Luther, Martin - Predigt am 6. Sonntag nach Trinitatis
Matthäus 5,20 - 26
Denn ich sage euch: Es sei denn eure Gerechtigkeit besser, denn der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht töten; wer aber tötet, der soll des Gerichts schuldig sein. Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Racha, der ist des Rats schuldig; wer aber sagt: Du Narr, der ist des höllischen Feuers schuldig. Darum wenn du deine Gabe auf den Altar opferst und wirst allda eindenken, daß dein Bruder etwas wider dich habe; so laß allda vor dem Alter deine Gabe und gehe zuvor hin, und versöhne dich mit deinem Bruder; und alsdann komm und opfere deine Gabe. Sei willfährig deinem Widersacher bald, dieweil du noch bei ihm auf dem Wege bist, auf das dich der Widersacher nicht dermaleinst überantworte dem Richter, und der Richter überantworte dich dem Diener, und werdest in den Kerker geworfen. Ich sage dir: Wahrlich, du wirst von dannen heraus kommen, bis du auch den letzten Heller bezahlest.
In diesem Evangelium sehen wir, daß unser lieber Herr Christus seine Christen also will lehren, wenn sie glauben und getauft sind, und haben nun den Namen und die Herrlichkeit daß sie Christen heißen, und allerlei geistliche Güter und Gaben empfangen haben: daß sie denken, auch ein rechtschaffenes Leben untereinander zu führen, daß nicht falsch noch heuchlerisch sei. Denn er hat uns nicht eine falsche Gnade widerfahren lassen, die nur den Schein hätte; sondern gleichwie unsere Sünden rechte, große, verdammliche, und nicht gemalte Sünden sind: also ist es auch mit seiner Gnade eitel Ernst und ein rechtschaffen wahrhaftig Wesen. Darum sollen wir denken, daß wir nicht fälschlich gegen unserer nächsten Handeln, sondern treulich und wahrhaftig; wie Gott mit uns, unsere Sünden wegen, gehandelt hat.
Um dieser Ursache willen nimmt der Herr im heutigen Evangelium das fünfte Gebote vor sich, und stellt uns ein Beispiel vor, vor dem man sich hüten soll, und spricht: «Ich sage euch: Es sei denn eure Gerechtigkeit besser, denn der Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.» Das ist ein kurzer Sinn: Wer in den Himmel will, der muß eine bessere Frömmigkeit haben, denn als die Pharisäer. Was ist nun der Pharisäer Frömmigkeit? Das war nicht unrecht, daß sie sich in einem feinen, züchtigen, ordentlichen Leben und Wandel hielten. Denn solches will Gott in allen Wegen von uns haben; wie sein Wort da steht: du sollst nicht töten, du sollst nicht ehebrechen, nicht stehlen, nicht lügen. Wer in solchem Gehorsam sich hält, der tut recht. Aber das war Unrecht an den Pharisäern, daß sie sich um solcher äußerlichen Werke, Zucht und Ehrbarkeit willen brüsteten, fromm und gerecht vor Gott dadurch sein wollten, gingen fein sicher dahin, als hätte das Gesetz keine Anklage gegen sie, sie hätten es nun vollkommen erfüllt; so doch Gott nicht allein die Werke, sondern ein neues, reines Herz haben will.
Vor solcher Sicherheit will der Herr uns warnen. Ob wir gleich mit Werken niemand ärgern und vor jedermann sträflich sind, daß wir doch darum uns nicht lassen fromm dünken, als hätten wir Gott vollkommenen Gehorsam geleistet. Denn Christus spricht hier: Ob jemand gleich mit der Hand nicht totschlägt, kann er dennoch ein Mörder und Übertreter dieses Gebotes vor Gott sein. Ursache, Gott hat nicht allein den Totschlag, welcher mit der Hand geschieht, sondern auch den Zorn im Herzen, ein zornig Wort, einen zornigen Anblick in diesem Gebote verboten.
