Mackay, William Paton - „Gnade und Wahrheit“ - Einleitung.
„Das Gesetz ist durch Mosen gegeben, die Gnade und Wahrheit ist durch Jesum Christum geworden“ (d. h. in der Person Jesu Christo zu uns gekommen). Das Gesetz hat uns gezeigt, was der Mensch sein soll; Christus hat uns gezeigt, was er ist, und hat uns Gott gezeigt. Das Gesetz ist gegeben, die Gnade und Wahrheit ist geworden, d. h: in seiner Person, in voller Harmonie und Proportion zu uns gekommen. Auf Golgatha ist dies Alles offenbar geworden: des Menschen wahrer Zustand was die Wahrheit Gottes und was die Gnade ist. Das Gesetz bezeugt, was der Mensch Gott gegenüber sein soll und nicht ist die Gnade bezeugt, was Gott mir sein will. Das Gesetz fängt mit den Worten an: „Du sollst“ - das erste Wort der Gnade ist: „Gott“ „also hat Gott geliebt.“ Aber es ist Gnade durch die Wahrheit hindurch. Gott hat Alles vorgesehen, es fehlt nicht an Einem. Die größte Sünde, die der Mensch begehen konnte, geschah, als er den Sohn Gottes ans Kreuz schlug - da ist zugleich die größte Gnade Gottes offenbar geworden.
Von Natur liebt der Mensch weder die Gnade noch die Wahrheit; weder die vollkommene Gerechtigkeit, noch die vollkommene Güte können ihn zufrieden stellen. Johannes der Täufer kommt in Gerechtigkeit, da hassen ihn die Menschen, nennen ihn streng, hart, und sagen, er habe den Teufel. Christus kommt in Liebe, da verhöhnen sie Ihn, indem sie Ihn der Sünder Gesellen nennen. Und wenn heutzutage von den gerechten Forderungen des Gesetzes Gottes gepredigt wird, so lehnen sich Viele dawider auf und meinen, das gehe zu weit und man müsse auch unserer Unvollkommenheit ein wenig Rechnung tragen. „Haltet dem Fleische nichts zu Gute“ (Röm. 13, 14 nach dem Grundtext), ihm Gehorsam zu leisten in seinen Lüsten, sagt Gott. Ach, es wird nur zu viel an sich reißen, aber kommet ihm nicht entgegen. Wenn von einem geheiligten Wandel die Rede ist, abgesondert von der Welt und Allem, was ihr angehört, so nennt eine andere Klasse von Menschen dies Gesetzes-Predigt. Oder aber, wenn auf der andern Seite die Gnade Gottes gepriesen wird, so macht der Menschen Weisheit eine Toleranz der Sünde und eine Lizenz zur Ungerechtigkeit daraus.
Der Mensch weiß nicht, was Gnade ist. Der Schrei, der sich wider Paulus erhob, dass er das Gesetz aufhebe, dass er den Leuten sage, sie möchten sündigen, damit die Gnade desto mächtiger würde, erhebt sich noch jetzt, wenn Gnade, freie, unverfälschte, unvermischte Gnade, Gottes Gnade, Gottes Liebe zu den Sündern verkündigt wird. Aber wenn unser Christentum keinem Widerspruch begegnet, so ist es kein schriftmäßiges Christentum. Wenn unsere Predigt des Evangeliums bei dem natürlichen Menschen nicht diese Gedanken erweckt, so ist es ein anderes, als Pauli Evangelium. Jeder Christ - achte wohl darauf, ein Jeder hat das „Fleisch“ in sich, das Gott nie seine Ehre geben will, gegen das er auf der Hut sein, das er töten muss; aber dies ist etwas anderes. Viele Leute sagen leicht hin: „Der Glaube ohne Werke ist tot,“ „Wir müssen Werke haben“ usw.; geht man aber der Sache auf den Grund, so findet man gewöhnlich bei Solchen sehr lose Begriffe von christlicher Heiligkeit. Sie haben wohl einen christlichen Namen, gehen zur Kirche, können eine Predigt kritisieren, haben fromme Bekanntschaften, haben sich auch von groben Sünden rein erhalten - sowie wir aber die Grenzlinie überschreiten, welche die christliche Welt von Denen scheidet, welche den rauen, dornenvollen Pfad der Schmach und Verwerfung Christi mit Ihm wandeln, welche der Welt und ihrem Wesen abgestorben sind, um sein Joch auf sich zu nehmen und sich selbst zu verleugnen - dann begegnet uns die Bezeichnung: „Pietismus“ - „extrem“ „Gesetzes-Predigt.“
Nach menschlichen Begriffen würde Gnade etwa heißen: „Tue dein Bestes mit Hilfe der Gnade, und das Fehlende wird die Gnade ersetzen.“ Aber die Gnade Gottes bringt uns vor Allem „Errettung“ („Heil“), darnach „züchtigt,“ erzieht sie uns, dass wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste, und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt, und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes Jesu Christi (Tit. 2, 12).
