Luger, Friedrich - Der Brief des Jakobus - Fünfzehnte Betrachtung.
Die falsche und die rechte Weisheit.
Über Jak. 3,13-18.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesu Christo! Amen.
Jak. 3,13-18.
„Wer ist weise und klug unter euch? Der erzeige mit seinem guten Wandel seine Werke in der Sanftmut und Weisheit. Habt ihr aber bitteren Neid und Zank in eurem Herzen, so rühmt euch nicht, und lügt nicht wider die Wahrheit. Denn das ist nicht die Weisheit, die von Oben herabkommt, sondern irdisch, menschlich und teuflisch. Denn wo Neid und Zank ist, da ist Unordnung und eitel böses Ding. Die Weisheit aber von Oben her ist aufs Erste keusch, danach friedsam, gelinde, lässt ihr sagen, voll Barmherzigkeit und guter Früchte, unparteiisch, ohne Heuchelei. Die Frucht aber der Gerechtigkeit wird gesät im Frieden denen, die den Frieden halten.“
„Wer ist weise und klug unter euch?“ fragt Jakobus. Vor seinen Augen stehen jene Leser seines Briefes, denen er im Eingange dieses Kapitels zurief: „Liebe Brüder! Unterwinde sich nicht Jedermann, Lehrer zu sein!“ die er dann so ernstlich vor Zungensünden gewarnt hat. Weil sie sich selbst für weise und klug hielten, darum drängten sie sich dazu, Andere zu belehren und zu beraten, und entbrannten dabei von unlauterem Eifer und wilder Parteisucht wider einander. Seid ihr wirklich weise und klug, ist seine Meinung, so beweist es in anderer Art, als in diesem unlauteren Eifer und ehrgeizigen Drange, Anderen Rat und Lehre zu erteilen. „Wer ist weise und klug unter euch? Der erzeige mit seinem guten Wandel seine Werke in der Sanftmut“ - nicht, wie Luther übersetzt: „und Weisheit“, sondern vielmehr: „der Weisheit“, in der Sanftmut, meint Jakobus, welche aus der rechten Weisheit fließt, und ihr eigen ist! Und nun stellt er beide einander gegenüber: die falsche und die rechte Weisheit, und schildert sie nach ihren Merkmalen, an welchen sie erkannt werden, wie nach ihrem Ursprunge und nach ihren Früchten. Da seht denn den Gegenstand unserer heutigen Betrachtung! Wir betrachten
die falsche und die rechte Weisheit, und zwar beide, wie sie Jakobus nach ihren Merkmalen, ihrem Ursprunge und ihren Früchten uns schildert.
1.
„Wer ist weise und klug unter Euch?“ fragt Jakobus. Nun, in dem Herrn Geliebte! wie ist eure Antwort? Es gibt ja keiner gerne zu, dass es ihm an der rechten Weisheit und Klugheit fehle. Im Gegenteil, wie groß ist die Zahl derer, welche meinen, Alles am besten zu wissen und zu verstehen, und über Alles am besten ein Urteil fällen zu können! Gilt es doch bei Manchen für eine größere Schande, eine Dummheit begangen zu haben, als eine Sünde! Darum sieh hinein in den Spiegel, welchen dir Jakobus vorhält, und bedenke, dass die rechte Weisheit sich als solche auch in einem guten Wandel werktätig erweisen müsse, und dass, wo keine Sanftmut, auch keine rechte Weisheit zu finden ist! „Wer ist weise und klug unter euch? Der erzeige mit seinem guten Wandel seine Werke in der Sanftmut der Weisheit!“
Freilich gibt es einen Eifer für die Wahrheit, welcher nicht gegen die Sanftmut der rechten Weisheit streitet. Das ist der Eifer der heiligen Liebe, von welchem die himmlische Weisheit selbst entbrannt war, da sie persönlich auf Erden wandelte, der Eifer, mit welchem der Herr Jesus in seiner sanftmütigen Liebe eiferte gegen die verblendeten Blindenleiter seines Volkes. Wie anders aber dieser Eifer, vor welchem Jakobus seine Leser warnt, wenn er ausruft: „Habt ihr aber bitteren Neid und Zank in eurem Herzen, so rühmt euch nicht, und lügt nicht wider die Wahrheit!“ Ihr rühmt euch, weise zu sein; aber der bittere Neid und Zank, mit welchem ihr eifert, zeugt wider euch, und beweist, dass ihr nicht Gottes Ehre sucht, sondern eitlen Selbstruhm. Ihr behauptet, für Recht und Wahrheit eifern zu müssen, da ihr wisst, was Recht ist, und die Wahrheit erkannt habt. „Sollen wir denn unser Licht nicht leuchten lassen“, sprecht ihr, „das Licht der Weisheit, die wir von Oben herab, vom Vater des Lichts, empfangen haben?“ „Aber irrt nicht, und lügt nicht wider die Wahrheit! Denn das ist nicht die Weisheit, die von Oben herabkommt, sondern irdisch, menschlich, teuflisch.“ Nicht von Oben herab, vom Himmel, stammt eure zänkische Weisheit, sondern von der Erde; nicht aus dem Geiste Gottes, sondern aus dem natürlichen, dem Geiste Gottes widerstrebenden Menschengeiste; nicht von Christo, dem Könige des Himmelreiches, welcher gekommen ist, dass er die Werke des Teufels zerstöre, sondern eben von dem Teufel und aus seiner Verführung.