So ist nun die pharisäische Gerechtigkeit, äußerlich fromm seien, nicht töten, nicht ehebrechen, nicht stehlen, und denken, wegen solcher Werke seien man fromm und heilig, und bedarf nichts mehr; das Gesetz habe keinen Anspruch mehr an uns, wir haben es völlig erfüllt, Gott sei wohl zufrieden und zürne nicht; obgleich das Herz inwendig voll Sünde und böser Lüste ist. Diese Gerechtigkeit, spricht Christus, gehört nicht in den Himmel, sondern in die Hölle. Denn Gottes Gebote lassen sich mit den bloßen Werken nicht erfüllen; es muß das Herz rein sein von allem Zorn, Haß und Neid, Unzucht und allerlei bösen Lüsten. Wer es dahin bringen kann, der mag sagen, er sei fromm. Weil aber im Herzen die Sünde und böse Lüste noch nicht alle tot sind, sondern regen sich, so hüte dich, daß du dich für fromm halte ist, oder in den Himmel zu kommen denkest. Es gehört eine höhere und bessere Gerechtigkeit dazu, spricht Christus; mit der Schriftgelehrten und Pharisäer Gerechtigkeit kommt ihr nicht in den Himmel.
Was ist nun die bessere Gerechtigkeit? Diese, da Werke und Herz zugleich fromm und nach Gottes Wort gerichtet ist: das nicht allein die Hand totschlage, sondern auch das Herz von allem Zorn frei ist; das nicht allein du mit dem Werke nicht ein Ehebrecher werdest, sondern dein Herz ganz rein sei, ohne alle böse Lust und Begierde. Also ist es in allen Geboten; denn solches fordert das Gesetz. Es will nicht allein das Werken haben; sondern eine reines Herz, daß durchaus mit dem Wort Gottes und Gesetz sich vergleicht.
Jahr, sprichst du, wo findet man ein solches Herz? Ich finde es in mir nicht, du in dir auch nicht. Denn es ist über die Maßen bald geschehen, daß dir die Gallen überläuft, daß du zu Zorn bewegt wirst. Also läßt sich die böse Lust in Herzen auch sehr bald erregen, auch wider unseren Gedanken und Willen, wir wollen es wohl gern und werden doch letztlich darüber mit uns feind. Wie sollen wir ihm denn tun? Solche hohe Gerechtigkeit (das ist, ein reines Herz) haben wir nicht, und hören doch hier das Urteil: Wo unsere Gerechtigkeit nicht besser sei, denn der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werden wir nicht in das Himmelreich kommen. Also sollen wir ihm tun: wir sollen den Schriftgelehrten und Pharisäern nicht gleich werden, daß wir uns unserer Werke wegen für fromm hielten; sondern neben allem Guten, daß wir tun und können, sollen wir uns vor Gott demütigen und sprechen: Lieber Herr, ich bin ein armer Sünder, sei du mir gnädig, und richte mich nicht nach meinen Werken, sondern nach deiner Gnade und Barmherzigkeit, die du in Christus uns verheißen und geleistet hast.
Also geht diese Lehre vornehmlich dahin, daß der Herr uns vor der geistlichen Hoffart warnen und zur Erkenntnis unseres unreinen bösen Herzens und sündlichen Natur bringen, und also zur Hoffnung seiner Gnade uns leiten will. Dieses ist dann die rechte Gerechtigkeit, die in den Himmel gehört. Die steht nicht in unseren Werken, obwohl diese heilig sein, sondern in Vergebung der Sünden und auf der Gnade Gottes. Denn ob wir es schon soweit bringen, daß wir äußerlich niemand ärgern und uns in Gottes Wort und Willen fleißig üben; so ist doch der größte Mangel daran, daß das Herz noch voll böser Lust und Sünden ist.
Wer nun aus dem Wort Christi den Bericht hat, und glaubt, daß solche Sünden ihm vergeben sind, der ist gerecht: nicht seinethalben, denn Sünder hat er; sondern der Gnade halben, daß solche Sünden durch den Glauben an Christus vergeben sind. Darum spricht Petrus in der Apostelgeschichte Kapitel 15,9.: Gott reinige die Herzen durch den Glauben. Dies Reinigen aber geht nicht so zu, daß wir keine bösen Gedanken noch Lust mehr im Herzen fühlen; welches wird nicht ihr Herr geschehen, bis wir begraben, und zum anderen und ewigen Leben auferstehen werden; da wird das Herz wahrhaftig gereinigt sein. Hier aber geht solches im Wort und Glauben, daß Gott die Sünde um Christus willen nicht zurechnen noch strafen, sondern vergeben und nachlassen will. Doch dazu folgt die Frucht des Glaubens, daß wir durch die Hilfe des Heiligen Geistes anfangen, fromm zu sein und Gott seinen Gehorsam zu leisten; aber, wie gemeldet, es ist ein unvollkommener Gehorsam, darum muß die Vergebung der Sünde sein.
