Majer, Friedrich - Predigt am zweiten Advent
Dekan Majer in Biberach
Ev. Matth. 25,31-46. (I. Jahrgang.)
Wann aber des Menschen Sohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle heiligen Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Stuhle seiner Herrlichkeit, und werden vor ihm alle Völker versammelt werden. Und er wird sie von einander scheiden, gleich als ein Hirte die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken. Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt. Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist; ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich getränkt; ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich beherberget; ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich bekleidet; ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht; ich bin gefangen gewesen, und ihr seid zu mir kommen. Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dich gespeist, oder durstig und haben dich getränkt? Wann haben wir dich einen Gast gesehen und beherberget, oder nackt und haben dich bekleidet? Wann haben wir dich krank oder gefangen gesehen und sind zu dir kommen? Und der König wird antworten und sagen zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch, was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan! Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich nicht gespeist; ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht getränkt; ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich nicht beherberget; ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich nicht bekleidet; ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt mich nicht besucht. Da werden sie ihm auch antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich gesehen hungrig oder durstig oder einen Gast oder nackt oder krank oder gefangen und haben dir nicht gedient? Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch, was ihr nicht getan habt einem unter diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. Und sie werden in die ewige Pein gehen, aber die Gerechten in das ewige Leben.
„Zweiter Advent“ heißt unser heutiger Sonntag, Geliebte in Christo Jesu, und ist mit diesem die ganze Adventszeit noch nicht abgeschlossen, noch zwei Adventssonntage stehen vor uns. Vier Adventssonntage mit ihren vier Adventswochen sagen uns deutlich und ernst genug, was es doch sei um die Ankunft des Gottessohnes auf Erden im Fleische; sind diese Tage doch nichts anderes, als eine Zeit der Vorbereitung zur würdigen und gesegneten Feier des Tages, da erschienen ist die heilsame Gnade Gottes in Christo Jesu allen Menschen. Wenn aber ein Adventssonntag, so ist es der zweite Advent, welcher in besonderem Ernste uns die Ankunft Jesu wichtig machen will. Der zweite? fraget ihr, warum? ist nicht einer wie der andere?
Der zweite Advent dieses Wort schon mahnt uns eben an das zweite Kommen Jesu auf Erden, an seine Zukunft zum Gericht. Wohl möchte unser Auge lieber ruhen bleiben auf dem Anblick des sanftmütigen Königs, als hinausschauen auf das Erscheinen des gerechten Richters, doch gerade damit das Antlitz unseres Richters einmal uns nicht finster, sondern freundlich sei wie das des holdseligen Jesuskindes und ewig freundlich bleibe auf, o Christenmensch! dein Auge an diesem zweiten Advent von der Krippe zum Kreuze, vom Kreuze zum Throne! Sonst wenn wir von einem Menschenkinde ahnen, dass aus ihm ein großer Mann wird, von dem unser irdisch Wohlsein abhängt, wie schaut alles hinauf an ihm! Hier bei diesem Jesuskinde wissen wir es gewiss, was es schon geworden ist und bleibt in Ewigkeit, unser Erlöser und Richter, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden; umsonst aber will er nicht für uns geboren, gestorben, auferstanden, gen Himmel gefahren sein und sitzen zur Rechten Gottes, seines Vaters; darum heißt's aus seinem Munde: „Heraus ihr Toten! aus euren Gräbern! herzu! ihr Lebenden! Seid ihr zu mir gekommen im Glauben und gottseligen Leben? Legt Rechenschaft ab!“ Nun denn, herbei, meine Lieben! zum Throne des Menschensohnes, sammeln wir uns im Geiste um ihn, hören wir, was er nach rechts und links spricht, erwägen wir es tief im Herzen mit nachdenklichem Einblick in unser inneres und äußeres Leben. Er aber lenke unser aller Herzen mit unwiderstehlicher Geistesgewalt zu seiner Rechten, indem wir in seinem Namen betrachten:
Kommt her! Geht hin! Die zweite Advents-Botschaft.
Welches von diesen zwei Worten wird einmal vom Richterthrone über uns gesprochen?