Denn: irdisch! das möchte ja sein; die irdische Klugheit hat ihr gutes Recht, wenn wir bei dem Worte an die Klugheit denken, deren der Mensch für das Leben auf Erden, für die Erfüllung seines irdischen Berufes bedarf. Wer wollte ihr dies gute Recht bestreiten, wenn sie sich nur nicht anmaßt, die himmlische Weisheit ersehen zu wollen, und den Menschen verführt, über der Arbeit und Sorge seines irdischen Berufs, über dem Bemühen, sich die Erde dienstbar zu machen, des Himmels und seines himmlischen Berufs zu vergessen. Aber der natürliche, vom Geiste Gottes nicht erleuchtete und wiedergeborene, Mensch lässt sich an dieser irdischen Klugheit nicht genügen; er zieht sie in den Dienst seines Ehrgeizes, seines Eigennutzes, seiner sinnlichen Begierden. Welche Hebel der Klugheit setzt er an, um etwas für sich zu gewinnen, es zu etwas zu bringen, sein Leben genießen zu können! Wie bläht er sich auf in dem eitlen Selbstgefühl, es so herrlich weit gebracht zu haben, und er vergisst es dabei: „Es ist dafür gesorgt, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen!“ Da hat der Teufel offene Bahn zu dem Werke seiner Verführung in Selbsttäuschung und bewusste Lüge, in welcher der Mensch sich eigenwillig gegen die Wahrheit verschließt, weil sie seinem Hochmute, seinem Eigennutze, seinen selbstsüchtigen Gelüsten widerstreitet. Darum ist die irdische, menschliche, teuflische Klugheit, diese Afterweisheit, die Mutter alles bittern Neides und Zankes unter den Menschen, von dem widerwärtigen Neiden und Zanken um das Mein oder Dein der irdischen Güter zu dem Schulgezänk der Priester und der Gottesgelehrten, die doch in Wahrheit nicht von Gott gelehrt sind, und zu der teuflischen Ausgeburt des Neidens und Zankens, da der Mensch mit bewusster Lüge für die Wahrheit streitet, und, während die eigene Ehre der Götze ist, für welchen er kämpft, die Ehre Gottes vorschützt.