Nun sind die Worte, die der Herr spricht: «Es sei denn, daß eure Gerechtigkeit besser sei, denn der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich komm,» nicht so zu deuten, als wären der Pharisäer Werke an sich selbst böse. Denn daß der Pharisäer Lukas 18, 11 berühmt, er sei kein Ungerechter, kein Räuber, keinen Ehebrecher, er faßte zweimal in der Woche, und gebe den Zehnten von allem, daß er habe, daß zwar nicht unrecht gelebt, und wäre zu wünschen, daß alle Menschen im äußerlichen Wandel sich also hielten: so würden weltliche Obrigkeit, der Henker, Vater und Mutter, Herr und Frau im Hause mit bösen Buben und unartigen Leuten nicht viel zu schaffen haben. Aber daran mangelte es, daß derselbe Pharisäer solches Lebens wegen sich für gerecht hielt, und dachte, er bedürfte nicht, daß ihm Gott gnädig wäre und seine Sünden und bösen Lüste im Herzen vergeben. Davor warnt der Herr, daß wir bei solcher Gerechtigkeit nicht bleiben, sondern nach einer besseren trachten sollen, wenn wir anders in das Himmelreich kommen wollen. Und stellt uns deswegen ein Beispiel des fünften Gebotes vor, daß wir daran lernen sollen, was die pharisäische Gerechtigkeit sei, und uns davor hüten.
Das fünfte Gebote, wie ihr wißt, heißt also: Du sollst nicht töten. Der dachten die Pharisäer, wenn sie mit der Hand nicht totschlügen, so hätten sie diesem Gebot genug getan, es hätte keine Not, niemand könnte sie höher treiben. Aber Christus spannt es ihnen höher und spricht: Nein, Geselle, es hat eine andere Meinung. Wenn das fünfte Gebot also hieße: Deiner Hand soll nicht töten; so hätte dem Gebot genug getan, will er mit der Hand nicht tötet. Aber es lautet also: Du sollst nicht töten, das ist: dein Herz, dein Mund, deine fünf Sinnen und alles, was du hast und an dir ist, daß soll deinem Nächsten nicht schädlich sein. Du sollst nicht allein den Körper totschlagen, sondern auch alles das lassen, was zum Tod dient.
Daraus ist klar, daß der Herr daß Wort «töten» nicht so eng spannt, daß es allein hieße, das Leben ihnen und ein Aas machen; sondern es begreift alles das Tun, aus welchem der Tod folgen müßte. Als, wenn du jemand feind bist, und gönnst ihn nicht einen Bissen Brot, wie der reiche Mann dem armen Lazarus; da müßte ein solcher Mensch deinetwegen Sterben und verderben. Du würgst ist ihn mit der Faust nicht, und bist doch ein Mörder, nach dem Spruch: Gibst du deinem Bruder nicht zu essen, so hast du ihn erwürgt. Und 1 Johannes 3,15. «Wer seinen Bruder hasset, der ist ein Totschläger, und ihr wisset, daß ein Totschläger hat nicht das ewige Leben bei ihm bleibend»; Ursache, wo Haß ist, da fehlt nur die Gelegenheit, daß der Totschlag leicht folgen kann. Darum wer dies Gebot halten will, der muß nicht allein die Hand an sich halten, sondern das Herz soll auch ohne allen Zorn sein: daß man nicht einen so sauren Blick sehen, nicht ein hartes Wort fahren lasse, auch gegen die, da alle Welt sagen muß, sie haben alles Unglück um uns verdient.
