Luther, Martin - Aus der Vorrede zu Melanchthons "Unterricht der Visitatoren"
1528
Was für ein göttliches, heilsames Werk es sei, die Pfarren und christlichen Gemeinden durch verständige und geeignete Leute besuchen zu lassen, das lehren uns zur Genüge Altes und Neues Testament. … Auch die Väter der alten Kirche, die heiligen Bischöfe haben diesen Brauch fleißig geübt, und viel davon findet sich auch noch in den päpstlichen Gesetzen. Denn aus diesem Besuchsamt leitet sich ursprünglich das Amt der Bischöfe und Erzbischöfe her. Eigentlich nämlich heißt „Bischof“ „Aufseher“ oder „Visitator“, und ein Erzbischof ist ein Aufseher oder Visitator wieder über sie. Denn jeder Pfarrer soll seine Pfarrkinder besuchen, pflegen und beaufsichtigen, wie sie leben und lehren, und der Erzbischof soll die Bischöfe besuchen, pflegen und ihre Lehre beaufsichtigen. …
So hätten wir, wo jetzt das Evangelium durch unaussprechliche Gnade Gottes wieder zu uns gekommen, ja vielleicht zum erstenmal recht aufgegangen ist und wir dadurch gesehen haben, wie elend die Christenheit verwirrt, zerstreut und zerrissen ist, dieses rechte bischöfliche Besuchsamt, weil es höchst nötig ist, gern wieder eingerichtet gesehen. Aber weil von uns keiner dazu berufen war oder gewissen Auftrag hatte und Sankt Petrus in der Christenheit nichts geschaffen wissen will, man sei denn gewiß, es sei Gottes Geschäft, so hat keiner vor dem anderen es wagen dürfen zu unternehmen. Da haben wir den sichersten Weg gehen wollen, haben uns an das allen Christen gemeinsam übertragene Amt der Liebe gehalten und haben uns demütig mit Bitten gewandt an den durchlauchtigsten hochgeborenen Fürsten und Herrn Johann, Herzog zu Sachsen und Kurfürst, als an den Landesherrn und unsere gewisse, von Gott verordnete weltliche Obrigkeit. Wir haben gebeten, daß Seine Kurfürstliche Gnaden aus christlicher Liebe - denn als weltliche Obrigkeit ist sie nicht dazu verpflichtet - und um Gottes willen, dem Evangelium zu Liebe und den armen Christen in Seiner Kurfürstlichen Gnaden Landen zu Nutzen und Heil einige tüchtige Männer zu solchem Amt gnädiglich verordnen möchten. Das haben denn Seine Kurfürstlichen Gnaden auch gnädiglich zu Gottes Wohlgefallen getan. … Falls aber einige sich mutwillig widersetzen und ohne guten Grund etwas Besonderes für sich haben wollen - und man findet viel solcher wilden Köpfe, die eigensinnigen Herzens aus lauter Bosheit etwas Gemeinsames und Gleiches nicht ertragen können - , so müssen wir sie, wie die Spreu von der Tenne, sich von uns trennen lassen und dürfen um ihretwillen unser Gemeinsames nicht aufgeben. Auch hierzu aber wollen wir unseres gnädigsten Herrn Rat und Hilfe erbitten. Denn obwohl es Seiner Kurfürstlichen Gnaden nicht aufgetragen ist, zu lehren und geistlich zu regieren, so sind sie doch als weltliche Obrigkeit verpflichtet, darauf zu sehen, daß nicht Zwietracht und Aufruhr sich unter den Untertanen erhebe.