Mallet, Friedrich - Unser Gott ist im Himmel.
Psalm 115, V. 2.
Unser Gott ist im Himmel, er kann schaffen, was er will.
Der Herr, unser Gott, hat zu dem gefallenen Menschen gesagt: „Weil du das getan hast, verflucht sei der Acker um deinetwillen, Dornen und Disteln soll er dir tragen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang“; aber er hat nie aufgehört dem Menschen gegenüber barmherzig, gnädig und geduldig zu sein und von großer Gnade und Treue. Das ist auch in der Erfüllung dieses richterlichen Wortes offenbar geworden. Zwar fehlt es nirgends an Dornen und Disteln, und der Kummer verlässt die Erde auch in den hellsten Tagen nicht, aber man kann doch nicht sagen, dass des Menschen Acker nur Dornen und Disteln trägt, und dass, wenn er auch oft sein Brot in Tränen essen muss, nicht doch die Freudenstunden schlagen, wo man sieht und schmeckt, wie freundlich der Herr gegen ihn ist, der so ernste Worte zu ihm geredet hat. Ja, wenn wir jetzt die Erde ansehen, so reich gesegnet, so schön geschmückt, voll Verheißung künftiger Güter, wie sie sich mit ihren grünen Saaten, mit ihren blühenden Bäumen, mit ihren prangenden Blumen, von der Sonne überstrahlt, vom blauen Himmel umzogen, vor uns ausbreitet, dann müssen wir sagen: sie sieht aus wie ein Garten Gottes, in dem man lustwandeln, seine Werke bewundern, seine Gaben genießen, seiner Güter sich freuen und seinen Namen mit frohem Herzen loben kann und soll. Ohne Zweifel haben Manche von euch in diesen schönen Tagen an das Wort gedacht: „Ist es schon so schön auf Erden, ei, wie wird's im Himmel werden.“ Und das ist die rechte Naturbetrachtung und der rechte Naturgenuss, der mit der Erde anfängt und mit dem Himmel aufhört. Alles soll uns ja zum Besten dienen, alle Dinge sollen mitwirken zur Erreichung unsrer himmlischen Berufung. So wollen wir uns denn durch die Betrachtung dieses Wortes zu einer solchen gesegneten Naturbetrachtung in diesen wonnereichen Frühlingstagen stärken und ermuntern.
Wir betrachten das Wort unseres Textes als ein Wort der tiefsten Anbetung, des weltüberwindenden Glaubens und der kühnsten und seligsten Hoffnung.
I.
Nur bei Nacht leuchten die Sterne. So ist's auch mit den Sternen, von denen der Herr sagt, dass er sie in seiner Hand habe. Der Glaube aller heiligen Menschen Gottes leuchtet aus dunkler Nacht zu uns hernieder. Auch aus diesem Psalm schimmert das Licht solcher Sterne. Er ist aus dem Herzen gläubiger Menschen entstanden, deren Leben auf Erden eine dunkle Nacht geworden war. Der ganze Psalm ist eine triumphierende Antwort des Volkes Gottes auf die höhnende Frage der heidnischen Welt: wo ist euer Gott? Das konnte man nicht fragen zu Davids und Salomos Zeit. Da erfuhr die heidnische Welt in erschrecklicher und herrlicher Weise das Dasein und die Nähe des lebendigen Gottes. Ja, so lange als Jerusalem die Stadt Gottes und in ihr der Tempel Gottes stand, konnte diese höhnende Frage nicht laut werden. Aber es war eine ganz neue Weltperiode eingetreten. Das Reich Gottes, das Volk Gottes war von der Erde verschwunden, die Stadt Gottes war verbrannt, die Altäre Gottes umgestürzt, sein Tempel Staub und Asche. Das Weltreich hatte das Gottesreich vernichtet, die Götter der Heiden hatten den Gott Jehovah besiegt, die wenig Übriggebliebenen seines Volkes weinten als Gefangene an den Bächen Babels. Aber nun machte die Welt die überraschende Erfahrung, dass diese Überwundenen und Gefangenen im höchsten Sinne des Wortes unüberwindlich waren. Mitten unter den Heiden, losgerissen von Allem, was ihren Glauben stützte, umgeben von allem Zauber der heidnischen Welt und von dem Siegesgeschrei der Götzenpriester und Götzenanbeter, hielten sie mehr als je ihre Väter getan, fest an dem lebendigen Gott und wandten sich mit unüberwindlichem Abscheu hinweg von den Göttern der Welt. Da tönte ihnen denn von allen Seiten entgegen die höhnende Frage: wo ist denn euer Gott, er hat ja keine Stätte auf Erden, kein Land, keinen Altar, kein Haus? Es ist kein Flecken Erde mehr sein, während unsere Götter die ganze Erde in Besitz genommen haben. Aber auf diese Frage hatten sie eine Antwort, eine herrliche Antwort, in der zugleich die ganze Majestät ihres Gottes und die ganze Nichtigkeit der Götter dieser Welt ausgesprochen ist, und sie haben sie laut in die Welt hineingerufen, und sie ist noch immer die Antwort der Gemeinde Gottes auf Erden auf die Frage der Welt geblieben: wo ist euer Gott? Sie heißt: unser Gott ist im Himmel.
