Lobstein, Friedrich - Die letzten Worte - V. Die Reise der Weisen des Morgenlandes
Matth. 2, 1-12.
Man kann nicht ohne Rührung diese Weisen beobachten, wie sie eine lange Reise machen, um ihre Weisheit und Schätze zu den Füßen eines Kindleins zu legen. Um ein solch mühevolles Unternehmen auszuführen, dazu gehörte eine große Anziehungskraft; doch es erscheinen diese Weisen nicht allein; mit ihnen sind vierzig Jahrhunderte, um das Heil aller Völker und „die unaussprechliche Gabe Gottes“ zu begrüßen. Ja, „Gott hat uns das ewige Leben gegeben, und dieses Leben ist in seinem Sohne. Wer den Sohn hat, hat das Leben; wer den Sohn nicht hat, hat das Leben nicht.“ Der Leib des Kindleins zu Bethlehem ist auch der Körper der christlichen Lehre. Unser Glaube ist nicht ein System, er ist ganz und gar in einer Person. Die Wahrheit ist in Jesu Christo; alle Verheißungen Gottes sind zusammengefasst in ihm; alle Lehren der Heiligen Schrift führen zu ihm; die Liebe Gottes, die Versöhnung mit Gott, unsere Gerechtigkeit und unser Heil, Alles ist in dem Kindlein zu Bethlehem enthalten; und wenn die Weisen ihn anbeten, so feiern ihn die Engel in ihren Lobgesängen, und nennen ihn „die große Freude, die allem Volk widerfahren ist.“ „Was dem Menschen unmöglich war“ in seinem gefallenen Zustande, „das hat Gott getan“ in der Sendung seines Sohnes. „Gott gibt uns sein Einziges hin in dem Glanze seiner Herrlichkeit,“ „dem Ebenbild seiner Person,“ unsere „Füße auf den Weg des Friedens“ zu führen. „Das Wort, das am Anfang war, das bei Gott war, das Gott war, ward Fleisch und wohnte unter uns, voll Gnade und Wahrheit.“ Dieses Geheimnis der Fleischwerdung ruft der Tag zurück, der uns zusammenführt, und dieses Geheimnis ist die Säule der Wahrheit und der Grund der Kirche.
Gott, der mit dem Menschen eins wird, auf dass der Mensch mit Gott eins werden könne; der Gottmensch, welcher in seiner Natur zwei getrennte Ordnungen verbindet und sich uns anbietet als „der Mittler zwischen Gott und den Menschen,“ das ist's, was die Weisen anbeten und was uns den „einzigen Namen, durch den wir können selig werden,“ übermacht. Die Christfeier ist die Feier unserer Wiederherstellung, das Band, das der erste Adam zerrissen, hat Christus, der Mensch vom Himmel, wieder angeknüpft, um uns den „neuen Weg zu weisen, der zum Leben führt.“ Die Leiter, welche der Erzvater Jakob bloß im Traume sah, welche auf Erden feststeht und deren Ende im Himmel war, ist für uns eine Wahrheit geworden, denn „also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen Sohn gab.“ Als Gott kommt Jesus Christus vom Himmel herab und hat Macht, uns selig zu machen; als Mensch ohne Sünde kann er des gefallenen Menschen Stelle einnehmen und an seiner Statt gehorchen und leiden; noch drei und dreißig Jahre und das Kindlein wird sagen: „Alles ist vollbracht;“ er wird zurückkehren in den Himmel, als „der Herzog der Seligkeit für Alle, die ihm gehorsam sind,“ und wird in seiner menschlichen Natur uns selbst mit in den Himmel nehmen.
So lautet die göttliche Glaubenslehre; Gott opfert sich, das Christkindlein predigt uns die Liebe Gottes; die Fülle der Gaben Gottes ist in der Krippe zu Bethlehem, und „was kein Auge gesehen, was kein Ohr gehört, was in keines Menschen Herz gekommen, hat Gott denen bereitet, die ihn lieb haben.“
Die Reise der Weisen zeichnet uns einigermaßen den Weg vor, welchen wir zu befolgen haben, um das Christkindlein zu finden. Wir wollen sehen, wie das Christfest in den Seelen gefeiert wird; alle geistlichen Erfahrungen fassen sich in das Wort: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“
Es sehen die Weisen einen „Stern“; diesem folgen sie; ein treuer Führer leitet er sie zu dem Stalle in Bethlehem.
