Luger, Friedrich - Der Brief des Jakobus - Neunzehnte Betrachtung.
Gedenkt an die Unsicherheit und Flüchtigkeit des menschlichen Lebens auf Erden!
Über Jak. 4,13-17.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesu Christo! Amen.
Jak. 4,13-17:
„Wohlan, die ihr nun sagt: Heute oder morgen wollen wir gehen in die oder die Stadt, und wollen ein Jahr da liegen und hantieren und gewinnen! die ihr nicht wisst, was morgen sein wird. Denn was ist euer Leben? Ein Dampf ist es, der eine kleine Zeit währt; danach aber verschwindet er. Dafür ihr sagen solltet: So der Herr will, und wir leben, wollen wir dies oder das tun! Nun aber rühmt ihr euch in eurem Hochmut. Aller solcher Ruhm ist böse. Denn wer da weiß, Gutes zu tun, und tut es nicht, dem ist es Sünde.“
In dem Herrn Geliebte! Noch einmal kehrt Jakobus zu seinen Warnungen vor den eitlen Gedanken und Gelüsten des hoffärtigen Menschenherzens zurück. Er hatte seine Leser ermahnt: „So seid nun Gott untertänig“, und „demütigt euch vor Gott!“ Er hatte sie vor lieblosem Reden und Richten. über die Brüder gewarnt, und sie auf den einigen Richter hingewiesen, welcher selig machen und verdammen kann. „Wer bist du, dass du einen Anderen urteilst?“ fragte er am Schlusse unseres vorigen Textes. Und was weiß du, fügt er heute hinzu, wie bald vielleicht du selbst vor diesem einigen Richter offenbar werden musst, um dein Urteil von ihm zu empfangen? Und wer bist du, dass du so hoffärtig und so sicher dahinlebst, und auf Jahre rechnest, als ob du dein Leben in deiner Hand hättest, und vergisst die Unsicherheit und Flüchtigkeit alles menschlichen Lebens auf Erden, statt es treu und weise zu gebrauchen, und dich mit Allem, was du tust, in die Hand dessen zu stellen, des wir sind, und zu dessen Ehre wir zu leben berufen sind? Darum, Christen:
Gedenket an die Unsicherheit und Flüchtigkeit des menschlichen Lebens auf Erden!
das ist es, was dies Wort des Jakobus seinen Lesern zuruft. Sei es denn auch uns heute eine ernste Mahnung,
- nicht sicher und vermessen über unsere Zukunft zu verfügen, als ob wir ewig hier fortleben könnten; sondern:
- diese kleine Zeit unseres hineilenden Lebens treu und weise zu gebrauchen, und:
- mit Allem, was wir tun, uns in Gottes Hand zu stellen, und ihm die Ehre zu geben!
Gott der Gnade aber segne diese Betrachtung an unser Aller Herzen! Amen.
1.