Gott und der Himmel, der lebendige Gott und die himmlische Welt, das steht immer beisammen, und das kann nicht voneinander geschieden werden. Wo der lebendige Gott nicht bekannt ist, da weiß man nichts von dem Himmel, und wo der Himmel über dem Menschen verschlossen ist, da weiß man nichts von dem lebendigen Gott. Gott als der Unendliche, der außer und über der Welt ist, ist für die Welt gar nicht da. Er ist nur für sie da, insofern und insoweit er sich zu ihr herabgelassen hat. Darum sagt die Heilige Schrift nicht nur: Gott hat die Welt gemacht, sondern sie bezeugt auch: er hat seinen Thron im Himmel bereitet. Er hat sich in ihr eine Stätte seiner Herrlichkeit und seiner Herrschaft bereitet und sich eben dadurch zu der Welt herabgelassen und sie zu seiner Wohnung und zur Stätte seiner Offenbarung gemacht. Diese himmlische Welt nennt die Schrift Oben, oder das, was oben ist, und spricht es damit aus, dass die ganze sichtbare Welt geringer ist als sie, und dass namentlich alles auf Erden, wie schön und reich es auch an sich sein mag, gegen das, was im Himmel ist, das Geringe, das Niedrige, das Eitle ist. Im Himmel ist alles ohne Mangel, während auf Erden Alles weniger ist als wir selbst; im Himmel ist Alles unbefleckt, während auf Erden alles durch unsere Sünde verunreinigt ist; im Himmel ist Alles ohne Ende, während Alles auf Erden eitel ist. Mit der Größe und Herrlichkeit der himmlischen Welt kann daher nichts verglichen werden. Und doch ist es eine Tat der demütigen Liebe Gottes, es ist eine Selbsterniedrigung und Herablassung des Gottes, den aller Himmel Himmel nicht fassen können, dass er seinen Thron im Himmel bereitet hat, dass wir von ihm sagen können: unser Gott ist im Himmel! Aber während er sich dadurch zu der Welt herabgelassen hat, ist er nun in ihr die höchste Macht und Majestät, von der man im Himmel und auf Erden sagen muss: Wer ist wie Du? Darum ruft die Heilige Schrift aus: „Wer ist wie Du, der sich so hoch gesetzt hat und herab sieht auf das Niedrige, das im Himmel und auf Erden ist.“ Mit der Größe und Herrlichkeit Gottes kann nichts verglichen werden, nicht nur auf Erden, sondern auch im Himmel. Alle Herrlichkeit dieser Welt ist Staub und Asche vor ihm, allen Menschen, auch den Größten und Mächtigsten, kommt die Stunde, worin man von ihm sagen muss: wie so gar nichts sind doch alle Menschen. Das kann man nicht von dem sagen, was im Himmel ist; von den Engeln im Himmel kann man nicht sagen: wie so gar nichts sind doch alle Engel. Aber Gott gegenüber führen sie auch mit Allem, was auf Erden ist den Namen: das Niedrige. Gott ist allein groß. Es ist Niemand über ihm, und es reicht Niemand an ihn heran. Aber das ist die Größe der Engel vor allen anderen Kreaturen, dass sie bei Gott sind im Himmel. Sie umgeben seinen Thron, sie sehen seine Herrlichkeit, sie wandeln in seinem Lichte, die ganze Welt, in der sie wohnen, ruft ihnen zu, dass sie da wohnen, wo der lebendige Gott, der Gott der Liebe und des Friedens wohnt. Darin besteht eben ihr eigenes seliges und herrliches Dasein, dass sie das Sein bei Gott und die Majestät Gottes in den Tiefen ihres Wesens fort und fort empfinden und erleben, und wenn es von ihnen heißt: „Das himmlische Heer betet Dich an“ (Nehemia 9), so wird damit das Höchste und Seligste ausgesprochen, was ein für Gott geschaffenes Wesen erfahren, empfinden und genießen kann. Das Wort: „Unser Gott ist im Himmel“ bezeichnet die Seligkeit und Herrlichkeit derer, die im Himmel wohnen. Es heißt: Er ist bei uns und wir sind bei ihm.