Demnach zeigte Herr klar an, daß man auf vielerlei Weise dies Gebote übertrete: zum ersten, mit dem Herz, wenn dasselbe sich zu Zorn und Abgunst wider den Nächsten bewegen läßt; zum anderen, wenn das Herz heraus bricht, und der Mensch sich mit Gebärden stellt, daß er zürne. Als, wenn du vor deinem Nächsten vorüber gehst, ihn nicht ansiehst mit ihm nicht reden, ihm, so er dich grüßt, nicht danken willst. Denn das Wörtlein «Racha,» daß der Herr hier braucht, bezieht sich vornehmlich auf eine saure, unfreundliche Gebärde, da man einen den Zorn an den Augen oder im Gesicht ansieht, oder an der Rede hört. Zum dritten, wenn der Zorn aus dem Herzen in den Mund kommt daß man Fluch, die Leute übel ausrichtet, oder sonst nichts Gutes nachsagt. Das vierte ist das Gröbste und Ärgste, wenn es alles zusammen kommt, ein zorniges Herz, unfreundliche Gebärde, zornige Zunge und zornige Hand, daß man dazwischen haut und würgt, oder begehrt zu würgen. Ob nun wohl immer ein Grad schwerer ist denn der andere (denn der Herr selbst teilt sie und macht Unterschied der Strafen), so sind sie doch alle, der geringste sowohl als der höchste, Sünde wider dies Gebot: also das wer nur im Herzen einen Widerwillen, Zorn oder Ungunst gegen den anderen trägt, heißt und ist vor Gott auch ein Totschläger.
Da bedenke du nun wohl, ob du dies Gebot so rein dein Leben lang gehalten hast, oder noch halten könntest, wie es Christus zu halten befiehlt. Du wirst aber bekennen müssen, wenn du kein Heuchler sein willst, daß du es nicht allein gehalten hast, sondern daß es dir ganz und da unmöglich ist. Wie sollst du nun tun? Denn wie Gott die Übertretung seines Wortes will strafen, zeigt Moses mit klaren, deutlichen Worten an, da er spricht, 5. Mose 27,26.:» verfluchte sei, wer nicht alle Worte des Gesetzes erfüllt, daß er danach tue.» Also sollst du tun, wie hier Christus dich lehrt: daß du dich ja hütest und kein Schriftgelehrter noch Pharisäer wirst, daß du dich darum wolltest für fromm halten, ob du schon mit der Faust nicht totgeschlagen hast; sondern habe Achtung auf dein Herz, deinem Mund, deine Gebärde, und wenn du merkst, daß der Zorn dich ergriffen hat, da kehre schnell zu Gott, und sprich: Herr, ich armer Sünder habe hier wider das fünfte Gebot getan, haben nicht erzürnen lassen, habe mich unfreundlich mit Worten und Gebärden gegen meinen Nächsten gehalten; vergibt mir diese meine große Sünde, und verleihe mir deine Gnade, daß ich mich bessere und hinfort solches nicht mehr tue. Das ist ein Stück, daß du tun sollst, welches die Pharisäer nicht tun, die in aller Sicherheit gehen, solchen Zorn für kleine Sünder achten, und um Vergebung solcher Sünde nicht bitten.
Danach soll auch das folgen, daß du dich mit Ernst angreifst, dem Zorn den Zaum nicht zu lang lassest: sondern wo du ihn schon aus dem Herzen sobald nicht lassen kannst, daß du doch solche Sünde erstlich deinem Gott von ganzen Herzen bekennst und klagst und um Vergebung bittest; und danach dich übst, daß solcher Groll, der im Herzen nicht ganz vergessene ist, sich nicht dort wieder einwurzle und mit der Zeit wieder heraus breche, und sich mit und freundlichen Gebärden, bösen Worten und streitiger Hand beweise, sondern zum wenigsten den Zorn verbergen, freundlich mit deinem Nächsten redest. Da findet denn ein gut Wort auch einen guten Boden, und du wirst es erfahren, wenn du dich so verhältst, der Zorn von Tag zu Tag aus dem Herzen weichen und gleich wie ein Rauch vergehen wird.
