, was Gott in Ansehung unserer beschlossen habe. Denn wenn wir glauben, so werden wir zuletzt unter der Zahl der Auserwählten erfunden werden; und wenn wir uns weigern, zu glauben, so werden wir uns dadurch freiwillig zu den Verworfenen gesellen, die sich an dem Worte stoßen, da sie ungehorsam sind, wozu sie denn auch bestimmt sind (5 Mose 29,29.). Ich setze noch hinzu, daß, wenn wir gleich kein Zeugniß von unserer besondern Erwählung haben, ehe wir glauben, wir dennoch zuversichtlich auf Christum vertrauen müssen, damit wir davon überzeugt werden, indem uns diejenige Seligkeit ertheilt wird, welche als ein besonderes Gut den Auserwählten allein bestimmt ist. Alle geistlichen, seligmachenden Wohlthaten, womit Gott sein Volk in Christo segnet, sind besonders für diejenigen bestimmt, welche Gott erwählet hat in Christo, ehe der Welt Grund gelegt war (1 Tim. 1,5.=; und demnach müssen wir nothwendig auf Christum dieser seligmachenden Wohlthaten wegen vertrauen, oder wir werden sie gar nicht erhalten. Wir müssen im Glauben beten, und nicht zweifeln, daß Gott unserer nach seiner Gnade gedenken werde, die er seinem Volke verheißen hat. Wir müssen daher das zuversichtliche Vertrauen zu Gott haben, daß er mit uns als seinem auserwählten Volke handeln werde. Es erhellet demnach, daß es keine Kühnheit ist, sondern daß wir dazu verpflichtet sind, uns mit dem großen Werke des Glaubens an Christum zur Seligkeit zu bemühen, ohne vorläufig daran zu zweifeln, ob wir erwählt sind oder nicht: das Geheimniß des Herrn unsers Gottes ist offenbart, damit wir thun mögen alle Worte dieses Gesetzes. – Ihr müßt also zuversichtlich glauben, es sei Gottes Wille, daß ihr an Christum glaubet, und eben sowohl als andere das ewige Leben durch ihn habt, daß euer Glaube eine Gott sehr angenehme Pflicht ist, und daß er euch eben sowohl als andere in diesem Werke behülflich sein wolle, weil er euch durch das Evangelium beruft und befiehlt, an Christum zu glauben. Dieß macht, daß wir das Werk des Glaubens freudig unternehmen, als da Jesus befahl, dem blinden Manne zu rufen, sie zu ihm sagten: sei getrost, steh‘ auf, er ruft dich! (Marc. 10,49.) Ein Befehl Christi bewog Petrum, aufs Meer zu gehen. (Matth. 14,29.) Und hier müssen wir uns nicht bei Gottes Geheimnissen der Vorbestimmung oder dem Vorsatze seines Willens, die Gnade des Glaubens vielmehr als andern zu geben, aufhalten, sondern nur bloß an Gottes, in seinen gnädigen Einladungen und Befehlen geoffenbarten Willen halten, welcher von uns fordert, daß wir an Christum glauben sollen. Dieser Wille Gottes ist durch seinen Eid bestätigt worden: “so wahr ich lebe,“ spricht der Herr, “ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß sich der Gottlose bekehre von seinem Wege und lebe; warum wollt ihr sterben, ihr vom Hause Israel? (Ezech. 33,11.) Christus bezeuget, daß er oft die Kinder Jerusalems habe versammeln wollen, und daß sie nicht gewollt haben. (Tim. 2,4.) Und der Apostel Paulus bezeuget, Gott wolle, daß allen Menschen geholfen werde. (Matth. 15,26.) Ihr müßt alle Gedanken, die dieser Ueberzeugung zuwider sind, verwerfen und verbannen. Wie, wenn nur wenig selig werden? Deine Seligkeit wird die Anzahl nicht zu groß machen; denn wenige werden dir in der Pflicht des Glaubens folgen. Wie, wenn der Zorn Gottes vom Himmel offenbart wird über dich in vielen schrecklichen Gerichten, wenn sein Wort und dein eigenes Gewissen dich verdammen, und Christus dich, wie jenes cananäische Weib, für nichts besseres als einen Hund zu halten scheint? (Röm. 10,4.) Du mußt dieses alles so auslegen, daß der Endzweck davon ist, dich zu Christo zu treiben, wie dieses auch der Endzweck des Fluches des Gesetzes und aller Schrecken desselben war. (Röm. 18,7.8.11.) Wurde ein Prophet oder Engel von Gott vom Himmel