Lobstein, Johann Friedrich - Die Geheimnisse des Herzens - XV. Die Verlegenheiten
Psalm 25, 4. 5.
“Herr, zeige mir deine Wege, und lehre mich deine Steige. Leite mich in deiner Wahrheit, und lehre mich; denn du bist der Gott, der mir hilft; täglich harre ich dein.“
Diese Worte sind das Gebet eines Mannes, dem seine eigene Kraft und sein Licht ausgegangen ist. Er weiß nicht, welchen Weg er wandeln soll, seine Füße sind im Netz, er ist einsam und elend, in großer Betrübnis seiner Seele. Angst hat ihn umfangen, seine Feinde umgeben ihn, sein Gewissen klagt ihn an, mit einem Wort, seine Seele ist betrübt. Was soll er machen? Sich vor seinen Gott hinstellen, beten, seufzen, harren. Wohl dem, der in einer solchen Lage den Mut nicht verliert, sondern daran gedenkt, dass Gott seine Hilfe ist, und dass keiner zu Schanden wird, der auf ihn harret. Der ganze Psalm, dem unser Text angehört, ist ein Erguss einer kämpfenden Seele, die aber im Glauben kämpft. Auch ein schwacher Glaube ist immer noch Glaube. Der Herr löscht den rauchenden Docht nicht aus. Wenn wir in solche Lagen kommen, so müssen wir immer zuerst untersuchen, ob unser Herz redlich und aufrichtig, oder ob in uns etwas Falsches vorhanden sei, und wenn wir uns dann das Zeugnis geben können, dass wir aufrichtig sind vor dem Herrn: so dürfen wir getrost hoffen, dass sich die schwarzen Wolken zerteilen werden, obgleich wir jetzt nach des Herrn Willen traurig sind in mancherlei Anfechtungen. Aus dem Kampfe des Glaubens wird das Gold nur um so reiner hervorgehen zu Lob, Preis und Ehre, wenn der Herr Jesus Christus wird geoffenbart werden.
Was ist die Ursache der Betrübnis des Psalmisten? Ist's eine geistliche oder eine äußerliche Not? Wir wissen es nicht. Vielleicht war es beides. Das Gewissen hat an den Kämpfen mit Widerwärtigkeiten immer seinen Anteil, so wie die innern Leiden immer auf unser äußeres Befinden Einfluss haben. Wir sind zusammengesetzt aus dem innern und dem äußeren Menschen; einer wirkt auf den andern; eine Tiefe ruft der andern. Aber das Stoßgebet des Psalmisten zeigt uns zu gleicher Zeit das Geheimnis unserer Kraft. Herr, zeige mir deine Wege und lehre mich deine Steige. So lautet ein wahres Gebet; denn die Erkenntnis des Willens Gottes lehrt uns zugleich, wie wir uns verhalten sollen. Wenn die Erkenntnis Gottes unser Licht ist, so haben wir weiter nichts zu tun, als ihn zu bitten: Leite mich in deiner Wahrheit. Ich erkenne deine Wahrheit; lass mich ihre Wege wandeln! Lehre mich durch deine Stärke und stärke mich durch deinen Unterricht! Gib mir den Trost, dass du ein Gott bist, der da hilft und dass diese Hilfe meiner wartet und wann's gleich währt bis in die Nacht und wieder an den Morgen, dennoch hoffe ich auf dich, täglich harre ich dein. So betet David.
In solche Lagen kommen wir in unserm Leben sehr oft; aber der Herr bleibt derselbe und seine Kraft die gleiche; er kann aus großen Trübsalen eben so gut erretten, wie aus kleinen, wenn wir nur glauben. Dieses Gebet des Psalmisten passt besonders für dreierlei Lagen oder Verlegenheiten, in denen wir uns hienieden sehr oft befinden. Wir wollen diese drei Lagen jetzt etwas näher betrachten.
I.
