Luther, Martin - Ausführliche Erklärung der Epistel an die Galater (Auszüge)

Luther, Martin - Ausführliche Erklärung der Epistel an die Galater (Auszüge)

Anno 1535

Neu aus dem Lateinischen übersetzt.

Quelle: Dr. Martin Luthers Sämmtliche Schriften herausgegeben von Dr. Joh. Georg Walch Neunter Band. Auslegung des Neuen Testaments. (Schluß.) (St. Louis, Mo.: Concordia Publishing House, 1893) Justi Menii Vorrede. [2]

Dem Durchlauchtigsten, Hochgebornen Fürsten und Herrn, Herrn Johann Friedrich, Herzog zu Sachsen, des heiligen Römischen Reichs Erzmarschall und Kurfürsten, Landgrafen in Thüringen, und Markgrafen zu Meißen u., meinem gnädigsten Herrn, Gnade und Friede von Gott, unsern Vater, und dem Herrn Jesu Christo, unserm Heilande.

Durchlauchtigster, Hochgeborner Kurfürst, Gnädigster Herr! Ich habe dieses nächstvergangene Jahr die Auslegung des ehrwürdigen und hochgelehrten D. Martini Luthers, meines lieben Vaters in Christo, über die Epistel St. Pauli an die Galater geschrieben, vermittelst göttlicher Gnaden verdeutscht, darum mich denn etliche gute Freunde und fromme Christen gebeten, und insonderheit E. Churfl. Gn. Rentmeister, Hans von Taubenheim, dazu beredet hat.

Und wiewohl mir vor der Speise fast gegrauet, nicht allein deshalb, daß das Werk groß und schwer, sondern, daß ich mein Unvermögen betrachtet, und mich besorgt, ich möchte vielleicht das, so ich vornehme, entweder allerdinge mit Schanden müssen fallen lassen, und Schwachheit halben darunter erliegen, oder es also hinaus machen, daß es doch je nicht wohl gemacht wäre. Und wenn ich auch eben die Wahrheit sagen und gleichzu bekennen soll, so hat es etlichemal damit hart genug angestanden, und gar wenig gefehlt, ich wäre damit stecken blieben. Jedoch habe ich im Namen des Herrn allewege wiederum angespannt und fortgefahren, bis so lange, daß ich mit Gottes Hülfe hindurch gerissen, und das Ende erreicht habe, wiewohl mir's sauer und schwer genug worden ist, bis ich hindurch kommen bin.

Und wiewohl ich eine gute lange Zeit damit habe müssen zubringen, bin auch der Arbeit, Schreibens und Lesens, mehr denn einest, eben müde worden; will derhalben auch gerne glauben, es werden sich noch wohl Einer oder Zween auch müde dran lesen, ehe sie es hinaus lesen. So hat mir aber doch alle Tage die mannigfaltige, schöne und überaus tröstliche Lehre, so in diesem Buche gehandelt wird, also gefallen und geliebt, daß ich aller Langweile und Müdigkeit darob habe vergessen müssen; welches ich gar nicht zweifele, es werde einem jeden fleißigen Leser auch widerfahren.

Denn, damit ich des großen, überschwenglichen Nutzens und Trostes, den ein jeder Leser aus diesem Buch bekommen mag, geschweige, wer wollte doch nicht von Herzen begehren, das große, herrliche Wunderwerk zu sehen, das unser Herr Gott uns hierinnen sichbarlich und offenbarlich vor die Augen stellt und sehen läßt, wie eine überaus reichliche Schatzkammer sein heiliges Wort sei aller Gnaden Erkenntnis, Trosts, ewiges Lebens, Heils und Seligkeit, darinnen der Heilige Geist durch dieses seines Apostels wenige Worte, die nach dem äußerlichen Ansehen so gar schlecht, albern und einfältig da vor Augen liegen, so gar überschwenglichen, unmäßigen und unbegreiflichen Trost für die armen Gewissen gibt, daß es doch je keines Menschen Herz mit Gedanken fassen kann, ich geschweige, daß es jemand sollte mit Worten können ausreden. Und wenn gleich sonst keine Lehre von der Gottseligkeit, kein Trost noch Vermahnung auf Erden wäre, denn diese einige Epistel allein, dermaßen verstanden und betrachtet, daß dennoch die ganze Welt daran allerlei gottseliger Lehre und Trosts gar genug und übrig haben möchte.

Derhalben auch freilich kein geringer Wunderwerk des Heiligen Geistes ist, daß er in so wenigen, schlechten, albernen und einfältigen Worten so viel göttlicher Weisheit, himmlischer Geheimnisse, Trosts und lebendiger Kraft wider die Sünde, Tod und allerlei Anfechtung so unzählig vielen armen Seelen gibt und austeilt, denn dieses große Wunder gewesen sind, daß etwa unser Herr Christus mit wenig Broten so viel tausend Menschen gespeist und gesättigt hat [Mk. 8, 5. 8. Joh. 6, 9. 12.]. Item, daß Gott sein Volk mit Brot vom Himmel in der Wüste gespeist, 2 Mos. 16, 15., und mit Wasser aus dem harten und trockenen Felsen getränkt hat [2 Mos. 17, 6. 7.]. Also, daß wir ja so offenbarlich und gewißlich erfahren, daß der Mensch vom Wort Gottes lebe [5 Mos. 8, 3.], als solches etwa die Juden erfahren haben. Derhalben die Größe und Länge dieses Buchs vom Lesen niemand abschrecken, sondern um solches göttlichen Wunderwerks willen vielmehr einen jeden Gottseligen dazu reizen und anhalten soll. Denn was ich jetzund rede, das habe ich selbst im Dolmetschen erfahren.

Wie wohl mir's aber geraten, und wie recht ich's mit der Übersetzung getroffen habe, kann ich wahrlich selbst nicht sagen; will es derhalben andern zu richten und urteilen hiermit befohlen haben. Doch, nachdem in diesem schönen Buch fast alle die vornehmsten Artikel der heiligen christlichen Lehre gehandelt, und zuvoraus der Hauptartikel von der Justification, das ist, der da lehrt, wie man vor Gott gerecht und selig werden müsse durch den einigen Glauben an Jesum Christum allein, ohne alles Zutun allerlei Gesetze und Werke, aufs allergewaltigste, reichlichste und tröstlichste gegründet, herausgestrichen und erklärt, und dagegen alle die vornehmsten gottlosen, widerchristischen Irrtümer der paebstischen Sophisten und Mönche durch Gottes Wort also widerlegt und gestürzt werden, daß in aller frommen, rechtsinnigen Menschen Gewissen und Herzen solche teuflischen Lügen und Gotteslästerung gegen der göttlichen ewigen Wahrheit allerdings zerschmelzen, zerstieben und zerfliehen müssen, nicht anders, denn wie der Schnee von der Sonne zergeht, und die leichte Spreu vom gewaltigen Winde zerstreuet werden: will ich dennoch hoffen, ich werde mit meinem vorgewandten möglichen Fleiß in dieser Dolmetschung so viel ausgerichtet haben, daß solche tröstlichen Artikel der christlichen Lehre, wie die in der Auslegung gehandelt, zu guter Massen zu verstehen sein sollen.

Das lose Geschmeiß der Sophisten, Schulkläffer und Mönche, de merito congrui et condigni; de gratia gratificante et gratum faciente; de fide acquista et infusa, formata et informi; de qualitate inhaerente, und was sie dergleichen sonst mehr gegeifert haben, weiß ich schier selbst nicht, ob ich's auch recht verstanden, oder dargegeben habe, und achte es dafür, daß unter ihnen der mehrere Teil solche Worte, stracks wie die Papageien und Sittiche, ohne allen Verstand dahin lallen, und selbst nicht wissen, ob's damit gehauen oder gestochen sei. Denn es ist ein solcher heilloser, unflätiger Geifer, daß sich's, gleichwie ein Hüttenrauch oder Assa foetia, weder wohl einnehmen, noch wiedergeben lassen will; ist beide der Sachen und Worte halben fast eine solche theologia, wie des Constantini donatio eine Juristerei ist. Denn es sind die Sachen beiderseits an ihnen selbst eitel Lug und Trug, was Kaiser Constantinus dem Papst vom Kaisertum soll gegeben haben, und was die Sophisten und Mönche den armen Gewissen durch ihre Lügen und Alfanzerei im Himmelreich zu gehen verheißen.

Dazu ist's beiderseits solch Latein, das, ohn allein bei solchen Zigeunern, sonst in der ganzen Welt niemals an einigem Ort bräuchlich gewesen. Und gleichwie solche Theologen einen sonderlichen Geist (nicht des Lichtes noch der Wahrheit, sondern der Finsternis und Lügen) haben, also reden sie auch mit sonderlichen neuen Zungen, nicht die großen, herrlichen Taten Gottes, sondern eitel finstere, unverständige, ja, unerhörte, und unerfahrene Lügen und Lästerung ihres Papsts und Teufels aus der Hölle heraus. Doch will ich mich versehen, es soll auch fast getroffen und also gegeben sein, daß, wer der Sachen sonst Acht haben und nachdenken will, derselbe es auch ziemlich soll verstehen können. Denn wer fremde, unbekannte Sachen von neuem vornehmen will und verstehen lernen, derselbe muß auch fremder, neuer Worte und Reden gewöhnen.

Es sei aber gleich geraten oder verdorben, wie es wolle, so will ich gleichwohl solch Buch Ew. Churfl. Gn. hiemit untertäniglich zuschreiben, und es unter Derselben Namen ausgehen lassen, weil es bereiten Ew. Churfl. Gn. eigen ist, deshalb, daß es durch obgenannten meinen lieben Herrn, D. Martinum, in Ew. Churfl. Gn. hochlöblicher Universität zu Wittenberg öffentlich gelesen, und durch den wohlgelehrten, frommen, fleißigen Mann, M. Georg Roerern, aufs allertreulichste aufgefaßt, und in dieses Buch also zusammengebracht ist. Darum ich auch achte, daß ich gar unrecht und übel täte, und Ew. Churfl. Gn. das Ihre unbillig entfremdete, wo ich solch Buch anders, denn unter Ew. Churfl. Gn. Namen ausließe. Gleichwie Magister Georg, samt andern, auch unrecht und übel täten, wo sie solche teuren und edlen Schätze, der sie freilich noch sehr viel und köstlich haben, bei ihnen selbst verborgen hielten, und den andern Christen nicht auch mitteilten.

Zudem, so achte ich auch, es sei dieser Zeit niemand so hoch vonnöten, dieses und dergleichen Bücher zu haben, und mit Fleiß zu lesen, als Ew. Churfl. Gn. Denn wiewohl kein Zweifel ist, es bedürfen alle christgläubigen Herzen zu allen Zeiten wohl, daß sie mit Gottes Wort wider den Teufel ohne Unterlaß getröstet und gestärkt werden, und ist niemand, der sich wider solchen mächtigen und arglistigen Feind zu gar wohl rüsten und wappnen könne: so ist's doch gewißlich wahr, und kann nimmermehr fehlen, es muß der Bösewicht Ew. Churfl. Gn. vor allen anderen insonderheit todfeind sein, deshalb, daß Ew. Churfl. Gn. nicht allein für ihre Person zur christlichen Wahrheit mit anderen Christgläubigen sich öffentlich bekennen, sondern, daß auch in Ihren Landen und Fürstentümern, und eben in Ew. Churfl. Gn. Schule und Kirche zu Wittenberg, solche tröstliche, heilsame Lehre des heiligen Evangelii anfänglich aufgangen, und unser lieber Herr Jesus Christus sein allerheiligstes Gnadenreich in so schönem Frieden, guter Ordnung, aufs allerseligste gepflanzt hat, hegt und ziert.

Und also, daß es wie ein schöner, heilsamer, wohlriechender Balsamgarten nun auch in andere Fürstentümer, ja, auch in fremde Nationen und gewaltige Königreiche, mit seinem heilsamen guten Geruch sich ausbreitet, und in denselben fremden Nationen, Königreichen und Ländern unzählig viel armer, elender Gewissen, die in ihren Sünden unter Gottes Zorn sonst ganz und gar trostlos in Ewigkeit hätten verzweifeln und verderben müssen, jetzund also gelabt und erquickt werden, daß sie das selige Erkenntnis der großen Gnaden und Wohltaten unseres lieben Herrn Jesu Christi gleich als von den Toten zum Leben auferweckt, ja, gleich als aus dem Abgrund der Hölle, darinnen sie unter dem verfluchten, unseligen Papsttum wahrhaftig gefangen gewesen, jetzt nun in Abrahams Schoß, in das himmlische Paradies und zur ewigen Seligkeit aufführt.[3] Und ist je solche tröstliche, heilsame Lehre des heiligen Evangelii denselben armen, elenden Gewissen ein rechter guter Geruch des Lebens zum Leben. Gleichwie es wiederum auch ein Geruch des Todes zum Tode ist allen Gottlosen und Verdammten, sonderlich aber dem verfluchten Papsttum, welches wahrhaftig ist das rechte Sündenreich des Widerchrists, von dem St. Paulus [2 Thess. 2, 8.] verkündigt hat, daß ihn der Herr mit dem Geist seines Mundes umbringen werde; derhalben es auch kein Wunder ist, daß er wiederum dagegen so greulich wütet und tobt.

Und ist kein Zweifel nicht, es wird dieses und andere dergleichen Bücher zu ewigen Zeiten wohl zeugen,[4] was wir dieser Zeit aus dem heiligen Evangelio unseres lieben Herrn Jesu Christi, beide, recht und wohl gelehrt, und was wir auch in der teuflischen, verdammten Lehre des widerschristischen Papsttums (davon, welcherlei sie gewesen, der Sophisten und Mönche Bücher auch wohl zeugen werden) angefochten und verworfen haben, und werden alle frommen christlichen Herzen daraus wohl richten und urteilen können, daß wir solches freilich nicht ohne Not, aus leichtfertigem Vorwitz, aus Ehrgeiz, um Geldes und Gutes, oder einigerlei anderen zeitlichen Gesuchs willen also vorgenommen und getrieben haben, sondern, daß uns gar viel ein Größeres und Höheres, denn aller Welt Reich mit aller ihrer Macht und Herrlichkeit sein und immer mehr werden können, als nämlich, Gottes Ehre, Liebe der Wahrheit, und unser eigen, samt aller anderen armen Christen elende Gewissen, dieselbigen aus ewigem Verderben durch Gottes Kraft zu retten, und ihnen durch die wahrhaftige Erkenntnis Christi zur Gnade und ewiger Seligkeit zu helfen, dazu bewogen, ja, gezwungen und gedrungen hat.

Denn obgleich jemand aus Unverstand denken, oder aus einem neidischen, feindlichen Herzen wider uns vorgeben wollte, wir wären so gar blind und närrisch gewesen, daß wir um oben angezeigter Ursachen willen diesen Handel anfänglich erregt hätten: wie könnten wir doch immer mehr so gar toll und töricht sein, daß wir darauf beharren und davon nicht ablassen sollten, nachdem wir so gröblich und mit so großem erbärmlichem Jammer schier in aller Welt erfahren, daß wir je mit dieser Lehre vor der Welt weder Ehre noch[5] Gut, weder Gunst noch einigerlei zeitlichen Genieß erlangen, sondern müssen eben des Widerspiels gewarten; dazu unser Leib und Leben, samt Weib und Kindern, in allerlei Fahr setzen, und durch der Widersacher Frevel und ungerechtes Urteil uns als die allerärgsten Ketzer, Gottes Feinde und Lästerer, in Abgrund der Hölle verdammen, und dem Teufel ganz und gar zu eigen müssen geben lassen? Und solches sollte doch je den Vorwitz einem, meines Versehens, wohl vertreiben und büßen. Aber laß denken, reden und dichten einen jeden, was und wie er will, so trösten wir uns dess, daß unser lieber Herr Jesus Christus der ist, der uns rechtfertigt; wer will uns denn verdammen.

Derhalben, Gnädigster Herr, Ew. Churfl. Gn. Ihnen dieses Buch, samt anderen dergleichen, sollen insonderheit befohlen, ganz und wert sein lassen, auf daß, dieweil Ew. Churfl. Gn. um des lieben Evangelii willen von dem Teufel und seinem Larven freilich alle Tage mehr denn einerlei Anfechtung dulden müssen, Sie aus diesem Buche Allwege sehen, und sich dess trösten mögen, daß Ihnen solches doch je um nichts anders, denn allein um Gottes seines heiligen Worts, und der armen christlichen Seelen ewiges Heils und Seligkeit willen, vom Teufel und seinem Reich, der verdammten Welt, zugeschoben wird und widerfährt. Derhalben such unser lieber Gott und Vater im Himmel, um seines einigen lieben Sohns, unseres lieben Herrn und Heilandes Jesu Christi willen, Ew. Churfl. Gn. in allen solchen Anfechtungen und Widerwärtigkeiten wider allerlei Tyrannei, Arglist und böse tückische Praktiken der Widersacher wohl schützen, und mit aller Herrlichkeit erhalten wird. Darum denn alle die frommen gottesfürchtigen und christgläubigen Herzen, die durch solche heilsame Lehre zur Gnade und Seligkeit aus dem grausamen Reich der Finsternis im widerchristlichen Papsttum errettet sind, in aller Welt, ohn Unterlaß von Grund ihrer gläubigen Herzen aufs allertreulichste und ernstlich seufzen, bitten und flehen, Amen.

Ist mir's nun also geraten, daß ich's mit der Dolmetschung getroffen, und frommen gottesfürchtigen Christen damit gedient habe, die sollen, nächst Gott, Ew. Churfl. Gn., als denen in ihren Fürstentümern und Landen das heilige und heilsame Evangelium, von der Gnade unseres lieben Herrn Jesus Christi, zu haben, zu ehren und zu fördern vor anderen Potentaten von Gott gnädiglich beschert und gegeben ist, darum billig danken. Ist's aber gefehlt, dafür ich traun (daß es je bisweilen geschehen) nicht zu teuer schwören will, und etliche ekele, zarte Geister ihren Schnabel daran auch wetzen und es tadeln wollen, so bin ich da, bekenne meine Schuld und Torheit gerne, will auch die Schande willig tragen, und ihnen aller Ehren von Herzen gönnen; allein, daß sie beide, ihnen selbst zu Ehren und frommen Christen zugut, der Mühe und Arbeit sich nicht verdrießen lassen, und, wo ich es verderbt und gefehlt habe, daß sie es daselbst vornehmen, treffen's recht und machen's besser. Denn ich das Meine getan, und ich es je an keinem möglichen Fleiß und meinem guten Willen nicht habe fehlen lassen. Bitte demnach in aller Untertänigkeit, Ew. Churfl. Gn. wollen dieses mein geringes Vermögen zu gnädigen Gefallen annehmen, und tue Ew. Churfl. Gn. in gnädigen Schutz und Schirm unseres lieben Herrn Jesu Christi befehlen. Datum Eisenach.

Ew. Churfl. Gn. Untertäniger

Justus Menius,

zu Eisenach Pfarrherr.

_ Fußnoten: [1] Nachdem Luther von 1516-1519 schon einmal die Epistel an die Galater ausgelegt und seine Erklärung in dem letztgenannten Jahre hatte ausgeben lassen, fing er im Wintersemester 1531- 1532 aufs neue an, dieselbe in seinen Vorlesungen zu erklären. (Koestlin, Martin Luther, Bd. II, S. 272. Vgl. Bd. I, S. 291). Diese zweite Auslegung hat M. Georg Roerer nachgeschrieben und im Jahre 1535 zuerst herausgegeben unter dem Titel: In epistolam S. Pauli ad Galatas Commentarius, ex praelectione D. Martini Lutheri collectus. Vitegergae 1535 u. Um Ende: Excusum Vitebergae per Joannem Lufft. Diese Ausgabe wurde in demselben Jahre zu Hagenau durch Peter Brubach nachgedruckt. Eine andere Ausgabe, welche auf dem Titel den Zusatz hat: Jam denuo diligenter recognitus, castigatus, etc. Adjecto etiam indice, erschien zu Wittenberg bei Hans Luft im Jahre 1538 (In der Erlanger Ausgabe, Tom. I, p. X, steht irrthuemlich 1535.), welche zu Frankfurt von Peter Brubach in den Jahren 1543 und 1546 nachgedruckt wurde. Diese zweite Ausgabe hat Luther selbst mit der Vorrede versehen, welche wir der Auslegung vorangestellt haben. Ob auch die erste Ausgabe von 1535 mit einer Vorrede Luthers versehen gewesen ist, wissen wir nicht, doch ist gewiß, daß unsere Vorrede, wenigstens in ihrer gegenwärtigen Gestalt, keiner früheren Zeit als 1538 angehören kann, wegen der darin enthaltenen Aussprüche über die Antinomer. (Vgl. Kawerau, Agricola, S. 201, Anm. 2.) Das, was in den Ausgaben als Alia et brevis praefatio bezeichnet ist (mit Ausnahme der lateinischen Wittenberger, welche diese Überschrift nicht enthält), ist nicht eine „Vorrede“, sondern eine „Anrede Luthers an seine Zuhörer“. Die Ausgabe von 1538 ist in die lateinischen Sammlungen der Werke Luthers aufgenommen: Wittenberger (1554), Tom. V, fol. 269 b; Jenaer (1570), Tom. IV, fol. 1; Erlanger, Tom. I-III. Justus Menius, damals Pfarrherr und Superintendent zu Eisenach, übersetzte diese Auslegung ins Deutsch. Diese Übersetzung ist in den ersten, schon 1539 erschienenen, Band der Wittenberger Ausgabe aufgenommen worden; von einer alten Einzelausgabe finden wir keine Nachricht. Auch in den späteren Ausgaben der Schriften Luthers findet sich diese Übersetzung: in der Wittenberger (1556). Bd. 1, Bl. 1; in der Altenberger, Bd. VI, S. 509; in der Leipziger, Bd. XI, S. 1. Im vorigen Jahrhundert erschienen zwei Einzelausgaben derselben, nämlich eine, ohne Angabe des Ortes, im Jahre 1717, veranstaltet durch Samuel Lucius, Prediger zu Ansoldingen im Canton Bern; die andere zu Halle im Jahre 1737, herausgegeben von J.G. Walch. Ein Abdruck der Walchschen Tertrecension ist im Jahre 1856 zu Berlin durch Gustav Schlawitz veranstaltet. Eine französische Übersetzung des größeren Kommentars erschien zu Antwerpen im Jahre 1583 bei Arnoult Conink unter dem Titel: Declaration entiere des fondemens de la Doctrine Chretienne, faite par Martin Luther sur l'Epistre de St. Paul aux Galatiens, en laquelle est contenue une vraye et parfaite Exposition de la Justification, qui est par la Foy en Jesus Christ. Nouvellement revue, curieusement corrigee et augmentee (suivant le Latin) de ce qui este [etait] obmis en l'Impression Francoise auparavant mise en Lumiere. Die frühere französische Ausgabe, auf welche dieser Titel sich bezieht, mag vielleicht die sein, welche im Jahre 1564 zu Genf erschienen ist. In der Erlanger Ausgabe, Tom. I, p. XII, wird sub No. IX der Ausgaben des Commentarius major auch eine spanische Übersetzung angeführt, doch ist dies eine Übersetzung des kleineren Kommentars. D. Christian Friedrich Boerner, der Herausgeber der Leipziger Ausgabe von Luthers Werken, berichtet in der Vorrede zum 11. Bande, S. 28, er besitze eine englische Übersetzung, welche zu London 1635 gedruckt sei. Dieser Ausgabe sei aufs neue die Approbation des Bischofs zu London, Edwin Sandys, beigefügt, welche sich vor der ersten englischen Ausgabe von 1575 befand. Statt der vielen Lobeserhebungen, welche dieser Hauptschrift Luthers gespendet sind (er selbst nennt sie sein bestes Werk, Binseil, colloquia, Tom. III, p. 196), setzen wir nur das Wort des Menius aus seiner Vorrede hierher: „Wenn gleich sonst keine Lehre von der Gottseligkeit, kein Trost noch Vermahnung auf Erden wäre, denn diese einige Epistel allein, dermaßen verstanden und betrachtet, daß dennoch die ganze Welt daran allerlei gottseliger Lehre und Trosts gar genug und übrig haben möchte.“ Wir haben nach der Wittenberger Ausgabe neu übersetzt.

[2] Wiewohl wir die Übersetzung des Menius nicht bringen, sondern eine neue, haben wir dennoch des Menius Vorrede bleiben lassen, einesteils wegen des geschichtlichen Materials, welches darin enthalten ist, andernteils, weil viele der Gedanken, welche Menius darin ausgesprochen hat, auch uns bei der Anfertigung der neuen Übersetzung bewegt haben.

[3] Wittenberger: „auffrueret“, ein Druckfehler.

[4] Wittenberger: zeugen werden.

[5] Wittenberger: und.

D. Martin Luthers Vorrede 1538[1]

1. Kaum kann ich selbst glauben, daß ich so viele Worte gemacht habe, da ich diese Epistel des heiligen Paulus öffentlich auslegte, wie dieses Büchlein zeigt, daß ich getan habe, und ich nehme doch wahr, daß alle Gedanken, welche ich dieser Schrift von den Brüdern mit so großer Sorgfalt aufgezeichnet finde, meine Gedanken sind, so daß ich gestehen muß, daß ich alles, oder vielleicht noch mehr, in diesem meinem öffentlichen Vortrage gesagt habe.[2] Denn in meinem Herzen herrscht allein dieser Artikel, nämlich der Glaube an Christum, aus welchem, durch welchen und zu welchem bei Tag und bei Nacht alle meine theologischen Gedanken fließen und zurückfließen. Dennoch empfinde ich, daß ich von der Weisheit, welche eine so große Höhe, Breite und Tiefe hat, nur einige schwache, arme Erstlinge und gleichsam Bröcklein ergriffen habe.

2. Deshalb schäme ich mich auch, daß meine so dürftigen und kalten Auslegungen [über die Schrift] eines so großen Apostels und auserwählten Rüstzeugs Gottes herausgegeben werden. Doch es zwingt mich, diese Scham abzulegen und ohne Scham kühn zu sein, die endlose und erschreckliche Entheiligung und der Greuel, welcher in der Kirche Gottes allezeit gewütet hat und auch heutzutage nicht aufhört zu wüten wider diesen einigen und festen Fels, den wir die Lehre (_locum_) von der Rechtfertigung nennen, das heißt, wie wir nicht durch uns selbst (ohne Zweifel auch nicht durch unsere Werke, welche geringer sind als wir selbst), sondern durch fremde Hülfe, durch den eingebornen Sohn Gottes, Jesum Christum, von Sünde, Tod und Teufel erlöst und mit dem ewigen Leben beschenkt sind.

3. Diesen Fels hat der Satan im Paradiese angefochten, da er die ersten Eltern überredete, daß sie durch ihre eigene Weisheit und Kraft Gottes gleich werden sollten, wenn sie den Glauben an Gott fahren ließen, der ihnen das Leben gegeben, und dasselbe zu erhalten verheißen hatte.

4. Bald darauf trieb jener Lügner und Mörder, der von seiner Art nie lassen kann, um dieses Artikels willen einen Bruder dazu, daß er seinen Bruder aus keiner anderen Ursache tötete, als weil sein frommer Bruder durch den Glauben ein besseres Opfer getan hatte [Hebr. 11, 4.], und er, als ein Gottloser, der seine Werke ohne den Glauben opferte, Gotte nicht gefallen hatte.

5. Darnach folgte eine unablässige, unerträgliche Verfolgung des Satans wider denselben Glauben durch die Kinder Kains, bis daß Gott gezwungen wurde, durch die Sintflut auf einmal die ganze Welt zu reinigen und Noah, den Prediger des Glaubens und der Gerechtigkeit, zu schützen [2 Petr. 2, 5]. Dennoch hat der Satan nichtsdestoweniger seinen Samen behalten in Ham, dem dritten Sohne Noahs.

6. Aber wer kann alles erzählen? Die ganze Welt hat darnach wider diesen Glauben gewütet durch Aufrichtung von selbsterwählten Götzen und Gottesdiensten, in welchen ein jeglicher (wie Paulus [Apg. 14, 16.] sagt) seinen eigenen Weg wandelte und hoffte mit seinen Werken, einer einen Gott, ein anderer eine Göttin, einer viele Götter, ein anderer viele Göttinnen zu versöhnen, das heißt, ohne die fremde Hülfe Christi durch sein eigen Werk sich von allem Übel und Sünden zu erlösen, wie dies alles auch die Taten und Schriften aller Heiden genugsam bezeugen.

7. Aber diese sind nichts gegen das Volk Gottes Israel oder die Synagoge, welche vor allen anderen begnadet waren, nicht allein mit der gewissen Verheißung, den Vätern geschehen, sodann mit dem Gesetz, welches ihnen von Gott durch die Engel gegeben wurde [Apg. 7, 53.], sondern auch fort und fort durch die Propheten, die bei ihnen waren, mit Predigten, Wundern und Exempeln in der Gewißheit bestärkt wurden: und doch hatte der Teufel, das heißt, das Wüten für die eigene Gerechtigkeit einen solchen Fortgang unter ihnen, daß sie nach allen Propheten auch selbst den Sohn Gottes, den ihnen verheißenen Messias, töteten, nämlich um derselben Ursache willen, weil sie lehrten, daß wir Menschen Gotte gefallen, nicht durch unsere Gerechtigkeit, sondern durch die Gnade Gottes. Und dies ist der höchste Grundsatz (_propositio_) des Teufels und der Welt von Anbeginn: Wir wollen nicht dafür angesehen sein, als ob wir übel täten, sondern alles, was wir tun, das muß Gotte gefallen, und alle seine Propheten müssen dem beistimmen. Thun sie das nicht, so müssen sie sterben. Hinweg mit Abel, Kain soll leben! Das ist unser Gesetz. Und so geschieht es.

8. Aber in der Kirche der Heiden ist diese Sache aufs Höchste gekommen (_res acta est_) und wird mit allem Ernste betrieben, so daß man mit Recht dafürhält, das Wüten der Synagoge sei nur ein Spiel gewesen. Denn jene haben (wie Paulus [1 Kor. 2, 8.] sagt) ihren Messias nicht erkannt, „sonst hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt.“ Aber die Kirche der Heiden hat ihn angenommen, und bekennt, daß Christus der Sohn Gottes sei, der uns zur Gerechtigkeit gemacht ist [1 Kor. 1, 30], und das singt und liest und lehrt sie öffentlich. Und während dies Bekenntnis stehen bleibt, so töten dennoch gerade die, welche die Kirche sein wollen, verfolgen und wüten wider diejenigen, welche nichts Anderes glauben, lehren und tun, als daß Christus eben das sei, was sie selbst mit falschem Munde und erdichteten Werken zu bekennen gezwungen werden. Denn heutzutage regieren sie unter Christi Namen; wenn sie diese Herrschaft ohne Christi Namen aufrecht erhalten könnten, so würden sie ihn [Christum] auch äußerlich als einen solchen an den Tag geben, wie sie ihn im Herzen haben. Sie halten aber weit geringer von ihm, als die Juden, welche wenigstens dafürhalten, daß er ein Thola sei, das heißt, ein Schächer, der mit Recht am Kreuze abgetan worden sei; unsere [Papisten] aber halten ihn für eine Fabel, gleichsam eine Art erdichteter Gottheit bei den Heiden, wie man zu Rom am Hofe des Papstes und fast in ganz Italien sehen kann.