Und eben so wenig wie die Gnade kennt der Mensch die Wahrheit Gottes. Er kann es wohl glauben, dass Gott die Welt gemacht hat, dass Gott gewissermaßen gut ist; aber dass in Gottes Augen der Mensch durch eine Sünde ebenso wirklich schuldig ist, als hätte er tausend begangen, das kann er nicht verstehen. Er merkt es nicht, obgleich es so deutlich wie möglich in dem Buch Gottes geschrieben steht. Christus hat die Wahrheit Gottes ans Licht gebracht, dass Gott Sünde nicht ungestraft lassen kann, aber dass Er Sünde zurechnen und Gerechtigkeit zurechnen kann. Ein Zweifler sagte einmal: „Ist das Gerechtigkeit, den Unschuldigen für den Schuldigen sterben zu lassen, sowohl gegen den Unschuldigen als gegen den Schuldigen, ist das der Vernunft gemäß?“ Nun wohl, es ist nicht der Vernunft gemäß. Wie aber, wenn Gott Mensch wird, um die Sünde durch sein eigenes Opfer hinweg zu nehmen - wo bleibt da deine Vernünftelei? Unser Evangelium besteht nicht bloß darin, dass ein unschuldiger Mensch für die Schuldigen gestorben ist, sondern darin, dass der Gott-Mensch zur Sünde gemacht ist und die Sünde hinweggenommen hat. Aber der Mensch kennt auch nicht die Wahrheit in Bezug auf sich selbst: dass er verloren ist. Er denkt, er könnte vielleicht verloren gehen, aber nicht dass er verloren ist. Er hegt eine unbestimmte Hoffnung, dass es zuletzt noch Alles gut gehen werde. Christus hat die Wahrheit in Bezug auf den Menschen ans Licht gebracht, dass er hoffnungslos der Sünde anheimgefallen ist, ja Gott töten würde, wenn er könnte.
Wie Viele befinden sich in der Verdammnis, die nie daran dachten, dass sie dahin kommen könnten. Sie trösteten sich mit einer ungewissen Hoffnung auf den Himmel, ohne jemals nach ihrem Grunde zu fragen. So erging es einer armen Frau, die ich einst darauf anredete und ihr sagte, wenn sie an den Herrn Jesum Christum glaube, so solle sie dies auch bekennen und Ihm dafür danken und dann ihre Hoffnung setzen (nicht auf die Vergebung ihrer Sünden, von einer solchen Hoffnung rede die Schrift nicht, sondern) auf ihre vollkommene Erlösung bei der Wiederkunft des HErrn. Wenn sie aber noch nicht an Ihn glaube, so solle sie sich nicht mit einer falschen Hoffnung täuschen. Ich sah sie später wieder mit strahlendem Angesicht voll Freude und Frieden, und sie bekannte, dass meine Frage sie zu ihrer Bibel getrieben und sie nun gesehen habe, wie sie ohne Gott, auch ohne Hoffnung sei in dieser Welt (Eph. 2, 12). Sie erkannte nun den sandigen Boden, auf den sie gebaut hatte, und durch den Geist Gottes ward sie auf „den Felsen“ gegründet.