gesandt, um dir bekannt zu machen, daß das Urtheil der ewigen Verdammniß über dich ausgesprochen ist, so wäre es deine Schuldigkeit zu glauben, Gott habe ihn gesendet, dich zeitig in der Absicht zu warnen, damit du glauben, und dich durch Glauben und Buße zu Gott bekehren mögest. Jeremias weissagt wider die Juden, Gott wolle sie ausrotten, zerbrechen und verderben, und dennoch lehrte er sie, wenn sie sich von ihren bösen Wegen bekehrten, so werde Gott das Unrecht reuen, das er ihnen zu thun gedachte. (Jonas 3,4.) Jonas kündigte der Stadt Ninive das unvermeidliche Verderben an, welches innerhalb vierzig Tagen über dieselbe kommen wollte (Offenb. Joh. 22,17.), und dennoch war die Absicht dieser schrecklichen Botschaft, daß dies heidnische Volk durch Buße dem Verderben entgehen möchte. Die allerdeutlichsten und unbedingtesten Ankündigungen der göttlichen Rache wider uns, so lange wir noch in dieser Welt sind, müssen allezeit unter der geheimen Bedingung unsrer Seligkeit, wenn wir glauben und Buße thun, verstanden werden. Und wir können sicher glauben, daß uns Gott sein Gericht wider uns durch sein Wort so schrecklich verkündige, damit wir demselben entgehen mögen, wenn wir zu seiner unverdienten Gnade in Christo unsre Zuflucht nehmen. Man hüte sich, den Gedanken zu nähren, daß Gott schlechterdings beschlossen habe, auch seine seligmachende Gnade nicht zu gewähren, oder daß ihr bereits die unvergebliche Sünde begangen habt, oder daß ihr euch vergebens mit dem Werke des Glaubens bemühet, weil Gott euch in selbigem nicht behülflich sein wolle. Wenn dergleichen Gedanken in euren Herzen die Oberhand bekommen; so werden sie euch mehr Schaden thun, als die gotteslästerlichen Gedanken, die euch erschrecken, oder die abscheulichsten Greuel, deren ihr euch schuldig gemacht habt, weil sie euren Glauben an Christum zur Seligkeit hindern. Der Geist und die Braut sprechen: komm. Christus spricht: wen da dürstet, der nehme das Wasser des Lebens umsonst. (Offenb. Joh. 22,17.) Wir müssen daher allen Gedanken, die uns hindern, zu Christo zu kommen, als sehr sündlich und schädlich Einhalt thun, da sie in uns aus unserm eigenen Verderben und den Betrügereien des Satans entstehen, und dem Sinne Christi und den Unterweisungen des Geistes gänzlich zuwider sind. Und was für Gründe können wir haben, dergleichen ungläubige Gedanken zu nähren? Hat Gott in uns seinem geheimen Rath einen Zutritt verstattet, daß wir wissen können, Gott habe uns zur Verdammniß bestimmt, ehe dieses durch unsern bis ans Ende dauernden Unglauben und Unbußfertigkeit bestimmt wird? Was die unvergebliche Sünde betrifft, so besteht sie darin, daß man dem Wege zur Seligkeit von ganzem Herzen entsage, nachdem man zur Erkenntniß desselben gelangt, und von der Wahrheit desselben durch’s Evangelium überzeugt ist. dies ist Sünde, deren sich die christlichen Hebräer würden schuldig gemacht haben, wenn sie vom Christenthume zur Religion der ungläubigen Juden, die Christum für einen Betrüger hielten, und ihn und seine Wege auf das bitterste verfolgten, abgefallen wären (Hebr. 6,4.5.). Diejenigen, welche die Sünde begangen haben, bleiben beständig bis ans Ende, ohne Buße, unversöhnliche und boshafte Feinde Christi und seiner Wege. Wenn ihr deßhalb nur wahrnehmt, daß ihr ein ernstliches Verlangen heget, Theil an Christo zu nehmen, und ein besserer Christ, als ihr wirklich seid, zu werden; wenn ihr unruhig darüber seid, und euch betrübet, daß euer Herz und Wandel so gottlos ist, und daß euch Glauben, Liebe und wahrer Gehorsam fehlt; ja wenn ihr in euren Herzen die boshafte Neigung hegt, das Evangelium zu verfolgen, und die Atheisterei, Ruchlosigkeit oder eine falsche Religion demselben vorzuziehn: so habt ihr nicht Ursache zu argwohnen, daß ihr dieser unvergeblichen Sünde schuldig seid.