9. Weil nun Christus ein Spott ist bei seinen Christen (denn den Namen wollen sie haben), und Kain ohne Aufhören den Abel tötet, und der Greuel des Satans aufs höchste regiert, so ist es vonnöten, daß wir diesen Artikel aufs fleißigste treiben und dem Satan Widerstand tun, mögen wir nun lallen wie die Kinder oder beredt sein, mögen wir gelehrt oder ungelehrt sein. Denn wenn auch alle Menschen schweigen sollten, so müßten doch selbst Felsen und Steine diesen Fels ausschreien [Luk. 19, 40.].

10. Deshalb will auch ich hierin gern meinen schuldigen Dienst leisten und gebe zu, daß diese überaus wortreiche Auslegung veröffentlicht werde, um die Brüder in Christo wider die Anschläge und die Bosheit des Satans zu ermuntern, welcher in diesen letzten und gefährlichsten (_extremis_) Zeiten in so große Raserei wider diese heilsame Erkenntnis Christi, die von neuem auf die Bahn gekommen, geraten ist, daß, gleichwie man bisher gesehen hat, wie Menschen von Teufeln besessen und unsinnig geworden sind, jetzt die Teufel selbst von ärgeren Teufeln besessen zu sein scheinen und mit mehr als teuflischer Wut zu rasen. Dazu hat er freilich gar starke Veranlassung, denn dieser Feind der Wahrheit und des Lebens fühlt, daß ihm der erschreckliche Tag seiner Verdammnis ganz nahe bevorstehe, uns aber der ersehnte fröhliche Tag unsere Erlösung, welcher seiner Tyrannei ein Ende machen wird. Denn es ist nicht ohne Ursache, daß er in so große Bestürzung gerät, daß ihm alle seine Glieder und Kräfte erbeben, gleichwie ein Dieb oder ein Ehebrecher, der ertappt wird, da die Sohne aufgeht und ihn verrät.

11. Denn wer hat jemals gehöret (um der Greuel des Papstes zu geschweigen), daß auf einmal so große Ungeheuerlichkeiten hervorgebrochen sind, als wir in der jüngsten Zeit zum Exempel allein an den Wiedertäufern sehen? In denselben treibt der Teufel wahrlich, als wenn er den letzten Odem seiner Herrschaft aushauchen wollte, überall die Seinen mit erschrecklichen Bewegungen, und gleich als ob er durch sie plötzlich nicht allein die ganze Welt mit Aufruhren umkehren wollte, sondern auch durch unzählige Sekten den ganzen Christus mit der Kirche verschlingen.

12. So wütet und tobt er nicht wider anderes Leben oder Meinungen der Menschen, nämlich Ehebrecher, Diebe, Mörder, Meineidige, Gottlose, Gottesräuber, Ungläubige. Ja, diese läßt er in Frieden, schmeichelt ihnen lieblich in seinem Palast und läßt ihnen alles hingehen. Gleichwie er einst im Anfang der Kirche alle Götzendienste und Religionen der ganzen Welt unangetastet und ruhig nicht allein duldete, sondern ihrer auch aufs herrlichste pflegte, aber allein Christi Kirche und Gottesdienst auf allen Seiten plagte, hernach alle Ketzer in Frieden ließ, aber allein die rechte christliche (_catholicam_) Lehre beunruhigte: so hat er auch heutzutage mit nichts zu schaffen als mit diesem Einen, was immer sein eigentliches Geschäft ist, daß er unseren Herrn Christum verfolge (welcher unsere Gerechtigkeit ist ohne unsere Werke), wie von ihm geschrieben steht [1 Mos. 3, 15.]: „Du wirst ihn in die Ferse stechen.“

13. Aber nicht sowohl wider diese [Teufelsrotten] als um unserer [Christen] willen gehen diese unsere Gedanken über diesen Brief Sanct Pauli aus. Diese werden mir in dem Herrn entweder Dank sagen für meinen Fleiß, oder mir mein Unvermögen und meine Kühnheit zugute halten. Es sollte mir aber sehr leid sein, wenn dies den Beifall der Gottlosen hätte, sondern ich wollte nur, daß sie mit ihrem Gotte [dem Teufel] dadurch [zum Zorn] gereizt würden, da dies (mit meiner schweren Arbeit) nur denen vorgetragen worden ist, an welche Paulus selbst diese Epistel gerichtet hat, nämlich den Beunruhigten, den Betrübten, den Geplagten und den Angefochtenen im Glauben (denn allein diese verstehen es), unglücklichen Galatern. Welche aber nicht solche Leute sind, die mögen den Papisten, Mönchen, Wiedertäufern und vielen anderen Lehrern unendlicher Weisheit und eigenes Gottesdienstes Gehör geben und das Unsere getrost verachten, auch sich nicht angelegen sein lassen, es zu verstehen.

14. Denn Papisten und Wiedertäufer kommen heutzutage einträchtig wider die Kirche Gottes auf diese eine Meinung überein (wiewohl sie es mit Worten in Abrede nehmen), daß Gottes Werk von der Würdigkeit der Person abhänge. Denn so lehren die Wiedertäufer: Die Taufe ist nichts, wenn die Person nicht gläubig sein sollte. Aus dieser Grundlage (_principio_=Obersatze) (wie man es nennt) folgt mit Notwendigkeit, daß alle Werke Gottes nichts sind, wenn der Mensch nicht gut ist. Die Taufe aber ist das Werk Gottes, doch der böse Mensch macht, daß sie nicht das Werk Gottes sei. Hieraus folgt weiter: Die Ehe, die Obrigkeit, der Stand eines Dienstboten sind Werke Gottes, aber weil die Menschen böse sind, also sind sie nicht Werke Gottes; die Gottlosen haben die Sonne, den Mond, die Erbe, die Gewässer, die Luft und alles, was dem Menschen unterworfen worden ist, aber weil sie gottlos sind, nicht fromm, also ist die Sonne nicht die Sonne; der Mond, die Erde, das Wasser, die Luft sind nicht, was sie sind. Sie selbst, die Wiedertäufer, haben Leiber und Seelen vor ihrer Widertaufe gehabt, aber weil sie nicht fromm waren, haben sie nicht rechte Leiber und Seelen gehabt. Desgleichen, ihre Eltern sind nicht rechte Eheleute gewesen (wie sie bekennen), weil sie nicht wiederum getauft worden sind, also sind sie, die Wiedertäufer, alle Bastarde, und alle ihre Eltern waren Ehebrecher und Hurer. Nichtsdestoweniger erben sie doch die Güter ihrer Eltern, wiewohl sie bekennen, daß sie Bastarde und erblos seien. Wer sieht hier nun nicht an den Wiedertäufern, daß sie nicht besessene Menschen sind, sondern rechte Teufel, die von ärgeren Teufeln besessen sind.

15. Solcher Weise hören auch die Papisten bis auf den heutigen Tag nicht auf, wider die Gnade auf Werke und die Würdigkeit der Person zu dringen und ihre Brüder, die Wiedertäufer (wenigstens mit Worten), kräftig zu unterstützen. Denn diese Füchse sind mit den Schwänzen aneinander geknüpft [Richt. 15, 4], aber ihre Köpfe gehen auseinander. Denn sie [die Papisten] stellen sich äußerlich, als ob sie große Feinde jener [Wiedertäufer] seien, obgleich sie doch innerlich genau dasselbe halten, lehren und verteidigen wider den einigen Heiland Christum, welcher allein unsere Gerechtigkeit ist [Jer. 23, 6. 33, 16].

16. Darum halte fest, wer da kann, an diesem Einen Artikel. Die Anderen, welche Schiffbruch leiden, lassen wir treiben, wohin das Meer und die Winde wollen, bis daß sie zum Schiffe zurückkehren oder ans Ufer schwimmen.

17. Die Summe und das Ende des Haders ist: daß man keine Ruhe oder Ende des Haders hoffe, so lange Christus und Belial nicht eins sind. Ein Geschlecht vergeht, ein anderes kommt auf. Wenn eine Ketzerei fällt, so erhebt sich bald eine andere, weil der Teufel nicht schläft noch schlummert. Ich (wiewohl ich nichts bin), der ich nun zwanzig Jahre im Dienste Christi gewesen bin, kann mit Wahrheit bezeugen, daß ich von mehr als zwanzig Sekten angegriffen worden bin, von denen einige ganz und gar zu Grunde gegangen sind, andere aber noch etwas zucken wie [abgerissene] Glieder von Insekten.

18. Aber der Satan, dieser Gott der Rottengeister, richtet täglich neue [Sekten] an, und ganz kürzlich diese, deren ich mich am allerwenigsten versehen oder besorgt hätte, nämlich der Leute, welche lehren, daß die zehn Gebote aus der Kirche hinweggetan werden müßten,[3] daß man auch die Leute nicht schrecken solle durch das Gesetz, sondern sie freundlich ermahnen durch die Gnade Christi, damit das Wort des Propheten Micha erfüllt werde [Hos. 4, 4.]: „Doch man darf niemand strafen“; „Man soll auf uns nicht träufen“ [Mich. 2, 6.]: als ob wir nicht wüßten oder niemals gelehrt hätten, daß man die geängsteten und zerschlagenen Herzen durch Christum aufrichten solle, aber die harten Pharaonen, welchen die Gnade Gottes vergeblich gepredigt wird, durch das Gesetz schrecken, da auch sie selbst gezwungen sind, „Offenbarungen des Zorns“[4] über die Bösen und Ungläubigen zu erdichten, als ob das Gesetz etwas Anders wäre oder sein könnte als eine Offenbarung des Zorns. So groß ist die Blindheit und die Hoffahrt dieser Leute, die sich selbst verurteilt haben [Tit. 3, 11.].

19. Darum müssen die Diener des Wortes gewiß sein, wenn sie am Tage Christi treu und klug erfunden werden wollen, daß St. Pauli Wort nicht vergeblich gesprochen noch umsonst geweissagt worden ist [1 Kor. 11, 19.]: „Es müssen Rotten sein, auf das die, so rechtschaffen sind, offenbar werden.“ Es muß, sage ich, ein Diener Christi wissen, daß so lange er Christum lauter und rein lehren wird, es nicht an verkehrten Menschen fehlen wird, auch unter den Unseren, welche sich Mühe geben, die Kirche zu verwirren.

20. Doch soll er sich mit diesem Troste stärken, daß kein Friede sein kann zwischen Christo und Belial [2 Kor. 6, 15.] oder zwischen dem Samen der Schlange und dem Weibessamen, ja, er soll sich freuen, daß er Rotten und solche aufrührischen Geister erleiden muß, welche ununterbrochen aufeinanderfolgen. „Denn unser Ruhm ist der, nämlich das Zeugnis unseres Gewissens [2 Kor. 1, 12.], daß wir erfunden werden als solche, die da stehen und kämpfen auf der Seite des Weibessamens wider den Samen der Schlange. Dieser möge immerhin uns in die Ferse beißen, auch nicht aufhören zu beißen, so wollen wir dagegen auch nicht aufhören, ihm den Kopf zu zertreten durch Christum, den ersten und obersten Schlangentreter, gelobet in Ewigkeit, Amen.[5]

_ Fußnoten

[1] Diese Zeitbestimmung ergibt sich aus dem Inhalte der Vorrede. Vgl. die Anmerkung zu [Paragraph] 18.

[2] Das Folgende bis zu Ende des Absatzes hat Aurifaber aus der Übersetzung des Justus Menius entnommen und durch die Worte: „sprach D. Mart.“ als Rede Luthers bezeichnet in den Tischreden, Kap. 7, [Paragraph] 57. In unserer Ausgabe der Tischreden ist dieser Paragraph weggelassen worden.

[3] Dies bezieht sich auf die Antinomer. Diese Stelle beweist, daß diese Vorrede in das Jahre 1538 zu setzen ist. Vergleiche Kawerau, Agricola, S. 201, Anm. Man sehe auch „Luthers Schriften wider die Antinomer“, Walch, St. Louiser Ausgabe, Bd. XX, 1610 ff. und die Einleitung dazu.

[4] Vgl. Luthers Schrift „wider die Antinomer“, Walch, St. Louiser Ausgabe, Bd. XX, 1618, [Paragraph] 16.

[5] In den lateinischen Ausgaben folgen hier: „Fünfzig Rühme und Tugenden der eigenen Gerechtigkeit, gesammelt aus dem Briefe des Apostels Paulus an die Galater.“ Dagegen steht dieser Abschnitt in der deutschen Wittenberger Ausgabe zu Ende der Auslegung. Daß er ans Ende gehöret, beweist das am Schlusse stehende Wort: „_Finis_“, daher wir ihn, ebenso wie Menius und Walch, dahin setzen. Die alten Ausgaben der Tischreden bringen diesen Abschnitt in Kap. 14, [Paragraph] 48; in unserer Ausgabe der Tischreden ist er jedoch als nicht dahin gehörig (auch als Duplikat) weggelassen worden.

Anrede D. Martin Luthers an seine Zuhörer [1]

1. Wir haben uns vorgenommen, im Namen des Herrn die Epistel Pauli an die Galater aufs neue auszulegen, nicht, weil wir Neues oder Unbekanntes vortragen wollen, da durch Gottes Gnade euch jetzt der ganze Paulus wohl bekannt und ein Gemeingut geworden (_vulgatus_) ist, sondern, weil, wie ich oft erinnere, dies eine sehr große und naheliegende Gefahr ist, daß der Teufel die reine Lehre des Glaubens wegnehme und wiederum Lehren von Werken und Menschensatzungen einführe.

2. Deshalb ist es von großen Nutzen, daß diese Lehre vom Glauben unablässig öffentlich gelesen und gehöret werde. Und so gut man sie auch immer kennen und gründlich erlernen möge, so ist doch der Teufel, unser Widersacher, der immer umhergeht und sucht uns zu verschlingen, nicht tot, desgleichen lebt auch unser Fleisch noch, und endlich dringen von allen Seiten alle Anfechtungen auf uns ein und bedrängen uns. Deshalb kann diese Lehre nie genugsam gehandelt und eingeprägt werden. Wenn sie liegt und untergeht, so liegt und zergeht zugleich die ganze Erkenntnis der Wahrheit. Wenn sie aber blüht, so blüht alles Gute, die Religion, der rechte Gottesdienst, die Ehre Gottes, die gewisse Erkenntnis aller Stände und Dinge. Damit wir nun nicht ganz untätig seien, wollen mir wiederum da anfangen, wo wir aufgehört haben, nach dem Worte [Sir. 18, 6. nach der Vulg.]: „Wenn ein Mensch aufgehört hat, so sollen wieder anfangen.“

Fußnoten:

1 Diese Überschrift ist von uns gesetzt. Ohne jede Überschrift ist das zunächst Folgende in der lateinischen Wittenberger Ausgabe. In der deutschen Wittenberger und in der Erlanger Ausgabe ist darüber gesetzt: „Eine andere kurze Vorrede D. Martin Luthers.“ Der Inhalt aber beweist, daß es nicht eine Vorrede zu einer Ausgabe der Auslegung ist, sondern „Luthers Anrede an seine Zuhörer“, wie es auch die Jenaer Ausgabe bezeichnet: _Alia et brevis praefatio D. L. M. (sic), cur denuo hanc Pauli epistolam enarrandam susceperit_, eine Vorrede, im welcher er kurz den Grund angibt, weshalb er von neuem diese Epistel auslege.

Um was es sich in der Epistel St. Pauli an die Galater handelt.

1. Vor allen Dingen muß gesagt werden, um was es sich handelt, daß heißt, womit Paulus in dieser Epistel zu schaffen habe. Es handelt sich aber darum: Paulus will die Lehre vom Glauben, von der Gnade, von der Vergebung der Sünden oder der christlichen Gerechtigkeit so befestigen, daß wir die völlige Erkenntnis und den gewissen Unterschied zwischen der christlichen Gerechtigkeit und allen anderen Gerechtigkeiten haben. Denn es gibt vielerlei Gerechtigkeit: eine ist die weltliche, mit welcher der Kaiser, die Fürsten der Welt, Philosophen und Juristen zu tun haben. Eine andere ist die ceremoniale, die durch menschliche Satzungen gelehrt wird, wie die Satzungen des Papstes und ähnliche sind. Hausväter und Schulmeister lehren dieselbe ohne Gefahr, weil sie ihr nicht die Kraft beilegen, als könne man dadurch für die Sünde genugtun, Gott versöhnen und Gnade verdienen, sondern sie lehren die Zeremonien nur als notwendig zur äußerlichen Zucht und zu einer gewissen Ordnung. Außerdem gibt es noch eine andere, nämlich die Gerechtigkeit des Gesetzes oder der zehn Gebote, welches Moses lehrt. Diese lehren auch wir, nachdem wir die Lehre des Glaubens zu Grunde gelegt haben.

2. Weiter und über alle diese ist die Gerechtigkeit des Glaubens oder die christliche Gerechtigkeit, welche man aufs sorgfältigste von den zuvor genannten unterscheiden muß. Denn die zuvor genannten sind dieser ganz und gar entgegengesetzt, einesteils weil sie aus den Gesetzen der Kaiser, aus den Satzungen des Papstes und aus den Geboten Gottes herfließen, andernteils weil sie mit unseren Werken zu schaffen haben, und von uns geschehen können, sei es nun aus rein natürlichen Kräften (wie die Schultheologen [_sophistae_] davon reden), oder sei es auch aus Gottes Gabe (denn auch diese Gerechtigkeiten der Werke sind Gottes Gaben, wie andere Güter, welche wir haben).

3. Diese aber, nämlich des Glaubens Gerechtigkeit, ist die allerköstlichste, welche Gott uns um Christi willen ohne unsere Werke zurechnet, ist auch nicht eine weltliche, noch eine ceremoniale, noch eine Gerechtigkeit aus dem göttlichen Gesetze, hat auch nicht mit unseren Werken zu schaffen, sondern ist völlig verschieden, das heißt, eine nur leidende Gerechtigkeit (gleichwie jene zuvor genannten tätige Gerechtigkeiten sind). Denn dabei wirken wir nichts, haben auch nichts, das wir Gotte gäben, sondern empfangen nur, und leiden, daß ein anderer, nämlich Gott, in uns wirke. Deshalb kann man diese Gerechtigkeit des Glaubens oder die christliche Gerechtigkeit wohl eine leidende Gerechtigkeit nennen.

4. Und dies ist die Gerechtigkeit, die im Geheimnis verborgen ist [Kol. 1, 26], welche die Welt nicht versteht, ja, die Christen fassen sie nicht genugsam, und es hält schwer, daß sie dieselbe in Anfechtungen ergreifen. Darum muß sie immer eingeschärft und ohne Unterlaß getrieben werden. Und wer sie in Trübsalen und Schrecken des Gewissens nicht festhält oder ergreift, der kann nicht bestehen. Denn es gibt keinen anderen so festen und gewissen Trost der Gewissen als diese leidende Gerechtigkeit.

5. Aber das Unvermögen und das Elend des Menschen ist derartig, daß wir in Gewissensnöten und in Todesgefahr auf nichts Anderes sehen als auf unsere Werke, unsere Würdigkeit und das Gesetz. Wenn dies uns unsere Sünde zeigt, so kommt uns sofort in den Sinn, wie übel wir unser Leben zugebracht haben. Da seufzt dann der Sünder in großem Herzeleid und denkt bei sich selbst: Ach, wie gottlos habe ich gelebt! Wollte Gott, daß ich noch länger zu leben hätte, dann wollte ich mein Leben bessern [usw]. Und es kann sich die menschliche Vernunft (so sehr ist dieses Übel bei uns eingewurzelt, und so sehr haben wir diese unglückliche Beschaffenheit [_exin_] gewonnen) aus diesem Trugbilde der tätigen oder eigenen Gerechtigkeit nicht herauswinden und sich nicht dazu erheben, daß sie die leidende oder christliche Gerechtigkeit ansehe, sondern bleibt einfach an der tätigen hängen.

6. Jedem nun der Satan die Schwachheit der Natur mißbraucht, vermehrt und schärft er diese Gedanken. Daher kann es nicht anders kommen, als daß das Gewissen nur um so mehr erzittere, bestürzt und erschrocken werde. Denn es ist unmöglich, daß das menschliche Herz aus sich selbst Trost schöpfe und allein die Gnade im Auge habe, wenn es die Sünde fühlt und davor erschrickt, oder daß es die Disputation über die Werke [usw.] standhaft von sich werfe. Denn dies liegt außerhalb der Kräfte, Gedanken und des Fassungsvermögens der Menschen und sogar außerhalb des Gesetzes Gottes. Das Gesetz Gottes ist zwar das Höchste von allem, was in der Welt ist, aber soviel fehlt daran, daß es ein erschrockenes Gewissen getrost machen könnte, das es dasselbe sogar noch mehr in Betrübnis versenkt und zur Verzweiflung bringt. Denn „durch das Gesetz wird die Sünde überaus sündig“. Röm. 7, 13.

7. Deshalb hat ein betrübtes Gewissen keine Hülfe wider die Verzweiflung und den ewigen Tod, wenn es nicht die Verheißung der in Christo dargebotenen Gnade ergreift, das heißt, diese leidende oder christliche Gerechtigkeit des Glaubens; wenn es diese ergriffen hat, so kann es sich zufrieden geben und zuversichtlich sprechen: Ich suche nicht die tätige Gerechtigkeit, die ich zwar haben und tun sollte; aber wenn ich sie gleich hätte und täte, so kann ich doch darauf nicht mein Vertrauen setzen, sie auch dem Gerichte Gottes nicht entgegenstellen. Deshalb entschlage ich mich aller tätigen und eigenen Gerechtigkeit und der Gerechtigkeit des göttlichen Gesetzes, und ergreife allein die leidende Gerechtigkeit, die da ist die Gerechtigkeit der Gnade, der Barmherzigkeit, der Vergebung der Sünden, kurz, Christi und des Heiligen Geistes, welche wir nicht tun, sondern leiden, nicht haben, sondern empfangen, indem Gott der Vater sie uns gibt durch Jesum Christum.

8. Gleichwie die Erde selbst den Regen nicht hervorbringt, ihn auch nicht durch irgend ein eigenes Werk, Arbeit oder Kräfte erlangen kann, sondern ihn nur durch eine himmlische Gabe von oben herab empfängt [Hebr. 6, 7.], so wird uns, ohne unser Werk und Verdienst, von Gott diese himmlische Gerechtigkeit geschenkt. So viel daher die dürre Erde von sich selbst etwas dazu wirken kann, daß ihr ein reichlicher und recht erwünschter Regen zuteil werde, so viel können auch wir Menschen aus unseren Kräften und Werken zuwege bringen, daß uns jene göttliche himmlische und ewige Gerechtigkeit zuteil werde, es sei denn, daß wir sie umsonst durch Zurechnung und durch die unaussprechliche Gabe Gottes erlangen. Darum ist die höchste Kunst und Weisheit der Christen, daß sie das Gesetz nicht wissen, die Werke und die ganze tätige Gerechtigkeit nicht kennen, besonders wenn das Gewissen mit dem Gerichte Gottes ringt, gleichwie es außerhalb des Volkes Gottes die höchste Weisheit ist, daß man das Gesetz, Werke und tätige Gerechtigkeit kenne, vor Augen habe und darauf dringe.

9. Es ist aber eine wunderliche und vor der Welt unerhörte Sache, daß man die Christen lehre, daß sie lernen sollen, das Gesetz nicht zu kennen, und daß sie so vor Gott leben sollen, als ob ganz und gar kein Gesetz wäre. Denn wenn du das Gesetz nicht unbeachtet läßt, und in deinem Herzen fest darauf bestehst, daß kein Gesetz und kein Zorn Gottes da sei, sondern lauter Gnade und Barmherzigkeit um Christi willen, so kannst du nicht selig werden. „Denn durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde“ [usw.] [Röm. 3, 20.]

10. Wiederum muß in der Welt so auf das Gesetz und die Werke gedrungen werden, als ob durchaus keine Verheißung oder Gnade da wäre, und zwar um der halsstarrigen, stolzen und verhärteten Leute willen, denen man nichts Anderes vor Augen stellen muß als das Gesetz, damit sie erschreckt und gedemütigt werden. Denn dazu ist das Gesetz gegeben, daß es solche Leute gewaltig schrecke und töte und den alten Menschen wohl plage. Beides, das Wort der Gnade und des Zorns, muß recht geteilt werden, wie der Apostel lehrt 2 Tim. 2, 15.

11. Hier ist nun ein kluger und treuer Haushalter Gottes vonnöten, der das Gesetz so mäßige, daß es in seinen Schranken bleibe. Wer da lehrt, daß es in seinen Schranken bleibe. Wer da lehrt, daß die Menschen durch das Gesetz vor Gott gerechtfertigt werden, der überschreitet die Grenzen des Gesetzes und vermengt diese beiden Gerechtigkeiten, die tätige und die leidende, und ist ein schlechter Dialecticus, weil er nicht recht teilt.

12. Wiederum, wer das Gesetz und die Werke dem alten Menschen, die Verheißung, aber und die Gnade dem neuen Menschen vorlegt, der teilt recht. Denn das Fleisch oder der alte Mensch, Gesetz und Werke müssen mit einander verbunden werden, so auch der Geist oder der neue Mensch mit der Verheißung und Gnade. Deshalb, wenn ich sehe, daß ein hinlänglich Zerschlagener Mensch durch das Gesetz bedrängt wird, durch die Sünde erschreckt ist und nach Trost dürstet, dann ist es Zeit, daß ich ihm das Gesetz und die tätige Gerechtigkeit aus den Augen rücke und ihm durch das Evangelium die leidende Gerechtigkeit vorlege, welche Moses mit seinem Gesetz ausschließt und die Verheißung von Christo anbietet, welcher um der Betrübten und um der Sünder willen gekommen ist. Da wird denn der Mensch ausgerichtet und empfängt Hoffnung, und ist nicht mehr unter dem Gesetze, sondern unter der Gnade, wie der Apostel sagt [Röm. 6, 14.]: „Ihr seid nun nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade.“ Wie ist er nicht unter dem Gesetze? Nach dem neuen Menschen, den das Gesetz nichts angeht. Denn es hat seine Grenzen bis auf Christum, wie Paulus weiter unten sagt [Röm. 10, 4. Gal. 3, 17.19.24.]: „Das Gesetz währet bis auf Christum.“ Da er kommt, hört Moses auf mit dem Gesetz, der Beschneidung, den Opfern, dem Sabbat, es hören auch alle Propheten auf.

13. Dies ist unsere Theologie, nach welcher wir lehren, diese beiden Gerechtigkeiten, die tätige und die leidende, deutlich zu unterscheiden, damit nicht Leben und Glaube, Werke und Gnade, Weltregiment und Gottesdienst mit einander vermengt werden. Es ist aber beiderlei Gerechtigkeit notwendig, doch muß man eine jegliche in ihren Schranken lassen. Die christliche Gerechtigkeit gehöret für den neuen Menschen, aber die Gerechtigkeit des Gesetzes für den alten Menschen, der aus Fleisch und Blut geboren ist. Diesem muß gleichwie einem Esel eine Last aufgelegt werden, die ihn drücke, und er soll der Freiheit des Geistes oder der Gnade nicht genießen, es sei denn, er habe zuvor den neuen Menschen angezogen durch den Glauben an Christum (was aber in diesem Leben nicht vollkömmlich geschieht): dann mag er des Reiches und der Gabe der unaussprechlichen Gnade genießen.

14. Dies sage ich darum, damit nicht jemand meine, als ob wir gute Werke verwerfen oder verhindern, wie die Papisten uns fälschlich anklagen, indem sie nicht verstehen, weder was sie selbst reden, noch auch was wir lehren. Sie kennen nichts, als allein die Gerechtigkeit des Gesetzes, und doch wollen sie Richter sein über die Lehre, welche weit über dem Gesetz erhaben ist und über dasselbe hinausgeht, über welche ein fleischlicher Mensch unmöglich richten kann. Deshalb müssen sie sich notwendigerweise ärgern, weil sie nicht höher hinauf sehen können als auf das Gesetz. Darum gereicht ihnen alles, was höher ist als das Gesetz, zum größten Ärgernis.

15. Wir aber setzen gleichsam zwei Welten, eine himmlische und eine irdische. In diesen weisen wir diesen beiden gesonderten und von einander weit getrennten Gerechtigkeiten ihren Platz an. Die Gerechtigkeit des Gesetzes ist irdisch, hat mit irdischen Dingen zu schaffen, durch diese tun wir gute Werke. Aber gleichwie die Erde keine Früchte hervorbringt, wenn sie nicht zuvor vom Himmel herab befeuchtet und fruchtbar gemacht worden ist (denn die Erde kann den Himmel nicht meistern, erneuern und regieren, sondern umgekehrt, der Himmel meistert, erneuert, regiert und befruchtet die Erde, damit sie tue, was der Herr befohlen hat): so tun auch wir nichts, wenn wir durch die Gerechtigkeit des Gesetzes vieles tun, und erfüllen das Gesetz nicht, wenn wir das Gesetz erfüllen, es sei denn, daß wir zuvor ohne unser Werk und Verdienst gerechtfertigt seien durch die christliche Gerechtigkeit, welche gar nichts zu tun hat mit der Gerechtigkeit des Gesetzes oder der irdischen und tätigen Gerechtigkeit. Diese aber ist die himmlische und leidende Gerechtigkeit, welche wir nicht haben, sondern vom Himmel empfangen, nicht tun, sondern durch den Glauben ergreifen, durch welchen wir über alle Gesetze und Werke emporsteigen. „Wie wir das Bild des irdischen Adam getragen haben“, sagt Paulus [1 Kor. 15, 49.], „also werden wir auch tragen das Bild des himmlischen“, welcher ein neuer Mensch in einer neuen Welt ist, wo kein Gesetz ist, keine Sünde, kein Gewissen, kein Tod, sondern ganz ungestörte Freude, Gerechtigkeit, Gnade, Friede, Leben, Seligkeit und Herrlichkeit.