Was Wunder, wenn solcher bitteren Wurzel die bittere Frucht entspricht! „Denn wo Neid und Zank ist, da ist Unordnung und eitel böses Ding.“ So sah es Jakobus vor seinen eigenen Augen zu Jerusalem an dem schrecklichen Bilde seines im Angesichte des hereinbrechenden göttlichen Gerichts vom Hader der Parteien zerrissenen Volkes. So predigt es uns jeder Blick auf die Geschichte und das Leben der Menschen auf Erden. Wo in einem Hause, in einer Stadt, in einem Lande und Volk, Neid und Zank ist, da gehen Wohlstand, Zucht und Ordnung zu Grunde. Wie nicht gar im Hause und Volke Gottes, in der Gemeinde des Herrn! Furchtbares Bild, dies Bild der Kirche Christi in ihrer nahezu zweitausendjährigen Geschichte, wenn wir sehen, wie dieser bittere Neid und Zank einer falschen Weisheit Christen wider Christen zu blutigen Kämpfen entzündet, die Kirche zerspalten, Bannflüche auf die Lippen derer, welche zu segnen berufen waren, gelegt, und Scheiterhaufen zum vermeintlichen Zeugnisse für die göttliche Wahrheit errichtet hat! Gott der Gnade erbarme sich über unser in seinem bürgerlichen, wie kirchlichen Leben von solchem Hass und Hader der Parteien zerrüttetes und zerrissenes Volk! Er errette uns von allem bittern Neid und Zank einer falschen Weisheit, und wirke selbst in uns durch seinen heiligen Geist von Oben herab die rechte Weisheit, auf dass wir nicht zu Schanden werden, und verstummen müssen vor dieser Frage des Knechtes Gottes und unseres Herrn Jesu Christi: „Wer ist weise und klug unter euch?“ sondern mit unserem guten Wandel unsere Werke erzeigen in der Sanftmut der rechten Weisheit, welche von Oben herab ist!“
2.
„Denn die Weisheit von Oben herab“, sagt Jakobus, indem er der falschen die rechte Weisheit gegenüberstellt, „ist aufs Erste keusch, danach friedsam, gelinde, lässt ihr sagen, voll Barmherzigkeit und guter Früchte, unparteiisch, ohne Heuchelei.“ Köstliche Merkzeichen, an welchen die rechte Weisheit erkannt wird! Sie ist aufs Erste“, vor Allem, keusch“, ohne alle Nebengedanken und Seitenblicke allein auf das hohe Ziel gerichtet, die Wahrheit zu erfassen und von ihr erfasst zu werden, von ihr Zeugnis abzulegen, und ihr Anerkennung und Geltung zu verschaffen. Darum wohnt sie in einem Herzen, welches nur Gott vor Augen hat, und seine Ehre sucht, nur ihn liebt, und nach seinem Willen fragt. Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz; prüfe mich und erfahre, wie ich es meine; und siehe, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege!“ (Ps. 139,23,24.) Darum ist sie danach „friedsam, gelinde, lässt ihr sagen“. Weil sie nichts für sich will, und von allen Gedanken der Eitelkeit und des selbstsüchtigen Ehrgeizes frei ist, darum ist sie in Allem mit Gott zufrieden, und sucht, soviel an ihr ist, und mit der Wahrheit bestehen kann, auch Frieden zu halten mit Jedermann, und trauert, wenn es ihr nicht gelingen will, die Einigkeit im Geiste zu halten durch das Band des Friedens, sondern sie um der Wahrheit willen vom Bruder sich zu scheiden genötigt ist. Sie ist „gelinde“, ohne Hartnäckigkeit und Eigenwillen, langmütig auch gegen den fehlenden Bruder, nicht zu zerreißen und zu zerstören, sondern zu erhalten und zu verbinden, bedacht. Sie löscht auch den glimmenden Tocht nicht aus, und zerbricht das zerstoßene Rohr nicht. Sie weiß es: „Wir waren auch weiland Unweise, Ungehorsame, Irrige“; (Tit. 3,3.) darum lässt sie sich nicht erbittern, wenn es ihr nicht alsobald gelingt, den Fehlenden von seiner Unwissenheit und seinem Ungehorsam, von seinen Irrtümern und Verirrungen zu überführen und zurückzuführen. Sie bescheidet sich, und ist ohne Rechthaberei, weil sie es weiß: Unser Wissen ist Stückwerk“, und „wir fehlen Alle mannigfaltig“ (1 Kor. 13,9. Jak. 3,2.) auch in unserer Erkenntnis der Wahrheit und in unserem Zeugnisse für dieselbe, und müssen uns daher sagen und weisen und zurechtweisen lassen, und auch im Lehren lernen. Die Weisheit von Oben herab ist aber auch voll Barmherzigkeit und guter Früchte“, guter Früchte werktätiger Liebe. Denn das Wissen bläst auf, aber die Liebe bessert“. (1 Kor. 8, 1.) Wir zeugen für die Wahrheit wirksamer durch ein Leben in helfender, dienender Liebe, als durch viele Worte oder gar bitteren Eifer. „Unparteiisch, ohne Heuchelei“, sagt endlich Jakobus. Liegt doch der rechten Weisheit nur an der Wahrheit, nicht an der eigenen Person; darum sieht sie auch die Person nicht an, und setzt nicht die Partei der Wahrheit vor. Sie erkennt auch auf der Seite des Gegners das Recht und die Wahrheit an. Sie gibt sich, wie sie ist, und will nicht scheinen, was sie nicht ist; sie spricht, wie sie denkt, und bekennt die Wahrheit ohne Menschenfurcht und ohne Rücksicht auf die Gunst der Menschen; sie ist klug, wie die Schlangen, und ohne Falsch, wie die Tauben“. (Matth. 10,16.)