In der Geschichte des kananäischen Weibes haben wir eine fassliche Darstellung dessen, was Gnade, und dessen, was Wahrheit ist (Matth. 15, 21-28): „Jesus ging aus von dannen und kam in die Gegend von Tyrus und Sidon.“ Wann geschah doch dies? Nachdem Er eben zuvor die gänzliche Hohlheit aller menschlichen Frömmigkeit, wie er in dem Herzenszustand der Pharisäer zu Tage trat, aufgedeckt hatte. In dem Anfang des Kapitels sehen wir den Menschen seine Frömmigkeit zu Christo bringen, und Christus zeigt ihm natürlich, dass Er es mit dem Herzen zu tun hat, und nicht mit seiner Religion. Vers 8 zeigt uns, wo des Menschen Herz mit all seiner Religion, seinen Aufsätzen der Ältesten, seinen Beobachtungen, seinem Waschen der Hände, der Becher, der Schüsseln, der Tische sich befindet: „ferne von Gott.“ Vers 19 zeigt uns, was des Menschen Herz in sich birgt: „Böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsche Zeugnisse, Lästerung.“ Willst du wissen, wo du bist und wie du beschaffen bist, so bringe deine Religion zu Gott. Aber nun geht Jesus dahin, wo keine Religion, aber viel Elend ist - kein Bekenntnis, aber viel Hilfsbedürftigkeit. Er hat den Menschen offenbar gemacht, wie es in ihrem Herzen aussieht, nun will Er es offenbaren, wie es in seinem Herzen aussieht - einem Herzen „voller Gnade und Wahrheit.“
Siehe, ein kananäisches Weib ging aus derselbigen Grenze und schrie Ihm nach und sprach: „Ach, HErr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner, meine Tochter wird vom Teufel übel geplagt.“ Sie war eine Syrophönizerin, eine Griechin, eine Heidin, die sich außerhalb des jüdischen Gebietes befand, in den Augen eines jeden gottesfürchtigen Juden ein Hund; „draußen sind die Hunde.“ Der Hund des Morgenlandes ist nicht wie bei uns ein Haustier, sondern gleicht eher einem Wolf, der außerhalb der Wohnorte auf Raub ausgeht - ein passendes Sinnbild derer, welche an den Landstraßen und Zäunen wohnen (Luk. 14), der Heiden, außerhalb des Bereichs jüdischer Segnungen; daher werden sie „heidnische Hunde“ genannt. Sie hatte keinen Anspruch an den „Sohn Davids.“ „Er kam in sein Eigentum.“ Mit ihrer Not, mit ihrem Verlangen, ihrem Herzen, ihrem Glauben befand sie sich ganz auf dem richtigen Weg; aber sie muss auch mit vollem Bewusstsein die ihr gebührende Stellung einnehmen, bevor sie gesegnet werden kann. Ihr Instinkt war richtig - ihre Begriffe von Wahrheit waren falsch dies erklärt das folgende wunderbare Wort: „Aber Er antwortete ihr kein Wort.“ Viele sind der Meinung, der HErr habe bloß ihren Glauben prüfen wollen, und gewiss wollte Er das tun - aber Gott erreicht viele Zwecke mit einem Mittel. Er hat nicht nur die Gnade, sondern auch die Wahrheit darzutun. Hätte Er als „Davids Sohn“ sie gesegnet, so würde Er nicht seine erste Stellung bewahrt haben, denn „Er war ein Diener der Beschneidung, zu bestätigen die Verheißung, den Vätern geschehen“ (Röm. 15, 8). Und sie war „ferne, außerhalb der Bürgerschaft Israels.“ Als Davids Sohn „bestätigte Er die Verheißung,“ von deren „Testamenten sie fremd war“ (Eph. 2,12); als sie daher an diese Türe klopfte, fand sie dieselbe gerechter Maßen verschlossen, denn Er ist „treu und gerecht.“ Er konnte nicht eher mit ihr reden, als bis sie seinen Standpunkt ihr gegenüber erkannte, von welchem aus allein Er sich über alle Schranken des alttestamentlichen Haushalts erheben und seine Gnade ihr zuwenden konnte. Erst musste der Wahrheit ihr Recht werden, dann konnte die Gnade sich über sie ergießen; aber ihre Not hielt sie zu seinen Füßen fest. Sie bat in Unwissenheit, aber es war ihr Ernst damit.
