Luther, Martin - Neue Zeitung vom Rhein
Es ist eine Ankündigung von allen Kanzeln verkündet worden, die gilt, soweit sich das Mainzer Erzbistum am Rheinstrom erstreckt. Sie besagt, dass dessen Bischof alle Reliquien, die Seine Kurfürstlichen Gnaden zu Halle in Sachsen gehabt hat und die mit großem römischen Ablass, mit Gnaden und Privilegien begnadet und bestätigt sind, aus triftigen Gründen und auf Eingebung des heiligen Geistes hin nach Mainz in die St. Martinskirche überführt hat. Dort sollen sie jährlich, am Sonntag nach dem Bartholomäustag, mit großer Feierlichkeit verehrt werden, mit gleichzeitiger Verkündung, was eine jede Reliquie darstellt - und mit großer Vergebung vieler Sünden, damit die lieben Rheinländer den armen, entblößten Knochen wieder zu neuen Kleidern verhelfen sollten. Denn die Röcke, die sie in Halle gehabt haben, sind zerrissen. Und wenn sie länger in Halle geblieben wären, hätten sie dort erfrieren müssen.
Man berichtet auch zuverlässig, dass Seine Kurfürstlichen Gnaden viele bedeutende neue Stücke neuerdings dazugebracht habe, von denen man vorher nichts gehört hat, und dass außerdem ein besonders großer Ablass gegeben sein soll vom jetzigen allerheiligsten Vater, Papst Paul III., nämlich:
- Ein schönes Stück vom linken Horn des Mose.
- Drei Flammen vom Busch des Mose, auf dem Berge Sinai.
- Zwei Federn und ein Ei vom heiligen Geist.
- Ein ganzer Zipfel von der Fahne, mit der Christus die Hölle aufstieß.
- Auch eine große Locke vom Barte des Beelzebub, der an der Fahne klebenblieb.
- Ein halber Flügel von St. Gabriel, dem Erzengel.
- Ein ganzes Pfund von dem Wind, der an Elia vorbeirauschte, in der Höhle am Berge Horeb.
- Zwei Ellen von dem Ton der Posaunen, auf dem Berge Sinai.
- Dreißig Fürze von der Pauke Miriams, der Schwester Mose, gehört am Roten Meer.
- Ein großes, schweres Stück vom Geschrei der Kinder Israel, womit sie die Mauern Jerichos niedergeworfen haben.
- Fünf schöne helle Saiten von der Harfe Davids.
- Drei schöne Haarlocken des Absalom, mit denen er an der Eiche hängenblieb.
Doch dies erklärt man nicht als Reliquie, sondern als Wunder, wie in Rom der Strick des Judas in der St.-Peters-Kirche erklärt wird.
Es hat mir ein besonders guter Freund insgeheim gesagt, dass Seine Kurfürstlichen Gnaden in seinem Testament ein ganzes Quentchen (¼ Lot) von seinem treuen frommen Herzen zu einer solchen Reliquie bestimmt hat und ein ganzes Lot von seiner wahrhaftigen Zunge. Dazu soll schon vom allerheiligsten Vater, dem Papst, folgendes erreicht sein: Wer solch eine Reliquie mit einem Gulden ehren wird, der soll Vergebung aller seiner früheren Sünden haben, die er bis zur Stunde begangen hat. Und alles, was er danach sündigen kann oder mag, zehn Jahre lang, soll ihm nicht schaden zur Seligkeit.
Das ist wirklich eine große, reiche Gnade, von der man bisher nie gehört, über die sich jeder mit Recht zu freuen hat.
1542