„Wohlan, die ihr nun sagt: Heute oder morgen wollen wir gehen in die oder die Stadt, und wollen ein Jahr da liegen und hantieren! die ihr nicht wisst, was morgen sein wird!“
„Die ihr nicht wisst, was morgen sein wird!“ Es ist, in dem Herrn Geliebte! ja keine neue und absonderliche Weisheit, welche der Knecht Gottes und des Herrn Jesu Christi uns mit diesen Worten predigt, sondern eine alte und gar gemeine. Er hat auch gar nicht die Absicht, uns damit etwas Neues und Absonderliches zu sagen; er will uns nur fragen, ob wir diese alte und gemeine Weisheit auch recht zu Herzen genommen, und sie uns zu Nutze gemacht haben, wie wir es sollten. Denn so alt und gemein sie auch ist, so wenig wird sie von den Menschen beachtet. Wir wissen nicht, was morgen sein wird, und leben doch so sicher dahin, und rechnen so vermessen auf die Zukunft, als ob wir über Jahre zu verfügen hätten. Nicht in der Jugend nur, in welcher der Weg durch das Leben sich noch so unabsehbar vor uns ausdehnt, dass wir meinen, er könne niemals ein Ende nehmen, oder in den Jahren unserer männlichen Kraft, des frischen, fröhlichen Strebens und Gelingens unserer Arbeit; nein, auch das Alter schützt vor der Torheit nicht. Wie Mancher, den die Zahl der bereits entschwundenen Jahre täglich an das Ende seines Lebens mahnen sollte, fährt fort, in gewohnter Weise auf die Zukunft zu rechnen, auf ein Jahr wenigstens noch, und wieder auf ein Jahr, während jeder Jahreswechsel, jeder Sterbefall, und die abnehmende Kraft, die zunehmende Vereinsamung, und so manche erschütternde Heimsuchung immer wieder mahnend predigen: „Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben!“ (Ps. 39,6.) Rühme dich nicht des morgenden Tages; denn du weiß nicht, was heute sich begeben mag!“ (Spr. 27,1.) - Was macht ihr denn, dass ihr so sicher und vermessen über eure Zukunft verfügt, als ob ihr hier ewig fortleben könntet, und sprecht: „Heute oder morgen. wollen wir gehen in die oder die Stadt, und wollen ein Jahr da liegen und hantieren und gewinnen?“. „Hantieren und gewinnen!“ Gewinnen und Genießen! Wie groß ist die Menge derer, die von keinem anderen, höheren Ziele ihres Lebens und Strebens wissen, bei denen diese irdischen Gedanken und Sorgen alle anderen verschlingen! Schifffahrt, Handel, Verkehr, Gewerbe, Industrie; das sind die Götzen, in deren Dienst sie des lebendigen Gottes und ihres ewigen, himmlischen Berufs vergessen. „Darum sollt ihr nicht sorgen, und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach solchem Allem trachten die Heiden; denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr des Alles bedürft. Trachtet am Ersten nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit; so wird euch Solches Alles zufallen!“ (Matth. 6,31-33.) Hört auf, über den Sorgen um irdischen Gewinn den einen Gewinn zu vergessen, ohne welchen aller andere Gewinn Verlust ist! „Was hilft es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ (Matth. 16,26.) Was nützen ihm die gefüllten Scheuern und großen Vorräte auf viele Jahre, wenn es heißt: „Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern!“ (Luk. 12,20.)
2.
Denn was ist euer Leben? „Ein Dampf ist es, der eine kleine Zeit währt; danach aber verschwindet er.“ Was weiß du, ob dein Leben die siebzig oder achtzig Jahre währen wird, von welchen der Mann Gottes gesagt hat? Weißt du doch nicht, was morgen sein wird! Aber gesetzt, du kämest zu dieser äußersten Grenze des menschlichen Alters, und über dieselbe hinaus; es ist ja dennoch nur eine kleine Zeit, diese Zeit deines Lebens auf Erden; „denn es fährt schnell dahin, als flögen wir davon“. (Ps. 90,10.) - „Ist doch der Mensch gleich wie Nichts“, sagt der königliche Sänger; „seine Zeit fährt dahin wie ein Schatten“; (Ps. 144,4) und wiederum: „Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras; er blüht wie eine Blume auf dem Felde“. (Ps. 103,15.) „Ein Dampf“, sagt Jakobus, ist das Leben des Menschen, „ein Dampf, der eine kleine Zeit währt; danach aber verschwindet er.“ Nimm einen Rauchdampf, welcher vom Feuer aufsteigt! Du verfolgst ihn eine Weile mit deinen Augen; dann hat er sich in der Luft verflüchtigt, und du siehst ihn nicht länger. Oder nimm ein Dunst- und Nebelgewölk, welches sich am Himmel emporhebt! Eine Weile kannst du es sehen; aber bald ist es in Nichts zerflossen. - Wo sind sie? Wo sind sie geblieben, die vorigen Jahre meines Lebens, welche waren und nicht mehr da sind? War es nicht gestern, dass ich ein Kind mit Kindern spielte, und an der Hand meines Vaters zum ersten Male in die Schule geführt ward? Wie ist denn mein Haar schon so weiß geworden, und der Abend meines Lebens gekommen! Wie bald, wie bald, und der Rest meiner Jahre, vielleicht nur Tage, ist vergangen, und es kommt der Tag meines Lebens, dem für mich keiner mehr folgen wird! Was sind die Jahrtausende, nach welchen wir die Geschichte der Menschenkinder auf Erden berechnen, vor dem Ewigen, vor welchem tausend Jahre sind, wie ein Tag! Und alle diese Millionen und Geschlechter der Menschen, welche kamen und gingen, was waren sie vor ihm, als ein Dampf, der eine kleine Zeit währte; danach verschwand er! Und in jedem Augenblicke dieser Jahrtausende irgend ein Menschenleben, welches also wie ein Dampf verschwand; und in jedem Augenblicke deines eigenen Lebens irgend ein Menschenleben auf Erden, welches also wie ein Dampf verschwindet; und was weiß du, welches der Augenblick sein wird, in welchem auch das Deinige also verschwindet!
