Luger, Friedrich - Der Brief des Jakobus - Vierte Betrachtung.
Zwei seelengefährliche Irrtümer.
Über Jak. 1,13-18.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesu Christo! Amen.
Jak. 1, 13-18:
„Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott ist nicht ein Versucher zum Bösen; er versucht Niemand. Sondern ein Jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird. Danach wenn die Lust empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert sie den Tod. Irrt nicht, liebe Brüder! Alle gute Gabe, und alle vollkommene Gabe kommt von Oben herab, von dem Vater des Lichts, bei welchem ist keine Veränderung, noch Wechsel des Lichts und der Finsternis. Er hat uns gezeugt nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, auf dass wir wären Erstlinge seiner Kreaturen.“
„Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, welche Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben!“ Mit diesen Worten schloss Jakobus den Abschnitt seines Briefes, welchen er alsbald nach seinem Gruße: „Freude zuvor!“ mit der Ermahnung begann: „Meine lieben Brüder! Achtet es eitel Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen fallt!“ „Eitel Freude!“ gewiss; aber doch nur, wenn wir die Anfechtung auch wirklich erdulden und in ihr bewährt werden, und darum die Krone des Lebens empfangen. Wie aber, wenn das nicht der Fall ist, wenn wir im Kampfe erliegen, und uns zur Sünde verführen lassen, und endlich der Sünde Sold, den Tod, als Lohn davontragen? Es ist, als hörte Jakobus die Selbstrechtfertigung und das Murren Solcher, welche die Probe nicht bestanden, und sich nun bei sich selbst rechtfertigen, und die Schuld ihrer Niederlage auf die Übermacht der Verhältnisse, unter welchen sie erlagen, ja auf Gott selbst zu wälzen, und ihn zum Urheber ihrer Sünde und ihres Sündenelends zu machen, bemüht sind. Dem begegnet er mit seinem: „Niemand sage!“ und: „Irrt nicht, liebe Brüder!“ und verweist uns beides auf die Geburtsgeschichte der Sünde in uns, wie unseres Lebens aus Gott.
Zwei seelengefährliche Irrtümer
sind es demnach, welchen Jakobus entgegentritt. Er bekämpft den Irrtum derer, die Gott zum Urheber ihrer Sünde und ihres Sündenelends machen, und zugleich den Irrtum derer, welche das Gute sich selbst, ihrem eigenen Verdienste, zuschreiben. Darum: Irrt nicht, liebe Brüder!
Nur Gutes von Gott, und nur von Gott das Gute! Das also der Gegenstand unserer Betrachtung.
1.
Das Böse ist das Rätsel in der Welt. Woher kommt es? Wie ward es möglich in der Welt des guten, heiligen Gottes? Durch alle Jahrtausende haben die Menschen nach der Lösung dieses Rätsels umsonst geforscht; es ist ihnen ungelöst geblieben. Auch Jakobus löst es nicht; er überlässt dem forschenden Geiste des Menschen, seinen eigenen Gedanken, auch dem Irrtum seiner Gedanken, was ohne Gefahr für das Heil der Seele denselben überlassen bleiben kann; aber wo der Mensch Gefahr läuft, sich mit seinen grübelnden Gedanken an Gott zu versündigen, und dem Heil seiner Seele zu schaden, da tritt er ein mit seinem warnenden: „Irrt nicht, liebe Brüder!“ Mag die Vernunft des Menschen in ihrem grübelnden Forschen nach dem Ursprunge des Bösen irren, über den Ursprung des Bösen in dir, deiner Sünde und Sündenschuld und deines Sündenelends sollst du nicht irren!