Es gibt eine Verlegenheit, die von unserer Lage, von unserer äußeren Stellung herrühren kann. Diese Stellung kann schwierig werden durch die Art und Weise unserer Beschäftigung, durch die Anhäufung derselben und durch die unvermeidlichen Reibungen mit Personen, mit denen wir in Berührung stehen, und ferner durch eine Ungewissheit, in der man sich befindet hinsichtlich seiner gegenwärtigen oder zukünftigen Lage.
Man befindet sich in einer Stellung, in der man eine schwierige Beschäftigung hat, wo es fast unmöglich scheint, die Aufgabe zu erfüllen. Vor allen Dingen hat man da zu der Gewissheit zu gelangen, dass der Herr uns in diese Lage gesetzt hat. Diese Gewissheit verschafft uns Licht und Kraft. Ist man davon überzeugt, so beuge man sich täglich vor ihm, denn er hat uns versprochen, dass er in allen Dingen uns Verstand geben wolle. Man suche in immer innigere Verbindung, in immer nähern Umgang mit dem Heiland zu kommen, denn in ihm liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis. Wenn der Herr eines seiner Kinder auf einen Posten stellt, so gibt er ihm auch die Kraft und Fähigkeit zu Allem, was nötig ist. Manchmal vielleicht nicht im Augenblick, aber er gibt sie ihm später. Je mehr Mut, desto mehr Licht, während die Entmutigung ins Dunkel hineinführt. Sobald man mit Gewissheit weiß, dass man nach dem Willen Gottes handelt, so soll man auch in dieser Gewissheit handeln. Dem Gerechten geht das Licht auf und Freude den frommen Herzen. Welche Kraft gab dem Apostel Paulus die Gewissheit, dass er sein Apostelamt vom Herrn empfangen habe und nicht von einem Menschen, auch nicht durch Menschen! Wenn die Lage, in der man sich befindet, nicht vom Herrn kommt, wenn man sich vielmehr selbst hineingesetzt hat und nicht mehr heraus kann: so ist das Beste, alle Schwierigkeiten, die daraus hervorgehen, als eine verdiente Züchtigung anzunehmen, und hat man einen Fehler begangen, so demütige man sich in Aufrichtigkeit vor dem Herrn; aber man glaube fest, dass nichts verloren ist, sobald man seinen Fehler aufrichtig beweint. Der Herr kann sich dieser Lage bedienen, um einen großen Segen für unser Herz daraus hervorgehen zu lassen, und wenn man alle Schwierigkeiten des Augenblicks demütig erträgt und das Vertrauen und die Hoffnung nicht wegwirft: so wird man ihn am Ende preisen.
Wir können ferner in Verlegenheit kommen durch eine Anhäufung der Geschäfte. Es gibt Augenblicke, wo sich die Geschäfte so anhäufen, dass man nicht weiß, wo anfangen. Man verliere aber nur den Kopf nicht; man mache zuerst das Notwendigste und um das Übrige bekümmere man sich nicht; man sorge nicht für den folgenden Morgen; Gott wird schon wieder sorgen, und wenn die Geschäfte sich vermehren, so vermehren sich auch die Stunden.
Man arbeite mit ruhigem Gemüt und mit Vertrauen! Man wird so in wenig Zeit viel mehr ausrichten, als wenn man sich unnötig plagt und unruhig ist, ob man auch zu rechter Zeit fertig werde, oder wenn man gar vor lauter Besinnen nie zur Arbeit kommt. Ist ein Geschäft abgemacht, so gehe man schnell an ein anderes, und so fort. Mut gibt Kraft, und Übung macht den Meister. Behalte den Herrn vor Augen, und die Berge von Schwierigkeiten werden einer nach dem andern verschwinden, und man wird erfahren, wie süß die Ruhe nach getaner Arbeit ist.