Wir können sagen, dass dieser Stern die große Verheißung Gottes darstellt an „das Volk, das im Finstern saß,“ und der scheinen sollte über die, „so im Todesschatten saßen.“ Mit gen Himmel erhobenen Augen erwartete die gottentfremdete Menschheit „den Samen des Weibes, welcher der Schlange den Kopf zertreten sollte;“ „den Erben Abrahams, Isaaks und Jakobs, in welchem alle Geschlechter der Erde sollen gesegnet werden;“ „den Propheten, welchen der Herr seinem Volke erwecken sollte; den Stern Jakobs, das Zepter Israels; den Sohn Davids, dessen Haus und Reich ewig bleiben sollte;“ das Kindlein sollte geboren werden und sein Name sollte sein „Wunderbar, Rat, Kraft, Ewig-Vater, Friedefürst; der Hirte Israels, dessen Gewalt ewig ist und nicht vergeht, dessen Königreich kein Ende hat; der Menschensohn,“ welchen Daniel schaute und welchem der Alte der Tage Gewalt, Ehre und Reich gab; und der die „Versöhnung sein wird. für die Missetat;“ endlich „das Lamm, das der Welt Sünde wegnimmt“ und das Johannes der Täufer an den Ufern des Jordans offenbarte. Diese große Verheißung, so vielfach wiederholt, bestätigt, bezeichnet, tritt uns entgegen in Bethlehem.
Diese Verheißung aber entspricht einem Bedürfnis der Seele. Was zwang die Weisen zu einer so weiten Reise, um ihre Huldigung dem „neuen Judenkönig“ darzubringen? Sie waren reich an Gütern dieser Welt, das ersehen wir aus den reichen Gaben, die sie niederlegen vor der Krippe; sie hatten einen andern Vorzug, sie besaßen den Geist der Wissenschaft, was uns die astronomischen Berechnungen anzeigen, welchen die Weisen des Morgenlandes sich gewöhnlich hingaben. Sollten großes Vermögen und Wissen nicht ausreichen zum Glück des Menschen und zu einem ruhigen Tod? Ach! eben wenn man solches Alles besitzt, so erkennt man mehr, denn sonst, dass man nichts hat, wenn die Seele nicht in einem versöhnten Gott ihre Ruhe findet. Es sind die Weisen, die nach Bethlehem ziehen, Seelen, die dürsten nach einem lebendigen Gut und nach einem neuen Dasein. Es gibt höhere Triebe in der Seele als diejenigen des irdischen Besitzes und der irdischen Forschung, das Bedürfnis nämlich, im Klaren zu sein über unser wahres Dasein, ob wir Friede haben oder nicht. Die Hoffnungen, welche gewöhnlich den Menschen beherrschen, sind nicht durch den Stern Bethlehems dargestellt. Von Hoffnung lebt der Mensch: der Arme in seiner Hütte, der Kranke auf seiner Leidensstätte, der Wanderer, der fern weilt von seiner Heimat, der Menschenfreund, welcher die Wunden der Menschheit zu heilen gedenkt; sie Alle hoffen; ihre Sterne aber gehen unter, sie sind nicht „das Licht, das das Leben der Menschen ist.“ Eine mühselige Seele weiß besser, was ihr fehlt, wenn sie, von der Gnade ergriffen, vor Allem und ernstlich nach ihrem Heile fragt. Vom Augenblick an, wo du erwachst zum rechten Selbstbewusstsein und wo du hungerst und dürstest nach Gerechtigkeit, gingst du bis ans Ende der Welt, um das Zeugnis zu vernehmen: „Deine Sünden sind dir vergeben;“ „dein Heiland lebt.“ Das ist's, was die Weisen suchten auf ihrer Reise nach Jerusalem. In dieser Stadt treten sie in Verkehr mit Herodes, welcher unter süßen Worten Mordgedanken verbirgt. Er will das Jesuskindlein töten und sich die Huldigungen sichern, welche die Weisen nach Bethlehem bringen. Ist nicht dies die Art des Fürsten der Welt? „Ist ein Herodes nicht das Bild des Mörders von Anfang?“ Wo eine Seele erwacht, erwacht auch Satan; er will den Glauben töten, ehe er Wurzel gefasst hat.