„Da traten seine Jünger zu Ihm, baten Ihn und sprachen: 'Lass sie doch von dir, denn sie schreit uns nach.“ Verschiedene Vorschläge mochten sie wohl dabei im Sinne haben. Petrus meinte vielleicht: „Sie ist ein heidnischer Hund, sie hat kein Recht an dich, den Sohn Davids; lass sie von dir.“ Das wäre wahr gewesen, aber auf Kosten der Gnade; der HErr aber wollte Gnade und Wahrheit erzeigen. Johannes hat vielleicht gesagt: Sie ist ein armes hilfsbedürftiges Weib, gib ihr, was sie will, und lass sie von dir. Dies wäre Gnade, aber auf Kosten der Wahrheit gewesen - aber Jesus wollte Wahrheit so gut wie Gnade erzeigen. Dies ist so ganz auf Menschenweise geredet: „Sie schreit uns nach.“ Wir denken immer an unsere Bequemlichkeit. Wie unähnlich dem, der „sich selbst für uns dahingegeben“ hat, da Er als Gnade und Wahrheit erschienen ist. Es kommt ja nicht so genau auf die Unterscheidungen der Wahrheit an, wenn nur Sünder selig werden, hört man wohl sagen. Ja, dem Sünder kommt freilich wenig darauf an; aber wie steht es um den Anspruch, den Gott auf seine Wahrheit hat? „Diese oder jene Wahrheit studiere ich nicht so genau, sie ist nicht wesentlich,“ sagt ein anderer. Es fragt sich nicht, ob sie dir wesentlich, sondern ob sie vor Gott wesentlich ist. Die Jünger konnten Gnade und Wahrheit nicht reimen, und mussten daher die eine oder die andere zum Opfer bringen - der HErr aber bringt beide in Einklang. Der Mensch läuft immer Gefahr, entweder Gott als einen zornigen Richter darzustellen und dem Sünder keine frohe Botschaft zuzuwenden, oder aber die Pfeiler seines Thrones durch die Verkündigung einer Universal-Erlösung zu untergraben; aber „Gnade und Wahrheit sind durch Jesum Christum geworden.“ Die Einreden seiner Jünger veranlassen den HErrn, ihnen nun etwas von seinen Gedanken durchblicken zu lassen.
Er antwortete aber und sprach: „Ich bin nicht gesandt, denn nur zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israels.“ Als „Sohn Davids“ beharrt Er bei seiner besonderen Sendung. Sie gehört nicht zu den verlorenen Schafen des Hauses Israels, darum kann Er als „Sohn Davids“ nicht mit ihr, der Heidin, verkehren oder ihre Bitte gewähren. War das nicht die Wahrheit, selbst bis zur Härte? wie Einige meinen; aber das ist Menschen Meinung von Härte: Gottes Wahrheit ist niemals hart. Gnade ohne Wahrheit ist Sentimentalität, Wahrheit ohne Gnade ist Härte. Alles dies zielt darauf, nicht wie der Jünger bequeme Methode war, sie von sich zu lassen, sondern sie anzuleiten, ihr seinen Standpunkt ihr gegenüber klar zu machen, und dann ihre rechte Stellung Ihm gegenüber einzunehmen, damit sie in den Bereich seiner Gnade komme. Er harrt ja darauf, dass Er sich gnädig erzeige. Wie lange harrt Er? Bis wir den Standpunkt erkannt haben, der Ihm gebührt, und dann unsere rechte Stellung vor Ihm eingenommen haben, in der Er uns segnen kann: Sie hört seinen Worten zu und nimmt dann ihre Bitte von Neuem auf.