16. Thun wir also nichts, wirken wir nichts, diese Gerechtigkeit zu erlangen? Ich antworte: Nichts; denn diese Gerechtigkeit ist, daß man ganz und gar nichts tue, nichts höre, nichts wisse vom Gesetz oder von Werken, sondern allein dies wisse und glaube, daß Christus zum Vater gegangen sei und hinfort nicht mehr gesehen wird; daß er sitze im Himmel zur Rechten des Vaters, nicht als ein Richter, sondern „uns gemacht von Gott zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung“ [1 Kor. 1, 30.], kurz, daß er unser Hoherpriester sei, der uns vertritt und über uns und in uns regiert durch die Gnade. Da sieht man keine Sünde, empfindet keinen Schrecken, kein Beißen des Gewissens. In diese himmlische Gerechtigkeit kann keine Sünde hineinkommen, denn da ist kein Gesetz. „Wo aber das Gesetz nicht ist,[1] das ist auch keine Übertretung“ [Röm. 4, 15.]. Da also hier die Sünde keine Statt findet, so ist auch sicherlich keine Gewissensangst da, kein Schrecken, keine Traurigkeit. Deshalb sagt Johannes [1 Ep. 3, 9.]: „Wer aus Gott geboren ist, der kann nicht sündigen.“

17. Wenn aber Schrecken des Gewissens da ist, so ist das ein Zeichen, daß diese Gerechtigkeit hinweg ist, daß die Gnade aus den Augen gelassen und verloren ist, und Christus, im Finstern verborgen, nicht gesehen wird. Aber wo Christus in Wahrheit gesehen wird, da muß notwendigerweise völlige und vollkommene Freude in dem Herrn sein und Friede des Gewissens, der festiglich darauf besteht: Wiewohl ich ein Sünder am Gesetz bin und es mir mangelt an der Gerechtigkeit des Gesetzes, so verzweifle ich darum doch nicht, darum muß ich nicht sterben, denn Christus lebt, welcher meine Gerechtigkeit und mein ewiges und himmlisches Leben ist. In dieser Gerechtigkeit und in diesem Leben habe ich keine Sünde, kein [böses] Gewissens, keinen Tod. Ich bin zwar ein Sünder, was das gegenwärtige Leben und keine Gerechtigkeit anbetrifft, als ein Kind Adams, wo mich das Gesetz anklagt, der Tod herrscht und mich endlich verschlingen wird; aber über dieses Leben habe ich eine andere Gerechtigkeit, ein anderes Leben, welches ist Christus, der Sohn Gottes, der von Sünde und Tod nichts weiß, sondern die Gerechtigkeit und das ewige Leben ist, um dessentwillen auch dieser mein Leib, nachdem er gestorben und zu Asche geworden ist, wieder auferweckt und von der Knechtschaft des Gesetzes und der Sünde befreit und zugleich mit dem Geiste geheiligt werden wird.

18. So bleibt beides, so lange als wir hier leben. Das Fleisch wird angeklagt, es wird geplagt mit Anfechtungen, es wird betrübt und zunichte gemacht durch die tätige Gerechtigkeit des Gesetzes. Der Geist aber regiert, ist fröhlich und wird selig durch die leidende Gerechtigkeit, weil er weiß, daß er einen Herrn hat, der da im Himmel sitzt zur Rechten des Vaters, der das Gesetz abgetan hat, die Sünde, den Tod und alles Übel unter seine Füße getreten, sie gefangen geführt und „einen Triumph aus ihnen gemacht durch sich selbst“ [Kol. 2, 15.].

19. Damit geht also Paulus in dieser Epistel um, daß er uns fleißig unterrichte, stärke und erhalte in der vollkommenen Erkenntnis dieser allervortrefflichsten und christlichen Gerechtigkeit. Denn wenn dieser Artikel von der Rechtfertigung verloren ist, dann ist auch zugleich die ganze christliche Lehre verloren. Und alle Leute in der Welt, welche sie [die Rechtfertigung] nicht festhalten, sind entweder Juden, oder Türken, oder Papisten, oder Ketzer, weil zwischen diesen beiden Gerechtigkeiten, der tätigen des Gesetzes und der leidenden Christi, kein Mittel ist. Wer also von der christlichen Gerechtigkeit abirrt, der muß in die tätige Gerechtigkeit zurückfallen, das heißt, er muß, weil er Christum verloren hat, dahin fallen, daß er sein Vertrauen auf seine eigenen Werke setze. 20. Das sehen wir heutzutage an den Schwarmgeistern, welche Sekten anrichten, nichts lehren, auch von dieser Gerechtigkeit der Gnade nicht recht lehren können (die Worte haben sie freilich aus unserem Munde und unseren Schriften geschöpft),[2] darum reden und schreiben sie nur Worte. Die Sache selbst aber können sie nicht vortragen, nicht darauf dringen noch sie einschärfen, weil sie dieselbe nicht verstehen auch nicht verstehen können, da sie nur an der Gerechtigkeit des Gesetzes hangen. Darum sind und bleiben sie Werktreiber, die sich nicht erheben können über die tätige Gerechtigkeit.

21. Deshalb bleiben sie dieselben Leute, die sie unter dem Pabste gewesen sind, nur daß sie neue Namen und neue Werke aufbringen, doch die Sache bleibt dieselbe; wie die Türken andere Werke tun als die Papisten, die Papisten andere Werke tun als die Juden [usw.] Aber mögen die einen auch noch so viel scheinbarere, größere, schwierigere Werke tun als die anderen, so bleibt doch dasselbe Wesen; nur die Beschaffenheit ist eine andere, das heißt, die Werke sind nur nach dem äußerlichen Ansehen verschieden, in der Tat und Wahrheit aber sind es Werke, und diejenigen, welche sie tun, sind nicht Christen, sondern sind und bleiben Werkheilige, mögen sie nun Juden, Mahometisten, Papisten oder Wiedertäufer [usw.] heißen.

22. Darum wiederholen wir unablässig dieses Lehrstück vom Glauben oder der christlichen Gerechtigkeit, dringen so sehr darauf und treiben es so ernstlich, damit es in stetem Brauche bleibe und deutlich von der tätigen Gerechtigkeit des Gesetzes unterschieden werde. Auf andere Weise werden wir die wahre Theologie nicht erhalten können (denn allein aus dieser und in dieser Lehre entsteht und besteht die Kirche), sondern wir werden sofort Juristen, Ceremonientreiber Gesetzeslehrer, Papisten: Christus wird verdunkelt, und niemand kann in der Kirche recht belehrt und aufgerichtet werden. Wenn wir daher Prediger und Lehrer anderer sein wollen, so müssen wir auf diese Dinge mit der allergrößten Sorgfalt Acht haben und diesen Unterschied der Gerechtigkeit des Gesetzes und der Gerechtigkeit Christi wohl festhalten. Es ist dies zwar leicht zu sagen, aber in der Erfahrung und in der Anwendung ist es das Allerschwerste, wenn man es auch aufs sorgfältigste schärft und übt, weil in der Stunde des Todes oder in anderen Kämpfen des Gewissens diese beiden Gerechtigkeiten näher zusammenrücken, als man wünschen oder wollen mag.

23. Deshalb ermahne ich euch, besonders die ihr Lehrer der Gewissen sein werdet, und einen jeglichen insonderheit, daß ihr euch üben möget mit Studieren, Lesen, Nachdenken (_meditando_) und Beten, damit ihr in der Anfechtung sowohl euer eigenes Gewissen als auch die Gewissen anderer unterrichten und trösten könnet und sie vom Gesetze zu der Gnade führen, von der tätigen Gerechtigkeit zu der leidenden, kurz, von Mose zu Christo. Denn der Teufel pflegt uns in der Trübsal und im Kampfe des Gewissens durch das Gesetz zu schrecken, und uns unser böses Gewissen über die Sünde vorzuhalten, unseren äußerst schändlichen Lebenswandel, den Zorn und das Gericht Gottes, die Hölle und den ewigen Tod, damit er uns so in Verzweiflung stürze, uns sich untertänig mache und von Christo abziehe. Er pflegt uns auch sogar Stellen aus dem Evangelio vorzuhalten, in welchen Christus selbst Werke von uns verlangt, und denen, die sie nicht getan haben, mit klaren Worten die Verdammnis droht. Wenn wir hier nicht zwischen diesen beiden Gerechtigkeiten zu unterscheiden wissen, wenn wir hier nicht im Glauben Christum ergreifen, der da sitzt zur Rechten Gottes, der unser Leben und unsere Gerechtigkeit ist, der auch uns arme Sünder bei dem Vater vertritt, dann sind wir unter dem Gesetz, nicht unter der Gnade, und Christus ist uns nicht mehr ein Heiland, sondern ein Gesetzgeber. Da kann keine Seligkeit mehr übrig sein, sondern gewisse Verzweiflung und ewiger Tod wird folgen. Darum müssen wir aufs fleißigste diese Kunst lernen, zwischen diesen beiden Gerechtigkeiten zu unterscheiden, auf daß wir wissen, wie weit wir dem Gesetze gehorchen müssen.

24. Wir haben aber oben [Paragraphen 11. 12] gesagt, daß das Gesetz in einem Christen seine Schranken nicht überschreiten, sondern seine Herrschaft nur über das Fleisch haben müsse, welches ihm unterworfen sein und unter ihm bleiben soll. Wo dies geschieht, da bleibt das Gesetz in seinen Grenzen. Wenn es aber das Gewissen einnehmen und hier herrschen will, so siehe zu, daß du dann ein guter Dialecticus seiest, recht teilest, und dem Gesetze nicht mehr einräumest, als ihm zugestanden werden muß, sondern sprechest: Gesetz, du willst in das Reich des Gewissens dich versteigen und dort herrschen, und es der Sünde beschuldigen, und die Freude des Herzens aufheben, welche ich aus dem Glauben an Christum habe, und mich in Verzweiflung bringen, daß ich verzweifeln und umkommen soll. Dies tust du, und es ist doch deines Amtes. Bleibe in deinen Schranken und übe die Herrschaft über das Fleisch aus, aber mein Gewissen rühre mir nicht an. Denn ich bin getauft und durch das Evangelium berufen zur Gemeinschaft der Gerechtigkeit und des ewigen Lebens, zum Reiche Christi, in welchem mein Gewissen Ruhe gefunden hat, wo kein Gesetz ist, sondern lauter Vergebung der Sünden, Friede, Ruhe, Freude, Seligkeit und ewiges Leben. Diese Dinge trübe du mir nicht, denn ich werde es nicht dulden, daß du als ein harter Tyrann und als ein grausamer Treiber in meinem Gewissen regierest. Denn es ist ja der Sitz und der Tempel Christi, des Sohnes Gottes, welcher der Koenig der Gerechtigkeit und des Friedens ist und ein überaus liebreicher Heiland und mein Mittler. Der wird mein Gewissen fröhlich und befriedet erhalten in der gesunden und reinen Lehre des Evangelii und in der Erkenntnis dieser leidenden Gerechtigkeit.

25. Wenn ich diese Gerechtigkeit im Herzen habe, so steige ich vom Himmel hernieder gleichsam als ein Regen, der die Erde befruchtet, das heißt, ich trete hinaus in ein anderes Reich und tue gute Werke, so viel mir nur vorkommen. Wenn ich ein Diener des Wortes bin, so predige ich, tröste die Kleinmütigen, verwalte die Sacramente; bin ich ein Hausvater, so regiere ich mein Haus, mein Gesinde, erziehe meine Kinder zur Gottseligkeit und Ehrbarkeit; bin ich eine obrigkeitliche Person, so richte ich mein Amt aus, welches Gott mir befohlen hat; bin ich ein Knecht, so lasse ich mir die Angelegenheiten meines Herrn treulich befohlen sein. Kurz, ein jeglicher, der da gewiß weiß, daß Christus seine Gerechtigkeit ist, der richtet nicht allein von Herzen und mit Freuden alles wohl aus in seinem Berufe, sondern unterwirft sich auch aus Liebe der Obrigkeit, auch ihren gottlosen Gesetzen, auch allen Lasten und Gefahren dieses Lebens, wenn es die Umstände erfordern, weil er weiß, daß dies Gottes Wille ist und ihm solcher Gehorsam gefällt.

26. Das sei genug davon, um was es sich in dieser Epistel handelt. Paulus nimmt dies vor sich und legt es dar, veranlaßt durch falsche Lehrer, welche den Galatern diese Gerechtigkeit des Glaubens verdunkelt hatten. Gegen diese rühmt er sein [apostolisches] Ansehen und Amt.

Fußnoten

[1] ubi autem nulla est lex fehlt in der Erlanger.

[2] Diese Klammern sind von uns gesetzt.

Das erste Capitel.

V. 1. 2. Paulus, ein Apostel (nicht von Menschen, auch nicht durch Menschen, sondern durch Jesum Christum und Gott den Vater, der ihn auferwecket hat von den Toten), und alle Brüder, die bei mir sind: den Gemeinden in Galatien.

1. Nachdem nun angegeben worden ist, um was es sich in der Epistel an die Galater handelt, und der kurze Inbegriff derselben angezeigt, wollen wir jetzt, ehe wir zur Sache selbst kommen, voraus- schicken, was den Paulus veranlaßt hat, diese Epistel zu schreiben. Er hatte die reine Lehre des Evangeliums und die Gerechtigkeit des Glaubens bei den Galatern gepflanzt, aber sofort nach seinem Weggange schlichen sich falsche Lehrer ein, welche alles, was er gepflanzt und wohl gelehrt hatte, wieder umstießen.

2. Denn der Teufel kann nicht anders, er muß diese Lehre heftig anfechten mit Gewalt und List, und er ruht nicht, bis er sie unterdrücke, oder durch Tyrannen oder wenigstens durch Schwarmgeister verderbe und endlich für dieselbe, doch unter dem Schein der Gottseligkeit, den sicheren und schnarchenden Leuten eine gottlose Lehre aufdringe. Und um dieser einigen Ursache willen, daß wir die Lehre des Evangeliums rein vortragen, haben wir heutzutage den Teufel zum Feinde, der wider uns das Toben der Welt und den bittersten Haß der Ketzer erregt.

3. Es ist aber das Evangelium eine solche Lehre, welche etwas weit Erhabneres lehrt, als der Welt Weisheit, Gerechtigkeit, Gottesdienst [usw.] ist, nämlich die Vergebung der Sünden, umsonst, durch Christum [usw.]. Es läßt zwar das Evangelium jene Dinge in ihrer Stellung das sein, was sie sind, und lobt sie als gute Kreaturen Gottes, aber die Welt zieht diese Kreaturen dem Schöpfer vor und will durch sie sogar Sünden tilgen, vom Tode befreit werden und das ewige Leben verdienen. Das wird verdammt durch das Evangelium.

4. Dagegen kann die Welt nicht leiden, daß das Beste, was sie hat, verdammt werde. Deshalb heftet sie dem Evangelio diesen Makel an, als ob es eine aufrührische und irrige Lehre sei, welche Staaten, Länder, Fürstentümer, Königreiche und Kaisertum umstoße und deshalb wider Gott und wider den Kaiser sündige, die Gesetze abtue, gute Sitten verderbe, und einem jeglichen die Freiheit zugestehe, ungestraft zu tun, was er wolle. Deshalb verfolgt die Welt diese Lehre mit ganz gerechtem Eifer, und wie es sich ansehen läßt, mit dem höchsten Begehren Gott einen Dienst zu leisten, und verabscheut die Lehre und Anhänger derselben als die allerschädlichste Pest, die es nur auf Erden geben könnte.

5. Sodann wird durch die Lehre des Evangeliums auch der Teufel zertreten, sein Reich zerstört, das Gesetz, die Sünde und der Tod (durch welche er, als durch die mächtigsten und unüberwindlichsten Tyrannen, das ganze menschliche Geschlecht seiner Herrschaft unterworfen hat) ihm entrissen. Endlich werden seine Gefangenen aus dem Reiche der Finsternis und der Knechtschaft in das Reich des Lichtes und der Freiheit versetzt. Sollte dies der Teufel leiden? Sollte hier der Vater der Lüge nicht alle seine Kräfte und Kunstgriffe gebrauchen, um diese Lehre zur Seligkeit und zum ewigen Leben zu verdunkeln, zu verderben und gänzlich auszurotten? Wenigstens Paulus beklagt sich in diesem Briefe und in allen seinen anderen Episteln, daß der Satan dies in einer ganz besonderen Weise getan habe durch seine Apostel, da Paulus noch lebte.

6. Eben dasselbe beklagen und beweinen auch wir heutzutage, daß der Satan unserem Evangelio durch seine Diener, die Schwarmgeister, mehr geschadet hat, als durch alle Könige, Fürsten und Bischöfe, welche es mit Gewalt verfolgt haben und noch verfolgen. Und hätten wir hier in Wittenberg nicht so fleißig und sorgfältig gewacht und gearbeitet im Pflanzen und Lehren dieser Lehre des Glaubens, so wären wir nicht so lange einträchtig geblieben, sondern es wären bereits auch unter uns selbst Sekten entstanden. Weil wir aber standhaft bei dieser Lehre bleiben und sie beständig fleißig treiben, so erhält sie uns in der größten Einigkeit und Frieden. Andere,welche sie entweder vernachlässigen, oder, wie sie sich dünken lassen, etwas Höheres lehren wollen, geraten in verschiedene und verderbliche Irrtümer und Sekten, deren kein Ende ist, und gehen verloren. Hier haben wir nur beiläufig anzeigen wollen, daß das Evangelium eine solche Lehre ist, welche alle Gerechtigkeit verdammt und nur die Gerechtigkeit Christi predigt, und denen, welche sie ergreifen, Frieden des Gewissens und alle Güter bringt, und daß dennoch die Welt sie aufs bitterste hasse und verfolge [usw.]

7. Ich habe gesagt, Paulus habe diese Veranlassung gehabt, diese Epistel zu schreiben, daß falsche Lehrer bald nach seinen Weggange bei den Galatern das nieder- gerissen haben, was er mit großer Arbeit und in langer Zeit aufgebaut hatte. Es waren aber die falschen Lehrer oder falschen Apostel Leute, welche in großem Ansehen standen, die aus der Beschneidung und den Pharisäern herkamen und sich bei dem Volke rühmten, daß sie aus dem heiligen und auserwählten Volke der Juden wären: sie seien Israeliten aus dem Samen Abrahams, sie hätten die Verheißungen, die Väter [usw.]; endlich, sie seien Diener Christi und Schüler der Apostel, mit denen sie Umgang gehabt hätten, und hätten ihre Wunder gesehen. Vielleicht haben sie selbst auch Zeichen getan, denn Christus bezeugt Mat. 7, 22., daß auch die Gottlosen Zeichen tun.

8. Sodann verkleinerten sie auch mit allen Kunstgriffen, die ihnen zu Gebote standen, das Ansehen des Paulus, indem sie sagten: Warum hebt ihr den Paulus so hoch und ehrt ihn so sehr? Er ist doch gewiß zuletzt von allen zu Christo bekehrt worden. Wir sind Jünger und vertraute Freunde der Apostel; wir haben gesehen, wie Christus Wunder verrichtete, und haben ihn predigen hören. Paulus ist später und geringer als wir, und es ist auch nicht möglich, daß Gott uns irren ließe, die wir von dem heiligen Volke, und Diener Christi sind, und den Heiligen Geist empfangen haben. Ferner sind wir eine ganze Anzahl, Paulus aber ist allein, welcher weder mit den Aposteln verkehrt hat, noch auch Christum gesehen; ja, er die Kirche Christi lange Zeit verfolgt. Sollte Gott um des Einen Paulus willen so viele Gemeinden irren lassen?

9. Wo nun Leute, die in so großem Ansehen stehen, in eine Stadt oder ein Land kommen, sieht man sofort mit Bewunderung zu ihnen auf, und mit diesem Schein der Gottseligkeit betrügen sie nicht allein die Einfältigen, sondern auch Gelehrte und Leute, die im Glauben wohl befestigt sind, zumal wenn sie, wie jene taten, ihre Abstammung von den Patriarchen rühmen, desgleichen, daß sie Diener Christi und Jünger der Apostel seien [usw.] In solcher Weise gebraucht heutzutage der Papst, weil er keine Schrift hat, mit der er sich verteidigen könnte, für und für diesen einigen Grund wider uns: Kirche, Kirche! Meinst du, daß Gott so zornig sei, daß er um weniger ketzerischer Lutheraner willen seine ganze Kirche verwerfen sollte? meinst du, daß er seine Kirche so viele Jahrhunderte lang habe irren lassen? Darauf dringt er am meisten, daß die Kirche nicht umgestürzt werden könne. Wie aber heutzutage viele Leute durch diesen Grund bewegt werden, so nahmen die falschen Apostel zu der Zeit des Paulus durch die verwundernswerte Predigt ihres eigenen Lobes die Gemüter der Galater ein, so daß Paulus bei ihnen sein Ansehen verlor, und seine Lehre verdächtig gemacht wurde.

10. Wider diese leere Prahlerei und Rühmen der falschen Apostel erhebt nun Paulus mit großer Festigkeit und unerschütterlicher Zuversicht sein apostolisches Ansehen und preist gar herrlich seinen Beruf und verteidigt sein Apostelamt ( ministerium ), und, was er sonst nirgends tut, will niemandem weichen, nicht einmal den Aposteln, viel weniger ihren Jüngern. Und um ihren pharisäischen Hochmut und ihre harte Stirn zu brechen, erzählt er die Begebenheit, welche sich in Antiochien zugetragen hat, wo er dem Petrus selbst widerstanden hatte. Außerdem scheut er sich nicht vor dem großen Ärgernisse, und sagt im Texte klar heraus, daß er sich unterstanden habe, selbst den Petrus, den obersten der Apostel, welcher Christum gesehen und mit ihm aufs vertraulichste verkehrt hatte, anzuklagen und zu strafen. Ich bin ein Apostel, sagt er, und zwar ein solcher, dem nichts daran liegt, was andere seien, und in solcher Weise, daß ich mich auch nicht gescheut habe, selbst die Säule der anderen Apostel zu strafen.

11. Und kurz, in den beiden ersten Kapiteln nimmt er fast nichts Anderes vor, als daß er seinen Beruf, sein Apostelamt und sein Evangelium preist, welches nicht menschlich sei, das er auch von keinem Menschen empfangen habe, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi; desgleichen, wenn er selbst oder auch ein Engel vom Himmel ein anderes Evangelium predigen würde als das, welches er gepredigt habe, der solle verflucht sein. Die Gewißheit des Berufs.

12. Aber was richtet Paulus mit diesem seinem Rühmen aus? Ich antworte: Dieses Hauptstück christlicher Lehre ( locus communis ) dient dazu, daß ein jeglicher Diener des göttlichen Wortes seines Berufes gewiß sei, damit er vor Gott und Menschen zuversichtlich rühmen könne, er predige das Evangelium als ein solcher, der berufen und gesandt sei, gleichwie der Gesandte eines Koenigs sich dessen rühmt und damit prangt, daß er nicht als eine Privatperson kommt, sondern als der Gesandte des Koenigs. Und um dieser Würde willen, daß er der Gesandte des Koenigs ist, wird ihm Ehre erwiesen, daß er den Vortritt hat und obenan sitzt, was ihm nicht widerfahren würde, wenn er als Privatperson da wäre.

13. Darum soll ein Prediger des Evangelii gewiß sein, daß er einen göttlichen Beruf habe, und es ist von großem Nutzen, daß er nach dem Exempel Pauli diesen seinen Beruf groß mache und rühme vor dem Volke, damit er sich bei den Zuhörern Ansehen verschaffe, gleichwie sich ein königlicher Gesandter seiner Gesandtschaft rühmt. Das ist nicht ein eitles Rühmen, sondern ein notwendiger Ruhm, weil er sich nicht wegen seiner eigenen Person,sondern um des Koenigs willen rühmt, der ihn gesandt hat. Er begehrt, daß dessen Ansehen in Ehren und unverletzlich gehalten werde. Und wenn er im Namen des Koenigs den Willen ausspricht, daß etwas von den Untertanen ausgeführt werden solle, so sagt er nicht: Wir bitten, sondern: Wir befehlen, wir wollen, daß dies geschehe [usw.] Als Privatperson aber sagt er: Wir bitten [usw.].

14. So auch, da Paulus seinen Beruf herrlich erhebt, so erhebt er sich nicht in anmaßender Weise, wie viele dafürhalten, sondern er preist sein Apostelamt mit einem notwendigen und heiligen Stolze, wie er im Briefe an die Römer Kap. 11, V. 13. sagt: „So lange ich der Heiden Apostel bin, will ich mein Amt preisen“, das heißt, ich will, daß mich die Leute aufnehmen sollen, nicht als Paulus von Tarsus, sondern als Paulus, den Gesandten oder Apostel Jesu Christi. Und dies tut er notgedrungen, um sich Ansehen zu verschaffen, damit die Zuhörer, welche dies vernehmen, aufmerksam, geneigt und willig werden, sich unterrichten zu lassen. Denn sie hören nicht den Mann, der nur Paulus ist, sondern in der Person des Paulus Christum selbst, und Gott den Vater, der ihn abordnet. Wie nun die Menschen Gottes Ansehen und Majestät heilig zu verehren schuldig sind, so müssen sie auch seine Gesandten, welche sein Wort bringen, mit der höchsten Ehrerbietung aufnehmen und hören.

15. Dies ist nun eine merkwürdige Stelle, da Paulus auf seinen Beruf so stolz ist und sich dessen so rühmt, daß er alle anderen verachtet. Wenn jemand menschlicher Weise alle anderen gegen sich so verachten würde und sich alles anmaßen, so beginge er eine außerordentliche Torheit und würde sich dadurch auch schwer versündigen. Aber hier ist dieses Rühmen notwendig und es hat nicht auf die Ehre Pauli oder unsere Ehre sein Absehen, sondern auf Gottes Ehre, welchem dadurch ein Opfer des Lobes und des Dankes dargebracht wird. Denn durch dieses Rühmen wird der Name oder die Gnade und die Barmherzigkeit Gottes der Welt kund getan. Die Epistel an die Galater beginnt nun mit diesen Worten: V. 1. Paulus, ein Apostel, nicht von Menschen [usw.]

16. Gleich zu Anfang tastet er die falschen Lehrer an, welche rühmten, daß sie Jünger der Apostel und von ihnen gesandt seien. Den Paulus aber verachteten sie, weil er ja weder ein Jünger der Apostel gewesen, noch von irgend jemandem gesandt worden wäre, das Evangelium zu predigen, sondern anderswoher gekommen wäre, und sich selbst aus eigenem Vornehmen in dies Amt eingedrungen hätte. Wider diese verteidigt Paulus seinen Beruf, indem er sagt: Mein Beruf scheint euren Predigern verächtlich zu sein, aber wer sie auch immer sein mögen, die zu euch gekommen sind, so sind sie entweder von Menschen oder durch einen Menschen gesendet worden, das heißt, entweder sind sie von sich selbst ohne einen Beruf gekommen, oder berufen von anderen. Mein Beruf aber ist weder von Menschen noch durch einen Menschen, sondern er ist über allen Beruf, der nach den Aposteln geschehen konnte. Denn er ist „durch Jesum Christum und Gott den Vater“ [usw.]

17. Das Wort „von Menschen“ verstehe ich so: die sich selbst berufen und eindringen, während doch weder Gott noch Menschen sie beruft oder sendet, sondern von sich selbst laufen und reden, wie heutzutage die Schwarmgeister, welche entweder durch die Winkel schleichen und Raum suchen, wo sie ihr Gift ausgießen möchten (in die öffentlichen Kirchen kommen sie nicht), oder dahin kommen, wo das Evangelium zuvor gepflanzt ist. Das nenne ich: „von Menschen“. Aber „durch einen Menschen“, die einen göttlichen Beruf haben, aber durch einen Menschen.

18. Es ist daher ein zwiefacher göttlicher Beruf, der eine mittelbar, der andere unmittelbar. Gott beruft uns heutzutage alle zu dem Predigtamt durch den mittelbaren Beruf, das heißt, durch einen Beruf, der durch ein Mittel geschieht, das ist, durch einen Menschen. Die Apostel aber sind ohne Mittel von Christo selbst berufen worden, gleichwie die Propheten im alten Testamente von Gott selbst. Nachher beriefen die Apostel ihre Jünger, wie Paulus den Timotheus, Titus [usw.], welche darnach Bischöfe beriefen, wie Tit. 1, 5. geschrieben steht; die Bischöfe beriefen ihre Nachfolger. Dieser Beruf ist bis auf unsere Zeiten geblieben und wird bis ans Ende der Welt bleiben. Es ist ein mittelbarer Beruf, weil er durch einen Menschen geschieht, und dennoch ein göttlicher Beruf.

19. Wenn in solcher Weise der Fürst oder die Obrigkeit, oder ich jemanden berufe, so hat er einen Beruf durch einen Menschen; und dies ist nach den Aposteln in der ganzen Welt die allgemeine Art zu berufen. Und diese soll man nicht ändern, sondern hochschätzen um der Schwärmer willen,welche sie verachten und einen anderen besseren Beruf rühmen, da, wie sie sagen, der Geist sie dazu treibe, daß sie lehren. Aber die Betrüger lügen. Sie werden zwar von einen Geiste getrieben, aber nicht von einem guten, sondern von dem bösen Geiste. Mir steht es nicht zu, aus diesem meinem mir angewiesenen Platze ( sortem ) in eine andere Stadt zu gehen, wo ich nicht als ein Diener des Worts berufen bin; und dort zu predigen (nämlich sofern ich ein Prediger bin; sofern ich aber ein Doctor bin, könnte ich im ganzen Papsttum predigen, wenn sie mir's nur zuließen), selbst wenn ich hörte, daß dort falsch gelehrt würde, daß die Seelen verführt würden und der Verdammnis anheimfielen, und ich sie durch meine rechte Lehre aus dem Irrtum und der Verdammnis herausreißen könnte; sondern ich soll Gotte die Sache befehlen, der zu seiner Zeit Gelegenheit finden wird, Prediger ordentlicher Weise zu berufen, und sein Wort zu geben. Denn er ist der Herr der Ernte, der auch Arbeiter in seine Ernte senden wird; uns steht es zu zu bitten, Mat. 9, 38.

20. Darum muß man nicht in eine fremde Ernte greifen, wie der Teufel seine Diener anzustiften pflegt, daß sie ohne Beruf laufen, und diesen glühenden Eifer zum Vorwand nehmen: es tue ihnen leid, daß die Menschen so elend verführt werden; sie wollten die Wahrheit lehren, und die Verführten aus des Teufels Stricken reißen. Ja, wenn jemand auch gottseligem Eifer und in guter Meinung den Verführten durch rechte Lehre aus dem Irrtum heraushelfen wollte, so würde dadurch doch ein böses Beispiel gegeben, wodurch gottlosen Lehrern eine Gelegenheit verschafft würde, sich einzudrängen, durch welche der Satan darnach den Predigtstuhl einnehmen und großen Schaden tun würde.

21. Wenn aber der Fürst oder eine andere obrigkeitliche Person mich ruft, dann kann ich gewiß und zuversichtlich mich dessen rühmen wider den Teufel und die Feinde des Evangelii, daß ich auf Gottes Befehl durch die Stimme eines Menschen berufen bin. Denn da ist Gottes Befehl durch den Mund des Fürsten, der mich gewiß macht, daß mein Beruf ein rechter und göttlicher Beruf ist. Deshalb sind auch wir aus göttlicher Gewalt berufen, zwar nicht unmittelbar von Christo, wie die Apostel, sondern durch einen Menschen.

22. Es ist aber dieses Lehrstück von der Gewißheit des Berufs sehr noch vonnöten wider die verderblichen und teuflischen Geister, welche sich über die Massen des Geistes und der himmlischen Berufung rühmen und durch dies Vorgeben viele betrügen; und doch lügen. sie ganz unverschämt. Darum dient die Gewißheit, daß wir berufen seien, dazu, daß ein jeglicher mit Johannes dem Täufer rühmen könne [Luk. 3,2.]: „Es ist der Befehl Gottes an mich ergangen.“ Das ich nun das Wort lehre, taufe und die Sacramente verwalte, das tue ich, weil ich den Befehl habe und dazu berufen bin, denn Gottes Stimme hat zu mir geredet, nicht im Winkel, wie die Schwärmer rühmen, sondern durch den Mund eines Menschen, der in einem rechtmäßigen Amte ist.