So taten die Pharisäer nicht. Den Zorn im Herzen, die unfreundliche Gebärde, ja, wohl auch die bösen Worte hielten sie für keine Sünde; ließen sie deswegen frei und ohne Scheu gehen. Denn dies Laster, der Zorn, hat die Unart, daß er sich fein schmücken kann. Denn da machen wir uns solche Gedanken: Der hat mir diese und das getan; sollte ich nicht sauer sehen noch darum zürnen, so trete ich Unrecht; denn ich würde ihn sonst in seinen bösen Vorhaben stärken. Ich muß den Buben ein wenig mürbe werde lassen, er würde sonst gar zu wild und frech. Wenn nun das Herz zuvor zum Zorn geneigt ist, und der Wahn dazu kommt, also tue man recht und wohl daran, daß man zürne mit dem Nächsten um seiner Untugend willen; da geht das Feuer dann erst richtig an und der Teufel hat sein Spiel gewonnen, daß der Groll von Tag zu Tag je länger je größer und die Herzen je länger je mehr gegen einander erbittert werden. Dar warnt der Herr vor, daß wir uns solche pharisäische in Gedanken nicht verführen lassen; sondern rechtschaffene Christen sein sollen, die entweder recht tun, oder doch das Unrecht bekennen und Gott um Gnade bitten, daß er vergeben und uns reine Herzen geben wolle.
Wer sich nun also in den zehn Geboten übte, meinst du nicht, er würde nicht jede Stunde Ursache haben, seine Sünde zu beichten, zu beten und sich im Glauben und Wort zu üben? Denn das Beichten muß sein, wenn der Zorn oder andere Lüste uns angreifen, daß wir es nicht leugnen noch entschuldigen, sondern Gott bekennen und ihm von ganzem Herzen beichten, daß wir Unrecht getan haben. Da muß danach das Beten auch folgen, daß Gott solches uns nicht zurechnen soll, sondern vergeben, und uns, um Christus willen, durch seinen Heiligen Geist frömmer machen. Auf solches Gebet soll der Glaube folgen, daß wir nicht zweifeln, es sei uns durch Christus diese und andere Sünde vergeben.
Das heißt, sich recht üben im Gesetz oder den zehn Geboten, da ist es nicht nötig, sich nach anderen guten Werken wo der Gottesdienst umsehen; wie der Papst uns sein Haufe tut, der steckt bis über die Ohren in der pharisäischen Gerechtigkeit. Wie denn der Spruch, damit sie, eben wie die Pharisäer, daß fünfte Gebot allein auf das äußerliche Werk gedeutet haben, zeuget: Den Groll, sagen sie, sollst du fallen lassen; aber die Gebärde das Grollen ist nicht nötig fallen zu lassen. Das ist, wenn dir jemand Leid tut, der hüte dich, daß du ihm darum feind sein willst, oder ihn schlagen; daß du aber mit ihm nicht redest, keine Gemeinschaft mehr mit ihm hast, ist keine Sünde. Darum haben sie die zehn Gebote für ein schlechtes Ding gehalten, mit denen allein weltliche Leute umgehen sollen. Sie aber haben sich eigene und höhere Gottesdienste und Werke erfunden. Aber wer mit den zehn Geboten umgehen wollte, wie ich jetzt von dem fünften allein gesagt habe, ich meine, der sollte zu schaffen genug gewinnen, daß er sich nach andere Übung oder Gottesdienste nicht dürfte umsehen.
Nun macht es aber der Herr über den Maßen heftig, will, so wir anders wollen Christen sein, daß wir stets in solcher Übung der zehn Gebote uns üben. Denn es ist ein harter Spruch, da er am ersten sagt: «Es sei denn eure Gerechtigkeit besser, denn der Pharisäer und Schriftgelehrten, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.» Also beschließt er am Ende, und macht zwei Parteien. Denn wo Zorn und Uneinigkeit ist, der sind allewege zwei Parteien: die eine, die Unrecht tut und den anderen Teil beleidigt; die andere, die beleidigt wird. Dem nun, der zum Zorn Ursache gegeben und andere beleidigt hat, sagt er Herr hier, daß er falsch denke, und mit Gott und dem Gottesdienst falsch liegt, so lange, bis er sich zuvor versöhnt habe, und spricht also: Wenn du willst opfern deine Gabe, und wirst allda vor dem Alter eingedenk, daß dein Bruder eine Sache zu dir hat, so laßt deine Gabe da, und versöhne dich zuvor mit deinem Bruder.
