MacDuff, John - Bethanien - I. Bethanien.
Wie heilig ist diese Stätte!
(1. Mos. 28,17.)
Orte, die uns an große Männer erinnern, sind immer interessant. Was muss nun erst ein solcher Ort für uns sein, welchen der Herr der Herrlichkeit zum Schauplatz seiner teuersten Freundschaftsbeweise erkoren! Wie heilig uns auch immer das Andenken an andere Orte, die er in den Tagen seines Erdenwandels besuchte, sein mag: Bethlehem mit seiner Krippe, seinem Wunderstern und anbetendem Cherubim, der Ort seiner Jugenderlebnisse Nazareth, der See Tiberias, dessen Ufer so oft wiederhallten von seinen Fußtritten, dessen stille oder sturmbewegte Wellen ihn trugen - die heiligen Höhen, wo er die Seligpreisungen sprach - die Berge, da er betete - der Garten Gethsemane, wo er litt - der Hügel Golgatha, wo er starb - am liebsten weilen doch die Gedanken heiliger Liebe in Bethanien.
Die Stunden jener heiligen Gemeinschaft zu Bethanien sind längst dahin. Längst ruht jene traute Familie im Grabe. Und Bethaniens Heiland ist längst zur himmlischen Herrlichkeit eingegangen. Doch heilig bleibt uns diese Stätte seines Gnadenwirkens. Noch hören wir dort seine liebliche Stimme. Wie mancher müde Pilger hat sich dort seit 1800 Jahren Trost und Erquickung geholt für seine Reise zum wahrhaftigen Bethanien, das droben ist.
Himmel und Erde scheinen sich hier zu berühren. So tief das Erdenleid und Todesweh, das hier einkehrte, wie herrlich wird es doch überstrahlt durch die Hoffnung der Unsterblichkeit, die alle Tränen verklärt. Welch ein Kleinod umschließt doch das 11. Kapitel des Johannes! Leuchtet's nicht mit seinem lichten Trost wie ein heller Stern in unser Erdendunkel? Wie mancher müde Fuß, wie manches tränende Auge ist schon nach Bethanien geeilt, daselbst zu weinen (Joh. 11,31).
Was war doch Bethanien für den Mann der Schmerzen! Ein liebliches Heim, wo er ausruhte von des Tages Mühen, eine grüne Oase auf dem Wüstenpfade, den sein Fuß durchwandern musste. Hier finden wir ihn als den trauten Hausfreund, hier tritt er uns so recht menschlich nahe. Wir dürfen einen Blick in sein Herz tun, sehen, wie er liebte, mitfühlte, weinte und sich freute.
Auch mit den letzten Ereignissen seines Erdenlebens ist Bethanien eng verknüpft. Von dort aus trat er seinen letzten Gang nach Jerusalem an. Angesichts Bethaniens fuhr er gen Himmel. Wie oft hat sich unser Heiland dort in die Stille des trauten Freundeskreises zurückgezogen. Da gelüstet es uns wohl, recht viel zu hören von jener seligen Gemeinschaft, und seiner Rede zuzuhören, aber wir dürfen den Schleier nicht mehr lüften, als Gottes Wort gestattet.
Dem Reisenden in Palästina wird heute noch am Ostabhange des Ölbergs ein Dorf von ärmlichen Hütten gezeigt, welche von wenig mehr als 20 Familien bewohnt werden. Dieser Rest eines Dorfes heißt El Azirezeh - die arabische Übersetzung des Namens Lazarus. Dies ist der geheiligte Ort unseres Evangeliums. Johannes allein erzählt die Begebenheiten, welche in Judäa in Verbindung mit des Herrn öffentlicher Wirksamkeit stattgefunden, während die anderen Evangelisten hauptsächlich die Wirksamkeit des Herrn in Galiläa zeichnen. Dem Lieblingsjünger des Herrn war es beschieden, es beschieden, uns besonders in Bethaniens Freundeskreis einzuführen und uns namentlich die Auferweckung des Lazarus zu berichten.