Das ist der Lobgesang des Jakobus zum Preis der himmlischen Weisheit. Und nun, liebe Brüder! was antworten wir, wenn er im Hinweis auf diesen seinen Preis der himmlischen Weisheit noch einmal fragt: „Wer ist weise und klug unter euch?“ Müssen wir ihm gegenüber nicht verstummen, und in aller Demut und Beschämung bekennen, wie viel uns an diesen Merkmalen und Beweisen der rechten Weisheit noch fehlt, und wie oft noch bitterer Neid und Zank in unseren Herzen wohnen, und wir noch weit davon entfernt sind, mit einem guten Wandel unsere Werke zu erzeigen in der Sanftmut der Weisheit?“ Wohlan denn, in dem Herrn Geliebte! so richtet eure Herzen um so mehr und immer wieder zu der Quelle aller rechten Weisheit hinauf, zu dem Vater des Lichtes, von welchem alle gute und vollkommene Gabe herabkommt, und der Allen, welchen Weisheit mangelt, einfältiglich gibt, so sie im Glauben bitten! (Kap. 1,5.6.) Er reinige uns je länger je mehr von aller Unlauterkeit und allem selbstischen Wesen, und belebe in uns den einfältigen Trieb, licht in seinem Lichte zu werden, und von der Wahrheit zu zeugen, und „mit unserem guten Wandel unsere Werke zu erzeigen in der Sanftmut der Weisheit!“ Dann wird der rechten Weisheit auch die Frucht nicht fehlen: „Die Frucht aber der Gerechtigkeit wird gesät im Frieden denen, welche den Frieden. halten“.
Wenn Krieg die Völker zerfleischt, wenn des Feindes Rosse die Saaten zerstampfen, wenn Tausende statt der Pflugschar und der Sichel das Schwert nehmen müssen, dann können Glück und Wohlstand nicht gedeihen. Wie anders, wenn Eintracht und Friede die Völker, die Bürger einer Stadt, die Bewohner eines Landes, verbinden! Da gedeihen die Künste des Friedens; da blühen Handel und Gewerbe, und der Wohlstand wächst. Denn Friede ernährt, aber Unfriede verzehrt. So mag auch auf dem Acker des Reiches Gottes die Saat nur im Frieden und bei denen, welche den Frieden halten, gedeihen, und reifen zu Früchten der Gerechtigkeit. Da werden die Mauern der Stadt gebaut, und die Werke der Liebe gedeihen. Da wirft der Menschenfischer das Netz des Wortes Gottes in Segen aus, um Seelen zu fangen für das Reich Gottes, und man erfährt es auch im geistlichen Segen in himmlischen Gütern: „Siehe, wie fein und lieblich ist es, dass Brüder einträchtig bei einander wohnen! - Denn daselbst verheißt der Herr Segen und Leben immer und ewiglich!“ (Ps. 133,1.3.)
O, so treibe sie aus aus unseren Herzen, die irdische, menschliche, teuflische Weisheit, Herr, unser Gott, Du Quell aller Weisheit! und erfülle uns mit Deiner himmlischen Weisheit, auf dass wir in ihrer Kraft dem Frieden nachjagen, und als des Friedens Kinder vor Dir wandeln, und erfüllt werden mit Früchten der Gerechtigkeit, dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen, (Ps. 85,11.) und der Segen Deiner Verheißung sich reichlich an uns erfülle: Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen! Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen! (Matth. 5,5.9.) Amen.