Wir sagen es mit ihnen, aber so wie sie können wir es nicht sagen, denn wir können nicht hinzufügen: Und auf Erden. Wir sind umgeben von den Werken seiner Macht, wir genießen die Gaben seiner Güte, wir wissen, dass die Erde mit Allen, die darauf wohnen, sein Eigentum ist und dass wir nicht das Leben in uns selber haben, sondern in ihm leben und sind, aber wir können nicht sagen: Unser Gott ist auf Erden. Die Erde ist nicht sein Thron und seine Wohnung. Sie ist zur Gemeinschaft mit der himmlischen Welt und mit dem lebendigen Gott bestimmt und angelegt, aber zu dem natürlichen Abstand der Erde von dem Himmel ist die unnatürliche der Sünde und des Todes hinzugekommen, wodurch der Mensch sich selbst von Gott, dem Heiligen, und von der himmlischen Welt getrennt hat. Daher bedeckt Finsternis die Erde und Nacht die Völker, und in dieser Finsternis leben Gottesleugner und Gotteslästerer. Von einer Menge Menschen müssen wir sagen: sie sind ohne Gott in der Welt, sie leben, als ob kein Gott im Himmel wäre. Sie fragen frech: Wer ist der Herr, den wir fürchten sollten? Wer ist Gott, dass wir ihn lieben sollten? Sie stehen im Aufruhr wider ihn und sprechen zu seinem Gesalbten: Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche. Ja, es ist eine Feindschaft da wider Gott, die sich immer und überall kund tut, wo sich Gott den Menschen in erbarmender Liebe genaht hat, beides, in der jüdischen Welt und in der heidnischen Welt; ja nicht nur das Dasein der Gottlosen, von denen die Welt voll ist, bezeugt es, dass Gott nicht auf Erden wohnt, auch aus der Gemeinde derer, die Gott fürchten, vernehmen wir nicht selten die Klage: Unser Gott ist ein verborgener Gott, und nie hat ihn ein Mensch auf Erden erfahren als durch den Glauben, das heißt, durch das Nichtzweifeln daran, dass Gott ist, und dass er ein Helfer und Vergelter derer ist, die ihn suchen und zwar eben dadurch, dass er sich von ihnen finden lässt. Aber wie weit auch die Menschen sich von Gott entfernt haben, und wie sehr die Lügennacht ihren Geist verfinstert und die Sündenmacht die heilige Stätte ihres Herzens verwüstet hat, die Frage nach Gott ist doch immer laut geblieben auf Erden, und das Zeichen, dass der Mensch eine gefallene Majestät ist zum Bilde Gottes und zur Gemeinschaft mit Gott geschaffen, ist nie ganz untergegangen. Dieses Zeichen besteht eben darin, dass ihm nicht genügt auf Erden, dass er in nichts Eitlem Ruhe findet, und dass er nicht nur etwas Höheres über sich anerkennen, ehren und lieben kann, sondern dass er die Majestät des lebendigen Gottes, der im Himmel ist, hier schon in der Tiefe seines Wesens empfinden und in dieser Empfindung dem himmlischen Heer sich anschließen kann, von dem geschrieben