Kommt her! Geht hin! Sollten unter andren ernsten Gedanken, welche unser heutiges Evangelium in uns erweckt, nicht auch diese Worte, als unsere zweite Adventsbotschaft, uns tief bewegen? Ist es gleichgültig, ob's einmal „her“ oder „hin“ heißt? Oder versteht es sich von selbst, dass wir hergerufen werden vom Herrn, nicht aber fortgewiesen? Ach! wie schnell lebt man doch in unseren Tagen dahin von einem Erwerb und Verlust zum andern, von einer Zerstreuung und Aufregung zur andern! Keine Zeit, keine Lust, mit solchen Fragen über ewige Zustände sich zu beschäftigen.
Und doch, wie schnell kann der, von dem die Adventsbotschaft lautet: „Er kommt!“ der ewige Richter, unser Herr und König, in seiner Herrlichkeit vor uns erscheinen, und von seinem Throne ergeht nach rechts und links über alle Völker der Richterspruch über unser ewiges Wohl oder Wehe; ja, kann er nicht heute, nicht jetzt kommen? Freilich sind nahezu Jahrtausende dahin gegangen, seitdem diese zweite Ankunft vorausgesagt ist und immer ist sie noch nicht eingetroffen, ein Advent um den anderen und doch dieser Advent noch nicht, die Welt steht noch und geht alles seinen alten Gang fort von einem Tag, von einem Jahr zum anderen. Wollen wir gar mit den Spöttern zu den Zeiten der Apostel sagen (2. Petri 3, 4): „Wo ist die Verheißung seiner Zukunft? Denn nachdem die Väter entschlafen sind, bleibt es alles, wie es von Anfang der Kreatur gewesen ist!“ Ferne bleibe uns doch solche Sicherheit, als ob es mit diesem zweiten Advent Christi nichts wäre, auch ohne dass sie sich mit Spottreden ausdrückt, genug wenn wir uns allmählig eben einschläfern lassen durch den Alltagstaumel unserer Sorgen und Genüsse. Wie viel länger war die erste Ankunft Jesu auf Erden voraus verkündigt, vier Jahrtausende! und doch er ist gekommen, er, auf den die Väter harrten. Wird's nicht ebenso gehen, mit der Vorausverkündigung des zweiten Kommens Jesu, dazu da wir sie heute hören aus seinem eigenen wahrhaftigen Munde, und ist dieses nicht das einzige Mal. Also wenn irgend eine Zeit, so sei es die Adventszeit, besonders unser zweiter Advent, welcher uns rüttle und wecke aus unserer Schläfrigkeit mit Donnerstimme rufe sie uns ins Herz: „Er kommt! Er kommt!“ dass wir stille stehen auf unserem Lebenswege und unsere Häupter gen Himmel richten, zu schauen, ob er nicht kommt, mit der Frage auf den Lippen: „Was wird sein Kommen dir bringen?“ „Er kommt,“ wenn ein Kind das hört von seinem Vater, wie freut es sich, wenn es brav war, wie erschrickt's, wenn es unartig war! „Er kommt, Er kommt,“ wenn wir solcher Adventsbotschaft doch nur auch einigen Glauben schenken, ja den Glauben, dass er jeden Tag, jeden Augenblick kommen kann, uns zu richten - sollte das nicht auch in uns einen Eindruck hinterlassen, dass alles andere in Hintergrund tritt vor diesem wichtigen Entscheidungstag über ewiges Leben oder ewige Pein? Sehen wir in unser Leben zurück, meine Lieben; wir alle haben schon manche Tage hinter uns, an welchen über unser leiblich, zeitlich Wohl entschieden worden ist. Du warst schwerkrank und der ärztliche Ausspruch lautete: „es muss geschnitten werden auf Leben und Tod, bleibt nichts anderes übrig“; oder du hattest einen Rechtsstreit, bei welchem deine Ehre, dein Vermögen auf dem Spiele stand, und es war daran, dass das Urteil gefällt werden sollte oder dein Herz wünschte sehnlich eine eheliche Verbindung, bei welcher allein du glücklich zu sein hofftest und das „Ja“ oder „Nein“ stand nahe bevor: sage, mit welchem Bangen sahst du auf diese Tage hinaus, ja tatest du nicht alles noch vorher, damit doch gewiss nach deines Herzens Wunsch es gehen möge, Tag und Nacht trieb es dich lange vorher um, hattest keine Ruh noch Rast! Wie? Hat dir der Tag, der die Entscheidung über dein ewiges, sage ewiges Los bringt, auch schon einmal so viel zu schaffen gemacht? Müssen wir uns in der Tat nicht alle schämen dieser unserer Advents-Lässigkeit, den Herrn um Vergebung bitten, ihm danken, dass wir noch Zeit haben, uns zu rüsten auf diesen Tag. O! es ist schon genug Zeit verloren; um so ernster beschäftige uns dieses Mal der zweite Advent Jesu mit heilsbegierigem Nachdenken, wie viel davon abhänge, ob „Geht hin“ oder „kommt her“ über uns ertöne!