23. Wenn mich aber ein Bürger oder zwei bitten sollten, daß ich predigen möchte, so soll ich solchem Privatberufe nicht folgen, weil dadurch den Dienern des Teufels die Tür geöffnet würde, die sich darnach auf dies Beispiel berufen und Schaden tun würden, wie wir oben gesagt haben. Wenn ich aber von denen erfordert werde, die ein öffentliches Amt inne haben, dann soll ich gehorchen.

24. Da er nun sagt: „Paulus, ein Apostel nicht von Menschen, auch nicht durch Menschen“, so trifft und überwindet ( reprimit ) er mit diesen Worten die falschen Apostel, als ob er sagen wollte: So hoch sie sich auch rühmen mögen, was können diese Ottern mehr rühmen, als daß sie gekommen sind, entweder von Menschen, das heißt, von sich selbst, indem niemand sie berufen hat, oder durch Menschen, das heißt, gesandt von anderen? An alle dem liegt mir nichts, und ihr müßt auch nichts darnach fragen. Ich aber bin weder von Menschen, noch durch Menschen, sondern unmittelbar, das heißt, durch Jesum Christum berufen und gesandt, und mein Beruf ist in allen Stücken dem Berufe der [anderen] Apostel gleich, und ich bin freilich ein Apostel.

25. Darum handelt Paulus das Lehrstück von der Berufung der Apostel sehr fleißig, und scheidet anderswo den Apostelstand von den anderen [geistlichen Ämtern], als 1 Kor. 12, 28. und Eph. 4, 11.: „Er hat etliche zu Aposteln gesetzt, etliche aber zu Propheten“ [usw.], indem er die Apostel an erster Stelle setzt [um anzuzeigen], daß eigentlich nur diejenigen Apostel seien, welche unmittelbar von Gott selbst gesendet sind, ohne eine Mittelsperson. So ist auch Matthias geradezu von Gott berufen worden. Denn da die anderen Apostel zwei aufstellten, wagten sie es nicht, den einen oder den anderen zu erwählen, sondern warfen das Los und beteten, daß Gott anzeigen möchte, welchen er selbst erwählt habe unter diesen zweien [Apg. 1,23. f.]. Denn er mußte von Gott berufen werden, da er ein Apostel sein sollte. So ist auch Paulus, der Apostel der Heiden, berufen worden [Apg. 9,15.]. Daher werden die Apostel auch heilig genannt, denn sie sind ihres Berufes und ihrer Lehre gewiß, und sind treu in ihrem Amte geblieben, und keiner derselben ist abgefallen, als allein Judas; denn ihr Beruf ist heilig.

26. Dies ist der erste Stoß, den Paulus führt wider die falschen Apostel, welche liefen, obgleich niemand sie gesandt hatte. Deshalb muß man den Beruf nicht verachten. Denn es ist nicht genug, daß man das Wort und reine Lehre habe, sondern es muß auch ein gewisser Beruf da sein; wenn sich jemand ohne einen solchen eindrängt, der kommt nur, „daß er würge und umbringe“ [Joh. 10,10.]. Denn Gott gibt der Arbeit derer, die nicht berufen sind, niemals rechtes Gedeihen. Und wiewohl sie bisweilen einige heilsame Dinge vorbringen, so bauen sie doch nichts. So haben heutzutage unsere Schwarmgeister die Worte vom Glauben in ihrem Munde, schaffen aber doch keine Frucht, sondern gehen vornehmlich damit um, den Menschen ihre irrigen Meinungen einzureden [usw.]

27. Diejenigen, welche einen gewissen und heiligen Beruf haben, müssen mancherlei und sehr schwere Kaempfe bestehen; desgleichen [haben] diejenigen, deren Lehre rein und gesund ist [hart darüber zu kämpfen], daß sie in ihrem heilsamen Amte bleiben, wider die unablässigen und zahllosen Anläufe des Teufels und das Wüten der Welt. Was sollte da nun ein solcher ausrichten können, dessen Beruf ungewiß und dessen Lehre nicht rein ist?

28. Unser Trost, die wir im Dienste des Wortes sind, ist nun dieser, daß wir ein heiliges und himmlisches Amt haben, zu welchem wir ordentlicher Weise ( rite ) berufen sind, wie wir wider alle Pforten der Hölle rühmen. Dagegen ist es etwas Erschreckliches, wenn das Gewissen sagt: Das hast du ohne Beruf getan. In solchem Falle pflegt ein so großer Schrecken das Herz zu zerschlagen, daß der unberufene Prediger wünschen möchte, daß er das Wort, welches er lehrt, nie gehöret hätte, weil der Ungehorsam alle Werke böse macht, wie gut sie auch sein mögen, so daß auch die größten Werke und Arbeiten zu den größten Sünden werden.

29. Deshalb siehst du, wie gut und wie notwendig dieses Rühmen und Preisen unseres Amtes sei. In früheren Zeiten, als ich noch ein Neuling in der Theologie und ein junger Doctor war, schien es mir, daß Paulus närrisch handele, daß er in allen seinen Briefen sich so oft wegen seines Berufes rühmte. Ich verstand nicht, was er dabei im Sinne hatte, denn ich wußte nicht, daß der Dienst am Worte etwas so Großes wäre. Ich wußte nichts von der Lehre des Glaubens noch was ein recht Gewissen wäre, weil nichts Gewisses gelehrt wurde, weder in den Schulen noch in den Kirchen, sondern alles war voll von spitzfindigem Wirrwarr und unnützem Geschwätz der Lehrer des päpstlichen Rechts ( canonistarum ) und derer, welche die Sentenzen vortrugen ( sententiariorum ). Daher konnte niemand den Wert und die Bedeutung dieses heiligen und geistlichen Rühmens vom Berufe erkennen. Dasselbe dient erstlich zu Gottes Ehre, sodann zum Preise unseres Amtes, endlich zu unserer Seligkeit und derer, die uns befohlen sind ( populi ). Denn wir trachten durch dieses Rühmen nicht darnach, etwas zu sein in der Welt, wir suchen nicht Ehre bei den Menschen, nicht Geld, nicht Wohlleben, nicht die Gunst der Welt [usw.]. Sondern weil wir in göttlichem Berufe und im Werke Gottes sind, und für die Leute die Gewißheit unseres Berufes aufs höchste vonnöten ist, damit sie wissen, daß unser Wort das Wort Gottes sei, darum rühmen wir diesen Beruf mit Stolz. Deshalb ist es nicht ein eiteler, sondern ein überaus heiliger Stolz wider den Teufel und die Welt, aber vor Gott eine rechte Demut. Und durch Gott den Vater, der ihn auferweckt hat von den Toten.

30. Paulus ist so heftig entbrannt, daß er nicht warten kann, bis er zur Sache selbst kommt, sondern fährt sofort in der Überschrift heraus und sagt, was er im Herzen hat. Er will aber in diesem Briefe von der Gerechtigkeit des Glaubens handeln und dieselbe verteidigen, und das Gesetz und die Gerechtigkeit der Werke umstoßen. Diese Gedanken erfüllen ihn ganz, und aus dieser wunderbaren und unerschöpflichen Fülle der herrlichsten Weisheit und Erkenntnis Christi im Herzen redet sein Mund. Diese Flamme, diese ungeheure Feuersbrunst im Herzen kann nicht verborgen bleiben, und läßt ihn auch nicht schweigen. Deshalb begnügt er sich nicht damit, zu sagen, daß er ein Apostel sei, gesandt durch Jesum Christi, sondern er fügt auch hinzu: „Durch Gott den Vater, der ihn auferweckt hat von den Toten.“

31. Er scheint aber, als ob dieser Zusatz: „und durch Gott den Vater“ [usw.] nicht notwendig sei, sondern, wie ich gesagt habe, wess ihm das Herz voll ist, dess geht sein Mund über. Es brennt und verlangt sein Gemüt darnach, sofort, selbst noch in der Überschrift, die unausforschlichen Reichtümer Christi ans Licht zu stellen und die Gerechtigkeit Gottes zu predigen, die da heißt die Auferstehung der Toten. Der Christus, der da lebt und auferweckt ist von den Toten, redet aus ihm und treibt ihn. Darum fügt er nicht ohne Ursache hinzu, daß er auch ein Apostel sei durch Gott den Vater, der Jesum Christum von den Toten auferweckt hat, als ob er sagen wollte: Ich habe hier zu tun mit dem Satan und mit jenen Ottern, den Werkzeugen des Satans, welche mir die Gerechtigkeit Christi umstoßen wollen, den Gott der Vater von den Toten auferweckt hat, durch welche allein wir gerechtfertigt werden, durch welche wir auch am jüngsten ( illo ) Tage von den Toten werden auferweckt werden zum ewigen Leben. Indem sie aber in solcher Weise die Gerechtigkeit Christi umstoßen, so widerstehen sie dem Vater und dem Sohne und ihrem Werke.

32. So fährt ihm gleich beim ersten Worte die ganze Sache heraus, von welcher er in dieser Epistel handelt. Er handelt aber, wie ich gesagt habe, von der Auferstehung Christi, „der um unserer Gerechtigkeit willen auferwecktet ist,“ Röm. 4,15., und dadurch das Gesetz, die Sünde, den Tod und alles Übel überwunden hat. Deshalb ist Christi Sieg der Sieg über das Gesetz, über die Sünde, über unser Fleisch, Welt, Teufel, Tod, Hölle und alles Übel, und er hat uns diesen seinen Sieg geschenkt. Wiewohl uns daher diese Tyrannen und unsere Feinde anklagen und schrecken mögen, so können sie uns doch nicht in Verzweiflung stürzen und uns nicht verdammen, denn Christus, der durch Gott den Vater von den Toten auferweckt ist, der ist unsere Gerechtigkeit und unser Sieg. Gott sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unsern Herrn Jesum Christum. Amen.

33. Betrachte aber wohl, wie deutlich Paulus redet. Er sagt nicht: durch Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, welcher der Herr der Engel ist, der dem Abraham befahl, aus seinem Lande zu ziehen, der den Moses zu Pharao sandte, der Israel aus Ägypten geführt hat; wie die falschen Apostel taten, die sich rühmten, daß er der Gott ihrer Väter sei, der alles schafft, erhält und wirkt, und Wunderwerke in ihrem Volke täte. Sondern Paulus hatte etwas Anderes im Herzen, nämlich die Gerechtigkeit Christi, welche er lehrte und verteidigte als ein Apostel Christi. Deshalb redet er Worte, die zu dieser Sache dienen, und spricht: „Ich bin ein Apostel, weder von Menschen noch durch Menschen, sondern durch Jesum Christum und Gott den Vater, der ihn auferweckt hat von den Toten.“ Du sieht also, von wie großer Brunst und Eifer er im Geiste entbrannt ist in dieser Sache, welche er pflanzen und schützen will wider das ganze Reich der Hölle, wider alle Gewaltigen und Weisen der ganzen Welt, wider den Teufel und seine Apostel.

V. 3. Gnade sei mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und unserem Herrn Jesu Christo.

45. Ich hoffe, daß ihr wohl wisset, was Gnade und Friede sei, weil diese Worte bei Paulus häufig vorkommen und jetzt nicht verborgen sind. Aber weil wir diese Epistel handeln, zwar nicht aus Not oder wegen ihrer Schwierigkeit, sondern um unsere Gewissen wider künftige Ketzereien zu befestigen, so wird es nicht verdrießlich sein, daß wir hier das wiederholen, was wir anderswo auch lehren, predigen, malen, singen und schreiben. Denn wenn der Artikel von der Rechtfertigung darnieder liegt, so liegt alles. Deshalb ist es höchst notwendig, daß wir ihn beständig einprägen und schärfen, wie Moses [5 Mos. 6, 7.] von seinem Gesetze sagt. Denn er kann nicht genug oder zu viel eingeprägt und darauf gedrungen werden. Ja, wenn wir ihn auch rechtschaffen lernen und ihn festhalten, so ist doch niemand, der ihn vollkommen ergreise oder mit völliger Hingebung und von ganzem Herzen glaube. So gar schlüpfrig ist unser Fleisch und widerstreitet dem Gehorsam des Geistes.

46. Es ist aber dieser apostolische Gruß, ehe die Predigt des Evangelii anging, der Welt neu und etwas ganz Unerhörtes. Und diese beiden Wörter „Gnade“ und „Friede“ begreifen das ganze Christentum in sich. Die Gnade vergibt die Sünde, der Friede macht das Gewissen ruhig. Unsere beiden Teufel, die uns plagen, sind die Sünde und das [böse] Gewissen. Aber diese beiden Ungeheuer hat Christus überwunden und unter seine Füße getreten, beide in dieser und in der zukünftigen Welt. Dies weiß die Welt nicht. Darum kann sie nichts Gewisses davon lehren, wie die Sünde, das böse Gewissen und der Tod überwunden werden kann. Allein die Christen haben die rechte Weise, wie man davon lehren soll ( hoc doctrinae genus ), werden dadurch geübt und gewappnet, daß sie siegen können wider die Sünde, wider die Verzweiflung und wider den ewigen Tod. Und diese Art der Lehre ist von Gott gegeben, nicht gefunden durch den freien Willen, durch menschliche Vernunft oder menschliche Weisheit.

47. Es begreifen aber, wie ich gesagt habe, diese beiden Wörter, Gnade und Friede, das ganze Christentum in sich; die Gnade die Vergebung der Sünden, der Friede ein ruhiges und fröhliches Gewissen. Ferner kann man niemals Frieden im Gewissen haben, wenn nicht die Sünde vergeben ist. Sie wird aber nicht vergeben um der Erfüllung des Gesetzes willen, weil niemand dem Gesetze ein Genüge tut, sondern das Gesetz zeigt vielmehr die Sünde an, verklagt und erschreckt das Gewissen, verkündigt den Zorn Gottes und treibt zur Verzweiflung. Viel weniger wird die Sünde weggenommen durch Werke und Bemühungen, die von Menschen erdacht sind, als da sind gottlose [Heiligen-] Verehrung, geistliche Stände ( religiones ), Gelübde, Wallfahrten: kurz, sie wird durch seine Werke weggenommen, sondern vielmehr durch dieselben vermehrt. Denn je mehr die Werkheiligen sich bemühen und es sich sauer werden lassen, die Sünde wegzunehmen, desto ärger wird es mit ihnen. Sie wird aber allein durch die Gnade weggenommen, und durchaus auf keine andere Weise. Deshalb stellt Paulus jedesmal im Gruß in allen seinen Episteln der Sünde und dem bösen Gewissen die Gnade und den Frieden [usw.] entgegen. Darauf muß man sehr fleißig Acht haben. Die Worte sind leicht, aber in der Anfechtung ist est sehr schwer, im Herzen gewiß daran festzuhalten, daß wir allein durch die Gnade Vergebung der Sünden und Frieden mit Gott haben, und alle anderen Mittel, die es im Himmel und auf Erden gibt, dabei ausgeschlossen sind.

48. Die Welt versteht diese Lehre nicht. Deshalb will und kann sie dieselbe nicht allein nicht dulden, sondern verdammt sie auch als ketzerisch und gottlos. Sie rühmt den freien Willen, das Licht der Vernunft, den unverletzten Zustand der natürlichen Kräfte ( naturalium ) und gute Werke, durch welche sie Gnade und Frieden, das heißt, Vergebung der Sünden und ein fröhliches Gewissen verdienen und erlangen könne. Aber es ist unmöglich, daß das Gewissen zufrieden und fröhlich werden könne, wenn es nicht Frieden hat durch diese Gnade, das ist, durch die Vergebung der Sünde, die in Christo verheißen ist.

49. Zwar haben sich viele ängstlich abgemüht und dazu verschiedene Orden und Übungen erfunden, das sie das Gewissen ruhig machten. Aber sie haben sich dadurch nur in mehr und größere Übel versenkt. Denn alle diese Bemühungen dienen nur dazu, den Zweifel und die Verzweiflung zu vermehren. Darum kann „kein Friede in meinen“ und deinen „Gebeinen“ [Ps. 38,4.] sein, wenn wir nicht das Wort der Gnade hören und beständig und treu uns darauf stützen; dann erlangt das Gewissen sicherlich Frieden.

50. Es unterscheidet der Apostel aber deutlich diese Gnade und diesen Frieden von aller anderen Gnade und Frieden, weil er nicht den Kaiser, Könige und Fürsten um Gnade und Frieden für die Galater anruft, denn diese verfolgen gemeiniglich die Gottseligen und „lehnen sich auf wider den Herrn und seinen Gesalbten“, Ps. 2, 2.; auch nicht die Welt, denn „in der Welt“, sagt Christus [Joh. 16,33.], „habt ihr Angst“, sondern Gott, unsern Vater [usw.], das heißt, er wünscht ihnen den göttlichen Frieden an. So sagt auch Christus [Joh. 14,27.]: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich, wie die Welt gibt.“

51. Der Friede der Welt kann nichts Anderes gewähren als den Frieden an Leib und Gut, daß wir im Fleische fröhlich und ruhig leben können. So läßt uns die Gnade der Welt unserer Güter genießen, wirst uns nicht aus dem, was wir besitzen [usw.] Aber in Trübsal und in der Stunde des Todes kann uns die Gnade und der Friede der Welt nicht helfen, kann uns aus Trübsal, Verzweiflung oder Tod nicht herausreißen.

52. Wenn aber die Gnade und der Friede Gottes da ist im Herzen, dann ist der Mensch stark, so daß er weder durch Widerwärtigkeiten niedergebeugt, noch durch Wohlergehen übermütig gemacht wird, sondern er geht die rechte Mittelstrasse. Denn er empfängt die nötige Kraft ( efficaciam ) aus dem Siege Christi über den Tod, und in dem gewissen Vertrauen darauf fängt er an, in seinem Gewissen über die Sünde und den Tod zu herrschen, denn er hat durch ihn gewisse Vergebung der Sünden. Da er diese empfangen hat, wird sein Gewissen stille und aufgerichtet durch das Wort der Gnade. So kann denn der Mensch, getröstet und neu belebt durch die Gnade Gottes, das ist, durch die Vergebung der Sünden und diesen Frieden des Gewissens, alle Trübsale, ja, auch den Tod tapfer ertragen und überwinden. Dieser Friede Gottes ist der Welt nicht gegeben, weil sie dessen weder begehrt noch ihn versteht, sondern den Gläubigen, wird auch auf keine andere Weise erlangt als allein durch die Gnade Gottes. Eine wohl zu beachtende Regel: Man soll sich der Grübeleien über die göttliche Majestät enthalten

53. Aber warum fügt der Apostel hinzu: „Und von unserm Herrn Jesu Christo“? War es denn nicht genug zu sagen: „Von Gott, unserm Vater“? Warum verbindet er denn Jesum Christum mit dem Vater? Ihr habt oft von uns gehöret, daß diese Regel in der heiligen Schrift sehr sorgfältig beobachtet werden muß, daß wir uns der Grübelei ( speculatione ) über die göttliche Majestät enthalten sollen welche [Majestät] der Mensch nicht einmal dem Leibe nach ertragen kann, viel weniger in seinem geistigen Wesen ( menti ), „denn“, sagt die Schrift [2 Mos. 33, 20], „kein Mensch wird leben, der mich siehet“.

54. Der Papst, Türken, Juden und alle Werkheiligen kehren sich nicht an diese Regel, darum setzen sie Christum, den Mittler, aus den Augen, reden allein von Gott, beten, leben und tun alles Gott [ohne Christum]. So gedenkt ein Mönch: Diese Werke, die ich tue, gefallen Gotte; diese meine Gelübde wird Gott ansehen und mich um derselben willen selig machen. Ein Türke [denkt]: Wenn ich halte, was im Alkoran befohlen ist, so wird Gott mich annehmen und mir das ewige Leben geben; ein Jude: Wenn ich tue, was das Gesetz gebietet, so habe ich einen gnädigen Gott und werde selig. So wandeln heutzutage die Schwärmer, die sich des Geistes, der Erleuchtung, der Gesichte und, ich weiß nicht, was für anderer seltsamer Dinge rühmen, in wunderlichen Sachen, die ihnen zu hoch sind. Diese neuen Mönche 1) erdichten ein neues Kreuz und neue Werke und lassen sich träumen, daß sie um derselben willen Gotte gefallen. Kurz: So viele ihrer such sind, die den Artikel von der Rechtfertigung nicht kennen, die nehmen Christum, den Versöhner, aus dem Mittel, wollen Gott in seiner Majestät durch die Urteilskraft der menschlichen Vernunft ergreisen und ihn durch Werke begütigen.

55. Über die christliche und wahre Theologie hält uns Gott nicht vor in seiner Majestät, wie Moses und andere Lehren tun, befiehlt nicht, das Wesen Gottes zu erforschen, sondern daß wir seinen Willen, den er uns in Christo vorgelegt hat, erkennen sollen. Gott hat gewollt, daß Christus die menschliche Natur ( carnem ) annähme, geboren würde und stürbe um unserer Sünde willen, und daß dieses gepredigt werde unter allen Völkern. Denn da Gott wußte, „daß die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch törichte Predigt selig zu machen die, so daran glauben“ [1 Kor. 1, 21.]. Deshalb ist nichts gefährlicher, wenn wir im Kampfe wider das Gesetz, wider die Sünde und wider den Tod mit Gott zu handeln haben, als daß wir mit unseren Grübeleien im Himmel umherschweifen und Gott selbst betrachten in seiner unbegreiflichen Macht, Weisheit und Majestät, wie er die Welt erschaffen habe und regiere. 2) Wenn du Gott in solcher Weise ergreifen und ihn ohne den Versöhner Christus gnädig machen willst, und dich mit deinen Werken, Fasten, Kappe und Platte ins Mittel stellen, so kann es nicht anders kommen, als daß du fallest wie Luzifer, und in entsetzlicher Verzweiflung Gott und alles verlierest. Denn wie Gott in seinem Wesen unermeßlich, unbegreiflich und unendlich ist, so ist er der menschlichen Natur unerträglich.

56. Wenn du daher sicher und ohne Gefahr des Gewissens und der Seligkeit sein willst, so wehre dieser Neigung zu forschen ( sensum speculativum ), und ergreife Gott, wir Paulus dich lehrt, ihn zu ergreifen, 1 Kor. 1, 23, f.: „Wir predigen den gekreuzigten Christum, den Juden ein Ärgernis, den Heiden eine Torheit. Denen aber, die berufen sind, beide Juden und Griechen, predigen wir Christum, göttliche Kraft und göttliche Weisheit.“ Darum fange da an, wo Christus selbst angefangen hat, nämlich [da er liegt] in dem Leibe der Jungfrau, in der Krippe, an den Brüsten der Mutter [usw.] Denn dazu ist er [vom Himmel] herniedergekommen, geboren, hat unter den Menschen gewandelt, gelitten, ist gekreuzigt und gestorben, damit er sich uns auf jede Weise vor Augen stellte und die Augen unseres Herzens auf sich richtete, um dadurch das Aufsteigen zum Himmel und das Erforschen der Majestät zu verhindern.

57. Wenn du daher mit der Lehre von der Rechtfertigung zu tun hast und darüber disputirst, wie man Gott finden könne, der da rechtfertigt oder die Sünder annimmt, wo und wie er gesucht werden müsse, dann sollst du durchaus von keinem anderen Gotte wissen, außer diesem Menschen Jesus Christo. Den ergreife und hange an ihm von ganzem Herzen und laß das Ergrübeln der Majestät anstehen. Denn wer die Majestät erforschen will, der wird von ihrer Herrlichkeit erdrückt. Ich weiß es und habe das erfahren, was ich sage. Aber die schwärmerischen Menschen, welche ohne den Mittler Christus mit Gott handeln, glauben mir nicht. Christus selbst sagt, Joh. 14,6.: „Ich bin der Weg, und die Wahrheit, und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Daher wirst du außer diesem Wege, Christo, schlechthin keinen anderen Weg zum Vater finden, sondern Irrtum; nicht die Wahrheit, sondern Heuchelei und Lüge; nicht das Leben, sondern den ewigen Tod. Darum sei dessen wohl eingedenk, daß man in der Sache der Rechtfertigung, wo wir alle mit dem Gesetz, der Sünde, dem Tode, dem Teufel und der Überwindung alles Übels zu tun haben, keinen anderen Gott kennen soll als den menschgewordenen und menschlichen Gott.

58. Wenn du sonst außerhalb dieser Lehre von der Rechtfertigung etwa mit Juden, Türken oder Ketzern zu disputieren hast über die Weisheit, Macht Gottes [usw.], dann gebrauche alle deine Kunst, und sei ein so scharfsinniger und spitzfindiger Disputator, wie du nur immer kannst, denn da handelt es sich um etwas Anderes. Aber in der Sache des Gewissens, der Gerechtigkeit, des Lebens (das will ich mit besonderem Nachdruck hervorgehoben haben), wider das Gesetz, die Sünde, den Tod und den Teufel, oder in dieser Sache, da es sich handelt um die Genugtuung, um die Vergebung der Sünden, um die Versöhnung, um die ewige Seligkeit, da wende deinen Geist ganz und gar von allen Gedanken und Grübeleien der Majestät ab, und schaue ganz allein auf diesen Menschen, der sich uns zum Mittler vorstellt und spricht [Mat. 11,28.]: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid“ [usw.] Wenn du dieses tust, dann wirst du die Liebe, die Güte, die Freundlichkeit Gottes sehen, wirst Gottes Weisheit, Macht und Majestät lieblich vorgebildet sehen und deinem Fassungsvermögen angepaßt, und wirst in diesem anmutigen Bilde alles finden nach dem Worte Pauli an die Kolosser, Kap. 2, 3.: „Alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis sind in Christo verborgen“, desgleichen [V. 9,]: „In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig.“ Dies weiß die Welt nicht. Deshalb forscht sie, was ihr nur zum größten Schaden gereichen kann, ohne die Verheißung von Christo nach dem Willen Gottes. Denn „niemand kennt den Vater denn nur der Sohn, und wem es der Sohn will offenbaren“ [Mat. 11, 27.].

59. Und dies ist es, warum Paulus so häufig Jesum Christum mit Gott dem Vater zu verbinden pflegt, nämlich damit er uns die christliche Religion lehre, welche nicht von dem Höchsten anhebt, wie alle anderen Religionen tun, sondern von dem Niedrigsten. Er befiehlt uns, auf der Leiter Jakobs hinaufzusteigen, auf welcher Gott selbst oben steht, deren unteres Ende ( pedes ) die Erde berührt neben dem Haupte Jakobs [1 Mos. 28, 12. f.].

60. Deshalb, wenn du in Betreff deiner Seligkeit etwas denken und tun willst, dann laß alle Grübeleien über die Majestät anstehen, entschlage dich aller Gedanken von Werken, Fassungen, laß die Philosophie und selbst das göttliche Gesetz bei Seite, laufe zu der Krippe und zum Schoße der Mutter und ergreife dieses Kind, das Söhnlein der Jungfrau, schaue auf ihn, wie er geboren wird, [seiner Mutter Brust] saugt, wächst, unter den Menschen wandelt, lehrt, stirbt, wieder aufersteht, erhöht ist über alle Himmel, und Gewalt hat über alle Dinge. Auf diese Weise kannst du zuwege bringen, daß die Wolken von der Sonne vertrieben werden, kannst alle Furcht und auch jeden Irrtum vermeiden. Und wenn du dieses ansiehst, erhält es dich auf der rechten Bahn, so daß du dahin zu folgen vermagst, wohin Christus selbst gegangen ist. Dadurch also, daß Paulus Gnade und Frieden wünscht, nicht allein von dem Vater, sondern auch von Jesu Christo, lehrt er uns erstlich dieses, daß wir uns der Grübeleien über die Gottheit entschlagen sollen, denn niemand kennt Gott; sondern, daß wir Christum hören sollen, der in des Vaters Schoß ist und uns seinen Willen offenbart, der auch hierin vom Vater zum Lehrer gesetzt ist, damit wir alle ihn hören sollen. Christus ist von Natur Gott.

61. Das zweite, was Paulus hier lehrt, dient zur Bestätigung unseres Glaubens, daß Christus wahrer Gott ist. Und derartige Aussprüche über die Gottheit Christi soll man fleißig sammeln und gute Acht darauf haben, nicht allein wider die Ketzer, die Arianer und andere, die gewesen sind oder noch kommen mögen, sondern auch um uns selbst zu befestigen, weil der Satan nicht unterlassen wird, alle Artikel des Glaubens in uns anzufechten, ehe wir sterben. Er ist der bitterste Feind des Glaubens, weil er weiß, „daß der Glaube der Sieg ist, der die Welt überwindet“. Deshalb müssen wir uns Mühe geben, daß unser Glaube gewiß sei, durch fleißiges und unablässiges Umgehen mit dem Worte und Gebet wachse und befestigt werde, damit wir dem Satan widerstehen können.

3) 62. Daß aber Christus wahrer Gott sei, wird daraus klar erwiesen, daß Paulus ihm in gleicher Weise dasselbe zuschreibt als dem Vater, nämlich göttliche Macht, daß er Gnade geben kann, Vergebung der Sünden, Frieden des Gewissens, Leben, den Sieg über Sünde, Tod, Teufel und Hölle. Dies dürfte Paulus durchaus nicht tun, ja, es wäre ein Gottesraub, wenn Christus nicht wahrer Gott wäre, wie geschrieben steht [Jes. 42, 8]: „Ich will meine Ehre keinem andern geben.“ Sodann niemand gibt anderen das, was er selbst nicht hat. Da aber Christus Gnade, Frieden, den Heiligen Geist schenkt, aus der Gewalt des Teufels, von Sünde und Tod frei macht, so ist gewiß, daß er unendliche und göttliche Macht hat, die in allen Dingen der Macht des Vaters gleich ist. Christus schenkt auch nicht Gnade und Frieden, wie die Apostel Gnade und Frieden bringen durch die Predigt des Evangelii, sondern er schenkt sie als der Urheber und Schöpfer. Der Vater schafft und gibt das Leben, Gnade, Frieden [usw.]. Und eben dies schafft und schenkt der Sohn.

63. Aber solche Werke als Gnade, Frieden, ewiges Leben geben, Sünden erlassen, rechtfertigen, lebendig machen, vom Tode und Teufel befreien, sind nicht Werke irgend einer Kreatur, sondern einig und allein der göttlichen Majestät; auch die Engel können diese weder schaffen noch schenken. Darum gehören diese Werke allein zu der Herrlichkeit der höchsten Majestät, der Schöpferin aller Dinge. Da aber Paulus Christo dieselbe und gleiche Macht zuschreibt mit dem Vater, dies alles zu schaffen und zu schenken, so folgt, daß er wahrhaftig und von Natur Gott ist.