steht: Es betet dich an. Wir sind von einer Menge Geschöpfe umgeben, die mit uns in dieser Welt leben und, soweit die Sinne reichen, sie genießen und darin ihre volle Genüge haben; aber mit dem Menschen ist es anders, er kann mitten in allen Reichtümern dieser Welt sich fühlen wie ein Waisenkind im reichen Hause seiner seligen Eltern. Das volle Haus ist ihm leer geworden, das reiche Haus ist ihm arm geworden, seitdem die fehlen, deren Angesicht seine Sonne war, und deren Liebe das Element seines Lebens gewesen ist. So ist's dem Menschen, wenn seine Seele aus tiefen Träumen erwacht und er sich allein fühlt in dieser Welt, die ohne Gott ist. Nur wenn die sichtbaren Dinge dieser Welt ihm etwas zu fühlen geben von dem, der Himmel und Erde gemacht hat, so dass seine Blicke über diese Welt hinausgehen, dann erwacht ein Sehnen und Hoffen in ihm und trägt ihn über Alles, was um ihn her ist, in eine andere Welt empor zu dem, der seines Lebens Quell und die Ruhe seiner Seele ist, sein Ursprung und sein Ziel. Aber gerade dann, wenn er sich so arm fühlt in dieser reichen Welt und er in allen sichtbaren Dingen nichts finden kann, was seinem Herzen Leben und volle Genüge gibt, gerade dann weisen sie ihn hinauf und hinüber in eine andere Welt und geben ihm etwas zu erkennen und zu fühlen von dem Gott, der Himmel und Erde gemacht hat, und der in alle Werke seiner Schöpfung den Namen seiner Macht und Majestät eingeschrieben hat und den Menschen das Auge gegeben hat, überall die Heilige Schrift zu lesen, die von dem lebendigen Gott zeugt, der im Himmel ist. Dadurch ist der Mensch von den Tieren unterschieden und so hoch über sie erhaben ist, als der Himmel über der Erde. Von dem Adler sagt man, dass er, zur Sonne emporfliegend, dabei unverwandt mit seinen Augen in die Sonne hineinblicke, als wenn er ihr angehörte, als wolle er in sie hineinfliegen. Des Menschen Auge ist schwächer, aber sein Blick geht doch weiter als der des Adlers. Er kann nicht in den Glanz der Sonne hineinsehen, er senkt sein Angesicht vor ihrer Majestät; aber es können wunderbare Dinge in seiner Seele vorgehen, wenn er in der Stille des Morgens und Abends beim Kommen und Scheiden des Tages den Aufgang und Untergang dieses wunderbaren Lichtes betrachtet. Ein anderer Glanz geht in seiner Seele auf und eine andere Majestät berührt seinen Geist als der Glanz und die Majestät der Königin des Tages. Unwillkürlich falten sich seine Hände und beugen sich seine Knie und er betet den an, der im Himmel ist, und empfindet in diesem Augenblick, dass mit dieser Anbetung erst sein menschliches Dasein begonnen hat, und dass nichts auf Erden, sondern allein Gott im Himmel sein ewiges Gut und die Ruhe seiner Seele ist.
II.