Was die Schwierigkeiten betrifft, die uns im Umgang mit Andern begegnen, so müssen wir nie vergessen, dass wir die Leute nehmen sollen, wie sie sind, da es doch einmal entschieden ist, dass wir sie nicht so modeln können, wie wir sie gern hätten. Es ist allerdings sehr oft der Fall, dass wir, durch Verhältnisse genötigt, mit Personen zu tun haben müssen, welche uns sehr viel Verdruss bereiten können. Für solche Fälle möchten wir den Rat erteilen: man verhalte sich so viel als möglich ruhig gegen sie und fange nie etwas mit ihnen an, wenn es nicht durchaus sein muss. Ist man aber genötigt, mit ihnen zu verkehren: so versetze man sich auf ihren Standpunkt, suche in ihre Individualität einzugehen, und seine eigene Persönlichkeit zu vergessen; man spreche so, wie man sprechen würde, wenn man in ihrer Lage wäre. Sanftmut überwindet Alles, aber wo Neid und Zank ist, da ist Zerrüttung und alles Arge. Wenn man aber ihren Forderungen nicht entsprechen kann, ohne gegen die Wahrheit zu sündigen: so sei man fest und entschieden, jedoch ohne Heftigkeit und Leidenschaft. Solche eigensinnige Charaktere sind immer zu beklagen; denn sie sind das traurige Opfer ihrer Sünde. Man sei daher für sie das, was Jesus für uns ist, und wenn man sie durch sanftmütiges Betragen nicht gewinnen kann, so hat man doch wenigstens für sich selbst den Gewinn, dass man in der Heiligung Fortschritte gemacht hat. Die Personen, gegen die wir gewöhnlich am meisten Abneigung empfinden, sind uns sehr oft am notwendigsten, und wenn jemandes Wege dem Herrn wohl gefallen, so macht er auch seine Feinde mit ihm zufrieden.
Auch die Lage endlich gehört zu den schwierigen und bereitet oft große Verlegenheiten, wenn man sich entschließen soll, entweder in seiner Stellung zu bleib en oder in eine andere einzutreten. Die heilige Schrift gibt uns darüber nur allgemeine Winke, dass man nämlich in dem Stande bleiben solle, in welchem man ist. Es können jedoch Ausnahmen stattfinden. Sobald der Herr uns durch die Umstände nötigt und uns dadurch seinen Willen zu erkennen gibt: so sollen wir auch ohne Zögern unsere Lage verlassen. In gewissen Fällen tut sich aber vor unsern Augen von selbst eine Lage auf, von welcher es uns scheint, dass wir uns in sie begeben sollten, ohne dass man sich eigentlich geradezu gezwungen sieht, die gegenwärtige Stellung aufzugeben. In solchen Fällen untersuche man den Beweggrund, der uns eine andere Lage wünschen lässt. Wenn es ein bloßer Wunsch ist, in eine bessere Stellung zu kommen, oder wenn Ehre uns lockt, oder wir einem Kreuz entgehen wollen, mit einem Wort, wenn der Beweggrund rein menschlich ist: so ist es fast gewiss, dass man seinen Zustand verschlimmern wird. Dann ist's besonders nötig, dass man mit dem Psalmisten bete: Zeige mir, Herr, deine Wege und lehre mich deine Steige. Vor allen Dingen suche man die Ehre des Herrn, und man wird dabei nichts einbüßen. Und wenn bei aller Aufrichtigkeit und bei allem Wunsch, dem Herrn die Ehre zu geben, man dennoch nicht ins Klare kommen kann: so bleibe man in seinem Stande, so lange man kann. Die nahe oder ferne Zukunft wird uns dann zeigen, was wir zu machen haben, besonders wenn wir anhalten am Gebet und den Willen Gottes zu erfüllen suchen. Wenn sich dann aber eine solche unentschiedene Lage zu sehr in die Länge zieht und der Aufschub der Entscheidung uns zu lang währen will: so versuche man, zu einem Entschlusse zu kommen, und dann sehe man, ob derselbe uns mehr Licht bringe. Sehr oft kommt man erst nach dem Entschlusse ins Klare, und die Freudigkeit, die uns vorher fehlte, kommt nach, vorausgesetzt jedoch, dass man Alles im Glauben getan, denn Alles, was man im Glauben tut, schlägt immer zum Segen aus.
II.
Versuchen wir nun, einige Worte über die Verlegenheiten zu sagen, in denen sich unser Gewissen manchmal befinden kann.