Ist doch der Mensch so geneigt dazu, und so gewandt darin, sich über sich selbst zu täuschen, sich bei sich selbst zu rechtfertigen, und Andere, ja Gott selbst, zu Urhebern seiner Sünde zu machen. Wie scharfsichtig weiß er zu entdecken, und mit welcher Gewandtheit weiß er es hervorzuheben, worin Andere es versehen haben, und wie Vieles zu seiner Entschuldigung gesagt werden kann, und dagegen zu verdecken, worin er selbst es versehen hat, und selbst schuldig ist! Warum hat mich Gott mit diesem übermächtigen Hange zur Sünde, gerade zu dieser Sünde, geschaffen? Warum hat er mich in diese verwickelte und verworrene Lage meines Lebens geraten lassen? Warum hat er eine so drückende und unerträgliche Last auf meine Schulter gelegt? Warum war die Versuchung so groß? Warum waren der verführerischen Beispiele so viele? Wir sehen es ja schon an unseren Kindern, mit welcher Schlauheit und Gewandtheit sie sich so selbst rechtfertigen, und wie schwer es ihnen wird, ihr Unrecht freimütig und rückhaltlos einzugestehen. Es ist dieselbe Adamsnatur noch heute in uns, wie einst in dem Stammvater unseres Geschlechts und unserer Sünde, da er sprach: „Das Weib, das du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baume, und ich aß!“ (1 Mos. 3,12.)
Darum warnt Jakobus: „Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde! Denn Gott ist nicht ein Versucher zum Bösen; er versucht Niemand“. Zwar er lässt uns in mancherlei Anfechtungen fallen; die Trübsale, die dunklen Führungen unseres Lebens kommen von ihm; er versucht uns durch sie, oh wir die Prüfung bestehen, und Glauben halten und bewährt werden. Wie er den Abraham versuchte, ob er Glauben halten, und im Gehorsam des Glaubens seines eigenen Sohnes nicht verschonen würde. Wie er Israel in der Wüste versuchte, ob es ihm gehorchen, und in seinen Worten bleiben würde. Aber der Reiz zur Sünde, zur Übertretung seiner Gebote, kommt nicht von ihm. Wie er selbst unversuchbar ist, so versucht er auch Niemand zum Bösen. Der Versucher zum Bösen wohnt in dir selbst, in deinem eigenen Herzen. Da suche ihn, und da bekämpfe ihn! Kein äußerer Feind könnte die Festung einnehmen, wenn nicht der Verrat im Inneren lauerte, bereit, dem Feinde die Tore zu öffnen. Keine Macht der Welt, keine Satanstücke, kein noch so verführerischer Reiz deiner Umgebungen, keine noch so drückende Wucht des Leidens kann dich wider deinen eigenen Willen zum Fall bringen; sondern „ein Jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird. Danach, wenn die Lust empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert sie den Tod“.
Jakobus vergleicht hier die Lust mit einer Dirne, welche den Willen des Menschen lockt und ködert; und wenn er sich ihr ergeben hat, so empfängt sie von ihm, und gebiert die Sünde. Denn das ist das Wesen der Sünde, dass der Wille Ja sagt zu der Lust des Herzens. Darum ist die Sünde schon da, und hat Leben in dir gewonnen, ehe noch das böse Wort über deine Lippen ging, oder deine Hand sich regte, das Böse zu tun. Eva war eine Sünderin vor Gott, ehe ihre Hand nach der verbotenen Frucht griff, und der Mund sie gegessen hatte. Aber einmal im Herzen geboren, wie rasch entwickelt sich meist die Sünde, und reift zum bösen Worte, zur bösen Tat! Und wie rasch greift sie dann um sich, und die eine Sünde wird zur Mutter der anderen! Mit dem hoffärtigen Gelüste, zu sein wie Gott, brach aus dem Herzen des ersten Menschen der Unglaube an Gottes Wort hervor, der Undank gegen seine Liebe, der Ungehorsam gegen seinen Willen. Zerrissen war das Band der Liebe, welches ihn mit seinem Weibe verband; er ward zum Verkläger desselben vor Gott. Und wie jäh und furchtbar steigerte sich nun die Sünde! Der erstgeborene Sohn der Mutter aller Lebendigen wird zum Brudermörder, und spricht in dem Trotze seines Herzens gegen Gott: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ (1 Mos. 4,9.) Bald, und es vollendet sich die Sünde im Abfall alles Fleisches von Gott und zum Tode alles Fleisches im Gericht der Sündflut! Was ist auch die Sünde anders, als ein geistiger Tod, der sich durch den leiblichen Tod zum ewigen vollendet!