Es ist etwas Großes, wenn der Mensch das einmal erfahren und empfunden hat, aber gerade dann, wenn er in den Tiefen seines Wesens von der Majestät Gottes ergriffen und also zu ihm ist erhoben worden, dass er sagen kann: Du bist im Himmel, gerade dann empfindet er auch aufs Schmerzlichste den Unterschied zwischen dem Gott, der im Himmel ist, und dem Menschen, der auf Erden ist, zwischen dem Gott, der so heilig ist, und dem Menschen, der so sündig ist und durch Sünde und Tod von Gott und der himmlischen Welt getrennt und geschieden ist. Ja in der Stunde solcher Anbetung könnte man zu dem Menschen sagen: Was hilft Dir denn ein Gott, der im Himmel und nicht auf Erden ist? und der also nicht der Erde und denen, die auf ihr wohnen angehört, sondern einer anderen Welt, zu der wir keinen Zugang haben. Und diese Frage wurde wirklich von den triumphierenden Heiden an die Gefangenen gerichtet, die sie aus dem zerstörten Jerusalem nach Babylon geführt hatten. Und freilich, wenn sie auf die Frage: Wo ist denn Euer Gott? nichts anderes hätten antworten können als: Gott ist im Himmel, dann hätte die Welt recht mit dem Einwurf: Was hilft Euch ein solcher Gott? Die Heiden haben aber keine Lehrfrage getan, sondern eine Lebensfrage, sie haben nicht gefragt: Wo ist Gott? sondern: Wo ist Euer Gott? Und dieses Euer, das ergreifen die Gefangenen, das tönt aus ihrer Antwort wieder, das verwandeln sie in das seligste und herrlichste Unser, das man im Himmel und auf Erden aussprechen kann. Sie sagen nicht: Gott ist im Himmel, sondern sie rühmen und frohlocken: Unser Gott ist im Himmel, der Gott, der im Himmel ist, ist unser Gott, er gehöret uns an und wir gehören ihm an, und nichts und Niemand kann ihn von uns und uns von ihm scheiden. Es kann uns Alles genommen werden, und es ist uns wirklich Alles genommen, was der Mensch hier sein Gut nennen kann, unsere Heimat, unser Tempel, unsre Stadt, unser Land, unsre Freiheit, aber Gott ist uns geblieben, der Gott, der im Himmel ist, ist unser Gott geblieben; Berge mögen fallen und Hügel weichen, aber seine Gnade kann nicht von uns weichen, und der Bund seines Friedens kann nicht hinfallen.
Aber freilich konnte man fragen: Worauf gründete sich dieser unerschütterliche Glaube? in der ganzen sichtbaren Welt hatte er keine Stütze, ja das Untrüglichste auf Erden, die Erfahrung und die Geschichte war dagegen. Wenn der Gott, der im Himmel ist, der Bundesgott Israels, wenn Jerusalem seine Stadt, Salomos Tempel seine Wohnung, Kanaan sein Land war, warum hat er denn sein Eigentum nicht geschützt, warum ist sein Land verwüstet, seine Stadt erobert, sein Tempel verbrannt, sein Volk gefangen?
Aber gerade dadurch ist ihr Glaube, die zweifellose Gewissheit, dass Gott im Himmel ihr Gott ist, erst recht und ganz auf den Felsengrund gestützt worden, auf dem er allein und in allen Stürmen und Nächten der Geschichte ruhen kann, nämlich auf das Wort des lebendigen Gottes, das unter allem Wechsel und Wandel der Dinge das bleibende ist, der Fels der Ewigkeit im Meere der Zeit.
Das war ihnen ja schon durch den Propheten Jesaias gepredigt worden, dass ihnen sonst nichts bleiben werde. Als der Prophet auf die göttliche Aufforderung zu predigen fragte: Was soll ich predigen? ward ihm die Antwort: „Alles Fleisch ist Heu und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde; das Heu verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt in Ewigkeit.“ Das braucht kein Prophet zu predigen, dass alle Herrlichkeit der Menschen vergänglich ist, wie die Blume des Feldes. Das ist das Gesetz der Vergänglichkeit, das sich fort und fort, überall und immer vor den Augen der Menschen vollzieht; aber das war das Neue, dass auch die Herrlichkeit des Volkes Gottes davon keine Ausnahme machen sollte, dass ihm Alles sollte genommen werden, worin es auch äußerlich herrlich vor der Welt war; aber eins soll ihm bleiben als ein unvergänglicher Schatz, als ein ewiges Gut und als eine unüberwindliche Macht. Der Prophet setzt hinzu: das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit. Und so war es geschehen, es war ihnen wirklich Alles genommen worden, aber das Wort ihres Gottes war ihnen geblieben. Es kann nicht gebrochen werden, es kann nicht verändert werden, es kann nicht vernichtet werden. Was Gott geredet hat, das ist ein ewiges, unveränderliches, unwiderstehliches und seliges Wort. Der im Himmel wohnt, nimmt es nicht zurück, denn er ist der Wahrhaftige, und die auf Erden wohnen, können seine Erfüllung nicht hindern, denn er ist der Allmächtige Gott.