Sie kam aber und fiel vor Ihm nieder und sprach: „HErr, hilf mir.“ Sie sagte nicht, dass sie doch ebenso gut wäre, wie die verlorenen Schafe Israels; sondern sie lässt den Titel „Sohn Davids“ weg und nennt Ihn HErr. „Ist Er nur zu den verlorenen Schafen Israels gesandt, so kann ich Ihn nicht Sohn Davids nennen und Segen erlangen,“ sagt sie sich; „aber Er hat noch einen andern, einen höheren Namen, das ist Jehova, der HErr, der kann sogar mir helfen. Er kann die Scheidewand nicht niederreißen, welche den armen heidnischen Hund von den Verheißungen des Sohnes Davids trennt; aber Er kann sich über dieselben erheben in einer Macht, die selbst bis zu mir herabreichen und mir Hilfe angedeihen lassen kann.“ Jetzt erkennt sie Ihn in seinem rechten Standpunkt, jetzt gibt sie Ihm den rechten Namen, ihr, der Heidin gegenüber; aber sie hatte noch nicht ihre rechte Stellung eingenommen. Sie brauchte mehr als Hilfe; aber Jesus, den sie nun allein mit „HErr“ anredet, kann nun mit ihr reden und ihr etwas mehr offenbaren. Sie hört Ihm zu. Sie glaubt Ihm und fasst so auf jedem Schritt den Gedanken einer neuen Offenbarung in den Worten, die von seinen Lippen fielen.
Aber Er antwortete ihr und sprach: „Es ist nicht sein, dass man der Kinder Brot nehme und werfe es vor die Hunde.“ Hier ist ihr Name. Wird sie ihn annehmen, wie sie Ihm den seinen gegeben hat? Wohl hätte sie sagen können: „Ich, ein Hund? Ich kenne viele sogenannte Kinder Israels, mit denen ich nicht möchte gesehen werden, obschon sie ein großes Bekenntnis machen;“ dies wäre natürlich gewesen. So lange ein Mensch seine Bedürftigkeit nicht fühlt, vergleicht er sich immer mit Anderen, rechtfertigt, entschuldigt, beschönigt sich. Sie aber fühlte ihre tiefe Not, und demgemäß antwortet sie. Sie nimmt den Namen und die Stellung an, die der HErr ihr gibt und fragt nicht nach ihrem Belieben.
Sie sprach: „Ja, HErr, aber doch essen die Hündlein von den Brosamlein, die von ihrer Herren Tische fallen.“ Jetzt hat sie die Stellung der Macht - jetzt hat sie die Stellung, um gesegnet zu werden.
„Ja HErr.“ Welchen Namen du willst, „Sünder,“ „Hund“ aber Bin ich denn ein Hund, so bin ich es an deinem Tisch; und da soll des Hundes Teil mein sein. „Aber doch essen die Hündlein von den Brosamlein.“
Nimm nur den Platz des Sünders. ein,
So wird des Sünders Heiland dein.
Ich bin ein großer Sünder! „Ja HErr;“ aber der große Sünder braucht den großen Heiland. Ich bin der vornehmste der Sünder! „Ja HErr,“ aber der vornehmste Sünder braucht den vornehmsten Heiland. Ich bin unwissend! „Ja HErr,“ aber Christus ist meine Weisheit. Ich bin ungerecht! „Ja HErr,“ aber Christus ist meine Gerechtigkeit. Ich bin unheilig! „Ja HErr,“ aber Christus ist meine Heiligung. Ich bin gefangen! „Ja HErr,“ aber Christus ist meine Erlösung. Dies „Aber“ in der Bitte der Not ist das Recht, welches die Stellung uns gibt, die die Wahrheit uns vorgewiesen. Nun sind „Gnade und Wahrheit zusammen gekommen, Gerechtigkeit und Friede küssen einander.“
Und Jesus antwortete und sprach zu ihr: „O Weib, dein Glaube ist groß, dir geschehe wie du willst.“ Mit dieser Antwort waren die Schätze Jehovas ihr aufgetan. „Und ihre Tochter ward gesund zu derselbigen Stunde.“ Welcher Stunde? Zu der Stunde, in welcher sie sagte: „Ja HErr!“ Zu der Stunde, in welcher sie des Hundes Platz einnahm und des Hundes Teil für sich begehrte. Ist dies ein Brosamlein nur von seiner seligen Tafel was mag die volle Mahlzeit sein, wenn die Gemeinde Gottes, gesammelt aus Juden und Heiden, zu Tische sitzen wird beim Hochzeitmahl des Lammes, wenn alle Bitten verstummt sein werden, weil sie alle erhört sind wenn die vereinte Herrlichkeit der Gnade und der Wahrheit um die Stirnen der Myriaden von aus Gnaden selig gewordenen Sündern strahlen wird, welche mit all ihrer Verlorenheit und Not zu Jesu Füßen niederfielen, Ihn in der Stellung erkannten, die Ihm gebührt, und dann ihren rechten Platz Ihm gegenüber fanden. Mein Freund, Gott harrt, dass Er sich dir gnädig erzeige - aber du musst des Hundes Platz einnehmen.