Ernste, erschütternde Mahnung an die Flüchtigkeit und Unsicherheit des menschlichen Lebens auf Erden! Was will sie, und was soll sie uns predigen? Doch nicht, dass wir sprechen sollen: „Wohlan, so wollen wir denn dies kurze, hineilende Leben genießen, so lange es da ist!“ „Lasst uns essen und trinken; denn morgen sind wir tot!“ (1 Kor. 15, 32.) Doch nicht, dass wir verzweiflungsvoll allen Mut und allen Trost des Lebens von uns werfen, und sprechen: „Es ist Alles eitel; es ist Alles ganz eitel! Was hat der Mensch mehr von aller seiner Mühe, die er hat unter der Sonne?“ (Pred. 1,2.3.) Nein, dass wir diese kleine Zeit unseres Lebens desto gewissenhafter, treuer und weiser gebrauchen. Ihr wisst nicht, ob der morgende Tag euer ist; so verschiebt nicht auf morgen, was heute geschehen kann, sondern nützt jeden Tag eures Lebens mit dem Gedanken, er könnte der letzte sein! Mit dem Ernste nehmt vor Allem eurer eigenen Seelen wahr! „Heute, so ihr Gottes Stimme hört, so verstockt euer Herz nicht“, (Ps. 95,7.8.) und bedenkt das Eine, was not ist, und zu eurem Frieden dient! „Auf dass ihr heut und allezeit zu eurer Heimfahrt seid bereit!“ Mit dem Ernste lasst uns Gutes tun, und nicht müde werden, so lange es noch Zeit ist! Denn wer da weiß, Gutes zu tun, und tut es nicht, dem ist es Sünde.“ Freunde, welch ein Sündenregister schlägt Jakobus mit diesem Worte vor uns auf! Wie zahllos sind die Begehungssünden, wie viel zahlloser noch die Unterlassungssünden meines Lebens! So oft ich am Abende eines Tages auf mein Tagewerk zurückblicke, wie Vieles blieb ungetan, das ich hätte tun sollen, und am Morgen zu tun mir vornahm! Ich unterließ es aus Trägheit; ich schob es auf, weil Mut und Freudigkeit, es zu tun, mir fehlte; ich vergaß, es zu tun, weil Pflichtgefühl und Liebe nicht Kraft genug hatten, mein Gedächtnis zu schärfen. Und wie Vieles, das wir tun sollten, übersehen wir ganz, und es kommt nicht einmal zu dem Vorsatz, es zu tun! Wie viel ernster, treuer, gewissenhafter, weiser würden wir handeln, wenn wir es allezeit recht bedächten, und uns gegenwärtig hielten, welch eine kleine Zeit das menschliche Leben währt auf Erden!
3.