Diejenigen, welche die Wahrheit in sich haben, finden sie; und die wahrhaft Demüthigen finden sie. Man bemüht sich umsonst, wenn man sie auf einem andern Wege sucht. Alle andre Wege erregen entweder die Sünde, oder vermehren bei euch die Verzweiflung: wie geschieht, wenn man die Heiligkeit durchs Gesetz sucht, und unter dem Fluche Werke ausübt; es entsteht hieraus höchstens eine sklavische Furcht und ein heuchlerischer Gehorsam, und die Sünde wird blos dadurch zurückgehalten, anstatt, daß sie getödtet werden sollte (Gal. 4,25.). Die Juden suchten einen andern Weg und konnten ihn nicht finden (Röm. 9.). Und alle, die sie auf einem andern Wege suchen, werden in Schmerzen erliegen (Jes. 50,11.). Und zwar aus der Ursache, weil wir in unserm natürlichen Zustande unter dem Gesetze sind, so sind wir todt, und Kinder des Zorns. (Ephes. 1,1.3.). Und das Gesetz verflucht uns, anstatt, daß es uns helfen sollte. (Gal. 3,10.); und giebt uns durch seine Verbindlichkeit kein Leben (Gal. 2,21.). Und wir können die Heiligkeit nicht in uns selber wirken (Röm. 3,6.). So daß ein Demüthiger es für vergebens hält, die Heiligkeit durch Gesetz und durch seine eigenen Kräfte zu suchen. Denn das Gesetz ist durch unser Fleisch schwach. Ein reines Leben ohne eine reine Natur zu suchen, heißt ein Gebäude ohne Grund aufführen. Von dem Gesetze können wir keine neue Natur erlangen: denn es befiehlt uns, Ziegel ohne Stroh zu brennen; und sagt dem Lahmen: geh, ohne ihm Kräfte zu geben. Bloß auf diesem Wege wird Gott in Christo mit uns versöhnt. Und also liegt er uns, und schickt sich zu einem Gegenstande unsrer Liebe (Joh. 4,19.). Und so erlangen wir blos auf diesem Wege eine neue und göttliche Natur durch den Geist Christi in uns; und empfangen neue Herzen nach dem Gesetze, so daß wir Gott von Herzen nach der neuen Natur dienen, und dienen müssen. Hier ist also ein sicherer Grund zur Gottseligkeit, und zur Liebe gegen Gott von ganzem Herzen, von ganzer Seele und aus allen Kräften; der Sünde geschieht nicht blos Einhalt, sondern sie wird getödtet; und das Auswendige wird nicht allein gereinigt, sondern auch das Inwendige, das Ebenbild Gottes wird erneuert, und heilige Werke werden gewiß erfolgen. Wir sündigen nicht nach der neuen Natur, ob wir gleich der alten Natur wegen nicht vollkommen sind.

Quelle: Krummacher, Emil Wilhelm - Goldene Worte über die theure Lehre von der freien Gnade
Elberfeld 1832. Bei Wilhelm Hassel

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