In den folgenden Blättern habe ich versucht, das Gleichgewicht zwischen Gnade und Wahrheit darzustellen. „Die heilsame Gnade Gottes,“ oder die Gnade Gottes, die uns Heil bringt, ist die Wahrheit, welche das 2. Kapitel des Titusbriefs uns lehrt. „Die Gerechtigkeit Gottes, auf dass Gott gerecht sei und gerecht mache den, der da ist des Glaubens an Jesu,“ ist die Wahrheit, welche Röm. 3 uns lehrt. Ich habe versucht, beides, die Gnade und die Wahrheit Gottes darzulegen:
- In ihrer Beziehung zu der Rechtfertigung des Sünders.
- In ihrer Beziehung auf die Heiligung oder das Wachstum des Gläubigen in der Gnade.
„Nun ihr aber seid von der Sünde frei und Gottes Knechte geworden, habt ihr eure Frucht, dass ihr heilig werdet, das Ende aber das ewige Leben“ (Röm. 6, 22).
Hier folgt der Faden, um den sich die verschiedenen Abschnitte dieses Buches kristallisieren:
- „Es ist hier kein Unterschied.“ - So lange ein Mensch dies nicht erkennt, befindet er sich nicht in der Stellung, in welcher Gott ihn segnen kann. Dies ist grundlegend.
- „Möchtest du selig werden?“ - „Wer da will,“ ist der Hinweis auf das, was Christus für den Sünder getan hat.
- „Ihr müsst von Neuem geboren werden.“ Dies handelt von der Notwendigkeit und dem Wesen der Wiedergeburt. Die Wiedergeburt ist ein Akt, welcher zugleich mit der Rechtfertigung sich vollzieht, nicht ein Werk, wie Viele meinen, welche sie mit der allmähligen Heiligung verwechseln. In der Rechtfertigung empfangen wir Vergebung der Sünden und Annahme bei Gott, die Wiedergeburt pflanzt uns ein neues Leben, eine neue Natur ein, ihrer Anlage, aber nicht ihrer Entwicklung nach vollkommen; die Entwicklung dieses neuen Lebens ist die Heiligung. Hier ist auch die Frage behandelt, welches das Wasser ist, aus welchem wir mühsam von Neuem geboren werden.
- „Fühlst du die Vergebung deiner Sünden?“ Hier wird auf den sehr gefährlichen Irrtum hingewiesen, der Menschen Gefühle mit dem Zeugnis des Wortes Gottes zu verwechseln - das 8. Kap. des Römerbriefes mit dem 5., das Zeugnis des Heiligen Geistes, dass wir Gottes Kinder sind mit „Nun wir denn sind gerecht geworden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott,“ denn wir stehen einzig und allein auf dem geschriebenen Wort „so spricht der HErr“ - was die Gewissheit unseres Heiles betrifft, wie wir einzig und allein auf dies Fleisch gewordene Wort das Heil selbst gründen.