„Kommt her!“ Wer von uns sollte sich nicht wünschen, dass dieses Wort einmal über uns, als die Gesegneten des Vaters Jesu Christi von Ihm, dem Richter-Könige, an jenem großen Tage gesprochen werde? Wenn ein Vater seinem Kinde freundlich ruft: Komm her! nimmt's an der Hand und gibt ihm, sei es ein noch so kleines Geschenk. Nun wie strahlt da ein Kindesauge! wenn der Richter aller Völker uns vor allen Engeln und Menschen ruft: „Kommt her! her zu meinem Vater, zu mir, nahe her zu meinem Throne, da nehmt hin den Segen meines Vaters, nehmt ein ganzes Königreich als euer Erbe; vom Anbeginn der Welt ist's euch schon zugedacht gewesen und zubereitet - ja, mein Leben habe ich darob gelassen!“ was ist das für ein Augenblick! Eine ganze freudenvolle Ewigkeit, also ewig unsres seligen Loses gewiss! Freut es uns sonst bei einem Geschenke besonders, wenn wir wissen, dass der Geber schon lange uns solches bestimmt hat, weil wir darin sehen ein Zeichen großer Liebe, wie muss uns diese Liebe Jesu Christi und seines Vaters ins Herz leuchten, welche von Anbeginn der Welt darauf bedacht war, uns so zu segnen ewiglich! Gewinnt Einer das große Los hienieden, wie glücklich fühlt er sich „nun bin ich ein geborgener Mann mein Lebtag“, denkt er und in einigen Jahren ist das ganze Glück vielleicht schon dahin! Jenes Glück, jenes Erbe aber bleibt Niemand kann es uns nehmen; auch gehen wir nicht mehr herab, wie die Jünger vom Verklärungsberge, nein! die Hütten sind gebaut, wo es ewig gut ist, wir bleiben droben - da sind die Worte ganz erfüllt: „Das kein Auge gesehen hat, und kein Ohr gehört hat, und in keines Menschen Herz gekommen ist, das Gott bereitet hat denen, die ihn lieben, das hat uns nun Gott offenbart durch seinen Geist.“ Wir schauen nun, was wir geglaubt haben. (1. Kor. 2, 9, 10.) Doch, Geliebte in Christo Jesu, über diesen köstlichen Ausblick vergessen wir nicht näher zu sehen, wer denn diese Gesegneten des Vaters Jesu Christi sind, was denn von uns verlangt wird, damit wir dieses reiche Erbe eintun und desselben gewiss sind. Es möchte uns bange werden in dem nahe liegenden Gedanken, dass für eine solche überschwänglich erfreuliche Entscheidung große Forderung gestellt werde.
Diese Gesegneten des himmlischen Vaters - sind das nicht ganz besondere Heilige, Apostel, Märtyrer, Kirchenväter, Reformatoren Christenmenschen, welche im Reiche Gottes große Taten getan haben? Nun was sagt der Richter von ihnen? Kleine Liebesdienste führt er von ihnen an, einen Bissen Brots, einen Trunk Wassers, ein Nachtquartier, einen Rock, einen Besuch in Krankheit oder im Gefängnisse, alltägliche gute Werke an ihm getan. Was braucht's da nun Angst? Da reicht's schon zum Gerichtsspruch: „Kommt her!“ Denn wo ist Einer, der nicht auch da und dort eine solche Wohltat seinem Nebenmenschen in der Not erwiesen hätte?