64. Solcher Beweisgründe sind viele bei Johannes, wo aus den Werken, welche gleicher Weise dem Sohne mit dem Vater zugeschrieben werden, bewiesen und unwiderleglich festgestellt wird, daß der Vater und der Sohn dasselbe göttliche Wesen ( divinitas ) haben. Deshalb empfangen wir nichts Anderes oder keine andere Gabe vom Vater als vom Sohne, sondern Eines und dasselbe geht vom Vater und vom Sohne aus. Sonst hätte Paulus anders geredet, nämlich so: Gnade von Gott dem Vater und Friede von dem Herrn Jesu Christo; aber er verbindet beides und schreibt es in gleicher Weise sowohl dem Vater als auch dem Sohne zu.

65. Dessen tue ich darum so fleißig Erinnerung, weil Gefahr da ist, daß bei so vielen Irrtümern und so mancherlei und so greulichen Rotten auch noch Ketzer nachfolgen möchten, Arianer, Eunomianer, Macedonianer, welche durch ihre Spitzfindigkeit der Kirche Schaden tun möchten. Die Arianer waren fürwahr scharfsinnige Leute; sie gestanden zu, daß Christus zwei Naturen hätte, daß er Gott vom wahren genannt werde, aber nur angenommener Weise ( nuncupative ) oder dem Namen nach. Christus ist (sagten sie) die edelste und vollkommenste Kreatur, höher als die Engel, durch welchen Gott nachher Himmel und Erde und alle Dinge geschaffen hat. So redet auch Mahomet herrlich von Christo. Aber dies sind nichts als Gedanken, die einen schönen Schein haben, und Worte, die der menschlichen Vernunft angenehm sind und ihren Beifall finden, durch welche die Schwarmgeister die Leute, die nicht auf ihrer Hut sind, betören.

66. Aber Paulus redet anders von Christo. Ihr seid, sagt er, wohlgegründet und befestigt in dieser Erkenntnis, daß Christus nicht die vollkommenste Kreatur sei, sondern wahrer Gott, weil er dasselbe tut, was Gott tut; er hat göttliche Werke, nicht die einer Kreatur, sondern des Schöpfers, weil er Gnade und Frieden gibt. Da er aber diese gibt, so verdammt er dadurch die Sünde, zerstört den Tod, tritt den Teufel unter seine Füße. Solche Dinge kann kein Engel schenken. Da aber Christo dies zugeschrieben wird, so muß er notwendiger Weise von Natur Gott sein.

Fußnoten

1) Über die „neuen Mönche“, die Wiedertäufer, vergleiche Walch, St. Louiser Ausg. Bd. VII, 636, [Paragraph] 120 f.

2) Das Folgende, von hier an bis gegen Ende von [Paragraph] 60, ist von Aurifaber für die Tischreden verwendet. In den alten Ausgaben der Tischreden bildet es Kap. 1, [Paragraph] 36 und Kap. 7, [Paragraphen] 126, 127. Diese Abschnitte sind in unserer Ausgabe der Tischreden weggelassen.

3) Dieser und der nächstfolgende Paragraph ist von Aurifaber für Kap. 7, [Paragraph] 2 der Tischreden verwendet. In unserer Ausgabe der Tischreden ist dieser Abschnitt weggelassen worden. Aurifaber bedient sich hier, wie fast überall bei seinen Anführungen aus dieser Erklärung des Briefes an die Galater, der Übersetzung des Justus Menius, doch ist dieselbe häufig etwas veränderte.

V. 4. Der sich selbst für unsere Sünden gegeben hat

67. Fast in jedem einzelnen Worte hat Paulus mit dem zu tun, wovon der ganze Brief handelt; er läßt nichts Anderes hören, als daß er von Christo redet. Darum ist in jedem einzelnen Worte die Brunst des Geistes und das Leben. Gib aber Acht darauf, wie deutlich er davon spricht. Er sagt nicht: Der von uns unsere Werke empfangen hat; 1) nicht: Der von uns die Opfer des mosaischen Gesetzes, Verehrung, Gottesdienst, Messen, Gelübde, Wallfahrten [usw.] empfangen hat, sondern: „Er hat gegeben.“ Was? Nicht Gold, nicht Silber, nicht Ochsen, nicht Passahlämmer, nicht einen Engel, sondern sich selbst. Für wen? Nicht für einer Krone, nicht für ein Reich, nicht für unsere Heiligkeit oder Gerechtigkeit, sondern für unsere Sünden.

Diese Worte sind nichts als Donnerschläge vom Himmel wider alle Gerechtigkeiten, gleichwie auch dieser Ausspruch Joh. 1, 29.: „Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde traget.“ Deshalb ist jedes einzelne Wort mit der größten Sorgfalt zu betrachten, nicht bloß kalt anzusehen und unachtsam überhin zu laufen; denn sie trösten und befestigen wunderbar die furchtsamen Gemüter.

2) 68. Hier erhebt sich die Frage, wie wir die Vergebung der Sünden erlangen können, sowohl der Sünden, welche andere Leute, als auch derer, die wir selbst auf uns haben? Paulus antwortet, der Mann, welcher Jesus Christus heißt, Gottes Sohn, habe sich selbst für dieselben gegeben. Dies sind herrliche und tröstliche Worte, die auch im alten Bunde verheißen sind, daß unsere Sünden auf keine andere Weise weggenommen werden, als durch den Sohn Gottes, der in den Tod dahingegeben ist. Mit solchen groben Geschützen, Kriegswerkzeugen und Sturmböcken muß das Papsttum zerstört werden, und alle Religionen aller Heiden, alle falsche Gottesverehrung, alle Werke und Verdienste. Denn wenn unsere Sünden durch unsere Werke, Genugtuungen und Verdienste abgetan werden könnten, was wäre es dann vonnöten gewesen, daß der Sohn Gottes für dieselben gegeben werde? Da er aber für dieselben dahingegeben worden ist, so werden wir sie freilich nicht austilgen durch unsere Werke.

69. Ferner wird durch diesen Ausspruch auch dargetan, daß unsere Sünden so groß, unermeßlich und unüberwindlich sind, daß es auch der ganzen Welt unmöglich ist, für eine einzige genugzutun. Und sicherlich zeigt die Größe des Preises, nämlich Christus, Gottes Sohn, „der sich selbst für unsere Sünden gegeben hat“, genugsam, das wir nicht für die Sünde genugtun noch über dieselbe herrschen können. Die Kraft und Gewalt der Sünde wird durch diese Worte: „Der sich selbst für unsere Sünden gegeben hat“, sehr groß gemacht. Deshalb muß man die Größe und (daß ich so sage) die Unendlichkeit des Preises ansehen, der dafür bezahlt worden ist.

Dann wird völlig klar werden, daß die Kraft und Gewalt der Sünde so groß sei, daß sie durch kein Werk ausgetilgt werden konnte, sondern daß der Sohn Gottes für dieselbe gegeben werden mußte. Wer dies wohl betrachtet, der versteht, daß das Wort „Sünde“ den ewigen Gotteszorn und das ganze Reich des Satans in sich begreift, und daß die Sünde etwas Erschrecklicheres ist, als man mit Worten aussprechen kann. Das sollte uns sicherlich zu Herzen gehen und uns so erschrecken, daß es uns durch Mark und Bein ginge. Aber wir nehmen uns dessen wenig an, ja, wir verachten die Sünde als etwas Geringfügiges, das keine Bedeutung habe. Und wenn auch Gewissensbisse sich einstellen, so denken wir doch, die Sünde sei nicht so groß; wir möchten sie etwas durch ein Werklein oder ein Verdienst austilgen können.

70. Es bezeugt also dieser Ausspruch, daß alle Menschen Gefangene und Knechte der Sünde sind, und, wie Paulus anderswo [Röm. 7,14.] sagt: „unter der Sünde verkauft“; desgleichen, daß die Sünde der grausamste und mächtigste Tyrann ist über alle Menschen in der ganzen Welt, welcher nicht überwunden noch ausgetrieben werden kann durch irgend eine Macht aller Kreaturen, mögen sie nun Engel oder Menschen sein, sondern allein durch die unendliche und überlegene Macht Jesu Christi, des Sohnes Gottes, der sich selbst für die Sünde gegeben hat.

71. Ferner hält dieser Text allen den Gewissen, welche durch die Große der Sünde erschreckt sind, auch einen unermeßlich großen Trost vor.

Denn so unüberwindlich der Tyrann, die Sünde, auch sein mag, so kann sie doch denen, die an Christum glauben, nicht schaden, weil er sie durch seinen Tod überwunden hat. Sodann, wenn wir, mit diesem Glauben gerüstet, diesem Menschen Jesus Christo von ganzem Herzen anhangen, dann geht uns das Licht auf, und wir überkommen ein gesundes Urteil, daß wir aufs allergewisseste und ganz frei über alle Stände im Leben richten können. Denn wenn wir hören, daß der Tyrann, die Sünde, Macht hat über alle Menschen, und daß die ganze Welt ihm unterworfen ist, so schließen wir sofort, und dieser Folgerung kann sich niemand entziehen: Was machen denn die Papisten, Mönche, Nonnen, Priester, Mahometisten, Wiedertäufer und alle Werkheiligen, welche mit ihren Satzungen, Vorbereitungen, Genugtuungen [usw.] die Sünde tilgen und überwinden wollen? Da urteilen wir sofort, daß alle diese Sekten gottlos und verderblich sind, indem durch dieselben Gottes und Christi Ehre nicht allein verdunkelt, sondern ganz und gar aufgehoben, dagegen unsere Ehre verherrlicht und aufgerichtet wird.

72. Erwäge aber sorgfältig jedes einzelne Wort des Paulus, und vor allem merke wohl und dringe mit aller Macht auf dieses Wörtlein: „für unsere“. Denn daran liegt alles, daß man die Pronomina, welche in der heiligen Schrift sehr häufig vorkommen, recht und wohl gebrauche, denn es liegt auf denselben immer ein großer Nachdruck, und es wird durch dieselben angezeigt, was man besonders merken soll. Du kannst leicht sagen und glauben, daß Christus, der Sohn Gottes, für die Sünden des Petrus, des Paulus und anderer Heiligen gegeben sei, von denen wir urteilen, daß sie dieser Gnade wert seien. Aber es ist sehr schwer, daß du, der du dir diese Gnade absprechen und sagen mußt, du seiest derselben unwürdig, von Herzen sagest und glaubest, daß Christus für deine unüberwindlichen, unendlichen und unermeßlichen Sünden gegeben sei.

73. Darum ist es eine leichte Sache, im Allgemeinen und ohne das [einschränkende] Pronomen die Wohltat Christi mit prächtigen, hohen Worten zu preisen und zu rühmen, nämlich, daß er zwar für die Sünden hingegeben sei, aber für die Sünden anderer, die dessen würdig waren; wenn aber das Pronomen „unsere“ hinzugefügt werden soll, dann will unsere schwache Natur und Vernunft nicht hinan. Dann wagt sie es nicht, sich zu Gotte zu nahen, noch auch auf sich diese Zusage zu beziehen, daß ihr ein so großer Schatz umsonst gegeben werden solle. Deshalb will sie auch nicht mit Gott zu schaffen haben, sie sei denn zuvor rein und ohne Sünden. Darum, wenn sie auch diesen Text liest und hört: „Der sich selbst für unsere Sünden gegeben hat“, oder dergleichen, so wendet sie doch das Fürwort „unsere“ nicht auf sich an, sondern bezieht es auf andere, die würdig und heilig sind. Sie selbst will aber noch so lange warten, bis sie durch ihre Werke würdig werde.

3) 74. Das ist denn nichts Anderes, als daß die menschliche Vernunft gern wollte, daß die Kraft der Sünde nicht größer noch mächtiger wäre, als sie sich träumen läßt. Daher kommt es, daß die Heuchler, welche Christum nicht kennen, selbst dann, wenn sie Gewissensbisse über die Sünden fühlen, dennoch denken, sie würden dieselbe leicht abtun durch ihre Werke und Verdienste. Und wiewohl sie es nicht aussprechen, so hegen sie doch den Wunsch, daß diese Worte: „Der sich selbst für unsere Sünden gegeben hat“, Worte sein möchten, die in einer großen Demut gesprochen wären, und daß ihre Sünden nicht ernstliche und wahre Sünden sein möchten, sondern ungegründete und erdichtete.

75. Kurz, die menschliche Vernunft möchte Gotte gern nur einen erdichteten und erheuchelten Sünder vorstellen und darbieten, welcher gar nicht erschreckt wäre, der die Sünde nicht fühlte. Sie möchte einen Gefunden zu ihm bringen, der des Arztes nicht bedarf, und dann, wenn sie die Sünde nicht fühlte, wollte sie glauben, daß Christus für unsere Sünden gegeben sei.

76. So ist die ganze Welt gesinnt und besonders die Leute, welche in der Welt gottesfürchtiger und heiliger sein wollen als andere, wie sie sich träumen lassen, nämlich die Mönche und alle Werkheiligen. Diese bekennen zwar mit dem Munde, daß sie täglich Sünden begehen, aber nicht so ungeheuer große und viele, daß sie dieselben nicht mit ihren Werken sollten tilgen können. Ja, über das hinaus wollen sie noch Gerechtigkeit und Verdienste vor den Richterstuhl Christi bringen und für dieselben von dem Richter als Vergeltung das ewige Leben fordern. Doch unterdessen, wie sie denn demütige Brüder sind, um nicht ganz und gar rein und sein, erdichten sie einige Sünden, damit sie für deren Vergebung mit dem Zöllner aus großer Andacht beten können: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ [Luk. 18, 13.] Für diese sind die Worte Pauli „für unsere Sünden“ ganz inhaltslos und leeres Gerede. Deshalb verstehen sie dieselben nicht, können auch in der Anfechtung, wenn sie ihre Sünde ernstlich fühlen, keinen Trost daraus fassen, sondern müssen dann geradezu verzweifeln.

77. Dies ist daher das höchste Wissen ( scientia ) und die rechte christliche Weisheit, daß man diese Worte Pauli für ernstliche und ganz wahre halte, nämlich, das Christus in den Tod gegeben sei, nicht um unserer Gerechtigkeit oder Heiligkeit willen, sondern um unserer Sünden willen, welche rechte, große, viele, ja, unendliche und unüberwindliche Sünden sind. Darum bilde dir ja nicht ein, daß sie geringfuegig seien, so daß die durch deine Werke getilgt werden könnten. Verzweifle aber auch nicht wegen ihrer Größe, wenn du sie einmal ernstlich fühlst, es sei im Leben oder im Sterben, sondern lerne hier von Paulus, daß du glaubest, Christus sei gegeben, nicht für erdichtete oder gemalte Sünden, sondern für die allergrößten, nicht für eine oder die andere, sondern für alle, nicht für die überwundenen (denn kein Mensch, auch kein Engel kann auch nur die allerkleinste Sünde überwinden), sondern für die unüberwindlichen Sünden.

Und wenn du nicht in der Zahl derer erfunden wirst, von denen es heißt: „unsere“, das ist, welche diese Lehre des Glaubens haben, lehren, hören, lernen, lieb haben und ihr glauben, dann ist es um deine Seligkeit geschehen.

78. Gib dir deshalb alle mögliche Mühe, daß du nicht allein außer der Zeit der Anfechtung, sondern auch in Gefahr und im Todeskampf, wenn das Gewissen erschrickt durch die Erinnerung an vergangene Sünden, und der Teufel dich mit großem Ungestüm angreift, und dich mit der Wucht, der Flut, ja, der Sintflut der Sünden überschütten will, damit er dich erschrecke, von Christo abziehe und dich in Verzweiflung stürze, daß du, sage ich, dann zuversichtlich sagen könnest: Christus, Gottes Sohn, ist nicht für die Heiligen und Gerechten gegeben, sondern für die Ungerechten und Sünder.

Wenn ich gerecht wäre und keine Sünde hatte, so bedürfte ich des Versöhners, Christi, nicht. Warum willst du denn, o du in ganz verkehrter Weise heiliger Satan, mich zum Heiligen machen und Gerechtigkeit von mir erfordern, obgleich ich nichts Anderes habe als Sünden, und zwar rechte und überaus schwere, nicht erdichtete oder nichtige Sünden? Derartig sind die Sünden wider die erste Tafel, nämlich der größte Unglaube, Zweifel, Verzweiflung, Gottesverachtung, Haß gegen Gott, Mangel an rechter Erkenntnis, Gotteslästerung, Undankbarkeit, Mißbrauch des Namens Gottes, Nachlässigkeit, Überdruß und Verachtung des Wortes Gottes [usw.].

79. Darnach habe ich auch die Sünden wider die zweite Tafel, als da sind, die Eltern nicht in Ehren halten, der Obrigkeit nicht gehorsam sein, der Güter eines anderen begehren, als, seines Weibes [usw.] (obgleich diese gering sind im Vergleich zu den obengenannten), und wenn ich gleich keinen Totschlag, keinen Ehebruch, keinen Diebstahl und andere derartige Sünden wider die zweite Tafel mit der Tat vollbracht habe, so habe ich sie doch im Herzen begangen. Deshalb bin ich ein Übertreter aller Gebote Gottes, und die Menge meiner Sünden ist so groß, daß eine Ochsenhaut sie nicht fassen könnte, ja, ihrer ist keine Zahl, denn ich habe mehr gesündigt und die Zahl meiner Sünden ist größer „denn des Sandes am Meer“ [Gebet Manasse, V. 9].

Über das ist der Teufel ein so listiger Tausendkünstler, daß er auch aus meinen guten Werken und aus meiner Gerechtigkeit die größte Sünde machen kann. Da nun meine Sünden so erstlich, wahrhaftig, groß, unendlich, erschrecklich und unüberwindlich sind, und meine Gerechtigkeit mir vor Gott nicht nützt, sondern vielmehr schadet, so ist deshalb Christus, Gottes Sohn, für dieselben in den Tod dahingegeben, damit er sie austilgte und mich und alle, die dies glauben, selig machte.

80. Darin liegt also die Kraft zur ewigen Seligkeit, daß diese Worte für ernste und wahrhaftige Worte gehalten werden. Dies sage ich nicht umsonst. Denn ich habe es oft erfahren, erfahre es auch noch täglich, wie schwer es sei zu glauben, besonders in Gewissensnöten, daß Christus gegeben sei, nicht für die Heiligen, Gerechten, Würdigen und Freunde, sondern für die Gottlosen, Sünder, Unwürdigen und Feinde, welche den Zorn Gottes und den ewigen Tod verdient haben.

81. Deshalb sollen wir unser Herz befestigen durch diese und ähnliche Aussprüche der Schrift, damit wir dem Teufel, wenn er uns anklagt: Du bist ein Sünder, also bist du verdammt, antworten können: Weil du sagst, daß ich ein Sünder sei, darum will ich gerecht und selig sein. — Ja, du wirst verdammt werden! — Nein; denn ich nehme meine Zuflucht zu Christo, „der sich selbst für meine Sünden gegeben hat“. Darum wirst du, Satan, damit nichts ausrichten, daß du versuchst, mich dadurch zu erschrecken, daß du mir die Größe meiner Sünde vorhältst und mich so in Traurigkeit, Mißglauben, Verzweiflung, Haß, Verachtung und Lästerung gegen Gott bringen willst. Ja, gerade dadurch, daß du sagst, ich sei ein Sünder, gibst du mir die Waffen wider dich in die Hand, daß ich dich mit deinem eigenen Schwerte erwürgen und vernichten kann, weil Christus für die Sünder gestorben ist.

82. Sodann predigst du selbst mir die Ehre Gottes, denn du erinnerst mich der väterlichen Liebe Gottes gegen mich elenden und verdammten Sünder, der „also die Welt geliebt hat, daß er seinen eingebornen Sohn gab“ [usw.] [Joh. 3, 16]. Desgleichen, so oft du mir vorwirfst, daß ich ein Sünder bin, so oft rufst du mir die Wohltat Christi, meines Erlösers, ins Gedächtnis, auf dessen Schultern, nicht auf den meinigen, alle meine Sünden liegen. Denn der Herr hat alle unsere Missetat auf ihn gelegt; desgleichen, er hat um der Missetat seines Volks willen ihn geplagt, Jes. 53, 5.8. Darum, wenn du mir vorhältst, ich sei ein Sünder, so schreckst du mich nicht, sondern tröstest mich über die Massen wohl.

83. Wer diese Kunst recht verstand, der könnte allen listigen Anläufen des Teufels leicht entgehen, welcher den Menschen dadurch, daß er ihn seiner Sünde erinnert, in Verzweiflung treibt und zu Tode martert, wenn er ihm nicht durch diese göttliche Kunst und Weisheit begegnet und Widerstand leistet, durch welche allein Sünde, Tod und Teufel überwunden werden. Wer aber die Erinnerung an die Sünde nicht von sich wirst, sondern sie festhält und sich plagt mit seinen Gedanken, nämlich, wie er aus seinen eigenen Kräften Rat für sich schaffen wolle, oder so lange warten, bis das Gewissen friedsam gemacht worden sei, der fällt in die Stricke des Satans, quält sich selbst elendiglich und wird endlich durch Anhalten und Häufigkeit der Anfechtung überwunden. Denn der Teufel hört nicht auf, das Gewissen anzuklagen.

84. Wider diese Anfechtung muß man diese Worte Pauli gebrauchen, mit welchen er Christum deutlich und eigentlich beschreibt, auf diese Weise: Christus ist der Sohn Gottes und der Jungfrau, für unsere Sünden gegeben und gestorben. Wenn der Teufel hier eine andere Beschreibung Christi bringen sollte, so sprich: Deine Beschreibung und das, was du beschreibst, ist beides falsch, darum nehme ich diese Beschreibung nicht an. Dies sage ich nicht vergebens. Ich weis, warum ich so fleißig darauf dringe, daß wir lernen sollen, Christum eigentlich aus den Worten Pauli zu beschreiben. Denn Christus ist in Wahrheit nicht ein strenger Treiber ( exactor ), sondern der Versöhner für die Sünde der ganzen Welt.

85. Deshalb, wenn du ein Sünder bist, wie wir sicherlich alle immer sind, so bilde dir Christum nicht vor als einen Richter, der auf dem Regenbogen sitzt,4) sonst wirst du erschrecken und verzweifeln; sondern ergreife seine rechte Beschreibung, nämlich diese: daß Christus, Gottes und der Jungfrau Sohn, eine solche Person sei, welche nicht schreckt, nicht plagt, uns Sünder nicht verdammt, nicht Rechenschaft von uns fordert wegen unseres schändlich verbrachten Lebens, sondern die sich selbst für unsere Sünden gegeben, und durch ein einziges Opfer die Sünden der ganzen Welt abgetan, gekreuzigt und in sich selbst vertilgt hat.

86. Diese Beschreibung lerne mit Fleiß und besonders dies Fürwort „unsere“ mache dir so zu eigen [daß du wissest], daß diese drei 5) Silben „unsere“, im Glauben ergriffen, auch deine Sünde ganz und gar wegnehmen und austilgen, das heißt, daß du aufs allergewisseste wissest, daß Christus nicht allein die Sünden einiger Menschen, sondern auch deine und die Sünden der ganzen Welt hinweggenommen habe. Wenngleich alle Menschen dies nicht glauben sollten, so ist dennoch dieses Dahingeben geschehen für die Sünden der ganzen Welt. Es sollen also deine Sünden nicht allein Sünden, sondern in Wahrheit deine Sünden sein, das heißt, du sollst glauben, daß Christus nicht bloß für die Sünden anderer gegeben sei, sondern auch für deine Sünden. Dies halte ohne Wanken fest und laß dich auf keine Weise von dieser überaus lieblichen Beschreibung Christi abbringen, an der auch der Engel im Himmel ihre Lust haben, nämlich, daß Christi nach seiner rechten, eigentlichen Beschreibung nicht ein Moses ist, nicht ein Treiber, nicht ein Henker, sondern der Versöhner für unsere Sünden, der uns Gnade, Gerechtigkeit und Leben schenkt, der sich selbst gegeben hat, nicht für unsere Verdienste, Heiligkeit, Gerechtigkeit, unsträfliches Leben, sondern für unsere Sünden. Christus legt zwar das Gesetz aus, aber das ist nicht sein eigentliches und hauptsächliches Amt.

87. Was die Worte anbetrifft, so wissen wir das und können davon reden, aber im Kampfe, wo der Teufel Christum zu verdunkeln und das Wort von der Gnade aus dem Herzen zu reißen. pflegt, da erfahren wir, daß wir es noch nicht recht wissen. Wer dann Christum recht eigentlich beschreiben könnte und ihn groß machen und ansehen als den allerlieblichsten Heiland und Hohenpriester, nicht als einen strengen Richter, der hätte alles Übel überwunden und wäre schon im Himmelreich. Aber es ist das Allerschwerste, daß man dieses im Kampfe tun könne.

88. Dies rede ich aus Erfahrung. Ich kenne die listigen Anschläge des Teufels sehr wohl, daß er uns dann nicht allein das Gesetz über die Gebühr groß zu machen pflegt, um uns zu schrecken, desgleichen, daß er aus einem Splitter viele und große Balken zu machen versteht, das heißt, daß er aus dem, was nicht Sünde ist, die Hölle machen kann (denn er ist ein wunderbarer Tausendkünstler, die Sünde groß zu machen und das Gewissen zu beschweren auch mit dem, was recht und wohl getan ist), sondern daß er uns sogar mit der Person des Mittlers zu schrecken pflegt. In dessen Gestalt verwandelt er sich, gibt unserem Herzen plötzlich einen harten Stoß und macht es ganz verzagt durch Anführung irgend einer Schriftstelle oder eines Wortes Christi, und zeigt sich uns so, als wenn er der rechte Christus wäre, und läßt uns an diesem Trugbilde haften, so daß das Gewissen darauf schwören würde, er sei Christus, da er dessen Meinung oder Wort führe.

89. Außerdem gebraucht der Verleumder diese List, daß er nur einen Teil Christi, nicht den ganzen Christus vorhält, nämlich, daß er Gottes Sohn sei, Mensch geboren von der Jungfrau. Sodann flickt er plötzlich etwas Fremdes daran, das heißt, er hält uns irgend ein Wort Christi entgegen, mit dem er die Sünder schreckt, wie das ist, Luk. 13, 3.: „So ihr euch nicht bessert, werdet ihr alle auch also umkommen.“ Indem er so die rechte Beschreibung Christi mit Gifte besudelt und verderbt, bringt er das zuwege, daß, obgleich wir glauben, Christus sei unser Mittler, doch in der Tat das geängstete Gewissen fühlt und urteilt, er sei ein Tyrann und ein Richter.

Wenn wir auf diese Weise vom Satan betrogen werden, so verlieren wir leicht das überaus liebliche Bild des Hohenpriesters und Heilandes Christi; wenn aber das verloren ist, so entsetzen wir uns vor ihm nicht weniger als vor dem Teufel selbst.

90. Und dies ist die Ursache, warum ich so stark darauf dringe, daß ihr Christum wohl und recht eigentlich beschreiben lernet aus diesen Worten Pauli: „Der sich selbst für unsere Sünden gegeben hat.“ Wenn er sich selbst für unsere Sünden in den Tod gegeben hat, dann ist er fürwahr nicht ein Tyrann oder ein Richter, welcher uns wegen unserer Sünden verdammen wird, er ist nicht ein Mann, der die Mühseligen betrübt, sondern der den Gefallenen aufhilft, der die Zerschlagenen versöhnt und tröstet. Sonst würde Paulus lügen., da er sagt: „Der sich selbst für unsere Sünden gegeben hat.“ Wenn ich Christum so beschreibe, dann beschreibe ich ihn recht und ergreife und habe den wahren Christum. Desgleichen lasse ich die Grübeleien über die göttliche Majestät anstehen und bleibe an der Menschheit Christi hangen, und so lerne ich den Willen Gottes recht erkennen. Da ist dann kein Schrecken, sondern nur liebliches Wesen, Freude [usw.], und zugleich geht das Licht auf, welches mir rechte Erkenntnis gibt von Gott, von mir selbst, von allen Kreaturen, und von aller Bosheit im Reiche des Teufels [usw.].

91. Wir lehren nichts Neues, sondern Altes, und, was vor uns die Apostel und alle gottseligen Lehrer gelehrt haben, das schärfen wir ein und befestigen es. Und wollte doch Gott, daß wir es wohl einprägen und fest machen könnten, so daß wir es nicht allein im Munde, sondern, wohl verstanden ( bene meditata ), tief im Herzen haben möchten und es besonders in Todesnöten recht gebrauchen könnten.

Daß er uns errettete von dieser gegenwärtigen argen Welt

92. Auch in diesen Worten handelt Paulus in Wahrheit von dem, was den Inhalt dieser ganzen Epistel ausmacht. Er nennt diese ganze Welt, wie sie war, ist und sein wird, „die gegenwärtige Welt“ im Unterschiede von der künftigen und ewigen Welt. Sodann nennt er sie eine „arge Welt“, weil alles, was in dieser Welt ist, der Bosheit des Teufels unterworfen ist, der in der ganzen Welt regiert. Darum ist die Welt des Teufels Reich. Denn in derselben ist nichts Anderes als Unwissenheit in Bezug auf Gott, Verachtung Gottes, Lästerung und Haß gegen Gott, desgleichen Ungehorsam gegen alle Worte und Werke Gottes. In diesem Reiche und unter seiner Herrschaft sind wir.

93. Hier siehst du wiederum, daß niemand durch seine Werke oder eigene Kräfte die Sünden tilgen kann, weil diese gegenwärtige Welt arg ist, und wie Johannes [1. Ep. 5, 19.] sagt, „im Argen liegt“. So viele ihrer also in der Welt sind, die sind des Teufels gefangene Glieder, die ihm dienen und alles nach seinem Willen tun müssen. Was hat es denn genützt, daß man so viele Orden gestiftet hat, um die Sünden zu tilgen, daß man so viele große und überaus beschwerliche Werke erdacht hat, nämlich härene Hemden tragen, den Lieb mit Geißeln schlagen, daß das Blut darnach gelaufen ist, in vollem Harnisch 6) nach St. Jakob laufen [usw.]? Dergleichen magst du immerhin tun, nichtsdestoweniger bleibt aber diese Erklärung stehen: Du bist in dieser gegenwärtigen und argen Welt, nicht in Christi Reiche. Wenn du nicht in Christi Reiche bist, so ist es gewiß, daß du zu des Teufels Reiche, das ist, zu der argen Welt gehörst. Daher sind auch alle Gaben, die du hast, geistige und leibliche, als da sind Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligkeit, Beredsamkeit, Gewalt, Schönheit, Reichtum Werkzeuge und knechtische Waffen dieser höllischen Tyrannei, und mit allem diesem mußt du dem Teufel dienen und sein Reich fördern und mehren.

94. Erstlich verdunkelst du durch deine Weisheit die Weisheit und Erkenntnis Christi und verführst die Leute durch gottlose Lehre, daß sie nicht zu der Gnade und Erkenntnis Christi kommen können. Du lobst und rühmst deine eigene Gerechtigkeit und Heiligkeit, aber die Gerechtigkeit und Heiligkeit Christi, durch welche wir allein gerecht und lebendig gemacht werden, die verabscheuest du aufs äußerst und verdammst sie als gottlos und teuflisch. Ferner zerstörst du durch deine Macht das Reich Christi, mißbrauchst sie, das Evangelium damit auszurotten, die Diener Christi zu verfolgen und zu töten nebst allen, die sie hören [usw.] Deshalb ist diese deine Weisheit, wenn du außer Christo bist, eine zwiefältige Torheit, deine Gerechtigkeit eine zwiefältige Sünde und Gottlosigkeit, weil sie die Weisheit und Gerechtigkeit Christi nicht kennt, und sie noch dazu verdunkelt, hindert, lästert und verfolgt.