- „Das Werk des Heiligen Geistes.“ Hier ist der Zusammenhang und der Unterschied zwischen dem Werk des Geistes in mir und dem Werk Christi für mich nachgewiesen. Manche Seelen geben sich so viel mit der Betrachtung des Werkes des Geistes in ihrem Herzen ab, während doch nur ein geretteter Mensch dies beurteilen kann, der das vorhergehende Kapitel: „Hast du Vergebung der Sünden?“ an sich erfahren hat. Des Heiligen Geistes wird im Römerbrief erst im 5. Kap. Erwähnung getan. Falsch angewendete Wahrheit ist der schlimmste Irrtum.
- „Der aufgetane Himmel“ lässt uns einen Blick tun in den Ratschluss Gottes zu unserer Seligkeit in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Epistel an die Hebräer schließt uns diesen Himmel auf.
- Sieg und Kampf kommen nun zur Besprechung. Vorher befand ich mich in einem Kampf zwischen mir und Gott, jetzt ist es ein Kampf zwischen mir und meinem Ich, und dies ist ein lebenslanger Kampf; denn ein jeder Christ lebt in der Welt, hat das Fleisch in sich und den Satan wider sich. Diese drei Mächte sind durch Israel vorgebildet: Israel in Ägypten, welches geistlich genommen die Welt bedeutet in der Wüste, wo die Amalekiter (das Fleisch) bekämpft werden müssen, und in Kanaan, wo die Kananiter (die bösen Geister unter dem Himmel) überwunden werden sollen. Diese letzten drei Punkte sind noch eingehender in den drei folgenden Abschnitten behandelt worden.
- „Unter der Sonne.“ - Unser großer Feind „die Welt“ - worin besteht sie? - wie werden wir sie überwinden?
- „Verlasst euch nicht auf Fleisch.“ - Dies das Feldgeschrei des Gläubigen. In diesem Kapitel betrachten wir, worin die wahre Heiligkeit besteht und worin sie nicht besteht. Es handelt sich nicht um die Verbesserung der alten Natur, sondern der Gläubige als Ganzes, als Individuum wird dadurch erneuert, dass seine neue Natur die alte im Zaum hält. Daraus ergibt sich denn die überaus wichtige Wahrheit, dass in dem einen geretteten Menschen zwei verschiedene Naturen bestehen: die eine Natur, welche nicht sündigen kann, denn sie ist von Gott geboren, und die andere, welche nur sündigen kann, denn sie ist vom Satan geboren. Unsere Heiligung besteht daher nicht darin, dass der alte Mensch in dem neuen aufgeht, sondern darin, dass wir ihm Widerstand leisten - nicht darin, dass wir ihn zu verbessern, sondern abzutöten trachten. Unsere Verantwortlichkeit haftet auf unserer Person, welche aus zweierlei Natur besteht.
- Der Teufel. - Wir haben es hier mit der in der Schrift so klar erwiesenen Wahrheit zu tun, dass der Teufel eine wirkliche persönliche Existenz hat und nicht ein bloßer Einfluss ist; es ergibt sich daraus, wo er ist, was er tut, und wie wir ihn überwinden können.
- „Dient dem HErrn“ - kommt nun an die Reihe. Nun wir denn frei geworden sind von unseren Feinden, nun unsere Bande gelöst sind, können wir dienen. „Lass mein Volk gehen, dass sie mir dienen mögen.“
- Das Gericht, wie es dahinten liegt für den Gläubigen, was seine Person betrifft, gegenwärtig ist, was sein Wesen, und zukünftig in dem, was seine Werke betrifft. Vielen Christen fehlt hier die Erkenntnis des rechten Gleichgewichts zwischen Gnade und Wahrheit der Gnade, welche uns für immer dem Gericht enthebt und der Wahrheit, welche alle unsere Werke, welche wir bei Leibes Leben getan haben, sie seien gut oder böse, vor den Richterstuhl Christi stellt.
Möge der gnädige Heilige Geist, der allein in alle Wahrheit leiten kann, Alles was aus Ihm in diesen Blättern steht, segnen zur Ehre unseres Herrn Jesu Christi, unseres Gottes und Heilandes!
W. P. M.