Eine kleine Zeit, in der es doch so Vieles und Großes zu tun gilt! Ein Leben, dessen morgender Tag ungewiss ist, und in welchem doch Werke zu tun sind, die in einem Tage oder Jahre nicht getan werden können. Wie not tut es denn, dass wir uns mit unserem ganzen Leben und Allem, was es zu tun gilt, in Gottes Hand stellen, und ihm die Ehre geben! „Dafür ihr sagen solltet“, schreibt Jakobus: „So der Herr will, und wir leben, wollen wir dies oder das tun! Nun aber rühmt ihr euch in eurem Hochmut. Aller solcher Ruhm ist böse.“
Das macht es ja nicht, dass wir bei Allem, was wir vorhaben, das Wort immer ausdrücklich im Munde führen: So der Herr will, und wir leben!' Wie leicht wird es dadurch zu einer leeren Redensart, und wie Mancher braucht es als eine Art Beschwörungsformel, um sich dadurch gegen Störung eines, vielleicht recht selbstsüchtigen oder eigenwilligen, Vorhabens zu sichern. Nein, auf das Wort kommt es nicht an, wenn es gleich dem Christen zur rechten Zeit sich wie von selbst auf die Lippen legen wird, so oft er sich der Bedeutung eines Werkes, der Nichtigkeit seiner eigenen Kraft, der Unsicherheit und Flüchtigkeit des menschlichen Lebens bewusst wird. Auf das Wort kommt es nicht an, aber der Sinn, der sich in diesem Worte ausspricht, darf dir nicht fehlen. Wer bin ich, dass ich etwas unternehmen oder ausführen könnte ohne, ja wider den Willen des Herrn!“ Darum prüfe dich, ob, was du tun willst, auch nach dem Willen Gottes getan werden könne, und dann bitte ihn inbrünstig und aus demütigem Herzen, dass er dir Kraft gebe, es in seinem Namen anzufangen, und es zu seiner Ehre zu vollenden, und danke ihm von Grund deiner Seele für jedes gute Werk, welches du also in seiner Kraft, zu seines Namens Ruhm und zum Segen deiner Brüder, vollenden durftest! Aller solcher Ruhm ist nicht böse.“
Denn, wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!“ (2 Kor. 10,17.)
Stellen wir uns also in Gottes Hand mit allem unserem Tun, und wissen wir uns also in seiner Hand, dann wird uns in allem Bewusstsein der eigenen Ohnmacht und aller Erkenntnis der Unsicherheit und Flüchtigkeit des menschlichen Lebens auf Erden doch der Mut und die Freudigkeit, Gutes zu tun, so lange es noch Zeit dazu ist, nimmer fehlen. Wollen wir doch Nichts, als was er will; und was wir vorhaben, ist sein Werk. Ist es sein Wille, dass ich es vollende, so ist es ihm ein Kleines, mir die Frist meiner Wallfahrt auf Erden zu verlängern, und die Kraft meines Wirkens zu stärken, bis es getan ist. Ist es aber sein Wille nicht also, wohlan, so steht das Werk, das ich in seinem Namen anfing, wie mein ganzes Leben, in seiner Hand, und es ist ihm ein Kleines, in die Arbeit, aus welcher er mich abruft, einen Anderen zu senden, dass er das Werk nach seinem Willen und zu seiner Ehre vollende!
Brauchen wir mit dem demütigen und zugleich glaubensmutigen und freudigen Ernste diese kleine Zeit unseres Lebens, dann ist es doch mehr, als „ein Dampf, der eine kleine Zeit währt; danach aber verschwindet er“; es ist wie der süße Wohlgeruch eines Opfers, welcher zu Gott emporsteigt; es ist eine Saatzeit für die ewige, himmlische Ernte. So „lasst uns, als wir denn nun Zeit haben, Gutes tun!“ - „Lasst uns Gutes tun, und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten ohne Aufhören!“ (Gal. 6,10.) Denn wer da weiß, Gutes zu tun, und tut es nicht, dem ist es Sünde“, und ein Knecht, der seines Herrn Willen weiß, und hat sich nicht bereitet, auch nicht nach seinem Willen getan, der wird viele Streiche leiden müssen.“ (Luk. 12,47.) Darum:
„All, was mein Tun und Anfang ist,
Gescheh im Namen Jesu Christ;
Der steh mir bei, so früh wie spat,
Bis all mein Tun ein Ende hat!“ Amen.