Auch unter den Menschen gibt es Worte, die unauflöslich aneinander binden, und die Treue im Halten des Wortes oder der Wortbruch ist das heiligste und schmählichste, das wir kennen. Gott aber hat ein solches Bundeswort gesprochen und hat sich dadurch unauflöslich und ewig an sein Volk gebunden. Damit sein Volk nicht daran zweifle und daran in allen Lagen und unter allen Umständen festhalte, hat er kein Wort so oft gesagt als das Wort, in dem alle seine Liebe und alle seine Verheißungen enthalten sind, das große herrliche Bundeswort: Ich bin der Herr, Dein Gott! Das kehrt in allen seinen Reden an sein Volk immer wieder, Gott wird nicht müde, es zu sagen, weil es dem Menschen so schwer wird, es zu glauben und daran festzuhalten, wenn es heißt: Wo ist denn nun dein Gott? Gott will es ihm in sein Herz hineinreden, dass es nie wieder aus demselben kann vertilgt werden, und dass es in ihm eine unüberwindliche Gotteskraft und der Anfang eines neuen göttlichen Lebens und himmlischen Wesens werde. Sogar das heilige Gesetz der zehn Gebote, das der Herr selbst gegeben hat, und in dem er das Licht seiner Heiligkeit in unsre Sündennacht hineinleuchten lässt, fängt er mit diesem Wort an: Ich bin der Herr, Dein Gott! und in jedem der vier ersten Gebote, die uns zeigen, wie wir von ihm abgefallen sind, wie wir wider ihn gesündigt haben, da wiederholt er dieses Wort, da heißt es viermal hintereinander: Ich bin Dein Gott! als könnte dieses: ich bin dein durch gar nichts geändert und ausgelöscht werden in seinem Herzen, auch nicht durch unsere Sünden. Und selbst bei seinen Gerichten über sein Volk, worin er auch ihnen offenbart, dass ihm gottloses Wesen nicht gefällt, spricht er es immer aus, dass er nur seinen Weg mit seinem Volke geändert habe, aber nicht seinen Rat und seinen Bund. „Ich erwähle dich, ich verwerfe dich nicht“, ruft er ihm durch den Propheten Jesaias zu. Und in der allerdunkelsten Nacht, als nicht nur die Welt fragte: wo ist nun unser Gott? sondern die Seinen selbst klagten: er hat uns verlassen, er hat uns vergessen - hat er das zärtlichste Wort ewiger Liebe und Treue geredet, das je auf Erden ist laut geworden: Kann auch eine Mutter ihres Kindes vergessen, dass sie sich nicht erbarme des Sohnes ihres Leibes, und ob sie seiner vergäße, will ich deiner nicht vergessen. Siehe in die Hände habe ich dich gezeichnet.“
Wenn aber dieses Gotteswort in eines Menschen Herz ist kräftig und lebendig geworden, dass er von ganzem Herzen sagen kann: mein Gott, unser Gott! dann hat er eben damit den Glauben, der die Welt überwindet, denn was könnte die Welt dem bieten, der sagen kann: Gott ist mein Gott, der sagen kann: Gott ist für mich, wer will wider mich sein? und der es weiß, wie es auch an ihm einmal offenbar werden muss, dass Menschen und Engelzungen kein höheres Wort aussprechen können und kein seligeres als das: Gott ist mein Gott: Unser Gott ist im Himmel!
III.