Manchmal ist das Gewissen nicht ganz ruhig, ohne dass man den wahren Grund entdecken kann. Diese Unruhe ist bisweilen der allgemeine Charakter eines Gewissens, oft aber auch die Folge gewisser Umstände, die man herauszufinden suchen muss.
Im ersteren Falle befinden sich gar viele Leute. Ihr Gewissen ist nie ganz ruhig, und diese Unruhe verhindert sie, zum vollen Frieden zu gelangen, den die Versicherung des Heiles gewährt. Solche Personen haben das Evangelium aufrichtig angenommen, und dennoch weicht diese innere Unruhe nicht, und ihr geistliches Leben trägt immer den Charakter der Traurigkeit. Die Ursachen eines solchen krankhaften Zustandes sind nicht bei Allen dieselben. Darum müssen sich solche Menschen vor allen Dingen prüfen, auf welche Weise sie die Botschaft des Heils angenommen haben, welche Seite ihres Wesens dieselbe berührt habe, ob die Gnade in ihr Herz und in ihr Gewissen gedrungen, oder ob sie vielleicht nur so im Allgemeinen in ihren Kopf und in ihre Einbildung aufgenommen worden sei. Sie müssen untersuchen, ob nicht in ihrem Herzen ein Bann sei, ob sie alle ihre Sünden erkannt und bekannt haben, und davon befreit werden wollen, und ob sie darum beten und seufzen. Ein solcher unruhiger Zustand des Gewissens kommt oft daher, dass der Wille nicht aufrichtig ist, und dass man sich nicht ganz willig und wahrhaftig dem Heiland hingeben will. Bei Andern rührt die Gewissensunruhe von einem verborgenen Rest eigener Gerechtigkeit her. Sie glauben an den Herrn Jesum und vertrauen auf ihn; aber dabei auch noch ein wenig auf sich selbst, auf ihren persönlichen Wert, ihre Gaben und ihren Christenstand. Der Heiland, den sie kennen, ist nicht der ganze Heiland, er ist ihnen nur ein Helfer. Sie teilen den Mantel der Gerechtigkeit in zwei Hälften. Vielleicht sind sie auch noch an eine Sünde gebunden. Wenn die eigene Gerechtigkeit Furcht und Unruhe im Gewissen erzeugt, um wie vielmehr die zurückgebliebene, versteckte Sünde? Wird die Anklage der Sünden nicht an das Kreuz Jesu genagelt, so wird die Seele mit jener Unruhe erfüllt, welche das Gewissen verwirrt und das Leben mit Dornen erfüllt. Was einem solchen Herzen fehlt, ist der Glaube, die völlige Ergreifung des Heils, ein freier und offener Zugang zum Gnadenstuhl. Solche Seelen müssen sich zu Jesu wenden, dass er sie die Kraft seines Blutes mehr empfinden lasse; sie müssen zu der Überzeugung gelangen, dass das Verdienst ihres Heilandes ihr ganzes Elend hinweggenommen, alle ihre Furcht getötet habe, sowohl die Furcht wegen der vergangenen, als die wegen der gegenwärtigen Sünden. Die Anklagen des Gewissens müssen zwar immer angehört werden, aber die Wahrheit, dass nicht unser Gewissen, sondern Jesu Gnade endgültig zu entscheiden hat, ist nicht weniger zu würdigen. Kinder Gottes, welche noch von Furcht beherrscht sind, halten sich zu sehr an ihre persönlichen Gefühle und Eindrücke und ganz besonders an solche Eindrücke, von denen sie noch mehr in ihrem Zweifel bestärkt werden. Ihr Verhältnis zum Heiland ist noch nicht das eines Kranken zu seinem Arzte, oder das eines Freundes zum besten Freunde.