Im ruhigen Weltleben merkt man die Angriffe des Feindes nicht; aber wenn der faule Grund aufgedeckt wird, dann beginnen die Kämpfe. Zu Jerusalem scheint den Weisen der Stern nicht mehr; sie müssen sich erkundigen. So mag der Einfluss Satans deine Hoffnungen dir verschleiern; du hebst die Augen auf und siehst nur noch Finsternis; „aber, wir haben ein festes Wort, du tust wohl, dass du darauf achtest.“ „Forscht in der Schrift,“ o ihr, die ihr sucht und noch nicht gefunden habt. Die Macht, welche euch zieht und welche aus euch neue Kreaturen machen will, tritt im Evangelium euch entgegen. Die Bibel kennt deine Bedürfnisse, und die unbestimmte Sehnsucht, welche dich Jesu nahe bringt, spricht die Bibel in klaren Worten aus. Die ganze Schrift ist göttlich eingegeben, und „sie ist es, spricht Jesus Christus, die von mir zeugt.“ Der Feind „vermag nichts gegen die Wahrheit;“ stütze dich auf das heilige Wort, nicht auf deine eigenen Kämpfe; glaube an die Verheißungen, welche fester sind, denn Himmel und Erde; denn „Himmel und Erde werden vergehen, aber diese Worte nicht.“ Die Weisen gehorchen den Andeutungen dieses Wortes und wieder geht vor ihnen der Stern einher, den sie im Morgenland gesehen, bis dass er stille stand am Orte, wo das Kindlein war.“ Das ist der glückliche Augenblick, wo eine Seele, von der Gnade ergriffen, „den antrifft, von dem Moses und die Propheten sprachen.“ Der Stern bleibt stehen, sobald die Heilsverheißung zum Heilsgenuss wird, sobald der Morgenstern im Herzen aufgegangen ist.
Gott ist treu, wenn er sagt: „Ihr werdet mich suchen und werdet mich finden, so ihr mich von ganzem Herzen sucht.“ Man ist nur glücklich, wenn man etwas Festes besitzt. „Ich will meine Augen nicht schlafen lassen, noch meine Augenlider schlummern, bis ich eine Stätte finde für den Herrn, zur Wohnung dem Mächtigen Jakobs.“ „Aber niemand kommt zum Vater, sagt Jesus Christus, denn durch mich; wer den Sohn nicht hat, hat den Vater nicht;“ so geh' denn nach Bethlehem, du, der du nichts Festes hast und wie die Meereswoge vom Winde hin- und hergetrieben und gewebt wirst; du wirst einen „köstlichen Eckstein“ finden, denn „der Heiland, der da ist Christus, ist dir geboren.“
Das war ein Augenblick, als die Weisen, in dem bescheidenen Stall, vor dem Kindlein niederfielen und es anbeteten! Sie fragen nicht: „Bist du, der da kommen sollte, oder sollen wir einen Andern erwarten?“ Sie entäußern sich selbst, und das ist der Weg zum Verständnis. Anstatt über Jesum Christum lange hin und her zu reden und zu grübeln, geh' hin zu ihm und er wird dir mehr geben als alle Menschen und alle Bücher. „Er ist gekommen, um von der Wahrheit zu zeugen; und wer aus der Wahrheit ist, spricht er, hört meine Stimme.“ Das Christuskindlein ist der Säugling, aus „dessen Mund Gott sich das Lob bereitet;“ die Weisen sehen das Kind, und „wer den Sohn sieht und glaubt an ihn, der hat das ewige Leben und wird auferstehen am jüngsten Tage.“
Man kann fragen: Wussten die Weisen wohl, wen sie vor sich hatten? Und wir, die wir die Bibel haben, und denen Jesus Christus sonntäglich gepredigt wird, haben wir „verstanden, welches da sei die Breite und die Länge, die Tiefe und die Höhe“ des Geheimnisses zu Bethlehem? Der Ewige, der Unendliche, wir haben ihn vor uns in Zeit und Raum. Der Unsichtbare, wir sehen ihn mit unsern Augen und „unsere Hände betasten ihn.“ „Der König der Könige, der Herr der Herren,“ wird unser Bruder, der Teilnehmer an unsern Schwachheiten. Er, der alle Kreaturen ernährt, wird selbst durch eine sterbliche Mutter gestillt. Der Tröster aller Betrübten weint nun selbst wie ein kleines Kind und zittert an der Brust der Jungfrau. „Der Schöpfer des Lebens, Odems und Daseins“ nimmt selbst ein sterbliches Dasein an, um es einige Jahre später auf dem Kreuze auszuhauchen. Und diese Fleischwerdung des lebendigen Gottes ist nicht ein Traum, ein Gesicht, sie ist eine wirkliche Tatsache der Geschichte. Zwar kann nur die Liebe begreifen, was Liebe ist. Die Weisen beten an und öffnen ihre Schätze; um zu begreifen, müssen wir uns selbst hingeben, und diese Dargebung an Gott schließt die Ablösung von den irdischen Gütern mit in sich.