Geschieht solches nicht, so ist dein Opfer und Gottesdienst vergebens, und Gott hat keinen Gefallen daran.
Mit diesen Worten trifft der Herr der Pharisäer Gedanken sehr fein, die meinten, sie wollten Gott einen Rauch vor die Augen machen, daß er ihren Neid und Haß im Herzen wieder den Nächsten nicht sehen sollte, und andere Leute sollten sie auch für fromm halten. Nein, daß tut es nicht; du täuscht dich selbst. Gott sieht am ersten auf dein Herz, wie es hingegen deinen Nächsten steht. Findet er es in Haß und Neid, so denke nicht, daß er einen Gefallen an deinem Opfer oder Gottesdienst habe. Denn weil er geboten hat: «Liebe deinen Nächsten wie dich selbst,» so will er vor allem denselben Gehorsam von dir haben, oder will deiner gar nicht. Denn was sollte das für ein Handel sein, daß du wolltest unserm Herrn Gott einen Ochsen, der zehn Gulden Wert ist armer Schenkel, und daneben deinen Bruder totschlagen? Das hieße, da einen Pfennig geben, und an einem anderen Wort hunderttausend Gulden stehlen. Das soll und kann nicht sein. Willst du Gott dienen, so diene ihm mit solchen Herzen, daß deinem Nächsten nicht feind ist, oder wisse, daß dein Dienst vor Gott ein Greuel ist.
Daher kommt es, daß viele, wenn sie in Uneinigkeit mit ihren Nächsten stehen, sich vom Sakrament enthalten und kein Vater Unser beten wollen. Denn es stößt sie das Wort vor die Stirn, da sie beten: Vergib uns unsere Schuld, wie wir unseren Schuldigern auch vergeben, so sprechen sie das Urteil wider sich selbst, daß Gott ihnen auch nicht vergeben soll. Das ist auch wahr, darf auch niemand anderes denken: willst du nicht vergeben, so wird dir Gott auch nicht vergeben, daß wird nie anders werden. Darum bedenke, was du dir selbst für ein Bad zu richtest, wenn du den Zorn behältst und nicht fahren läßt. Denn deine Sache wirst du damit nicht besser machen, so du nicht beten noch zum Sakrament gehen willst, sondern nur schlimmer. Denn wie dich Gott findet, so richtet er dich.
Darum folge dem Rat Christi, demütige dich vor Gott, und bekenne deine Sünde; danach versöhne dich auch mit deinem Nächsten, und laß den Zorn fallen. Alsdann opfere deine Gabe. Sonst hörst du hier daß du mit Gott nicht einig bist, der sich deiner Gebete und Opfer nicht gefallen lassen will. Das meint Christus, daher spricht: «Laß deine Gabe vor dem Altar.» Als sollte er sagen: Du richtest doch damit bei Gott nichts aus. Das ist der eine Teil, der zum Zorn Ursache gibt und beleidigt seinen Nächsten. Der soll nicht allein vor Gott sich demütigen, und bekennen, er habe Unrecht getan, sondern auch vor seinem Nächsten; und danach auch Vergebung bei Gott erwarten.
Der andere Teil nun, der beleidigt ist, und meint, er habe gute Ursache, daß er zürnen solle, dem warnt der Herr auch, daß er gern vergeben und sich nicht lange soll feiern lassen. Denn da, sagte Herr, sei eine große Gefahr. Denn wo du dich lang bitten und zur Sühne nicht gütig wolltest finden lassen, so würde dein Gegenteil die Sache dem Richter, Gott im Himmel, befehlen und sagen: Herr, ich habe getan, was ich soll: bei dir finde ich Gnade, aber bei den Leuten nicht. Wo nun Gott dir zuvor kommt, was, meinst du, daß das Urteil sein wird? Nehmen wird er dich, der du nicht vergeben noch vergessen willst, und dem Diener überantworte und in den Kerker werfen lassen. Dar wirst du nicht heraus kommen, du habest denn bezahlt bis auf den letzten Pfennig. Das ist, da soll keine Gnade sein, wie er in Lukas 6,38.: «mit dem Maß, damit ihr messet, wird man euch wieder messen.»