An dem Herrn selbst unmittelbar persönlich können wir ja nichts auf Erden tun, und sieht er, was wir an seinen Brüdern tun, an, als ob wir's ihm getan hätten, wie er selbst sagt. So leicht' sieht die Gerichtsforderung aus für die Gesegneten des Vaters, ja so leicht, dass manche Ausleger sagen, Jesus rede hier nur von dem Gerichte, das mit den Heiden gehalten werde; von den Christen werde natürlich mehr verlangt. Nun lassen wir das dahingestellt - Christen wird dieses Evangelium verkündigt vom Gerichte des Menschensohnes und so wollen wir Christen doch uns etwas entnehmen für jenen großen Gerichtstag. Sind denn diese kleinen Liebesdienste so leicht? Sind nicht manche darunter, an die du gar nie kommst, Krankenbesuche? Ob aber dies auch nicht, stehen sie nicht ganz vereinzelt da, und glaubst du etwa, mit einer Weihnachtsgabe fürs ganze Jahr alle Nächstenliebe abmachen zu können? Muss nicht dein ganzes Leben eine Kette von lauter Liebeswerken sein, kein Tag ohne ein solches? Oder ist das ein guter Acker, der so ein paar Ähren bringt, und ist es nicht der, welcher Ähre dicht an Ähre hat? Wenn du aber auch viel Gutes tust, tust du es im Stillen, dass dein Richter erst einmal dich erinnert daran, du aber nichts davon gewusst hast? Oder wenn du auch nicht damit prangst, redest du nicht mit deinem Herzen oft davon in Eitelkeit und Hochmut, dass es dir deshalb am Gerichtstage einmal nicht fehlen könne? Wo ist Christi Geist, in welchem alle, auch die kleinsten Liebesdienste geschehen sollen, wenn wir vor ihm, dem Richter bestehen wollen? Nun diese Liebesdienste, nicht als Verdienste, sondern als Dienste im Geiste Christi, sind sie so leicht? Gibt's da für uns Christen nicht noch genug zu tun, ja dürfen, wollen wir nicht heute wie von vorne anfangen, ehe es zur Liebe auch mit kleineren Werken kommt, im lebendigen Glauben an Jesum Christum, wenn nur alles im Familienleben täglich in wahrer Liebe zugehen soll? Also meine Lieben, soll's dort heißen: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters! dann hören, folgen wir dem Rufe Jesu hier immer treulicher: „Kommt her und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig.“
„Geht hin!“ wer mag nur einen Augenblick sich denken: „Dieses schreckliche Wort ergeht am Gericht über dich, du wirst unter denen zur Linken stehen, unter den Verfluchten vor allen Engeln und Auserwählten, wirst geworfen in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln.“ Nicht unserem ärgsten Feinde möchten wir dieses Urteil gönnen. „Geht hin!“ sagt Kinder, wenn euer Vater so zu euch sprechen würde oder hat er schon so mit dem einen oder andern geredet? „geht hin von mir, fort aus meinem Angesicht!“ und sei es nur ein paar Tage, sagt, wäre euch das nicht die ärgste Strafe? Sei es welch andere noch so empfindliche Strafe, nur nicht vom Vater fortgewiesen werden, dass wir nicht mehr vor seine Augen kommen dürfen! Nun aber hören wir diese Strafe ausgesprochen auf ewig von dem Richter der Welt über einen Teil der Menschen. Kaum möchten wir denken, dass Derselbe, welcher ein so beseligendes „Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters!“ soeben gesprochen hat sagen kann: „Geht hin von mir, ihr Verfluchten!“ Wenn ein Mensch den andern verflucht, so geht's einem durch Mark und Bein, und was ist der Fluch eines sündhaften Menschen? Aber der Fluch aus dem wahrhaftigen Munde des heiligen Gottes, o! was wirkt er? wohin bringt er? In das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln. Fort von Gott und Himmel - was ist noch da? Der Teufel mit seinen Engeln, Hölle, ewiges Feuer, ja ewig! Jahrhunderte zubringen in solcher Umgebung, unter Plagen von außen und innen, an Seel' und Leib, schon Jammer genug, allein die Aussicht, dass einmal diese Qual aufhören wird, wäre doch ein tröstlicher, wonniger Lichtblick im wilden Höllenfeuer. Nun aber ewig fort vom Herrn, ewig beim Teufel - so steht's geschrieben „sie werden in die ewige Pein gehen“. Wie viele Hände wollten schon dieses Wort „ewig“ bei der Pein, nicht bei dem Leben, der Seligkeit ausstreichen, noch steht's da so klar und fest geschrieben, wie von