95. Deshalb nennt Paulus die Welt mit Recht eine arge Welt, weil sie dann am ärgsten ist, wenn sie am besten ist. In den Geistlichen, Weisen und Gelehrten [usw.] ist die Welt am besten, jedoch in der Tat und Wahrheit zwiefältig böse. Ich will jetzt nichts sagen von den groben Vergehen wider die zweite Tafel, als da sind Ungehorsam gegen die Eltern, gegen die Obrigkeit [usw.], Ehebruch, Hurerei, Geiz, Diebstahl, Mord, Neid, bitterer Haß, in welchen die Welt ganz ersoffen ist. Doch sind dies nur geringe Sünden, wenn man sie vergleicht mit der Weisheit, Gerechtigkeit [usw.] der Gottlosen, mit welchen sie wider die erste Tafel streiten. Der weiße Teufel, welcher die Menschen zu geistlichen Sünden antreibt, die man für Gerechtigkeit in den Kauf nehmen soll, ist weit schädlicher als der schwarze Teufel, der nur zu fleischlichen Sünden treibt, welche auch die Welt für Sünden erkennt.

96. Mit diesen Worten nun: „Daß er uns errettete“ [usw.], zeigt Paulus, wovon dieser ganze Brief handele, daß nämlich die Gnade und Christus vonnöten sei, und daß keine Kreatur, weder Mensch noch Engel, den Menschen aus dieser argen Welt erretten könne. Denn das sind Werke allein der göttlichen Majestät, die nicht in der Gewalt eines Menschen oder eines Engels stehen, daß Christus die Sünde getilgt und uns aus der Tyrannei und Herrschaft des Teufels errettet hat, das heißt, aus der argen Welt, welche ein gehorsamer Sklave und williger Nachahmer ihres Gottes, des Teufels, ist.

Alles, was dieser Mörder und Vater der Lüge nur tut und redet, das ahmt sein überaus folgsamer Sohn, die Welt, aufs trefflichste nach und vollbringt es auch. Darum weiß sie auch gar nichts von Gott, steckt voll Haß, Lüge, Irrtum, Lästerung und Verachtung gegen Gott; sodann auch voll grober Sünden, Mord, Ehebruch, Hurerei, Diebstahl, Räuberei [usw.], weil sie ihrem Vater, dem Teufel, nachfolgt, der ein Lügner und Mörder ist [John. 8, 44].

Und je weiser, gerechter und heiliger die Leute sind außer Christo, desto mehr schaden sie dem Evangelio. So sind auch wir, die wir in geistlichem Stande waren, vor dem Lichte des Evangelii zwiefach arg und gottlos gewesen im Papsttum, doch unter dem Namen der Gottseligkeit und Heiligkeit.

97. Du mußt aber auch diese Worte Pauli ernstliche und wahre Worte sein lassen, sie nicht für geschminkte oder erdichtete halten, nämlich, daß die gegenwärtige Welt arg sei. Laß dich das nicht irre machen, daß die meisten Menschen viel herrlicher Tugenden haben, daß bei den Heuchlern eine so große scheinbare Heiligkeit ist [usw.], sondern gib vielmehr darauf Achtung, was Paulus sagt, aus dessen Worten du diesen Ausspruch wider die Welt ganz frei und aufs allergewisseste vorbringen kannst, daß die Welt mit aller ihrer Weisheit, Gerechtigkeit und Gewalt das Reich des Teufels sei, aus welchem allein Gott durch seinen eingebornen Sohn uns erretten kann.

98. Darum sollen wir Gott den Vater loben und ihm für diese unermeßliche Barmherzigkeit danken, daß er uns aus des Teufels Reiche, in welchem wir gefangen gehalten wurden, durch seinen Sohn befreit hat, da es unmöglich war, daß dies durch unsere Kräfte hätte geschehen können. Und zugleich wollen wir mit Paulo bekennen, daß alle unsere Werke und Gerechtigkeit nur Schade und Dreck seien, mit denen allen wir dem Teufel auch nicht ein Haar krümmen konnten.

99. Auch alle Kraft des freien Willens, alle pharisäische Weisheit und Gerechtigkeit, alle Orden, Messen, geistlichen Stände, Heiligendienst, Gelübde, Fasten, härene Hemden [usw.] treten wir mit Füssen und speien sie an als das abscheulichste unflätige Kleid und das verderblichste Gift des Teufels. Dagegen wollen wir die Ehre Christi klar ans Licht stellen und verherrlichen, der uns durch seinen Tod nicht bloß von der Welt, sondern von der argen Welt errettet hat.

100. Denn durch dieses Beiwort ( epitheto ), daß er die Welt eine arge nennt, zeigt Paulus an, daß das Reich der Welt oder des Teufels ein Reich sei der Gottlosigkeit, der Unwissenheit, des Irrtums, der Sünde, des Todes, der Lästerung, der Verzweiflung und der ewigen Verdammnis; dagegen ergibt sich aus dem Gegensatz ( per antithesen ), daß das Reich Christi sei ein Reich, in welchem es recht zugeht ( aequitatis ), ein Reich des Lichtes, der Gnade, der Vergebung der Sünden, des Friedens, des Trostes, der Seligkeit und des ewigen Lebens, in welches wir durch unserem Herrn Jesum Christum versetzt sind. Dem sei Ehre in Ewigkeit, Amen. Nach dem Willen Gottes und unseres Vaters.

101. Paulus ordnet alle seine Worte in solcher Weise und richtet sie so ein, daß sie wider sie falschen Apostel für den Artikel von der Rechtfertigung streiten. Christus, sagt er, hat uns aus diesem überaus argen Reiche des Teufels und der Welt errettet, und dies hat er getan nach dem Willen, nach dem Wohlgefallen und auf Befehl des Vaters. Daher sind wir nicht errettet durch unser Wollen oder Laufen, nicht durch unseren Rat oder Willen, sondern durch Gottes Barmherzigkeit und Wohlgefallen, wie auch anderswo geschrieben steht [1 Joh. 4, 9. 10.]: „Darin ist erschienen die Liebe Gottes gegen uns, nicht, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat, und seinen eingebornen Sohn gesandt hat zu einem Versöhner für unsere Sünden.“ Daß wir also errettet sind aus der argen Welt ist lauter Gnade, nicht unser Verdienst. Paulus ist so überreich und hitzig in der Verherrlichung der Gnade, daß er auch jedes einzelne Wort schärft und wider die falschen Apostel richtet.

102. Es ist noch eine andere Ursache, warum Paulus hier den Willen des Vaters erwähnt, welcher auch überall im Evangelio Johannis angezeigt wird, wo Christus, da er sein Amt rühmt, uns auf den Willen des Vaters verweist, daß wir in seinen Worten und Werken nicht sowohl ihn als den Vater ansehen sollen. Denn Christus ist in die Welt gekommen und hat die menschliche Natur an sich genommen, damit er das Opferlamm würde für die Sünden der ganzen Welt und uns so mit dem Vater versöhnte, und er allein uns offenbarte, daß dies aus gnädigem Willen des Vaters geschehen sei, auf daß wir so, die Augen auf Christum geheftet, gerades Weges zum Vater gezogen und geführt werden möchten.

103. Denn, wie ich oben [Paragraph 53 ff.] erinnert habe, man muß nicht denken, daß man durch Grübeln über die Majestät irgend etwas Heilsames von Gott wissen könne, es sei denn, man ergreife Christum, der nach dem Willen des Vaters sich selbst für unsere Sünden in den Tod gegeben hat.

Wenn du diesen Willen Gottes in Christo erkennst, so siehst du gar keinen Zorn mehr, es hört die Furcht und das Zittern [usw.] auf, und es ist kein anderer Gott zu gewahren, als allein der barmherzige Gott, der aus vorbedachtem Rat wollte, daß sein Sohn für uns sterben sollte, damit wir durch ihn leben möchten. Diese Erkenntnis macht das Herz fröhlich, daß es gewißlich dafürhält, Gott habe sich nicht vorgesetzt zu zürnen, sondern uns elenden Sünder so zu lieben, daß er seinen eingebornen Sohn für uns gab. Darum ist es nicht ohne Ursache, daß Paulus dies einschärft, Christus sei nach dem Willen des Vaters für unsere Sünden gegeben.

104. Dagegen die Grübeleien über die Majestät, über die erschrecklichen Gerichte Gottes, nämlich, wie er die ganze Welt durch die Sündflut verderbt, wie er Sodom zerstört habe [usw.], sind gefährlich und stürzen endlich die Menschen in Verzweiflung und völliges Verderben, wie ich oben [Paragraph 55] angezeigt habe. Gottes und unseres Vaters.

105. Das Wort „unseres“ ist auf beides zu beziehen, so daß die Meinung ist: Unseres Gottes und unseres Vaters. Derselbe ist also der Vater Christi und unser Vater. So sagt Christus auch Joh. 20, 17. zu Maria Magdalena: „Gehe hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“ Gott ist also unser Vater und unser Gott, aber durch Christum. Und dies ist eine apostolische und recht Paulinische Art zu reden, denn Paulus gebraucht zwar Worte, die keinen großen Schein haben, redet aber doch in der geeignetsten und gewaltigsten Weise.

Fußnoten

1) Hier haben wir mit der Jenaer und Erlanger recepit angenommen, statt recipit in der Wittenberger.

2) Die drei folgenden Paragraphen hat Aurifaber als Tischreden Luthers eingeführt (in Cap. 9, [Paragraphen] 7-9) mit den Worten: „Da einer fragte, wie man ihm doch mit den Sünden tun solle, . . . sprach D. Martin.“ In unserer Ausgabe der Tischreden sind diese drei Paragraphen weggelassen.

3) Das Folgende, ein sehr langer Abschnitt, von [Paragraph] 74 bis [Paragraph] 89 (ausgenommen allein [Paragraph] 80), ist von Aurifaber für die Tischreden verwendet worden; das in [Paragraph] 88 Enthaltene sogar zweimal. Es findet sich in den alten Tischreden Cap. 9, [Paragraphen] 10 und 11; Cap. 7, [Paragraph] 128; Cap. 24, [Paragraphen] 31 bis 35; Cap. 7, [Paragraphen] 129, 130 und (Duplikat in den Tischreden) Cap. 24, [Paragraph] 35. In unserer Ausgabe der Tischreden sind diese Stücke weggelassen.

4) Vergleiche St. Louiser Ausgabe, Bd. VIII, 285, [Paragraph] 50.

5) Das Wort duae (bezogen auf nostris , deshalb „zwei“) fehlt in der Wittenberger.

6) Wittenberger falsch: inermis statt in armis.

V. 5. Welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

106. Die Hebräer haben die Gewohnheit, in ihre Schriften Ausdrücke des Lobes und Dankes einzustreuen. Diese Gewohnheit beobachten auch die Apostel, welche ebenfalls Hebräer sind, wie man häufig bei Paulus sehen kann. Denn man muß den Namen des Herrn in höchsten Ehren halten und ihn nie ohne Lob und Dank nennen. Und diese Sitte ist eine Art Erweisung von Ehrerbietung und Verehrung, wie wir es auch im weltlichen Regiment zu tun pflegen, wo wir, wenn wir die Namen der Könige oder Fürsten nennen, dieses mit einer ehrerbietigen Gebärde, Neigen des Hauptes ( reverentia ) und Beugen der Knie begleiten. Viel mehr müssen wir, wenn wir von Gott reden, die Knie des Herzens beugen und den Namen Gottes mit Dankbarkeit und höchster Ehrerbietung nennen.

V. 6. Mich Wundert.

107. Hier siehst du die Kunst und die Feinheit des Paulus, wie er mit seinen gefallenen Galatern umzugehen weiß, welche durch die falschen Apostel verführt waren. Er greift sie nicht mit heftigen und harten Worten an, sondern redet Wahrheit väterlich zu ihnen, indem er ihren Fall nicht allein geduldig trägt, sondern such beinahe entschuldigt. Sodann umfaßt er sie auch mit mütterlicher Liebe und redet sie ganz zärtlich an, doch so, daß er sie zugleich auch straft, aber mit sehr gewählten und dieser Sache klüglich angepaßten Worten. Dagegen entbrennt er heftig und ist voll Entrüstung wider die falschen Apostel, ihre Verführer, auf welche er die ganze Schuld schiebt. Daher fährt er gleich im Anfange der Epistel mit lauter Donnerschlägen und Blitzen wider sie heraus, indem er sagt [V.9]: „So jemand euch Evangelium predigt“ [usw.] „der sei verflucht.“ Und weiter unten, Cap. 5, 10., droht er ihnen mit dem Gerichte: „wer euch irre macht, der wird sein Urteil tragen, er sei, wer er wolle.“ Überdies flucht er ihnen [Cap. 5, 12.] mit sehr erschrecklichen Worten: „Wollte Gott, daß sie auch ausgerottet würden, die euch verstören.“ Das sind fürwahr greuliche Blitze wider die Gerechtigkeit des Fleisches oder des Gesetzes.

108. Er hätte auch die Galater selbst ein wenig unfreundlicher behandeln können und sie härter anfahren, auf diese Weise: O, welch ein schändlicher Abfall! Ich schäme mich eurer. Eure Undankbarkeit tut mir wehe, ich muß euch zürnen! Oder er hätte auch wie es in Tragödien zu geschehen pflegt, ausrufen können: O schreckliche Zeiten! o greuliche Sitten! [usw.] ( O saecula, o mores! ) Aber weil er damit umgeht, die Gefallenen wieder aufzurichten und sie aus ihrem Irrtum wieder zum reinen Evangelium zurückzubringen, handelt er mit ihnen, wie ein Vater mit seinen Kindern, enthält sich solcher allzugroßen Härte, besonders im Eingange, und redet sie mit den zärtlichsten und sanftesten Worten an. Denn da er die Verwundeten heilen wollte, wäre es nicht zuträglich gewesen, wenn er durch Anwendung eines ungeeigneten Heilmittels die neugeschlagene Wunde nur noch schlimmer gemacht und so die Verwundeten mehr verletzt als geheilt hätte. Deshalb hätte er aus den sanften Worten kein passenderes wählen können als: „Mich wundert“, durch welches er ausdrückt, es tue ihm leid, und doch mißfalle es ihm, daß sie von ihm abgefallen wären.

109. Und hier ist Paulus der Vorschrift eingedenk, welche er nachher im sechsten Capitel, V. 1., gibt, da er sagt: „Lieben Brüder, so ein Mensch etwa von einem Fehl übereilt würde, so helfet ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist, die ihr geistlich seid.“ Dieses Exempel sollen auch wir nachahmen, daß wir gegen arme und verführte Jünger so gesinnt seien wie Eltern gegen ihre Kinder, damit sie unseren väterlichen Eifer und unsere mütterliche Zuneigung zu ihnen erkennen, und sehen, daß wir nicht ihr Verderben, sondern ihre Seligkeit suchen. Aber gegen den Teufel und seine Diener, die Urheber der Verführung und der Rotten, sollen wir nach dem Beispiel des Apostels keine Geduld üben, stolz, herbe und unversöhnlich sein, und ihre Täuscherei und Trügerei aufs schärfste durchziehen, verwünschen und verdammen. So pflegen auch Eltern, wenn ihr Kind von einem Hunde gebissen worden ist, nur den Hund zu verfolgen, das weinende Kind aber liebkosen sie und trösten es mit den süßesten Worten.

110. Darum ist in Paulus ein Geist, der es wunderbar gut versteht, die gefallenen und betrübten Gewissen recht zu behandeln. Dagegen fährt der Papst in tyrannischer Weise hindurch, weil er von dem Geiste der Bosheit getrieben wird, schleudert nur Blitze und Flüche wider die Elenden und Erschreckten, wir man aus seinen Bullen sehen kann, besonders aus der am Gründonnerstage ( coenae ). Und die Bischöfe richten ihr Amt auch nicht besser aus, sie lehren das Evangelium nicht, sie bekümmern sich nicht um das Heil der Seelen, sondern trachten nur nach Herrschaft. Darum reden und tun sie alles auch nur in solche Weise, daß sie diese Herrschaft befestigen und unverletzt erhalten. Ebenso sind auch alle Lehrer gesinnt, die nach eitler Ehre trachten [usw.]

Daß ihr euch so bald.

111. Du siehst, daß Paulus selbst darüber klagt, wie leicht ein Fall im Glauben geschieht. Daher ermahnt er die Christen anderswo [1 Kor. 10, 12.]: „Wer steht, der sehe wohl zu, daß er nicht falle.“ Auch wir erfahren täglich, wie schwer es hält, daß das Herz einen festen Glauben erlange und behalte; desgleichen, mit die großer Schwierigkeit dem Herrn ein bereites Volk zugerichtet werde [Luk. 1, 17.]. Man muß wohl zehn Jahre arbeiten, ehe ein Gemeindlein recht und christlich geordnet zugerichtet wird, und wenn es zugerichtet ist, schleicht sich irgend ein Schwärmer ein, und zwar ein Dummkopf, der nichts versteht als schmähen wider diejenigen, welche das Wort lauter und rein lehren; ein solcher stößt in einem Augenblick alles um. Wer sollte nicht heftig entrüstet erden über diese Unbilde?

112. Wir haben, durch Gottes Gnade, hier in Wittenberg eine christliche Gemeinde in rechter Gestalt zugerichtet; das Wort wird rein bei uns gelehrt, die Sacramente stehen in rechtem Brauch, Ermahnungen gehen im Schwange, es geschehen auch Gebete für alle Stände, kurz, alles ist in bestem Gedeihen. Diesen ganz glücklichen Lauf des Evangelii könnte irgend ein schwärmerischer Mensch gar bald hindern, und er möchte in einem Augenblick das umstoßen, was wir in vielen Jahren mit großer Arbeit aufgebaut haben.

113. So ist es Paulus, dem auserwählten Rüstzeug Christi, ergangen. Er hatte die Gemeinden in Galatien mit großer Sorge und Arbeit zugerichtet; diese verkehrten die falschen Apostel nach seinem Weggange in kurzer Zeit. Das wird durch diese seine gegenwärtige Epistel bezeugt, auch durch andere [usw.] So schwach und elend geht es in diesem Leben zu, und so gar wandeln wir mitten unter den Stricken des Satans, daß ein einziger Schwarmgeist in so kurzer Zeit das zerstören und von Grund aus umstürzen kann, was viele rechte Prediger in einer Reihe von Jahren durch mühselige Arbeit bei Tag und bei Nacht aufgebaut haben. Dies lernen wir auch heutzutage aus der Erfahrung zu unserem großen Herzeleid, können aber diesem Übel dennoch nicht abhelfen.

114. Weil nun die Kirche etwas so Weiches und Zartes ist und sie so leicht verkehrt wird, so muß man wohl auf seiner Hut sein wider diese Schwarmgeister, welche sich, wenn die nur einige Predigten gehört, oder einige Seiten in der heiligen Schrift gelesen haben, alsbald zu Meistern über alle aufwerfen, über Schüler und Lehrer, wider alle, die im Amte stehen ( contra omnium autoritatem ). Solcher Leute kannst du heutzutage eine ganze Anzahl auch unter den Handwerkern finden, dummdreiste Leute, welche, durch keine Anfechtungen geprüft, nie gelernt haben, Gott zu fürchten, nie die Gnade auch nur im allergeringsten geschmeckt haben.

115. Weil sie ohne den Geist [Gottes] sind, so lehren sie, was ihnen gefällt, und was dem Pöbel leicht eingeht. Da fällt ihnen dann der unterfahrene Pöbel sofort zu, der begierig ist, Neues zu hören. Ja, auch viele, welche sich dünken lassen, daß sie die Lehre des Glaubens wohl gefaßt haben, und durch Anfechtungen etlichermassen versucht sind, werden von ihnen verführt.

116. Da uns nun Paulus hier aus seiner eigenen Erfahrung lehrt, daß die Gemeinden, welche mit überaus großer Arbeit zugerichtet worden sind, leicht und bald verkehrt werden, so müssen wir mit der größten Sorgfalt wachen wider den Teufel, der umhergeht, damit er nicht komme, während wir schlafen, und Unkraut unter den Weizen säe. Es droht der christlichen Herde Gefahr vom Satan, wenn auch die Hirten noch so wachsam und wacker sind. Denn Paulus hatte, wie ich [Paragraph 113] gesagt habe, mit der größten Mühe und Treue die Gemeinden in Galatien gepflanzt, und kaum hatte er (wie man sagt) den Fuß vor das Tor gesetzt, so verkehrten dennoch die falschen Apostel etliche derselben, deren Fall später eine so ungeheuer große Verwüstung in den Gemeinden der Galater nach sich zog. Dieser plötzliche und so große Schade ist dem lieben Apostel ohne Zweifel bitterer gewesen als der Tod. Darum wollen wir mit allem Fließe wachen, erstlich, ein jeglicher für sich selbst, darnach auch die Lehrer, nicht allein für sich, sondern auch für die ganze Kirche, damit wir nicht in Versuchung fallen.

Abwenden lasset.

117. Wiederum gebraucht er, nicht ein hartes, sondern ein sanftes Wort. Er sagt nicht: Ich wundere mich, daß ihr so bald abgefallen seid, daß ihr so ungehorsam, leichtfertig, unbeständig, undankbar seid, sondern, daß ihr euch so bald „abwenden lasset“, als ob er sagen wollte: Ihr seid nur leidend, ihr habt nicht Schaden getan, sondern Schaden erlitten. Um nun die Gefallenen wieder zu gewinnen, klagt er vielmehr die Abwender als die Abgewendeten an. Doch zugleich straft er sie, wiewohl mit großer Bescheidenheit, da er darüber klagt, daß sie abgewendet seien, als ob er sagen wollte: Wiewohl ich euch herzlich lieb habe, wie ein Vater seine Kinder, und weiß, daß ihr nicht durch eure Schuld, sondern durch die Schuld der falschen Apostel gefallen seid, so hätte ich dennoch wünschen mögen, daß ihr in der rechten Lehre etwas mehr Festigkeit gezeigt hättet. Ihr habt das Wort nicht genugsam ergriffen, ihr seid nicht fest genug gegründet. Deshalb laßt ihr euch durch ein leises Lüftlein und durch einen geringen Wind so bald abwenden.

118. Hieronymus ist der Meinung, daß Paulus das Wort „Galater“ habe übersetzen wollen durch die Anspielung auf das hebräische Wort [nlh], er ist abgewandt, als ob er sagen wollte: Ihr seid dem Namen und der Tat nach rechte Galater, das heißt: Abgewandte.

119. Etliche halten dafür, daß wir Deutschen von den Galatern abstammen, und diese Vermutung ist vielleicht nicht ohne Grund. Denn wir Deutschen haben einen Charakter, welcher dem der Galater nicht sehr unähnlich ist, und ich muß sagen, ich wünsche, daß unsere Landsleute etwas mehr Festigkeit und Beständigkeit hätten. Denn in allen Dingen sind wir im ersten Anfange überaus hitzig. Aber sobald die Hitze der ersten Aufregung verflogen ist, werden wir bald allzu lässig, und mit derselben Hast ( temeritate ), mit welcher wir die Sachen anfangen, werfen wir sie wieder von uns und lassen sie anstehen. Zuerst, als nach der so großen Finsternis der menschlichen Satzungen das Licht des Evangelii aufging, befleißigten sich viele eines christlichen Wandels, hörten mit großer Begierde die Predigten, und hielten die Diener des Wortes in Ehren. Jetzt aber, da das Wort so guten Fortgang gehabt hat, und die christliche Lehre so wohl gereinigt worden ist, werden viele aus Schülern [des Wortes] Verächter und Feinde, welche nicht allein das Studieren des Wortes vernachlässigen, sondern auch alle anderen guten Künste und Wissenschaften hassen, und gänzlich Säue und Bauchdiener werden, die wohl würdig sind, daß man sie den „unverständigen“ Galatern [Gal. 3, 1. 3.] vergleiche.

Von dem, der euch berufen hat in die Gnade Christi.

120. Diese Stelle ist etwas zweideutig, denn sie kann auf zweierlei Weise konstruiert werden; erstens: Von dem Christo, welcher euch zur Gnade berufen hat; zweitens: Von dem, nämlich von Gotte, der euch zu der Gnade Christi berufen hat. Ich nehme die erstere Fassung an. Denn das gefällt mir wohl, daß Paulus, wie er kurz vorher von Christo ausgesagt hat, daß er der Erlöser sei, der uns durch seinen Tod von dieser argen Welt frei macht, desgleichen, daß er uns gleicher Weise wie Gott der Vater Gnade und Frieden gebe, so auch hier ihm beilege, daß er uns zur Gnade berufe. Denn damit geht Paulus vor allen Dingen um, daß er uns die Wohltat Christi fest einpräge, durch welche wir zum Vater kommen.

121. Es ist auch in diesen Worten: „Von Christo, der euch in die Gnade berufen hat“, ein Nachdruck und ein Gegensatz, als ob er sagen wollte: Ach wie leicht lasset ihr euch von Christo reißen und abwenden, der euch berufen hat, nicht zum Gesetze, Werken, Sünde, Zorn, Verdammnis, wie Moses, sondern zu lauter Gnade.

122. So klagen auch wir heutzutage mit Paulus, daß die Blindheit und Verkehrtheit der Menschen ganz erschrecklich sei, daß niemand die Lehre von der Gnade und Seligkeit aufnehmen will, oder, wenn auch etliche wenige sie aufnehmen sie doch bald wiederum von derselben abfallen, obgleich sie doch alle Güter mit sich bringt, geistliche und leibliche, nämlich Vergebung der Sünden, wahre Gerechtigkeit, Frieden des Herzens und ewiges Leben. Sodann bringt sie uns Licht und gibt uns ein gewisses Urteil über alle Lehre und jeglichen Stand, billigt und bestätigt das Weltregiment, das Hauswesen und alle Stände, die Gott gestiftet und geordnet hat. Sie zerstört die Lehren, welche zu Irrtum, Aufruhr und Verwirrung [usw.] Anlaß geben, nimmt den Schrecken der Sünde und des Todes hinweg, kurz, sie deckt alle listigen Anschläge und Werke des Teufels auf, und offenbart Gottes Wohltat und Liebe gegen uns in Christo. Was, o Jammer! ist das für ein Raserei, daß die Welt dieses Wort, dieses Evangelium des ewigen Trostes, der Gnade, der Seligkeit und des ewigen Lebens so bitter haßt, mit so teuflischer Wut lästert und verfolgt!

123. Paulus nennt oben die gegenwärtige Welt eine arge, daß heißt, das Reich des Teufels; sonst würde sie die Wohltat und die Barmherzigkeit Gottes erkennen. Aber weil sie unter der Gewalt des Teufels ist, darum verachtet und verfolgt sie dieselben ganz sicher und feindselig, denn sie liebt die Finsternis, Irrtum und des Teufels Reich mehr als das Licht, die Wahrheit und das reich Christi. Und dies tut sie nicht aus Unwissenheit oder Irrtum, sondern aus teuflischer Bosheit. Das kommt dadurch ganz klar an den Tag, daß Christus, Gottes Sohn, damit, daß er sich selbst für die Sünde aller Menschen in den Tod gegeben hat, bei der verkehrten und gottlosen Welt nicht Anders verdienen kann, als daß sie ihn für diese unermeßliche Wohltat lästert. sein heilsames Wort verfolgt und ihn gerne noch einmal ans Kreuz schlagen würde, wenn sie es nur könnte. Darum wandelt die Welt nicht allein in Finsternis, sondern ist auch selbst die Finsternis, wie John. 1, 5. geschrieben steht.

124. Darum macht Paulus diese Worte groß: „Von Christo, der euch berufen hat“ [usw.], und dringt verdeckter Weise auf den Gegensatz ( antithesin ) derselben, als ob er sagte: Meine Predigt ist nicht von den harten Gesetzen Mosis gewesen, und ich habe euch auch nicht gelehrt, daß ihr Knechte sein solltet unter dem Joche; sondern lauter Gnade und Freiheit von dem Gesetze, der Sünde [usw.] habe ich euch gepredigt, nämlich, daß Christus euch barmherziglich in die Gnade berufen hat, damit ihr Kinder wäret unter Christo, nicht Knechte unter Mose, dessen Jünger ihr nun wiederum geworden seid auf Anstiften eurer falschen Apostel, die durch das Gesetz Mosis nicht zur Gnade rufen, sondern zum Zorn und Haß gegen Gott, zu Sünde und Tod. Aber Christi Ruf ist ein Ruf zu Gnade und Seligkeit. Denn die durch ihn Berufenen erlangen für das traurige Gesetz das fröhliche Evangelium, werden aus dem Zorn in die Gnade versetzt, aus der Sünde in die Gerechtigkeit, aus dem Tode in das Leben. Und ihr laßt euch von einer solchen lebendigen Quelle, die da sprudelt und überfließt von Gnade und Leben, wieder anderswohin reißen, und zwar so schnell und so leicht? Wenn aber Moses durch Gottes Gesetz zu Gottes Zorn und Sünde beruft, wozu wird uns dann wohl der Papst berufen mit seinen Menschensatzungen? — Der andere Verstand, daß der Vater zu der Gnade Christi veruft, ist auch gut, aber der erstere von Christo ist lieblicher und geeigneter, betrübte Gewissen zu trösten.

Auf ein anderes Evangelium.

125. Hier sollen wir die schlauen Kunstgriffe und listigen Anschläge des Teufels ansehen lernen. Kein Ketzer kommt unter dem Namen des Irrtums und des Teufels, und auch der Teufel selbst kommt nicht als Teufel, besonders der weiße Teufel. Ja, auch der schwarze Teufel macht, wenn er zu öffentlichen Schandtaten antreibt, dem Menschen eine Decke, daß er die Sünde, welche er begehen will, oder begeht, verkleinere. Ein Mörder in seiner Wut sieht nicht, daß Mord eine so große und erschreckliche Sünde sei, wie er in Wahrheit ist, denn er hat die Decke. Ehebrecher, Diebe, Geizhälse, Trunkenbolde [usw.] haben ihre Beschönigungen und Decken. So hat auch der schwarze Satan in allen seinen Werken und Anschlägen eine Maske vor und ist geschminkt.

126. Aber in geistlichen Dingen, wo nicht der schwarze, sondern der weiße Satan auftritt, und sich ausgibt für einen Engel und Gott, da übertrifft er sich selbst in der schauesten Verstellung, in den wunderbarsten Kunstgriffen, die er anwendet, um zu betrügen, und pflegt sein allerschädlichstes Gift für Lehre von der Gnade, für Gottes Wort, für das Evangelium Christi zu verkaufen. Deshalb nennt Paulus die Lehre der falschen Apostel, der Diener des Teufels, auch ein Evangelium, indem er sagt: „Auf ein anderes Evangelium“, aber ironisch, als ob er sagen wollte: Ihr Galater habt nun andere Evangelium, ihr habt ein anderes Evangelium, das meinige ist jetzt bei euch verachtet, gilt nichts mehr.