Also will der Herr zu beiden Teilen haben, daß man barmherzig sein, den Zorn fallen lassen und jedermann freundlich sein soll. Sonst ist das fünfte Gebot da, und verklagt uns, daß wir Totschläger sind vor Gott; deswegen wird die Strafe auch nicht ausbleiben. Solche Lehre und Leben soll unter den Christen bleiben und fleißig geübt werden. Sonst geschieht Gott ein Ungefallen daran; und wir tun und selbst schaden, nicht allein am Leid und Gut, sondern auch an der Seele, wie der Herr droht.
Aber außer dem Christenstand oder Reich Christi, in weltlichen Ämtern und Ständen, da hat das fünfte Gebot einen anderen Gang und eine andere Kraft. Da hat Gott einen besonderen Befehl gegeben, dem man folgen und nachkommen soll. Denn wer im welchen Regiment ist, der hat Befehl, daß er zürnen, strafen und Würden soll, wo etwas Unrechtes von den Untertanen begangen wird. Also, Vater und Mutter im Haus haben einen besonderen Befehl von Gott über die Kinder, daß sie nicht dazu lachen sollen, wenn die Kinder sich vergriffen haben; sondern sie sollen schimpfen und getrost strafen. Das heißt sie Gott; und wo sie es nicht tun, sind sie Gott ungehorsam und tun wieder ihr Amt und Befehl.
Darum hatte es die Meinung nicht, daß ein Dieb zum Richter sagen wollte: Hänge mich nicht; denn im fünften Gebot steht geschrieben: Du sollst nicht töten. Solches mag er zu seines gleichen sagen, der nicht im Amt ist. Aber die Obrigkeit hat den Befehl, sie soll das Schwert brauchen, daß dem Übel gewehrt werde. Also würde es sich nicht reimen, daß eine Magd im Hause, wenn sie unordentlich, faul, zur Frau sagen wollte: Liebe Frau, ihr seid eine Christin, denkt an das fünfte Gebot, daß ihr mit mir nicht zürnt; denn es ist verboten. «Wer mit seinem Nächsten zürnt,» sagt Christus, «der ist des Gerichts schuldig.» Nein, Magd, Gott hat hier eine andere Ordnung gemacht. Du bist eine Magd und sollst deines Amtes, und was man dir befiehlt, fleißig ausüben. Tust du es nicht, so soll man dir nicht gute Worte als Lohn geben, sondern dich darum strafen.
Das hat Gott nicht allein Herren und Frauen im Hause, sondern im weltlichen Regiment der Herrschaft aufgelegt, die Macht solcher Zorn ebensowenig zu Unchristen, als das Amt und der Beruf, den sie haben. Das aber würde sie zu Unchristen machen, wenn sie ihren Beruf verlassen, und Haus und Zucht durch ein unordentliches Wesen ersetzen würden. Das also der Unterschied bleibe: Im Reich Christi sollt kein Zorn sein, sondern nur Freundlichkeit und Liebe, daß das Herz gegen niemand bitter sei, auch weder Mund noch Hand jemand betrübe. Aber in der Welt Reich und Hausregiment, da sollen Mund und Hand nach eines jeden Stand und Amt tun und schaden allen, die sich falsch Verhalten, und nicht tun, was ihnen befohlen ist. Denn da gilt es nicht schonen oder barmherzig sein, sondern strafen. Wer aber die Strafe läßt, der verursacht dem höchsten Richter, Gott selber, daß er kommen und das Übel strafen muß. Dar an hat man wenig Vorteil. Denn wenn Gott kommt, so kommt er bestimmt und straft.
Das ist die Lehre des heutigen Evangeliums. Unser lieber Herr Gott helfe uns mit seinem Heiligen Geist, daß wir als Christen uns gegen einander halten, und ein jeder in seinem Amt und Stand fleißig sei, Amen.