Anfang, unauslöschlich! Tut was ihr wollt, „ewiges Feuer, ewige Pein“ ihr bringt diese Worte aus der Bibel nicht weg. Freilich ist Jesus unser huld- und gnadenvoller Heiland, aber auch ein Richter voll Wahrheit und Gerechtigkeit o! vergessen wir das nicht. Möchte er gern zu allen Menschen sagen: „kommt her“, er muss eben auch „Geht hin“ sagen nach seiner Gerechtigkeit, die Menschen wollen's zum Teil nicht anders, es ist ihre Schuld. Nun wer sind denn diese Verfluchten? Flucher, Meineidige, Gotteslästerer, Mörder, Ehebrecher, Diebe, Räuber kurz nur recht grobe Sünder? Gewiss ist solchen allerdings das ewige Feuer, so sie sich nicht bekehren, aber nicht nur diesen, nein! Hören wir nur, auch solchen, welche vor groben Sünden sich gehütet, aber das Gute nicht getan haben, ja verflucht sind auch diejenigen, welche hienieden kleine Liebesdienste unterlassen haben. Sollte uns allen da nicht bange werden? Der Frömmste kann er nur an einem Tage seines Lebens in Wahrheit vor Gott sagen: Heute habe ich alles Gute, nur Gutes getan, nichts Gutes unterlassen? Ach! wie drückt diese Erfahrung jeden rechten Christenmenschen; doch wenn wir Gott täglich deshalb um Vergebung bitten und um mehr Kraft, Gutes zu tun, nun so dürfen wir keine Angst mehr haben, das „Geht hin“ treffe auch uns, dem Herrn sei Dank! Aber die Unterlassung des Guten sich zum Grundsatz machen mit mehr oder weniger Wissen, das ist vom Uebel, das stellt uns am Gericht zur Linken und wie vielen Tausenden ist ihr ganzes Christentum das augenfällige Böse lassen, dagegen das wahrhaft Gute nicht tun! Prüfe dich einmal nach der zweiten Gesetzestafel, welche am großen Gerichtstage dir besonders nach unsrem Evangelium vorgehalten wird. Du hast noch keinen Mord begangen, aber mit deinem Feinde versöhnst du dich nicht, betest nicht für ihn, erweisest ihm nichts Gutes. Du hast die Ehe nicht gröblich gebrochen, aber herzlich und treulich liebst du dein Weib nicht. Du hast noch nicht gestohlen, aber an Hungrigen, Durstigen, Zerlumpten, Obdachlosen, Kranken, Gefangenen gehst vorbei wie der Priester und Levit an dem unter die Mörder Gefallenen. Du verleumdest deinen Nächsten nicht, aber Gutes redest du auch nicht von ihm. Oder willst du deine Unterlassungssünden der zweiten Gesetzestafel zudecken mit deinen Tugenden der ersten Tafel; ja, kannst's zudecken vor Gott, welcher die Liebe zum Nächsten gebietet wie die Liebe zu ihm, und der da will, dass wir, je mehr wir ihn lieben, zu ihm beten, sein Wort hören, ihm dienen in der Kirche und zu Hause, desto mehr von seinem Geiste erfüllt, unsern Brüdern und Schwestern dienen? Ja, so manche meinen dies wie die zur Linken sagen: Herr, wann haben wir dich gesehen hungrig oder durstig oder einen Gast oder nackend oder krank oder gefangen und haben dir nicht gedient? aber wem gefällt ein unfruchtbarer Baum, ob er voll ist von glänzenden Blättern? Wie mag dem Herrn ein Christenmensch gefallen, der keine Früchte der Nächstenliebe aufweisen kann? Sind denn seine Werke der Gottesliebe und Frömmigkeit etwas anderes als Blätter, Blätter keine Früchte? Dürfen wir uns daher wundern, dass der Herr, der den unfruchtbaren Feigenbaum verflucht hat, auch die Christen verflucht, die unfruchtbar sind an Werken der Nächstenliebe? Unterlassung des Guten ist einmal nichts Gutes, und kann somit nichts anders sein, als etwas Böses aus unlauterem Grunde, Sünde. Darum mit den Unterlassungssünden es nur nicht so leicht genommen, und wenn etwas uns einen Schrecken vor ihnen einjagen kann, so ist es das „Geht hin von mir“ über die Unterlassungssünder und wollen wir dieses zernichtende Richterwort ernstlich einmal nicht hören, nun so hören wir hier um so fleißiger das Heilandswort (Matth. 9, 13): „Geht aber hin und lernt, was das sei: Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer.“
„Kommt her“, „Geht hin“. Diese zweite Adventsbotschaft, vergessen wir sie nicht. Der treue Heiland gebe, dass er als der gerechte Richter uns alle, alle Geliebte in ihm! zu seiner Rechten stellen kann und richte unsere Herzen und Schritte dieser seiner fröhlichen Zukunft von heute an fest und entschieden zu! Amen.