Wenn die Furcht im Gewissen sich auf einzelne Tatsachen gründet, so muss man suchen, dieselben herauszufinden. Es bleiben nach der Bekehrung noch Wurzeln zurück, die oft große Schmerzen verursachen, und die, wenn sie nicht sorgfältig überwacht werden, plötzlich furchtbar ausschlagen können. Ein leidenschaftlicher Charakter, ein empfindliches oder stolzes Gemüt, ein neidisches, zorniges, misstrauisches oder an die Güter dieser Erde gekettetes Herz wird sich niemals so gründlich verändern, dass nicht noch oft Anfechtungen jener Sünden vorkämen. Aber solche innern Ausbrüche sind oft sehr versteckt. Man gibt andere Namen, man verhehlt sich ihr Dasein und will nicht haben, dass es jene Sünden seien, wenn so etwas zum Vorschein kommt. Die Unruhe unsers Gewissens ist alsdann nichts weiter, als die Züchtigung für diese Unaufrichtigkeit. Wenn du daher solche Unruhe in deinem Gewissen empfindest, ohne dass du über die Ursache im Klaren bist: so frage den Geist Gottes, und er wird dir die Grundursache aufdecken. Er wird dir zeigen, dass du eine Ehre, die du dem Herrn hättest geben sollen, für dich behalten hast; dass du dich einer Pflicht entzogen hast, die dir unangenehm war; dass du eine Neigung, die deinen Frieden stören wollte, nicht unterdrückt hast; dass du dir oft eine kleine Untreue hast zu Schulden kommen lassen, die dein Gebet schläfrig machte, dass du Tage hast hingehen lassen, wo du dich selbst nicht gerichtet, und dass du die Luft der Welt eingeatmet hast, welche die tägliche Buße erstickte. O, die Unruhe des Gewissens lässt nicht lange auf sich warten, wenn man nicht jeden Tag mit seinem Gott Abrechnung hält über die Anwendung seiner Zeit und über seine Handlungen; wenn das Band, das uns an den Heiland bindet, lockerer wird, anstatt sich zu befestigen, und wenn die Ermahnungen des heiligen Geistes nicht treulich gehört und befolgt werden. Eine Untreue hat eine andere im Gefolge; nur eine beständige Wachsamkeit kann uns eine solche Gewissensunruhe ersparen. Sobald wir etwas Dergleichen in unserm Innern merken, so lasst uns gleich zum Herrn gehen mit der Bitte: Herr, zeige mir deine Wege, und lehre mich deine Steige! Wenn wir uns vor dem Lichte nicht scheuen, so wird es unsere Finsternis vertreiben; denn die Genesung unsers inwendigen Menschen hängt von dem Gebrauche ab, den wir von dem Lichte machen.
III.
Endlich gibt es noch eine Verlegenheit, in der man sich befinden kann, die das Gebet betrifft. So lange man beten kann, geht Alles gut. Ein herzliches und inbrünstiges Gebet ist ein Feuer, das unser Innerstes erwärmt; aber sobald man nicht mehr beten kann, so kommt die Unruhe. Wie viele und wie vielerlei Sachen haben wir nicht dem Herrn zu sagen, so dass wir schon durch die Menge in Verlegenheit kommen. Man sucht einen Augenblick der Stille, um Trost in sein Herz zu bekommen; man beugt sich in den Staub; aber die Dinge, die man dem Herrn sagen möchte, durchkreuzen sich in unserm Geiste, und liegen in solcher Unordnung, dass man nicht weiß, wo beginnen, und man kein Wort hervorbringen kann. Mit einem Wort: man kann nicht beten. Ein andermal hätte man wohl die nötige Zeit, um zu beten; aber man hat dem Herrn nichts zu sagen; man ist kalt und träge; man hat kein Vertrauen zu einem Gebet, das man in einer solchen Stimmung vor den Herrn bringt. Wieder ein andermal begegnet einem das Gegenteil. Man hat mit Inbrunst, sogar mit Tränen beten können; aber trotz des Kampfes mit dem Herrn will unsere Heiligung nicht wachsen. Wir können unmöglich mit mehr Inbrunst beten, und doch scheint Alles