Im Blick auf diese furchtbare Macht und diese Frucht der Sünde ruft Jakobus aus: „Irrt nicht, liebe Brüder! Alle gute Gabe, und alle vollkommene Gabe kommt von Oben herab, vom Vater des Lichts, bei welchem ist keine Veränderung, noch Wechsel des Lichts und der Finsternis“. Gott ist der Urheber alles Lichts; und noch heute derselbe, der er war, da er Himmel und Erde schuf durch das Wort seines Mundes und sprach: „Es werde Licht!“ und es ward Licht, und es lobten ihn die Morgensterne mit einander, und jauchzten alle Kinder Gottes. Ob die Sterne, je nachdem ihre Sonne sie beleuchtet, zwischen Licht und Finsternis wechseln, in Gott ist kein Wechsel des Lichts und der Finsternis. Er bedarf keiner Sonne, die ihm Licht gebe, und braucht nicht zu warten, bis sie ihr Licht ihm wieder zuwende; denn er ist selbst die ewige Quelle alles Lichtes der Sonnen. „Darum irrt nicht, liebe Brüder!“ Nicht von Gott, dem Vater des Lichts, dem selbst über alle Versuchung Erhabenen, kommt die Versuchung zum Bösen, zu den Werken der Finsternis! Sie kommt allein aus dir selbst, aus der widergöttlichen Lust deines eigenen Herzens.
Wie wollt ihr darum die Sünde siegreich bekämpfen, dem überflutenden Strom des sündigen Verderbens wehren, wenn ihr gegen ihre Quelle das Auge verschließt? Und wie anders kannst du darum den Sünder zurückführen auf den Weg des Friedens, und seine Seele vom Tode erretten, als wenn du ihn in das eigene Herz weist als die Quelle seiner Sünde und seines Verderbens? Nimm einen unglücklichen, in Sünde und Schande geratenen Menschen, zu dessen Entschuldigung Alles, was irgend zur Entschuldigung menschlicher Sünde gesagt werden kann, zusammentrifft, der, von verbrecherischen Eltern geboren, in einer verbrecherischen Umgebung unter bösen Beispielen herangewachsen und durch die Gewalt eigener und von den Eltern ererbter sündlicher Begierden frühe zum Lasterleben gereift ist, du erweist ihm, wenn er einmal zum Bewusstsein über sich selbst und seine Sünde und zur Sehnsucht nach Ruhe für seine Seele erwacht ist, keinen Dienst und keine Wohltat damit, wenn du ihm das Alles, was menschlich betrachtet, zu seiner Entschuldigung dient, vor die Augen stellst, und er wird es dir wenig Dank wissen, sondern kopfschüttelnd antworten: Was machst du, dass du mit solchen eitlen Tröstungen mein Gewissen in Schlummer zu wiegen suchst? Nein, nein, wie groß auch die Übermacht der Versuchung, und des bösen Beispiels und der verführerischen Umgebung war, der ich erlag, und wie unwiderstehlich je länger, je mehr durch die immer neuen Einwilligungen in die Sünde die Lust meines Herzens geworden war, und mein Wille immer mehr geknechtet, und daran gewöhnt, dem sündlichen Hange zu folgen; gezwungen, rein gezwungen das Böse zu tun, war ich doch nie, wie das Tier gezwungen, welches dem Triebe seiner Natur folgt, und nie habe ich eine Sünde getan, ohne dass mein eigener Wille irgendwie dareingewilligt und dazu Ja gesagt hätte!“ Und darum, willst du ihm ein Führer zum Frieden, ein Retter seiner Seele, werden, an dieser seiner Selbstanklage knüpfe an, und schärfe ihm das Bewusstsein seiner eigenen Verschuldung! Aber dann verkündige dem gebrochenen, bußfertigen Sünder die Gnade Gottes, die, wo die Sünde mächtig ward, doch noch viel mächtiger geworden ist, und es Alles unter die Sünde beschlossen hat, um sich Aller zu erbarmen; und auch für den verlorensten Sünder noch nicht zu spät, noch Zeit zur Umkehr, zur Buße, zum Glauben, zum Frieden, zu einem neuen seligen Leben in Gott! Denn der Tod ist der Sünde Sold; aber die Gabe Gottes ist das ewige Leben in Christo Jesu, unserem Herrn!“ (Röm. 6,23.)
2.