Und eben darum ist es das Wort der kühnsten und seligsten Hoffnung. Diese spricht der Psalm in dem folgenden Wort aus, das auch ein Wort der Majestät ist, das allein von unserem Gott im Himmel kann gesagt werden: er kann schaffen, was er will. Das kann kein Mensch und kein Engel, das kann keiner von den Göttern dieser Welt, von menschlichen Gedanken und menschlichen Händen gemacht. Diese Götter, deren sich die heidnische Welt rühmt, sind gerade das Gegenteil unseres Gottes. Er Alles, sie nichts; darum vergleicht der Psalm die selbstgemachten Götter der Welt mit unserem Gott, der im Himmel ist, in folgender Weise: sie sehen nicht, sie hören nicht, sie reden nicht, sie fühlen nicht, sie sind nichts und sie vermögen nichts; aber unser Gott, der schaffen kann was er will, der hat alles Leben ins Dasein gerufen, der hat das sehende Auge gemacht und das hörende Ohr, den redenden Mund und das fühlende Herz und die arbeitende Hand und den wandelnden Fuß. Er hat's gewollt, dass es so sein soll, und es ist geworden, und er, der das Alles gemacht und gegeben hat, der ist selbst ein Gott, des Auge in alle Lande sieht, des Ohr den Gesang der himmlischen Heerscharen hört und das Seufzen und Flehen der Seinen auf Erden; sein Herz ist voll heiliger Liebe, voll unaussprechlicher Erbarmung; seine mächtige Hand ist nie zu kurz und zu schwach, dass er nicht helfen könnte. Er sieht uns, obgleich wir nicht bei ihm im Himmel, sondern weit von ihm auf Erden sind, er hört und versteht unsere Gedanken von Ferne. Keine Finsternis kann uns vor ihm verhüllen, und keine Stätte kann uns vor ihm verstecken, keine Entfernung kann uns seiner Macht und Liebe entziehen. Es gibt keine Tiefe und keine Not, aus der er nicht erretten und helfen könnte. Er hat Himmel und Erde gemacht, und er hat bei Erschaffung der Welt seine Gotteskraft nicht erschöpft, sondern er kann fort und fort schaffen was er will, d. h., er kann das Unmögliche, er kann die kühnste und seligste Hoffnung erfüllen und wird sie erfüllen, die große heilige Hoffnung, die durch das Wort des Herrn: ich bin Dein Gott, gleich in dem Herzen des Menschen ist wach geworden, und wodurch ein neues Leben angefangen hat auf Erden, das Leben der Ewigkeit in der Menschenseele. Denn wie Gott zu Abraham das große Wort gesprochen hat: ich bin dein Gott, da hat Abraham dieses Wort, so groß wie es ist, in sein Herz und seine Seele aufgenommen und hat gedacht: ist Gott mein Gott, so muss das Himmel und Erde offenbar werden, und so kann dieses nur dadurch geschehen, dass ich aus meinem ganzen Elend erlöset werde, aus dem Elend der Sünde und des Todes, and dass ich wieder zu Gott und zu dem himmlischen Leben bei Gott erhoben werde. Darum heißt es von ihm: er begehrte das Bessere, das Himmlische,“ und dass er dieses Wort: ich bin Dein Gott, so göttlich groß aufgefasst hat und daran alle Hoffnung und Sehnsucht seiner Seele so gehängt hat, dass er hinfort nichts anderes sein und heißen wollte als ein Fremdling und Pilgrim, der hier kein Vaterland und keine Heimat hat, das hat Gott so wohlgefallen, dass es heißt: darum nannte er sich sein Gott und hat ihm eine Stadt zubereitet. Diese heilige und selige Hoffnung spricht auch in diesem Psalm aus den Herzen der Kinder Abrahams, die Alles, was sie besaßen, verloren hatten, die Gefangene, Fremdlinge und Pilger geworden waren in einem fremden Lande. Ihre Hoffnung auf ihren Gott hat darum nicht aufgehört, sie ist vielmehr erst recht groß und herrlich geworden, indem sie da anfängt, wo alle Hoffnung der Menschen ein Ende hat. Da, wo der Mensch Alles verliert, was er in dieser Welt besitzt, und sein ganzes Dasein in den Schatten des Todes verschwindet, da geht ihre Hoffnung nicht unter in der Nacht und Tiefe des Todes, sondern hinauf in die heilige himmlische Welt, in die nie ein Schatten der Sünde ist hineingefallen, in der nie eine Klage des Todes ist laut geworden, wo Gott wohnt, und wo es ganz und völlig offenbar wird werden von Ewigkeit zu Ewigkeit, was es heißt: er ist unser Gott. Darum schließt der Psalm mit dem großen, kühnen, seligen Wort: „wir loben ihn von nun an bis in Ewigkeit, Halleluja,“