„Gott ist die Liebe,“ das erkennen wir heute. „Der Mensch ist zum Bilde Gottes geschaffen“ und glücklich ist er nur, wenn er liebt und durch die Musterliebe überwunden ist. Was für einen Gewinn hast du davon, wenn du dir selbst verbleibst und deine Schätze dem vorenthältst, der sich „für dich erniedrigt hat?“ Die Liebe ist die Seligkeit einer Seele, die sich hingeben konnte, und die Schätze, welche nicht Jesu zu Füßen gelegt werden, bringen nur Tränen ein. In dieser Stadt sind Leute, die Millionen haben; sind sie dadurch glücklich? Dieser Mammon ist trügerisch; ihre Arbeit bringt Qual ein. Übrigens, was haben wir unter diesem „Gold“, diesem „Weihrauch“, diesen „Myrrhen“ zu verstehen? Was dem Christkinde kostbar ist, was es als seinen Anteil von uns begehrt, das sind unsre Kämpfe, das ist unser Elend. Gib ihm dieses ungebrochene Herz, diesen ungebeugten Willen, diese Vergangenheit, die dich plagt und anklagt; mehr will Jesus nicht; er weiß, dass, wenn er deine Sünden hat, so hat er dein Leben und deine Götzen.
Nachdem die Weisen das Kindlein angebetet hatten, kehrten sie nicht mehr zu Herodes zurück. Sie waren „göttlich gewarnt worden und kehrten in ihr Land auf einem andern Wege zurück.“ So ergeht es der Seele, die den Herrn gefunden. Sie wird „göttlich gewarnt,“ nicht mehr in die Welt, zum Fürsten der Welt zurückzukehren; sie nimmt einen andern Weg und ihr letztes wird besser sein als ihr früheres.“ Ein solche Seele ist bewahrt; sie lebt unter dem Einfluss eines neuen Geistes, der sie von den Weltlüsten freimacht und sie lehrt, sich zu strecken nach dem Ziele, nach dem Preis der himmlischen Berufung Gottes in Jesu Christo.“ „Die große Freude, die allem Volk widerfahren ist,“ wird die sein, „den guten Kampf zu kämpfen“ und zu vollenden „den Lauf, der uns verordnet ist;“ unsre Kraft wird sein „im Aufsehen auf den Anfänger und Vollender des Glaubens.“ Solches lehrt uns die Fahrt der Weisen und die Krippe zu Bethlehem. Die Feste Gottes bleiben immer jung; das weiß die Kirche, welche aus der Fülle ihres göttlichen Hauptes ihr Leben schöpft; „er ist arm geworden für uns, auf dass wir durch seine Armut reich würden.“ Jesus Christus ist nicht eine Gabe, wie eine andere; „Er ist unser Friede“ und hat aus allen Völkern ein Volk gemacht, indem er „die Scheidewand“ abbrach. Wir sehen zwar nicht die Seelen, die aus der Ferne kommen und endlich zu verstehen beginnen; aber wir sehen, dass die da suchen, finden, und dass die da gefunden haben, das Leben gefunden haben. Befrage dich über deine innersten Bedürfnisse und du wirst sie alle befriedigt finden in der höchsten Gabe, in welcher Gott uns Alles gibt. Wir haben hinfort eine Stätte, wo wir unsre Sünden, unsre Tränen, unsre Gebete hinbringen können. „Dies ist der Tag, den der Herr gemacht; lasst uns darin freuen und fröhlich sein; der Sperling hat sein Haus gefunden und die Schwalbe ihr Nest;“ die Welt erbebe, Finsternis lagere sich auf unsern Pfad, dennoch bleibt das Licht, das von Bethlehem ausstrahlt; „Reichtum und Herrlichkeit sind mit ihm, unvergängliches Gut und Gerechtigkeit.“ „Sucht den Herrn, so lang' er zu finden ist,“ habe den Mut, dich ihm zu ergeben, und du wirst inne werden, dass der Sohn Gottes „lebt“ und reich ist über „Alle, die ihn anrufen;“ dass, wenn ihr die Erde verlässt, ihr in eure Heimat zurückkehrt, mit den Worten Simons: „Herr, nun lässt du deinen Diener im Frieden fahren, denn meine Augen haben gesehen dein Heil.“ Amen.