127. Hieraus kann leicht erkannt werden, daß die falschen Apostel das Evangelium des Paulus bei den Galatern verdammt haben, indem die sagten: Paulus hat zwar gut angefangen, aber es ist nicht genug, daß man gut angefangen habe, denn es sind noch höhere Dinge übrig [die auch gepredigt werden müssen]; wie sie Apg. 15, 1. sagen: Es ist nicht genug, daß man an Christum glaube, es ist nicht genug, daß man getauft sei, sondern ihr müßt euch auch beschneiden lassen; denn „wo ihr euch nicht beschneiden lasset nach der Weise Mosis, so könnt ihr nicht selig werden“. Das ist aber soviel gesagt: Christus ist ein guter Zimmermann, der den Bau zwar angefangen, aber nicht fertig gemacht hat, denn das muß Moses tun.

128. So sagen heutzutage die Rottengeister, Widertäufer und andere, auch, da sie uns nicht rund heraus verdammen können: Die Lutheraner haben den Geist der Furcht; sie wagen es nicht, die Wahrheit frei heraus zu bekennen und hindurchzureißen. Sie haben zwar den Grund gelegt, das heißt, sie haben den Glauben an Christum wohl gelehrt; aber Anfang, Mittel und Ende müssen mit einander verbunden werden. Dies zu tun ist ihnen von Gott nicht gegeben, sondern uns. So verherrlichen die verkehrten und teuflischen Menschen ihre gottlosen Predigten und nennen sie Gottes Wort und betrügen dadurch viele Leute unter Gottes Namen. Denn der Teufel will in seinen Dienern nicht häßlich und schwarz sein, sondern rein und weiß, und, um so zu erscheinen, legt er alle seine Worte und Werke in der Weise vor, daß er sie schmückt mit dem Titel ( praetextu ) der Wahrheit und dem Namen Gottes. Daher ist bei uns Deutsch das wohlbekannte Sprichwort entstanden: In Gottes Namen hebt sich alles Unglück an.

129. Deshalb laßt uns lernen, daß dies der rechte Kunstgriff des Teufels ist, daß er, wenn er durch Verfolgen und Zerstören nicht Schaden tun kann, dies durch Bessermachen und Bauen ausrichtet. So verfolgt er uns heutzutage mit Gewalt und Schwert, um wenn er uns vertilgt hat, das Evangelium nicht allein zu verfinstern, sondern ganz auszurotten. Aber bis jetzt hat er nichts ausgerichtet, denn er hat viele getötet, welche standhaft bekannt haben, daß diese unsere Lehre heilig und göttlich sei. Durch das Blut dieser [Märtyrer] ist aber die Kirche nicht zerstört, sondern befruchtet ( rigata ). Da er nun auf diese Weise nichts erreicht hat, so stiftet der böse Geist gottlose Lehrer an, welche zuerst unsere Lehre gutheißen und sie einhellig mit uns lehren, nachher aber sagen: es sei unser Beruf, die ersten Clemente der christlichen Lehre vorzutragen, aber ihnen seien von Gott die rechten Geheimnisse der Schrift offenbart und sie seien dazu berufen, diese der Welt kund zu tun.

130. Auf diese Weise verhindert der Satan den Lauf des Evangelii zur Rechten und zur Linken. Doch zur Rechten tut er, wie gesagt, viel mehr Schaden durch Bauen und Bessermachen als zur Linken durch Verfolgen und Töten. Deshalb müssen wir ohne Unterlaß beten, lesen und an Christo und seinen Worten hangen, um die listigen Anschläge des Teufels zu überwinden, mit denen er uns zur Rechten und zur Linken angreift. „Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen“ [usw.] Eph. 6,12.

V. 7. So doch kein anderes ist, ohne daß etliche sind, die euch verwirren.

131. Wiederum entschuldigt er die Galater und nimmt die falschen Apostel aufs schärfste her, als ob er sagen wollte: Ihr Galater, man hat euch beredet, das Evangelium, welches ihr von mir empfangen habt, sei nicht das wahre und echte Evangelium. Darum laßt ihr euch dünken, ihr tätet wohl daran, daß ihr das Neue, was die falschen Apostel predigen, annehmet, welches besser sein soll als mein Evangelium. Diesen Fehltritt lege ich nicht sowohl euch zur Last als jenen Störenfrieden, welche eure Gewissen verwirren und euch aus meiner Hand reißen.

132. Hier siehst du wiederum, wie hitzig und heftig der Apostel wider jene Verführer ist, und wie 1) er sie mit den härtesten Worten durchhechelt, indem er sie Verstörer der Gemeinden und Verwirrer der Gewissen nennt, welche nichts anderes tun, als daß sie unzählige Gewissen verführen, verwirren und entsetzlichen Schaden anrichten in der Kirche. Diesen großen Jammer müssen auch wir heutzutage mit schwerem Herzeleid sehen, und können ihm doch ebensowenig abhelfen, als es damals Paulus vermochte.

133. Diese Stelle gibt Zeugnis dafür, daß die falschen Apostel ohne Zweifel von Paulus gesagt haben, er sei nicht ein vollkommener Apostel, desgleichen, er sei ein schwacher Prediger, der noch im Irrtum stecke. Deshalb nennt er sie hier wiederum Verstörer der Gemeinden und Verkehrer des Evangeliums Christi. So verdammten sie sich gegenseitig; die falschen Apostel den Paulus, und Paulus wiederum die falschen Apostel.

134. Solcher Streit und solch Verdammen hat zu allen Zeiten in der Kirche statt, besonders, wenn die Lehre des Evangelii in rechter Blüte steht, nämlich, daß die gottlosen Lehrer die gottseligen verfolgen, verdammen und unterdrücken, und dagegen gottseligen die gottlosen verdammen. Die Papisten und die Schwarmgeister hassen uns heutzutage aufs äußerste und verdammen unsere Lehre als gottlos und irrig; sodann stehen sie uns auch nach Gut und Leben. Wir hassen wiederum ihre gottlose und lästerliche Lehre von ganzem Herzen ( perfecto odio ) 2) und verdammen dieselbe. Inzwischen bleibt das arme Volk ungewiß und schwankt und zweifelt, wohin es sich wenden soll, wem es sicher folgen könne; denn nicht einem jeglichen ist es gegeben, über so große Sachen in christlicher Weise zu richten.

135. Aber am Ausgang wird sich zeigen, wer von beiden recht lehre und den anderen mit Recht verdamme. Es ist gewiß, daß wir niemand verfolgen, niemand unterdrücken oder töten. Auch verwirrt unsere Lehre die Gewissen nicht, sondern befreit sie aus unzähligen Irrtümern und Stricken des Teufels. Dafür haben wir das Zeugnis vieler frommen Leute, welche Gott dafür danken, daß sie aus unsere Lehre einen festen Trost des Gewissens geschöpft haben. Wie es nun damals nicht des Paulus Schuld war, daß die Gemeinden verwirrt wurden, sondern der falschen Apostel, so ist es auch heutzutage nicht unsere Schuld, sondern der Widertäufer, Sacramentirer und anderer Schwarmgeister, daß in der Kirche so viele und so große Beunruhigungen entstehen.

136. Hier beachte wohl, daß jeder, der Werke lehrt, und daß man aus dem Gesetze Gerechtigkeit erlange, die Gemeinden und die Gewissen verwirrt. Wer hätte aber jemals geglaubt, daß der Papst, Cardinaele, Bischöfe, Mönche und ihre ganze Satansschule, besonders die Stifter der heiligen Orden (deren etliche Gott wunderbarer Weise hat selig machen können) solche Leute wären, welche die Gewissen verwirrten? Ja, sie sind sogar schlechter als die falschen Apostel. Denn diese lehrten, daß außer dem Glauben an Christum auch die Werke des göttlichen Gesetzes zur Seligkeit notwendig wären. Jene aber haben den Glauben ganz weggelassen und nur menschliche Satzungen und Werke gelehrt, die Gott nicht geboten hat, sondern von ihnen selbst ohne und wider Gottes Wort erdacht worden sind; und diese haben sie dem Worte Gottes nicht allein gleich gemacht, sondern auch weit darüber erhoben. Aber je größeren Schein der Heiligkeit die Ketzer haben, desto mehr schaden sie. Denn wenn die falschen Apostel nicht treffliche Gaben, großes Ansehen und schönen Schein der Heiligkeit gehabt und sich für Diener Christi, Jünger der Apostel und rechtschaffene Prediger des Evangelii ausgegeben hätten, so hätten sie das Ansehen des Paulus nicht so leicht vernichten und die Galater in solcher Weise verführen können.

137. Er greift sie aber darum so heftig an, und nennt sie Leute, welche die Gemeinden verwirren, weil sie lehrten, daß neben dem Glauben an Christum auch die Beschneidung und die Beobachtung des Gesetzes notwendig sei zur Seligkeit. Dies bezeugt Paulus selbst nachher im 5. Capitel [V. 1. 2.], und Lucas in der Apostelgeschichte, Cap. 15, 1., mit diesen Worten: „daß etliche herabkamen von Judäa und lehrten die Brüder: Wo ihr euch nicht beschneiden lasset nach der Weise Mosis, so könnt ihr nicht selig werden“. Deshalb drangen die falschen Apostel mit großer Heftigkeit und Hartnäckigkeit auf das Halten des Gesetzes. 3) Diesen gesellten sich alsbald hartnäckige Juden zu, welche fest darauf bestanden, daß man das Gesetz halten müsse, und darnach diejenigen, welche nicht wohl im Glauben befestigt waren, leicht beredeten, Paulus sei nicht ein rechtschaffener Lehrer, weil er das Gesetz vernachlässige. Denn es schien ihnen ganz unleidlich zu sein, das Gesetz Gottes gänzlich aufgehoben werden sollte, und daß die Juden, welche bisher Gottes Volk gewesen waren, und denen die Verheißungen Gottes geschehen waren, verworfen werden sollten. Darnach schien es ihnen noch unleidlicher zu sein, daß die Heiden, die gottlosen Götzendiener, ohne Beschneidung, ohne Werke des Gesetzes, allein, aus Gnaden und durch den Glauben an Christum zu dieser Herrlichkeit und Würde kommen sollten, daß sie Gottes Volk wären [usw.]

138. Diese Dinge haben die falschen Apostel aufs bitterste hoch ausgenutzt, um den Paulus bei den Galatern verhaßt zu machen; und um ihre Herzen noch mehr wider ihn zu erbittern, sagten sie, er predige, wider das Gesetz Gottes, wider das Herkommen des ganzen jüdischen Volkes, wider das Exempel der Apostel, ja, wider sein eigenes Verhalten ( exemplum ), den Heiden die Freiheit vom Gesetze, wodurch er das göttliche Gesetz und das ganze jüdische Reich in Verachtung bringe und zu nichte mache. Darum müsse man ihn meiden als einen öffentlichen Lästerer wider Gott und einen Aufrührer wider das ganze jüdische Regiment; sie aber müsse man hören, weil sie ja außer dem, daß sie das Evangelium recht lehrten, auch noch Jünger der Apostel wären, mit denen Paulus nie Umgang gehabt hätte. In so listiger Weise verunglimpften sie den Paulus bei den Galatern und brachten es dahin, daß die Galater von ihm abfielen. Damit nun die Wahrheit des Evangeliums bei den Galatern erhalten würde, mußte er sich aus allen Kräften wider die falschen Apostel setzen. Er nennt sie, indem er sie mit der größten Zuversicht verdammt, Verwirrer der Gemeinden und Verstörer des Evangeliums Christi, wie folgt:

Und wollen das Evangelium Christi verkehren.

139. Das heißt, sie unterstehen sich, nicht allein euch zu verwirren, sondern auch das Evangelium Christi von Grund aus zu vertilgen und zu verkehren. Denn mit diesen beiden Stücken hat der Satan zu schaffen. Erstlich ist er damit nicht zufrieden, daß er durch seine gottlosen Apostel viele verwirrt und verführt, sondern darnach sucht er durch sie auch das Evangelium ganz und gar umzukehren und wegzunehmen, und ruht nicht, bis daß er es ausgerichtet hat. Jedoch können solche Verstörer des Evangelii nichts weniger hören, als daß sie Apostel des Teufels seien, ja, sie rühmen sich vor anderen des Namens Christi und prahlen, daß sie die reinsten Verkündigter des Evangelii seien.

140. Aber weil sie das Gesetz mit dem Evangelio vermengen, so müssen sie Verstörer des Evangelii sein. Denn entweder Christus wird bleiben und das Gesetz fallen, oder das Gesetz wird bleiben und Christus fallen. Denn Christus und das Gesetz können auf keine Weise mit einander stimmen, und nicht zugleich im Gewissen herrschen. Wo die Gerechtigkeit des Gesetzes herrscht, da kann die Gerechtigkeit der Gnade nicht herrschen, und wiederum, wo die Gerechtigkeit der Gnade herrscht, da kann die Gerechtigkeit des Gesetzes nicht herrschen. Eines muß dem anderen weichen. Wenn du aber nicht glauben kannst, daß Gott um Christi willen, den er dazu in die Welt gesandt hat, daß er unser Hoherpriester sei, die Sünden ergeben wolle, Lieber, wie könntest du glauben, daß er um der Werke des Gesetzes willen, die du nie getan hast, die Sünden vergeben wolle, oder um deiner Werke willen, von denen du doch bekennen mußt, sie seien derartig, daß du sie dem Gerichte Gottes unmöglich entgegen halten könnest? Deshalb kann die Lehre von der Gnade auf keine Weise mit der Lehre des Gesetzes bestehen. Diese muß geradezu verneint und abgetan werden, jene aber muß aufgerichtet werden.

141. Aber gleichwie die Juden einen Abscheu hatten vor der Lehre vom Glauben und von der Gnade, so haben auch wir davor einen Abscheu. Ich möchte gerne zugleich die Gerechtigkeit der Gnade festhalten, die da rechtfertigt, und auch die andere des Gesetzes, um derentwillen Gott mich ansehen sollte. Aber wenn man diese mit jener vermengen will, so heißt das, wie Paulus hier sagt, das Evangelium Christi verkehren. Und dennoch, wenn es zum Streit kommt, so behält der größere Hause den Sieg über die, welche recht haben. Denn Christus mit den Seinen ist schwach, auch ist das Evangelium eine törichte Predigt. Dagegen das Reich der Welt und ihr Fürst, der Teufel, ist stark, ja, die Klugheit und die Gerechtigkeit des Fleisches hat einen vortrefflichen Schein. Und so verliert man die Gerechtigkeit der Gnade und des Glaubens und die andere, die Gerechtigkeit des Gesetzes und der Werke, wird aufgerichtet und verteidigt. Aber das ist unter Trost, daß der Teufel mit seinen Gliedern nicht ausrichten kann, was er will. Er kann viele Menschen verwirren, aber das Evangelium Christi kann er nicht umstoßen. Die Wahrheit kann zwar in Gefahr kommen, aber untergehen kann sie nicht. Sie wird zwar bestürmt, aber nicht erstürmt, denn Gottes Wort bleibt in Ewigkeit.

142. Es scheint aber eine geringe Sache zu sein, daß das Evangelium und das Gesetz, der Glaube und die Werke vermengt werden, aber das tut mehr Schaden, als die menschliche Vernunft begreifen kann. Denn dies verdunkelt nicht allein die Erkenntnis der Gnade, sondern nimmt Christum mit allen seinen Wohltaten hinweg, und verkehrt, wie Paulus hier sagt, das ganze Evangelium. Die Ursache dieses so großen Übels ist aber unser Fleisch, welches, in Sünden versenkt, keine andere Weise sieht, sich daraus zu befreien, als durch Werke. Darum will der natürliche Mensch ( caro ) in der Gerechtigkeit des Gesetzes leben und sich zuversichtlich auf seine Werke verlassen. Er weis daher durchaus nichts von der Lehre des Glaubens und der Gnade, ohne welche es doch unmöglich ist, ein ruhiges Gewissen zu erlangen.

143. Aus diesen Worten Pauli: „Und wollen das Evangelium Christi verkehren“, sieht man auch klar, daß die falschen Apostel sehr freche und unverschämte Menschen gewesen sind, welche sich mit solcher Heftigkeit wider Paulus setzen. Darum tritt auch er wiederum ihnen aufs tapferste entgegen im Vertrauen auf seinen Geist und in voller Gewißheit des Glaubens ( plerophoria ), und erhebt wider sie gewaltiglich ( mirum in modum ) sein Amt, indem er spricht:

Fußnoten

1) Wittenberger: quamquam statt quamque .

2) In der Wittenberger: profecto statt perfecto .

3) Wittenberger: “ Legem servandam esse. „ Die beiden letzten Worte fehlen in der Jenaer und in der Erlanger.

V. 8. Aber so auch wir, oder ein Engel vom Himmel euch würde Evangelium predigen anders, denn das wir euch gepredigt haben, der sei verflucht!

144. Paulus redet hier lauter Flammen und ist so heftig entbrannt, daß er anfängt, selbst den Engeln gleichsam zu fluchen. Auch wir selbst, sagt er, ich und meine Brüder, Timotheus, Titus und wie viele ihrer auch sind, die mit mir Christum rein lehren (denn ich rede noch nicht von denen, welche die Seelen verführen), ja, wenn ein Engel vom Himmel [usw.] [anders predigen würde], so wollte ich lieber, daß ich, meine Brüder, ja, auch ein Engel vom Himmel verflucht wären, als daß mein Evangelium verkehrt werden sollte. Das ist fürwahr ein brennender Eifer, daß er sich untersteht, nicht allein sich, seine Brüder, sondern auch einen Engel vom Himmel so zuversichtlich zu verfluchen.

145. Anathema griechisch, hebräisch kerem (?) heißt lateinisch maledictum , verflucht, verworfen und schlechterdings von dem Verkehr, der Gesellschaft und Gemeinschaft mit Gott ausgeschlossen. So sagt Joshua [Cap. 6, 17. 26], daß die Stadt Jericho auf ewig verbannt sein soll, so daß sie niemals wieder gebaut werden soll. Und im 3. Buch Mosis, Cap. 27, 28. 29., steht geschrieben, wenn ein Mensch oder irgend ein Tier verbannt worden ist, so soll das Verbannte getötet werden, und man soll es nicht leben lassen. So mußten Amalek und etliche Städte, die durch Gottes Urteil verbannt worden waren, gänzlich ausgetilgt werden.

146. So ist nun die Meinung des Paulus: Ich wollte lieber, daß ich, andere, ja, auch ein Engel vom Himmel verflucht wären, als daß ein anderes Evangelium gepredigt würde, sei es nun von uns oder von anderen, als das, welches wir gepredigt haben. So verbannt und verflucht Paulus sich selbst zuerst. Denn es pflegen gute Werkmeister zuerst sich selbst zu strafen, damit sie darnach auch andere desto freier und heftiger strafen können.

147. Es schließt nun Paulus, daß es kein anderes Evangelium gebe, als das, welches er selbst gepredigt habe. Er hat aber nicht ein von ihm selbst erdachtes Evangelium gepredigt, sondern dasjenige, welches Gott von Anbeginn durch seine Propheten in der heiligen Schrift verheißen hatte, Röm. 1, 1. 2. Darum spricht er es auf das allergewisseste aus, daß er, andere, ja, ein Engel von Himmel, verflucht sein würden, wenn sie ein von dem früheren verschiedenes Evangelium predigen würden, denn das Wort des Evangelii, welches Gott einmal hat ausgehen lassen, wird nicht widerrufen werden bis an den jüngsten Tag.

V. 9. Wie wir jetzt gesagt haben, so sagen wir auch abermal: So jemand euch Evangelium predigt, anders, denn das ihr empfangen habt, der sei verflucht!

148. Er wiederholt dasselbe, ändert nur die Personen. Oben hat er sich selbst, seine Brüder, einen Engel vom Himmel verflucht; hier sagt er: Wenn noch irgend andere sind außer uns, welche euch Evangelium predigen anders, als das ihr von uns empfangen habt, die sollen auch verflucht sein. Daher verbannt und verflucht er schlechthin alle Lehrer, sich selbst, seine Brüder, einen Engel und darnach irgend welche andere, nämlich, die dem Evangelio zuwider lehren. Der Apostel hat einen überaus heftigen Eifer, daß er es wagt, alle Lehrer in der ganzen Welt und im Himmel zu verfluchen, welche sein Evangelium verkehren, und ein davon verschiedenes lehren. Denn alle müssen dem Evangelio glauben, 1) welches Paulus gepredigt hat, oder ein Fluch werden und verdammt sein. Wollte doch Gott, daß dieses erschreckliche Urteil des Apostels den Verkehrern des Evangeliums Pauli einen Schrecken einjagte, derer heutzutage, leider, die Welt voll ist.

149. Auf die Änderung der Personen muß man hier wohl Acht geben. Denn Paulus redet anders im ersten Fluche als in diesem zweiten. Im ersten sagt er: „So auch wir, oder ein Engel vom Himmel euch würde Evangelium predigen anders, denn das wir euch gepredigt haben“ [usw.], im zweiten: „anders, denn das ihr empfangen habt“. Und dies tut er absichtlich, damit die Galater nicht sagen möchten.: Wir haben das Evangelium nicht verkehrt, welches du, Paulus, uns gepredigt hast, sondern, da du es uns predigtest, haben wir es nicht recht verstanden; aber die Lehrer, die nach dir gekommen sind, haben uns den rechten Verstand erschlossen. Das, sagt er, werde ich in keiner Weise zulassen. Jene sollen nichts hinzufügen noch bessern, sondern das, was ihr von mir gehört habt, das ist das lautere Wort Gottes; das allein soll bleiben. Und ich wünsche nicht, das ich ein anderer Lehrer des Evangeliums sei, noch daß ihr andere Schüler seiet. Darum wenn ihr irgend einen hören solltet, der ein anderes Evangelium bringt als das, welches ihr von mir gehört habt, oder der sich rühmt, er wolle Besseres vorbringen, als ihr von mir empfangen habt, der sei verflucht samt seinen Schülern.

150. Das ist aber die Art der Diener des Satans, daß sie sich mit dieser sonderlichen Geschicklichkeit in die Herzen der Menschen einzuschleichen und einzuschmeicheln verstehen. Sie geben zu, das diejenigen, welche vor ihnen das Evangelium gelehrt haben, zwar wohl angefangen hätten, aber dies sei nicht genug; sie aber wollten ganz gewisse Dinge vortragen, welche sie in solcher Weise lehren wollten, daß dies bei den Zuhörern großen Nutzen schaffen sollte [usw.] So spenden die Schwärmer auch uns heutzutage dies Lob, daß wir die Sache des Evangelii in rechter Weise angefangen haben. Aber weil wir ihre gotteslästerliche Lehre verabscheuen und verdammen, so nennen sie uns Schmeichler und neue Papisten, die zwiefältig schlechter sind als die alten. Durch diese Kunst verschaffen sich die Diebe und Räuber den Eingang in den Schafstall des Herrn, und zu stehlen, zu schlachten und zu verderben, nämlich, daß sie zuerst das Unsere bestätigen, darnach uns verbessern, und deutlicher erklären, wie sie schwatzen was wir nicht genugsam oder nicht ganz richtig verstanden hätten. Auf dieselbe Weise bereiteten sich die falschen Apostel den Zugang zu den Galatern. Paulus, sagten sie, hat zwar den Grund der christlichen Lehre gelegt, aber die rechte Weise der Rechtfertigung hält er nicht fest, weil er den Abfall vom Gesetz lehrt. Darum empfanget nun von uns, was er nicht recht zu lehren vermochte. Aber Paulus will nicht, daß etwas Anderes von irgend jemandem gelehrt werde, noch daß etwas Anderes von den Galatern gehört und angenommen werde, als was er sie zuvor gelehrt hatte, und was sie von ihm gehört und empfangen hatten. Diejenigen aber, sagt er, welche etwas Anderes lehren oder annehmen, die sollen verflucht sein.

151. Die beiden ersten Capitel enthalten fast nichts als Verteidigungen und Widerlegungen. Denn erst zu Ende des zweiten Kapitels fängt er an, die Lehre von der Rechtfertigung zu handeln. Doch dieses Urteil des Paulus soll uns dessen erinnern, daß alle die verflucht sind, welche dafürhalten, daß der Papst ein Richter über die Schrift sei, desgleichen, daß die Kirche Gewalt über die Schrift habe, was die Lehrer des päpstlichen Rechts und die Sentenzenschreiber gottlos gelehrt und sich dafür auf diesen Grund berufen haben: Die Kirche hat nur vier Evangelia gutgeheißen, darum gibt es nur vier; wenn sie mehrere gutgeheißen hätte, so wären auch mehr. Da aber die Kirche nach ihrem Belieben Evangelia annehmen und gutheißen konnte, welche und so viele sie wollte, so ist demnach die Kirche über das Evangelium.

152. Diese Folgerung paßt, wie die Faust aufs Auge. 2) Ich heiße die Schift gut, also bin ich höher als sie. Johannes der Täufer fällt Christo bei ( approbat ) und bekennt ihn, und zeigt ihn mit dem Finger, also ist er mehr als Christus. Die Kirche heißt die christliche Lehre und den Glauben gut, also ist sie die höhere.

153. Um diese ihre gottlose und gotteslästerliche Lehre zu widerlegen, hast du hier einen ganz klaren Text und eine Donneraxt vom Himmel, daß Paulus schlechterdings sich selbst, einen Engel vom Himmel, die Lehrer auf Erden, und was es sonst noch für Meister geben mag, alles zusammenfaßt und unter die heilige Schrift wirfst. Diese Königin muß herrschen, ihr müssen alle gehorchen und unterworfen sein. Nicht ihre Meister, Richter oder Schiedsleute, sondern nur Zeugen, Schüler und Bekenner sollen sie sein, möge es der Papst sein, oder Luther, oder Augustinus, oder Paulus, oder ein Engel vom Himmel, und es soll keine andere Lehre in der Kirche vorgetragen und gehört werden als das reine Wort Gottes, das heißt, die heilige Schrift; sonst sollen Lehrer und Hörer mit ihrer Lehre verflucht sein.

Fußnoten

1) Wittenberger: credere ; Menius: „glauben“, Jenaer und Erlanger: cedere .

2) a baculo ad angulum. Vgl. die Anmerkung zu Walch, St. Louiser Ausgabe, Bd. XX, 1640.

V. 10. Predige ich denn jetzt Menschen, oder Gott zu Dienst?

154. Dies ist mit demselben Eifer geredet als das Vorige, als ob er sagen wollte: Bin denn ich, Paulus, der ich öffentlich in den Gemeinden gepredigt habe, so gar unbekannt? Sind denn meine überaus bitteren Kaempfe und so viele Streitigkeiten mit den Juden nicht am Tage? Aus meinen Predigten, aus so vielen und so großen Trübsalen, denke ich, ist genugsam offenbar, ob ich Menschen oder Gotte diene. Denn alle sehen, daß ich durch diese meine Predigt überall nur Verfolgung, den größten und erschrecklichsten Haß meines Volkes und aller Menschen auf mich geladen habe. Damit beweise ich also genugsam, daß ich mit meiner Predigt nicht Gunst oder Beifall der Menschen suche, sondern die Wohltat und die Ehre Gottes bekannt zu machen.

155. Auch wir (dies kann ich ohne Ruhmredigkeit sagen) suchen mit unserer Lehre nicht die Gunst der Menschen. Denn wir lehren, daß alle Menschen von Natur gottlos sind und Kinder des Zorns; wir verdammen den freien Willen, menschliches Vermögen, Weisheit, Gerechtigkeit und jeden selbsterwählten Gottesdienst; kurz, wir sagen, daß durchaus nichts in uns sei, was da tauge, um Gnade und Vergebung der Sünden zu verdienen, sondern wir predigen, daß und dieselbe einzig und allein durch die lautere Barmherzigkeit Gottes um Christi willen zuteil werde. Denn so erzählen die Himmel die Ehre Gottes und seine Werke, daß sie alle Menschen insgesamt mit ihren Werken verdammen. Das heißt sicherlich nicht den Menschen und der Welt zu Gefallen predigen.

156. Denn die Welt kann nicht heftiger und bitterer erzürnt werden, als wenn ihre Weisheit, Gerechtigkeit, Gottesdienst und alles, was sie vermag, verdammt wird. Diese besten und höchsten Gaben der Welt verdammen, das heißt wahrlich nicht der Welt schmeicheln, sondern vielmehr aus freien Stücken nach Haß 1) und allem Unglück ringen (wie man sagt), und dessen auch alle Hände voll bekommen. Denn wenn wir die Menschen und alle ihre besten scheinbarsten Bestrebungen verdammen, so kann es nicht anders kommen, als daß wir sofort ihren bittersten Haß auf uns laden, daß sie uns verfolgen, in den Bann tun, uns verdammen und töten.

157. Wenn sie nun die anderen Dinge sehen, sagt Paulus, warum sehen sie nicht auch dieses, daß ich göttliche Dinge lehre, nicht menschliche, das heißt, daß ich mit meiner Lehre nicht die Gunst der Menschen suche, sondern allein Gottes Barmherzigkeit, die uns in Christo erzeigt worden ist, verherrliche? Denn wenn ich die Gunst der Menschen suchte, so würde ich nicht alle ihre Werke verdammen. Aber gerade dadurch, daß ich die Werke der Menschen verdamme, das heißt, daß ich aus dem Worte Gottes (dessen Diener und Apostel ich bin) das göttliche Urteil fälle wider alle Menschen, daß sie Sünde, Gottlose, Ungerechte, Kinder des Zorns, Gefangene des Satans und verdammt seien, und daß sie Gerechtigkeit werden, nicht durch Werke, nicht durch die Beschneidung, sondern allein aus Gnaden und durch den Glauben an Christum, so ziehe ich mir den unversöhnlichen Haß aller Menschen zu. Denn sie können nichts weniger hören, als daß sie solche Leute seien, ja, sie wollen, daß man sie preise als weise, gerechte, heilige Leute [usw.] Deshalb bezeugt dieses genugsam, daß ich nicht menschliche Dinge lehre.

158. In solche Weise redet auch Christus Joh. 7, 7.: „Die Welt kann euch nicht hassen; mich aber hasset sie, denn ich zeuge von ihr, daß ihre Werke böse sind“, und Joh. 3, 19.: „Das ist aber das Gericht, daß das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr denn das Licht, denn ihre Werke waren böse.“

159. Daß ich aber göttliche Dinge lehre, sagt der Apostel, kann schon daraus genugsam erkannt werden, daß ich allein Gottes Gnade, Barmherzigkeit, Wohltat und Ehre predige. Sodann, wer das redet (wie Christus sagt [Joh. 13, 13.]), was sein Herr und Meister ihm befohlen hat, und nicht sich, sondern den verherrlicht, dessen Apostel er ist, der bringt und lehrt das gewisse und göttliche Wort. Aber ich lehre nur das, was mir von Gott befohlen ist, und verherrliche nicht mich selbst, sondern den, der mich gesandt hat. Außerdem lade ich den Zorn und Unwillen von Juden und Heiden auf mich, darum ist meine Lehre wahr, rein, gewiß und göttlich, und es kann keine andere (viel weniger eine bessere) geben als diese meine Lehre. Deshalb muß eine jegliche andere Lehre, welche nicht ebenso wie die meinige lehrt, daß alle Menschen Sünder sind und allein durch den Glauben an Christum gerechtfertigt werden, notwendiger Weise falsch, ungewiß, gottlos, gotteslästerlich, verflucht und teuflisch sein. Dies Urteil trifft auch alle, welche diese Lehre führen, und diejenigen, welche sie annehmen.