Das ist der Weg des Heils und des Lebens, auf welchem verlorene Sünder selige Kinder Gottes werden, Erstlinge seiner Kreaturen. Und nicht nur für den Schächer am Kreuz, nein, für uns Alle kein anderer Weg des Heils und des ewigen Lebens. Von Natur sind wir Alle Adamskinder, durch das Lügenwort des Versuchers in den Tod verderbet: „Ihr werdet mitnichten des Todes sterben!“ (1 Mos. 3,4.) Aber durch das selige und seligmachende Wort der Wahrheit werden wir wiedergeboren zum neuen Leben in Gott. „Denn er hat uns gezeugt nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, auf dass wir wären Erstlinge seiner Kreaturen“.
Darum irrt nicht, liebe Brüder! Nicht nur von allen Gaben des irdischen Lebens, von Allem, was wir zur Nahrung und Erquickung des Leibes und der Seele bedürfen und empfangen, gilt es:
„Dankt dem Herrn; mit seinen Gaben
Füllet er das ganze Land;
Alles, Alles, was wir haben,
Kommt aus seiner Vaterhand!“
Nein, erst recht von Allem, was wir bedürfen und haben und sind nach dem inwendigen Menschen, an Kräften der neuen Geburt und des ewigen Lebens. Wir sind Nichts aus uns selbst, und haben Nichts, das wir nicht zuvor empfangen hätten. Auch der Frömmste unter uns ist ein armer Sünder vor Gott. Aus Gnaden sind wir gerecht geworden vor ihm, in Christo vom Tode der Sünde errettet, und wiedergeboren zu Kindern Gottes und Erstlingen seiner Kreaturen. Aus Gnaden sind wir, was wir sind, und auch das Beste, was wir hier wirken, und um das Menschen uns preisen, ist Gottes Geschenk, ein Werk seiner Gnade.
Und doch, wie oft und wie leicht vergessen wir das, und irren, und täuschen uns über uns selbst. Wir machen Gott zum Urheber unserer Sünde, und schreiben das Gute uns selbst zu, statt dem Gnadenwerke Gottes an uns die Ehre zu geben. So verführen wir uns selbst in Hoffart und Eigengerechtigkeit und Eigenliebe und Undank gegen Gott, und erfüllen nicht unseren Beruf, Erstlinge seiner Kreaturen zu sein zu Lobe seiner herrlichen Gnade.
Darum dankt Gott; aber nicht, wie jener Pharisäer ihm dankte, dass er nicht sei, wie andere Leute, und dabei sich selbst die Ehre zuschrieb, die Gott gebührte! Dankt ihm, wenn er vor Tausenden eurer Brüder sich in Gnaden über euch erbarmt, und euch mit einem glücklicheren Ebenmaße seiner Gaben und Kräfte ausgerüstet, vor Anderen freundlich geleitet, und euch vor gröberen Sünden und schwereren Verirrungen bewahrt hat! Dankt ihm, wenn er durch die treue Sorge der Eltern und Führer eurer Jugend frühe dies seligmachende Wort der Wahrheit in euch gepflanzt hat! Dankt ihm für alles Gute, das sein Geist in euch gewirkt hat, das ihr in seiner Kraft und in seinem Namen wirken durftet, und gebt ihm die Ehre!
O, nimm sie an, nimm sie in Gnaden an, Herr, unser Gott, Du Vater des Lichts, Brunnquell aller Gnaden, von welchem alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe herabkommt, nimm sie an, die Lobopfer unseres Dankes, und hilf uns, sie aus reinem Herzen, mit unseren Lippen, wie mit unserem ganzen Leben Dir darzubringen! Mehre sie unter uns und an aller Welt Enden, die Menge Deiner Kinder, der Erstlinge Deiner Kreaturen, die, von der Finsternis berufen zu Deinem wunderbaren Lichte, zur seligen Gotteskindschaft verordnet, mit uns Deinen Namen preisen, und etwas werden nach Deinem gnädigen Willen zum Lobe Deiner herrlichen Gnade!
Rühmet, ihr Menschen, den hohen Namen
Des, der so große Wunder tut;
Alles, was Odem hat, rufe: Amen!
Und bringe Lob mit frohem Muth!
Ihr Kinder Gottes, lobt und preist
Vater und Sohn und heil'gen Geist!
Hallelujah! Hallelujah!
Amen.