vergebens. Oder wir sind auf dem Krankenbette, körperliche Schmerzen quälen uns, wir werfen uns auf unserm Lager hin und her und der Herr tritt ferne von uns dasselbe begegnet uns, wenn wir uns in einer großen Heimsuchung befinden. Es gibt solche Schläge, die uns wie betäuben, und dann ist das Gebet wie eine zerbrochene Waffe in unsern Händen. Alle diese und ähnliche Lagen sind schmerzlich zu ertragen; aber man darf den Mut nicht sinken lassen; der heilige Geist hat keine Methode, um uns das Beten zu lehren. Wer in seiner Herzensangst sich vor seinem Gott niederwirft und keine Worte finden kann, der betet auch, wenn er von der Zuversicht erfüllt ist, dass dem Herrn sein Anliegen bekannt und dass Ihm sein Seufzen nicht verborgen ist. Das Seufzen der Seele ist auch ein Gebet, und der Heiland hat in seiner Leidensnacht nicht anders gebetet. Und was fordert der Herr von uns? ein gebrochenes und zerschlagenes Herz, das im Gefühl seiner Ohnmacht sich zu seinen Füßen niederwirft. Man möchte gern beten, aber man weiß nicht, wie anfangen. O, dieses Verlangen nach dem Gebet ist selber schon ein kräftiges Gebet, und wenn nur dieses Seufzen ohne Worte vom heiligen Geiste in uns gewirkt ist, so ist es gut mit uns bestellt. Du findest dein Gebet schlecht und setzt kein Vertrauen in dasselbe. Weißt du, wer diese Überzeugung in dir gewirkt hat? Der heilige Geist. In demselben Augenblicke, wo du dich von ihm verlassen glaubst, wirkt er in dir. Du betest, und dein Gebet hat keine Wirkung; ist nicht diese Inbrunst und diese Beharrlichkeit die schönste Wirkung deines Gebetes? Wenn einer sein ganzes Leben hindurch betete und damit nichts erringen würde als diesen einen Punkt, dass er im Gebet anhaltender und brünstiger wird: so wäre er schon deswegen wahrhaft beneidenswert, denn das ist das sicherste Zeichen, dass der Herr ihn lieb hat. Du bist krank, bist im Ofen der Trübsal, und du kannst nicht beten und du hast niemanden, auf den du dein Anliegen werfen kannst? Hast du denn nicht einen Fürsprecher bei dem Vater, und sind deine Seufzer nicht von dem gewirkt, welcher der Tröster heißt, und glaubst du, der Herr verstehe diese Seufzer nicht? O, lege nicht zu viel Gewicht auf die Worte! Was vor Gott köstlich ist, das ist die Sehnsucht des Herzens, und selbige bleibt dir, auch wenn du keine Worte findest. Klage nicht, sondern danke, dass deine Sache gut stehe. Der für dich ist, heißt Vater, Sohn und heiliger Geist; deine innern Bedrängnisse sind lauter Zeichen der Liebe. Das Gold wird nicht vom Feuer verzehrt, sondern es wird darin nur reiner und köstlicher. Der wahre Gott ist der Gott des Trostes. Harre auf ihn! Er gestaltet unser Leben nicht so, wie wir es gern hätten, und versteht das Gebet nicht so, wie wir. Hüten wir uns, ihm vorschreiben zu wollen, wie er's mit uns machen solle! geben wir uns ihm vielmehr ganz hin, und wenn er uns zu dem gemacht hat, was er will: so wird er für uns das werden, was wir wünschen. Je heftiger die Stürme unseres Lebens, desto inniger wird unsere Gemeinschaft mit ihm, und wo ist man besser aufgehoben, als bei dem Vater der Barmherzigkeit und dem Gott alles Trostes? Seine Gnade währt immerdar und seine Barmherzigkeit für und für, also auch in den Zeiten der Trübsal und der Verlegenheit. Wir sollen durch unsere Trübsale lernen glauben, lieben und mit Geduld warten. Lasst uns mit kindlichem Geiste den Weg des Psalmisten gehen. Er ist nicht zu Schanden geworden über seiner Hoffnung, und wir werden auch nicht zu Schanden werden, die wir überwunden haben durch des Lammes Blut!