Aber freilich sprechen wir damit aus, was unmöglich ist, denn die Sünde und der Tod schließen uns aus von der heiligen, himmlischen Welt, wo Gott wohnt und wo man ihn lobt in Ewigkeit. Wer in diese himmlische Welt eingehen will, der muss von aller Sünden- und Todesnacht erlöst, der muss ein neuer, himmlischer, göttlicher Mensch werden. Das ist aber das große Werk, von dem der Herr sagt: bei den Menschen ist's unmöglich. Denn der. Mensch kann nichts schaffen, er kann aus dem alten Menschen der Sünde und des Todes keinen neuen, unsündlichen und unsterblichen Menschen machen. Der Herr seht aber hinzu: bei Gott ist kein Ding unmöglich, und in demselben Verstand heißt es hier: er kann schaffen, was er will. Und dass er das will, dass der Mensch ein neuer Mensch werde, dass er sein Kind und Erbe werde, dass er einmal bei ihm wohnen soll im Himmel als sein Kind in seinem Haus, das hat er schon in diesem Wort ausgesprochen: ich bin der Herr dein Gott. Das liegt darin wie ein verborgener Schatz. Und dass er als ihr Gott schaffen kann, was er will, das will er gerade an denen beweisen, die er für sich geschaffen hat, die er zu seiner Gemeinschaft bestimmt hat, die durch die Sünde von ihm gerissen und so elend geworden sind, dass sie nur durch die höchste Tat göttlicher Liebe und göttlicher Macht können gerettet werden. Und diese Tat ist geschehen. Als die himmlischen Heerscharen auf Erden ihren Lobgesang ertönen ließen über das Kind, das in Bethlehem geboren war, da konnte man sagten: unser Gott ist im Himmel und auf Erden, da hat Einer unter den Menschen gewohnt und gewandelt, der sagen konnte: wer mich sieht, der sieht den Vater, und der das Höchste in Gott, die Liebe, die Gott zu den Menschen hat, in die Nacht dieser Welt hat hineinscheinen lassen so hell, dass sie Jedermann sehen kann, der die Augen will auftun, und so mächtig, dass sie jedes Herz ergreift und umwandelt, das ihr stille hält. Nachdem Gott in demütiger Liebe, um in seiner Welt zu wohnen, seinen Thron im Himmel bereitet hat, hat er in erbarmender Liebe aus dem Elend der Menschen sein Kreuz auf Erden bereitet und sie dadurch zur Offenbarungsstätte seiner Liebe gemacht, der Liebe, die alle Erkenntnis übersteigt. Seitdem ist ein Volk Gottes auf Erden, das nicht nur sagen kann: unser Gott ist im Himmel, sondern das sagen und beten kann: unser Vater im Himmel, das eben darum hinzufügen kann: unsere Heimat ist im Himmel, und unser Erbe ist da, wo unser Gott und Vater, und wo unser Herr und Heiland ist. Uns schreckt nicht die Macht der Sünde und nicht die Nacht des Todes, uns schreckt auch nicht die Erfahrung eigner Ohnmacht und Gebrechlichkeit, nicht der schwerste Weg, nicht der heißeste Kampf, denn unsere Erlösung von Sünde und Tod ist nicht unser Werk, sondern das Werk unseres Gottes und Heilandes, er tut an uns lauter unmögliche Dinge, denn er kann schaffen, was er will, und weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserem Herrn. Röm. 8, v. 38, 39. Möge uns dann auch hier auf Erden, wie einst den Israeliten, die diesen Psalm an den Wassern Babels gesungen, Alles, was wir hier hatten und Alles, was uns hier ein Gut und eine Stütze war, genommen werden, unser Glaube überwindet die Welt, und unsre kühnste und seligste Hoffnung kann uns nicht genommen werden. In ihm und in ihr heben wir immer wieder das Haupt empor, auch auf schweren Wegen, auch in dunklen Nächten, denn unser Gott ist im Himmel, er kann schaffen, was er will. Amen.