160. So sprechen auch wir mit Paulus auf das allersicherste und gewisseste aus, daß eine jegliche Lehre verflucht sei, welche mit der unsrigen nicht stimmt. Denn sicherlich suchen auch wir mit unserer Predigt nicht der Menschen Beifall oder die Gunst der Fürsten, Bischöfe [usw., sondern allein Gottes Gunst, dessen Gnade und Barmherzigkeit wir auch allein predigen, und alles mit Füssen treten und verdammen, was unser ist. Deshalb sagen wir zuversichtlich, daß derjenige, welcher ein anderes Evangelium lehrt, oder ein solches, das dem unsrigen zuwider ist, vom Teufel gesandt und verflucht sei.

Oder gedenke ich Menschen gefällig zu sein?

161. Das heißt, diene ich denn Menschen, oder Gotte? Er führt immer Seitenhiebe auf die falschen Apostel. Diese, sagt er, suchen Menschen zu gefallen und schmeicheln ihnen. Denn dadurch suchen sie, daß sie selbst wiederum an deren fleischlichem Wesen einen Ruhm erlangen möchten. Ferner, weil sie den Haß und die Verfolgung der Menschen nicht erdulden wollen, so lehren sie die Beschneidung, damit sie nur nicht die Verfolgung um des Kreuzes Christi willen zu leiden brauchen, wie es nachher Cap. 5, 11. heißt.

162. So kannst du heutzutage viele Leute finden, welche sich bestreben den Menschen gefällig zu sein, und um ihr Leben in Frieden und Sicherheit des Fleisches hinzubringen, predigen sie Menschen zu Dienst, das heißt, sie lehren gottlose Dinge, oder heißen doch wenigstens wider ihr Gewissen die Lästerungen der Widersacher und ihr gottloses Urteil wider das Wort Gottes gut, um nur die Gunst der Fürsten und der Bischöfe zu behalten und das Ihre nicht zu verlieren. Wir aber, weil wir bemüht sind, Gotte, und nicht den Menschen gefällig zu sein, laden teuflischen und höllischen Haß auf uns und leiden Schmach und Schmähungen von der Welt, den Tod und alles Übel.

163. So sagt Paulus hier: Ich gedenke nicht Menschen gefällig zu sein, begehre nicht, daß sie meine Lehre loben und mich als den besten Lehrer preisen, sondern nur, daß allein Gotte meine Lehre gefalle, und dadurch mache ich mir die Menschen, die darüber entrüstet werden, zu Feinden; und das erfahre ich. Denn sie geben mir zum Lohne Schmach, Lästerung, Gefängnis, Schwert [usw.]. Dagegen die falschen Apostel lehren menschliche Dinge, das heißt, solche, die der Vernunft wohlgefallen und ihr leicht eingehen und zwar deshalb, damit sie Frieden haben und die Gunst und den Beifall des Volkes erwerben. Und wonach sie trachten, das erlangen sie auch. Denn sie werden von allen gelobt und hoch erhoben. So sagt auch Christus Mat. 6, 2., daß die Heuchler alles tun, „auf daß sie von den Leuten gepriesen werden“, und Joh. 5, 44. straft er solche Leute heftig und spricht: „Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre von einander nehmt? Und die Ehre, die von Gott allein ist, sucht ihr nicht.“

164. Was Paulus bis dahin gesagt hat, sind fast nur Beispiele. Doch dabei dringt er überall heftig darauf, daß seine Lehre wahr und die rechte Lehre sei. Darum ermahnt er die Galater, daß sie seine Lehre nicht verachten und keine andere annehmen sollen.

Wenn ich den Menschen noch gefällig wäre, so wäre ich Christi Knecht nicht.

165. Dies alles muß man auf das ganze Amt und Dienst des Paulus beziehen, so daß es eine Art Gegensatz bildet gegen seinen früheren Wandel im Judentum, als ob er sagen wollte: Meint ihr, daß ich noch den Menschen zu gefallen suche, wie ich früher getan habe? So auch nachher im fünften Capitel, V. 11.: „So ich die Beschneidung noch predige, warum leide ich denn noch Verfolgung?“ als ob er sagen wollte: Seht und hört ihr nicht meine täglichen schweren Kaempfe, die größten Verfolgungen und Trübsale? Seit ich bekehrt und zum Apostelamte berufen worden bin, habe ich niemals den Menschen zu Gefallen geredet, habe niemals gesucht ihnen zu gefallen, sondern allein Gotte, das heißt, ich suche mit meinen Amte und mit meiner Lehre nicht die Ehre und Gunst der Menschen, sondern Gottes.

166. Dies sagt Paulus, um zu zeigen, wie tückisch und hinterlistig die falschen Apostel ihn bei den Galatern verhaßt zu machen suchten. Aus seinen Predigten und Schriften klaubten sie Widersprüche heraus (wie heutzutage die Widersacher solche aus unseren Büchern sammeln), und wollten ihn so überführen, daß er einander widerstreitende Dinge gelehrt hätte, und sagten deshalb, man müsse dem Paulus keinen Glauben schenken, sondern die Beschneidung und das Gesetz müsse gehalten werden. Denn er selbst habe dies auch mit seinem eigenen Beispiele bestätigt, da er den Timotheus nach dem Gesetz beschnitten hätte [Apg. 16, 3.], sich mit vier Männern im Tempel zu Jerusalem hätte reinigen lassen [Apg. 21, 26.], in Kenchrea sein Haupt geschoren hätte [Apg. 18, 18.] [usw.]. Die Verleumder gaben vor, Paulus habe dies von Not wegen getan, gezwungen durch den Befehl und das Ansehen der Apostel [usw.], während er es doch den Schwachen zu Dienst aus freien Stücken auf sich genommen hatte, damit denen kein Ärgernis gegeben würde, welche die christliche Freiheit noch nicht erkannten. Auf ihre Verleumdungen antwortet er so: Wie wahr das sei, was die falschen Apostel wider mich erdichten, um mein Evangelium zu verstören und wiederum das Gesetz und die Beschneidung aufzurichten, das zeigt die Sache selbst genugsam an. Denn wenn ich das Gesetz und die Beschneidung predigte und das Vermögen und das Vornehmen der Menschen lobte, so wäre ich bei den Menschen nicht verhaßt, sondern würde ihnen wohlgefallen.

Fußnoten

1) Wittenberger: otium statt odium

V. 13. 14. Denn ihr habt je wohl gehört meinen Wandel weiland im Judentum, wie ich über die Masse die Gemeine Gottes verfolgte und verstörte sie. Und nahm zu im Judentum über viele meines Gleichen in meinem Geschlecht.

186. Diese Stelle hat keine besondere Lehre in sich, doch führt Paulus hier sich als Beispiel an, indem er sagt: Ich habe stärker und beständiger das Pharisäer- und das Judentum verteidigt, als ihr und eure falschen Lehrer. Deshalb, wenn die Gerechtigkeit des Gesetzes etwas wäre, so wäre auch ich davon nicht abgefallen, da ich mich doch, ehe ich Christum erkannte, um dieselbe zu vollbringen, so angestrengt und darin auch so viel geleistet habe, daß ich viele meines Gleichen in meinem Geschlecht übertroffen habe. Sodann habe ich, um dieselbe zu verteidigen, so sehr geeifert, daß ich auch die Gemeine Gottes aufs heftigste verfolgt habe, und sie verstörte. Denn da ich von den Hohenpriestern Macht darüber empfing, habe ich viele der Heiligen ins Gefängnis geworfen und das Urteil gesprochen, wenn sie getötet wurden. Und durch alle Schulen peinigte ich sie oft, und zwang sie zu lästern, und war überaus unsinnig auf sie, verfolgte sie auch bis in die fremden Städte [Apg. 26, 10. 11.]

Und eiferte über die Maße um das väterliche Gesetz.

187. Wie Hieronymus mit Recht erinnert, nennt Paulus nicht die pharisäischen oder menschlichen Satzungen das väterliche Gesetz, denn hier handelt er nicht von pharisäischen Satzungen, sondern von einer viel wichtigeren Sache. Er nennt also das heilige Gesetz Mosis selbst das väterliche Gesetz, das heißt, welches von den Vätern empfangen und ererbt worden war. Für dieses, sagt er, habe ich im Judentum über die Masse geeifert. Auf dieselbe Weise redet er auch im Briefe an die Philipper, Cap. 3, 5. 6.: „Nach dem Gesetz“, sagt er, „bin ich ein Pharisäer gewesen, nach dem Eifer ein Verfolger der Gemeine Gottes, nach der Gerechtigkeit im Gesetz unsträflich“, als ob er sagen wollte: Ich könnte mich öffentlich rühmen und hier dem ganzen jüdischen Volke Trotz bieten, auch den Besten und Heiligsten aus der Beschneidung, daß sie mir aus allen nur Einen aufweisen möchten., der mit größerem Eifer oder heftiger für das Gesetz Mosis gestritten hätte, als ich früher getan habe. Ich war allerdings vor anderen ein sonderlicher Eiferer für das väterliche Gesetz, das heißt, ich bemühte mich aufs äußerste, die Gerechtigkeit aus dem Gesetze zu erlangen. Dies sollte euch ihr Galater, bewegen, jenen Betrügern nicht zu glauben, welche die Gerechtigkeit des Gesetzes als eine Sache von der höchsten Bedeutung hoch erheben, da ich, wenn es aufs Rühmen ankäme, mich mit mehr Wahrheit gerade dieser Gerechtigkeit des Gesetzes in hervorragender Weise rühmen könnte.

188. Wenn irgend jemand, so habe ich sicherlich, ehe das Licht des Evangeliums aufging, mit Ehrfurcht auf die papistischen Gesetz und die väterlichen Satzungen gehalten ( pie sensi ) und um dieselben geeifert, und mit großem Ernste auf dieselben als heilige, und auf ihre Beobachtung als notwendig zur Seligkeit gedrungen und sie verteidigt. Sodann habe ich selbst mich mit allem Fließe bemüht, sie zu halten, indem ich den Leib zermarterte mit mehr Fasten, Wachen, Beten und anderen Übungen als alle die, welche mich heutzutage so bitter hassen und verfolgen, weil ich jetzt diesen Werken die Ehre nehme, daß sie gerecht machen könnten. Denn in ihrer Beobachtung bin ich so sorgfältig und abergläubisch gewesen, daß ich meinem Leibe eine größere Last auflegte, als er ohne Gefahr für die Gesundheit hätte ertragen können. Ich hab den Papst ohne allen Eigennutz ( pure ) in Ehren gehalten und damit nicht Pfründen und hohe Ehrenstellen [usw.] gesucht, sondern, was ich auch getan habe, das habe ich alles aus einfältigem Herzen, aus frommem Eifer und zur Ehre Gottes getan [usw.] „Aber was mir Gewinn war, das achte ich“ jetzt mit Paulus [Phil. 3, 7. 8.] „für Schaden gegen der überschwenglichen Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn.“ Aber die Widersacher, weil sie müßige Leute sind und keine Anfechtungen ausgestanden haben, glauben nicht, daß ich und sehr viele andere solches erfahren und erlitten haben, die wir es uns überaus sauer werden ließen, den Frieden des Herzens zu erlangen, den man aber in so großer Finsternis doch unmöglich finden konnte.

V. 15 - 17. Da es aber Gott wohlgefiel, der mich von meiner Mutter Leibe hat ausgesondert und berufen durch seine Gnade, daß er seinen Sohn offenbarte in mir, daß ich ihn durch das Evangelium verkündigen sollte unter den Heiden: alsobald fuhr ich zu, und besprach mich nicht mit Fleisch und Blut; kam auch nicht gen Jerusalem zu denen, die vor mir Apostel waren, sondern zog hin in Arabien, und kam wiederum gen Damaskus.

189. Dies ist die erste Reise des Paulus. Hieronymus läßt es sich hier sauer werden und sagt, Lucas schreibe in der Apostelgeschichte nicht von der Reise Pauli nach Arabien, als ob es notwendig wäre, die Taten und Werke für jeden einzelnen Tag zu beschreiben, was doch unmöglich ist. Das soll uns genügen, daß wir einzelne Teile und einen kurzen Inbegriff der Historien haben, aus denen wir Exempel und Lehre schöpfen können.

190. Es bezeugt hier aber Paulus, daß er sofort, nachdem er durch die Gnade Gottes dazu berufen worden war, Christum unter den Heiden zu verkündigen, nach Arabien gezogen sei, ohne jemand zu Rate zu ziehen, und habe sich an das Werk gemacht, zu dem er berufen worden war. Und diese Stelle bezeugt, von wem er seine Lehre empfangen habe, und durch welche Mittel er zur Kenntnis des Evangelii und zum Apostelamte gekommen sei. „Da es Gott wohlgefiel“, sagt er, als ob er sagen wollte: Ich habe mich nicht dadurch verdient gemacht, daß ich mit Unverstand um das Gesetz Gottes geeifert habe; ja, dieser törichte und gottlose Eifer hat mich verblendet, so daß ich aus Gottes Zulassung in greuliche Wut geriet und die verruchtesten Verbrechen beging. Ich verfolgte die Gemeine Gottes, ich war ein Feind Christi und lästerte sein Evangelium, ja, ich habe andere dazu veranlaßt, viel unschuldiges Blut zu vergießen; das war mein Verdienst. Mitten in diesem Wüten bin ich zu dieser so großen Gnade berufen. Etwa wegen dieses Wütens? Keineswegs. Sondern die überschwengliche Gnade Gottes, der mich berufen und sich meiner erbarmt hat, hat mir verziehen und mir diese Lästerungen vergeben [usw.], und für diese meine erschrecklichen Sünden, welche ich damals für die höchste Gerechtigkeit und für einen Gottesdienst hielt, der Gotte überaus wohl gefiele, hat er mir seine Gnade und Erkenntnis der Wahrheit gegeben und mich zum Apostelamte berufen.

191. Wir kommen heutzutage durch ebendieselben Verdienste zur Erkenntnis der Gnade. Da ich ein Mönch war, habe ich Christum täglich gekreuzigt und durch mein falsches Vertrauen, welches mir damals beständig anhing, habe ich ihn gelästert. Äußerlich war ich nicht wie andere Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, sondern hielt Keuschheit, Gehorsam und Armut, ja, da ich frei war von Sorge für dieses gegenwärtige Leben, so gab ich mich ganz und gar auf Fasten, Wachen, Gebet, Messelesen [usw.] Indessen nährte ich doch unter dieser [äußerlichen] Heiligkeit und dem Vertrauen auf die eigene Gerechtigkeit fort und fort Mißtrauen, Zweifel, Furcht, Haß und Lästerung gegen Gott, und es war solche meine Gerechtigkeit nichts Anderes als eine Mistpfütze, und ein Reich, daran der Teufel seine Lust hatte. Denn solche Heiligen liebt der Satan und hat sein höchstes Ergötzen an ihnen, da sie ihre eigenen Leiber und Seelen verderben und sich selbst um allen Segen und alle Gaben Gottes betrügen und sich derselben berauben. Dabei herrscht aber doch in solchen Leuten die größte Gottlosigkeit, Blindheit, Zweifel, Gottesverachtung, Unwissenheit des Evangeliums, Entheiligung der Sacramente; sie lästern Christum und treten ihn mit Füssen und mißbrauchen alle Güter Gottes. Kurz, solche Heiligen sind des Satans gefangene Knechte, darum müssen sie denken, reden und tun, was er will, so sehr sie auch äußerlich andere weit zu übertreffen scheinen an guten Werken, an Strenge und Heiligkeit des Lebens.

192. Solche Leute sind wir unter dem Papsttum gewesen, wahrlich ebenso große (wenn nicht größere) Schänder und Lästerer wider Christum und sein Evangelium als Paulus selbst, und besonders ich. Der Papst stand bei mir in so großem Ansehen, daß ich meinte, es sei ein Verbrechen, das der ewigen Verdammnis wert wäre, wenn jemand auch nur im allergeringsten von ihm abwiche, und diese gottlose Meinung veranlaßte mich zu dem Glauben, daß Johannes Hus ein so verfluchter Ketzer sei, daß es ruchlos wäre, auch nur an ihn zu gedenken, und ich selbst hätte, um das Ansehen des Papstes zu verteidigen, Schwert und Feuer zugetragen, um diesen Ketzer zu verbrennen, und hätte gemeint, daß ich Gotte damit einen sehr großen Gefallen täte.

193. Deshalb sind Zöllner und Huren in Vergleich zu solchen heuchlerischen Heiligen nicht einmal für böse zu achten. Denn jene haben Gewissensbisse, wenn sie sündigen, suchen auch ihre gottlosen Taten nicht zu rechtfertigen, diese aber erkennen ihre Greuel, Götzendienst und gottlose Lebensweise ( cultus ) so gar nicht für Sünde, daß sie sogar predigen, das sei Gerechtigkeit und ein Gotte ganz wohlgefälliges Opfer, und es als die größte Heiligkeit anbeten und anderen Leuten durch solche Dinge die Seligkeit versprechen und sie ihnen für Geld als heilsame Dinge verkaufen.

194. Das ist nun unsere köstliche Gerechtigkeit, das ist unser ungeheuer großes Verdienst, durch welches wir zur Erkenntnis der Gnade kommen, nämlich daß wir Gott, Christum, das Evangelium, den Glauben, die Sacramente, alle rechten Christum ( pios ), den wahren Gottesdienst so feindlich und teuflisch verfolgt, gelästert, mit Füssen getreten und verdammt haben, und durchaus das Widerspiel gelehrt und aufgerichtet haben. Und je heiliger wir waren, desto blinder waren wir, und desto lauterer ( purius ) haben wir den Teufel angebetet. Jeder unter uns war ein Bluthund, wenn auch nicht mit der Tat doch im Herzen.

Da es aber Gott wohlgefiel.

195. Als ob er sagen wollte: Es ist Gottes lautere unermeßliche Gnade, daß er meiner, eines so verruchten Menschen, eines Gotteslästerers, Verfolgers und Gottesräubers nicht allein verschont, sondern mir noch obendrein die Erkenntnis des Heils, den Geist, Christum, seinen Sohn, das Apostelamt und das ewige Leben schenkt.

196. Ebenso hat Gott uns, die wir mit ebensolchen Sünden beladen sind, gnädig angesehen, und uns nicht allein unsere Gottlosigkeit und unsere Lästerungen aus lauter Barmherzigkeit um Christi willen vergeben, sondern uns noch obendrein mit den größten Wohltaten und geistlichen Gaben überschüttet. Aber unser viele sind nicht allein undankbar gegen Gott für diese unaussprechliche Gnade, und vergessen wie es 2 Petr. 1,9. heißt, der Reinigung unserer vorigen Sünden und der geschenkten Gnade, sondern öffnen dem Teufel wiederum die Tür und fangen an, des Wortes überdrüssig zu werden; sehr viele verfälschen es auch und richten neue Irrtümer an. Mit diesen wird das Letzte ärger als das Erste.

Der mich von meiner Mutter Leibe hat ausgesondert.

197. Das ist eine hebräische Redeweise; das heißt, er hat mich geheiligt, er hat mich verordnet, er hat mich bereitet; das ist, da ich noch im Mutterleibe war, hatte Gott zuvor versehen, daß es geschehen würde, daß ich mit so großer Wut wider die Gemeinde toben würde, und daß er mich darnach aus lauter Gnade mitten aus dem Laufe meiner Grausamkeit und Lästerung nach seiner Barmherzigkeit wieder auf den Weg der Wahrheit und Seligkeit bringen wollte. Kurz, ehe ich noch geboren war, war ich in den Augen Gottes ein Apostel, und da die Zeit kam, bin ich auch vor der Welt für einen Apostel erklärt worden.

198. So schneidet Paulus gänzlich alles Verdienst ab, und schreibt Gott allein die Ehre, sich aber nur Schande zu, als ob er sagen wollte: Alle Gaben, die kleinsten und die größten, geistliche und leibliche, welche Gott mir schenken wollte und alles Gute, das ich jemals in meinem ganzen Leben tun würde, das hatte Gott selbst schon zuvor versehen, als ich noch in Mutterleibe war, da ich weder etwas Gutes denken, noch wünschen noch tun konnte, sondern eine ungestalte Frucht war. Daher ist mir diese Gabe widerfahren allein durch die Gnade Gottes, der mich zuvor versehen und sich meiner erbarmt hat, da ich sogar noch nicht geboren war. Darnach, als ich nun geboren war, hat er mich getragen, wiewohl ich mit unzähligen Greueln der Bosheit und Sünde beladen war; und damit er die unaussprechliche und unermeßliche Größe seiner Barmherzigkeit gegen mich desto mehr kund machte, hat er mir aus bloßer Gnade meine überaus großen und unzähligen Sünden erlassen. Darnach aber hat er mich auch mit so großer Fülle der Gnade überschüttet, daß ich nicht allein für meine Person erkannte, was uns in Christo geschenkt wäre, sondern dies auch anderen predigen sollte.

199. Gleicher Art sind die Verdienste aller Menschen, besonders der alten Narren, die sich vor anderen im Kot der menschlichen Gerechtigkeit abgemüht haben.

Und berufen durch seine Gnade.

200. Siehe, wie sorgfältig der Apostel seinen Ausdruck wählt (diligentiam). „Er hat mich berufen“, sagt er, Wie? Etwa um meines Pharisäertums willen, wegen meines untadeligen und heiligen Lebens, wegen meines untadeligen und heiligen Lebens, wegen meiner Gebete, Fasten und Werke? Nein! Viel weniger aber um meiner Gotteslästerungen, Verfolgungen und Gewalttaten willen. Wir denn? Aus lauter Gnade.

V. 17. Kam auch nicht gen Jerusalem zu denen, die vor mir Apostel waren, sondern zog hin in Arabien und kam wieder gen Damaskus.

209. Das heißt: Da ich die Apostel weder gesehen noch zu Rate gezogen hatte, zog ich nach Arabien, und habe sofort angefangen, mein Amt, das Evangelium unter den Heiden zu predigen, auszurichten, zu dem ich berufen worden war und dazu ich die göttliche Offenbarung empfangen hatte. Vergebens fragt daher Hieronymus, was Paulus in Arabien getan habe? Denn was sollte er anders tun, als Christum predigen? Denn dazu, sagt er, sei ihm der Sohn Gottes offenbart, daß er ihn unter den Heiden predigen sollte. Deshalb begibt er sich sofort von Damaskus, einer heidnischen Stadt, nach Arabien, wo auch Heiden waren, und richtet dort sein Amt wacker aus, lernt aber nicht zuvor das Evangelium von irgend einem Menschen oder von den Aposteln, sondern begnügt sich allein mit der himmlischen Berufung und Offenbarung Christi.

210. Deshalb ist diese ganze Stelle eine Art Widerlegung Beweisgrundes, dessen sich die falschen Apostel wider Paulus bedient haben. Denn sie sagten, er sei ein Schüler und Zuhörer der Apostel gewesen, welche nach dem Gesetze lebten; sodann, daß auch Paulus selbst nach dem Gesetze gelebt habe; deshalb sei es notwendig. daß auch die Heiden das Gesetz hielten und sich beschneiden ließen. Um nun diesen Verleumdern das Maul zu stopfen, erzählt er diese diese lange Geschichte. Vor meiner Bekehrung, sagt er, habe ich mein Evangelium nicht von den Aposteln oder anderen gläubigen Brüdern gelernt, denn ich habe nicht allein diese Lehre, sondern auch die Gemeinde Gottes aufs äußerste verfolgt und sie verstört; aber auch nicht nach meiner Bekehrung, weil ich sofort zu Damaskus, nicht Mosen mit seinem Gesetze, sondern Christum gepredigt habe, ohne mich mit jemand zu beraten oder die Apostel zu sehen.

211. So können auch wir rühmen, daß wir unsere Lehre nicht vom Pabste empfangen haben. Wir haben zwar von ihm die heilige Schrift und die äußerlichen Glaubensbekenntnisse (_symbola_), aber nicht die Lehre, welche uns allein durch Gottes Gabe zuteil geworden ist. Darnach ist unser Studieren, Lesen und Forschen dazu gekommen. Das ist also nichts, daß heutzutage unsere Widersacher geltend machen wollen: Wer wollte eurer Lehre glauben, ihr Lutheraner, da ihr nicht im öffentlichen Amte seid? Ihr müßt die Lehre von dem Papst, von den Bischöfen empfangen, welche dazu verordnet und im rechtmäßigen Amte sind [usw.].

V. 19. 20. Darnach über drei Jahre kam ich gen Jerusalem, Petrum zu schauen, und blieb fünfzehn Tage bei ihm. Der anderen Apostel aber sah ich keinen, ohne Jacobum, des Herrn Bruder.

212. Paulus gesteht, daß er bei den Aposteln gewesen sei, aber nicht bei allen. Doch zeigt er an, daß er zu ihnen nach Jerusalem gegangen sei, nicht auf Befehl, sondern freiwillig. Ferner, nicht um etwas von ihnen zu lernen, sondern nur um Petrus zu sehen. Das Selbe schreibt Lucas in der Apostelgeschichte, Cap. 9, 27., daß Barnabas den Paulus zu den Aposteln geführt und ihnen erzählt habe, wie er auf der Straße den Herrn gesehen, und er mit ihm geredet, und wie er zu Damaskus den Namen Jesu frei gepredigt hätte. Dies Zeugnis gibt ihm Barnabas.

213. Alle seine Worte sind dahin gerichtet, daß er die Behauptung in Abrede nehme, er habe sein Evangelium von einem Menschen empfangen. Er gibt zwar zu, daß er den Petrus und Jacobus, den Bruder des Herrn, gesehen habe, aber keinen anderen außer diesen beiden, habe aber auch von ihnen nichts gelernt [usw.]. Er gesteht also zu, daß er zu Jerusalem gewesen sei bei den Aposteln, und daran haben die falschen Apostel recht gesagt. Er gesteht ferner zu, daß er nach jüdischer Weise gelebt habe, aber das habe er nur bei den Juden getan. Denn Paulus hielt sich nach der Regel: Wenn du lebst zu Rom, so halt dich nach römischer Sitte. Dies bezeugt er auch im ersten Briefe an die Corinther, Cap. 9, 19-22.: „Wiewohl ich frei bin von jedermann“, sagt er, „habe ich mich doch selbst jedermann zum Knechte gemacht, auf daß ich ihrer viele gewinne. Den Juden bin ich geworden als ein Jude [usw.] Ich bin jedermann allerlei worden, auf daß ich allenthalben ja etliche selig mache.“ Er gesteht also zu, daß er zu Jerusalem bei den Aposteln gewesen sei, aber er leugnet, daß er sein Evangelium von ihnen gelernt habe, desgleichen leugnet er, daß er gezwungen worden sei, das Evangelium so zu lehren, wie es ihm die Apostel vorgeschrieben hätten. Es liegt also der Nachdruck auf dem Worte „sehen“. Er sagt: Ich bin hinaufgezogen [gen Jerusalem], um den Petrus zu sehen, nicht um von ihm zu lernen. Deshalb ist weder Petrus noch Jacobus mein Lehrmeister geworden. Er nimmt aber durchaus in Abrede, daß er andere gesehen habe.

214. Aber warum handelt Paulus dies mit so vielen Worten, daß er es fast bis zum Überdruß einschärft, er habe sein Evangelium nicht von einem Menschen empfangen, auch selbst von den Aposteln nicht gelernt? Er will die von den falschen Aposteln bereits zerrütteten Gemeinden Galatiens gewiß machen, daß sein Evangelium Gottes Wort sei. Darum dringt er so heftig darauf. Und wenn er dies nicht aufs festeste bewiesen hätte, wäre er nicht im Stande gewesen, die falschen Apostel zunichte zu machen, denn sie würden ihm entgegengehalten haben: Wir sind ebenso gut wie Paulus, denn wir sind ebensowohl Jünger der Apostel wie er; sodann ist er nur eine einzelne Person und steht allein, aber unser sind viele. Wir haben also den Vorzug vor ihm an Ansehen und Zahl. So wurde denn Paulus genötigt sich zu rühmen, zu behaupten und zu schwören, er habe das Evangelium von keinem Menschen gelernt, es auch selbst nicht von den Aposteln empfangen; und es war die höchste Not, in solcher Weise zu rühmen, nicht eitle Prahlerei, wie Porphyrius und Julianus lästern, welche ebenso wenig als Hieronymus erkannt haben, was Paulus hier vorhätte.

215. Hier stand das Amt des Paulus in Gefahr, es standen auch alle Gemeinden in Gefahr, welche ihn zum Lehrer gehabt hatten. Es erforderte also die Not des Amtes und aller Gemeinden, daß Paulus mit einem notwendigen und heiligen Stolze seinen Beruf rühmte und die Offenbarung des Evangelii, die er von Christo empfangen hatte, damit die Gewissen versichert würden, daß die Lehre des Paulus Gottes Wort sei. Hier handelte es sich um eine große und ernste Sache, nämlich, daß alle Gemeinden in heilsamer Lehre erhalten würden; kurz, es handelte sich um ewiges Leben und ewigen Tod. Denn wenn das rechte reine und gewisse Wort hinweggenommen wird, so gibt es keinen Trost mehr, keine Seligkeit, kein Leben [usw.]. Deshalb erzählt er dies in der Absicht, daß er die Gemeinden in der rechten Lehre erhalte, streitet aber nicht darum, daß er seine Ehre verteidige, wie Porphyrius lästert. Er wollte also mit dieser Geschichte beweisen, daß er sein Evangelium schlechterdings von keinem [Menschen] empfangen habe, desgleichen, daß er etliche Jahre, nämlich drei oder vier, in Damaskus und Arabien aus göttlicher Offenbarung dasselbe Evangelium gepredigt habe als die Apostel, ehe er noch irgend einen der Apostel gesehen hätte.

216. Hieronymus macht hier eine Spielerei mit der geistlichen Deutung ( in mysterio ) der fünfzehn Tage. Desgleichen sagt er, daß Paulus in diesen fünfzehn Tagen von Petrus belehrt und in dem Geheimnis der Zahlen Acht und Sieben ( ogdoadis et hebdoadis ) unterwiesen worden sei. Aber dies dient nichts zur Sache. Denn Paulus sagt mit klaren Worten, daß er nach Jerusalem gekommen sei, um Petrum zu sehen, und daß er fünfzehn Tage bei ihm geblieben sei. Wenn er das Evangelium von Petrus hätte lernen müssen, so hätte er einige Jahre dort bleiben müssen; in fünfzehn Tagen würde er nicht ein so großer Apostel und Lehrer der Heiden geworden sein, um dabei noch dessen zu geschweigen, daß er in diesen fünfzehn Tagen, wie Lucas in der Apostelgeschichte Cap. 9, 28. f. bezeugt, den Namen Jesu frei gepredigt und sich mit den Griechen befragt habe [usw.].

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/l/luther/a/ausfuehrliche_erklaerung_der_epistel_an_die_galater_auszug.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain